Schematherapie erfolgreich anwenden - Neele Reiss - E-Book

Schematherapie erfolgreich anwenden E-Book

Neele Reiss

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Beschreibung

Dieses Behandlungsmanual verdeutlicht, wie Schematherapie in der Einzel- und in der Gruppentherapie, aber auch in kombinierten Settings (stationärer und teilstationärer Behandlung) effektiv umgesetzt werden kann. Bezogen auf verschiedenste Behandlungsthemen und anhand detaillierter Sitzungsbeschreibungen werden Anwendung und Ziele der Schematherapie erläutert. Das Buch enthält umfangreiche Zusatzmaterialien wie Handouts, die in der Praxis direkt eingesetzt werden können, und Formulierungsbeispiele für verschiedene Sitzungen und Interventionen von erfahrenen Schematherapeuten.

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Seitenzahl: 507

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Neele Reiss, Joan M. Farrell & Ida A. ShawSchematherapie erfolgreich anwendenRessourcen für Aufbau und Umsetzung in Einzel-, Gruppen- und kombinierten Settings

Über dieses Buch

In diesem Manual werden Einzelschematherapie und Gruppenschematherapie in einem Behandlungsprogramm zusammengeführt. Das Modell der Autorinnen unterstützt die Patienten dabei, neue »Familienerfahrungen« zu machen. Dabei erleben sie – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – ein Gefühl von Zugehörigkeit und Angenommensein. Anhand detaillierter Sitzungsbeschreibungen werden Anwendung und Ziele der Schematherapie erläutert. Das Buch enthält umfangreiche Zusatzmaterialien wie Handouts, die in der Praxis direkt eingesetzt werden können, und Formulierungsbeispiele für verschiedene Sitzungen und Interventionen.

Dr. Neele Reiss, Psychologische Psychotherapeutin und Schematherapeutin. Sie ist als wissenschaftliche Leiterin am Institut für Psychotherapie in Mainz und wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Forschungsschwerpunkt Schematherapie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. tätig.

Joan M. Farrell, Ph. D., ist Psychologische Psychotherapeutin am Center for Borderline Personality Disorder Treatment and Research der medizinischen Fakultät der Indiana University und ISST-zertifizierte Schematherapie-Ausbilderin und Supervisorin.

Ida A. Shaw, M. A., ist Leiterin des Schema Therapy Institute Midwest, Indianapolis, und leitende Supervisorin des Center for Borderline Personality Disorder Treatment and Research.

Patienten-Materialien zum Download

Auf unserer Website können Sie Patienten-Materialien (Handouts) zum persönlichen Gebrauch herunterladen.

Hierfür melden Sie sich bitte telefonisch bei unserer Mitarbeiterin Frau Linden unter: 05251 - 134416

Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2015

Copyright der Originalausgabe: © 2014 John Wiley & Sons, Ltd.

Die Originalausgabe ist 2014 unter dem Titel The Schema Therapy Clinician’s Guide. A Complete Resource for Building and Delivering Individual, Group and Integrated Schema Mode Treatment Programs bei Wiley erschienen.

All Rights Reserved. Authorised translation from the English language edition published by John Wiley & Sons Limited. Responsibility for the accuracy of the translation rests solely with Junfermann Verlag GmbH and is not the responsibility of John Wiley & Sons Limited. No part of this book may be reproduced in any form without the written permission of the original copyright holder, John Wiley & Sons Limited.

Übersetzung: Christoph Trunk

Fachlektorat: Dr. Neele Reiss

Coverfoto: © Regio Eligo – Fotolia.com

Illustrationen: © Britta Finkelmeier, 2014

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2015

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-056-9

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-394-2 (EPUB), 978-3-95571-395-9 (MOBI), 978-3-95571-396-6 (PDF).

Übersicht: Handouts

Handout WILL 1: Die GST-Grundregeln
Handout WILL 2: Die Seifenblasentechnik
Handout ED-ST 1: Informationen zur Schematherapie – Was ist ein Schema?
Handout ED-ST 2: Informationen zur Schematherapie – Lernen Sie Ihre Modi kennen I
Handout ED-ST 3: Informationen zur Schematherapie – Lernen Sie Ihre Modi kennen II
Handout ED-ST 4: Informationen zur Schematherapie – Die Schematherapie
Handout ED-ST 5: Informationen zur Schematherapie – Modi erkennen
Handout (MB 1-MBM1) Aufgabe 1 zum Modus-Bewusstsein: Meinen maladaptiven Bewältigungsmodus wahrnehmen
Handout (MB 2a-DyEM1): Aufgabe 2a zum Modus-Bewusstsein: Meinen Strafenden Elternmodus wahrnehmen
Handout (MB 2b-DyEM1): Aufgabe 2B zum Modus-Bewusstsein: Meinen Fordernden Elternmodus wahrnehmen
Handout (MB 3-VKM1): Aufgabe 3 zum Modus-Bewusstsein: Meinen Vulnerablen Kindmodus wahrnehmen
Handout (MB 4-WKM1): Aufgabe 4 zum Modus-Bewusstsein: Meinen Wütenden Kindmodus wahrnehmen
Handout (MB 5-GLM1): Aufgabe 5 zum Modus-Bewusstsein: Meinen Glücklichen Kindmodus wahrnehmen
Handout (MB 6 &12-GEM 1 & 2): Aufgaben 6 und 12 zum Modus-Bewusstsein: Mich auf meinen Gesunden Erwachsenenmodus besinnen
Handout (MB 7-MBM2): Aufgabe 7 zum Modus-Bewusstsein: Aus meinem Bewältigungsmodus heraus Verbindung zu meinem Gesunden Erwachsenen aufnehmen
Handout (MB 8a-DyEM2): Aufgabe 8a zum Modus-Bewusstsein: Meinen Gesunden Elternmodus meinen Strafenden Elternmodus entmachten lassen
Handout (MB 8b-DyEM2): Aufgabe 8b zum Modus-Bewusstsein: Meinen Gesunden Erwachsenen meine Fordernde Elternfigur von vernünftigen Standards überzeugen lassen
Handout (MB 9-VKM2): Aufgabe 9 zum Modus-Bewusstsein: Meinen Gesunden Erwachsenen dafür gewinnen, sich um mein Vulnerables Kind zu kümmern
Handout (MB 10-WKM2): Aufgabe 10 zum Modus-Bewusstsein: Meinen Gesunden Erwachsenen dafür gewinnen, auf die Bedürfnisse meines Wütenden Kindes hinzuhören
Handout (MB 11-GLM2): Aufgabe 11 zum Modus-Bewusstsein: Meinem Gesunden Erwachsenen meine Identität dadurch nahebringen, dass ich ihn meinem Glücklichen Kind zuhören lasse
Handout MM 1-MBM 1: Den Einfluss der maladaptiven Bewältigungsmodi verringern
Handout MM 7-MBM 2: Den Einfluss der maladaptiven Bewältigungsmodi einschränken – Langzeit-Strategien
Handout MM 2-DyEM 1: Gegen den Strafenden und Fordernden Elternmodus angehen
Handout MM 3-VKM 1: Auf die Traurigkeit und die Angst Ihres Vulnerablen Kindmodus eingehen
Handout MM 4-WKM 1: Umgang mit dem Wütenden Kindmodus
Handout MM 5-GLM 1: Meinen Glücklichen Kindmodus entfalten
Handout MM 6-GEM 1: Meinen Gesunden Erwachsenenmodus stärken
Handout MM 8-DyEM 2: Langzeitstrategien für die Bekämpfung meiner dysfunktionalen Elternmodi
Handout MM 9-VKM 2: Langzeitstrategien zur Befriedigung der Bedürfnisse meines Vulnerablen Kindes
Handout MM 10-WKM 2: Langzeitstrategien für die Steuerung meines Wütenden Kindmodus
Handout MM 11-GLM 2: Langzeitstrategien für die Stärkung meines Glücklichen Kindmodus
Handout MM 12-GEM 2: Langzeitstrategien zur Stärkung meines Gesunden Erwachsenenmodus
Handout EMA 1-MBM 1: Erlebensbasierte Focusing-Übung
Handout EMA 1 & 7-MBM 1 & 2: Skripte für die Schemamodi
Handout EMA 1 & 7-MBM 1 & 2: Übung zum Bild des sicheren Orts
Handout EMA 2-DyEM 1: Strafe und Belohnung – Wie lernen wir?
Handout EMA 2-FEM 1: Gegen den Strafenden und den Fordernden Elternmodus angehen – Was gute Eltern zu einem Kind sagen würden, das sie lieben
Handout EMA 2 & 8-DyEm 1 & 2: Sich das Gute-Eltern-Skript in Erinnerung rufen
Handout EMA 3 & 9-VKM 1 & 2: Vorstellungsbilder für den Vulnerablen Kindmodus üben
Handout EMA 4 & 10-WKM 1 & 2: Übungen zum Wutabbau
Handout EMA 5-GLM 1: Imaginationsübung für den Glücklichen Kindmodus
Handout EMA 11-GLM 2: Das Glückliche Kind spielen lassen
Handout EMA 6 & 12-GEM 1 & 2: Meinen Gesunden Erwachsenenmodus weiterentwickeln
Handout EST-ST 2: Ihre schematherapeutische Fallkonzeption
Handout EST-ST 3: Meine Ziele für die Schematherapie
Handout EST-MBM 1: Verhaltensweisen in Ihren maladaptiven Bewältigungsmodi
Handout EST-MBM 2: Verhaltensexperimente mit den maladaptiven Bewältigungsmodi
Handout EST-MBM 3: Vor- und Nachteile meiner maladaptiven Bewältigungsmodi
Handout EST-MBM 4: Kognitive Verzerrungen in den maladaptiven Bewältigungsmodi
Handout EST-MBM 5: Ein Abkommen mit meinem maladaptiven Bewältigungsmodus schließen
Handout EST-DyEM 1: Lebensgeschichtliches Rollenspiel
Handout EST-DyEM 2: Wochenplan mit positiven Aktivitäten
Handout EST-DyEM 3: Instruktionen für den Identitätskreis
Handout EST-DyEM 4: Kognitive Verzerrungen im Fordernden Elternmodus
Handout EST-DyEM 5: Memo-Card für die Bekämpfung des dysfunktionalen Elternmodus
Handout EST-VKM 1: Neue Techniken, um das traurige Vulnerable Kind in mir zu trösten
Handout EST-VKM 2: Meine Ängste im Vulnerablen Kindmodus
Handout EST-VKM 3: Die Bedürfnisse eines Kindes
Handout EST-VKM 4: Die Rechte eines Kindes
Handout EST-VKM 5: Memo-Cards für den Vulnerablen Kindmodus
Handout EST-WKM 1: Memo-Card für den Wütenden / Impulsiven Kindmodus
Handout EST-WKM 2: Wie andere auf meinen Wütenden Kindmodus reagieren
Handout EST-WKM 3: Bedürfnisse im Wütenden Kindmodus
Handout EST-WKM 4: Das gesunde Bedürfnis nach Beachtung
Handout EST-GLM 1: Den Glücklichen Kindmodus aktivieren
Handout EST-GLM 2: Was meinem Glücklichen Kind gefällt
Handout EST-GLM 3: Dem Glücklichen Kind positives Feedback geben
Handout EST-GEM 1: Verhaltensexperimente für den Gesunden Erwachsenenmodus
Handout EST-GEM 2: Lernen Sie Ihren Gesunden Erwachsenenmodus kennen
Handout EST-GEM 3: Ihr Gesunder Erwachsenenmodus und die Zukunft

Vorwort

Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, das Vorwort zu diesem bahnbrechenden Werk zu schreiben, das Therapeutinnen und Therapeuten die Möglichkeit eröffnet, Einzelschematherapie (EST) und Gruppenschematherapie (GST) in einem Behandlungsprogramm zusammenzuführen, das bei verschiedenen psychischen Störungen, in unterschiedlicher Behandlungslänge und mit unterschiedlicher Behandlungsintensität angewandt werden kann.

Seit ich 2008 zum ersten Mal von den äußerst positiven Resultaten der randomisierten kontrollierten GST-Studie mit Borderline-Patientinnen und -Patienten hörte, begeistert mich die Idee, die Schematherapie durch das Gruppenmodell für eine größere Zahl von Patientinnen und Patienten zugänglich und finanzierbar zu machen. Im Zeitalter der Kostendämpfung im Gesundheitswesen, in dem die Erstattungsfähigkeit von Psychotherapie in vielen Ländern zunehmend eingeschränkt wird, birgt die Gruppenschematherapie das Potenzial, die wirkungsvollen Behandlungsstrategien des schematherapeutischen Ansatzes auf eine kosteneffizientere Weise verfügbar zu machen, als es mit der Einzelschematherapie bislang möglich ist – und das mit gleichwertigen oder vielleicht noch besseren Resultaten. Mit besonderer Spannung verfolge ich eine groß angelegte klinische Studie, die derzeit an 14 Orten in sechs Ländern läuft. Arnoud Arntz und Joan Farrell fungieren als Projektleiter der Studie, in der die Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Gruppenschematherapie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) in zwei Gruppen untersucht wird, die eine unterschiedliche Anzahl von Einzelsitzungen durchlaufen.

Dieses Buch ist in Zusammenarbeit mit der Psychologin und Schematherapeutin Neele Reiss entstanden, die der Gruppenschematherapie in Deutschland den Weg bereitet hat. Es erweitert den Anwendungsbereich des integrierten Einzel- und Gruppenschematherapie-Programms auf ein breites Spektrum von Patientengruppen: auf Patienten, die unter Persönlichkeitsstörungen, komplexen Traumata oder chronifizierten psychischen Problemen leiden, Patienten, bei denen andere Behandlungsmethoden erfolglos geblieben sind, und Patienten, die eine besonders intensive Form der Behandlung brauchen. Das neue Konzept, nach dem Patienten ein „Konto“ mit EST-Sitzungen bekommen, von dem sie nach Bedarf abheben können, wurde für die genannte multizentrische BPS-Studie entwickelt. Seit dem Erscheinen des ersten Buchs über GST (Farrell & Shaw, 2012; dt. 2013) sind weltweit viele Bemühungen im Gange, das GST-Modell auf weitere diagnostische Gruppen anzuwenden. Die GST ist ebenso wie die EST transdiagnostisch in dem Sinne, dass im Fokus der Interventionen nicht bestimmte Symptome, sondern die Modus-Profile von Patienten stehen. Deshalb dürfte die GST ebenso wie die EST dafür geeignet sein, neben BPS auch andere Störungen zu behandeln. Natürlich muss jede Therapieform der empirischen Überprüfung unterzogen werden, und es freut mich, dass zu diesem integrierten Behandlungsprogramm bereits vielversprechende vorläufige Befunde vorliegen. Seine Wirksamkeit wurde bei der Behandlung von BPS-Patienten im stationären Setting (Reiss et al., 2014) und bei gemischten Cluster-B- und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (Muste, 2012; Fuhrhans, 2012) bestätigt. In Großbritannien wird das Behandlungsprogramm derzeit in forensischen Settings evaluiert. In den Niederlanden sind eine randomisierte kontrollierte Studie, in der die Schematherapie mit der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von vermeidender Persönlichkeitsstörung und sozialer Phobie verglichen wird, und eine experimentelle Fallserie zu dissoziativen Störungen abgeschlossen bzw. im Gange (vgl. Bamelis et al., 2014).

Die im vorliegenden Buch vorgestellte Integration von Gruppen- und Einzelschematherapie scheint mir, was das konzeptuelle Modell, das therapeutische Bündnis und die Behandlungsinterventionen angeht, ganz auf der Linie meines eigenen einzeltherapeutischen Ansatzes zu liegen. Das GST-Modell der Autorinnen unterstützt die Gruppenmitglieder dabei, zu einer Art intakter Familie zu werden, in der sie, unter der aufmerksamen Anleitung zweier hochqualifizierter Therapeuten-Eltern, einander neue Familienerfahrungen ermöglichen können. Das Erleben von Zugehörigkeit und Angenommensein, das dieses Gruppen-Analogon einer liebevollen Familie bietet, scheint wie ein Katalysator sowohl für die begrenzte elterliche Fürsorge als auch für die emotionsfokussierten Komponenten der Schematherapie (ST) zu wirken. Außerdem entsteht in der GST dadurch, dass in jeder Gruppe zwei Therapeuten zum Einsatz kommen, ein Freiraum für den einen Therapeuten, der sich im Gruppenkontext flexibel bewegen kann; er arbeitet oft jeweils mit einem oder zwei Gruppenmitgliedern und kreiert neue erlebensbasierte Übungen, um Veränderungen anzustoßen. Währenddessen bietet der zweite Therapeut der übrigen Gruppe ein „stabiles Fundament“ und hält zu jedem Mitglied fortwährend eine emotionale Verbindung aufrecht, hat die Reaktionen aller Mitglieder im Blick, erläutert das aktuelle Geschehen, um das Bewusstsein der Patienten für die ablaufenden Prozesse zu schärfen, und interveniert gegebenenfalls, um die Gruppe neu auszurichten und auf die Bedürfnisse bestimmter Gruppenmitglieder zu fokussieren. Mich beeindruckt auch, dass die GST weit über ein klassisches Fertigkeitentraining hinausgeht, bei dem den Gruppenmitgliedern Fertigkeiten in einem seminarähnlichen Setting vermittelt werden, und auch über andere Gruppenformate, bei denen der Therapeut mit einer Einzelperson arbeitet, während die anderen im Großen und Ganzen in der Beobachterrolle bleiben. Für die GST sind die in der Einzelschematherapie verwendeten Techniken, zum Beispiel Arbeit an der Veränderung innerer Bilder und Modus-Rollenspiele, so modifiziert worden, dass sämtliche Mitglieder in spezifische Übungen einbezogen werden, um das Potenzial der Interaktion und der gegenseitigen Unterstützung in der Gruppe nutzbar zu machen. Mit diesen gruppentherapeutischen Faktoren und außerdem mit dem breiten Repertoire integrativer Techniken, die ohnehin schon Teil der ST sind, lassen sich möglicherweise die ausgeprägten Therapieeffekte erklären, die sich in der oben erwähnten kontrollierten Wirksamkeitsstudie ergaben, sowie die vorläufigen Befunde weiterer GST-Studien, die noch im Gange sind.

Die drei Autorinnen legen einen schematherapeutischen Ansatz vor, der systematisch ist und dabei die Flexibilität wahrt, die mir bei der Entwicklung der Einzelschematherapie immer sehr wichtig war. Ihre Vorschläge für die Therapie sind konkret und gut strukturiert, doch sie sind nicht der Versuchung erlegen, ein therapeutisches „Rezeptbuch“ zu verfassen, das die Leserinnen und Leser schablonenhaft umsetzen sollen. Sie behalten die Kernelemente der ST bei, indem sie Interventionsstrategien der „begrenzten elterlichen Fürsorge“ für jeden in einer Sitzung aktivierten Modus anbieten und an „erlebenszentrierten Momenten“ ansetzen, um mit emotionsfokussierter Arbeit einen in tiefe Schichten reichenden Wandel anzustoßen. Wie die Einzelschematherapie, so verknüpft auch das Gruppenmodell der Autorinnen die erlebensbasierte, die kognitive, die interpersonelle und die verhaltenszentrierte Arbeit miteinander. Sie unterteilen die ST-Interventionen in vier Hauptkategorien: Psychoedukation und Information zur Schematherapie, Modus-Bewusstheit, Modus-Management und erlebensbasierte Modus-Arbeit. Jeder Kategorie ist eine bestimmte Anzahl von Sitzungen zugeordnet, die jeweils einen der hauptsächlichen Schemamodi in den Blick nehmen. Die Koordination der Einzel- und Gruppensitzungen erfolgt unter dem Modus-Aspekt. In den EST-Sitzungen kann der Therapeut zwischen kognitiven, erlebensbasierten und auf das Aufbrechen von Verhaltensmustern gerichteten Interventionen wählen. Die Autorinnen bieten konkrete Anleitungen und Beispieltexte für Therapeuten an, die ST-Anfängern den Einstieg erleichtern werden, dabei aber die für die ST wesentliche Flexibilität aufweisen, sodass sie auf Modus und Bedürfnisse des jeweiligen Patienten zugeschnitten werden können. Durch diese Verbindung von klarer Struktur und Flexibilität ist das Manual für erfahrene wie auch weniger erfahrene ST-Anwender geeignet. Es wird ein breites Spektrum von Menschen ansprechen, die im psychotherapeutischen Bereich arbeiten, sowohl Psychologen, Sozialarbeiter, Psychiater und psychologische Berater als auch Pflegekräfte sowie Therapeuten in Ausbildung.

Wie viel Therapieerfahrung die Autorinnen in den zusammengenommen über 30 Jahren gesammelt haben, in denen sie auf der ganzen Welt Therapeuten ausgebildet und bei Patienten mit den verschiedensten Störungsbildern GST angewandt haben, ist beim Lesen des Buchs durchweg spürbar. Es ist das erste publizierte Behandlungsmanual für die Integration von Einzel- und Gruppenschematherapie und enthält die wesentlichen Informationen, die Therapeuten brauchen, um Behandlungsprogramme dieser Art zu entwickeln und umzusetzen. Das Programm kann für intensivere Behandlungssettings wie stationäre Therapie und Tagesklinik in zeitlich verdichteter Form durchgeführt oder für die ambulante Behandlung auf ein Jahr verteilt werden. Man kann auch mit einer höheren Sitzungszahl pro Woche beginnen, um die Frequenz dann zu senken und gegebenenfalls zur ambulanten Therapie überzugehen. Zur Nutzerfreundlichkeit des Buchs tragen bei: konkrete Beschreibungen von Gruppen- und Einzelsitzungen, Beispieltexte dafür, wie Therapeuten den Patienten zentrale ST-Konzepte in leicht verständlicher Sprache nahebringen können, und außerdem Handouts für Patienten, Hausaufgaben und Übungen. Die Materialien sind sowohl in diesem Buch selbst enthalten als auch auf der Verlags-Website verfügbar, wo sie für die Arbeit mit Patienten heruntergeladen werden können.

Die Gelegenheit, als Teilnehmer die GST hautnah selbst zu erleben, erhielt ich bei einem Weiterbildungs-Workshop für fortgeschrittene Schematherapeuten, den Joan und Ida zusammen mit Neele auf meine Einladung an unserem New Yorker Institut abhielten. Nach dieser Erfahrung bin ich noch überzeugter von dem Potenzial, das die ST in einer Gruppe entfalten kann, und würde sehr gern selbst eine ST-Gruppe leiten, sobald ich mir die notwendigen Fertigkeiten angeeignet habe. Joan Farrell ist eine herausragende Schematherapeutin, die für die Gesamtgruppe „stabiles Fundament“, emotionales Zentrum und „Pädagogin“ ist – eine Rolle, die ich wohl irgendwann auch selbst ausfüllen könnte, sobald ich die nötige Erfahrung gesammelt habe. Wirklich faszinierend fand ich auch die außergewöhnliche Art, in der Ida Shaw mit der Gruppe arbeitete – vielleicht weil ihr Stil so anders ist als mein eigener oder auch der von Joan. Der Grad an Originalität, Kreativität und Spontaneität, den sie in das Gruppengeschehen hineinträgt, ist schwer in Worte zu fassen. Sie ist fähig, Elemente von Gestalttherapie, Psychodrama und Rollenspiel mit ihrem eigenen mitreißenden Spielstil zu einer Verfahrensweise zu verschmelzen, der den hohen Anforderungen der Arbeit mit Schemamodi perfekt entspricht und die Patienten ermuntert, tiefgreifende Veränderungen in Angriff zu nehmen. Die in diesem Manual beschriebenen Gruppenübungen geben Schematherapeuten die Möglichkeit, einige der einzigartigen Vorgehensweisen Idas selbst auszuprobieren. Neele Reiss fügt all dem die Perspektive der „nächsten Generation“ von Schematherapeutinnen hinzu, die darauf brennt, die ST zu praktizieren und empirisch zu untermauern. Neele war maßgeblich an Studien zur stationären Anwendung des integrierten Behandlungsmodells bei BPS-Patienten beteiligt (Reiss et al., 2014; Reiss et al., 2013) und erkundet derzeit unter anderem den Einsatz von ST-Interventionen bei Problemen wie Sucht und Essstörungen.

Ich lege dieses ausgezeichnete Handbuch allen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ans Herz, die bei ihren Patienten mit komplexen, chronischen und schwer zu behandelnden Störungen konfrontiert sind – insbesondere allen, die nach einer evidenzbasierten, kosteneffizienten Alternative zu bestehenden Therapieansätzen Ausschau halten. Dies ist Pflichtlektüre für alle, die sich für Schematherapie, die Behandlung der BPS und anderer Persönlichkeitsstörungen, für Gruppentherapie und für neue Ansätze zur Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie interessieren.

Jeffrey Young, PhD

Schema Therapy Institute of New York

Columbia University, Fakultät für Psychiatrie

März 2014

Dank

Dieses Buch ist die Krönung unserer Zusammenarbeit mit Neele Reiss, die im Jahr 2008 ihren Anfang nahm, als wir bei der Konferenz der Internationalen Gesellschaft für Schematherapie in Portugal entdeckten, dass es auf der Welt noch andere Leute gab, die Schematherapie in Gruppen anwandten. Wir haben seitdem viele gemeinsame Stunden mit Diskutieren, Lachen und Eisessen verbracht, und es ist eine Freundschaft gewachsen, die uns sehr am Herzen liegt. Wir danken Arnoud Arntz, der uns Mentor, Förderer und Freund ist, Jeff Young für anregende Gespräche, Unterstützung und Ermutigung und Wendy Behary dafür, dass sie die mühevolle Aufgabe des Schreibens so mitfühlend kommentierte, und für ihren Humor in Momenten, in denen wir ihn gut brauchen konnten.

Die Therapeutinnen und Therapeuten, die bei uns eine Ausbildung durchlaufen haben, haben zu diesem Behandlungsmanual Wesentliches beigetragen, weil wir als Dozentinnen die Art und Weise, in der wir Gruppenschematherapie praktizieren, explizit und nachvollziehbar machen mussten. Vor allem danken wir unseren Patientinnen und Patienten, die uns gelehrt haben, was wir über ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten wissen mussten und was ihnen weiterhalf.

Ein besonderer Dank geht von Joan an Elke und Siegbert Reiss für ihre herzliche Gastfreundschaft, das wunderbare Essen und den guten Wein, die sie während einer intensiven Schreibphase genossen hat, und für die Lektionen in deutscher Geschichte und die Ausflüge in den dringend benötigten Arbeitspausen.

Joan Farrell und Ida Shaw

Dieses Buch mit meinen Freundinnen Joan und Ida zu schreiben war wie eine wundervolle Reise, auf der wir viele Entdeckungen gemacht haben. Ich möchte euch für die Zusammenarbeit dieser letzten Jahre und unsere enge Freundschaft danken.

Mein Dank geht auch an Friederike Vogel, von der ich, seit wir unsere Zusammenarbeit begonnen haben, stets große kollegiale Unterstützung erfahren habe und die für mich zu einer geschätzten Freundin geworden ist. Außerdem möchte ich allen meinen Patientinnen und Patienten danken – ohne sie hätte ich nie gelernt, Schematherapie und Gruppenschematherapie zu praktizieren.

Last, not least möchte ich meiner Familie danken, vor allem meinem Vater Siegbert und meiner Mutter Elke, und meiner besten Freundin Steffi – für eure Geduld und euren Rat. Ihr habt mir geholfen, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, wenn das nötig war, und mir jederzeit bedingungslosen Rückhalt gegeben. Ich weiß, auf euch kann ich zählen.

Neele Reiss

Hinweise zur Anwendung dieses Buches

Verwendete Icons

Folgende Icons finden Sie im Text:

Beispielskript. Beispielhafte Formulierungen zu den einzelnen Sitzungen, die flexibel zu handhaben sind, sollen Ihnen das verständliche Vermitteln der Inhalte erleichtern.

Tipps für Therapeuten. Hier werden Sie im Vorfeld auf eventuelle Probleme oder Stolpersteine aufmerksam gemacht sowie auf Möglichkeiten, diese frühzeitig zu umgehen.

Instruktionen für Therapeuten. Detaillierte Instruktionen für die Gestaltung der Sitzungen sind hier zu finden.

Hinweise für Therapeuten. Weitere allgemeine Hinweise, wie Sie in die effiziente Leitung von ST-Gruppen einsteigen können, finden Sie hier. Das vorgestellte Konzept ist jedoch nicht als starres Raster zu verstehen, sondern soll volle Flexibilität ermöglichen. Die Arbeit mit Menschen erfordert immer einen individuellen Einsatz.

Abkürzungen im Überblick

Die im Buch verwendeten Abkürzungen sind in der Regel selbsterklärend und können schnell gemerkt werden. Für ein schnelles Auffrischen eignet sich der folgende Überblick:

BPS

Borderline-Persönlichkeitsstörung

DBM

Distanzierter Beschützermodus

DBT

Dialektisch-Behaviorale Therapie

DyEM

Dysfunktionaler Elternmodus

ED-ST

Psychoedukative Informationssitzungen zur Schematherapie

EMA

Erlebensbasierte Modus-Arbeit

EMS

Early Maladaptive schemas – frühe maladaptive Schemata

EST

Einzelschematherapie

FEM

Fordernder Elternmodus

GE

Guter Elternmodus

GEM

Gesunder Erwachsenenmodus

GLM

Glücklicher Kindmodus

GST

Gruppenschematherapie

IKM

Impulsiver Kindmodus

KVT

Kognitive Verhaltenstherapie

MB

Modus-Bewusstsein

MBM

Maladaptiver Bewältigungsmodus

MM

Modus-Management

MMP

Modus-Management-Plan

SEM

Strafender Elternmodus

SMI

Schemamodus-Inventar

ST

Schematherapie

T 1

Therapeutin / Therapeut 1

T 2

Therapeutin / Therapeut 2

VKM

Verletzlicher Kindmodus

WILL

Willkommensgruppe

WKM

Wütender Kindmodus

1. Einführung

In diesem Handbuch stellen wir ein Modell für die Integration von schematherapeutischer Einzel- und Gruppenbehandlung vor. Das Modell ist transdiagnostisch, das heißt störungsübergreifend, und darauf angelegt, dass es in verschiedenen Settings und in Behandlungsprogrammen unterschiedlicher Dauer umgesetzt werden kann. Das Buch bietet Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einen praxisorientierten Leitfaden, der vor allem auf klinische Kontexte ausgerichtet ist. Es werden Beispieltexte angeboten, an denen Sie sich im Gespräch mit Patientinnen und Patienten orientieren können, detaillierte Instruktionen für die Gestaltung der Sitzungen sowie Informations- und Arbeitsblätter für jede Einzel- und Gruppensitzung.

1.1 Das Grundkonzept

Die Schematherapie (ST), die Jeffrey E. Young (1990, dt. 2012; Young, Klosko & Weishaar, 2003, dt. 2008) ursprünglich für die Einzelpsychotherapie entwickelt hat, ist ein Ansatz, der sich für die Behandlung eines breiten Spektrums von psychischen Störungen eignet und der kognitive und erlebensbasierte oder emotionsfokussierte Techniken mit Interventionen zum Aufbrechen von Verhaltensmustern verbindet. Dieses übergreifende Modell integriert planvoll und gezielt Aspekte anderer Ansätze miteinander, behält dabei aber ein eigenes Profil. Das Konzept der ST wurde auf die Arbeit mit Gruppen übertragen (Farrell & Shaw, 2012, dt. 2013; Reiss & Vogel, 2010; Muste, Weertman & Claassen, 2009). Die Wirksamkeit der Einzelschematherapie (EST) und der Gruppenschematherapie (GST) bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) wurde empirisch bestätigt (Giesen-Bloo et al., 2006; Farrell, Shaw & Webber, 2009; Reiss et al., 2014; Nadort et al., 2009). Die ST basiert auf einem transdiagnostischen Modell. Ihre Eignung für die Behandlung von ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung, sozialen Ängsten, Essstörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung, Narzissmus, antisozialer Persönlichkeitsstörung, Substanzmissbrauch und Psychopathie ist Gegenstand internationaler Forschungsbemühungen. Die Beurteilung der ST fällt sowohl bei Patienten als auch bei Therapeuten positiv aus (Spinhoven et al., 2007). Außerdem liegen immer mehr empirische Belege für die Kosteneffizienz der Einzelschematherapie vor (Giesen-Bloo et al., 2006; Nadort et al., 2009). Da aber eine spezialisierte einzeltherapeutische Behandlung im derzeitigen gesundheitsökonomischen Kontext nur begrenzt verfügbar ist, kann auch die Einzelschematherapie nicht in größerem Umfang zum Einsatz kommen. Die Evaluation eines Konzepts, das GST-Sitzungen und eine geringere Anzahl von EST-Sitzungen im Rahmen eines strukturierten Programms miteinander kombiniert, hat vielversprechende Resultate erbracht (Muste, Weertman & Claassen, 2009; Reiss et al., 2014). Die Kombination von schematherapeutischen Gruppensitzungen mit einer strategisch platzierten geringeren Anzahl von Einzelsitzungen eröffnet die Möglichkeit, die erfolgversprechende Behandlungsform der Schematherapie für eine größere Bandbreite von Settings verfügbar zu machen.

Das Konzept eines durchstrukturierten kombinierten Therapieprogramms wurde ursprünglich für die stationäre Behandlung von Patienten mit schweren psychischen Störungen entwickelt (Reiss et al., 2014), lässt sich aber bei einem breiten Spektrum von Störungsbildern und Behandlungssettings sowie zeitlich variabel einsetzen. In idealer Weise geeignet ist das Konzept zum Beispiel für Patientengruppen mit Persönlichkeitsstörungen oder Persönlichkeitsstörungs-Merkmalen, mit chronischen oder komplexen psychischen Problemen oder mit einer Vorgeschichte multipler Traumatisierung sowie für Patienten, bei denen andere Behandlungsansätze wirkungslos geblieben sind. Bei diesen Patienten werden im Allgemeinen intensive therapeutische Anstrengungen unternommen, doch ihre Lebensqualität bleibt tragischerweise weit hinter dem Potenzial zurück, das eigentlich in ihnen steckt. Ein Vorteil der Schematherapie liegt darin, dass sie nicht an bestimmten Symptomen oder Störungen ansetzt, sondern an maladaptiven Schemamodi. Somit ist sie unabhängig von psychiatrischen Diagnosen und bevorstehenden Änderungen diagnostischer Klassifikationssysteme. Unser Behandlungsprogramm kann in der stationären Therapie, in einer Tagesklinik, in einem ambulanten Intensivsetting wie auch in der allgemeinen ambulanten Behandlung mit jeweils unterschiedlicher Sitzungsfrequenz umgesetzt werden. Wenn ein ambulantes Behandlungsprogramm mit einer Abfolge von intensiven Sitzungen eingeleitet wird, kann dies der Therapie von Patienten mit fest eingewurzelten maladaptiven Bewältigungsstrategien, aus denen die massiven und manchmal lebensbedrohlichen Symptome von Störungen wie der BPS entstehen, starke Anschubimpulse geben. Sämtliche in diesem Buch vorgestellten Handouts sind auch im Kontext einer schematherapeutischen Einzelbehandlung einsetzbar, und ein Teil davon lässt sich auch innerhalb anderer Psychotherapiemodelle verwenden. Die erlebnisbasierten Interventionen zum Beispiel können eine kognitive Therapie ergänzen und so bei der Behandlung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und komplexen Traumata eine Lücke dieses Ansatzes füllen helfen.

Das Konzept unseres Handbuchs steht im Einklang mit der Theorie der Einzelschematherapie (Young, Klosko & Weishaar, 2003) und der Gruppenschematherapie (Farrell & Shaw, 2012). Wie die meisten Psychotherapieverfahren, die mehr als nur die Aneignung von Fertigkeiten verlangen, so erfordert auch die Schematherapie eine spezialisierte Ausbildung, damit Maßstäbe von Therapietreue und Kompetenz erfüllt werden können. Wir wollen mit diesem Manual die Einzel- und Gruppenschematherapie sowie die Integration beider Ansätze für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verschiedenster theoretischer Ausrichtung zugänglich machen, gerade auch für diejenigen, die in intensiven Therapiesettings wie stationären Einrichtungen und Tageskliniken arbeiten. Das Handbuch bietet eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für ein schematherapeutisches Basisprogramm, das EST- und GST-Sitzungen miteinander integriert. Das Behandlungsprogramm enthält Kernelemente der Schematherapie wie: begrenzte elterliche Fürsorge (auch als begrenzte Nachbeelterung bezeichnet; engl. limited reparenting), psychoedukative Heranführung an das ST-Modell, Arbeit an Modus-Bewusstheit und Modus-Management und Veränderungsarbeit, die auf das Aufbrechen kognitiver, erlebensbasierter und verhaltensbezogener Muster zielt. Das Verfahren lässt sich bei Patienten anwenden, die verschiedensten diagnostischen Gruppen zuzurechnen sind. Es setzt sich aus 12 Einzelsitzungen und 42 Gruppensitzungen zusammen. Wir beschreiben jede der Sitzungen unter folgenden Aspekten: Ziele; therapeutische Interventionen; Tipps zur Gestaltung; modifizierbare Sitzungsskripte, die das Therapieteam für seine Zwecke abwandeln kann; dazugehörige Informationsblätter, ST-Übungen und Hausaufgaben für die Patienten. Die Einzelsitzungen sind so konzipiert, dass sie zum einen die Gruppenarbeit ergänzen und zu dem Schemamodus passen, der gerade im Mittelpunkt steht, und zum anderen Raum dafür bieten, auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten einzugehen. Ein durchgängiges Thema ist, wie der Schwerpunkt der Einzeltherapie und der Schwerpunkt der Gruppentherapie gegeneinander ausbalanciert werden können. Diese konkreten Empfehlungen können Therapeuten, für die die Schematherapie Neuland ist, darin unterstützen, Sitzungen souverän zu leiten und die Gruppenarbeit auf effektive Weise mit der Einzelarbeit zu koordinieren. Therapeuten, die mit der Einzelschematherapie bereits Erfahrung gesammelt haben, erhalten Hinweise, wie sie in die effiziente Leitung von ST-Gruppen einsteigen können. Das Konzept stellt kein starres Raster für das therapeutische Vorgehen dar, sondern gibt vielmehr einen Bezugsrahmen vor, der Flexibilität mit Standardisierung verbindet. Das strukturierte, aber anpassungsfähige Format erfüllt verschiedene Zwecke: Das Manual lässt sich als detaillierter Plan dafür nutzen, in intensivtherapeutischen Settings ein strukturiertes Kombinationsprogramm mit Einzel- und Gruppenschematherapie und mehreren Sitzungen pro Woche umzusetzen; es kann in Studien zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren als Forschungsplan dienen; Therapeutinnen und Therapeuten können aber auch nur verschiedene Einzel- oder Gruppensitzungen oder eine Kombination von beiden herausgreifen, um an bestimmten Schemamodi zu arbeiten. Das Konzept kann also als Ganzes umgesetzt oder je nach der Gruppe, mit der jemand arbeitet, in ausgewählten Teilen übernommen werden.

1.2 Die Kapitel

In Kapitel 2 stellen wir die Grundgedanken des ST-Modells vor, das Young (Young, Klosko & Weishaar, 2003) ursprünglich für die Einzeltherapie entwickelt hat, sowie das von Farrell und Shaw (2012) erarbeitete modifizierte Modell für die Gruppentherapie. Wir erläutern die Ziele der ST, die therapeutische Haltung der begrenzten elterlichen Fürsorge und die Kernelemente des Modells, gehen auf den Ansatz einer Kombination von Einzel- und Gruppensitzungen ein und umreißen den allgemeinen Verlauf und die Phasen dieses Behandlungsprogramms. In Kapitel 3 geht es dann um einige wesentliche Aspekte des Behandlungsprogramms: Auswahl der Patienten mit Aufnahme- und Ausschlusskriterien; Rolle der Therapeuten; das Milieu, das heißt die materiellen Umgebungsbedingungen und das multidisziplinäre Behandlungsteam; die Länge der Sitzungen und des Behandlungsprogramms; die möglichen Zeitpläne und Formate für die Durchführung des Programms in verschiedenen Settings. In Kapitel 4 erläutern wir, gegliedert nach Modulen, die Gruppensitzungen mit Mustertexten für das Therapieteam und mit den Arbeitsmaterialien für die Patienten (Handouts, Gruppenübungen, Hausaufgaben). Kapitel 5 stellt die zwölf Einzelsitzungen vor mit Erläuterungen zur jeweiligen Thematik, Mustertexten und Handouts. In Kapitel 6 befassen wir uns mit Empfehlungen für Ausbildung und Supervision von ST-Therapeuten. Wir fassen die bisherige Forschung zusammen und geben einen kurzen Überblick über die Studien, die im Gange waren, als wir dieses Buch schrieben.

Innerhalb der Literatur zur Schematherapie nimmt unser Buch insofern eine Sonderstellung ein, als es ein komplettes und direkt umsetzbares Behandlungsprogramm vorstellt. Es zielt nicht auf ein bestimmtes Störungsbild. Wir gehen sowohl auf die Einzelschematherapie als auch auf die Gruppenschematherapie ein und beschränken uns nicht auf eine der beiden Behandlungsmodalitäten. Leserinnen und Leser, die sich für die theoretischen Grundlagen und die Anwendung auf bestimmte Störungsbilder interessieren, finden entsprechende Hinweise im Literaturverzeichnis.

2. Grundlagen der Schematherapie

2.1 Das Theoriemodell

Das Therapiekonzept, das wir in diesem Handbuch beschreiben, liegt auf der Linie der von Young, Klosko und Weishaar (2003) vorgestellten theoretischen Überlegungen, Behandlungskomponenten und Ziele. Wir fassen das Modell der Schematherapie (ST) hier nur kurz zusammen und verweisen die Leserinnen und Leser auf das genannte Buch, in dem das einzeltherapeutische ST-Modell und seine Anwendung näher ausgeführt sind. Die ST ist aus den Bemühungen von Young und anderen heraus entstanden, Patientinnen und Patienten, die unter Persönlichkeitsstörungen leiden, und auch diejenigen, die auf die traditionelle kognitive Therapie nicht ansprechen oder in ihre vorherige Symptomatik zurückfallen, wirksamer zu behandeln. Die ST gründet auf einer schulenübergreifenden, strukturierten und systematischen Betrachtungsweise. Weil sie eine integrative Behandlungsform ist, bestehen Überschneidungen mit anderen Psychotherapieansätzen wie der kognitiven und der psychodynamischen Psychotherapie, der Objektbeziehungstheorie und der Gestalttherapie, doch deckt sie sich mit keinem dieser anderen Modelle.

In Abbildung 2.1 ist das von der ST postulierte psychopathologische Ätiologiemodell zusammengefasst. Wenn die normalen, gesunden Entwicklungsbedürfnisse eines Kindes nicht erfüllt werden, bilden sich maladaptive Schemata heraus. Das psychologische Konstrukt des maladaptiven Schemas umfasst ein kognitives Netzwerk (im Gehirn), in dem Emotionen, Überzeugungen, Erinnerungen, Erregungsmuster etc. abgespeichert sind, die sich auf uns selbst, andere Menschen und die Welt beziehen und aus Wechselwirkungen zwischen unerfüllten kindlichen Grundbedürfnissen, angeborenem Temperament und frühkindlicher Umwelt hervorgehen. In der ST betrachten wir diese Interaktionen unter dem Aspekt der Plastizität oder der differenziellen Ansprechbarkeit. Schemata bestehen aus Erinnerungen, körperlichen Empfindungen, Emotionen und Kognitionen, die ihren Ursprung in der Kindheit haben und im Verlauf unseres Lebens weiter ausgestaltet werden. In der Kindheit helfen die Schemata oft bei der Anpassung an die Umwelt (z. B. um das Überleben des Kindes bei Misshandlung und Missbrauch zu sichern – wenn es sich selbst für unzulänglich hält, erscheint ihm seine Lage weniger hoffnungslos, als wenn es die Erwachsenen für unzulänglich hält). Später, im Erwachsenenalter sind die maladaptiven Schemata dann unangemessen, nicht hilfreich und einengend, wobei die Person entschlossen an ihnen festhält, oft ohne sich ihrer bewusst zu sein. Young (1990, dt. 2012; Young, Klosko & Weishaar, 2003, dt. 2008) arbeitete bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen 18 frühe maladaptive Schemata (early maladaptive schemas, EMS) heraus (Tabelle 2.1). Die Patienten-Materialien für das Modul mit den Informationssitzungen zur ST (ED-ST, Sitzungen 1–5) dienen dazu, die Schemata individuell zu definieren.

Abbildung 2.1: Schematherapeutische Ätiologie psychischer Störungen

Beeinträchtigung von sicherer Bindung und Sicherheit

Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung

Misstrauen / Missbrauch

Abhängigkeit / Inkompetenz

Emotionale Entbehrung

Anfälligkeit für Schädigungen / Krankheiten

Unzulänglichkeit / Scham

Verstrickung / unentwickeltes Selbst

Soziale Isolation / Entfremdung

Versagen

Verlassenheit / Instabilität

Beeinträchtigung von Grenzen / Disziplin

Beeinträchtigung im freien Ausdruck von Emotionen und Bedürfnissen

Anspruchshaltung / Grandiosität

Unterwerfung

Ungenügende Disziplin

Selbstaufopferung

Streben nach Zustimmung / Streben nach Anerkennung

Beeinträchtigung von Selbstausdruck / Spiel

Negativität / Pessimismus

Strafneigung

Emotionale Gehemmtheit

Unerbittliche Standards

Tabelle 2.1: Schemata, gegliedert nach Inhaltsaspekten

Wenn maladaptive Schemata aktiviert werden, setzen intensive Zustände ein, die wir in der ST als „Schemamodi“ bezeichnen. Ein Schemamodus ist definiert als der aktuelle Zustand einer Person auf den Ebenen von Emotionen, Kognitionen und des Verhaltens, in dem sich eine Person befindet. Am häufigsten treten Modi dann auf, wenn mehrere maladaptive Schemata gleichzeitig aktiviert sind. Wir unterscheiden vier Grundkategorien von Modi (Tabelle 2.2).

Angeborene Kindmodi

Vulnerables Kind1

Wütendes / Impulsives Kind

Angeborene Reaktionen auf die Nichterfüllung von Bedürfnissen

Dysfunktionale Elternmodi

Strafender Elternteil

Fordernder Elternteil

Selektive Internalisierung von negativen Aspekten früher Bezugspersonen

Maladaptive Bewältigungsmodi

Vermeidende Bewältigungsmodi (z. B. Distanzierter Beschützer)

Überkompensierende Bewältigungsmodi

Sich unterwerfender Bewältigungsmodus (Compliant Surrenderer)

In zu starkem Maß eingesetzte Überlebensreaktionen auf Traumata oder Nichterfüllung von Bedürfnissen: Kampf, Flucht und Erstarren

Gesunde Modi

Glückliches Kind

Gesunder Erwachsener

Nicht hinreichend entfaltet

Tabelle 2.2: Grundlegende Schemamodi

Primäre oder angeborene Kindmodi (Vulnerables Kind, Wütendes Kind und Impulsives Kind) treten zutage, wenn emotionale Grundbedürfnisse des Kindes (etwa nach Sicherheit, Fürsorge oder Autonomie oder angemessener Grenzsetzung) nicht in angemessener Weise erfüllt werden. Diese Kindmodi sind gekennzeichnet durch intensive Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit oder Zorn und bauen auf den angeborenen Reaktionen eines Kindes auf. Dysfunktionale Elternmodi (Strafender Elternteil oder Fordernder Elternteil) bilden die zweite Modus-Kategorie. Sie beruhen auf der selektiven Internalisierung negativer Aspekte von Bindungsfiguren (wie Eltern, Lehrern, Gleichaltrigen) in Kindheit und Jugend. Die dritte Kategorie, die die maladaptiven Bewältigungsmodi umfasst, ist definiert durch einen übermäßigen Einsatz ungünstiger Bewältigungsstile (Kampf – Überkompensation; Flucht – Vermeidung; Erstarren – Unterwerfung). Diese dienen alle dem Ziel, die Person vor dem Erleben von Schmerz, Angst oder Furcht zu schützen. Die maladaptiven Bewältigungsmodi operieren außerhalb der bewussten Wahrnehmung; ein Ziel der ST besteht darin, dass Patienten sich ihrer Bewältigungsmodi bewusst werden und sich gesündere, für die Umweltanpassung nützlichere Bewältigungsreaktionen aneignen. Die Vorstellung von maladaptiven Bewältigungsmodi knüpft an das Konzept der Abwehrmechanismen an, das in der kognitiven Therapie bislang unberücksichtigt blieb, und ermöglicht Therapeuten und Patienten ein tieferes Verständnis von Persönlichkeitsstörungen. Der überkompensierende Bewältigungsstil („Überkompensierende Bewältigungsmodi“ oder „Überkompensierer“) umfasst Modi, in denen eine Person die Grenzen anderer verletzen kann. Ein Beispiel dafür ist der Modus Schikanierender Angreifer (Bully & Attack), in dem die Person für das Leid, das sie selbst durch die Aktivierung eines Schemas erfährt, Vergeltung übt, indem sie anderen Leid zufügt. Der vermeidende Bewältigungsstil („Vermeidende Bewältigungsmodi“) ist durch körperliches, psychisches oder soziales Rückzugs- und Vermeidungsverhalten gekennzeichnet. Zu den Vermeidungsmodi zählt der Distanzierte Beschützer, der sich am einen Ende des Spektrums lediglich darin niederschlägt, dass die Person „leicht weggetreten“ ist oder den Fokus einer Interaktion kurz aus den Augen verliert, der aber am anderen Ende auch eine massive Dissoziation bewirken kann. Dieser Modus ist bei Therapiebeginn sehr häufig präsent, weil er darauf abzielt, das Vulnerable Kind gegen überwältigende Angst oder schmerzliche Empfindungen abzuschirmen. Der dritte Bewältigungsstil ist die Unterwerfung („Sich unterwerfender Bewältigungsmodus“ oder „Compliant Surrender“), bei der die Person sich dem Gegenüber fügt oder vor ihm kapituliert.

Die vierte Kategorie der gesunden und hilfreichen Modi besteht aus den Modi des Gesunden Erwachsenen und des Glücklichen Kindes. Der Gesunde Erwachsenenmodus umfasst zweckdienliche Gedanken und Verhaltensweisen und die für das Zurechtkommen im Erwachsenenleben benötigten Fertigkeiten. Der Glückliche Kindmodus ist eine Quelle für spielerische und angenehme Aktivitäten, vor allem im sozialen Miteinander. Viele Patienten durften als Kinder nicht spielen oder wurden nicht dazu ermuntert, sodass sie keine Gelegenheit hatten, die eigenen Vorlieben und Abneigungen zu erkunden und die frühesten Formen der sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen zu erleben. Bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder Merkmalen von Persönlichkeitsstörungen sind die gesunden Modi oft völlig unterentwickelt.

Häufig werden Modi von Ereignissen mobilisiert, die mit starken Emotionen verknüpft sind. Bei Patienten mit starken Persönlichkeitsstörungen können Modi schlagartig wechseln, was zu plötzlichen Umschwüngen im Verhalten oder zu überzogen wirkenden Reaktionen führt, die zu den zwischenmenschlichen Schwierigkeiten der Patienten und zur Instabilität ihres Gefühlslebens und ihres Verhaltens beitragen. Modi können auch zu starren, festgefügten Mustern werden, so etwa bei vielen Patienten, deren Verhalten von Vermeidungsstrategien dominiert ist. Viele häufig zu beobachtende ungünstige Bewältigungsstrategien lassen sich unter dem Modus-Aspekt betrachten: Aggression, Feindseligkeit, Manipulation, Ausnutzung, Dominanz, Streben nach Zustimmung und Beachtung, Suche nach starken Reizen, Impulsivität, Substanzmissbrauch, Fügsamkeit, Abhängigkeit, Eigenbrötelei, Zwanghaftigkeit, Gehemmtheit, psychische Abkapselung, soziale Isolation oder Vermeiden von Situationen und Emotionen.

Wir können die Symptome einer Persönlichkeitsstörung unter dem Aspekt betrachten und beschreiben, welche Modi jeweils wirksam sind. Ein Beispiel dafür ist die schematherapeutische Konzeptualisierung der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Der emotionale Zustand im Vulnerablen Kindmodus ist von Verlassenheitsängsten bestimmt. Im Wütenden und im Impulsiven Kindmodus verspürt die Person heftige Emotionen, z. B. Wut, die sie dann manchmal in unbeherrschter Weise äußert. Der Impulsive Kindmodus kann in Handlungen münden, die anderen Schaden zufügen und auch zu anderen Verhaltensweisen führen, die der Person schaden (z. B. impulsiver Drogenkonsum). Eine weitere Quelle von selbstverletzendem Verhalten sind die dysfunktionalen Elternmodi; das Kind in uns beugt sich damit dem elterlichen Diktat, laut dem wir Strafe verdienen oder eine Enttäuschung sind. Die Elternmodi können auch zu einem Suizidversuch beitragen, wenn sie dem Patienten jede Hoffnung nehmen und er sich aufgrund ihrer Urteile elend und wertlos fühlt. Der Bewältigungsmodus des Distanzierten Beschützers kann zu selbstverletzendem Verhalten führen, insbesondere zum Ritzen oder Verbrennen der Haut, um etwas anderes als emotionalen Schmerz bzw. nichts mehr zu spüren. Er liefert eine Erklärung für das Empfinden einer unerträglichen inneren Leere, das unter Umständen auch in einen Suizidversuch münden kann. Wenn wir von unseren Gefühlen, die einen zentralen Teil unseres Wesens ausmachen, abgeschnitten sind, fehlt unserer Identität die Stabilität. Die bei BPS-Patienten zu beobachtende emotionale Reaktivität und die daraus folgende Instabilität ihrer Beziehungen lassen sich zum Teil auf den schnellen Wechsel zwischen Modi (Modus-Flipping) zurückführen.

Auch andere Persönlichkeitsstörungen und psychische Probleme lassen sich mit dem Konzept der Modi gut beschreiben. Es bietet eine patientengerechte, verständliche Sprache und zeigt Therapeuten auf, wo sie mit ihren Interventionen am besten ansetzen können. Die Sprache des Modus-Konzepts lenkt die Aufmerksamkeit weniger auf die Psychopathologie als auf die Rolle des Lernens und weckt in den Patienten die Hoffnung auf Veränderung.

2.2 Ziele und Phasen der Schematherapie

Young, Klosko & Weishaar (2003) fassen die primären Behandlungsziele so zusammen, dass wir Patienten helfen wollen, sich aus maladaptiven Lebensmustern zu lösen und durch die Veränderung von Schemata und Modi dahin zu kommen, dass sie in ihrem Alltag ihre Grundbedürfnisse in einer situationsadäquaten Weise befriedigen können. Die Ziele der Schematherapie gehen über die Vermittlung von Verhaltensfertigkeiten hinaus, denn sie schließen die grundlegende Arbeit der Persönlichkeitsveränderung ein. Aus schematherapeutischer Sicht kann Persönlichkeitsveränderung dadurch zustande kommen, dass wir die Intensität von maladaptiven Schemata verringern, die unter- und übermodulierte, als Modi bezeichnete Gefühls- und Handlungszustände auslösen. Wenn diese intensiven Zustände getriggert werden, hindert dies den Patienten daran, situationsadäquate Bewältigungsstrategien oder zwischenmenschliche Fertigkeiten einzusetzen, mit denen er sein Potenzial entfalten und seine Lebensqualität erhöhen könnte. In den Begriffen der einzelnen Modi lassen sich die Therapieziele wie folgt präzisieren:

Den Gesunden Elternmodus entfalten, damit der Patient zu Folgendem fähig wird:

1. Er ist in der Lage, gut für das Vulnerable Kind in sich zu sorgen. Wenn sich aufgrund unerfüllter Kindheitsbedürfnisse Angst, Traurigkeit oder Einsamkeit einstellen, kann er auf die Kompetenz des Gesunden Erwachsenen zugreifen.

2. Er kann beruhigend auf die maladaptiven Bewältigungsmodi einwirken und sie mit anderen Strategien ersetzen. Er ist beispielsweise in der Lage, aufsteigende Emotionen zuzulassen, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten und seine Bedürfnisse zu äußern. Er entscheidet sich für Bewältigungsstrategien, die seinen Bedürfnissen und der Realität seines Erwachsenenlebens entsprechen, anstatt immer wieder in maladaptive Bewältigungsmodi wie Vermeidung zurückzufallen.

3. An die Stelle des Verhaltens im Wütenden und Impulsiven Kindmodus treten angemessene und wirkungsvolle Formen, in denen er seine Emotionen und Bedürfnisse artikuliert, sodass er zum Beispiel fähig ist, Bedürfnisse auf selbstbewusste, erwachsene Art geltend zu machen und Wut in einer gesunden Weise zu äußern.

4. Er bekämpft und verbannt den Strafenden Elternmodus, entledigt sich der verinnerlichten strengen Richter und setzt an ihre Stelle die Fähigkeit, sich selbst in gesunder, positiver Weise zu motivieren, die eigenen Fehler zu akzeptieren und sie, wenn nötig, wiedergutzumachen. Er mildert den Fordernden Elternmodus ab, damit dessen Erwartungen und Maßstäbe realitätsgerecht werden.

Wir fügen ein fünftes Ziel hinzu:

5. Er ist in der Lage, den Glücklichen Kindmodus zuzulassen und seine Umwelt zu erkunden, um herauszufinden, was ihm im Leben Freude macht, und er kann es sich erlauben zu spielen.

Die ST geht diese Ziele in mehreren Stufen an. Die Phasen und Ziele jeder Stufe lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Bindungsaufbau und emotionale Regulation:

die Wunden des Vulnerablen Kindes heilen;

alternative Strategien zu den maladaptiven Bewältigungsmodi finden;

Affektregulierung und Bewältigungsfertigkeiten weiterentwickeln.

2. Veränderung von Schemamodi:

gegen den Strafenden und den Fordernden Elternmodus angehen;

die Energien des Wütenden und des Impulsiven Kindes in neue Bahnen lenken;

Grenzen setzen;

gut mit Krisen umgehen.

3. Autonomie:

Individuation: den eigenen Neigungen folgen;

gesunde Beziehungen aufbauen;

schrittweise Therapiebeendigung mit der Option, wieder Kontakt aufzunehmen.

2.3 Begrenzte elterliche Fürsorge

Begrenzte elterliche Fürsorge (auch als begrenzte Nachbeelterung bezeichnet; engl. limited reparenting) ist sowohl ein therapeutischer Stil als auch ein wirksamer Bestandteil der Modus-Veränderungsarbeit. Sie ist so definiert, dass wir in der Therapie handeln, wie gute Eltern dies tun würden, um innerhalb der angemessenen Rahmenbedingungen einer therapeutischen Beziehung die hinter einem Kindmodus stehenden Bedürfnisse zu erfüllen. Das bedeutet, dass das Vulnerable Kind von uns Schutz, Validierung und Trost erwarten kann, dass das Wütende Kind Gelegenheit erhält, seinem Ärger Luft zu machen und gehört zu werden, und dass wir das Impulsive Kind durch empathische Konfrontation und Grenzensetzen unterstützen. Begrenzte elterliche Fürsorge ist eine Kernkomponente der ST und gilt als eines der Elemente, auf denen ihre Wirkung beruht. Begrenzte elterliche Fürsorge wird oft als „das Herz der ST“ bezeichnet.

Die Vorgehensweise von Schematherapeuten lässt sich so zusammenfassen, dass sie „das tun, was gute Eltern tun würden“. Zu Beginn der Behandlung ist intensive elterliche Fürsorge erforderlich, weil die Patienten sich oft in einem Kindmodus befinden und der Gesunde Erwachsenenmodus bei ihnen noch schwach entwickelt ist. Später, wenn der Gesunde Erwachsene präsenter ist, ändert sich die Rolle der Therapeuten dahingehend, dass sie wie die Eltern von Jugendlichen und schließlich wie die von Erwachsenen agieren. Für die Patienten ist es dann immer noch notwendig, dass die Therapeuten die Verbundenheit wahren, doch nun können sie einen Teil der elterlichen Fürsorge für sich selbst und füreinander übernehmen. Ausdrucksweise, Differenzierungsgrad und Umsetzung spezifischer ST-Techniken müssen an die jeweilige Entwicklungsstufe, die komorbiden Störungen und das psychische Gesundheitsniveau der Gruppenmitglieder angepasst werden (so kann es sein, dass Patienten mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sich auf bestimmte Techniken und Begriffe, die Borderline-Patienten als hilfreich empfinden, nicht einlassen können). Wenn wir am Vulnerablen Kindmodus arbeiten, klingen wir wie Eltern, die mit einem kleinen verschüchterten Kind sprechen. Wenn wir es mit maladaptiven Bewältigungsmodi zu tun haben, treten wir unter Umständen so bestimmt und streng auf wie ein Militärausbilder (wobei wir stets zu verstehen geben, dass wir die dem Modus zugrunde liegenden Gefühle und Bedürfnisse nachvollziehen können).

Die begrenzte elterliche Fürsorge zielt darauf, eine aktive, unterstützende und authentische Beziehung zum Patienten aufzubauen, die ihm ein sicheres Umfeld bietet, in dem er aus der Deckung kommen und Emotionen und Bedürfnisse äußern kann. Wenn der Therapeut dem Patienten innerhalb der psychotherapeutischen Beziehung begrenzte elterliche Fürsorge zuteilwerden lässt, kann der Patient dank der sicheren Bindung und der präzisen Rückmeldungen durch Spiegelung bedeutsame Lücken im frühen emotionalen Lernen schließen und sich auf diese Weise, oft zum ersten Mal, als respektiert und wertgeschätzt erleben. Anfangs versucht der Therapeut, innerhalb der Grenzen angemessenen beruflichen Handelns, die Defizite in der Erfüllung emotionaler Bedürfnisse auszugleichen. Zu den unzureichend erfüllten Kindheitsbedürfnissen zählen: Geborgenheit, Beständigkeit, Validierung, angemessene Grenzen. Mit der Zeit lernen Patienten durch die Erfahrungen, die sie in der therapeutischen Beziehung machen, sich in effektiver Weise selbst um ihre Bedürfnisse zu kümmern, und entwickeln schließlich Autonomie und konstruktive Interaktionsstrategien. Dieser Umgang mit Bedürfnissen der Patienten steht in scharfem Kontrast zu den meisten anderen Therapiemodellen, die zu früh Wert darauf legen, dass Patienten ihre Bedürfnisse selbst erfüllen. In der ST prüfen wir, wie weit der Gesunde Erwachsenenmodus eines Patienten schon entwickelt ist, und versuchen Lücken im frühen emotionalen Lernen zur Bedürfnisbefriedigung aufzufüllen, indem wir in einer Anfangsphase auf Bedürfnisse unmittelbar eingehen und dadurch neue positive Erfahrungen direkt zugänglich machen. Die neuen Erfahrungen, Interaktionen und impliziten Haltungen, die den Prozess der Erfüllung von emotionalen Grundbedürfnissen ausmachen, werden zu Bausteinen des Gesunden Erwachsenenmodus. Tabelle 2.3 zeigt die Zusammenhänge auf zwischen dem Modus, in dem ein Patient sich befindet, den dahinterstehenden unerfüllten Kindheitsbedürfnissen und den erforderlichen therapeutischen Interventionen.

Schemamodus

Unbefriedigte Kindheitsbedürfnisse

Therapeutisches Vorgehen – begrenzte elterliche Fürsorge

Vulnerables Kind

Erlebt intensive Trauer, Einsamkeit und Angst. Die emotionalen Qualen und Ängste können übermächtig werden und zum schlagartigen Wechsel in maladaptive Bewältigungsmodi führen.

Sichere Bindung (Sicherheit, Vorhersagbarkeit, stabile Basis, Liebe, Fürsorge, Aufmerksamkeit, Akzeptanz, Lob, Mitgefühl, Orientierung, Schutz, Validierung).

Die aufgeführten Bedürfnisse erfüllen: trösten, beruhigen, eine Decke umlegen, in konkreter Weise Verbindung zum Vulnerablen Kind (VK) aufnehmen und sich dabei an sein Entwicklungsniveau anpassen, zuhören, Ängste lindern, einen behutsamen Ton wählen, Unterstützung bieten.

Wütendes Kind

Macht seinem Ärger Luft, in direkter Reaktion auf die Wahrnehmung unbefriedigter Grundbedürfnisse oder auf unfaire Behandlung durch andere.

Kann der Form nach wie ein Wutanfall eines kleinen Kindes wirken.

Anleitung, Validierung von Gefühlen und Bedürfnissen, Setzen realitätsgerechter Grenzen, Hilfe bei Selbststeuerung.

Freiraum, um sich auszudrücken, Validierung von Bedürfnissen und Emotionen.

Zuhören, Äußern von Emotionen unterstützen, zum nicht-destruktiven Äußern von Wut anleiten (z. B. mittels Tauziehen), Grenzen ziehen, um das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln oder um negativen Folgen vorzubeugen. Den Patienten helfen, die unerfüllten Bedürfnisse ausfindig zu machen, auf sie reagieren und Verständnis dafür zeigen, dass sie unter Umständen nicht klar denken können, wenn sie wütend sind.

Impulsives Kind

Gibt im Handeln impulsiv dem Verlangen nach unmittelbarem Lustgewinn nach, ohne auf Grenzen oder die Bedürfnisse anderer (soweit diese nicht mit eigenen Grundbedürfnissen verknüpft sind) Rücksicht zu nehmen.

Setzen realitätsgerechter Grenzen, Hilfe bei Selbststeuerung, Validierung von Gefühlen und Bedürfnissen, Orientierung.

Dem Patienten freundlich, aber bestimmt Grenzen setzen, Orientierung bieten, ihm Übungen zum konstruktiven Spannungsabbau beibringen.

Ihm helfen, das vorhandene Bedürfnis im Hintergrund zu erkennen und vom Wunsch zu unterscheiden.

Glückliches Kind – nicht hinreichend entwickelt

Fühlt sich geliebt, verbunden, zufrieden, befriedigt.

Spontaneität und Spiel.

Fürsorge, Aufmerksamkeit, Validierung, Akzeptanz, Ermunterung zum Erkunden und Spielen.

Sich am Patienten und seiner Verspieltheit freuen und dies nach außen hin zeigen; lächeln, lachen, zum Spielen einladen, mitspielen.

Strafender Elternteil

Engt die Person selbst ein, kritisiert und bestraft sie. Streng, abweisend, Alles-oder-nichts-Urteile.

Die dysfunktionalen Elternmodi unterdrücken und verwerfen die Bedürfnisse des Kindes. Dies kann mit jedem Bedürfnis geschehen, insbesondere aber mit den Bedürfnissen nach Liebe, Fürsorge, Lob, Akzeptanz, Anleitung, Validierung und dem Äußern von Gefühlen.

Die Stimme des Strafenden Elternmodus (SEM) zum Schweigen bringen, dem Modus Grenzen setzen und ihn schließlich verbannen.

Zu den Bedürfnissen des Vulnerablen Kindes (VK) Verbindung aufnehmen und sie unterstützen.

Fordernder Elternteil

Setzt hohe Erwartungen in die Person, verlangt viel Verantwortungsgefühl ab, setzt unter Erwartungsdruck.

Die Stimme infrage stellen; eine Neubewertung anstreben, welche Maßstäbe und Erwartungen angemessen sind.

Zu den Bedürfnissen des Vulnerablen Kindes Verbindung aufnehmen und sie unterstützen.

Vermeidende Bewältigungsmodi (z. B. Distanzierter Beschützer)

Stößt andere von sich weg, kappt Bindungen. Emotionaler Rückzug, Abkapselung, Vermeidungsverhalten.

Jedes nicht beantwortete kindliche Bedürfnis kann einen der maladaptiven Bewältigungsmodi mobilisieren, denen also jede Art von Bedürfnis zugrunde liegen kann. Die Modi sind Abwandlungen der Überlebensreflexe Kampf, Flucht und Erstarren, werden exzessiv eingesetzt und laufen automatisch ab.

Empathische Konfrontation. Das zugrunde liegende Bedürfnis ermitteln; beim Vulnerablen Kind zielt es auf Verbundenheit. Emotionales Auftauen ermutigen.

Überkompensierende Bewältigungsmodi

Bewältigungsstil mit Gegenangriffen und Kontrollbemühungen.

Das unmittelbare Bedürfnis ist das nach Sicherheit und empathischer Konfrontation. Das langfristige Bedürfnis richtet sich darauf, konstruktive Bewältigungsstrategien zu erlernen, die sich für das Erwachsenenleben besser eignen. Dies ist das Ziel der Therapie und setzt die Entfaltung des Gesunden Erwachsenenmodus (GEM) voraus.

Empathische Konfrontation. Dem Patienten helfen, das zugrunde liegende Bedürfnis zu erkennen und zu prüfen, ob der überkompensierende Stil dem Bedürfnis gerecht wird. Ihn mit seinem Vulnerablen Kindmodus (VKM) in Kontakt bringen. Darauf achten, den Schaden für die Gruppe in Grenzen zu halten.

Wenn der Überkompensierer aktiviert ist, angemessene Grenzen setzen und versuchen, Verbindung mit dem dahinterstehenden Modus aufzunehmen.

Unterwerfungsmodus

Opfert sich für andere auf, stellt eigene Bedürfnisse anderen zuliebe zurück. Handelt passiv und gegen eigene Interessen. Sucht viel Rückversicherung bei anderen.

Die maladaptiven Bewältigungsmodi müssen extremen Notfallsituationen vorbehalten sein.

Empathische Konfrontation. Das unerfüllte Bedürfnis herausarbeiten, überprüfen, ob der Bewältigungsmodus es stillen hilft, Unterstützung bei der Erfüllung des Bedürfnisses leisten. Verbindung zum VKM aufnehmen.

Gesunder Erwachsener – nicht hinreichend entfaltet

Sorgt in konstruktiver und reifer Weise dafür, dass die Bedürfnisse der Person abgedeckt werden, kommt den Anforderungen des Erwachsenenlebens nach, vermag zu genießen, was das Leben zu bieten hat, baut intakte Beziehungen auf und pflegt sie.

Anerkennung und Unterstützung von Autonomie, Kompetenz und Identitätsempfinden.

Wenn Kindheitsbedürfnisse unzureichend erfüllt sind, führt dies dazu, dass der Gesunde Erwachsenenmodus (GEM) unterentwickelt ist. Je mehr Bedürfnisse unerfüllt sind, desto schwächer ist der GEM entwickelt.

Dazu einladen, die eigene Kompetenz in der Schematherapie zur Geltung zu bringen; Gelegenheiten dafür schaffen, Stärken zu erkennen und einzusetzen, und mit angemessenem positivem Feedback auf die Stärken verweisen.

Autonomie anerkennen und zulassen.

Tabelle 2.3:Vorschläge für therapeutische Interventionen bei verschiedenen Modi und Bedürfnissen der Patienten

Für die Durchführung der ST in Gruppen muss die begrenzte elterliche Fürsorge in einigen Punkten modifiziert werden. Unter anderem müssen wir uns auf die kollektive Bedürfnislage der Gruppe konzentrieren und entsprechend auf Ausgleich hinwirken, so wie das Eltern bei Geschwistern tun würden. Die Erfahrung begrenzter elterlicher Fürsorge wird der Kindheitssituation von Patienten, die keine Einzelkinder waren, näher kommen als der anderer Patienten. Diese größere Ähnlichkeit mit der frühkindlichen Situation trägt das Potenzial in sich, dass wir heilsame Erfahrungen mit Schemata ermöglichen oder unterstützen können. In der GST tragen sowohl der Therapeut als auch die Gruppe zur Erfüllung von Bedürfnissen bei. Die GST bietet durch diese Interaktionen mit „Gruppengeschwistern“ und durch die Erfahrung, zu einer „Gruppenfamilie“ zu gehören, zusätzliche Möglichkeiten des emotionalen Lernens und der Nachsozialisation. Zwei der wesentlichen Aufgaben des Schematherapeuten, ob nun in der EST oder der GST, bestehen darin, ein Verbundenheit und Geborgenheit bietendes Umfeld zu schaffen. Dies erreichen wir in beiden Behandlungsmodalitäten, indem wir validierend, akzeptierend und zugewandt agieren, indem wir den Patienten zeigen, dass uns etwas an ihnen liegt, und indem wir uns als vertrauenswürdig, verlässlich und konsequent erweisen. Zu unseren Aufgaben in der Gruppe gehört auch, dass wir Verbindungen zwischen einzelnen Patienten und in der ganzen Gruppe fördern, indem wir den Bindungsaufbau und die Entstehung eines Zugehörigkeitsgefühls in der Gruppe unterstützen. Das Zugehörigkeitsgefühl der Patienten entwickelt sich zunächst aus der Beobachtung, dass sie Erfahrungen bestimmter Probleme und Gefühle gemeinsam haben und außerdem die ganz normale Kindheitserfahrung miteinander teilen, dass einige damalige Bedürfnisse unerfüllt geblieben sind. Mit der Zeit kann sich das Zugehörigkeitsgefühl verstärken, wenn die Patienten in der Gruppe über ihre emotionalen Erfahrungen sprechen und außerdem gemeinsame Erinnerungen aufbauen. In intensiven Settings, bei denen sich die Gruppe mehrmals pro Woche trifft, betonen wir die familienähnlichen Aspekte der Gruppe. Die Wiederbelebung von Familien-Erfahrungen in der ST verstärkt die Wirkung der begrenzten elterlichen Fürsorge.

Für die typischen Beziehungsformen der zwei Behandlungsmodalitäten – Bindung in der EST, Zugehörigkeitsgefühl in der GST – ist jeweils die Schaffung eines sicheren Rahmens erforderlich. Sicherheit und Vertrauen setzen Beständigkeit, Offenheit und Verlässlichkeit voraus. In der Gruppe ist entscheidend, dass wir klare Grundregeln aufstellen – dafür, wie die Patienten miteinander umgehen sollen, für körperliche Grenzen, Respekt, Verbindlichkeit der Mitarbeit und für die Durchsetzung der Regeln. Die Therapeuten müssen den Gruppenmitgliedern versprechen, dass sie für ihre Sicherheit sorgen werden, und sich entsprechend dieser Zusage verhalten. Dies drückt sich darin aus, dass sie steuernd in Konflikte eingreifen und destruktive Attacken unterbinden, die zum Beispiel aus einem bestimmten Modus heraus erfolgen (wie etwa Verhaltensweisen, die dem Modus des Schikanierenden Angreifers entspringen). In den ersten Sitzungen ist es besonders wichtig, Konflikte zu schlichten, bis die Gruppe dann selbst in der Lage ist, konstruktiv damit umzugehen und Meinungsverschiedenheiten oder Missverständnisse zu klären. Die Gruppe ist für die Patienten ein ausgezeichnetes Versuchsfeld, auf dem sie unter Anleitung der Therapeuten lernen können, Konflikte zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Zur Aufgabe der Therapeuten gehört auch die Strukturierung der Sitzungen. Dies bedeutet in beiden Modalitäten, dass wir bei dem Modus, an dem gerade gearbeitet wird, die Ziele im Auge behalten und Ablenkungen so weit wie möglich unterbinden. Ablenkung ist im Gruppenkontext so definiert, dass jemand etwas sagt oder ein Thema aufbringt, das mit dem, was den Rest der Gruppe gerade beschäftigt, wenig zu tun hat, ohne dass es sich dabei um ein Verhalten handelt, das auf einen Modus zurückgeht. Die Gruppenschematherapeuten ziehen dann, in ihrer Rolle als „gute Eltern“, zum Wohle aller Grenzen und versuchen, alle Patienten als gleich und in einer Weise zu behandeln, die diese als fair empfinden.

Das GST-Modell ist insofern schulenübergreifend, als es Aspekte der anderen Formen von Gruppentherapie strategisch kombiniert und den Akzent dabei stets auf die Rolle der Therapeuten als „gute Eltern“ setzt. Tabelle 2.4 gibt einen Überblick über die Hauptmodelle der Gruppentherapie und ihre Integration in der GST.

Modell

Beispiele

Ziele

Rolle des Therapeuten

Vergleich zur GST

Interaktions- bzw. prozessorientierte Gruppe

Interpersonale Gruppentherapie (Yalom); Psychoanalytische Gruppen; Encounter-Gruppen (Rogers)

Durch Gruppendynamik Problemverhaltensweisen ändern; angestrebt werden starke Emotionen und auch Konflikte

Außerhalb der Gruppe; regt zu Interaktion an, leitet diese aber nicht; jeder kann jederzeit Interaktionen starten

Durch Gruppendynamik wird Veränderung angestrebt (therapeutische Faktoren der Gruppenarbeit); Therapeut ist Teil der Gruppe und leitet und begleitet die Mitglieder aktiv

Personorientierte Gruppe

Gestalttherapie (Perls); Kognitive Therapie (Beck); Psychodrama (Moreno); Lösungsorientierte Therapie (D’Zurilla)

Arbeit an individuellen Bedürfnissen und Zielen

Schwerpunkt auf einer Person; bezieht instrumentelle Bedingungen der Gruppe mit ein; strukturiert die Sitzungen; Mitglieder helfen dem Einzelnen, seine Ziele zu erreichen

Es wird an individuellen Zielen und Bedürfnissen gearbeitet, aber immer in Verbindung zu gemeinsamen Themen; Mitglieder helfen in der Einzelarbeit und kommen mit dazu; der Fokus auf Gruppenprozessen ist wichtiger als die instrumentellen Bedingungen; Mitglieder helfen sich gegenseitig

Psychoedukative oder störungsspezifische Gruppe

Manualisierte Gruppentherapie für bestimmte Störungen (z. B. Depression, Ängste, BPS)

Wissen und Fertigkeiten; Überblick („Experte“ seiner eigenen Krankheit werden)

Gibt Informationen; zeigt Fertigkeiten; strukturiert die Sitzung; leitet die Gruppe; konzentriert sich auf den „durchschnittlichen“ Patienten

Psychoedukation und Leitung werden bei einem Aktivsein der Kindmodi angeboten.

Aufmerksamkeit weniger auf dem „durchschnittlichen“ Patienten als auf Bedürfnissen und Zielen aller Patienten; eher erfahrungsbasiert statt fertigkeitenbasiert

Gruppenschematherapie

Kombiniert Aspekte aller drei Formen, überschneidet sich aber mit keiner

GST (Farrell, Shaw & Webber, 2009; Farrell & Shaw, 2012)

Veränderung der Schemamodi, zielt auf Veränderungen in dysfunktionalen Lebensmustern und Unfähigkeiten, Grundbedürfnisse auf angemessene Weise zu befriedigen

Leitet die Gruppe auf eine Weise, die Gruppenprozesse und ihre therapeutischen Faktoren unterstützt; verhält sich wie ein guter Elternteil auf dem Entwicklungsniveau der Gruppe; motiviert Mitglieder zu „familiärem“ Lernen

Alle zuvor genannten Aspekte der GST, diese werden jedoch direktiv durch den oder die Therapeuten als stellvertretende „gute Eltern“ geführt

Tabelle 2.4: Modelle der Gruppentherapie

In GST-Sitzungen ist es wichtig, die gruppentherapeutischen Wirkfaktoren – Universalität, Zusammengehörigkeitsgefühl, Altruismus, existenzielle Faktoren (Einflößen von Hoffnung), korrektive Rekapitulation der Familiensituation, stellvertretendes Lernen, In-vivo-Lernen, erweitertes Informationsangebot – in den Dienst der ST-Ziele und -Techniken zu stellen. Eine kondensierte Anweisung zu den therapeutischen Aufgaben könnte lauten: „Machen Sie Gruppen-Schematherapie, anstatt einfach Einzelschematherapie auf eine Gruppe zu übertragen.“ Der Übergang von der Einzel- zur Gruppenschematherapie sieht idealerweise so aus, dass wir zum einen das Potenzial der Gruppe für die Einzelarbeit nutzen und zum anderen so mit dem Einzelnen arbeiten, dass es auch der Gruppe zugutekommt. Die Gruppentherapeuten müssen in der Lage sein, die Gruppe auf die Arbeit mit einer einzelnen Person zu fokussieren und dann den Fokus so zu erweitern, dass er alle Gruppenmitglieder einschließt. Dazu ist es erforderlich, mit anderen Gruppenmitgliedern persönliche Verbindung aufzunehmen, während die einzelne Person im Mittelpunkt steht. Diese Aufgabe kann vor allem der zweite Therapeut übernehmen, aber auch der Therapeut, der bei der Arbeit die Führungsrolle innehat, kann dazu beitragen, und auch ein allein arbeitender Therapeut kann dies leisten. Das für die GST entwickelte Modell mit zwei Therapeuten ist eingehender in Kapitel 4 und im Detail bei Farrell und Shaw (2012) beschrieben.

Die Gruppenarbeit bringt für Therapeuten sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich, die in der EST nicht gegeben sind. In diesem Kapitel geben wir zunächst einen Überblick über die gruppentherapeutischen Vorgehensweisen, die dafür erforderlich sind, die therapeutischen Rahmenbedingungen für die Umsetzung der ST in einer Gruppe zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Von zentraler Bedeutung für das GST-Modell ist die Fokussierung darauf, die ungeheuren Potenziale der Gruppe zu nutzen, indem wir ihre therapeutischen Wirkfaktoren fördern. Der Rahmen der GST wird durch die Grundregeln abgesteckt (siehe Handout [WILL 1]: GST-Grundregeln in Abschnitt 3.6). Die Therapeuten müssen für jeden Patienten Figuren darstellen, die stark, konsequent, bejahend und unterstützend sind und über die nötige Energie verfügen, der Gruppe elterliche Fürsorge zuteilwerden zu lassen. Das Element der sicheren Bindung ist einer der Grundpfeiler der ST, und die verlässliche Verbundenheit miteinander, die es voraussetzt, lässt sich am besten mit einem therapeutischen Zweierteam aufbauen. Welche Zahl von Therapeuten ideal ist, hängt vom jeweiligen Entwicklungsniveau der Gruppenmitglieder ab. Patienten mit schwerer BPS stecken auf kindlichen Entwicklungsstufen mit frühen Defiziten im emotionalen Lernen fest (z. B. Mangel an sicherer Bindung, Defizite in der bewussten Wahrnehmung von Emotionen). Bei forensischen Patienten sind zwei Therapeuten erforderlich, um Sicherheit und die Einhaltung der Grundregeln zu gewährleisten sowie den überkompensierenden Modi, die bei diesen Patienten häufig auftreten, mit empathischer Konfrontation und dem Setzen von Grenzen begegnen zu können. Bei vermeidenden Patienten ist es einem Zweierteam besser möglich, darauf zu achten, dass niemand „durch die Maschen schlüpft“ und in der Gruppe untergeht. Wenn in einem Setting nur ein Therapeut verfügbar ist, ist eine stärkere Strukturierung empfehlenswert (z. B. Besprechung der Hausaufgaben, Aufgaben gemeinsam bearbeiten, mehr schriftliche Übungen). Falls nur in einem der Programmmodule zwei Therapeuten eingesetzt werden können, schlagen wir dafür die Sitzungen mit erlebensbasierter Modus-Arbeit vor.

Wir unterscheiden zwei Therapeutenrollen, die die Gruppentherapeuten entweder abwechselnd übernehmen oder, falls der eine mehr Erfahrung in ST oder Gruppenarbeit hat, je nach Schwierigkeitsgrad der Anforderungen unter sich aufteilen können:

Der eine Therapeut (T 1) hat die Führungsrolle inne.

Der andere (T 2) hält die Verbindung zu allen Patienten aufrecht und hat die Bedürfnisse der Gruppenmitglieder im Blick, die momentan nicht unmittelbar am Prozess beteiligt sind.

Therapeut 2 hält die Verbindung zu allen in der Gruppe zum Teil dadurch wach, dass er immer wieder direkten Blickkontakt sucht. Wird der Blick erwidert, kann er dies nonverbal würdigen, etwa durch ein Nicken oder ein Lächeln. Auch Patienten, die keinen Blickkontakt aufnehmen, geben oft an, dass sie es registrieren und beruhigend finden, dass jemand nach ihnen schaut. Therapeut 2 kann sich auch näher zu einem Patienten hinsetzen, dem es nicht gut geht, ohne dadurch die Arbeit von Therapeut 1 zu unterbrechen. Er kann dem Patienten zur Beruhigung ein Stoffstück, einen Schal oder ein anderes tröstendes Objekt geben, das im Gruppenraum verfügbar ist. Die Rolle von Therapeut 2 ist genauso wichtig wie die von Therapeut 1. Zu ihr gehört, dass Therapeut 2 eine Zäsur setzt, wenn der Fokus zu lange auf einer einzelnen Person lag und der Rest der Gruppe auf Distanz geht oder der Anspannungspegel in der Gruppe gesenkt werden muss. Die Intervention von Therapeut 2 kann einfach darin bestehen, dass er sich einschaltet und zu Therapeut 1 sagt: „Wir müssen einen Moment innehalten und schauen, wie es dem Rest der Gruppe geht. Atmen Sie jetzt alle tief ein und aus und lockern Sie die Schultern.“ Daran schließt sich ein kurzes Blitzlicht und eine Neuformierung an, bevor die Arbeit fortgesetzt oder neu ausgerichtet wird, damit sie den Bedürfnissen der gesamten Gruppe besser gerecht wird. Farrell und Shaw (2012) haben den „Tanz“ der zwei Gruppentherapeuten ausführlich beschrieben und ihn auch in einer Serie von DVDs dokumentiert, auf denen zu sehen ist, wie sie mit einer Gruppe von BPS-Patienten arbeiten (diese werden von Schematherapeuten gespielt; Zarbock et al., 2011). Für ein neues Therapeutenteam ist es hilfreich, im Voraus zu planen, wer jeweils welche Rolle bei der Präsentation von Arbeitsmaterialien, bei der Anleitung zu Übungen und so weiter übernimmt. Mit der Zeit wird es für den einen ganz selbstverständlich, in Rolle 2 zu gehen, wenn der andere Rolle 1 übernimmt. Sie müssen im Auge behalten, dass bei den erlebensbasierten Übungen der GST jeder Patient eine definierte Rolle haben sollte. Keiner soll nur zuschauen. Die zugeteilte Rolle kann die eines Beobachters sein, der einen bestimmten Aspekt des Geschehens mitverfolgen soll. Wenn ein Patient unter starkem Stress steht, kann die Aufgabe für ihn darin bestehen, gut für sich selbst zu sorgen, indem er sich zum Beispiel, in ein Schultertuch gewickelt, außerhalb des Geschehens hinsetzt. Jedenfalls wird niemand übergangen.

2.4 Die Komponenten der Schematherapie

Eines der charakteristischen Merkmale der ST ist, dass sie ihre Ziele durch die strategische Integration von erlebensbasierten, kognitiven und verhaltenszentrierten Interventionen zum Aufbrechen von Verhaltensmustern anstrebt. Wir vermuten, dass die hohen Effektstärken der ST, die für die Arbeit mit BPS-Patienten ermittelt wurden, zum Teil auf diesem integrativen Ansatz beruhen, der einen tiefer gehenden und nachhaltigen Persönlichkeitswandel begünstigt (Giesen-Bloo et al., 2006; Farrell, Shaw & Webber, 2009). Die ST ist der einzige wirklich integrative Behandlungsansatz für Persönlichkeitsstörungen. Andere Ansätze legen den Akzent entweder auf kognitive, auf verhaltenszentrierte oder auf erlebensbasierte Interventionen und vernachlässigen jeweils die anderen Komponenten. Das ST-Modell ist nur vollständig, wenn alle drei Komponenten einbezogen werden.