Satiren und Briefe - Horaz - E-Book

Satiren und Briefe E-Book

Horaz

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Beschreibung

Quintus Horatius Flaccus (65-8 v. Chr.) ist einer der bedeutendsten Dichter lateinischer Sprache. Er lebte während der politisch dramatischen Jahre zwischen Caesars Ermordung und dem Beginn des Prinzipats unter Augustus. Maecenas nahm ihn auf Empfehlung Vergils in seinen Freundeskreis auf, Augustus erteilte ihm den ehrenvollen Auftrag, für das Jahr 17 v. Chr. das ›carmen saeculare‹ zu dichten und aufzuführen. Schon mehrere Jahre zuvor hatten die beiden Bücher der ›Satirae‹ seinen Ruhm begründet: Es sind Dialoge in oftmals stilistisch frei gedichteten Hexametern. Die Themen kreisen um die richtige Lebensgestaltung, Laster wie Habgier und Ehebruch werden schonungslos vorgeführt. Seine subtile Ironie macht Horaz zum Meister dieser genuin römischen Dichtungsform, die »lachend die Wahrheit sagen« will. In ähnlicher Weise zeigen die Briefgedichte der ›Epistulae‹ den Menschen mit seinen Tugenden und Schwächen. Die hier von Friedemann Weitz vorgelegte zeitgemäße Bearbeitung der Satiren und Briefe Horaz' beruht auf der Übersetzung von Otto Schönberger und zeichnet sich durch außerordentlich gute Lesbarkeit aus.

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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EDITION ANTIKEHerausgegeben vonThomas Baier, Kai Brodersenund Martin Hose

HORAZ

SATIREN UND BRIEFE

Lateinisch und deutsch

Nach der Übersetzung von Otto Schönberger

überarbeitet und mit Anmerkungen versehenvon Friedemann Weitz

 

 

 

 

 

Impressum

Verantwortlicher Bandherausgeber: Thomas Baier

Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch denWilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft

Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung:Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitungdurch elektronische Systeme.

© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 GutenbergEinbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18155-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-73271-5eBook (epub): 978-3-534-73964-6

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Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zum Übersetzer und zum Bearbeiter

Impressum

Inhalt

Vorwort

Einführung

Satiren und Briefe

SERMONUM LIBER PRIOR

SERMONUM LIBER ALTER

EPISTULARUM LIBER PRIOR

EPISTULARUM LIBER ALTER

Zur Sprache horazischer Hexameter

Anmerkungen

Karten zu Horaz

Benutzte wie geschätzte Literatur – Hinweise

Geflügelte Worte

Stimmen zu Horaz

Vorwort

„Die einzige Art die Verächter der Übersetzungen der Alten zu widerlegen, ist, daß man gute Übersetzungen liefre.“

C.M. Wieland in der Zueignung von Horazens Briefen an Herzog Carl-August zu Sachsen-Weimar 1782

 

Im Jahr 2009 erschienen in dieser Reihe Oden und Epoden des Horaz in einer leicht lesbaren zweisprachigen Ausgabe. Ein lustrum später vervollständigen nun Satiren und Episteln das Horazische Œuvre in der Edition Antike. Die Übersetzung von Otto Schönberger, die dieser Ausgabe zugrunde gelegt wurde, nähert sich dem antiken Autor mit bestechender Klarheit und zeitloser Eleganz. Die Herausgeber waren bemüht, den Text so zu präsentieren, dass die lateinischen Verse möglichst zeilengenau der deutschen Version auf der gegenüberliegenden Seite entsprechen. Freilich hatten sie in vielen Fällen syntaktischen Nöten nachzugeben und vor allem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Übersetzungen stets länger zu sein pflegen als ihr jeweiliges Original. Dennoch ist das Ergebnis so, dass der Lateinschüler schnelle Hilfe findet und der genießende Lateinleser nach Belieben mit dem Auge zwischen den Versionen hin- und herspringen und sich leicht zurechtfinden kann.

Selbstverständlich gilt für diese Übersetzung wie für viele andere, zumal wenn es sich um Dichtung handelt: Was einen Text zu Literatur macht, was die Sprache über ihre dienende Funktion erhebt, sie von der ancilla zur regina macht, kann eine Übersetzung nur annähernd wiedergeben. Sie bleibt doch in erster Linie Dienerin der Praxis und Vermittlerin des Inhalts. Und dennoch wird der Leser in Schönbergers Horaz selbst in der dienenden Funktion die königlichen Fähigkeiten von Horazens Sprache immer wieder erahnen.

Im Anschluss an den Text findet sich ein knapp gehaltener Lesekommentar, wie es in dieser Reihe seit jeher gute Übung ist. Die „Stimmen zu Horaz“ ergänzen den entsprechenden Anhang des ersten Bandes um weitere Originaltöne. Wie dieser erheben sie nicht etwa Anspruch auf Vollständigkeit. Dasselbe caveat trifft erst recht auf das Literaturverzeichnis zu, in dem für diese Ausgabe benutzte und vom Bandbearbeiter besonders geschätzte Werke aufgeführt sind.

Es gilt an dieser Stelle vielfältig Dank zu sagen: Besonders verpflichtet fühlen sich die Herausgeber Herrn Dr. Otto Schönberger, der der WBG bereitwillig die Rechte an seiner Übersetzung überlassen hat. Unter den Helfern und Wegbereitern dieses Bandes gebührt der größte Dank Herrn Friedemann Weitz (Leutkirch im Allgäu), der wie schon bei Horaz I mit kompromissloser Gründlichkeit und Akribie um jedes Detail des Buches besorgt war. Möge die Ausgabe ihre Leser die Lebendigkeit eines 2000 Jahre alten Dichters spüren lassen!

 

Würzburg, im Januar 2015

Thomas Baier

Einführung

Quintus Horatius Flaccus

Unter Kaiser Hadrian schrieb C. Suetonius Tranquillus in seinem Buch ‚De viris illustribus‘ eine Vita des Dichters Quintus Horatius Flaccus, die in Auszügen erhalten ist. Aus dieser Biographie und durch Angaben des Dichters ist das Leben des Horaz näher bekannt. Horaz ist geboren am 8. Dezember des Jahres 65 v. Chr.1 in der apulischen Militärkolonie Venusia nahe der Grenze nach Lucanien (vgl. sat. 2,1,34f.). Seine Mutter war frei geboren,2 sein Vater ein Freigelassener, der ein kleines Landgut besaß (vgl. sat. 1,6,6. 71).

Der Vater erzog seinen Sohn mit großer Sorgfalt (vgl. sat. 1,6,72). Um ihn nicht nur zum Ortsschulmeister Flavius zu schicken, zog er nach Rom und betrieb dort das Gewerbe eines coactor auctionarius, d.h. eines Zwischenhändlers im Auftrag und zugleich Kreditgebers bei Auktionen. Seinen Sohn ließ er unterrichten wie die Kinder begüterter Familien. Der erste Lehrer des Horaz in Rom war der Grammatiker Orbilius Pupillus aus Beneventum, ein bedeutender, aber verbitterter Mann, dem Horaz das Beiwort „schlagfreudig“ zulegt (vgl. epist. 2,1,70). Bei Orbilius las man die Odysseeübersetzung des Livius Andronicus; auch die Ilias wurde erklärt.

Horaz rühmt seinen Vater, der ihm nicht nur die Erziehung eines Vornehmen zuteil werden ließ, sondern ihn auch lehrte, die Menschen zu beobachten, aus fremden Fehlern zu lernen und das eigene Leben zu ordnen. Etwa im Jahre 45 ging Horaz auf die Hochschule in Athen, wo er philosophische Studien trieb. Griechisch lernte er so gut, dass er griechische Verse schrieb.

Die Fortführung seiner Ausbildung wurde aber durch die politischen Ereignisse unterbrochen. Horaz lebte ja zur Zeit der großen römischen Bürgerkriege des ersten Jahrhunderts. Nach dem Zerfall des ersten Triumvirats (Caesar, Pompeius, Crassus) hatten sich Caesar und Pompeius im Kampf um die Macht in Rom immer mehr entzweit, und schließlich begann der Bürgerkrieg des Jahres 49, der zum Tode des Pompeius nach der Schlacht bei Pharsalus führte (48). Die Alleinherrschaft Caesars in Rom endete mit seiner Ermordung an den Iden des März im Jahre 44.

Aus den politischen Wirren nach Caesars Tod ging im Jahre 43 das sogenannte zweite Triumvirat „zur Neuorganisation des Staatswesens“ von Antonius, Lepidus und Octavian hervor. Dieses Triumvirat bekämpfte die Mörder Caesars, von denen Marcus Brutus die Provinzen Makedonien, Illyrien und Griechenland besetzt hatte.

Im Herbst des Jahres 44 kam Marcus Iunius Brutus nach Athen, um von dort in die Provinz Makedonien zu gehen. Er rief die Jugend zum Freiheitskampf gegen Antonius und Octavian, und so wurde Horaz mit etwa 21 Jahren Militärtribun und führte eine Legion (vgl. sat. 1,6,48); es war freilich ein ungewöhnlicher Vorgang, dass ein junger Mann ohne Erfahrung Befehlshaber einer Legion wurde, doch führten die verworrenen Zeiten zu ungewöhnlichen Maßnahmen. In der Schlacht bei Philippi (November 42) wurde er in die Flucht des Heeres hineingezogen (vgl. carm. 2,7,9) und kehrte nach einer Amnestie nach Italien zurück (etwa im Jahre 41).

In den Machtkämpfen nach Philippi blieb Octavian Sieger über Antonius, der im Osten wie ein orientalischer Herrscher aufgetreten war (Schlacht bei Actium, 2. September 31).

Da sein Vater gestorben und sein Vermögen eingezogen war, kaufte sich Horaz mit dem Rest seines Geldes einen Posten als scriba quaestorius; dieses Amt machte ihn zu einem Sekretär der Staatskasse und des Staatsarchives und bot recht gute Einkünfte. Immerhin war mit ihm die Zugehörigkeit zum höheren Mittelstand, der Ritterschaft, verbunden.3

Damals entstanden die ersten dichterischen Versuche. Zuerst übertrug Horaz die Kampfieder des frühgriechischen Dichters Archilochos (7. Jh. v. Chr.) in Gestalt seiner Epoden nach Rom. Die Epoden, 17 Gedichte in Jamben, bringen neue Versmaße in die römische Dichtung und werden von Horaz als Gefäß persönlicher Aussage gestaltet, freilich weithin ohne die Aggressivität des Archilochos, den er sonst nachahmt. Geschrieben sind die Epoden hauptsächlich zwischen den Jahren 40 und 38 und zwischen 31 und 30.

Dann begann Horaz die Satirendichtung nach Art des Lucilius, doch sogleich mit persönlicher Eigenart. Die Satiren entstanden im Wesentlichen in den Jahren 38 bis 30, also zwischen den beiden Zeitabschnitten, in denen die Epoden geschrieben wurden. Das erste Satirenbuch wurde zwischen 35 und 33, das zweite (und die Epoden) im Jahre 30 veröffentlicht.

Diese Gedichte führten dazu, dass Vergil und Lucius Varius sich Horaz näherten und ihn zu Anfang des Jahres 38 dem Maecenas vorstellten (vgl. sat. 1,6,54ff.); dieser nahm ihn in seinen Kreis auf. Horaz wurde später der vertraute Freund des Maecenas, der dem Dichter im Jahre 33 ein Landgut in den Sabinerbergen, etwa drei Stunden von Tibur entfernt, schenkte.

Das Landgut wurde für Horaz Grundlage neuen Lebens. Dort, in der Einsamkeit, konnte er frei von störenden Einflüssen zu sich kommen und seine Unabhängigkeit bewahren.

Dass Horaz zu dieser Zeit frei und ungestört war, verdankte er auch der auf Wiederherstellung und Wahrung des Friedens gerichteten Politik des Augustus. Diesem gelang es im behutsamen Ausbau seiner Macht, den Prinzipat (von princeps, „der Erste“) als spezifisch römische Form der Monarchie zu etablieren und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu festigen, wobei nach außen hin manche Einrichtungen des republikanischen Staates bestehen blieben. Die Errichtung des Prinzipats setzte der jahrzehntelangen Selbstzerfeischung in den Bürgerkriegen ein Ende.

Bei der Festigung der neuen Ordnung hatten restaurative Tendenzen, so der Rückgriff auf altrömische Ideale (mos maiorum) und die bewusste Pflege der alten Religion, eine wichtige Funktion zu erfüllen. Die aufblühende Kultur der durch Augustus geprägten Zeit, Dichtung wie bildende Kunst, trat in den Dienst der neuen Staatsform und ihrer politischen und ideologischen Ziele.

Die Erfahrungen des eigenen Lebens und die erfolgreiche Politik des Augustus machten auch aus dem einstigen Republikaner Horaz einen überzeugten Anhänger des Prinzipats. Nach der Schlacht von Actium (31) ergriff er in der 9. Epode entschieden Partei für den Sieger, von dem er ein Ende der Bürgerkriegsschrecken erhoffte. Mit seinen Oden und dem zur Säkularfeier des Jahres 17 in offiziellem Auftrag gedichteten ‚Carmen Saeculare‘ setzte er sich für die augusteische Ordnung ein. Aber auch dem Prinzeps gegenüber suchte Horaz seine Selbständigkeit zu wahren, wie er denn nicht aufgehört hat, nach einem eigenen Standpunkt und innerer Unabhängigkeit zu suchen.

Die ersten drei Odenbücher erschienen im Jahre 23, das vierte im Jahre 13. Die Oden führen das äolische Lied, wie es die frühgriechischen Lyriker Sappho und Alkaios geschaffen hatten, in Rom ein. Horaz macht hier die Fülle der Rhythmen, die in Hellas ausgebildet wurden, mit vollem Erfolg in Rom heimisch. In den Oden sieht Horaz Gipfel seiner Kunst. Hier spricht er fast alle Bereiche des Lebens an, Freundschaft, Liebe, Politik, Religion, Leben und Tod. Dabei erstrebt er einen hohen Grad von Objektivität und Reflexion. Die Form seiner Gedichte wird mit erlesener Kunst geschmiedet.

Horaz wurde durch Maecenas auch mit Kaiser Augustus bekannt. Dieser wünschte den homuncio lepidissimus („das allerliebste Männlein“), wie er ihn nannte, als Sekretär, doch Horaz lehnte ab. Augustus nahm ihm das nicht übel; er erklärte die Gedichte als „ewig dauernd“ und veranlasste ihn zur Abfassung des ‚Carmen Saeculare‘ und der Gedichte auf seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius. Es sind Teile von Briefen des Augustus an Horaz überliefert.

In späteren Jahren kam der Dichter immer weniger nach Rom. Im September des Jahres 8 v. Chr. starb Maecenas. Auf dem Sterbebette gedachte er des Freundes, indem er dem Kaiser schrieb: Horati Flacci ut mei memor esto („sei des Horatius Flaccus eingedenk wie meiner selbst“). Horaz überlebte ihn nur um zwei Monate; er starb so rasch (am 27. November 8), dass er nur noch mündlich den Kaiser zum Erben einsetzen konnte; bestattet wurde er auf dem Esquilin neben Maecenas.

Die römische Satire

Es gibt in der griechischen Literatur viele Elemente satirischer Art, etwa im ‚Margites‘, dem nachhomerischen Epos vom Dümmling, bei Archilochos, dem aggressiven frühgriechischen Lyriker, bei Semonides von Amorgos, der eine scharfe Weibersatire schrieb, bei Hipponax, dem bettelnden witzigen Volksdichter, in der scharfen Kritik der tolldreisten Komödien des Aristophanes und bei Bion von Borysthenes, einem griechischen Wanderprediger hellenistischer Zeit. Dennoch wird der Römer Quintilian Recht haben, wenn er sagt (inst. or. 10,1,93): Satira tota nostra est. Die römische Satire ist ein weitgehend eigenständiges Gebilde. Denn auf römischem Boden bildete sich die Satire als eigene literarische Gattung heraus, die den Griechen so nicht bekannt war und die im modernen Europa große Popularität gewann.

Ursprünglich lautete die Bezeichnung satura. Dies ist ein substantiviertes Adjektiv zu satur, „satt, voll“, und bedeutet „Buntes Allerlei“. Im Altlateinischen bezeichnete satura einen Pudding aus Gerstenschrot, Rosinen und Pinienkernen, der mit Weinmet angemacht war. Satura lanx hieß eine Opferschüssel mit Erstlingsfrüchten, die der Göttin Ceres dargebracht wurde, lex satura ein Gesetz für verschiedene Materien. Die Grundbedeutung des Wortes satura ist also „Füllsel, Allerlei“ an Speisen, und von hier erfolgte die Übertragung auf das Literarische, so dass satura „Buntes Gemisch, Allerlei“ bedeutet. Horaz deutet epist. 2,2,61f. durch die Art der Metaphorik vielleicht an, dass er satura zu den Küchenausdrücken rechnet, wie wir für eine bunte Mischung Potpourri sagen. Die Wortform satira taucht erst in der Kaiserzeit auf, weil man damals die Satire mit dem griechischen Satyrspiel in Verbindung brachte.

Im vorliterarischen Raum gab es wohl Saturae in Form von Spottversen, später als lose Folgen lustiger Einzelszenen, die man aufführte.

Von solchen Einzelszenen, italischen Vorstufen, die selbst vielleicht etruskischem Einfluss unterlagen, ging Livius Andronicus aus. Er soll als Erster ein einheitliches Stück, eine Satura, verfasst haben. Auch der Dichter Naevius (etwa 285 – etwa 200 v. Chr.) schrieb eine Satura, von der ein Vers erhalten ist.

Begründer der römischen Satire wurde Q. Ennius (239–169 v. Chr.). Er schrieb ein ganzes Buch ‚Saturae‘, vermischte Gedichte. Angeregt wurde er vermutlich durch die Jamben des Kallimachos und durch moralisierende hellenistische Prosa, und da er in den herkömmlichen Formen kein Mittel für lehrreiche Causerien besaß, griff er zur Form der Satura, um die Probleme einer Gesellschaft zu erhellen, der die Aufgabe gestellt war, ein eigenes, neues Geistesleben im Umgang mit der mächtigen Kultur Griechenlands zu entfalten.

In vier Büchern bot er eine Reihe von Gedichten, Fabeln, Sentenzen und Streitgesprächen. Erhalten sind Bruchstücke in verschiedenen Versmaßen, in jambischen Senaren, trochäischen Septenaren, daktylischen Hexametern. Sicher besaß die Satura des Ennius ein gewisses „satirisches“ Element und ist darin Vorbild auch für Horaz. Ennius nahm in seine Satura Fabeln auf, und auch dieser Brauch hat – wohl mittelbar – auf Horaz gewirkt.

Der erste große Vertreter der römischen Satire ist C. Lucilius aus Suessa Aurunca in Kampanien (etwa von 167–102 v. Chr.). Er war ein wohlhabender Mann, Freund des jüngeren Scipio, den er im Jahre 134 nach Numantia begleitete. Lucilius war politisch unabhängig und bekleidete nie ein Staatsamt. Er war ein Kenner griechischer Literatur und hellenistischer Philosophie, war aber auch im lateinischen Schrifttum zu Hause.

Auch Lucilius lebte in einer Zeit politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, und so widmete er seine Satire weitgehend der Gesellschaftskritik. Er war ein ungestümer Mann, der seine Meinung rückhaltlos aussprach und die verschiedenen Stände kritisch schilderte. Auf ihn geht die horazische Art zurück, von aktuellen Anlässen auszugehen. Seit Lucilius empfand man die Streitbarkeit als Hauptmerkmal der Satire.

Lucilius erzählte von Krieg, Reise- und Liebesabenteuern, Gerichtsverhandlungen und Gladiatorenkämpfen, besprach Fragen der Moral und der Politik und behandelte Probleme der Homerkritik, der Grammatik, Prosodie, Orthographie, Etymologie. Auch über Rhetorik, Poetik, Ästhetik äußerte er sich, hierin Vorgänger des Horaz der Literaturbriefe.

Neben Ennius boten für Lucilius Anregungen auch die politischen Spottverse und Kampfschriften jener Zeit. Die Form seiner Satiren war bunt: es gab Erzählungen, Dialoge, Vorträge, Betrachtungen, Mahnungen, Briefe. Die Sprache freilich war oft holperig, das Metrum war ungenau, die Komposition wies Mängel auf.

Die metrische Form der Satiren des Lucilius wandelte sich allmählich. In den ältesten, dem 26. und 27., seiner 30 Satirenbücher findet sich die mehr volkstümliche Versform des trochäischen Septenars. Dann traten Gedichte in jambischen Senaren hinzu; später erscheint nur mehr der daktylische Hexameter.

Weiterentwickelt wurde die Satire durch Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.), den römischen Polyhistor. Dieser schrieb seine ‚Saturae Menippeae‘ zwischen 80 und 67. Es war ein Werk von 150 Büchern, in dem Prosa und Verse gemischt waren, wobei vermutlich der Hauptteil in Prosa gestaltet war und die Poesie den Zierat bildete. Jede Satire hatte einen eigenen Titel (lateinisch, griechisch oder lateinisch und griechisch; erhalten sind etwa 90 Titel und rund 600 Fragmente). ‚Saturae Menippeae‘ heißen sie nach dem Kyniker Menippos aus Gadara (um 250 v. Chr.), der die Gattung des sogenannten „Spudaiogeloion“ gepfegt, das heißt in scherzhaftem Tone ernste Wahrheiten der Philosophie in einer aus Prosa und Poesie gemischten Darstellung erörtert hatte.

Varros menippeische Satire bezweckt eine Reform der herrschenden Schicht; sie fordert Besinnung auf die Werte des alten Rom, den mos maiorum, und fordert ein naturgemäßes Leben. So stellt Varro Einst und Jetzt gegenüber, fordert, man solle seine Bedürfnisse einschränken, und zieht gegen Habgier, Schlemmerei und Luxus zu Felde. Er möchte Unterhaltung und Nutzen für das Leben bieten, will – wie Horaz – lachend die Wahrheit sagen.

Varros Menippeen boten eine bunte, oft phantastische Szenerie; ihre Sprache zeigte die verschiedensten Stilarten. Die Satiren waren übersichtlich und klar gebaut. Horaz übernahm von Varro nicht die Form, doch bezog er wie Varro die hellenistische Popularphilosophie in seine Satiren ein, besonders im zweiten Buch. Auch für das dialogische Element der Satire bildet Varro (neben anderen) den Mittler zwischen Lucilius und Horaz.

Die Horazische Satire

Horaz hat die Satire des Lucilius übernommen und zu künstlerischer Form entwickelt und vertieft. Ohne Zweifel half die Philosophie bei dieser Verinnerlichung. Besonders die hellenistischen Wanderprediger mit ihren Diatriben (Predigten mit Beispielen aus Mythos und Alltag, mit Wortspielen und Anekdoten) boten Philosophie für das tägliche Leben. Bekanntester Lehrer solcher Ethik war Bion von Borysthenes (um 300 v. Chr.), von dessen kynisch-stoischer Predigt man schon die horazische Satire ableiten wollte. Sicher hat die Diatribe Einfluss auf die horazische Satire, doch steht diese mit ihrer formalen Kunst und inneren Freiheit hoch über der Schulphilosophie.

Die Kyniker waren Philosophen einer von Antisthenes begründeten Richtung; sie wollten die Freiheit des Menschen von gesellschaftlichen Bindungen durch persönliche Bedürfnislosigkeit erreichen und erstrebten Unabhängigkeit von jedem Vorurteil. Durch ärmliche Kleidung und derbes Betragen suchten sie Aufmerksamkeit zu erregen, wie etwa Diogenes.

Weiter waren Lehrer des Horaz die Stoiker und Epikur. Auch sie erstrebten innere Unabhängigkeit. Epikur lehrte, die Lust und das Freisein von Schmerz bilde die Grundlage der Glückseligkeit. Der Mensch müsse die Begierden beherrschen, um innere Ausgeglichenheit bewahren zu können; besonders müsse man die Furcht vor dem Tode und den Göttern bekämpfen.

Auch die Stoiker suchen das Glück, doch finden sie es in der Tugend; als deren Grundlage fassen sie das tätige Eingreifen in das Geschehen der Außenwelt auf. Menschliche Tugend, deren Hauptteile die vier (platonischen) Haupttugenden Gerechtigkeit, Einsicht, Tapferkeit, Besonnenheit seien, zeige sich in der vollkommenen Pflichterfüllung im Dienste der Menschheit.

Man darf aber nicht sagen, der Weg des horazischen Denkens habe von Epikur zur Stoa geführt. Horaz war nie einer Sekte verschworen, trug auch innere Spannungen in sich, die ihn beiden Schulen annäherten. Immerhin ist das erste Satirenbuch stärker epikureisch, das zweite stoisch gefärbt.

Ob Horaz seine Satiren als ‚Sermones‘ bezeichnet hat, ist eine Frage; sat. 1,4,42 spricht zumindest dagegen, dass er seine ersten Satiren so nannte. Einen Teil seiner Satire verdankt Horaz seinem Vater, dessen Erziehung das warnende Beispiel fremder Fehler hervorhob. Ihm selbst gehört die Weisheit, die lachend die Wahrheit sagt; das Wort ridentem dicere verum (sat. 1,1,24) ist das beste Kennzeichen der horazischen Satire.

Man soll lachend die fremde und eigene Torheit erkennen. Daher gibt es bei Horaz weniger Angriff und Spott als Darstellung von Erkenntnissen. Er tritt den Menschen wohlwollend entgegen und zeigt ihre Schwächen in heiterem Ernst.

Bis zu einem gewissen Grade waren aber wohl auch die veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse an dieser Richtung der horazischen Satire beteiligt. Während Lucilius noch den „Sünder“ selbst angreifen konnte, war Horaz eher gedrängt, nur die „Sünde“ aufs Korn zu nehmen, wenn er Unannehmlichkeiten vermeiden wollte.

Mittel seiner Satire sind folgende: Kontrastierende Bilder von Lebensweisen sowohl als Kunstmittel wie als Vorführung von Extremen, zwischen denen das Rechte liegt (wobei Horaz jede Schwarz-Weiß-Malerei meidet), lustige Anekdoten, die zur Auflockerung dienen, Fabeln, die als „Grenzrain zwischen Poesie und Moral“ (Lessing) Lehre und poetisches Bild vereinen, Abbildungen des Lebens, die Fehler geistvoll vorstellen, ohne zu verzerren, keine Predigt, sondern Beobachtung. Der Realismus geht manchmal ins Derbe, fast Überderbe; vgl. sat. 1,2,25ff.: Einer geht mit hängender Tunika, einer hat sie bis zur Scham hinaufgezogen, Rufillus duftet nach Pastillen, Gargonius stinkt wie ein Bock. Heitere Komik: Horaz schildert fremdes und eigenes Handeln in lustig übertreibender Form. Parodie fremder und eigener Dichtungen: Horaz baut in das Kunstwerk seiner Satire Anspielungen auf andere Dichtungen und Gattungen ein, so dass ein beziehungsreiches Gebilde entsteht. Gelegentlich wird die Selbstparodie gepflegt (vgl. sat. 2,7,46–65 mit sat. 1,2); Horaz zeigt deutlich, wie frei er sich selbst gegenübersteht. Mit der Parodie verwandt ist die Ironie, die bei Horaz als Mittel der Selbstdarstellung und dichterischen Gestaltung auftritt. Hinzu kommen mythologische und historische Beispiele, Anekdoten, Sprichwörter, Personifikationen, Beispiele aus dem Tierleben.

Wichtige Grundlage dieser Satire sind die unverkrampfte Art und die verborgene Tiefe, der die so einfach erscheinende Darstellung entspringt.

Noch nicht untersucht ist die Bedeutung des Mythos in Horazens hexametrischer Dichtung. Oft dient der Mythos zur Illustration eines Gedankens mit Beispiel, Vergleich, Analogie. Die mythologischen Szenen sind real aufgefasst, werden sogar in den komischen Vergleich hineingezogen (sat. 1,1,100 fortissima Tyndaridarum). Gerne wird Homer zitiert; epist. 1,2 ist Odysseus, epist. 1,7 Telemachos als Vorbild rechtschaffener Art hingestellt.4

Horaz betrachtet in seiner Satire das Leben der ihn umgebenden Gesellschaft; er deckt ihre Fehler auf und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Dabei sucht er sich selbst in Distanz zu diesen Fehlern zu stellen und kämpft gegen Ehrgeiz, Geldgier und Leidenschaft. Im Lernen aus fremdem Fehlverhalten sucht er sich selbst zu erziehen und innere Freiheit zu gewinnen. Horaz könnte wie Goethe sagen, dass jeder, der seine Werke las, innere Freiheit erlangen konnte. Herder schreibt: „Horaz macht die Seele frei von jedem Vorurteil, von jeder Bürde und Afferei des Lebens. Und zwar tut er dies nicht ernst und steif …, sondern als ob er’s nicht täte.“

Horaz wusste durchaus von der Verpflichtung eines römischen Dichters zur politischen Aussage im Dienste seines Volkes. So gab er in den Epoden seiner Verzweiflung über die politischen Wirrnisse des Bürgerkrieges Ausdruck, stellte aber auch den Dichter dar, wie er öffentliche Verantwortung fühlt und auszuüben sucht. Die Oden zeigen vielfach die Sorge des Dichters um Staat und Gesellschaft und geben der Sehnsucht nach Frieden Ausdruck. In den Römeroden steigt Horaz empor zur Haltung des vates (Sehers), der begeistert sein Volk Sitte und Disziplin lehrt und das Reformprogramm des Augustus unterstützt.

In den Satiren des Horaz aber ist das Politische weitgehend ausgespart, obschon die Satirenbücher in der Zeit zwischen Philippi und Actium erschienen. Das kommt nicht nur davon, dass das Politische vorwiegend in den Epoden und Oden Eingang fand und dass der Stil der horazischen Satire der Politik nicht zugeordnet ist; in Horaz stehen epikureische Distanz und politische Verpflichtung spannungsreich nebeneinander. Zudem ließ damals die politische Vergangenheit des Horaz, der ja eben erst amnestiert worden war, eine politische Satire wenig geraten erscheinen. Wie Lucilius lebte Horaz in einer Zeit des politischen Umbruchs, doch konnte der Sohn des Freigelassenen nicht so schreiben wie der selbstbewusste kampanische Ritter.

Die Satirenbücher

Horaz schrieb seine Satiren als Einzelwerke, die er im Freundeskreise herumgehen ließ, doch plante er wohl von Anfang an ein Buch und stellte die Satiren in einen genau berechneten Rahmen.

Geschrieben sind die Satiren des ersten Buches zwischen den Jahren 41 und (etwa) 33, wobei die Bekanntschaft mit Maecenas einen Einschnitt bildet. Satiren, die diese Beziehung voraussetzen, sind nach 38 verfasst. Veröffentlicht ist das erste Satirenbuch zwischen 35 und 33. Es bietet neben leichter Unterhaltung für gesittete Menschen scharfe Angriffe und persönlichen Spott und zeigt Horaz im Bewusstsein des Gegensatzes zu seiner Umwelt. Doch schon hier beginnt das Ringen um Maß im langsamen Zurücktreten von Derbheit und Härte.

Die Anordnung der Satiren des ersten Buches ergibt einen feinen, spannungsund beziehungsreich gegliederten Organismus. Die zehn Gedichte teilen sich in gleiche Hälften mit je fünf Stücken, wobei die Anrede an Maecenas in sat. 1,6 den Neuansatz bezeichnet. Die Zehnzahl und die symmetrische Einteilung in zweimal fünf Satiren bedeutet eine Huldigung an Vergils (zehn) ‚Bucolica‘, die im Jahre 39 in ähnlichem Aufbau erschienen waren.

Die Gliederung nach Hälften ist überlagert von einem triadischen Aufbau. Die Satiren 1–3 bieten moralische Lehre, 4–6 handeln vom Dichter Horaz, 7–9 erzählen lustige Geschichten; die 10. Satire bildet den Epilog mit der Charakteristik der horazischen Satire. Weiterhin ergeben die Satiren 4 und 5, 9 und 10 je ein chiastisch geordnetes Themenpaar (Satirendichtung in 4 und 10, persönliche Erlebnisse in 5 und 9), so dass ein lebendiger Organismus entsteht.5

Das zweite Satirenbuch ist etwa im Jahre 30 veröffentlicht. Es behandelt mehr typische Zustände und Lehren der kynisch-stoischen Popularphilosophie. Neben Lehren zur Erringung des Lebensglücks stehen Karikaturen, doch sind diese eher allgemeiner Art, nicht persönlich gezielt. Dies zeigt auch die Verminderung der Zahl von Eigennamen im zweiten Buch. Horaz löst sich immer mehr vom Persönlichen.

In der 1. Satire verteidigt sich Horaz gegen den Vorwurf zu großer Schärfe, in der 6. schildert er das Glück ländlichen Lebens auf seinem Gut und die Unruhe des Stadtlebens. In der 2. Satire preist der genügsame Landmann Ofellus die Vorzüge des einfachen Lebens. In der 3. Satire wird das stoische Paradoxon besprochen, dass außer dem Weisen alle Menschen Toren und dass alle Toren verrückt seien. Die 4. Satire verspottet übertriebene Kochkünste. In der 5. Satire wird witzig die Kunst der Erbschleicherei gelehrt. Der Sklave Davus entwickelt in der 7. Satire das stoische Paradoxon, dass nur der Weise frei, alle anderen aber Sklaven seien. Satire 8 schildert das verunglückte Gastmahl eines reichen Emporkömmlings.

Der Ton dieses Buches ist gegenüber dem ersten reifer, der Stil noch gewandter; nun herrscht der Dialog, was auch auf die stärkere Beschäftigung des Dichters mit Popularphilosophie zurückgehen wird. Die Satiren sind streng komponiert und thematisch geschlossen. Horaz tritt stärker zurück. Im ersten Buch sprach er (mit einer Ausnahme: 1,8) selbst über das Leben; jetzt lässt er häufig andere lehren.

Manche Satiren des zweiten Buches nähern sich durch ihre phantastische Einkleidung den Humoresken des Menippos und Varro. Schon in der attischen Komödie und später von Kynikern verwendet war das homerische Motiv der Hadesfahrt (sat. 2,5).

Der Umfang des zweiten Buches ist dem des ersten etwa gleich (1030 und 1083 Verse). Sein Aufbau ähnelt dem des ersten: Es hat zwei symmetrische Reihen von je vier Satiren, wobei sich Satire 1 (Konsultation des Trebatius) und 5 (Konsultation des Teiresias) entsprechen, ebenso 2 (Landleben und Lebenskunst des Ofellus) und 6 (des Horaz),6 3 und 7 (stoische Paradoxa), 4 und 8 (Essen und Gastrosophie). Die Abwechslung von kurzen und längeren Stücken hat später Seneca nachgeahmt.7

Die Episteln des Horaz

Die griechische Literatur bot schon Vorläufer des horazischen Briefes. So gab es in der alexandrinischen Elegie die Form des Briefes, doch ist eine Sammlung poetischer Briefe in der griechischen Literatur nicht bekannt. Der belehrende Prosabrief war in Hellas seit Isokrates längst heimisch zur Behandlung philosophischer, wissenschaftlicher und grammatischer Fragen. Epikurs Briefe an seine Anhänger waren weit verbreitet.

In Rom war der Lehrbrief beliebt, so, wenn der Vater den Sohn in seine Erfahrungen einführte. Weiter hatte Spurius Mummius, der seinen Bruder, den Konsul Lucius, als Legat in den achäischen Krieg begleitete, von Korinth aus an seine Freunde Briefe in heiteren Versen geschickt, die noch Cicero las (vgl. Briefe an Atticus 13,6,4); doch waren dies keine wirklich literarischen Briefe.

Vielleicht waren die zwei Arten des horazischen Briefes, Gelegenheitsbrief und Belehrung in Briefform, bei Lucilius vorgebildet; im 5. Satirenbuch beschwert sich dieser bei einem Freund, der sich während einer Krankheit nicht um ihn gekümmert hatte, im 26. gibt er einem Historiker Ratschläge für seine Arbeit, beide Male wohl in Briefform. Weiterhin gab es bei Catull poetische Briefe, besonders den Trostbrief an Allius (carm. 68).

In Prosa kannte man die Briefe der Cornelia an ihre Söhne, die Gracchen, und Ciceros Briefe waren in mehreren Büchern veröffentlicht.

Woher Horaz die Anregung zu seinen Episteln nahm, ist schwer zu sagen; Ciceros Briefe regten ihn wohl ebenso an wie die des Epikur. Nach dem Erscheinen der Oden (Buch 1–3) im Jahre 23 kehrte Horaz zu seinen „Plaudereien“ zurück, nun in der neuen Form des Briefes. Dabei konnte er an sat. 1,6 anknüpfen, in der schon fast eine Epistel (an Maecenas) vorliegt. Auch hier aber schuf Horaz ein eigentlich neues und eigenständiges Genos, den philosophischen poetischen Brief, und wurde so zum Schöpfer einer in der europäischen Literatur vielfach weitergeführten Gattung.

Verfasst wurden die Briefe des ersten Buches in den Jahren 23–20, herausgegeben wohl im Jahre 20. Das Buch umfasst 20 poetische Briefe an zwanzig verschiedene Empfänger; die runde Zahl weist auf ein einheitlich gedachtes Buch. Epistel 13 ist wohl (nach Carl Becker) der früheste Brief; in die Jahre 22 und 21 gehören vermutlich die Briefe 10, 14, 16, 7, in das Jahr 20 wohl 20, 1, 19, 2, 8, 9, 18, 12, 17.

Einige Episteln waren wirkliche Briefe; die Mehrzahl ist fingiert. Auch die Briefe, die einem echten Briefanlass entsprungen scheinen, wenden sich nicht nur an den Empfänger, sondern an den Leser allgemein. Das persönliche Verhältnis zwischen Horaz und dem Angeredeten gibt den Anlass zu einer verallgemeinernden Sicht. Die Episteln skizzieren dramatisch eine Reihe von Situationen, in denen sich der Dichter und seine Freunde befinden, und geben taktvolle Lösungen oder Erklärungen dafür. Die Episteln sind eine neue literarische Form. Sie sind dabei tiefer und ernster als die Satiren, sind allgemeiner und philosophischer.

Ein Werk, das den Unterschied im Stil der Satiren und Episteln herausarbeitet, steht noch aus. Horaz zählt jedenfalls auch die Episteln zu den sermones (epist. 2,1,250), und sicher bieten sie auch satirische Elemente. Viel stärker tritt die horazische Ironie hervor. Drastische Züge fallen weg, es finden sich weniger Abschweifungen und weniger Einzelheiten. Horaz zeigt ein erhöhtes Bestreben, bei feinster Formung den Schein zwangloser Plauderei zu erwecken, ohne auf Einheit und strengen Zusammenhang der Gedanken zu verzichten. Bemerkungen, Episoden, Geschichten durchkreuzen den geraden Vortrag, doch bei näherem Hinsehen erkennt man, dass sie alle einem festen Ziel zustreben.

Die Sprache ist – dem Genus des Briefes entsprechend – feiner als in den Satiren; niedrige Ausdrücke fehlen. Die Komposition ist ausgefeilt, der Versbau bietet kaum Härten. Die Darstellung schmiegt sich eng an den Stoff an und schlägt bald höhere, bald schlichtere Töne an.

Das erste Epistelbuch

In den Episteln tritt die Schärfe der Satire zurück; Horaz trägt hier mit vollendeter Urbanität Lebensweisheit vor. Dabei schreibt er nicht eigentlich Briefe. Der Anlass ruft zwar den Brief hervor, doch hat er damit seine Aufgabe meist erfüllt. Höchstens spielt der Adressat eine gewisse Rolle als Gesprächspartner.

Das erste Epistelbuch mit seiner Mahnung zu Einkehr und innerer Befreiung ist auch für Horaz geschrieben, es dient – ähnlich wie bei Seneca – seiner Selbstgestaltung. Die Philosophie hilft dem Menschen zu Weisheit und Glück.

Horaz empfindet dabei sich selbst wie auch seine Leser als gespalten in ein rationales Ich, das den rechten Weg anstrebt, und in ein irrationales, das in Leidenschaft und Unklarheit befangen ist und geläutert werden muss. So stellt er sich dem Leser dar ohne Eitelkeit, nicht als der Weise, aber doch als einer, der besser weiß als die meisten, was not tut. Diese Selbstdarstellung aber ist nicht Selbstzweck, sondern dient als Vergleich der Belehrung. Die persönlichen Einzelheiten und Bezüge lockern dabei die ethischen Betrachtungen auf und verleihen ihnen Lebensnähe.

Horaz suchte sich aus den verschiedenen philosophischen Lehrsystemen eine eigene Weltanschauung zu bilden, und die Briefe bezeugen sein Mühen: Horaz empfehlt das Studium der Philosophie (1 und 3), preist den Gleichmut der Seele, der allein die richtige Einschätzung der Dinge ermöglicht (6), und lehrt, dass unser Glück nicht von unserem Aufenthaltsort abhängt (11). Man muss, sagt Horaz, das Rechte um seiner selbst willen tun (16). Immer wieder preist er Zufriedenheit und Beschränkung, besonders im Leben auf dem Lande (10, 14 und 16). Scherzhaft bezeichnet er sich auch als Jünger Epikurs (4).8

Die Beherrschung des Lebens durch den Geist prägt das erste Epistelbuch und macht es zu einem der schönsten Werke römischer Literatur; Eduard Fraenkel empfand es als „das harmonischste aller Bücher des Horaz“.9

Das zweite Epistelbuch

Das zweite Buch der Episteln ist der Theorie der Dichtkunst gewidmet. Mit theoretischen Fragen der Dichtung hatte sich Horaz schon sat. 1,4 beschäftigt. Nun schreibt er darüber ein ganzes Buch. Der erste Brief, an Kaiser Augustus gerichtet, mag im Jahre 14 geschrieben sein. Epist. 2,2 ist wohl vor epist. 2,1 verfasst, vielleicht im Jahre 18 oder zwischen 20 und Oktober 18. Das dritte Werk, die sogenannte ‚Ars Poetica‘ (Epistula ad Pisones), ist vielleicht um 20/19 entstanden. Allerdings gibt es auch spätere Ansätze, etwa ins Jahr 18 oder sogar in die Zeit zwischen 13 und 8, also in die letzten Jahre des Dichters. Die Entscheidung über diese Frage hängt von der Bestimmung des Adressaten ab, denn es bieten sich verschiedene Mitglieder der Pisonischen Familie an, denen die ‚Ars Poetica‘ gewidmet sein könnte, und je nachdem, für welchen Adressaten man sich entscheidet, fällt die Entscheidung über die Datierung aus. Ein klares Ergebnis in dieser Frage konnte bisher nicht erzielt werden.

Es ist schwer zu sagen, ob die ‚Ars Poetica‘ zum zweiten Epistelbuch gehört. Die Grammatiker zitieren den Pisonenbrief als Werk für sich (Ars Poetica), aber auch als Teil der Episteln. Die ‚Ars Poetica‘ ist in unseren Handschriften von den zwei anderen großen Briefen getrennt und bildet einen besonderen Teil nach den Oden. Villeneuve (Epistel-Ausgabe 138) glaubt, dass das zweite Epistelbuch überhaupt erst späterer Anordnung entstamme, etwa der Zeit von Sueton. Andererseits ist dieses Epistelbuch mit der ‚Ars Poetica‘ etwa gleich lang wie das erste (962 und 1006 Verse). Weiter ist die ‚Ars Poetica‘ gerade kein Lehrgedicht, sondern ein Kunstbrief, und die lockere Darstellung, die gleitenden Übergänge und die Briefform beweisen ihre Zugehörigkeit zum horazischen Sermo. Die Bezeichnung als ‚Ars Poetica‘ stammt wohl auch nicht von Horaz, der in diesem Brief kein Kunstsystem gibt, sondern zeigen will, dass Begabung und Genie ohne künstlerisches Urteil und strenge Zucht nicht bestehen können.

Der erste Brief des zweiten Buches behandelt die zeitgenössische Dichtkunst und ist gegen das Vorurteil für die älteren römischen Dichter gerichtet, gegen das selbst die besten Modernen vergeblich ankämpfen. Der zweite Brief an Julius Florus entschuldigt Horaz, dass er nicht mehr dichte. Er sei dafür zu alt und beschäftige sich lieber mit Philosophie. Zudem wolle er sich von dem lästigen Zunftwesen der Dichter fernhalten. Am Ende steht ein Wort an die mit ihrem Werk so leicht zufriedenen Dichter: Man müsse die Schreibtafel mit gleichem Ernst zur Hand nehmen wie ein gewissenhafter Zensor.

Zur Form der horazischen Satire

Horaz rechnet seine Satiren (wie die hier mit einbezogenen Episteln) nicht zur Poesie; die Muse der Satire „geht zu Fuß“ (sat. 2,6,17; 1,4,39f.). Die Hexameter, in denen die Satiren und Episteln geschrieben sind, zeigen aber an Stelle der Ungebundenheit des Lucilius straffe Formung und Zucht. Die Sprache ist locker und gesammelt zugleich. Mühelos passt sie sich dem Gegenstand an, und zwischen lockeren Sätzen findet sich oft eine dichterisch unübertreffliche Stelle.

Quintilian rühmt Anmut und Grazie in der Lyrik des Horaz und lobt seine „glückliche Kühnheit“ in der Wortwahl (inst. or. 10,1,96); man wird dieses Wort auch auf seine hexametrischen Werke anwenden. Horaz besitzt auch die Kunst der „klugen Verbindung“ der Wörter (Ars Poetica 47f. callida … iunctura), die er selbst als Vorbedingung großer Dichtung bezeichnet. Wie er sich die Sprache der Satire wünscht, sagt er sat. 1,10,7ff.

Die Satiren und Briefe bieten die gebildete Umgangssprache Roms, teils mit Wörtern, die der Volkssprache nahe stehen, wie caballus, ambulare, bellus, teils mit derben Ausdrücken. Im Laufe der Zeit steigert Horaz aber die Dezenz seiner Sprache.

Die Diktion steht der Prosa nahe, ist aber durch Rhythmus, Wortstellung und Sprachkunst in ein heiteres Allegro gehoben. Ihre Lebendigkeit ist so groß, dass sie den Hexameter geradezu als Mittel ihrer Bewegung verwendet. Zur Munterkeit der Sprache tritt Eleganz des Ausdrucks. Hervorzuheben ist auch die Klarheit der Sprache, wofür sat. 2,2,129ff. als Beispiel angeführt sei. Hier wird durch eine Reihe von gliedernden Hinweisen der Gedankengang mit höchster Deutlichkeit vorgeführt (nec illum nec me nec quemquam – nos – ille illum – aut – aut – postremum – nunc – nuper – sed – nunc mihi, nunc alii). Wie differenziert und bunt die Sprache des Horaz ist, kann Satire 1,5 mit ihrer Variation der Ausdrücke für Reisen und Ankommen oder Satire 2,3 mit ihren Synonymen für „verrückt“ zeigen. Appositionen sorgen nicht selten für Farbe und Schmuck (so sat. 2,6,12f. aravit, dives amico Hercule), und häufig lässt Horaz die Aussage immer plastischer werden, so sat. 1,1,81ff. habes qui adsideat, fomenta paret, medicum roget, ut te suscitet ac reddat gnatis carisque propinquis.

Dabei sagt die Sprache des Horaz mit wenigen Worten viel. Man bedenke nur, wie viel Inhalt und „Welt“ die gut hundert Verse des ‚Iter Brundisinum‘ (sat. 1,5) enthalten. Diese Dichtung fordert langsames, hellhöriges Lesen; nur dann lässt sich ihre Feinheit erfassen. Gelegentlich ist dabei einem kurzen Satz stärkeres Gedankengewicht aufgelastet; so muss sat. 1,2,46 Galba negabat für den ganzen Gedanken stehen: „Obschon nun gezeigt wird, wie gefährlich es ist, Ehebruch zu treiben, ist ein Narr wie Galba nicht gewillt, es zuzugeben, sondern bleibt bei seiner übertriebenen Verrücktheit.“ Bilder und Personifikationen beleben immer wieder die Darlegung. Die Vergleiche wirken weniger schmückend als belehrend; sie dienen der „Moral“ der Satire. Oft sollen sie den Verstiegenen zu gesundem Menschenverstand herabholen; dadurch wirken sie nicht selten banal. Noch nicht hingewiesen ist auf die gleitende Identifikation bei horazischen Vergleichen; so heißt es epist. 1,2,41f. vivendi qui recte prorogat horam, rusticus exspectat, dum defuat amnis. Hier wird der Verglichene zum Landmann selbst.

Leben bringt auch die Häufung von Wörtern10 in die Satire (so sat. 1,2,1f.), manchmal fast im Übermaß, so sat. 2,3,57f. clamet amica, mater, honesta so-ror cum cognatis, pater, uxor. Starke Emotionen, nicht selten bei persönlichen Erlebnissen, signalisiert die Anapher (z.B. epist. 1,7,25ff.).

Deutlichkeit erzeugen die Eigennamen. Horaz redet nicht von abstrakten Lastern, sondern sorgt durch Namen für individuelles Leben. So reißt nicht ein beliebiger Fluss den Gierigen fort, sondern der Aufidus (sat. 1,1,58). Sicher zielt Horaz auch auf lebende Personen, doch nennt er nicht immer den Namen, sondern wählt ein metrisch gleichwertiges Pseudonym.

Auch Umschreibungen wirken belebend. So heißt Homer der „Dichter des trojanischen Krieges“ (epist. 1,2,1 Troiani belli scriptorem), die Ilias ist „die Geschichte, in der erzählt wird, wie wegen der Liebe des Paris Griechenland mit den Barbaren in einem langen Krieg zusammenstieß“ (epist. 1,2,6f.). Sokrates ist „der Angeklagte des Anytos“ (sat. 2,4,3), das Zwölftafelgesetz sind die „Tafeln, die zweimal fünf Männer aufstellten“ (sat. 2,1,23f.).

Horaz ist ein Meister der lockeren, launigen Erzählung. Er versteht es, Atmosphäre zu schildern, so epist. 1,7,46ff. in der Geschichte von Vulteius Mena. Hübsch auch die Art, wie er Anekdoten einführt: In einem Gedankengang entfaltet sich eine Geschichte farbig und lebhaft (sat. 1,1,94ff.). Anekdotenhafte Situationen leisten denselben Dienst, so sat. 2,3,104ff. (si quis emat citharas …).

Zur Satire gehört komische Übertreibung. So bewirkt der Schwätzer, dass Horaz „der Angstschweiß bis zu den Fußknöcheln hinunterlief“ (sat. 1,9,10f.). Überhaupt verwendet Horaz die Steigerung, um Spannung zu erzeugen, so sat. 2,3,69f. scribe decem a Nerio: non est satis; adde Cicutae nodosi tabulas, centum, mille adde catenas („Lass durch den Bankier Nerius den Betrag von zehntausend Sesterzen für dich buchen – nein, das ist noch nicht genug –, füge noch hinzu die von Cicuta erfundenen, verzwickten Schuldscheine, füge hundert, ja tausend Klauseln hinzu“ usw.).

Dieser Sprache eignet auch ein mimetischer Zug, in Versen wie sat. 1,1,34 ore trahit quodcumque potest atque addit acervo, wo die Handlung des Tieres die Bewegung der Sprache konstituiert. Solche Mimesis wirkt auch komisch; so ist sat. 1,2,31ff. die Ansicht Catos in erhabenem Ton eingeführt, während Cupiennius spitz und großstädtisch näselnd seinen Kommentar dazu gibt. In sat. 1,2,120 ersetzt Sprachmimetik den Namen: Jemand ist ein „Komme gleich“.

Ein wichtiges Stilmittel ist der Dialog, der im zweiten Satirenbuch verstärkt auftritt. Man kann bei Horaz verschiedene Dialoge unterscheiden, dramatische, rhetorisch-belehrende, historische, mythische. Sogar der Leser wird in den Dialog hineingezogen, wird angeredet, erhält Befehle. Die Fragen, die Horaz stellt, sind von verschiedener Tönung, von gutmütig lehrender Frage bis zur bedrängenden Ausforschung fremden Lebens. Oft packt der Frager hart zu und entlarvt den Irrenden, der in seinem Irrtum beharrt.

Horaz bereichert die Satire auch mit literarischen Motiven. Er baut Anspielungen auf andere Gattungen und Dichtwerke ein, so sat. 2,3,259ff. den Hinweis auf eine Szene bei Terenz. Solche Zitate sind so elegant eingefügt, dass der Leser keinen Bruch merkt. Auch wird nicht selten mit der Parodie epischer Stellen gespielt.11 Vielfach verwendet Horaz auch Selbstzitate, so sat. 2,7,24 nach sat. 1,1,15ff. oder sat. 2,6,111ff., wo die Flucht der Mäuse an die Flucht des Ehebrechers sat. 1,2,127ff. erinnert. Diese Spiegelungen, die mit gelegentlicher Typik im Ausdruck verwandt sind (so epist. 2,1,259 ferre recusent und Ars Poetica 39 ferre recusent), wären noch zu untersuchen.

Kaum ein Dichter führt das Gespräch so elegant wie Horaz. Er lässt die Rede mit kunstvoller Leichtigkeit dahingleiten. Diese Kunst können wir nur schwer erfassen, dann freilich „mit Staunen und innerem Gewinn“.12

Ähnlich kunstvoll ist die Gedankenführung mit ihren gleitenden Übergängen; selten folgt abgesondert Teil auf Teil. „Meist steigen in einem Gedanken … Nebenmotive auf, er beginnt sich zu drehen, schlägt um und unversehens ist er in einer neuen Richtung, oft auch in einer anderen Stilhöhe angelangt … Der Tanz aller dieser Wendungen und Bewegungen macht … das Gebilde der Satire aus“.13 Horaz führt den Leser durch Verschiebung der Nuancen von einem Gedanken zum anderen. Was anfangs Nebengedanke schien, wird später Hauptgedanke.14 All diese Übergänge, unvermittelten Einsätze usw. erzeugen den Schein organischer Gestaltung.

Sat. 1,2,28ff. diene als Beispiel solcher Führung der Rede. Zuerst wird sentenzenhaft gesagt, es gebe bei manchen keinen Mittelweg. Dann werden zwei Geschmacksrichtungen beschrieben. Dafür gibt es je ein Beispiel, eines erhaben eingeführt, eines dünn und näselnd vorgetragen. Dann, Vers 37, neuer Einsatz des Dichters in Predigerhaltung usw. Der Anschluss der zweiten Geschmacksrichtung (30) an das erste Beispiel scheint assoziativ durch das Wort fornice vermittelt (zweimal an gleicher Versstelle, 30 und 31), ist aber bewusste Verkleidung eines Übergangs.

Andererseits zieht Horaz klare Linien im Gedankengang, durch die er den Bau der Satire kenntlich macht. So wird sat. 1,3,137 energisch zusammengefasst und der Schluss eingeleitet. Auch sind die Einheiten oft klar gegliedert, vgl. epist. 1,1,25f.: aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque, aeque neglectum pueris senibusque nocebit. Hier führt die Anapher von aeque die Gleichartigkeit vor, prodest steht im Gegensatz zu nocebit; pauperibus und locupletibus, pueris und senibus bilden lebendige Gegensätze. Oft schließen die Satiren oder Episteln auch mit der Aufnahme des Anfangsthemas (zum Teil unter wörtlichem Anklang).15

Der Hexameter fußt auf der verfeinerten Gestaltung, die ihm Lukrez und die Neoteriker gaben. Allerdings ist er freier als im Epos gebaut. Innerhalb des Hexameters wandelt Horaz mit ungemeiner Kunst den Ton. Sein Vers trägt die nüchterne Rede des Alltags, die mürrische Rüge, kennt aber auch den Aufschwung dichterischen Sanges. Manchmal ist er wie in kleine Teile zerbrochen, dann wieder fließt er mit dem Zauber vergilischer Klangfülle.16 Der Prosa nähert er sich vor allem durch Satzende im Vers und kurz vor Versschluss. Das Versende wird – stärker als bei anderen Dichtern – durch einsilbige Wörter aufgelockert, die syntaktisch oft zum nächsten Vers gehören. Die Verwischung der Versgrenze hilft auch das lebendige Gespräch nachzuahmen.

Horaz kennzeichnet Teile seiner Satiren und Episteln durch verschieden strenge Metrik. So haben in sat. 1,1 die Verse 1–27 und 108–121, also Eingang und Schluss, strengeren Verscharakter, während der Mittelteil (28–107) metrisch freier gestaltet ist. Ebenso sind die Verse sat. 1,3,1–75 freier, Vers 76ff. strenger gebaut. In den Episteln verzichtet Horaz auf viele metrische Freiheiten.17

Besonders groß ist bei Horaz die Kunst der Wortstellung. Manchmal wirkt die Wortstellung schwierig und kompliziert; dann entsteht aber ein innerer Zusammenhang der Verse wie selten in römischer Dichtung. Die Spannung zwischen Satzbau und metrischem Schema bewirkt auch Spannung beim Leser.

Otto Ribbeck (Geschichte der römischen Dichtung, 2, Stuttgart 1889, 159f.) hat den Stil der hexametrischen Dichtung des Horaz schön geschildert. Dieser Stil ist „äußerst gelenkig und biegsam, knapp und scharf: rascher, schlagender Wechsel von Frage und Antwort, Rede und Gegenrede, ein höchst angeregtes, unterhaltendes Gespräch, reich an überraschenden Wendungen, den Ton wechselnd, scheinbar abspringend und abgebrochen, dennoch nie den Faden verlierend. Im Ganzen schmiegt sich der Vortrag der gebildeten Umgangssprache an, aber mit feinen Abstufungen dem eingeführten Charakter oder dem besonderen Fall entsprechend mit einem Hauch bald gehobener, bald absichtlich tiefer herabsteigender Ausdrucksweise gefärbt, oder mit neckischen Parodien poetischer Stellen. Bisweilen genügt ein einzelnes Wort, um den kundigen Leser durch eine Anspielung oder eine kleine Bosheit zu erfreuen. Hier und da begegnet eine altertümliche Form, die noch an die catullische Zeit erinnert.

Die Wortstellung, welche in gleicher Weise den Bedürfnissen des Verses und den Schattierungen der Betonung entspricht, ist höchst bequem und zwanglos. Mit großer, aber verdeckter Kunst geschieht alles, um dem Vers das Gepräge ungebundener Rede zu geben, ohne doch die Gesetze des Wohllautes und des Rhythmus zu verletzen. Zunächst werden alle diejenigen Formen des Metrums möglichst vermieden, die der höheren oder studierten Poesie eigen sind: es werden diejenigen Einschnitte verhältnismäßig bevorzugt, die den natürlichen (trochäischen) Tonfall der lateinischen Sprache zu Gehör bringen. Häufige Spondeen machen den Eindruck behaglicher, lässiger Ruhe, und überhaupt ist für malerische Uebereinstimmung des Inhaltes mit dem Tonfall mit großer Feinheit gesorgt. Verschleifungen der Vokale werden wie in der mündlichen Rede ohne ängstliche Auswahl reichlich verwendet.“18

 

[Otto Schönberger]

 

 

 

   2 Vgl. Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Auf. Leipzig 1887/88, III 73 Anm.2.

   3 Die Zugehörigkeit zum Ritterstand setzte ein Vermögen von 400.000 Sesterzen voraus, die Horaz nicht hatte; doch erlangte er den Ritterzensus durch sein Amt, war also nur formal Ritter und nahm so eine gewisse Sonderstellung ein (vgl. Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Auf. Leipzig 1887/88, I 352f., bes. 353 Anm.3).

   4 Nur eine Vorarbeit zur Erforschung des Themas „Horaz und der Mythos“ ist der Aufsatz von Domenico Bassi, La mitologia in Orazio, in: Reale Istituto Lombardo di Scien ze e Lettere; Rendiconti, Classe di Lettere 76, Milano 1942–43, 41–58; einen guten Überblick gibt T. Oksala, Religion und Mythologie bei Horaz, Helsinki 1973. [Vgl. nunmehr auch Johannes Breuer, Der Mythos in den Oden des Horaz. Prätexte, Formen, Funktionen. (Hypomnemata 178) Göttingen 2008.]

   5 Vgl. N. Terzaghi, Sulla composizione del primo libro delle Satire di Orazio, in: N. Terzaghi, Studia Graeca et Latina (1901–1956), Turin 1963, 1004–1021.

   6 Vgl. auch W. Ludwig, Die Komposition der beiden Satirenbücher des Horaz, Poetica 2, 1968, 305–325.

   7 Vgl. G. Maurach, Der Bau von Senecas Epistulae Morales, Heidelberg 1970, 196f.

   8 Vertreter der Lehre Epikurs wurden im Jahre 154 (nach Athenaios 12, 547 A) oder 173 v. Chr. (vgl. W. Schmid, RAC 5, 1962, 761) aus Rom ausgewiesen. Lucilius verspottete zwar Albucius als „perfekten Epikureer“ (Cicero, Brutus 131; Frg. 89–95 Kren-kel), bekleidete aber selbst – wie Epikur – nie ein Staatsamt, blieb Junggeselle und schrieb in seinen Satiren über Epikur. Später war Lukrez der Künder epikureischer Lehre in Rom. Cicero, wie zur Zeit des Horaz das offzielle Rom, stand Epikurs Lehre höchst reserviert gegenüber.

   9 Horaz. Darmstadt 61983, 364. Vgl. E. Turolla, Unità ideologica e tematica nel primo libro delle epistole Oraziane, Giornale Italiano di Filologia 4, 1951, 289–306, und G. Maurach, Der Grundriß von Horazens erstem Epistelbuch, Acta Classica 11, 1968, 73–124.

 10 congeries: Häufung von synonymischen und verwandten, aber auch gegensätzlichen Begriffen zur Erhöhung von Wirkung und Komik

 11 Vgl. D. M. Robathan, The Use of Epic Parody in the Satires of Horace, Transactions and Proceedings of the American Philological Association 62, 1931, 31–32.

 12 Fr. Klingner, Horazens Brief an Augustus, in: Studien zur griechischen und römischen Literatur, Zürich 1964, 413.

 13 Fr. Klingner, Horaz, in: Römische Geisteswelt, München 31956, 329.

 14 U. Knoche, Betrachtungen über Horazens Kunst der satirischen Gesprächsführung, Philologus 90 (1935) 379f.

 15 Eine weitgehend zahlensymmetrische Komposition der horazischen Satiren und der ‚Ars Poetica‘ verfcht W. Hering (Die Dialektik von Inhalt und Form bei Horaz, Berlin 1979). Trotz vieler guter Einzelbemerkungen ist aber das Prinzip nicht gesichert.

 16 R.A. Schröder, Vergil/Horaz, deutsch, in: Gesammelte Werke, Fünfter Band. Berlin/Frankfurt am Main 1952, 788.

 17 Vgl. auch G. E. Duckworth, Horace’s Hexameters and the Date of the Ars Poetica, Transactions and Proceedings of the American Philological Association 96, 1965, 73–95.

 18 Zum dichterischen „Typus“ des Horaz vgl. Th. Halter, Vergil und Horaz. Zu einer Antinomie der Erlebensform, Bern 1970.

 

 

 

 

Q. HORATI FLACCISERMONES ET EPISTULAE

HORAZSATIREN UND BRIEFE

SERMONUM LIBER PRIOR

I

Q

UI FIT,

M

AECENAS

, ut nemo, quam sibi sortem

seu ratio dederit seu fors obiecerit, illa

contentus vivat, laudet diversa sequentis?

‘o fortunati mercatores’ gravis annis

miles ait, multo iam fractus membra labore;

5

contra mercator navim iactantibus Austris:

‘militia est potior. quid enim? concurritur: horae

momento cita mors venit aut victoria laeta.’

agricolam laudat iuris legumque peritus,

sub galli cantum consultor ubi ostia pulsat;

10

ille, datis vadibus qui rure extractus in urbem est,

solos felicis viventis clamat in urbe.

cetera de genere hoc – adeo sunt multa – loquacem

delassare valent Fabium. ne te morer, audi,

quo rem deducam. si quis deus ‘en ego’ dicat

15

‘iam faciam quod voltis: eris tu, qui modo miles,

mercator; tu, consultus modo, rusticus: hinc vos,

vos hinc mutatis discedite partibus. eia,

quid statis?’ nolint. atqui licet esse beatis.

quid causae est, merito quin illis Iuppiter ambas

20

iratus buccas inflet neque se fore posthac

tam facilem dicat, votis ut praebeat aurem?

praeterea, ne sic ut qui iocularia ridens

percurram – quamquam ridentem dicere verum

quid vetat? ut pueris olim dant crustula blandi

25

doctores, elementa velint ut discere prima –

sed tamen amoto quaeramus seria ludo:

ille gravem duro terram qui vertit aratro,

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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