Schlichtes Glück - Franziska König - E-Book

Schlichtes Glück E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Familienchronik. Im Jahre 2001 führte Franziska den Haushalt für ihren strohverwitweten Vater, den grandiosen Geiger und Pädagogen, mit seiner magischen Sogwirkung auf Frauen. Ihre Mutter (Rehlein) war wiederum zu ihrem leider wirklich verwitweten Vater 'Opa' nach Niederösterreich gezogen, um dessen Haushalt zu führen. Das Buch berichtet von Begegnungen und Alltagsgeschehnissen die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 234

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.

„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ so denkt sie.

Und drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.

Erzählt werden Geschichten aus ihrem Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.

Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis Hier die engste Familie vorweg:

Opa, (*1909) Opa mütterlicherseits

Oma Ella (*1913) Omi väterlicherseits

Buz, mein Papa (*1938)

Rehlein, meine Mutter (*1939)

Ming, mein Bruder (*1964)

Vorwissen:

Im Juni des Jahres 1999 verschwand am hellichten Tage eine Frau aus Aurich /Ostfriesland, die auf ihrem Fahrrad mehr als zwei Jahrzehnte lang das Stadtbild mitgeprägt hatte.

Und seither lebte “Rehlein”, unsere Mutter, nun bei ihrem Vater “Opa”, dem im hohen Alter die Frau hinweggestorben war, und führte ihm liebevoll den Haushalt in seinem Heim in dem kleinen Dorf Ofenbach in Niederösterreich.

Meinem eigenen Papa “Buz”, dem großen Geiger und Pädagogen, war somit “die Frau durchgebrannt”.

In Aurich wunderte man sich sehr über ihren Verbleib, und Buzens Worte, sie habe ihn für einen Älteren verlassen, klangen in den Ohren vieler Senioren nicht sonderlich überzeugend.

Ich selber war von der Musikstadt Trossingen nach Aurich gezogen, um mich wiederum um meinen Papa zu kümmern, und ihm ebenfalls liebevoll, so doch mit deutlich weniger Knoffhoff, als Rehlein hinter den sieben Bergen, den Haushalt zu führen.

Unterstützt von Zugehfee* Theda Meyer.

Buz war jedoch sehr oft auf Reisen. Alle zwei Wochen reiste er in den Süden, um in der Musikhochschule Trossingen zu unterrichten.

Die Weihnachtsferien verbrachten wir als Familie in Ofenbach.

*Sehr selten zu lesendes Wort

Inhaltsverzeichnis

Januar 2001

Montag, 1. Januar Ofenbach

Dienstag, 2. Januar

Mittwoch, 3. Januar

Donnerstag, 4. Januar

Freitag, 5. Januar

Samstag, 6. Januar

Sonntag, 7. Januar

Montag, 8. Januar

Dienstag, 9. Januar Ofenbach – Bad Aibling

Mittwoch, 10. Januar Bad-Aibling - Trossingen

Donnerstag, 11. Januar

Freitag, 12. Januar

Samstag, 13. Januar

Sonntag, 14. Januar

Montag, 15. Januar Trossingen - Stuttgart

Dienstag, 16. Januar Stuttgart - Grebenstein

Mittwoch, 17. Januar

Donnerstag, 18. Januar

Freitag, 19. Januar Grebenstein - Aurich

Samstag, 20. Januar

Sonntag, 21. Januar

Montag, 22. Januar

Dienstag, 23. Januar

Mittwoch, 24. Januar

Donnerstag, 25. Januar

Freitag, 26. Januar

Samstag, 27. Januar

Sonntag, 28. Januar

Montag, 29. Januar

Dienstag, 30. Januar

Mittwoch, 31. Januar

Februar 2001

Donnerstag, 1. Februar

Freitag, 2. Februar

Samstag, 3. Februar

Sonntag, 4. Februar

Montag, 5. Februar

Dienstag, 6. Februar

Mittwoch, 7. Februar

Donnerstag, 8. Februar

Freitag, 9. Februar

Samstag, 10. Februar

Sonntag, 11. Februar

Montag, 12. Februar

Dienstag, 13. Februar

Mittwoch, 14. Februar

Donnerstag, 15. Februar

Freitag, 16. Februar

Samstag, 17. Februar

Sonntag, 18. Februar Aurich - Fischerhude - Worpswede

Montag, 19. Februar Worpswede - Aurich

Dienstag, 20. Februar

Mittwoch, 21. Februar

Donnerstag, 22. Februar

Freitag, 23. Februar Aurich - Driever

Samstag, 24. Februar Driever - Aurich

Sonntag, 25. Februar

Montag, 26. Februar

Dienstag, 27. Februar

Mittwoch, 28. Februar

Personenregister:

Januar 2001

Montag, 1. Januar Ofenbach

Leuchtend frischer Januarhimmel.

Luftig leichter Zuckerschnee

Wie eine Fee bemühte ich mich am Morgen um Ordnung und Gemütlichkeit in der Stube, und so wie sich am Telefon Tag für Tag Omis dünnes Stimmchen meldet, so rotzt es Tag für Tag wieder aus Opas Zimmer heraus, und man weiß: Es ist wieder soweit! Ächzend winkelt und streckt der alte Mann sein verholztes und morsches Gebein, um alsbald in abgewetzten Pantoffeln mit heiser schabendem Geräusche über den Boden zu schlurfen.

Gegen den Opa und seine geräuschvolle Art spürte ich zunächst einen leichten Greisengraus. Mich wurmte seine Altersgrämlichkeit, und die unfreundliche Art, die er unserem Papa gegenüber an den Tag zu legen pflegt.

Neuerdings tritt der Opa sehr oft hinter dem „Bühnenvorhang“, der den Flur vor den Schlafgemächern von der Wohnstube abgrenzt hervor, und kaum ist er hervorgetreten, da sagt er auch schon:

„I leg mi wieder nooo!“ (Ich lege mich wieder hin!)

Ob der Opa meine wenig freundlichen Gedanken wohl gespürt hat?

Er trat nämlich in die Küche und sagte mit launigem Untertone: “I leg mi wieder noooh! Sag´s nach!“

Das sagt er oft, weil er ein gebürtiger Schwabe ist, und das schwäbische „Nooooh“ nasaliert ausgesprochen wird, als würd´s von einer Kuh gemuht.

Ich weiß gar nicht, wie ich das hier niedertippen soll, damit es der Leser mit seinem geistigen Ohr auch richtig hört? Jedenfalls hört der Opa plötzlich wie ein Luchs, wenn ich: “Noooooh!“ sag, und findet´s immer ganz falsch.

Nach einer Weile „raste“ ich durch den Wald. „Rasen“ in diesem Zusammenhang setze ich in Anführungsstriche, denn da lacht man ja, wenn man mich „rasen“ sieht.

Heut war´s wunderschön! Frisch, ganz zart verschneit - ein Wetter wie in einem Bildband über Kanada, so daß ich an den Onkel Rainer in Toronto denken mußte. Ob man die Feiertage dazu nutzen sollte, ihm einen langen Brief zu schreiben?

Man teilt sein Leben auf Erden, lebt jedoch völlig aneinander vorbei. Der Onkel schreibt nie, vermisst uns nicht, und in seinen Gedanken und Gebeten haben wir schon lange keinen Platz mehr.

Und doch stellte ich mir beim Rennen genußvoll vor, wie die mit ersten Altersflecken besprenkelte onkelige Hand nach meinem Briefe greift, der dann entfaltet, und in der gemütlichen Wohnung in Toronto gelesen und freudig beschmunzelt wird.

Wahrscheinlicher wäre jedoch, daß er ungelesen zu den anderen Merry Christmas & a happy new year-Karten auf das Kaminsims gestellt, und im Frühjahr im Rahmen einer Frühjahrsputzorgie ungelesen entsorgt wird.

Wieder daheim begrüßte mich Ming als erster Neujahrsgratulant bereits auf der Terrasse mit Kußsalven.

Der Opa war heut so lustig und vergnügt, und lachte oftmals erheitert auf, wenn ihm ein Spaß einfiel, der zu belachen war. Leider habe ich seine Späße mittlerweile vergessen, und so steht hier keiner da.

Beim Üben freute ich mich direkt ein wenig darauf, daß Buz in vier Tagen wieder abreist, weil Buz z.Zt. so langweilig ist.

Buz erinnert in dieser Hinsicht ein wenig an ein Hündchen, das in freier Wildnis verspielt, lustig und lebhaft ist, daheim jedoch meist nur wie ein Teppichvorleger herumliegt.

Rehlein wiederum ist in Buzens Aura die ganze Zeit leicht konsterniert, da Buz sehr stark vom Rothfußschen Ideal abweicht, wie der Mensch zu sein hat.

Nach einer Weile brachen Rehlein, Buz & ich zu einem Spaziergang auf, und gleich zu Spazierbeginn machte Buz eine kränkende Bemerkung darüber, daß ich in meinem Mantel ganz verkleidet ausschauen würde.

Hätt´ ich Rehleins Hang zur Returkutschelei geerbt, so hätt´ ich natürlich gleich auf Art einer höheren Tochter herumhöhnen können:

„Muß denn der Junge mit dieser putzigen Zipfelmütze durch den Wald laufen?? Gottachgott, die Leute bekommen ja erstmal einen Schrecken...“

Doch Bisgürnigkeiten und Returkutscheleien sind mir ebenso wesensfremd wie erbittertes Schweigen, und so lachte ich gutmütig zu Buzens Worten.

Die Erwachsenen liefen vor mir her, und sprachen über die Steuererklärung, die demnächst abgegeben werden muß. Rehlein wünscht sich, daß Buz nach all den Jahrzehnten wenigstens einmal diese saure Aufgabe auf sich nehmen möge, obwohl Buz doch gar nicht weiß, wie so etwas gemacht wird.

Man verlangt von ihm somit, daß er aus Stroh Gold spinne, so daß Buz gar nicht weiter denken will, als seine Nase lang ist.

Später am Tage:

Ich hatte einen köstlichen Apfelkuchen gebacken, der nun auf dem Tische stand. Buz saß in Mobblns Sorgenstuhle und nickte öfters ein – so wie die jüngst verstorbene Omi Mobbl einst.

Ich klopfte mit dem Kuchengäbelchen leise klirrend an meine Tasse um mir Gehör und Aufmerksamkeit für eine kleine Rede zu verschaffen, doch statt der Neujahrsworte die mir vorschwebten, beschwor ich mit Blick auf den Durmelnden irgendwelche Bilder herauf. Ich hatte einmal gelesen, daß sich Geschichten, die einem Schlummernden erzählt werden in dessen Träume verweben, und so fabulierte ich etwas für Buz zusammen: Plötzlich sitzt Buz nicht mehr im Sorgenstuhl, sondern in einem Abteil der Bundesbahn, und bald nähert sich der Bimmelbimbo. „Kaffee, Fanta, Cola…“ ruft er singend und animierend.

Meine Worte mischten sich in Buzens Schlummer hinein, so daß Buz dies nun womöglich wirklich geträumt, und währenddessen gedacht hat, dies sei wahr?

Dienstag, 2. Januar

Zart verschneit und auch zart sonnig (reizvoll)

Beim Joggen dachte ich darüber nach, wie schön es wäre, wenn man den Verwandten nur Lobgesänge über den Opa schreiben könnte, und so dachte ich an die schönen Seiten am Opa, die sich doch sicherlich zu einem ansprechenden Briefgebilde auswalzen ließen?

„Auch wenn man´s kaum glauben mag - aber der Opa bereitet uns nur Freude! Stets ist er um seine Lieben besorgt. Wenn er sieht, daß meine Mama im Dunklen liest, dann schleppt der alte Mann mit seinen 91 Jahren noch die schwere Stehlampe herbei!“

Der Jakob (das kleine Hündlein von Poppingers) bekläffte mich von der Ferne dreimal wüst.

Rehlein drückte in der Küche unermüdlich Orangen für ihre Lieben aus und bat uns, daß wir mit dem Frühstück ein bißchen auf sie warten mögen.

Doch der agile Ming aß zügig drauf los, weil er als junger voranstrebender Mensch stets mit einem Beine schon im nächsten Geschehen zu stecken pflegt.

Am Vormittag suchte Rehlein ein Radiergummi:

Rehlein wollte eine Telefonnummer, die sich Buz einfach auf den fehlgeleiteten Brief an einen Herrn in Schleinz draufnotiert hat, abradieren. Es handelte sich dabei um die neue Stuttgarter Telefonnummer von Herrn Bloser, doch es fand sich kein Radiergummi, und ich wiederum fand es so interessant, daß durch großen Zufall einem Herrn aus Schleinz die Nummer von Herrn Bloser zugespielt wird. Ob er seine Neugierde im Zaum halten kann, oder die Nummer als Wink des Schicksals interpretiert, wie ich dies an seiner Statt wohl täte?

Ob er sie wohl ausprobiert, weil es ihm keine Ruhe läßt, wer sich hinter dieser Nummer wohl verbirgt? Und ob er wohl sehr enttäuscht ist, wenn sich am anderen Ende statt einer liebeshungrigen Frau, die die Angel ausgeworfen hat, um dem Zufall eine Chance zu geben nur ein Hagestolz und Klavierlehrer meldet?

Mittags legte Buz seine Geige beiseite, trat aus dem Musikzimmer heraus, und wollte von sich aus lernen, mit dem Elektronotizbücherl umzugehen, das ihm der Weihnachtsmann gebracht hat, und ich glaube, es machte ihm Freude, die Telefonnummern seiner Freunde aus meinem Notizbuch abzutippen und einzuspeisen.

Als ich vom Milchholen returkehrte spitzte ich schon mal neugierig, wen Buz wohl eingespeichert hat? Buz war beim Buchstaben B angelangt. Besse, Nicole stand da zu lesen.

Später hatte Buz auch noch seine Ehefrau eingetippt Koenig, Erika. Gewissenhaft mit der Ofenbacher Nummer, die er doch ohnedies im Kopf hat.

Buzens B-Seite hatte sich aufgelöst wie eine graue Wolke, und so war´s richtig schön mit ihm. Ist unser Familienoberhaupt gut gestimmt, so werden auch Rehlein & ich plauderfreudig und fröhlich.

Vor dem obligaten Spaziergang suchte Buz sieben Äpfel für die Pferde auf der Koppel heraus, und dann legte er sogar noch einen hinzu, weil unser süßer Papa immer gerne verwöhnt und Freude bereitet.

Wir fütterten die erfreuten Pferde, die direkt neben uns wohnen – unsere direkten Nachbarn - und liefen beschwingt weiter.

Froh und dankbar mußte ich darüber nachdenken, daß das neue Jahr bis jetzt sehr schön gewesen ist.

Beim Wandern durch den Schnee bat ich Rehlein, jene Anekdote zu erzählen, wie das Kläuschen* mal lispelig über einen Ort in Indien gesagt hat: „Och Schätfchen! Den haben wir nun wirklich zu Genüge gesehen!“ und dabei hätte dieser geheimnisvolle Ort Rehlein so brennend interessiert. Doch bedingt durch Kläuschens nölig-abtörnende Worte ist man dann doch nicht hingereist.

*Und wer das „Kläuschen“ ist? Der dritte Mann von Rehleins Exschwägerin Antje – Onkel Rainer in Toronto war der erste…. Auf Art eines Musikliebhabers habe ich eine ganze Sammlung an kleinen Anekdötchen, die ich schon in- und auswendig kenne, und doch immer wieder gern höre, und glücklicherweise scheint Rehlein sie ebenso gerne zu erzählen, so daß wir uns in dieser Hinsicht wunderbar ergänzen.

Rehlein ging heute sehr ins Detail, und schilderte die unerträgliche Übellaunigkeit der Reisegruppe in Indien.

Am frühen Abend:

Der Herwig, ein Cellist aus Wien war gekommen, um gemeinsam mit Ming am Klavier Francks Cellosonate zu musizieren. Nach einer Weile wurde zu Tisch gebeten.

Unser Gast, der meist einen leicht beleidigten Eindruck macht, so daß man in seinem Windschatten leise auftritt, setzte sich auf Opas Stammplatz und aß höflich, aber ganz schweigend und ernst vor sich hin.

In diesem Banne wurden Ming & ich auch schweigsam, weil sich der Grundgedanke “Man kann nicht beständig nur lustig sein“ ausbreitete.

Nur Rehlein ließ sich von diesen unausgesprochenen Überlegungen nicht anstecken und beplabberte uns munter.

Als sich die Nachtesschwärze ausgebreitet hatte, geschah fernab in Kiel etwas Ergreifendes:

Bei der Tante Irma, in deren Leben es nach dem Tode vom Onkel Otto vor bald vier Jahren sehr still geworden ist, schellte das Telefon. Der Opa war´s, der sich auf seine Schwägerin besonnen hatte.

Durch den Hörer hörte man Irmas guturale Stimme sagen: “Wer spricht da bitte?? Bist du es, Kurt?“

„Jawohl!“ Der Opa war so süß und lustig, und Rehlein und ich schufteten emsig um den Telefonierenden herum, um ihn gegen die Kälte abzuschotten und mit warmen Decken zu bepolstern.

Dann wurde noch ein Foto geschossen, das wir der Irma als Beweis schicken wollen.

Mittwoch, 3. Januar

Luftig bleiche Wetterlage

Folgendes träumte ich:

An einer Stelle in Aurich stand das parkende Auto von unserem Freund Tone. Der Tone stak in den Vorbereitungen zu einer längeren Reise, und als er mich sah, deutete er ohne große Worte auf einen glänzenden, großen schwarzen Labradorhund, von dem er hoffte, daß ich auf ihn Obacht geben würde, während er in die Ferien führ, so wie er es im umgekehrten Falle als guter Freund auch getan hätte.

Dann hievte er auch noch sein großes Aquarium, welches im Traume ausschaute wie Mings Küchenmaschine, aus dem Auto, und stellte es neben den Hund.

Mir fiel ein, daß ich selber mal so viele Fische hatte, und mich beim besten Willen nicht erinnern konnte, was aus ihnen geworden ist?

Dann dachte ich an meine eine Kammer in Trossingen, die im Traume unlogischerweise ausschaute wie die Waschküche in Aurich, und über die ich denken mußte, daß ich sie doch mal entrümpeln sollte – vielleicht fänden sich dort noch ein paar Fischskelette... doch dann wurde ich wieder ins wahre Leben hineingeschwemmt.

Ich erhob mich, wusch ein wenig auf und vergemütlichisierte die Wohnstube.

Ming hatte wieder jene gönnerhaft Art drauf, als fände er Rehleins Lebensstil bedenklich, und sehne sich nach seinem eig´nen Leben. So versteht man Rehleins Wunsch, daß Ming sich so schnell wie möglich eine eigene Familie anschaffen möge, um mit eigenen Sinnen zu erleben, wie kompliziert so etwas sei.

Wieder schlurfte der Opa geräuschvoll herbei.

„Ein Moribundenlanglauf!“ scherzte ich, um loses Vergnügen aufzuwirbeln.

Nach dem Frühstück saß ich mit Rehlein noch lang am Tisch, und wir sprachen anhand eines Artikels in der „ganzen Woche“ über Hannelore Elser. („Manchmal ist meine Schönheit auch ein Fluch“)

Rehlein meinte, es sei das „Männermordende“ das die Männer so antörnt, und erzählte, wie sich Buzens Schülerin Amrei einmal in einer Pose, die nur die Männer verstehen, an die Wand gelehnt hat: Das eine Bein angewinkelt, den schicken Schuh an der Wand aufgestellt, den Mund leicht und sinnlich geöffnet, die Züge kühl und gelangweilt, und dennoch blitzte aus einem Augenwinkel heraus das „gewisse Etwas“, und ein wichtiger Politiker aus Holland konnte seinen Blick nicht mehr abwenden und seine lüstern-aufkeimenden Gedanken („mit dir fang ich was an, Süße!“) kaum noch unter Kontrolle halten!

Die Freude, wenn der Opa sich wieder ins Bett gelegt hat, währt zur Zeit immer nur kurz, weil er neuerdings in Intervallen von etwa 8 – 11 Minuten wieder auftaucht und „was trinkö“ will.

Süß, wie Opas lange Nase beim Kaffeetrinken ganz zart die Kaffeeoberfläche berührt.

Am Vormittag wurde es Buzen, der immer entweder etwas ziellos auf seiner Violine herumübt, oder den Roman „Am seidenen Faden“ von Joy Fielding durchschmökert, etwas fad, so daß er Abwechslung suchte und seine Mutti anrief. Buz rief allerdings mitten in den Mittagsschlummer hinein an, und mußte zirka sieben- bis achtmal sagen: “Hier ist der Wolfram!“ und dann sagte er noch zweimal: “Aus Öööster-rai-hich!“

Inzwischen saß auch der Opa wieder auf seinem Stammplatz, und ich scherzte, daß Buz in zwanzig Jahren, wenn er tütelig geworden ist und seine Mutti auf dem Krähenberg anruft, vielleicht aus Versehen sagen wird:

“Hier ist die Oma in Grebenstein!“

„Biddö??“

„Die Ooooma in Grebenstein!“

„Aber das bin ich doch selber. Kann doch gar nicht sein, Junge!“

Zum Mittagsessen gab´s scharfen Rettich, welchen zu essen man kaum aushalten konnte, und ich dachte uns aus, wie Buz später als alter Mann von zwei sadistischen Altenpflegern gefüttert wird, und wurde ganz traurig dabei.

Einer hält ihm die Nase zu, und der andere schaufelt ihm löffelweise den scharfen Rettich ein.

Ich wurde traurig beim Gedanken, bis dahin vielleicht selber längst verstorben zu sein, so daß ich Buz nicht mehr beschützen kann?

Donnerstag, 4. Januar

Am Morgen neblig. Kaum noch Schnee

Der Opa frägt oftmals nach der Uhrzeit, und sagt man sie ihm auf, so sagt er: „häää?“ trichtert das Ohr und verzieht grämlich fragend das Gesicht.

Man spürte, daß die Moribundenpflege den ganzen Menschen fordert.

Ming war wieder nur bedingt angenehm, und bang mußte man sich fragen, ob´s langsam solche Auswüchse annehmen könnte, wie bei der Tante Debbi wenn sie morgens schlechte Laune hat und ungenießbar ist??

Er schraubt die Augen heraus, und man spürt, wie ihm so ziemlich alles auf den Wecker fällt.

Auch diesmal lenkte Ming grämlich die Sprache darauf, daß Rehlein es mit der Betütelei um den Opa herum etwas übertreiben würde.

Gestern z.B., als wir „Macbeth“ geschaut haben, hat Ming einmal geelendet ausgerufen: “Laß gut sein!“ als Rehlein so eifrig, wie damals zu Esslinger-Opas Zeiten, aufgehupft ist, um dem Opa warme Socken über seine bleichen Füße zu stülpen.

Ich wiederum spulte die Zeit gedanklich ein wenig voraus, stellte mir den 91-jährigen Ming im Spätherbst 2055 vor, und frug mich, ob er vielleicht plötzlich gerührt von dieser alten Erinnerung gestreift wird, wenn niemand da ist, der sich um seine bleichen Füße sorgt?

Dann spulte ich die Zeit wieder zurück und hielt an jener Stelle an, als die leicht tütelige Uroma im Jahre 1968 mal zum vierjährigen Ming gesagt hat:

“Warum bisch du denn so wüscht zu deinem Töchterlein?“ so als sei Ming vielleicht schon damals so gewesen?

Rehlein buk heut´ den ganzen Tag liebevoll Gebäckstücke für ihre „Pseudo-Enkerln“ Daaje und Gesine, die Kinder von Mings Exe Gerswind, die am Nachmittag zu Besuch kommen wollten.

„Ach, und duu sollst auf sie aufpassen??“ frug ich Ming moribund und „wissend“ auf Mobbl-Art.

Heute wurde von der Post ein Weihnachtsgedicht von Rehleins Freundin Heide Monroy geliefert.

Doch leider machen es sich heuer viele leicht – allzu leicht - mit der Weihnachtspost: Statt eines fesselnden Jahresreports faßt man billige Wünsche in billige Reime zusammen.

(„Fest“ reimte sich auf „allerbest“.)

Auf dem Wege zum Bahnhof besuchte ich Omi Mobbl auf dem Friedhof, um ihr ein bißchen aus unserem Leben zu erzählen: „...und rate, wer heute zu Besuch kommt?“ Ich machte ein Rülpsgeräusch wie Schmatziano Mampfarotti (im zuvor geschauten Otto-Film) und störte die Totenruhe damit empfindlich.

„…die Dame Gerswind! Aber i hab sie net ein´gladö!“

Dann malte ich mir aus, wie ich die Gerswind in Mobblns Sinne ganz herb empfange.

Wenn sie mich küsst, dann sage ich: “Komm, laß diese Sentimentalitäten!- Kinder, setzt euch bitte hinten hin!“

Bei einschleichender Dunkelheit holte ich die Damen vom Bahnhof ab, - mich dabei fühlend wie eine Schwiegermutter, die gottergeben ihre Schwiegertochter mit deren Kinder aus erster Ehe abholen soll, und sich schon ganz lange vorher Gedanken über die Art der Begrüßung macht.

Die Begrüßung im wahren Leben war jedoch ganz nett:

Wir begrüßten uns mit einem flüchtig-höflichen Wangenkuß, wie´s unter Damen üblich ist.

Im Auto durfte die Daaje vormachen, wie sie in nölig verdreht klingenden Worten österreichisch spricht und wie sie schon rechnen kann, und die süße kleine Gesine trug mit großem Stolze eine grüne Krone von McDrive auf dem Haupt.

Schon von der Ferne hörte man Klaviergedonner…

Ming spielte Rachmaninoffs Erstes, die Kinder lärmten und tobten.

Und nach all den Mühen in der Küche verspürte Rehlein nur noch einen vereinzelten Wunsch:

Sich im Schaukelstuhl neben dem Kachelofen so richtig zu entspannen.

Dazu lief der Televisor: „Brisant“.

Wir erfuhren, daß die Scheidung der Beckers in Miami dramatische Züge anzunehmen droht.

Die Straps-Babs hat den kleinen Noah einfach in einer Schule in Florida angemeldet, und einmal wurde kurz die hübsche gelbe Villa der Beckers in München eingeblendet. Das Leben dort hätte so schön sein können, aber auch dort lauerte das Glücksknacksvirus.

Ming wusch mir im Ashram so rührend das Haupthaar. Währenddessen ratterte die Fax-Maschine, und der süße Ming hoffte so sehr, daß ein Fax von der Luisa an Land kröche – vergebens! Es kam von Herrn Heike, und war an Buzen gerichtet. Und wie könnte es anders sein bei Herrn Heike?

Es ging um musikalische Sommerprojekte.

Uns ereilte ein Neujahrstelefonat von den Verwandten in Bonn: Antje, Kläuschen und Friedel.

Der Friedel sagte warm: “Ich vermisse Euch!“ und meinte diese schönen Worte auch, so daß ich ihn unglaublich liebte.

Mit seiner aufgewärmten alten Flamme „Doro“, mit der er bereits in der Jugend etwas angefangen hatte, läuft´s ganz gut, und auch die Antje ist mittlerweile, und nach anfänglicher Skepsis, ganz angetan von der Doro.

Freitag, 5. Januar

Sonnig

Beim Frühstück war die Stimmung zwischen uns sehr warm, da Buz heut über den Wolken gen Stuttgart fliegen wollte.

Ich warf die Frage auf, ob sich so manch ein einsames Herz vielleicht ein Händi kauft, um den Mitreisenden im Zug zu suggerieren, ein Liebessäusltelefonat zu führen?

Und durch die Sinne der anderen glaubt man es selber, und badet im Glück? („Du Miezi, dös hab i mir scho denkt, daß du dös jetzt bist!“)

Ich erzählte von dem Herrn mit dem Gamsbart auf dem Hut, der neulich in der U-Bahn so warm und laut telefoniert hat, daß sein freundliches Tiroler Lächeln noch eine ganze Weile lang auf seinem lieben Gesicht haften blieb, weil das Gespräch ihn so gewärmt hatte.

Zum Abschied richtete ich Buzen in seinem neuen Elektronotizbuch ein Geheimfach ein. Buz wählte ein Wort mit sechs Buchstaben, und keiner von uns kennt´s. Aber mir gefiel der Gedanke, daß unser Papa jetzt ein Geheimfach hat, auch wenn man nicht weiß, was er da wohl hineinschreibt?

Dem Opa hinterließ ich nur einen simplen Zettel, worauf zu lesen stand:

“Opa, wir sind weg...“ Das kann viel bedeuten.

Sogar Buz hat sich beim Opa auf seinem Vorkatafalk noch verabschiedet, und strich ihm übers Haupt.

Aber der Gedanke, daß es vielleicht das letzte Mal war, dürfte Buzen inzwischen nicht mehr so schmerzen...?

Dadurch, daß Buz uns heut verlassen hat, liebte Rehlein den Vielgeschmähten wieder unglaublich, denn erfahrungsgemäß könnte es August werden, bis man sich wiedersieht.

Natürlich psychologisierten Rehlein und Ming noch ein wenig hinter ihm her. Allerdings mehr auf eine Art, wie man vielleicht einem geliebten Sorgenkind hinterherpsychologisiert.

Als Ming am Parkscheinautomaten herum agierte sagte ich: „Alles, was Ming so tut, sehe ich im Geiste schon als Eintrag im Tagebuch.“

So, wie die Mutter von der Klavierspielerin Erika Kohut aus dem Roman von Elfriede Jelinek alles was man so besaß, lieber als Eintrag im Sparbuch der österreichischen Bausparkassen gesehen hätt!

Im Sushi-Lokal „Michita“ in Wiener Neustadt:

Leider waren die Kellnerinnen alle so träge. Man wurde ewig nicht bedient, daß es richtig nervig war, und einmal hörte man, wie eine chinesische Bedienerin etwas über eine „Lao tai Bor“ sagte (ö oids Weiberl).

Doch als die etwas leblose junge Frau, die ihren Kellnerinnenberuf wahrscheinlich haßt, da sie lieber einen reichen Mann hätte, in dessen parkähnlichem Garten sie den ganzen Tag in der Hängematte liegen und sich von Dienern Luft zufächeln lassen würde, sich unser nun doch noch erbarmte, sagte Rehlein: “Shiao Dschje! Ur gön ni dschiang: Ur bu sh lau tau bor!“ (Fräulein! Ich sage ihnen: Ich bin kein altes Weib!“)

Das Fräulein erstarrte innerlich, und wußte nichts zu diesen Worten zu sagen.

Später besuchten wir noch das Möbelhaus Lainer, um ein Bett für den Opa zu kaufen: Wir fanden aber keins, weil die vorgestanzte Bettnische in Opas Schlafzimmer zu kurz für ein modernes Bett ist. Mich törnten die Abenteuerbetten für Kinder so an. Betten mit Kasperltheater, Rutschbahn oder einem Piratenturm. Ich stellte mir vor, wie wir dem Opa ein Abenteuerbett kaufen, und der Opa davon wieder ganz jugendlich wird: Ständig will er die Rutsche hinabrutschen, so daß der Kaffee darüber ganz kalt wird.

Schließlich fuhren wir dann aber nach Hause.

Ich fuhr zum Friedhof, doch dort hatte ich nur Pech. Ich wollte Mobbln ein Licht entzünden, doch ich verlor zehn Schilling an den klemmenden Kerzenautomaten – dann versuchte ich, die alten Lichter nochmal anzuzünden, doch der Wind blies mir harsch ganz viele Zündhölzchen aus.

Zweige auf Mobblns Grab reckten sich mir im Wind wie die verkrüppelten Finger einer kalten und bösen alten Hexe entgegen.

Man sah einen hellerleuchteten leeren Zug vorbeifahren, und ich merkte mir endlich mal, wie Mobblns neue Nachbarn heißen: Links Familie Tauchner (Johann, Anna & Hermann Bock - letzterer wahrscheinlich ein Freund des Hauses, - jemand, der jahrelang in der Besucherritze des Ehebettes mitgenächtigt hat? ) und rechts Familie Moucka (Karl, Anna und Herbert).

Daheim schauten wir unsere Kaffeesendung: Der arme Boris steht bzgl. seines Rosenkrieges in Miami vor Gericht, und der Anwalt habe ihn auch noch angebrüllt!

„Wie damals beim Friedel!“ spielte ich murmelnd auf Friedels Scheidung im vergangenen Jahr an, ohne dabei gewesen zu sein, als ich den Boris auf der Anklagebank sitzen sah. „Ein Märtyrer!“

Rehlein geht das Schicksal der Beckers so nahe, daß sie neulich in der Nacht nicht einschlafen konnte.

Omi Ella wurde nunmehr nach drei Monaten aus der Gesundheitshaft entlassen, und ich rief sie erstmals wieder daheim an. Der Heimkehrenden und auch mir scheint´s, als seien Äonen vergangen.

Die Oma hatte lieben Besuch vom Onkel Eberhard und ihrer Enkelin Susanne und war hiervon so rührend warm gestimmt.

Samstag, 6. Januar

Zart-sonnig. Kaum noch Schnee

Beim Dichten hörte ich, wie´s mit dem Opa lästig und anstrengend war, weil er immer nichts hört, und hinzu unbedingt gebadet werden muß, bevor die Luisa kommt.

Doch ständig sagt der Opa: “Jetzt geh i aber erst ins Bett!“ Und bloß wenn man mal einen Film anschauen will, dann quillt er an Land und nervt, mit seinen unergiebigen Nachhakefragen.

Beim Frühstück saß der Opa allerdings auf eine friedvolle Art an seinem Stammplatz.

Ich erzählte meinen Lieben von Mobblns neuen Nachbarn auf dem Friedhof.

Die sind leider schon so lange tot, daß man über Staub redete.

So, wie früher links die Niebels und rechts die Privaths gewohnt haben, so wohnen heut links Tauchners und rechts Mouckas.

Ich malte uns aus, wie wir, wenn der Opa verstorben ist, keine Parte, sondern bloß eine Umzugsmeldung schicken:

Ich bin umgezogen:

Auf den Friedhof

Ostflügel, Reihe 4 / 13b

A-2821 Lanzenkirchen

Der süße Opa lachte gutmütig über diese Scherzeleien.

„Und jetzt kannst du meine Beerdigung gar nicht mehr erwarten?“ mutmaßte er belustigt.

Ming war so köstlich amüsant am Frühstückstisch und sang uns vor, wie der Harnoncourt auf dem Cello eine Bach Suite interpretiert hat. Den einen tiefen Ton sang Ming rülpsend und röhrend, so wie er wahrscheinlich wirklich geklungen hat, und trotzdem meint man, so jemand sei genial!

Am Nachmittag waren wir spazieren.

„Kikalein! Mach das Abitur nach!“ sagte Ming einmal, da sich in seinem Hirn eine Rille gebildet hat. Die Abiturs-Rille.

Doch der Gedanke daran strengte mich nur an.

Ich rief Frau Kamp zu ihrem 74. Geburtstag an, und erfuhr Schockierendes: Daß sie einen Tag vor Heiligabend mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, wo sie drei Tage lang bleiben mußte: Panikattacken, Bluthochdruck und Herzrasen...

Doch jetzt ist sie gottlob wieder gesund.

Sonntag, 7. Januar

Angenehm herb

Heut schlief ich nicht so besonders und träumte nur graue, deprimierende Dinge, wie beispielsweise,