Schreie in meinem Kopf - Charlotte Kroker - E-Book

Schreie in meinem Kopf E-Book

Charlotte Kroker

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Beschreibung

Erlenbach, eine Kleinstadt, gelegen in einem idyllischen Tal. Der Ortsteil Hagen windet sich zwischen Wiesen, Feldern und Wäldern einen kleinen Berg hinauf. Gehst du weiter am Wald-rand entlang, wirst du am Ende des Weges mit einem herrlichen Blick auf den Baggersee be-lohnt. Du könntest dich glücklich schätzen, in Hagen in einem dieser Häuser zu leben. Das dachte auch Wolfgang Bittner, als er dort ein Haus kaufte, um mit seiner Frau Anne eine Familie zu gründen. Aaron wurde geboren, und nach drei weiteren Jahren kam Katharina auf die Welt. Das Glück schien perfekt zu sein. Doch dann schlug das Schicksal erbarmungslos zu.

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Inhalt

VORAB …

IN DER PSYCHIATRIE

ERINNERUNG

IN DER PSYCHIATRIE

HITZEFREI

IN DER PSYCHIATRIE

ABSCHIED VON LILLI

IN DER PSYCHIATRIE

FERIEN IN BREMEN

IN DER PSYCHIATRIE

UNBESCHWERTE TAGE MIT EMMY

IN DER PSYCHIATRIE

DER BÜRGERPARK IN BREMEN

IN DER PSYCHIATRIE

DER FREIMARKT

IN DER PSYCHIATRIE

DIE LETZTEN TAGE IN BREMEN

IN DER PSYCHIATRIE

ERLENBACH

IN DER PSYCHIATRIE

WIEDERSEHEN MIT GRETA UND LILLI

IN DER PSYCHIATRIE

ÜBERMÄCHTIGE ANGSTGEFÜHLE

IN DER PSYCHIATRIE

SORGEN UM GRETA

IN DER PSYCHIATRIE

GEFANGEN IN TRÜBEN GEDANKEN

IN DER PSYCHIATRIE

ABSTURZ

IN DER PSYCHIATRIE

DIE RUHE VOR DEM STURM

TAGESKLINIK

Vorab …

Vor deinem Schicksal kannst du dich nicht verstecken. Es findet dich überall!(Charlotte Kroker)

Erlenbach – eine Kleinstadt, gelegen in einem idyllischen Tal. Der Ortsteil Hagen windet sich zwischen Wiesen, Feldern und Wäldern einen kleinen Berg hinauf. Gehst du weiter am Waldrand entlang, wirst du am Ende des Weges mit einem herrlichen Blick auf den Baggersee belohnt. Du könntest dich glücklich schätzen, in Hagen in einem dieser Häuser zu leben.

Das dachte auch Wolfgang Bittner, als er dort ein Haus kaufte, um mit seiner Frau Anne eine Familie zu gründen. Aaron wurde geboren, und nach drei weiteren Jahren kam Katharina auf die Welt. Das Glück schien perfekt zu sein. Doch dann schlug das Schicksal erbarmungslos zu.

Danke

Ganz herzlich möchte ich mich bei Ludmilla bedanken. Sie machte mir stets Mut, weiterzuschreiben, und war immer interessiert.

Dank an meine ersten Leser Anne, Iris, Erika und Biggi.

Markus, danke für das Cover-Bild und die Werbung für all meine Bücher.

Die Protagonisten sind frei erfunden. Berichte über Betroffene, die ich beschrieben habe, sind es nicht, sondern alles ist zum Teil hautnah erlebt … miterlebt.

IN DER PSYCHIATRIE

Ich spüre, wie sich mein Bewusstsein an die Oberfläche kämpft. Sofort habe ich den Wunsch, wieder einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen. Der Wunsch füllt meinen ganzen Körper aus – ich kann an nichts anderes denken.

Eine Welle der Übelkeit rollt auf mich zu. Es gelingt mir, sie zu überstehen. Ich versuche, mich zu entspannen, und frage mich, wo ich eigentlich liege, denn das Bett fühlt sich fremd an. Es kostet Kraft, die Augen zu öffnen.

Weiße Wände um mich herum – ein kahler, einfach eingerichteter Raum. Große Fenster, die aufdringliches Licht ins Zimmer werfen. Das alles erinnert mich an ein Krankenhaus. Sicher hatte ich wieder diese schrecklichen Tagträume. Die Ärzte nennen sie Psychosen. Sie überfallen mich, egal wo ich bin. Plötzlich sehe ich grüne Katzenaugen und verzerrte Münder. Gellende Schreie verfolgen mich und hallen schmerzend in meinem Kopf. Ich kann nichts dagegen tun, ich bin ihnen ausgeliefert. Nachts quälen mich die Bilder von geifernden Monsterkatzen, deren Speichel auf mich tropft. Ich wache auf, liege zitternd im Bett und kann nicht mehr einschlafen. Am Tag bin ich müde und unkonzentriert. Manchmal höre ich Mutter weinen. Vater tröstet sie. Ob sie auch Albträume hat? Mutter ist immer traurig. Besonders, wenn sie mich ansieht. Dabei habe ich ihr nichts getan! Ich kann lustig sein und lachen. Das alles kann sie nicht! Sie sitzt nur da, streichelt ihre Katze, starrt Löcher in die Luft oder läuft wie ein Geist durchs Haus.

Ich höre Schritte. Die Tür öffnet sich. Schnell mache ich die Augen zu, damit sie mich in Ruhe lassen.

»Aaron, mein Junge«, höre ich Vaters Stimme.

Ich will nicht mit ihm sprechen. Ich will nur denken. Doch Vater lässt mir keine Ruhe. Er redet und redet, als ob er ein schlechtes Gewissen hat. Soll er doch! Ich verspüre so etwas wie Wut. Sie tut mir gut. Dadurch schaffe ich es, die Augen zu öffnen, und schaue ihn an. Wie oft habe ich ihn gefragt, was Mutter gegen mich hat. Immer ist er mir ausgewichen, nie hat er mir eine Antwort darauf gegeben! Ich würde mir alles nur einbilden, versucht er mir jedes Mal einzureden. Dabei sehe ich den Hauch eines Lächelns auf Mutters Gesicht, wenn sie die Katze streichelt – und wie es verschwindet, wenn sie mich anschaut.

Ich fühle die Wut immer noch, sie gibt mir meine Lebensgeister zurück. Doch die Angst lauert in meinem Inneren. Sie ist mein täglicher Begleiter. Und dann schlägt sie ganz plötzlich zu.

Wie durch Watte höre ich Vater reden. Irgendetwas von Tabletten einnehmen und Gespräche mit dem Arzt führen. Ich bin so weit weg. Ob ich meine Augen wieder schließen soll? Vielleicht geht er dann.

Endlich bin ich alleine. Alleine mit meinen Gedanken. Ich erinnere mich, wie es angefangen hat. Wie ich die unheimliche Angst zum ersten Mal gespürt habe.

Erinnerung

Ich ging von Hagen nach Erlenbach die Abkürzung über den Feldweg zur Schule. Es war schon so warm, dass mir der Schweiß den Rücken herunterlief. Der Tag versprach wieder heiß zu werden. Die dichten Tannen, die auf der einen Seite des Weges standen, würden erst ab Mittag Schatten spenden. In der Ferne hörte ich Donnergrollen. Ich schaute zum Himmel, er war blau, doch so dunkel wie tiefes Wasser.

An diesem Morgen fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Schlecht gelaunt holte ich aus und stieß mit dem Fuß die Steine zur Seite, dass es nur so staubte. Ein Glück, dass meine Schwester Greta und meine Freundin Lilli von Vater im Auto mitgenommen wurden. Denn morgens hatte ich keine Lust, ihr Geplapper über neue Klamotten zu hören. Das musste ich mir nicht antun. Die neuste Mode war mir egal. Jeans und ein T-Shirt reichten vollkommen und passten immer. Lilli ärgerte sich darüber. Beim Shoppen nach einer neuen Jeans schleppte sie mich in jeden Klamottenladen und versuchte mich zu überreden, etwas Cooles zu kaufen. Doch bei mir hatte sie kein Glück.

»He, Aaron, du bist siebzehn und keine siebzig!«, schimpfte sie dann meist wütend. Wenn sich Lilli ärgert, sieht sie süß aus. Ich muss dann immer lachen und küsse ihren Ärger einfach weg.

Lilli wohnt genau wie wir in Hagen, einem Ortsteil von Erlenbach. Sie ist Gretas beste Freundin, obwohl Lilli vier Jahre älter ist. Und seit Lillis fünfzehntem Geburtstag sind wir beide zusammen.

Kopfschmerzen hämmerten hinter meiner Stirn. »Hätte ich doch bloß die doofe Sonnenbrille nicht vergessen«, murmelte ich wütend vor mich hin. Ich musste dauernd blinzeln, weil mir die Sonne ins Gesicht schien. Warum schlafe ich in letzter Zeit so schlecht, dachte ich gereizt, und warum quälen mich so seltsame Träume?

Es flimmerte vor meinen Augen. Plötzlich sah ich eine große Wasserpfütze vor mir und blieb erstaunt stehen. Es hat doch schon drei Wochen nicht mehr geregnet!

Mit einem eigenartigen Gefühl im Bauch ging ich an der Pfütze vorbei und drehte mich nach ein paar Schritten um. Da fiel mir eine Katze auf, die neben der Pfütze hockte. Sie starrte mich mit großen Augen an. Seltsam, genau dort, wo die Katze sitzt, bin ich gerade vorbei gegangen. Ich habe sie nicht bemerkt.

Bevor ich auf die Hauptstraße einbog, schaute ich noch einmal zurück. Die Katze saß immer noch genauso unbeweglich auf derselben Stelle. Es sah fast so aus, als ob sie mich mit ihrem Blick festhalten wollte. Selbst auf die Entfernung hin, konnte ich das Grün ihrer Augen erkennen.

Das eigenartige Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich. Den restlichen Weg bis zur Schule rannte ich.

»Aaron, warte auf mich«, rief Lilli, als ich außer Atem auf dem Schulhof ankam. Ihre langen, schwarzen Haare wehten, als sie auf mich zulief. »Warum machst du so ein Gesicht? Hat es Ärger zuhause gegeben?«

»Nee«, antwortete ich und hoffte inständig, nicht nach Schweiß zu riechen. Zerstreut fuhr ich mit der Hand durch meine Haare. Kurz fielen mir die Pfütze und die Katze ein. Doch Lilli hatte mich schnell abgelenkt. Ihr Minirock rief so einige Erinnerungen in mir wach, denn sie hat die längsten und schönsten Beine, die ich kenne. Der Geruch ihrer leicht verschwitzten Haut ließ mich an meinen Lieblingsplatz am Baggersee denken und weiß Gott nicht an unsere Gesamtschule.

Wir knutschten eine Weile herum. Ich malte mit meinem Zeigefinger zärtlich die Konturen ihrer Lippen nach. Bevor wir uns trennten, gab ich ihr schnell noch einen Kuss, dann ging jeder in seine Klasse.

An meinem Platz angekommen, warf ich meine Schultasche mit einem gekonnten Looping unter den Tisch und setzte mich auf meinen Stuhl. Meine Mitschüler machten einen Krach, der mir total auf den Senkel ging. Müde riss ich meinen Mund auf und gähnte, bis mir die Tränen aus den Augen liefen.

»He, Alter«, rempelte mich Jörg an. »Warst wohl gestern zu lange bei Lilli, was?«

»Nur kein Neid«, knurrte ich. Meine Gedanken wanderten zum Baggersee. Bei dem tollen Wetter wollte ich mich dort am Nachmittag mit Lilli und einigen Freunden treffen. Schwimmen zu gehen ist einfach geil. Und dann mit Lilli … Das wird meine schlechte Laune garantiert vertreiben, dachte ich. Hoffentlich hielt die Hitzeperiode noch etwas an, in ein paar Tagen begannen nämlich die Sommerferien.

Frau Gerber, unsere Lehrerin, kam ins Klassenzimmer. Es wurde leiser, und der Unterricht begann. Ihre monotone Stimme machte mich noch schläfriger. Wer interessierte sich schon für Geschichte? Ich jedenfalls nicht! War mir doch egal, ob sich die Leute im 16. Jahrhundert die Köpfe eingeschlagen hatten oder nicht. Ein Bett wäre mir jetzt lieber.

Ich kippelte mit geschlossenen Augen auf meinem Stuhl herum und döste vor mich hin.

»Aaron«, hörte ich Frau Gerber rufen. Ich versuchte mich aufzusetzen, doch plötzlich verlor ich das Gleichgewicht. Mit einem lauten Knall landete ich auf der Erde. Klar, dass alle aus vollem Hals lachten! Vor allem Mia kreischte so peinlich laut, dass ihr Frau Gerber einen wenig freundlichen Blick zuwarf. Ich fühlte, wie mir die Hitze in den Kopf schoss und mein Gesicht vor Scham brannte. Betont gleichgültig tat ich so, als ob nichts passiert wäre.

»Hast du gut geschlafen Aaron?«, spottet Frau Gerber. »Ich wiederhole die Frage noch einmal für dich: Die Franzosen griffen in den Krieg ein. Die letzte Schlacht des Krieges, westlich von Augsburg, fand wann statt? Und wann läuteten die Friedensglocken, die mit der Unterzeichnung der Verträge dem Krieg ein Ende setzten?«

Verdammt, vor lauter Müdigkeit hatte ich gar nicht zugehört. Ich konnte die Frage nicht beantworten. Peinlich!

Lars, der vor mir saß, drehte sich grinsend um. Spöttisch erklärte er:

»Die letzte Schlacht bei Augsburg fand im Mai 1648 statt und die Friedensverträge wurden im Oktober 1648 unterzeichnet.«

Ich hätte dem Angeber so eine reinhauen können! Bei jeder Gelegenheit freute er sich tierisch, wenn ich mich blamierte. Am liebsten hatte er es, wenn Lilli das mitbekam. Er war hinter meiner Freundin her, wie der Teufel hinter einer armen Seele. Aber bei Lilli hatte er schlechte Karten, sie liebte nur mich!

Nach einer Weile kroch mir wieder die Müdigkeit in die Glieder. Ich konnte kaum die Augen aufhalten. Mühsam zwang ich mich, nach vorne zur Tafel zu blickten. Doch was war das? Im Augenwinkel bemerkte ich eine Katze, die draußen auf der Fensterbank saß und ins Klassenzimmer starrte. Sofort war das eigenartige Gefühl in meinem Bauch wieder da. Schnell machte ich die Augen zu.

Als ich nach einer Weile noch einmal zum Fenster sah, war die Katze verschwunden. Mir fiel die vom Feldweg ein und Mutters Katze, die sich nur von ihr anfassen ließ. Wieso dachte ich dauernd über Katzen nach? Eigentlich mochte ich Hunde viel lieber.

Endlich Pause! Nichts wie raus aus dem stickigen Klassenzimmer. Träge nahm ich wahr, dass sich das Gewitter verzogen hatte.

Auf dem Schulhof entdeckte ich Lilli zwischen ihren Mitschülerinnen. Lars stolzierte gerade an den Mädchen vorbei und drückte ihnen mit wegwerfender Geste einen coolen Spruch rein.

»Angeber!«, rief Lilli und kam lachend auf mich zu. Demonstrativ legte ich meinen Arm um ihre Hüften und warf Lars mein schönstes Siegergrinsen zu. Zusammen gingen Lilli und ich – wie immer – hinter das Schulgebäude. Über die anzüglichen Bemerkungen, die man uns hinterherrief, konnten wir beide nur schmunzeln. Auf dem umgestürzten Baum, unserem Platz, machten wir es uns bequem.

Jeder Junge auf der Schule war hinter Lilli her. Aber sie wollte nur mich. Wir knutschten wieder. Das warme Kribbeln in meinem Bauch wanderte weiter nach unten.

»Bleibt’s dabei, dass wir uns nachher treffen? Bei dem Wetter schwimmen zu gehen ist genial. Ich habe mir einen neuen Bikini gekauft. Bin gespannt, wie er dir gefällt. Ich freue mich schon.«

Ich liebte die Handbewegung, mit der sie lächelnd ihre Haare hinter das Ohr strich.

Eine Katze huschte an uns vorbei, blieb stehen, drehte sich um – und starrte mich an. Scheiße! Das warme Gefühl verschwand, und mein Magen hüpfte in den Hals.

Lilli merkte mein Erschrecken. »Was ist los, Aaron? Es ist doch nur eine Katze«, sagte sie verständnislos und boxte mich in die Seite.

Als wir zurück in unsere Klassen gingen, schlich ich mit hängendem Kopf neben ihr her. Bevor wir uns trennten, überholte uns Lars. »Na, habt ihr euch gezankt?«, rief er schadenfroh. Wütend dachte ich: Irgendwann schnappe ich ihn mir und haue ihm so eine rein, dass ihm das Nachhecheln hinter Lilli her vergeht!

Die Mathestunde bei Herrn Unger nahm und nahm kein Ende! Wie war das mit der Zisterne? Sie enthielt 800 l Wasser? Na gut. 20 Minuten nach dem Öffnen des Ventils enthielt sie nur noch 180 l Wasser. »Oh, Mann«, stöhnte ich vor mich hin. Dann wurde der Abfluss für 10 Minuten gestoppt. Oder waren es 20 Minuten?

»He, Benni, nach wie viel Minuten wird der Abfluss gestoppt?«

»Zehn Minuten«, flüsterte mir Benni zu.

Der Lehrer sah mich ein paar Mal grübelnd an, aber mein Gehirn war vor Müdigkeit wie ausgewaschen. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.

»Nächste Aufgabe«, sagte Herr Unger und ging zur Tafel. Er schrieb: Das Viereck. A(-2) … Pause in meinem Gehirn … Warum guckte der Unger mich dauernd an? Er ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen!

»Bestimme die Gleichungen der diagonalen Geraden.«

Ohne einen klaren Gedanken fühlte ich mich wie in einem luftleeren Raum. Ich sah aus dem Fenster in den blauen Himmel. Ab und zu drang die Stimme von Herrn Unger an meine Ohren. Gerade erklärte er: »Zur Kontrolle: 7x - 4y … Berechnet dann …« Wieder Pause in meinem Gehirn. »… die Koordinaten des Schnittpunktes {S}=g …« Den Rest bekam ich nicht mit.

Ich gähnte, was das Zeug hielt. Dabei füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich sah nichts mehr und wischte sie mir umständlich aus. Wie herrlich, mit geschlossenen Augen blieb ich eine Weile sitzen.

Ich kapierte nichts! Was war mit dem Schnittpunkt?

Endlich schrillte die Klingel! Die letzte Schulstunde war vorbei. Jeder packte seine Sachen zusammen und drängelte zur Tür. Bevor ich als Letzter aus dem Klassenzimmer ging, sah ich noch einmal zum Fenster, und da saß sie – die Katze. Ich schaute in glühende Augen, sie kamen näher und näher … Mein Hals war plötzlich wie ausgetrocknet. Schwitzend vor Aufregung würgte ich meine Spucke hinunter. Mein Shirt klebte mir am Körper. Ganz entfernt hörte ich Herrn Unger fragen: »Aaron, ist noch was?«

Der Bann war gebrochen, doch ich konnte den Blick kaum von diesen magischen Katzenaugen lösen. Verzweifelt schaute ich zu Herrn Unger und zeigte zum Fenster. Doch als ich wieder hinsah, war keine Katze mehr da. Eine leichte Gänsehaut kroch mir langsam den Rücken herauf. Irritiert zog ich die Schultern hoch, verabschiedete mich und lief den anderen hinterher.

Lilli und Greta warteten draußen auf mich. Langsam schlurften wir in der brütenden Hitze über den Schulhof und nahmen den Heimweg über die Hauptstraße. Ich griff nach Lillis Hand, wie nach einem Strohhalm, so elend fühlte ich mich. Ich sehnte mich nach menschlicher Nähe und Sicherheit und hätte sie gerne in den Arm genommen. Doch es war einfach zu heiß, und ich war unendlich müde. In Gedanken vertröstete ich mich auf den Nachmittag am Baggersee. Grübelnd überlegte ich: Es sieht beinah so aus, als ob die Katzen etwas von mir wollen. Aber die Katze am Klassenfenster konnte doch nicht wissen, in welchem Zimmer ich sitze!

Die Mädchen stießen sich an, und Lilli sagte: »Du bist heute komisch, Aaron. Was ist los mit dir? Schlägt dir die Hitze aufs Gehirn?« Dabei kicherte sie blöd.

Ich gab ihr keine Antwort. Wenn ich erzählte, was ich dachte, lachte sie mich bloß aus. Ich war einfach urlaubsreif. Es wurde Zeit, dass die Sommerferien anfingen.

Am Nachmittag kam meine Freundin schon ziemlich früh, um Greta und mich zum Schwimmen abzuholen. Ich hätte für die Schule arbeiten müssen, aber bei dem heißen Wetter hatte ich keine Lust dazu.

»Hast du Hausaufgaben gemacht?«, fragte Lilli.

»Nee, wir haben eine blöde Zisternenberechnung durchgenommen. Davon habe ich sowieso nichts kapiert«, antwortete ich ihr schroff, was mir einen vorwurfsvollen Blick von Greta einbrachte, den ich einfach ignorierte. Sie fand es total doof, wenn ich zu Lilli nicht nett war.

Wir machten uns auf den Weg. Greta maulte über die Hitze und wurde immer langsamer. Ich dagegen konnte es kaum erwarten, ans Wasser zu kommen. Ein Stück des Weges führte uns über den Feldweg, den ich morgens zur Schule gehe. Bevor wir dann zum See abbogen, blieb ich stehen und suchte mit den Augen den Weg ab, in der Richtung, in der ich am Morgen die Pfütze gesehen hatte. Die Luft flimmerte an einer Stelle, aber etwas erkennen konnte ich nicht.

»Was gibt es denn da zu sehen?«, fragte Greta neugierig.

Betont gelangweilt sagte ich: »Heute Morgen war da eine große Wasserpfütze.«