Satt und unzufrieden - Willi Kremer-Schillings - E-Book

Satt und unzufrieden E-Book

Willi Kremer-Schillings

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Beschreibung

Bauer Willi, Deutschlands bekanntester bloggender Landwirt, erzählt vom Dilemma unserer Essensmacher. Dieses Dilemma verläuft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen dem Anspruch des Bürgers und dem tatsächlichen Kaufverhalten des Verbrauchers. Bauer Willi erzählt vom gesellschaftlichen Klimawandel und dem Artensterben der bäuerlichen Landwirtschaft. In verständlicher Sprache und ohne erhobenen Zeigefinger schreibt er über die kritischen Themen unserer Gegenwart; über Massentierhaltung, Nitrat, Pflanzenschutz, Insektensterben, Gentechnik und schildert dabei seine Sicht der Dinge. Seine Meinung ist provokant, reizt zum Widerspruch, ist geradeheraus, unbequem und direkt. Genau das macht das Buch so spannend und wichtig.

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Seitenzahl: 392

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Ebook Edition

Dr. Willi Kremer-Schillings

Satt und unzufrieden

Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher

Mehr über unsere Autor:innen und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-899-0

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt / Main 2023

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Für unsere wunderbaren Enkel Jakob und Ida

Vorwort

Bei Lebensmitteln kann jeder mitreden, denn wir essen täglich. Egal, ob wir selber kochen, in der Kantine essen oder uns ein Fertiggericht »einverleiben«: Was drin ist in Ihrem Essen, stammt von uns, den Bauern, den Essensmachern. Wir produzieren die Lebensmittel für Sie, den Bürger und Verbraucher. Warum ich da einen Unterschied mache? Als Bürger sind Sie mit vielem, was wir (meist konventionellen) Bauern machen, nicht einverstanden. Sie wollen keine Massentierhaltung, keine Gentechnik, keine Monokulturen, keine »Pestizide« (die wir Pflanzenschutzmittel nennen), und auch sonst stellen Sie viele Ansprüche. Als Verbraucher kaufen Sie (trotz allen anderen Geredes immer noch) wenig regional, wenig saisonal, wenig Bio. Sie kaufen vor allen Dingen billig. In Umfragen antworten Sie jedoch anders. Und das ist mein Problem mit Ihnen: Sie reden anders, als Sie handeln. Das ist das Dilemma der Essensmacher.

In diesem Buch will ich die Chance nutzen, Sie, die Sie in Berlin, Wien, Luxemburg oder Bern wohnen, mitzunehmen in meine Welt der heutigen Landwirtschaft, die gerne moderne oder auch industrielle Landwirtschaft genannt wird. Dass Sie dieses Buch in der Hand halten, zeigt, dass Sie sich für das Thema interessieren.

Mein Berufsstand ist in der Defensive. Bauern spielen eine Statistenrolle, nur rund 1 % des Bruttoinlandsprodukts kommt aus der Landwirtschaft. Die Wohlstandsgesellschaft zieht an den Bauern vorbei. Die Wertewelt ist zerrüttet: Discounter kaufen Milch und Fleisch weltweit zu Niedrigpreisen, Obst von Streuobstwiesen verfault, im Wald vernichtet der Borkenkäfer das Holz und damit das Vermögen von Jahrzehnten. Daran hat auch der Krieg in der Ukraine wenig geändert. Im Gegenteil: Die Härte der Einkäufer von Aldi, Lidl, Rewe und Edeka ist noch größer geworden. Wenn Erdbeeren, Spargel oder Kirschen in Deutschland wegen des im europäischen Vergleich hohen Mindestlohns zu teuer sind, werden die Bauern hier ausgelistet, und es wird spanisches Obst und Gemüse importiert, von nordafrikanischen Wanderarbeitern geerntet. Geiz ist geil und in Zeiten hoher Inflation für viele sogar eine zwingende Notwendigkeit.

Und die Bauern? Aus einst familiär geführten, bäuerlichen Betrieben sind mittlerweile hochprofessionelle Unternehmen geworden. Fast alle Betriebe, auch im Öko-Bereich, werden immer größer und sind technisch auf dem neusten Stand. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Größer frisst kleiner, schneller frisst langsamer, klüger frisst dümmer. Wir wollen es natürlich nicht wahrhaben, aber es ist so.

Ob sich das ändert, ob sich das ändern lässt? Dieses Buch beschreibt meine Gedanken und Gefühle, die mich in stillen Stunden bewegen. Es geht ein auf den Wandel im gesellschaftlichen Klima, der mir den Spaß an der Arbeit immer mehr raubt und mich fragen lässt, ob wir unseren Kindern guten Gewissens noch empfehlen dürfen, auch Bauer zu werden. Denn wenn sie diesen Beruf nicht mehr ausüben wollen, kommt es zu einem Artensterben der anderen Art: Die bäuerliche Landwirtschaft wird verschwinden. Dies wird nicht ohne Folgen für uns alle bleiben. Das macht mir Sorgen und Ihnen vermutlich auch.

Da ich glaube, Ihre Bedenken, Sorgen, Ängste, Urteile (und Vor-Urteile) zu kennen, möchte ich auf das eingehen, was besonders kontrovers diskutiert wird. Ich verspreche, ich lasse kein Thema aus. Ich möchte auch die zahlreichen Widersprüche und Zielkonflikte aufzeigen, die sich rund um Landwirtschaft und Ernährung auftun. Zielkonflikte, die uns Bauern betreffen, die wir aber nur gemeinsam mit Ihnen lösen können. Wir brauchen ein gegenseitiges Verständnis. Dazu gehört die Erkenntnis, dass sich über acht Milliarden Menschen nicht ohne negative Effekte ernähren lassen, egal, welche Form der Landwirtschaft wir betreiben. Jede Form der Nahrungsmittelbeschaffung ist ein Eingriff in die Natur, das bestätigt mir auch mein Nachbar, der Bio-Bauer. Da ist es wieder, das Dilemma der Essensmacher.

Klimawandel und Artensterben sind Realität. Damit ändern sich auch die Aufgaben von uns Bauern. Wir haben uns immer geändert und haben schon viele Agrarwenden erlebt und gemeistert. Jetzt müssen wir, Essensmacher und Gesellschaft, uns einig werden, was für uns Bauern in Zukunft die wichtigste Aufgabe ist: sichere und bezahlbare Lebensmittel, mehr Tierwohl, mehr Klimaschutz, mehr Artenschutz. Wir Bauern können alles, es muss nur jemand bezahlen. Und genau da hakt es: Der Bürger stellt hohe Ansprüche, die er als Konsument nicht bezahlen will. Ein Dilemma.

Klimawandel und Artensterben genießen höchste politische und mediale Priorität und Aufmerksamkeit. Die Landwirtschaft sei in diesem Zusammenhang nicht nur Täter, sondern immer auch Opfer, heißt es oft mit einem Hauch von Mitleid oder auch Vorwurf.

Dabei leiden wir Bauern weniger an steigenden Temperaturen, gelegentlichen Dürren und ungünstigen Niederschlägen. Damit wird der Berufsstand fertig, denn die Launen der Natur begleiten uns seit ewigen Zeiten. Nein! Es ist das gesellschaftliche Klima, immer wieder befeuert durch widersprüchliche Umfragen, oft fragwürdige (halb-)wissenschaftliche Berichte, massive Anklagen und maßlose Forderungen, das den Landwirten stark zu schaffen macht. Es verändert das Nachfrageverhalten, es verleitet und legitimiert die Politik, nationale Sonderwege in der Agrarproduktion mit erheblichen Kostensteigerungen vorzuschreiben. Und das bei offenen EU-Grenzen und der weitgehenden Austauschbarkeit der landwirtschaftlichen Rohstoffe. Die Weiterverarbeitung und der Lebensmittelhandel spielen dieses Spiel mit, sie können sich ihrer Gewinnmarge immer sicher sein. Und die Politik lässt sie gewähren. Es steht also viel auf dem Spiel, nicht nur für den einzelnen Landwirt, sondern für die Versorgungssicherheit unseres Landes. Sie als Bürger und Verbraucher entscheiden durch Ihr Einkaufsverhalten mit darüber, ob wir in Deutschland zukünftig noch ausreichend Nahrungsmittel produzieren.

Wir haben es satt

Begriffe wie Massentierhaltung, Monokulturen, Pestizide, Nitrat und Gentechnik prägen die Diskussion. Während die Menschen immer älter werden (meine Mutter hat kürzlich bei guter Gesundheit und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ihr hundertstes Lebensjahr vollendet), werden gleichzeitig immer mehr Nahrungsmitteln gesundheitsschädliche Auswirkungen nachgesagt. Schuld an alledem seien die Bauern, so jedenfalls die breite Meinung der Bevölkerung und unser Empfinden als Bauern. Sie wird genährt von einer Vielzahl von Organisationen, die mit der Aufregung Kasse machen. Quasi der Ablasshandel per PayPal. Der Zusammenschluss diverser Natur-, Umwelt- oder Klimaschützer ziehen unter der Überschrift »Wir haben es satt« jedes Jahr zur Zeit der Grünen Woche durch Berlin. Da auch Traktoren mitfahren und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) beteiligt ist, wird der Eindruck erweckt, es handele sich um eine landwirtschaftliche Veranstaltung. Die Themen ändern sich von Jahr zu Jahr, meist wird Kritik an der Agrarindustrie geübt, jedoch unterschiedlich interpretiert. Mal sind große landwirtschaftliche Betriebe die Bösen, mal sind es auch Konzerne, die Dünger oder Pflanzenschutzmittel herstellen. Auch eine klare Ablehnung von Gentechnik gehört dazu. (Ich habe auf Einladung der Veranstalter als einziger konventioneller Landwirt im Jahr 2018 einen Redebeitrag beisteuern können. Seitdem wurde ich nicht wieder eingeladen.)

Wir machen euch satt

Warum ist die Diskussion so intensiv, so vehement und oft auch unversöhnlich? Wir, die Bürger der sogenannten »entwickelten Welt« in den Industrie-Nationen, sind satt. Mehr noch: Wir sind mehr als satt, wir leben im Überfluss. Und je größer die Verfügbarkeit unserer Nahrungsmittel wird, umso unzufriedener scheinen wir zu werden. Während wir einerseits nur noch einen Bruchteil unseres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgeben (nur noch knapp 11 %), wächst andererseits die Kritik an den »modernen Produktionsmethoden«, die eben die Erzeugung dieser preiswerten und qualitativ hochwertigen Lebensmittel ermöglicht haben. Gleichzeitig importieren wir Nahrungsmittel aus Übersee, wo wir die Produktionsbedingungen oft nur unzureichend kennen und wo wir mit unserem Kauf dort wertvolle Ressourcen exportieren oder zerstören. Lebensmittel, die wir vor 30 Jahren nicht mal vom Namen her kannten, sind heute in jedem Supermarkt zu finden. Frische Avocados, Ananas, Mangos, Litschis, Goji von denen niemand weiß, wie viel Kerosin daran hängt und wie viel Wasser für ihre Produktion eingesetzt wurde.

Ich bin es satt

Ich bin es leid, mir die Urteile und Vor-Urteile meiner besorgten Mitbürger weiter anzuhören, ohne dass sich dieser die Zeit nimmt, mir zuzuhören. Das ist bei Ihnen anders. Sie scheinen sich für das Thema zu interessieren und das freut mich. Ich möchte Ihre Argumente aufnehmen und Ihnen meine Meinung dazu sagen. Sie müssen diese Meinung nicht teilen, aber ich würde mich freuen, wenn Sie sie verstehen. Verstehen heißt ja nicht zwingend, damit einverstanden zu sein. Damit kann ich leben und ich kann mir schon denken, von welcher Seite Kritik kommen wird.

Bei dieser Betrachtung will ich auf die Gruppen eingehen, die an der Veränderung des gesellschaftlichen Klimas mitwirken. Da sind die Politiker, die die Rahmenbedingungen setzen, die Medien, die über uns berichten, die Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), die unsere Arbeit kritisieren, der Lebensmitteleinzelhandel, der strukturelle Überschüsse nutzt, um Preise zu drücken, die Bauern-Verbände, die eigentlich die Interessen der Bauern vertreten sollten, die Wissenschaft, die aus ihrem Elfenbeinturm theoretische Analysen produziert und ebensolche Ratschläge gibt. Und da sind die Bauern, die in dieser Welt der unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Forderungen ihren Weg in die Zukunft suchen. Es ist ein Buch über das Dilemma der Essensmacher.

1 Vom Wandel des gesellschaftlichen Klimas

Klimawandel und Artensterben – anders betrachtet

Die nachfolgende Rede habe ich im November 2019 im Reichstagsgebäude vor Vertretern der CDU/CSU-Fraktion gehalten. Damals war Julia Klöckner Landwirtschaftsministerin und viele Mitglieder ihrer Fraktion mit der Politik der eigenen Regierung unzufrieden. Ich übrigens auch, und das habe ich dann auch zum Ausdruck gebracht.

»Ich freue mich, heute das erste Mal in meinem Leben ein Referat im Reichstag halten zu dürfen. Und wenn ich damit fertig bin, war es vielleicht auch das letzte Mal. Ich will mich nicht mit langen Vorreden aufhalten und Ihnen das Thema Klimawandel und Artensterben aus meiner Sicht, der eines Bauern, darlegen.

Das Klima in unserer Gesellschaft hat sich gewandelt: Der Ton ist rauer geworden, den ehemals großen Parteien verhagelt es eine Wahl nach der anderen, der Regierung weht der Wind ins Gesicht, kurz, das Klima wird kälter. Und wir Bauern? Uns ergeht es ähnlich. Wurden wir in der Nachkriegszeit noch als Retter gefeiert, weil wir immer neue Ertragsrekorde aufstellten, um die Bevölkerung zu ernähren, wird genau das heute kritisiert. Ernährung? Pah, brauchen wir nicht, heute müssen es Naturschutz, Artenschutz, Tierschutz sein. Die Prioritäten haben sich verschoben, zumindest wenn man den urbanen Eliten glaubt.

Als ich geboren wurde (1954), lebten auf diesem Planeten gerade mal 2,7 Milliarden Menschen. 2022 sind es 8 Milliarden Menschen. Und jetzt eine wissenschaftliche Erkenntnis: 8 Milliarden minus 20 Millionen: Der Rest ist Landwirtschaft. Denn nur rund 20 Millionen Menschen hätten auf dem Planeten ausreichend Nahrung, wenn sie als Jäger und Sammler, also klimaneutral, unterwegs wären. Wir Bauern sind also, etwas zynisch gesprochen, die Opfer unseres eigenen Erfolgs. Wie fühle ich mich dabei? Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Auto, das mit konstant 100 über die Autobahn fährt. So nach und nach zieht ihnen jemand die Handbremse an. Sie geben etwas mehr Gas, um das Tempo zu halten. Was passiert? Richtig, irgendwann beginnt es zu qualmen. Und an dem Punkt sind wir jetzt.

Doch warum wird die Handbremse angezogen? Warum werden immer neue Forderungen und Gesetze auf den Weg gebracht? Die häufigste Antwort: Weil die Gesellschaft es so will. Doch wer ist das, ›die Gesellschaft‹? Wer vertritt sie? Sind es die demokratischen Parteien? Sind es die NGOs? Sind es die Medien?

Was ich seit Jahren beobachte: Irgendeine Organisation macht ein Fass auf, und alle setzen sich auf dieses Thema. Ein paar Beispiele:

Nitrat: Ja, richtig, Deutschland hat ein Problem mit Nitrat. Richtig ist auch, dass mit Messstellen gearbeitet wird, die nicht repräsentativ sind. Richtig ist auch, dass nicht die Landwirtschaft alleine Verursacher ist. Zum Teil werden die Daten manipuliert, in jedem Falle aber so interpretiert, dass sie in das jeweilige Weltbild passen. Die Medien greifen die Nitratproblematik, die zudem noch sehr komplex ist, gerne auf und reden vom ›verseuchten Trinkwasser‹. Was für ein Unsinn, wir haben das beste Trinkwasser der Welt. Das Ergebnis dieser Kampagne: eine mehrfach geänderte Düngeverordnung. Ob das die Lösung ist?

Insektensterben: Ja, es gibt weniger Insekten. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir das Krefelder Naturschutzgebiet zusammen mit einem seit langem dort wirtschaftenden Landwirt anzusehen. Ja, die Masse der Fluginsekten ist zurückgegangen. Aber nicht trotz des Naturschutzgebietes, sondern weil es zum Naturschutzgebiet wurde. Ergebnis dieser Kampagne: Ein Agrarpaket mit zahlreichen Maßnahmen. Doch wer kann sagen, ob das die Lösung ist?

Glyphosat: Es gibt kaum ein Pflanzenschutzmittel, das eine so geringe Giftigkeit (Toxizität) aufweist wie dieser Wirkstoff. Es gibt bis heute, also nach vierzig Jahren der Anwendung, weltweit keinen einzigen belegten Fall, in dem er Krebs ausgelöst hätte. Trotzdem hat der IARC Recht, wenn er es in die Stufe 2A einstuft. Und auch das BfR hat Recht, wenn er es ›bei ordnungsgemäßer Anwendung‹ als unbedenklich einordnet. Wenn Glyphosat verboten werden sollte, wird dies für die Umwelt einen größeren Schaden bedeuten als seine Anwendung. Das Ergebnis der Kampagne um Glyphosat: eine weitere Verschärfung der Gesetzgebung. Aber keine Lösungsvorschläge für uns Landwirte.

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Dabei habe ich Beispiele aus der Tierhaltung noch gar nicht erwähnt: Kastration, Kupierverbot, Kastenstand, Anbindehaltung, Tiertransporte usw. Nein, ich bin kein durchgeknallter Lobbyist und von Monsanto gekauft. Mir ist aber bewusst, dass ich mit meinen Aussagen im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung stehe. Ich bin aber auch Wissenschaftler.

Ich höre immer wieder, besonders von NGOs: ›Landwirte sind ein Teil des Problems und ein Teil der Lösung.‹ Aber stimmt das? Das hängt einzig und allein vom Blickwinkel ab. Landwirtschaft ist und war immer ein Eingriff in die Natur. Ackerbau will keine Biodiversität, sondern Reinkulturen, auch bei Bio. Schweine bringen dann schnell ein hohes Schlachtgewicht, wenn sie bedarfsgerecht ernährt werden. Alles andere wäre Verschwendung von Ressourcen. So gesehen ist Landwirtschaft ganz generell immer ein ›Problem‹, denn sie dient nun mal der Nahrungsmittelerzeugung. Das ist ihr ureigenstes Ziel seit Tausenden von Jahren. Kleinbauer in Afrika zu sein und Subsistenzwirtschaft zu betreiben, ist nicht erstrebenswert, schon gar nicht für den Kleinbauern in Afrika. Er produziert Bio, weil er muss. Er kann die Betriebsmittel für eine höhere Produktion nicht bezahlen. Er ist arm und möchte zu mehr Wohlstand kommen. Deshalb kommt er zu uns.

Wir westlichen Landwirte haben unsere Produktionsverfahren optimiert, einige werden sagen, auf die Spitze getrieben. Aber warum? Weil sich der höhere Betriebsmitteleinsatz bei real sinkenden Erlösen immer noch gerechnet hat. Jetzt sollen wir zurückfahren. Das ist alleine schon ein mentales Problem. Ein bewusster Verzicht? Das Gas zurücknehmen? Langsamer fahren? Sprit sparen? Also Tempolimit für Landwirte? Technischen Fortschritt bewusst nicht nutzen? Schwierig zu erklären, oder? Vor allem dann, wenn es noch entschädigungslos passieren soll. Und dadurch, dass immer neue Gesetze und Verordnungen auch noch das letzte kleine Detail regeln wollen – oft vorbei an der praktischen Erfahrung von uns Landwirten –, wird es auch nicht besser. Das frustriert.

Zurück zum Klimawandel: Mit diesem schnellen gesellschaftlichen Klimawandel kommen wir Bauern nicht mehr zurecht.

Kommen wir zum zweiten Teil der Überschrift: Artensterben. Laut einer Studie der DZ Bank werden für 2040 nur noch 100 000 Betriebe prognostiziert. Zwei Drittel weniger als heute. Es ist eine geradezu unglaubliche Heuchelei aller Parteien, aber auch aller NGO, uns Bauern weiterhin glauben zu machen, dass sie sich ›für den Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe einsetzen‹. Für wie dumm wollt ihr uns verkaufen? Übrigens haben wir nur deshalb so dicke Kartoffeln, weil wir so exzellent ausgebildet sind und alle technischen Raffinessen nutzen. Bei uns fahren schon heute autonome Fahrzeuge, während andere noch darüber reden! Wenn aber jetzt das Heil in der Digitalisierung gesucht wird, dann kann das der bäuerliche Familienbetrieb einfach nicht mehr leisten. Höhere Auflagen erfordern neue Investitionen bei – im positiven Falle – gleichbleibenden Erlösen. Und das wusste schon die schwäbische Hausfrau: Wenn ich das Gleiche erlöse, aber mehr ausgebe, führt das in die Insolvenz. Außer man ist Bundes-Finanzminister und druckt sich das Geld selbst.

Was erwarte ich: Ehrlichkeit! Und zwar von allen Seiten. Von allen politischen Parteien, von den NGO, von den Medien. Sagt uns einfach, was ihr wollt, aber denkt auch immer an die Zielkonflikte und Widersprüche, wenn man meint, das komplexe landwirtschaftliche Geschehen mit immer feiner ausformulierten Einzellösungen zu erfassen.

Ihr wollt mehr Naturschutz? Können wir. Ich kann auch Hamster ›produzieren‹ oder Schmetterlinge oder seltene Blumen. Kann ich alles. Aber wer bestellt, der bezahlt auch. Ich kann Hecken pflanzen, einen Forst anlegen oder auch einen Teich. Geht alles, kann ich alles. Aber eben nicht auf eigene Kosten.

Die Lösung: Macht Natur- und Artenschutz zum Betriebszweig. So, wie ich Zuckerrüben anbaue, kann ich auch Naturschutz in meinen Betrieb integrieren. Langfristig planbar und mit ähnlichem Deckungsbeitrag wie meine jetzigen Kulturen. Wie das praktisch geht, zeigt das Vorgehen in den Niederlanden, in denen mehrere Betriebe dies in einer Gruppe realisieren. Überhaupt sollte dem Kooperationsgedanken mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. In Wasserschutzkooperationen zum Beispiel arbeiten Bauern und Wasserwerker seit Jahrzehnten gut zusammen. Ganz ohne gesetzliche Regelungen und von Vertrauen geprägt.

Ihr wollt CO2 speichern? Kann ich auch und mache ich auch. Ich habe den Humusgehalt in meinem Betrieb in den letzten Jahrzehnten um 30 % erhöht und damit CO2 gebunden. Alles kostenlos, aus eigenem Interesse. Damit ihr es gleich wisst: Ich schreibe euch dafür zukünftig eine Rechnung. Öffentliche Leistung heißt öffentliches Geld. So wird ein Schuh draus. Ich überlege nur noch, wie ich euch die Sauerstoff-Produktion berechne.

Die Lösung: Wenn CO2-Emissionen Geld kosten, muss es für CO2-Bindung eine Gutschrift geben. Ist doch logisch, oder? Wer Moore vernässen will, muss den Betrieben eine Alternative aufzeigen. Oder sie enteignen oder umsiedeln.

Wir Landwirte sind die Lösung. Wir sind die einzige Branche weltweit, die die Wünsche der Bürger und Verbraucher erfüllen kann. Wir können Naturschutz, wir können Artenschutz, wir können Tierwohl. Und nur wir können Klimaschutz im ganz großen Stil. Aber wir können das alles nicht zum Nulltarif, da stimmen uns sogar die NGO zu. Also sagt uns, was ihr wollt. Wir können alles.

Noch einen kleinen Schlenker zum Bio-Landbau: Die Preise für Bio und konventionell nähern sich immer weiter an, auch weil immer mehr Betriebe auf Bio umsteigen. Wer mehr Bio möchte, muss sich zuerst um den Absatz kümmern. Eine Produktionsquote in den Raum zu stellen, ist einfach unseriös. Nehmen Sie eine Kette: Die macht nur Sinn, wenn man an ihr zieht. Oder haben Sie schon mal an einer Kette gedrückt? Staatliche Steuerung hat schon im Sozialismus nicht funktioniert. Also Hände weg vom Markt. Schaffen Sie Anreize, aber glauben Sie nicht, den Markt steuern zu können.

Was noch gesagt werden muss: Höhere Auflagen in Deutschland und der EU, gleichzeitig aber Freihandelsabkommen mit Ländern einzugehen, deren Produktionsweisen nicht unseren Standards entsprechen, ist absurd. Das ist so, wie wenn das Auto mit angezogener Handbremse mit drei Litern auf hundert Kilometern auskommen soll. Das geht nicht. Die Lösung: Importe von Lebensmitteln nur dann erlauben, wenn sie zu unseren Standards produziert wurden. Das gilt auch innereuropäisch. Sonderregelungen beim Pflanzenschutz, bei Düngung, Tierhaltung entweder für alle oder für keinen. So verstehe ich eine europäische Union.

Noch etwas: Eine Politik, die auf Umfragen schielt und immer häufiger nach der – oft vermeintlichen – Mehrheitsmeinung entscheidet und immer weniger mit dem Verstand und der Vernunft, wird auf Dauer scheitern. Demokratie bedeutet für mich, dem Volk aufs Maul zu schauen, aber nicht nach dem Mund zu reden. Ja, Demokratie braucht Zeit. Nur die Diktatur ist schnell.

Abschließend noch ein Blick auf unsere althergebrachten berufsständischen Vertretungen. Ich bin natürlich im Bauernverband. Doch immer unwohler fühle ich mich, und manchmal schäme ich mich auch. Wenn ich bei Google den Suchbegriff »Bauern fordern« eingebe, bekomme ich rund 1,4 Millionen Ergebnisse! Zum Vergleich: bei ›Metzger fordern‹ sind es rund 270 000.

Und so ist auch das Bild, was wir Bauern in der Öffentlichkeit abgeben. Jammern und fordern, so wie es die Bauern scheinbar immer gemacht haben. Das ist aber unangemessen. Wir sind Unternehmer, wir unternehmen etwas. Wir sind Teil des Mittelstands, der Deutschland groß gemacht hat. Wir sind das Rückgrat der ländlichen Räume. Wir zahlen Steuern, wir investieren, obwohl wir wissen, dass der Arbeitsplatz auf dem Bauernhof einer der teuersten in der gesamten Volkswirtschaft ist. Wir tun dies, weil wir glauben, dass unsere Unternehmen eine Perspektive haben, weil uns die Arbeit auch Spaß macht. Und zum Spaß gehört nicht nur das Geld, sondern auch das Gefühl, etwas wert zu sein. Unsere Verbände gehören dringend reformiert. Eine wirklich gute Interessenvertretung handelt proaktiv, geht auf die Kritiker zu, streitet sich mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen, geht nach vorne, aus der Deckung heraus, erarbeitet Lösungen, stellt diese öffentlich zur Diskussion und motiviert seine Mitglieder. Wir brauchen Personen mit Herzblut, die für den Berufsstand brennen und nicht für Firmen, die sie in Aufsichtsräten und Vorständen vertreten. Diese Personen müssen politisch und wirtschaftlich unabhängig sein. Wer Bauernpräsident in einem Bundesland ist, gleichzeitig ein Bundestagsmandat innehat und unzählige bezahlte Posten in Aufsichtsräten bekleidet, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ich darf das sagen, ich war lange Vorstandsmitglied einer Genossenschaft.

Was ich von diesem Vortrag hier in diesem hohen Haus erwarte? Zuerst wollte ich mit einem alten orientalischen Sprichwort enden: ›Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.‹ Doch das ist mir zu negativ, denn ich hoffe doch, dass Sie das, was ich Ihnen heute mitgeben wollte, ein wenig nachdenklich gestimmt hat. Und so möchte ich mit den Worten von Dag Hammarskjöld enden: ›Wenn der Weg unendlich scheint und plötzlich nichts mehr gehen will, gerade dann darfst du nicht zaudern.‹

Vielen Dank.«

So, das war jetzt starker Tobak, werden Sie denken. Schimpfen auf andere ist ja so einfach, und man selbst muss sich nicht ändern. Das ist praktisch und wird – auch außerhalb der Landwirtschaft – gerne so gehandhabt. Wir sind für Umgehungsstraßen, wir sind für Windräder, wir finden erneuerbare Energie überhaupt gut. Aber eine Umgehungsstraße hinter dem eigenen Garten, das Windrad in Sichtweite oder eine Biogasanlage wollen wir dann doch nicht. Wissen Sie, wie man solche Leute nennt? »NIMBYs«. Not In My BackYard. Manchmal gehöre ich auch dazu.

Doch das bringt uns Menschen nicht weiter. Wenn wir als Gesellschaft weiter friedlich miteinander auskommen wollen, hilft nur eins: miteinander reden. Also Dialog.

Den nachfolgenden Dialog habe ich erfunden. Und doch wieder nicht, denn in den letzten Jahren bin ich mit vielen Menschen zusammengetroffen, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben und mit denen ich mich lange unterhalten habe. Zum Beispiel bei langen Zugfahrten. So ist dieser – verdichtete – Dialog entstanden.

Lieber Verbraucher – Unser erstes (fiktives) Gespräch

Manchmal bin ich echt wütend auf Sie. Aber nur mit Konfrontation kommt man ja nicht weiter, und so habe ich Sie eingeladen. Ich habe Ihnen eben unseren Hightech-Kuhstall gezeigt – mit Melkroboter, Transponderfütterung und Kuhbürste. Und nun sitzen wir noch etwas zusammen.

Sie erzählen mir, dass Ihr Großvater einen kleinen Bauernhof hatte, aber »noch so einen richtigen, mit allen möglichen Tieren«. Das weckt auch in mir Erinnerungen an früher. Sie spüren das. Langsam taut das Eis zwischen uns. Sie sprechen darüber, dass Sie neben Ihrer Rasenfläche jetzt drei Tomaten gepflanzt hätten und dass es nicht einfach ist, die auch großzuziehen. Gespritzt würden die aber nicht, Sie wollten ja Bio-Tomaten. Im letzten Jahr hätte das aber wohl nicht geklappt, nach dem langen Regen wären die Blätter auf einmal alle braun geworden und die Ernte wäre ausgefallen.

Da komme ich als Bauer auch in Fahrt und erzähle Ihnen, warum das so gekommen ist. Ich kenne das ja von den Kartoffeln, die auch von der Krautfäule befallen werden. Und so entsteht auf einmal ein Dialog zwischen uns. Ich erzähle Ihnen dann noch, warum ich das Schwalbennest in der Milchkammer entfernen musste. Das sind die Hygienevorschriften, und wir schütteln auf einmal beide den Kopf über so viele staatliche Regelungen. Dabei hat so ein Schwalbennest doch noch einen Rest ländlicher Idylle, gehört eigentlich zu jedem Bauernhof dazu. Nun reden wir auf Augenhöhe, wir sind uns einig.

Ich rede weiter, erzähle von meinen Stallbauplänen und dass ich befürchte, Probleme zu bekommen. Ob sich wohl eine Bürgerinitiative dagegen gründen wird? Und ob Sie mir nicht einen Tipp geben können, wie wir da vorgehen sollten? Ich rede jetzt schon vom Wir, Sie scheinen mir ja ganz vernünftig zu sein. Ich suche in Ihnen nach einem Verbündeten im Kampf gegen mögliche Gegner. Jetzt bin ich der Fragende, Sie derjenige, den ich um einen Rat bitte. Sie versichern mir, dass Sie sicherlich nichts gegen den Stallneubau hätten, jetzt wo Sie meinen Stall gesehen hätten. Dass Sie vorher auch nicht gewusst hätten, wie gut es die Tiere da doch haben. Gut, 150 Kühe wären Ihrer Meinung nach wohl immer noch Massentierhaltung, aber unser Stall mache doch eine rühmliche Ausnahme. Bei den anderen Bauern wäre das wahrscheinlich nicht so, das würde man ja jeden Tag im Fernsehen sehen. Und dass man den kleinen Kälbchen die Hörner entfernt, fänden Sie aber schrecklich. Und das mit den Ringelschwänzchen bei den Ferkeln und den Schnäbeln bei den Hühnern auch. Jetzt muss ich schlucken. Tja, sage ich Ihnen, gerne würden wir Bauern das auch nicht machen, aber das müsste nun mal sein, wenn man so viele Tiere hält und auch auf das Tierwohl achten wolle. Denn sonst würden sich die Tiere gegenseitig verletzen, und das wollten Sie als Verbraucher doch auch nicht. Ich erzähle Ihnen von unzähligen Studien, von Versuchen, die gemacht worden wären, aber Sie hören mir nicht mehr richtig zu. »Ja«, sagen Sie, »Sie mögen ja recht haben, aber richtig finde ich das trotzdem nicht.«

Dann sitzen wir beide eine Weile wortlos nebeneinander. Das Gespräch ist ins Stocken geraten. Wie jetzt wieder einen Anfang schaffen? Ich versuche es und frage, wie denn Ihrer Meinung nach die Alternative aussehen sollte? Das wüssten Sie auch nicht so recht, Sie seien ja auch kein Landwirt und müssten deshalb auch keine Antworten geben. Aber bei den Bio-Betrieben sei das ja wohl nicht so, und das fänden Sie gut, da sei die Welt ja noch in Ordnung. Sie hätten mal im Urlaub in Bayern einen Biobetrieb besucht, da wäre alles noch so wie früher. Überhaupt, früher wäre die Landwirtschaft noch besser gewesen.

Ich frage Sie, ob Sie denn Biofleisch kaufen würden? Ja, sagen Sie, neulich hätten Sie beim Metzger mal ein Bio-Huhn gekauft, aber dafür hätten Sie auch weit fahren müssen, weil der Supermarkt um die Ecke die nicht hat. Und Sie hätten schon geschluckt, als Sie dafür 16 € bezahlen sollten. Jede Woche könnten Sie sich das nicht leisten. Ich schaue Sie an und frage: »Merken Sie was?« Sie schauen zurück, überlegen. Sie spüren, dass Ihre Argumentation nicht ganz schlüssig ist. Weil Sie zwar gegen Hörner ausbrennen, Schwänze kupieren und Schnäbel kürzen sind, aber die daraus entstehende Konsequenz – den höheren Preis – nicht so ohne weiteres akzeptieren können. Jetzt beginnen Sie sich zu rechtfertigen: Man müsse ja auch nicht jeden Tag Fleisch essen, früher hätte es ja auch nur den Sonntagsbraten gegeben und das würde ja auch reichen. Ansonsten würden Sie immer darauf achten, regional und saisonal zu kaufen. Obst aus Übersee komme bei Ihnen nur ganz selten auf den Tisch, wegen der CO2-Bilanz, ich wüsste ja schon. Und das wöchentliche Kilo Bananen würden Sie nur aus fairem Handel kaufen. Jetzt höre ich nicht mehr richtig zu, denn diese »Entschuldigungen« von euch Verbrauchern habe ich schon zu oft gehört, um sie noch ernst zu nehmen.

Und dann schauen wir uns auf einmal in die Augen. Wir spüren, dass Sie und ich in zwei Parallelwelten leben. Sie wollen sich bewusst und ausgewogen ernähren, gesund, nicht zu süß, viel Obst und möglichst alles fair gehandelt. Sie wüssten bei all den Anforderungen ja bald nicht mehr, was man noch ohne Gewissensbisse essen dürfe. Und ich antworte Ihnen, dass es mir da genauso ergehen würde: Ich wüsste bald auch nicht mehr, wie ich denn noch produzieren solle, damit ich es allen recht mache und mich nicht öffentlich beschimpfen lassen müsste. Ich erzähle von meinem Nachbarn, dem mit der Biogas-Anlage, die er vor zehn Jahren gebaut hat. Der Bürgermeister und die meisten im Dorf hätten das sehr gut gefunden, dass er jetzt mit erneuerbarer Energie angefangen habe. Heute würde er angefeindet wegen der »Mais-Wüste«. Ich hätte das ja damals schon nicht gut gefunden, aber der Nachbar hätte sich ja nichts sagen lassen. Der hätte ja nur die Fördermittel mitnehmen wollen, und der Bauernverband hätte ihm auch noch dazu geraten. Und dann schlucke ich, denn ich bin eben dabei, meinen eigenen Berufskollegen »in die Pfanne« zu hauen. Offensichtlich sind wir Landwirte uns auch nicht immer grün.

Dann sind wir uns auf einmal einig, dass das Leben schwieriger geworden ist. Ihnen als Verbraucher vergeht bald der Appetit, mir als Landwirt bald die Lust an meiner Arbeit. Wir wollen das Gespräch beenden, doch dann passiert etwas Überraschendes: Ihnen hat es gefallen, dass Sie meinen Stall sehen durften. Sie wollen sich revanchieren und laden mich zum Grillen ein, nächstes Wochenende bei Ihnen im Garten. Da wollen wir dann weiterreden und den Dialog weiterführen. Danke, ich komme gerne und bringe die Getränke mit.

Von der Schwierigkeit, ethisch korrekt einzukaufen

Wer kennt sie nicht, die Diskussionen im Freundeskreis, in denen man sich gegenseitig versichert, dass man ja beim Einkauf darauf achtet, dass die Ware auch aus einer Produktionsweise stammt, die verantwortbar ist. Neulich habe ich wieder einmal einen Fernsehbericht gesehen, in dem von »unhaltbaren Zuständen« berichtet wurde. Ob da nun die Haltung von Tieren oder eine Textilfabrik in Bangladesch ist, der Aufmacher »unhaltbare Zustände« passt immer. Und wir sind entsetzt, zumindest für eine gewisse Weile. Wenn es bei einem Bericht bleibt, ist das Gesehene wieder schnell vergessen. Über unhaltbare Zustände in den Textilfabriken wurde schon seit Monaten nicht mehr berichtet, obwohl sich nichts geändert hat. Das Thema ist erst einmal erledigt, bis es zum nächsten tragischen Unfall in einer Textilfabrik kommt. Ist ja auch weit weg, und wo genau liegt eigentlich Bangladesch?

Anders bei den »Tierfabriken«. Fast im Monatsrhythmus erscheinen Bilder und Videos, die Tierrechts-Aktivisten nachts durch kriminelle Stalleinbrüche »gewonnen« haben und an die Medien weiterleiten. Möglicherweise gegen Geld, denn irgendwie müssen die Aktionen ja finanziert werden. Und selbst öffentlich-rechtliche Sender scheuen nicht davor zurück, diese Aufnahme ohne eigene Recherche weiterzuverbreiten.

Wenn unser Gehirn immer wieder die gleichen Botschaften gesendet bekommt, seien sie nun richtig oder falsch, verfestigt sich die Botschaft und wird nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt abgeprüft. Was man immer wieder hört, wird irgendwann als wahr klassifiziert und als richtig anerkannt. So funktioniert Meinungsbildung. Nach einer gewissen Weile glauben alle, dass alle Landwirte ihre Tiere unter unwürdigen Umständen halten und unsere Lebensmittel vergiftet sind. Was definitiv nicht stimmt und das wissen Sie auch.

Aus diesem System will verbal jeder von uns heraus. »Wir wollen das nicht unterstützen.« Sagen wir jedenfalls. Wir verhalten uns dann aber doch anders. Ich habe mich darüber mal mit einer guten Bekannten unterhalten, und sie hat das so beschrieben:

Dass wir alle in den Himmel wollen, aber mit unserem Handeln die Hölle zementieren, ist eine Erkenntnis, die schon älter als 2000 Jahre ist.Man könnte es auch so sehen: Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das weder besonders ressourcen-, noch besonders menschenfreundlich ist. Die tatsächlichen Kosten sind vom Preis oft entkoppelt und spiegeln nicht den faktischen Wert einer Ware. So haben wir uns nicht nur jede Menge Umweltprobleme eingehandelt, sondern auch soziale und politische Konflikte. Philosophisch ist es wohl kaum begründbar, warum die Arbeitszeit und damit auch das Leben eines Arbeiters oder Angestellten weniger wert sein soll als eines CEOs. Wir leben also alle in einer Welt von Ungleichheit und von vielen kleinen und großen Ungerechtigkeiten. Das tun wir schon sehr lange und meist sehr erfolgreich, wenigstens hier im »Westen«, und jeder große oder kleine Crash in diesem System wurde bisher irgendwie überwunden, auch wenn ganze Imperien verschwunden sind, wirklich geändert hat das nichts. Nichts Neues unter der Sonne.

Es hat immer wieder in der Geschichte Versuche gegeben, das zu ändern. Die letzten »wissenschaftlichen« Ansätze führten jedoch zu monströseren Machtapparaten, sozialen Schieflagen und schlossen noch mehr Menschen vom Wohlstand aus. Ich kann jeden verstehen, der da die Lust zum großen Experiment verloren hat.

Es bleiben viele Fragen: Wie viel Richtig geht im Falschen? Wie vernunftbegabt sind wir als Art wirklich? Gibt es außerhalb religiöser oder quasi-religiöser Utopien eine Gesellschafts- und Wirtschaftsform, die langfristig stabil und gerecht ist? Schaffen wir Wachstum, ohne unsere Lebensgrundlage zu zerstören? Oder geht es uns am Ende wie den Essigbakterien, deren ungehemmtes Wachstum auf begrenztem Raum regelmäßig zum Kollaps führt?

Alles Fragen, die wir hier wohl nicht klären können. In der »Bewunderung« des Problems sind wir jedoch gemeinsam schon sehr weit fortgeschritten. Und genau das tut auch jeder Konsument. Er bewundert das Problem, hofft auf Veränderung, kauft und macht trotzdem Dinge, die das Problem wachsen lassen.

Das erinnert mich an ein Einstein-Zitat: »Die reinste Form des Wahnsinns ist es, immer das Gleiche zu tun, immer das Gleiche zu denken und zu hoffen, dass sich was ändert.« Und offensichtlich denken so alle Seiten. Und ich manchmal auch. Aber es ist doch die Frage, wie wir aus diesem Hamsterrad herauskommen? Wie wir die Welt ein wenig besser machen können. Wir müssen ja nicht unbedingt den Anspruch haben, sie retten zu wollen. Eine häufige Empfehlung zur »Weltrettung« ist die Forderung: Wir sollten weniger Fleisch essen.

Solche Sätze sind nur noch nervend. »Wir sollten … die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, wir sollten weniger fliegen, wir sollten weniger hiervon und mehr davon.«

Und was passiert? Nichts, oder fast nichts. Dabei nehme ich mich nicht aus. Ich höre auch die Reden von Politikern, lese die ach so schlauen Artikel, schaue mir Fernsehberichte an, die vom Übel in der Welt berichten. Und denke vielleicht: »Das ist ja alles schlimm, da müsste man doch was dagegen unternehmen – und warum tut das keiner?«

Dabei bleibt es dann, weil in der nächsten Sendung, im nächsten Artikel, in der nächsten Rede wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben und der nächste Aufreger gesetzt wird, bevor man den letzten richtig verdaut hat.

Warum ich das schreibe? Weil es in der Diskussion um Landwirtschaft, Lebensmittel und Ernährung ähnlich ist. War gestern noch die Bananendiät die richtige, ist es heute eher die Paläo-Diät, die alle Probleme mit der Figur lösen soll. Und dazu braucht man Fleisch, viel Fleisch. Aber genau das ist ja »wahrscheinlich krebserregend« und sollte auch wegen Soja aus Südamerika, Gentechnik und Tropenwald besser gemieden werden. Es ist offensichtlich kein Problem, zwei absolut gegensätzliche Trends parallel zu verfolgen. Ähnlich die Diskussion um die Anbindehaltung von Kühen: Ein Verbot würde gerade die bäuerlichen Familienbetriebe im Alpenraum und den Mittelgebirgen zur Aufgabe zwingen. Zwei Trends, die gegenläufig sind. »Man« möchte doch gerne beides, freilaufende Kühe und kleine Bauernhöfe. Und da ist er, der Zielkonflikt. Beides geht nicht oder nur mit extrem hohen Subventionen. Und die will auch wieder keiner.

Was ich mich frage: Beschäftigen wir uns mit solchen Themen wirklich ernsthaft? Oder ist es nicht nur ein netter Zeitvertreib, weil wir gerade keine anderen Probleme haben?

Zur Ernsthaftigkeit beim Lebensmitteleinkauf fällt mir folgende Frage ein: »Woran denken Sie, wenn Sie über eine Brücke fahren?«

Die ehrliche Antwort: an nichts! Sie würden schlichtweg verrückt, wenn Sie sich jedes Mal vor dem Überqueren mit den möglichen Risiken eines Einsturzes auseinandersetzen würden. Sie vertrauen dem Statiker, sie vertrauen dem Brückenbauer, dass das Ding hält. Und so ist es auch vor dem Besuch des Supermarktes. Sie denken an nichts. Sie haben einen Einkaufszettel, packen alles in den Einkaufswagen und fahren nach Hause. Sie würden verrückt, wenn Sie sich bei jedem Griff ins Regal mit möglichen Risiken in der Herstellung des Produkts auseinandersetzen würden. Sie vertrauen dem Bauern, dem Verarbeiter und dem Lebensmittelkontrolleur, dass die Lebensmittel in Ordnung sind. Und das ist richtig. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas von einem Brückeneinsturz gehört? Sehen Sie … (Okay. Genua war eine Ausnahme, und die gibt es natürlich auch bei Lebensmitteln.)

Die Botschaft »weniger Fleisch essen« hat heute schon Auswirkungen. Der Pro-Kopf-Verzehr von Schweinefleisch ist in Deutschland deutlich rückläufig. Bei Geflügel legt er leicht zu, aber insgesamt wird es in der Zukunft merkliche Veränderungen geben. Ich habe hier einmal versucht, bei aller Problematik und Fragwürdigkeit Vorausschau zu halten.

Warum die Nutztierhaltung verschwinden wird

Spätestens in zwanzig Jahren gehört die bisherige Form der Nutztierhaltung in Europa der Vergangenheit an. Vielleicht auch schon früher.

Sie glauben das nicht? Das ist mir klar, weil Ihnen wie mir eine solche Vorstellung erst einmal absurd erscheint. Aber überlegen wir doch mal.

Die Bürger der westlichen Welt, auch Industrienationen genannt, essen gerne Fleisch. Viel Fleisch. Fleisch ist billig (zu billig) und schmeckt gut. Was den Bürgern nicht gefällt, ist, dass für Fleisch Tiere getötet werden müssen. Unsere Kinder spielen zwar am Computer alle möglichen Kriegs- und Ballerspiele, aber bei dem Gedanken, selbst ein Huhn köpfen zu müssen, bekommen sie weiche Knie. Was alle auch ganz furchtbar finden, ist die Haltung der Tiere in großer Zahl. Massentierhaltung eben. 1 500 Mastschweine, 300 Kühe oder 30 000 Hähnchen in einem Stall ist da eher noch wenig. Die Tiere leben in Ställen, Freiland sehen sie nie. Außer beim Einstallen oder auf dem Weg zum Schlachthof.

Wo viele Individuen der gleichen Art auf engem Raum zusammenleben, gibt es Stress. Das ist nicht nur bei Tieren so, sondern auch beim Menschen. Unter Stress (oder auch Langeweile) kommt es schneller zu aggressiven Übergriffen. Das kennt jeder von der überfüllten Straßen- oder U-Bahn wie von Großstadt-Menschen-Silos.

Im Falle der Tierhaltung wird dann auch schon mal der Stallgenosse »angeknabbert«, weshalb der Nutztierhalter zu Beschäftigungsmaterial greift oder den Ringelschwanz kürzt. Das Kürzen von Schnäbeln bei Hühnern war noch bis vor kurzem verbreitete Praxis. Kühe haben keine Hörner mehr, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Ob der Bauer oder die Bäuerin die dauernde Verletzungsgefahr hinnehmen will, ist in der öffentlichen Diskussion sekundär, aber reden Sie mal mit einer Familie, in der ein Unfall mit einem Tier vorgekommen ist. Kühe ohne Hörner hat die Natur so nicht vorgesehen, es ist also un-natürlich. Aber es ist effektiv, denn nur so kann eine große Zahl von Tieren auf kleinem Raum gehalten werden. Mehr Platz würde den Masterfolg gefährden, denn mehr Bewegung bedeutet mehr unproduktiven Energieverbrauch. Dieser bedeutet mehr Futter, mehr Futter heißt höhere Kosten. Alles wird durchgerechnet. Machbar wären weniger Tiere pro Fläche, aber das schlägt sich in den Kosten nieder. Parameter wie Fixkosten, Gesamtkosten, Erlös, verbleibendes Einkommen je Arbeitskraft oder kalkulatorischer Stundenlohn oder das böse Wort »Gewinn« werden in dieser Diskussion gerne vernachlässigt.

Bei der Diskussion um mehr Tierwohl geht es also im Prinzip um die Frage, wer bereit ist, für eine andere Form der Tierhaltung in der Realität mehr zu bezahlen. Also nicht nur bei Umfragen, die nicht nachprüfen, ob das tatsächliche Verhalten mit der geäußerten Meinung übereinstimmt. Die Bedeutung von Umfragen hat mal ein Soziologe so beschrieben: »In Umfragen wird soziale Schizophrenie empirisch abgebildet.« Wir können die Wahrheit nicht aushalten. Vielleicht ist der Begriff »Schizophrenie« zu stark, aber er stammt nicht von mir. »Scheinheiligkeit« sagt in etwa das Gleiche. Was dann zur »kognitiven Dissonanz« führt.

Interessant fand ich auch den Shitstorm, dem Cem Özdemir ausgesetzt war, als er öffentlich erklärte, dass »Lebensmittel in Deutschland zu billig sind«. Als dann nach Beginn des russischen Krieges die Preise für Nahrungsmittel nie gekannte Höhen erreichten, war diese Diskussion beendet. Wobei es dem Minister darum ging, dass die Produktionsbedingungen geändert werden müssten, was eben nur mit höheren Erlösen machbar ist. Damit hat er zweifelsfrei recht. Ich kann nur nicht erkennen, warum er aus dieser Erkenntnis keine Handlungen ableitet. Cem Özdemir ist übrigens ein Meister der Problem-Analyse! Nur bei der Umsetzung von Lösungen tut sich seit Monaten nichts, obwohl sie mit dem Ergebnis der Borchert-Kommission und dem Papier der Zukunftskommission Landwirtschaft auf dem Tisch liegen.

Fleisch ist ein Stück Lebenskraft!?

Diese Werbebotschaft verkündete einst die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA). Diesen Slogan würde heute kaum noch jemand wählen. Der Trend zu mehr Vegetariern (und Veganern) ist unverkennbar und so wenig zu leugnen wie der Klimawandel, auch wenn ein paar »Auserwählte« immer noch versuchen, ihn zu negieren oder andere Gründe als den Menschen dafür zu finden. Der Trend zu weniger Fleisch erfasst mittlerweile auch breitere Bevölkerungsschichten. Das Angebot in den Supermärkten an vegetarischen und veganen Produkten wächst stetig, der Umsatzrückgang an Fleisch ist mittlerweile messbar, auch wenn die Entwicklung noch schleichend ist. Weniger oder kein Fleisch essen ist »in«. Es vergeht kaum ein Fest, kaum eine Einladung, auf denen der Tischnachbar nicht versichert, dass er »ja jetzt auch weniger Fleisch isst«. Aus ethisch-moralischen Gründen gegenüber dem Mitgeschöpf Tier, aus gesundheitlichen Gründen oder weil er das Weltklima retten will. Das findet sich besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Bewegung Fridays for Future ist ein lebendiger Beleg dafür.

Ich will jetzt ausdrücklich nicht darüber philosophieren, ob ein verändertes Essverhalten in Deutschland oder Europa auch nur den Hauch einer Chance hätte, am Weltklima etwas zu ändern. Es wäre doch eher durch den Verzicht auf die Verbrennung von fossiler Energie zu realisieren als durch den unterlassenen Verzehr von Bratwurst, Hamburger oder Pizza Salami. Aber wer will schon gerne und freiwillig auf die Bequemlichkeit der individuellen Mobilität verzichten?

Fleisch hat Zukunft

Was jetzt? Spinnt der? Nein, Sie müssen die Sache nur anders herum denken. Wenn die Menschen gerne und viel Fleisch essen wollen, gleichzeitig aber nicht wollen, dass Tiere in ihren Augen unwürdig gehalten und schließlich getötet werden müssen, wächst das Fleisch halt anders und ohne Tiere. Ob man den Herstellungsort statt Stall oder Weide jetzt »Labor«, »Brutschrank« oder »Fermenter« nennt, ist für das gute Gewissen vollkommen zweitrangig. Der Bürger bekommt diese »Neufleisch-Anlagen« so oder so nicht mit, er hat die »Herstellung« von Fleisch bisher nicht gesehen und sieht sie auch dann nicht. Das so gewonnene Fleisch ist nicht künstlich oder ein mit viel Chemie aufgepeppter pappiger Fleischersatz aus Soja oder anderen klebrigen Pflanzenfasern. Fleisch, das so entstanden ist, ist natürlich mit nahezu allen Eigenschaften von Fleisch. Allerdings ohne Tierarzneimittel, ohne Gelenkentzündungen, Klauenprobleme, Mastitis und andere Begleiterscheinungen der derzeitigen Nutztierhaltung. Und ohne Gülle, Methan-Emissionen und aufwändige Logistik. Es ist einfach irgendwann mal da – vermutlich zuerst in einer wunderbar beworbenen Handels-Eigenmarke.

Der Preis des Fleisches

»Alles Blödsinn. Solange Fleisch so billig ist, wird sich am derzeitigen Fleischverzehr nichts Dramatisches ändern.« Kann sein, kann aber auch nicht sein. Wie viele Kilo Kartoffeln essen Sie pro Jahr? Und wie viele waren es vor zwanzig Jahren, vor vierzig Jahren? Seit Jahrzehnten geht der Pro-Kopf-Verbrauch langsam, aber stetig zurück, obwohl Kartoffeln extrem billig sind. Noch vor zehn Jahren kannte kein Mensch Red Bull. Es ist nichts anderes als extrem teures Zuckerwasser und nicht einmal gesund. Heute ist es Kult. Merken Sie was? Der Preis spielt keine Rolle, wenn einem die Sache etwas wert ist. Deshalb geben wir auch 800 Euro für ein neues Smartphone oder einen trendigen Grill aus. Weil es uns, warum auch immer, diese absurde Summe wert ist. Telefonieren konnten wir auch mit dem alten Nokia-Handy, das es aber schon lange nicht mehr gibt. Und grillen geht auch billiger, das geht auch mit dem Einweg-Wegwerf-Grill von der Tankstelle. Mit dem kann man aber vor dem Nachbarn keinen Eindruck machen.

Genau deshalb wird auch das »andere Fleisch« bald seinen Siegeszug in die Welt starten. Weil es uns das wert ist. Für die Skalierung in den großtechnischen Maßstab stehen die Investoren schon bereit. Angeblich braucht es dazu rund zwei Milliarden Dollar. Für Firmen wie Facebook, Google, Amazon ist das keine Summe, dafür reicht die sprichwörtliche »Portokasse«. Selbst für die bekannten Schlachthöfe und Vermarkter ist es mehr eine Frage der Zeit als der Unmöglichkeit.

Spätestens, wenn das »andere Fleisch« für unter fünfzig Euro pro Kilo zu haben ist, wird der Markt »schleichend explodieren«. Klingt komisch, aber genau so haben es diese Firmen schon einmal geschafft, unser Verhalten zu verändern, ohne dass wir das gemerkt hätten. Und diesmal sogar mit einem guten Gewissen. Erinnern Sie sich, dass Sie mal ein Mobiltelefon hatten, mit dem Sie nur telefonieren konnten? Marktführer war Nokia. Dann kamen Firmen auf den Markt, die die Funktionen erweiterten, und nannten das Ding »Smartphone«. Der damalige Marktführer für Mobiltelefone war der Ansicht, dass kein Mensch so was braucht, und verpasste diese Entwicklung.

Mit dieser Glasscheibe in der Tasche können Sie und ich heute von überall in der Welt ins Internet, können Mails verschicken oder digitale Konferenzen abhalten. Am Strand, auf den Bergen, im Büro oder vom heimischen Sofa aus.

Was es für die Landwirte bedeutet, wenn das »andere Fleisch« den Markt erobert? Fragen Sie mal Nokia.

Die Milch macht’s – müde Männer munter?

Seit Jahrtausenden ist Milch ein Bestandteil der menschlichen Ernährung. Entweder als Getränk oder aber, haltbar gemacht, in hunderten Arten von Käse.

Doch in den letzten Jahren ist ein neuer Trend festzustellen: pflanzliche Alternativen zur Milch. Zwar dürfen sich die Getränke aus Soja, Mandel, Cashew, Erbsen, Kokosnuss, Pistazien oder Hafer nicht »Milch« nennen, aber im Alltagsgebrauch heißt es dann doch »Hafermilch«.

Was sind die Gründe, warum diese Milchalternativen so erfolgreich sind? Es sind vor allem junge Menschen, die zu diesen meist teuren Alternativen greifen, die längst keine Nischenprodukte mehr sind. Immer mehr Menschen entscheiden sich für die vegetarische oder vegane Ernährung, weil sie ihnen gesünder erscheint oder weil sie die Tierhaltung aus ethischen Gründen insgesamt ablehnen. Sie gelten als hip und cool und wollen gleichzeitig die Welt verbessern. Interessant ist, dass die Erfolge der alternativen Milchprodukte auf einige wenige Länder beschränkt sind. Einkommen, Bildung und Wohnort scheinen eine gewisse Rolle zu spielen. Urbane Eliten sind für neue Trends eher empfänglich. In Afrika und Asien sind sie kein Thema.

Es ist heute nicht absehbar, ob der Trend weg von tierischen Produkten weiter anhält. Anzunehmen ist es, denn neben den ethischen Gründen ist auch das Klima ein weiterer Aspekt, der dafür spricht, dass der Trend nicht nur anhält, sondern mit medialer Unterstützung noch weiter verstärkt wird. Auch für den Lebensmitteleinzelhandel sind es hochinteressante Produkte, weil hier hohe Gewinnmargen generiert werden können. Schließlich ist Hafermilch im Prinzip nichts anderes als Wasser mit Haferflocken.

Für mich als Landwirt ist es erstaunlich, dass es in der Fleischdiskussion meist um vierbeinige Tiere geht. Der Verzehr von Geflügel und Eiern wird in diesem Zusammenhang so gut wie nicht diskutiert. Eine Erklärung habe ich nicht. Und eine weitere Beobachtung wird auch von der Wissenschaft gemacht: Käse ist in den letzten Jahrzehnten populärer geworden. Offensichtlich ist Käse schlechter zu ersetzen als Milch, weil vor allem der Geschmack der zahlreichen Käsesorten sich so leicht nicht ersetzen lässt.

All diese Ersatzprodukte für tierische Nahrungsmittel sollen ja dazu dienen, das Klima zu retten. Deshalb geht es im nachfolgenden Abschnitt noch mal um die Weltrettung. Und die ist heute vor allem mit einem Namen verbunden.

Greta und der gesellschaftliche Klimawandel

Greta. So hieß unsere Nachbarin, die vor einigen Jahren im hohen Alter gestorben ist. Sie war, wie man heute sagen würde, eine einfache Frau, lebte in einem kleinen Haus mit einem großen Garten. Darin war sie jeden Tag, um Gemüse, Kartoffeln und Obst für die Familie anzubauen. Für die »große Politik« hat sie sich wenig interessiert, ihre Welt war das nicht. Sie war sparsam, denn das Geld, das ihr Mann mit nach Hause brachte, reichte nicht weit, und da half der Garten beim Sparen. Urlaub wurde nur selten gemacht, und dann nur ein paar Tage in der Eifel oder im Bergischen Land. Glücklich war sie vor allem zuhause, in der kleinen Welt unseres Dorfes. Die Gespräche (oder wie man im Rheinland sagt »ene Klaaf«) mit den Nachbarn über die Dinge des Alltags reichten ihr.