Schriften zur Politik und Gesellschaft - Alfred Döblin - E-Book

Schriften zur Politik und Gesellschaft E-Book

Alfred Döblin

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Beschreibung

Die wichtigsten Schriften zur Politik und Gesellschaft Alfred Döblin war nicht nur ein großer Erzähler, sondern gehörte auch zu der in Deutschland seltenen Spezies des engagierten Intellektuellen. Dieser Band versammelt die wichtigsten publizistischen Eingriffe und Interventionen Döblins von 1896 bis 1951. Mit einem Nachwort von Torsten Hahn

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Alfred Döblin

Schriften zur Politik und Gesellschaft

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort von Torsten Hahn

Inhalt

[Die Frau in der Klassengesellschaft]ReimsEs ist Zeit!Drei DemokratienDer Dreißigjährige KriegRevolutionstage im ElsaßDie Vertreibung der GespensterNeue ZeitschriftenLandauerDer Bär wider WillenDämmerungRepublikGlossen, FragmenteDer Knabe bläst ins WunderhornKrieg und FriedenZwischen Helm und ZylinderLeidenschaft und LandlebenDas Nessushemd[Gutachten über Brunner]Der Kapp-PutschKuriosa aus DeutschlandDeutsches, AllzudeutschesNeue JugendTrauertag in BerlinBlick auf die RuhraffaireKritischer VerfassungstagDer hörbare RuckSchriftsteller und Politik[Das Recht der freien Meinungsäußerung][Aktionsgemeinschaft für geistige Freiheit]Kassenärzte und KassenpatientenUnterhaltung über den MarxismusKatastrophe in einer LinkskurveSelbstschändung des Bürgers[Brief an Franz de Paula Rost][Zensur der Straße][Antwort auf Kornfelds Kritik]Vorwort zu einer erneuten Aussprache [über »Wissen und Verändern!«]Nochmal: Wissen und VerändernZu Einzelheiten der DiskussionZusatz zur Frage Materialismus und IdealismusVom organischen Kollektivismus, gegen das ZwangskollektivNachweis des Versagens der alten Methoden[Rußlandvorträge der Deutschen Welle. Telephonische Umfrage]Grundlinien[Zirkular-Brief]Die Gesellschaft, das Ich, das KollektivumHerr Gütermann[Das Land, in dem ich leben möchte]Bemerkungen zum 15-Jahr-Jubiläum[Friede auf Erden][Kundgebung]Kommandierte DichtungGrundsätze und Methoden eines NeuterritorialismusI. An der Außenseite des NeuterritorialismusII. Der religiöse WiderstandDas Gesicht des GaluthjudentumsDie Wiederherstellung des JudentumsDas Auftreten der NaturHilft es, gut zu sein?III. Die Realisten, Historiker, Sozialisten.Wie steht es mit dem Klassenkampf?IV. Die Methoden: Zwei Wege – Wie kommt man zum Land?Umwandlung der Kultusgemeinden in nationale AktionskörperV. Aussichten. – Das Judenproblem ist international. – Außereuropäische Kolonisation als zukünftige Kollektivarbeit der StaatenLektüre in alten Schulbüchern[Verbrannte und verbotene Bücher]Prometheus und das PrimitiveWas ist die Natur?Innentechnik und AußentechnikPrometheus in der BibelHellas-Rom und der Umschlag zur InnentechnikDer Einbruch eines neuen PromethismusWo stehen wir heute?Der absolute Staat und die MystikDas Vakuum nach dem Sozialismus[Brief an Arthur Koestler]Politik und SeelengeographieVon neudeutschen SchulenDas Rote KreuzDer Friede von morgenZu Rauschnings BuchHinweise und Vorschläge für die Propaganda nach Deutschland hinein1. Das Hinterland2.[Die Front]Disques pour le front[1][2][3][4]Programmatisches zu EuropaDie literarische SituationErstes Kapitel Entstehung der sozialistischen und biologischen UtopieZweites Kapitel Der Weg der biologischen UtopieVierzehntes Kapitel Zum Verständnis der DeutschenKritik der ZeitWeg mit der Furcht!Kleines Notizbuch[Humanismus und Sozialismus][Kritik der Zeit]Rosa Luxemburg, Briefe an Freunde[Brief an Irma Loos]AnhangEditorische NotizEinzelnachweise:Daten zu Leben und WerkNachwortI ›Eine‹ radikale Position mit gegenläufigen StrebungenII Die politischen Schriften der Weimarer RepublikIII Die politische Theorie des Mythos und die BiopolitikLiteraturhinweise1. Texte von Alfred Döblin2. Texte über Alfred Döblin

[Die Frau in der Klassengesellschaft]

[…]

Die erste Frau war die erste Sklavin des Mannes, ein Dienstbote, ein Lustwerkzeug unter andrem Titel. Doch wir wollen in Ordnung die jetzige Stellung der Frau betrachten.

Unsere Gesellschaftsform hat drei Klassen gezeitigt, die haarscharf sich trennen: Die oberen Zehntausend, besser die Aristokratie, der wohlhabende Bürgerstand, das Proletariat.

Von der ersten Klasse habe ich schon oben gesprochen. In dieser Klasse ist die Frau ungefesselter, man kann fast sagen frei. Größtenteils sind die Ehen durch eine Geldheirat geschlossen; die Tochter hat sich dem Willen des hohen Vaters zu fügen, unweigerlich. Die Ehe, welche Ehe führen sie aber auch! Die Ehe ist zersetzt, moralisch, zersetzt durch den Besitz: das Familienleben zerfließt und zerflattert in alle Winde. Es lebt der Mann, es lebt die Frau, charme à son goût, in der Familie gilt die Frau aber fast stets als Luxusmöbel, Repräsentantin und Dekorationsstück. Auch die Erziehung der Kinder liegt in fremden Händen; die Frau hat wenig Einfluß auf die Art und Weise des Erziehens, stets hat der Mann das Wort. Sonst aber ist die Frau ungebunden, im Leben, im Verkehr. Oft lebt man auch um des lieben Friedens willen getrennt wie Kaiser Wilhelm I und Kaiserin Augusta, doch nach aussen darf nichts, absolut nichts dringen von dem Familienleben. Ja, so etwas ist modern!

[…]

Ganz anders, familiär, steht es mit dem Bürger, dem gebildeten Manne des »Volkes«. Das ist der Stand, dem bekanntlich die Religion erhalten werden muß. Man sagt, die Religion ist die transscendentale Widerspiegelung des jeweiligen Gesellschaftszustandes. Wollen also die »Großen« des Staats, dem Volk soll Religion erhalten werden –, ich glaube, jeder kann weiterschließen.

Doch ich will ja von der Frau reden, nicht von der leidigen Religion.

Von dieser Bürgerkaste ist wohl zuerst der Ruf erschollen von dem »Naturberuf der Frau«, denn hier allein ist Raum für solche Gebilde. In diesem Kreise hat fast jede Familie einen gewissen Wohlstand, dann ist »natürlich« die Frau Hausfrau, Mutter, glücklichenfalls auch Schwiegermutter. Denn es ist hergebracht, wie gesagt, daß die Frau im Hause bleibt; – daß man sich in dem Volke der Denker wohl langsam erinnern wird, es giebt um zu essen, noch Restaurants etc. Speiseanstalten, hat große Aussicht. Es würde damit die »Hausfrau« stürzen. Und wegen des Wohlstandes, wegen einer gewissen Zufriedenheit mit dem sichern Alten (es giebt, bei Gott, nichts Kulturwidrigeres als die Zufriedenheit), darum ist hier auch solch Ideal einer Mutter und Hausfrau häufig.

Doch wie überall, so auch hier: der Ehevertrag ist ein Kaufvertrag. Die Bildung der Frau ist entsetzlich einseitig beschränkt, meistens die berühmte Bildung der »höheren Töchter«: Perfekt französisch, Schlachtengeschlage, und andere Spielereien. Doch keine Idee von dem furchtbaren Kampfe der Menschen um Erwerb, um Sein und Nichtsein, dem Kampfe der sich selten offen zeigt, wie bei dem neulichen Streik der Konfektion. Allerdings besteht zwischen ihnen und den Gymnasiasten kein großer Unterschied, die in den seltensten Fällen zu sehen verstehen oder sich um »solchen Unsinn« garnicht kümmern. Haben sie doch noch soviel Zeit! Und unter diesen gebildeten Töchtern diese Unkenntnis von der Wichtigkeit, der Bedeutung der geschäftlichen Funktionen. Treten doch oft »Fräulein« in die Ehe, ohne eine Ahnung von den Anforderungen zu haben, die an sie gestellt werden, von ihren Pflichten.

Ja, die ganze Pflicht ist es wohl, den Mann zu lieben, nicht wahr? Welche Art diese »Liebe« ist, darauf will ich nicht näher eingehen, diese Tierchen lieben an ihrem Manne eben nur den Mann. Doch das ist natürlich. Hier ist das Wort natürlich in seiner vollen Bedeutung aufzufassen: von der Natur veranlaßt.

Der Mensch ist zuerst Mensch und erst darauf Alles andre. Sein Körper verlangt seine Rechte.

Es darf kein Glied des Körpers vernachlässigt werden, bei Strafe der furchtbarsten Krankheiten. Und wer es wagt, der Natur zu trotzen, seine »tierischen Triebe« zu unterdrücken, er wird in diesem Kampfe gebrochen unterliegen.

Tierische Triebe!

Was ihr tierisch nennt, ist das einzige natürliche bei unserer Gesellschaft.

[…]

Der Kapitalismus treibt die Frauen in dieser Mittelklasse zu dem Kampfe um die Universität.

Deutschland muß sich das erst überlegen. Es überhastet sich nicht gerne.

In diesen »Kern« des Volkes haben unsere Dichter das Frauenideal hineingedichtet, das Ideal eines Geibel, Chamisso, Heyse etc. Ihre Frauen sind ganz famos. Ihre Gedanken, all ihr Sein ist eine einzige unermeßliche Traum-Schlafseligkeit, und wir besitzen eine gewaltige Galerie flacher unbedeutender Frauengestalten aus dieser Zeit. Unsre Modernen suchen noch die Frau, die neue Frau. Ich glaube, sie wird in der Wirklichkeit eher vorhanden sein, als sie sie finden. Doch – genug von dem Bürgerstand, den Bourgeois. Dies alles ist die Damenfrage gewesen.

Wir kommen nun zur Frauenfrage, die ernster, viel ernster ist. Denn hier handelt es sich nicht um Universität etc., das Leben will man sich erobern! In frühester Jugend wird das Mädchen angehalten, zu verdienen, möglichst an Selbständigkeit zu denken. Bald soll sie sich selbst ernähren, denn die Eltern haben für sie nichts übrig. Gelernt wird auf der Gemeindeschule das Allernotwendigste. Für bessere Bildung fehlt Zeit – Geld.

Bei dem riesigen Angebot von Arbeitskräften ist man froh, überhaupt ein Unterkommen zu finden. Auf große Ansprüche verfällt das Mädchen garnicht erst.

So übernimmt sie für einen Hungerlohn jede, jede Arbeit, schwieriger als die des Mannes, selbstredend viel weniger bezahlt, ist sie doch nur eine – Frau!

Verheiratet, kann sie nicht den Tag über daheim bleiben. Es heißt verdienen, den Mann unterstützen, die Familie ernähren, Kinder auffüttern, von Mutter und Hausfrau nicht die Rede, aber sie ist eine Frau, die gleichverpflichtete Gefährtin des Mannes.

Unverheiratet ist die Frau den größten Gefahren ausgesetzt. Um nur einigermaßen einen Begriff von dem Lohn eines Mädchens zu machen, will ich einige Zahlen anführen. Die Arbeiterinnen der Papierindustrie treten in Ausstand, um einen Lohn von 13,50 M pro Woche zu erzielen. Wie müssen die Löhne also bis jetzt gewesen sein! In der Bekleidungsindustrie ein Durchschnittslohn von 6–9 M wöchentlich, in der Perlindustrie 5–6 M, und die Schürzenarbeiterinnen erhalten kaum 3–4 M!!

Pfui!!

Elende Ausbeutung!

Und diese armen Wesen haben noch furchtbare Konkurrenten, die ihnen selbst dies wenige nehmen.

Und wer sind die?

Es sind die Frauen der kleinen Beamten, die sich für ihr »standesgemässes« Auftreten ein Taschengeld verdienen wollen!

Mit diesem Lohne vergleiche man die Ausgaben eines Mädchens, Ausgaben, um nur das Leben zu fristen. Und das ist das Entsetzliche, – – aus diesem jammervollen Leben können sie sich retten; es giebt eine Rettung – eine Rettung – – die Prostitution! – – – – – – – Und wieder und immer wieder der Satz: Der Mensch ist ein Mensch!

Ein unerbittliches Naturgesetz sagt, du mußt deinem Geschlechtstriebe folgen!

Und unsre Gesellschaft sagt, du mußt heiraten! Und heiraten können heißt, Geld zur Ernährung einer Familie besitzen. Besitzst du kein Geld, und willst du »lieben« – so giebt es eine Prostitution. Und du kannst auskömmlich leben und brauchst dich nicht zu schinden. So ist unsere Sitte beschaffen.

Sitte ist, was einem Gesellschaftszustande Bedürfnis ist. Möge jeder selbst folgern.

In Berlin sollen allein 20000 Prostituierte sein, eine Zahl, die sicher viel zu niedrig gegriffen ist.

Daß gerade Berlin so stark mit Prostituierten bevölkert ist, – denn ich darf sagen, bevölkert –, erklärt sich leicht aus dem Aufschwung seiner Maschinen etc. etc. Industrie, deren größere Verbesserung jedesmal eine Menge Arbeiter überflüssig macht und so seine Arbeiterinnen prostituiert.

Herrliche Zustände wahrlich! Jede Vervollkommnung ist mit dem Zugrundegehen von 1000den Menschen zu bezahlen!!! Die Choristinnen der Theater sind mit seltenen Ausnahmen fast sämtlich Prostituierte. Um so eher, so mehr sie das Unglück haben, schön zu sein. Für einen entsetzlichen Lohn müssen sich diese Mädchen ernähren, weiterfortbilden, und noch die allerteuerste Toilette selbst stellen! Die Polizei meint es mit den Leuten, welche die Mädchen prostituieren, sehr gut. Wöchentlich muß sich die Arme untersuchen lassen, ob sie nicht ansteckend krank ist, damit der Betreffende ja keinen Schaden nähme!

Der Staat erklärt mit diesem Organisieren die Zivilehe für nicht ausreichend.

Dieses Entkleiden vor den Polizeiärzten, dieses Betasten en masse, es muß auch die letzte Scham in den Unglücklichen töten. Oft sind es gar nicht schlechte Mädchen, die sich so entwürdigen. Ein Beispiel, das charakteristisch ist, will ich anführen.

Ein Schreiber Namen X verdiente monatlich – 40 M, woraus er die Frau und zwei Kinder zu ernähren hatte. Die Gattin unterstützte ihn nach Kräften. Der Mann wurde entlassen. Mit Einwilligung des Mannes prostituierte sich die Frau. Die Sache wurde der Polizei bekannt. Eines Tages brachte ein Schutzmann die Aufforderung an Frau X, sich um 1 Uhr im Polizeipräsidium einzufinden, zur Untersuchung. Die Gattin erschoß sich mit dem Mann. Dieses Drama konnte natürlich neben den Hoftheatern nicht aufkommen. Es wurde unterdrückt.

Was geht uns doch dies Pöbel an, das sich an den ersten besten wegwirft?! –

Ein furchtbares Übel ist die Prostitution, kein notwendiges.

Sie ist die Folge des Kapitalismus.

Fort mit der Geldehe!

Wir verlangen eine neue, bessere Eheform. Nicht wird mit der freien Liebe die Familie untergraben, sie soll auf besserem Boden erbaut werden; ein Privatvertrag sei sie, in den sich keiner, weder Staat noch Kirche, einzumischen hat!! Die freie Liebe bezweckt allein eine gesunde Ehe, eine leichte, unendlich leichtere Eheschließung und Scheidung.

Die Frau aber sei gleichgestellt dem Manne, gleich im Recht, wie gleich in der Pflicht.

Und die Hauptursache alles Übels: der Kapitalismus – auch er wird fallen – mit ihm Vieles andre – – – und eine neue Welt wird erblühen, schöner – besser als jetzt, eine Welt, in der Alle gleiche Arbeitspflicht haben, gleichen Genuß von der Arbeit und ohne Arbeit kein Genuß und keine Arbeit ohne Genuß, ja, die Arbeit sei selbst ein Genuß!!

Wir aber wollen kämpfen, diese Welt zu erringen, denn sie ist erringenswert! –

Solange aber die Frau sich nicht gleich fühlt dem Manne, solange wird sie ihm untergeordnet sein, solange wird sie sich durch ihn erniedrigen, entwürdigen lassen.

Reims

Als im Beginn des August 1914 der Krieg in Europa sichtbar wurde, standen auf einen Schlag, aus der Erde gestoßen, fertige Nationen an derselben Stelle, wo noch eben kommunizierende Staatsverbände ihre Geschäfte getrieben hatten. Interessenverbände über die Grenzen weg klafften auseinander. Dem Ineinanderwallen der Völker war ein rapides Ende bereitet. Innerhalb der Staaten fielen Schlangenhäute des Standes, Berufes von den Menschen; nur die umtobte geographische Grenze gab dem Denken eine Orientierung. Alles andere war Luxus, Zwischenaktsmusik. Rasch wurden in der Kunst die Fahnen eingezogen. In dieser feinfühligen Gesellschaft begriff man: unsere Tage sind vorbei. Die Lähmung war vollkommen. Angedonnert, wenn man dieses alte Wort gebrauchen will, legte sich die Kunst um, fiel. Besser als Ideen waren jetzt flinke Beine, statt Leinewand obenauf mit Farbe bemalen war es Zeit, auf lebende Haut zu klopfen: die Farbe kam von unten allein angespritzt. Wer Bildhauer war, konnte sich sein Grabdenkmal hauen, wenn er es nicht vorzog Schanzen zu bauen. Schreiben, mit Kraft für ein interessiertes Publikum schreiben, war nur dem Oberquartiermeister vergönnt; die übrigen fanden Verwendung für ihr Papier und ihr Talent in Eingaben an Armenkommissionen, in schwungvollen Gesuchen um Speisemarken. So waren die Gaben verteilt. In den Lüften die Flieger, die Luftschiffe; auf dem Boden, über den Flüssen, auf den Brücken die Soldatenkolonnen, schießend, sprengend, verheerend, unter den Füßen die sehr geräumige Erde, die zwar nicht oben Raum für alle hatte, aber sehr bereitwillig sich allen öffnete, die jetzt scharenweise um ein dunkles Gemach bei ihr anklopften. Als diese Zeit gekommen war, nahm die Kunst den Platz ein, den sie auch sonst einzunehmen pflegt und der ihr angestammter ist: sie ging an die Wand und henkte sich auf. Sie durfte darauf rechnen, »bei Bedarf« geweckt zu werden. Sie war nur traurig. Sie hätte gern in anderer Weise die Wände geziert.

Die Kunst ist auf Banketten international. Der erwähnte Vorgang vollzog sich jedenfalls gleichmäßig in allen betroffenen Ländern. Keine Nation posierte als Garantiemacht. Es war ja auch ein Vorgang, der sich an andern Mächten vollzog, zum Beispiel an der russischen rechtgläubigen Religion; sie wurde vertagt trotz der herbeigeführten wundertätigen Madonna; wenn sie den Totschlag an Deutschen segnen, sind auch baskirische und mongolische Götzen geheiligt; man sagte sich dort: der Mord hat etwas Ausgleichendes unter den Göttern, unter seinem Zeichen finden sich alle. Die Engländer zogen im Namen der Kultur vom Leder; sie und die Franzosen hatten des zum Beweise sich die Zuaven, die breitmäuligen Turko, Neger und Gesindel verschrieben; die Kultur, eine völlig allegorische Figur, erstaunte, als sie sich umsah und bemerkte, wer für sie stritt; sie murmelte: »Zeiten sind das, Zeiten sind das«, zog sich den Mantel über den Kopf und wartete; sie schämte sich; sie war nicht sicher, da ihr ein Spiegel fehlte, ob ihr nun auch solche wulstigen Lippen wüchsen und der Gestank von ihr ginge.

Kurz nachdem die Weltereignisse diese Neuordnung der Dinge geschaffen hatten, erfolgte eine Störung. Es erfolgte etwas, das unheimlich durch das Kampfbrüllen, Knattern, Schnauben herschwebte. Eine süße dünne Stimme wurde hörbar. Die rasenden Völker, die Zerstörer der Häuser, Verwüster der Äcker, die Bombenschleuderer, die Batterien, die mit einer Kartätsche Geschütze, Pferde, Mannschaft auf einen Schlag hin klatschten, – ein Donnerwetter, Riß in allen Gliedern, lohender Moment, – diese stampfenden Mammute erinnerten sich mit einmal der Kunst. Man fragt sich: was ist geschehen? Hat sie das Übermaß von Eisen, Hitze, Blut wahnsinnig gemacht? Nämlich gerecht sein wollen eine Minute vor dem drohenden Tode ist schon wahnsinnig, nun gar erst Schönes oder Schöngenanntes schützen wollen über das Sterben hinaus. Troubadoure konnten für ihre Liebe sich opfern, diese Ungeheuer aber, die kaum jemals mehr als vorübergehend um die Kunst gefreit hatten, bäumen die Wucht ihrer Brüste zurück vor einer steinernen vorgelagerten Masse, geifern sich an, halten sich zurück –: Die Kathedrale von Reims! Vielleicht, sagt man, liegt jener furchtbare Augenblick in ihrer Existenz vor, wo der Überdruß in der Sättigung auf die Höhe gekommen ist, wo die Augen und Bindehäute blutig zu funkeln anfangen und das lange gebrochene Weinen, Winseln unbeherrscht die Körper wirft und sie hinringt.

Niemand aber, der von ferne dem Kampfe zusah und eine engere Beziehung zur Kunst hatte, hat, als der Sturm über die Beschießung der Kathedrale von Reims losbrach, ein anderes Gefühl aufbieten können als Empörung und Wut, – Empörung, Wut nicht über die verletzte Kathedrale. Als zwei Völker stöhnend Brust an Brust miteinander rangen, da wagten es Menschen, sich hinzustellen und zu schreien: »Halt, die Spitze vom Turm bricht ab. Du warst, der Deutsche war es. Um Gottes willen, er sieht sich nicht vor, zwei Glasfenster aus dem zwölften Jahrhundert hat er zerbrochen. Kunst, wo bleibt Kunst! Barbarei, man sieht es, nackteste, brutalste Barbarei!« Die beiden Kämpfer würgten sich, zwei mächtige Völker beteten und zitterten hinter ihnen, – die Kulturfreunde rannten, schlugen die Lexika auf und lasen nach.

Als das dritte Tausend Menschen dort verröchelt war, konstatierten sie, daß der Mosaikfußboden beschädigt sei; als das vierte Tausend vorrückte, wanderten die Kulturfreunde die Wendeltreppe vom Turm herunter, besahen die faltengewandige Jungfrau aus Stein, staunten sie an, die Jungfrau, die ihn trug, der die Menschen geliebt hat. Die Jungfrau war aus Stein; sie konnte sich nicht bewegen, sonst hätte sie geschrien vor Scham und wäre weggeflohen samt der Kathedrale. Sie hätte beide gesegnet, beide Völker, die miteinander rangen, aber geflucht hätte sie den Gottlosen, Hartherzigen. Sie hätte gezittert aus Angst vor der Schlacht, die um sie tobte, und in Bitterkeit, Entsetzen über die Roheit der Ästhetiker; umsonst war ihr Sohn seinen Leidensweg für diese gegangen.

Gebaut war diese Kathedrale zur Verherrlichung christlicher und menschlicher Gedanken: wie kommt jemand dazu, sich den Schutz dieses Bauwerks anzumaßen, im gleichen Augenblick, wo seine Worte Hohn jenen Gedanken sprechen? Die deutsche Heeresleitung brauchte kein Wort an sie zu verlieren. Und wenn die deutschen Batterien den ganzen Dom zertrümmert hätten, so wäre niemand berechtigt gewesen, ihr einen Vorwurf zu machen; es sei denn, er weist die militärische Unnötigkeit der Zerstörung nach. Die Kultur leidet nie und nimmer unter der Abwesenheit einiger schöner Bauwerke, ihre Faulheit und Krankheit machen jene wahrhaft ruchlosen Proteste offenbar. Die Kunst und die Kultur ist nicht gebunden an die Steinmassen in Reims oder die Farbenmischungen anderswo, sondern sie lebt. Sie zeigt sich stündlich und täglich. Sie erneuert sich, sie existiert nicht, ohne jeden Tag wiedergeboren zu werden. Kultur ist kein Gegenstand, sondern eine Handlung, eine Bewegung, ein Geschehen. Jedem Künstler ist dies aufs innigste gegenwärtig. Der Haß gegen Museen stammt aus dieser Quelle.

Inmitten eines Krieges stehen wir, der die Ausdehnung und Furchtbarkeit früherer gewaltig übertrifft. Wir erkennen in diesem Krieg noch nicht Sieger und Besiegte, aber schon ist es jedem Vorurteilsfreien klar, daß Deutschland unüberwindlich ist. Das Unbeschreibliche ist Ereignis geworden. Eine Masse kleiner Staaten fand sich vor vierzig Jahren zu einem deutschen Bund zusammen. Es waren dieselben Staaten, auf deren Boden seit Jahrhunderten die fremden ihre Kriege ausfochten; sie waren es, die nach England Soldaten liefern mußten. In den folgenden vierzig Jahren entwickelte sich dieser Staatenbund zu einem wahrhaften Kaiserreich, wuchs auf zu einer Machtfülle, welche die steigende Angst seiner Nachbarn bildete. Ohne sich in die Weite auszudehnen sicherte und montierte das Reich sein Fundament auf das allerstärkste. Zu derselben Zeit, wo das schwächere Frankreich sein weites Kolonialgebiet gründete, war dieses Reich genötigt, seinen Menschenüberschuß nach der Übersee und in jedes Ausland abzugeben. Von allen Seiten bedrückt, strotzend in seiner Kraftfülle, zitternd vom Überschwang seiner Möglichkeiten, eine Überlandzentrale für alle Welt, zwang es sich, ließ sich einige Streifen Lands in die Hand zählen, ließ sich von anderen besseren zurückschrecken. Die Macht seiner Nachbarn durfte ungehindert wachsen. Es wartete in der berüchtigten deutschen Geduld, ob andere seinem weltkundigen Reichtum und seiner Fruchtbarkeit Rechnung tragen würden. Es wartete auf Gerechtigkeit. Seine Friedensliebe beteuerte es einmal ums andere; die Fremden nahmen die Beteuerungen des gigantischen Tolpatschen zur Kenntnis, ernst, um hinterrücks hohnzulachen. Die Fremden wußten, daß ihr Spiel nicht endlos weitergehen konnte. In dem Augenblick, wo Rußland den Hammer hob, um das erste Bohrloch in die ungeheure Tonne Deutschland zu schlagen, trat der Engländer auf den Plan. Er, der der Welt gebietet, der größte Aussauger der Völker, der Schmarotzer an fremdem Blut.

Er brauchte keine Politik zu erfinden, um sich in den Kampf einzumengen. Seine Losung war immer die des alten Roms: divide et impera. Im Keim ersticken wollte er die junge Weltmacht Deutschland. In seine Tretmühle einspannen. Es war keinem Kenner der Entwicklung unklar, daß England an dem großen Kriege teilnehmen würde, entweder im Hintergrunde, unsere Gegner hetzend, unterstützend, am Schluß offen, – oder sogleich feindselig. Verlogen wie es ist wagte es nichts Direktes, es trat in der scheußlichsten Form menschlicher Hinterlist, angetan mit dem bodenständigen Cant, auf die Weltbühne: »Die Neutralität Belgiens ist verletzt.« Ewig charakteristisch wird es sein, wie der deutsche Reichskanzler damals offen das Unrecht einer Grenzüberschreitung eingestand; der Wehrlose bat die Welt um Verzeihung, im Kampf, im Krampf diese Bewegung gemacht zu haben, weil ihm sonst die Hand abgehackt würde, seine Worte in dieser Umgebung waren eine Tat von der Naivität und Unschuld des Parsifal. Die Belgier aber jauchzten ahnungslos; ihnen war ein Heil widerfahren. Aber während sie noch ihre Städte bekränzten, erfuhren sie bereits das Schrecklichste, mehr und mehr drang es zu ihnen, erfuhren es zum Ohrendröhnen, zum Hintorkeln, zum blassen Umsinken, daß sie den Engländern als Schutzscheibe dienten. Ihren Bauern, den Frauen, den Jünglingen, den Greisen wurden von England die Gewehre in die Hand gedrückt: »Rettet euch, das Vaterland ist in Gefahr«, – das menschenfressende große Vaterland England. Sie erfuhren, daß sie als Panzer um Englands Brust gezogen wurden; so drückte sie England in der Tat an sein Herz. Wieder hat das Inselreich das Alte getan: es hat Fremde für sich kämpfen lassen; zuletzt kamen die Gurka, zuerst die Belgier.

Dann begann es eine heimliche Spinnarbeit. Es fertigte ein Nessusgewand an, ein Kleid aus dünnstem unzerreißlichem Gewebe, legte es dem kämpfenden Deutschland über die Schulter, die Arme, den Rumpf. Über den Mund zog es den grünen Stoff, damit der Krieger nicht sprechen dürfte. Aber hören durfte er alles. Unter dem Kleide wand er sich; der Hohn peitschte auf ihn herunter; schwer wurde seine Arbeit. Er zerrte keuchend an seinem Munde, fester, fester zog sich das Kleid.

Und in seiner grenzenlosen Freude, den Gegner so zu haben, gestand da England, was es vorhatte. Es wollte dem Gegner keine Tat gönnen: es wollte ihn nicht würdigen eines Schusses in den Schädel oder Bauch, sondern langsam quälend wollte es ihn zum Tode bringen. Es begann den Krieg mit dem Geständnis der zwanzig Jahre. So haben die Asiaten gearbeitet mit dem grausam verlängerten Sterben der Gefangenen; so hat England von seinen Unterjochten gelernt. Es war der blutigste Hohn, als England bekannte, daß es sich den Schlieffenschen Satz von den Entscheidungsschlägen nicht zu eigen machen könne, sondern eine eigne Taktik übe, eine insulare. Sie wollten die fremden Völkerschaften regnen lassen auf Deutschland, bis es wandernd, wandernd zur Salzsäule erstarrte; alles, was ohnmächtig war und in ihre Falle ging, wollten sie hinstreuen. Hungern wollten sie Deutschland lassen. Reizen wollten sie den Stier durch Banderillas, bis er tobsüchtig wurde, jedes Reservoir von Kraft öffnete und in Erschöpfung, in Raserei Blutstropfen, Blutströpfchen auf den Boden zählte, zuletzt nur das weiße Serum, – bis der rosa Schaum aus den Lungen heraufstiege und mit dem Geifer im Atemtakt vor dem Maul hin- und herflöge, in kleinen Flöckchen.

Kulturträger, Kulturträger!

Unsere Freunde, unsere Brüder, unsere Vettern!

Beschützer der Kathedrale von Reims! Zornbläser über die Straßenzerstörung von Löwen!

Sie wußten mehr, noch mehr! Schließlich, in einem glücklichen abseitigen Augenblick, fand ihr Ingenium das Unüberbietbare, das mit dem Namen Tsingtau bezeichnet wird. Solange Deutsche hingehen, arbeiten und ihrer Hände Werk preisen, wird der Name Tsingtau nicht aufhören seine Wirkung zu üben. Er wird den Deutschen keine Ruhe lassen. Mit dieser Tat hat sich England das Messer gedankenlos gegen die dürre Kehle gedrückt. Es wird verschwinden der Gedanke von dem Hafen im östlichen Asien, von dem Flottenstützpunkt, der vorlaufenden Eisenbahn nach Schantung, von den eben erschlossenen Bergwerken im Poschanrevier. Übrig bleiben wird die Erinnerung an eine Insel, eine ferne, traumschöne Insel im Osten, die unser war, die von nichts als verbrecherischer viehischer Gemeinheit zerstampft, zertrampelt, durchwühlt und besudelt wurde. In der »Hermannsschlacht« von Kleist kommt jene berühmte Stelle von Hally vor, der Tochter des Cheruskers Teuthold, die von den Römern geschändet wurde. Man schleppt sie an, das elende, schwachbedeckte Wesen, wie es heißt, die fußzertretene, totgewalzte, an Brust und Haupt zertrümmerte Gestalt. Und als der Vater sie erstochen hat, über die Tote gefallen ist mit dem Schrei: »Hally, mein Einziges!« gibt es eine Wendung, die imstande ist, den Mann vom Boden auf zu bewegen, das Wort eines Cheruskers: »Hermann, dein Rächer ists, der vor dir steht.« Die fremden Völker, die England auf uns geworfen hat, um uns aufzuhalten, sinken über unsere Füße, wir waten durch sie, sie stechen und brennen unsere Sohlen. Wir aber müssen, um Tsingtaus willen, nachdem dies geschehen ist, unseren Gefühlen nachgeben. Wir müssen uns zur Erde herunterbeugen als steinwälzenden, felsenschleudernden Katarakt und unsere Pflicht tun. Und wenn es uns nicht beschert ist, so müssen wir stöhnend diesen Gedanken zurückhalten, ihn auf bewahren, groß und größer züchten. Er wird aus sich heraus Kräfte entfalten, drängend uns, unsere Kinder und Kindeskinder, nicht zu ruhen, nicht nachzulassen, nicht zu vergessen. Gleichmäßig werden alle, auf denen er lastet, jene wachsende Lähmung in den Händen, das tote Gefühl über dem Gesicht empfinden, die Augen werden ihnen gallertig wie Sterbenden in die Höhlen zurücksinken; der mähnenschüttelnde, zerreißende Haß wird sich emporarbeiten, für den es kein Halt gibt.

Kulturträger, Kulturträger!

Unsere Freunde, unsere Brüder, unsere Vettern!

Die Stunde bleibt nicht aus!

Wehe England!

Wunderbar ragt der Dom von Reims in die Luft mit seinen gepriesenen Türmen. Auch die Deutschen können ihn nicht vergessen. Sie werden aus ihren Gedanken und Taten eine Kathedrale bauen um dich herum, dicht und dichter, und wie ihre Gewölbe mit deinem Leib in Berührung kommen, werden sie von selbst Stein und Eisen werden, werden anfangen, sich zu erhitzen, zu brennen, zu flammen. Die Massen werden zusammenrücken, eine malmende Maschine, sie werden dich klein pressen und zerknirschen, zerknirschen.

Der Herr schenkt uns diese Gnade über dich.

Wir können ohne diese Hoffnung nicht leben.

Denn du hast den Fluch jedes Gerechten verdient.

Es ist Zeit!

Es ist Zeit!

Nicht anders als wie das tiefe durchdringende Gebrüll von Stieren durch die Luft, von allen Hügeln her: es ist Zeit.

Nicht anders als wie das Heranstampfen und Trampeln braunzotteliger Herden, aus Dickichten und Gebüschen vorbrechend: es ist Zeit, – und wütend, schwemmend über flache Weiden weg, bodenerschütternd.

Wer kann sitzen, wer hört es nicht durch die dicksten Fenster, wem zittert es nicht durch die Knochen.

An alle Fenster dringt es, an euch geht die Rede, die Stumpfsten, Müdesten, Mattesten, die von den Stühlen aufstehen, – es heult laut – Männer, Arbeitsversunkene, Stumpfäugige, Hohlbrüstige. Die Luft brodelt, steht, brennender, wogender Geist! Erkennt ihn! Bibliotheken, Laboratorien stürzen ein.

Ihr sollt nun nicht ausgelassen werden. Für diesen Augenblick sind bombensichere Unterstände dünn wie Blech, keine Studierstube, keine Kirche, kein Atelier schützt. Kunstwerke sollen hingestoßen, getreten, zertrümmert werden, Bücher verbrannt, Lehrsätze in die Luft geblasen. Das Wertvollste hat keinen Bestand mehr. Geist will sich lebendig in Geist brennen.

Jetzt heißt es flüchten oder mitbrennen.

Da gehen sie herum mit ausgebeutelten Hosen, mit hängenden Schultern; sprechen aus schlaffen Mündern ernste Phrasen, teilnahmslos. Ein Blick zeigt das Ganze, Gedrückte, das in dieser Erdzone mit dem Namen Geist verbunden ist, Abguß, etwas Erbärmliches, Papierbeschmutzendes neben dem andern, den pfeifenden rasselnden Maschinen und ihren straffen schneidigen Mannschaften, neben Kupferdrähten, Bergwerksschächten, Soldatenzügen, Werften und Häfen. Reporter, Amüseur, Erfinder, Bildner, Schriftforscher, Erzieher, Denker, Naturkenner, Zerleger, Hintertreppensteiger in einer ihn duldenden, ihn brauchenden, mißbrauchenden, aushaltenden Welt. Wer hat Lust, diesen Wicht anzusprechen, der wie ein Asthmatiker keucht, wie ein Gichtiger lahmt, der seiner selbst in ruhigen Augenblicken überdrüssig ist.

In den beiden letzten Jahren liefen ohne Unterbrechung die Gerüchte von großen ungeheuren Ereignissen zu mir. Ich las davon, von dieser Schlacht, von jenem Durchbruch, von dem Fall der Hauptstadt, jener Festung als von elementaren dumpfen Dingen, deren Wirkung ich nicht erkennen konnte. Ich mußte abwarten, sehen, wie dieses Erdbeben und welche Wellen bis an mein Haus rollen würden. Manchmal regten die Dinge tief auf; es blieb eine unklare Spannung; das Finstere hatte keine Stimme, suchte keine Stimme. Was draußen und dicht bei mir vorging, ähnelte der uralten Moira, dem Geschick über Göttern und Menschen, dachte nicht an mich und dich, donnerte seinen unbegreiflichen, ja grauenerregenden Weg.

Das ging zwei Jahre. Von all dem Warten, Hoffen, Fragen, Lauschen wurde einem die Brust wie geknetet, das Herz gewalkt. Das alte Ich wurde einem in wüsten Rauch gehüllt; was wußte man noch, was wollte man noch. Schrecklich zehrten die Monate an den Nerven, man konnte wie Merlin einschlafen –, tags darauf hundert Jahre älter erwachen. Und immer ging dies Fremdartige, die Moira draußen weiter; es steigerte von Moment zu Moment seine Wut, vulkanische Explosionen auf Explosionen, und immer dringender, hoffnungsloser die Frage: was ist dies? Was geht vor? Was geschieht mir?

Ich habe nichts mehr erwartet. Besser, ich habe nichts erwartet, als daß es eines Tages, eines Monats zu Ende sein wird; eine Eruption, noch eine, nun bleibt es still, man kann hinausgehen.

Die Zeitungen sprachen von der Petersburger Revolution: Ein Gezanke entstand rechts und links: wem wird diese russische Unruhe gut bekommen. Es soll die Engländer stärken, es soll das russische Heer schwächen; also weiter, weiter, Schicksal, wir werden sehen. Ein paar Telegramme über Anarchie, dann dies Programm, dies Programm, Arbeiterrat, Soldatenrat, Sturz Miljukows, Kerenski. Und schließlich – Alles, Alles.

Ja was war das?

Als ob man durch einen Wald läuft, verirrt sich, läuft ohne Erbarmen gegen Lungen, Füße, und dann rollt man über einen kleinen Hügel, sieht eine Wiese, einen Bach, ein Haus, eine Brücke, ein Huhn. Man ist noch zu wüst, um etwas zu glauben.

Nach dem Kriegstoben, einem Über-, Übermaß von Explosionen, nein mitten im unirdischen unterirdischen Getobe eine Bewegung unbezwingbar nach vorwärts, eine ungeheure Menschlichkeit, nackt schamlos wie jener dunkle Brand, sich schüttelnd unter den Flammen, nach den Flammen greifend mit bloßen Fingern als wären es Schlangen. Ich brauche Stunden, Tage, um dieses Traumgesicht nur zu fassen, ich habe es noch nicht gefaßt, noch immer nicht.

Wie sind die Wege Gottes.

Mit scheint, als ob ich zur Besinnung komme. Und wie mag es anderen ergehen, auf die diese kleinen Zeitungsnotizen eindrangen neben jenen anderen Berichten von verhüllten, der irdischen Fassungskraft entrückten Vorgängen, den rasenden Angriffen, Verteidigungen, Flugüberfällen, Torpedierungen, Aushungerungsmethoden, – mag es sie weniger aufwühlen, in der Zeitung zu lesen unter einem Tagesdatum, aus der und der Stadt, über Stockholm, Haparanda Dinge und Beschlüsse aus dem neuen Testament. Nach dem monatelangen Hinsiechen solche Stirnme. Diese rührenden Befreiungen von Eingekerkerten. Rückkehr nach Jahrzehnten aus dem Elend, dieses siegreiche Übertönen widerwilliger frecher Rufe, die Naivität im Löwenkäfig, das Tappen, die Hilflosigkeit, und in allen Herzen der nunmehr Herrschenden nur der Wunsch: Mensch sein, gerecht sein.

Nichts was diese Generation erlebt hat, läßt sich, fühle ich, an Größe vergleichen mit diesem Augenblick. Was das Ungeheuer von Krieg zur Welt bringen wird, wird erst nach langen Jahren heranwachsen, zu erkennen sein. Bis zu diesem Moment muß sich eine heutige Generation mit dem Frühjahr 1917 genug sein lassen.

Ich will davon reden und was das Frühjahr 17 mit dem Geist zu tun hat.

Daß Rußland diese Geste gemacht hat, und dann, daß es keine fratzenhaft aufgeregte Revolution nach französischem Muster äußerte, eine beschleunigte Umwälzung und keinen Umsturz, vielmehr eine einfache machtvolle Hinwendung zum Menschlichen und Würdevollen, überraschte nicht. Die Literatur der jüngeren und älteren Russen hatte deutlich gesprochen. Es existiert keine Literatur der modernen Staaten, die in ihren großen, größeren, oft in ihren mittleren Repräsentanten so posenlos still sich gibt wie die russische, so dichterisch geheimnisvoll reine Seele offenbart. Was Tolstoj und Dostojewski geschrieben und hinterlassen haben, stellt meinem Gefühl nach ganze Klassizitäten anderer Völker in Schatten; an Vehemenz und Tiefe des Gefühls, der seelischen Durchdringung und einfachen Mitteilung nimmt es, wie ich seit Jahren glaube, kein Deutscher, kein Franzose und Engländer, auch kein Skandinavier des letzten Jahrhunderts mit ihnen auf. Nietzsche hat Dostojewski sein größtes Erlebnis genannt; wie er haben andere Deutsche empfunden. Dem deutschen Empfinden ist dies religiöse Wesen, dies schrankenlose sittliche Ringen bekamit, verständlich, verwandtschaftlich vertraut wie nichts anderes.

Wir haben nicht nötig, Ideen zu uns importieren zu lassen. Friedrich der Große ist weder aus Paris noch Moskau zu uns gekommen. Immanuel Kant hat man uns weder vor- noch nachgemacht. Das Heilige Römische Reich hat strahlend vor aller Welt geblüht und aller Welt abgegeben.

Aber was besagt jene müde Stimmung der Geistigen, jenes trübselig gedrückte Wesen, jener Widerwille und Apathie gegen Staat und Politik, – neben dem Stolz der Friedensoffiziere und ihrer Kaste, gegenüber der kalten gönnerischen Wurstigkeit der Kaufleute, dem höhnenden ausschließenden Beieinander des Proletariats, dem vergnügten Untersich der Parlamentarier? Was besagt die fassungslose Haltung gegen das satte gebildete Bürgertum, das Entsetzen vor achtungsloser Pöbelwirtschaft und vor der glatten Unsittlichkeit erblichen Torytums, das Ämter schluckt und sich Regierungspotenz anmaßt? Wenn wir nicht Ideen brauchen, vielleicht etwas anderes.

Wie mir dies geschah, die russische Bewegung, ist vieles aus dem Frieden in mir lebendig geworden. Diese »russischen« Ideen, so froh, jung und herzhaft, sie sind ja überall und immer aufgetreten, wo der lebendige Menschengeist sich Bahn brach durch körperlich schweren, entseelten, unleidlichen Widerstand. Sie haben in alten Tagen den Bundschuh und die deutschen Bauern begleitet, wenn auch Luther gegen sie vom Leder zog und die Bauern wilde Bestien hieß, die man totknütteln solle. Sie haben das Christentum durchgesetzt und setzen es weiter durch gegen Buchstabengeist, Gesetzesverblendung und Anmaßung, gegen selbstzufriedenes Pharisäertum. Man hat sie in dem Lärm der Paulskirche von Frankfurt vernommen. Sie werden niemals verwirklicht werden, werden immer Alarm rufen. Immer wieder verrottet die Menschheit, immer wieder erscheint das Menetekel an der Wand. Wenn die Menschheit sich verjüngen will, badet sie in diesem Brunnen.

Der Krieg hat eine Volksgemeinschaft geschaffen, wie die langen Friedensjahre nicht. Eins hockt auf dem andern, Hauptmann ist nicht ohne Kompanie, Kompanie nicht ohne Hauptmann, Städter nicht ohne Bauern, Truppe nicht ohne Munitionsarbeiter; Rüstung braucht Bürgerinitiative und Kapital, eins kämpft, eins darbt. Man sieht sich gut auf die Finger, Not schärft die Augen, vor dem Tod sind alle gleich. Keiner wird nach dem Krieg vermögen, dem andern ganz seine Schuld zu bezahlen, so groß ist die Schuld geworden. Unausweichliche Forderungen treten an die Regierung und ihre Berater heran: die Volksgemeinschaft ist da, in Drang und Not ist sie geworden, ist nicht aufzulösen, ist nicht da in Liebe von Gruppe zu Gruppe, Partei zu Partei, aber das Recht einer Gruppe auf die andere ist nicht aus der Welt zu schaffen. Wer trauern darüber will, traure. Die er rief, die Geister, wird er nicht mehr los. Die Volksgemeinschaft hat sich erhoben über die Kasten und Stände. Ihre Kraft hat gesiegt, ihre Kraft wächst von Stunde zu Stunde. Jetzt kann Frau Rat Goethe nicht mehr sagen: »Die Deutschen sind kein Volk, keine Nation mehr, und damit Punktum.« Die Kräfte der Peripherie dringen nach der Mitte, das Zentrum verharrt, heiß, lau und kalt faßt sich an, was kann sich isolieren, es muß gekämpft werden um die Temperatur. Es ist wie 1807: Das Volk ist durch den Feuertod gegangen, um sich und anderen das lebendige Leben zu gewinnen. Keine Sophistik kommt da herum. Und am Martinitage 1810 sind alle Preußen ihrer Erbuntertänigkeit ledig und frei geworden.

So steht es nun einmal. Und darüber läßt sich trauern und jubeln. Was aber wichtiger ist: alles zum Guten wenden.

Ein Gewitter ist heraufgezogen; wie wird den Herren vom Geist? Wie fühlt ihr euch? Wollt ihr euch lächerlich machen, ihr, mit Parteibildung, Vereinsgründung, Standesvertretung und Ähnlichem. Geht eurer Wege, hinaus in die Welt. Auf den Plan, Visier offen. Es will etwas zur Welt, von Teufels oder Engels Gnaden, das totgeschlagen oder gehegt werden muß. Ein Herkules liegt in der Wiege; starke Hände sind nötig, ihn zu schützen, zu gängeln oder zu erwürgen.

Infame fremde Burschen, niederträchtige Hunde haben uns Barbaren genannt; es ist allen kochend in die Brust gefahren. Faßt euch selber an! Habt ihr, Männer der freien Berufe, unfreie Männer, Juristen, Philologen, ihr in den Laboratorien, Künstler, habt ihr nicht Schuld mit eurem Versteckspiel? Mut bewährt man nicht nur im Schützengraben, es gibt Zivilkurage. Wisset, ihr selbst seid furchtbar, es gibt genug Mächte, die sich vor euch ängstigen.

Habt ihr, denen Gerechtigkeit, Gewissen, seelische Sauberkeit, Menschenliebe angeboren ist und tägliches Lebenslicht ist, habt ihr, die uneigennützigsten und klarsten Gemüter, die Stimmen vernommen, die in Deutschland laut geworden sind? Im Reichstag und sonstwo: es sei keine Remedur nötig, unser Staatswesen habe sich im Kriege herrlich bewährt; und dann: den zurückkehrenden Kriegern dürfe man keine Geschenke machen, – Worte von solcher unsäglichen Verschmitztheit, daß man vor Staunen und Verblüffung nicht imstande ist, zur Empörung zu gelangen. Und dennoch! Mehr davon, noch vielmehr. Wie sollen die Wasser zum Sieden kommen, wenn nicht durch Feuer. Wie kann man das träge Metall flüssig machen, wenn nicht durch Feuer. Und andrerseits nehmt euch ein Beispiel: fest sitzen jene ehemals einzig Verdienten da und wehren sich prächtig ihrer Haut und Haare. Nehmt euch ein Beispiel: Sie sprachen, sie wagten vor zwei Jahren zum deutschen Kanzler von Revolution zu sprechen, falls nicht im Krieg ihre Privatwünsche in Erfüllung gingen, grade so, wie sie es begehrten, – als hätte das Volk nur die Aufgabe, feudale Herzen zu erquicken. Aus solchem Holz werden Männer geschnitten. Ich bin nicht für diese Ideen. Und nicht für jene. Weiß nicht, wieviel und wie wenig sie sind und sagen. Aber Kampf ist nötig, der Kampf wird einseitig geführt, die Pferde laufen nicht mit gleichem Gewicht, wie kann ein anständiges Rennen zustande kommen.

Die Regierung muß Aufschluß wünschen, wünscht Aufschluß über die wahrhafte Kräfteverteilung. Sie kann nicht nachgeben, wenn sie nicht gedrängt wird. Muß jene Fälscher und Betrüger, Verführer der Regierung und des Volkes nennen, die sich nicht rühren, nicht ihre ganze Kraft einsetzen, wo Wichtiges für das Vaterland, Kinder und Kindeskinder auf dem Spiele steht.

Wißt ihr bald, wer ihr seid?

Die Sprechbühnen, Kulissen Deutschlands übersät mit Nichtigkeiten, Mittelmäßigkeiten, ihr selbst versunken in abgeschlossenen Zimmern, verkümmert, verkommen an Leben und Seele, in Ecken wie verprügelte Kinder, ohne Kenntnis der Menschen, die ihr führen könntet: heißt das patriotisch sein?

Jeder Halm auf den Äckern ist heilig. Und ihr vertrocknet zu Hunderten. Es wird in der Welt nicht nur gezählt, auch gewogen: Hindenburg allein ersetzt zehn Armeen, und ihr versteckt euch.

Euch wurde ein Pfund gegeben. Wo ist es? Es sollte gewuchert werden damit. Verantwortet euch vor dem, der es gab. Aber auch vor eurem Volke, das eurer bedarf, und jetzt mehr als je. Es gibt von Zeit zu Zeit noch andere Dinge als Mikroben, chemische Analysen, Paragraphen, Ideen der Plastik, Novellen und Bilder. Leben spenden! Fördern! Dienen, denken, helfen. Einmal will geliebt sein, einmal will getanzt sein, einmal will gestorben sein.

Man wartet nicht auf euch. Man kommt besser aus ohne euch. Auf der Höhe des Krieges, am Schluß des Krieges, als sein Nachlaß treten gebieterisch Gedanken auf. Jetzt will der Krieg seelisch werden. Die andern, die es angeht, wissen lange davon, aber ihr, Enterbte und Selbstmörder, Proletarier über jedes Proletariat, wißt nichts. Die Gedanken fordern eure Seelen, Köpfe. Sie rufen euch, daß ihr Geburtshelfer an ihnen seid. Ein Ferment ist in die Welt geworfen, der Teig gärt, wo sind die Bäcker? Wie vielseitig, schwankend jene Ideen, wie gefährdet weich, nahe der blassen Romantik, wie noch näher der Lächerlichkeit. Wie stark, massiv, tüchtig die ihnen feindlichen Ideen, wie nahe der bloßen Roheit, der nackten frechen Gewalt. Und andere. Und jetzt Gewalt gegen Gewalt, gute Gewalten gegen gute Gewalten, viele Gewalten gegen viele Gewalten. Kämpfer werden gebraucht. Wo seid ihr?

Kohlenbergwerke wurden ausgebeutet, Aktiengesellschaften gegründet, und ihr, wichtiger als Wasser, Kohle, liegt brach jahrzehntelang. Daß der Ehrgeiz euch von den Stühlen, aus den Zimmern presse, Eifersucht, Rachbegier, Machthunger. Heraus. Es ist eine schöne Zeit! Seit langem eine schöne Zeit. Es lohnt sich zu leben.

Ihr Nachtfalter, Fledermäuse, heraus an den Tag. Der Ruf ist erfolgt. Werft eure Kleider ab: Ihr seid Prinzen. Schön, prächtig kommt ihr gegangen.

Drei Demokratien

Es ist ihnen gut gegangen, den Demokratien aller Länder, während dieses Krieges. Im Beginn brachen sie fast zusammen unter der Kriegswut, die fanatisch die Szene beherrschte; die wilde allgemeine Angst drückte sie an die Wand, verschüchtert, halb erstickt regten sie sich kaum. Jetzt singen sie ihr Klagelied, ihr Anklagelied, ihr Siegeslied, Millionen lauschen ihnen, Millionen stimmen ein.

Lloyd George ist ein großer Redner. Mit Neid gestehen wir es, denn bei uns erzeugt das politisch verkümmerte Volk keine urwüchsige Begabung wie diesen niedrig geborenen Mann; wozu auch reden? Und die regierenden Beamten schweigen; wozu auch reden? Fafner hütet sein Gold. Lloyd George setzt einfach und kühn Wort neben Wort; bei aller sprachlichen Schlichtheit entwickelt er außerordentliche Schlagkraft. Er sagt, um den deutschen Angriff auf Belgien zu skizzieren: »Man bricht in jemandes Haus ein, ermordert einige Bewohner, macht sich jeder Niedertracht schuldig und hält den Raum drei Jahre lang besetzt.« Das ist so volkstümlich geäußert, daß man ohne weiteres den kräftigen, Essen und Trinken liebenden Mann auf der Tribüne zu sehen glaubt, den freien Platz mit der riesigen Menge, Luft und Wind erlebt. »Wir haben die gewaltige deutsche Armee unter die Erde getrieben und es muß eine große Erniedrigung für das deutsche Heer sein, daß es sich in Erdlöchern verstecken muß; das ist Kaninchentaktik – die Völker sollen nicht wie sprachlose, umhergetriebene Tiere sein, die nach dem Willen von Herrschern die Besitzer wechseln; wir kämpfen für das Recht der Menschen auf ihr Menschentum und wir werden siegen.« So einfach, so klar, fast naiv, so plausibel, daß der gemeine Verstand ohne weiteres zustimmen muß.

Und dann, dann ist es so nichtswürdig, so schmählich, niederträchtig, so unwürdig des Sprechers einer großen Nation, daß man es schwer faßt. Es ist ja nicht nötig seine Sätze zu widerlegen, das Richtige an ihnen herauszuklauben; er biegt sich die Dinge für seinen Hausgebrauch zurecht. Ich frage nur, was er vorhat. Er kämpft, sagt er, für die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker – wir glauben zu wissen nicht für unsere – aber wie kommt es, daß er die Freiheit und Unabhängigkeit seines eigenen Volkes so wenig achtet, daß er derart mit ihm umspringt? Daß er so sichtbar für jeden Unbefangenen vor seinen zehntausend Hörern die Ketten schwingt und sie ihnen mit Schmeicheleien um die Brust bindet? Daß er sein Volk zwar nicht mit dem Schwert und mit Soldaten hinwirft, aber seine Mitbürger heimtückisch ihrer Vernunft beraubt und unter Mißbrauch seiner großen Dialektik zu einem lächerlichen Bravo zwingt?

England hat es sich etwas kosten lassen frei zu sein; für diese Demokratie sind schon vor Jahrhunderten die Besten des Volkes in den Kerker geworfen worden und haben geblutet. Als in Deutschland noch die sieben ehrwürdigen Kurfürsten unter großem Gefolge und umständlich mit Reisigen und Karossen in Frankfurt einzogen, um ihren Kaiser, des Heiligen Römischen Reiches allzeit Mehrer, zu wählen, tobten auf der Insel Parlamentskämpfe; einen starken entschlossenen König, Karl den Stuart, der sich an der Verfassung vergriffen hatte, führten sie auf das Schafott, zu einer Zeit, wo Deutschland halb verblutet nur schlafen wollte und vor Schwäche nichts dagegen vermochte, wie man ihm rechts und links Stücke aus dem Fleisch schnitt. England war bald das Vorbild der nach Verfassung ringenden Völker, seine Staatsform das Paradigma geworden. Es ist in England etwas geschehen, damit in welthistorischen Augenblicken sich wirklich Demokratie erweisen kann. Und siehe: als der Augenblick gekommen war: die englische Geschichte eine Sache der Lehrbücher, eine Angelegenheit der Drucker; die englische Demokratie ein Ornament, eine Redewendung; von dem Blut der Enthaupteten, den furchtbaren Qualen der Eingekerkerten waren nur Sprüche, Drucktypen übrig geblieben.

Ich schauere vor diesem Abgrund von Bosheit und Verlogenheit. Ein Mann, der dies sagt, kann keine Spur von Respekt vor seinen Hörern haben. Dieser Mann bietet kein anderes Gefühl für sein Publikum auf, als entschlossene Verachtung; seine Anschauung über die Staatsdinge kann keine andere sein, als die des kecksten Autokraten. Wer so systematisch sein Volk verleitet, – denn es handelt sich nicht um Hohnworte hetzender Art homerischer Helden, sondern um die rednerische Leistung eines höchst verantwortlichen Regierungsmannes, der die Führung hat, – kann nur innerlich lachen über den Witz, den er sich erlaubt, indem er vom Kampf für Freiheit redet. Wir sehen unsern Staatsdienern scharf auf die Finger; wir haben so lange unsere Augen ferngehalten von den Professionells und ihrem Treiben, so daß sie glauben konnten, in einem Privatklub zu unserer Beglückung zu sitzen. Die Zeiten sind vorüber. Lloyd George macht uns nicht vertrauensseliger, wenn er uns lockt. Er hält uns für Knechte: der Wolf sagte zum Lamm: »Ich will nur dein Bestes«, als er ihm den Kopf abriß. Lange Knechtschaft macht klug, und unsere Klugheit richtet sich auch gegen Sie, Herr George. Wenn ich Sie anhöre, Herr George, den Prediger des Hasses und der Verachtung, möchte ich an aller Demokratie verzweifeln. Es ist entsetzlich zu denken, daß Tausende der ehrlichsten und begeistertsten Menschen gefochten haben für innere Freiheit, damit Sie erstehen als eine Bremse, die das Volk stachelt, wie jene unglückliche Kuh, die Geliebte des Zeus, bis zum Wahnsinn gestachelt wurde, der sie bis an Rand der Welt führte. Dieses Schauspiel: während das heutige Rußland naiv nach der Freiheit greift und sich unter Qualen in ihr verjüngt, stellt sich in der Maske derselben Freiheit der Engländer hin, bellt seine höhnischen und lockenden Phrasen hinaus, verderbend. Was jetzt nicht nur in Rußland in tiefster Inbrunst erlebt wird, erfährt in dem Stammland der Demokratie eine so schmähliche Travestie wie nur je fromme Gedanken. Diese britische Generation hat die Demokratie nicht gesucht; sie können gar nicht wissen, was das ist; es ist etwas anderes, als wir meinen. Sie haben eine Form gesucht, um die Welt zu beherrschen und ihre eigene Kraft fest zusammenzubinden für diese Aufgabe. Grausam kalt und versteckt mißbrauchen die ihre Stärke. Es ist ein Hohn, wie ihn die Welt nicht erlebt hat. Mögen sie von der Autokratie fremder Völker und ihrer eigenen Demokratie reden; wir können nur bitter sagen: es ist gesprungen wie gehüpft.

Die Rolle, die England in diesem Kriege spielen würde, war den Aufmerksamen seit Jahren in Umrissen klar; die Argumente, um deretwillen es sich zur Teilnahme und zu dieser Teilnahme entschloß, waren machtpolitischer Art wie die anderer Staaten. Wie ein Pfarrer, der seinen Dienst abhaspelt ohne Gedanken, den Gottesdienst, die Verehrung des Himmels, im schwarzen Talar, die Hände in der vorgeschriebenen Amtshaltung, das Gesicht in feierlicher Mimik, so trieben sie Demokratie und waren vulgäre Machtpolitiker. Die byzantinische Kaiserkrone ist zum alten Eisen geworfen, Talar und Moral ist Mode geworden; nur der Außenstehende läßt sich leimen. Ihnen behagt die Verwechslung mit dem, was wir auf dem Festland meinen. Sie meinen eine Verfassungsform, wir die Ausbreitung, das Ausblühen einer Menschlichkeit, einer sich wandelnden Menschlichkeit in die Verfassung hinein. Sie meinen Sicherung, Zentrierung, Stabilisierung der Gewalt, wir den Sieg der rastlos drängenden, aus der Tiefe aufquellenden Humanität über die Physik. Wir brauchen keine englischen Staatsformen und können doch demokratischer sein als irgendein Land. Die deutsche Demokratie von 1848 hat sich einen Kaiser gewählt. So zurückgeblieben auf dem Wege dieser Menschlichkeit wie das England des Lloyd George ist keine zweite Nation. Solange diese Männer und solche Gesinnung drüben herrschen, werden wir zu keinem wahrhaften inneren Frieden mit ihnen kommen, und nicht zur Revanche müssen wir zu dem »Danke schön« für die freundliche Einladung zu ihrer Demokratie ihnen sagen: nehmet diese Männer weg, sie sind giftig, sie verderben die Atmosphäre Europas. Ringt jetzt nicht die ganze Welt danach, Vertrauen wiederzufinden? Ist nicht alle Luft stickig, mit einem beizenden Gas erfüllt? Die europäischen Herren, die das vorjährige Friedensangebot des Kaisers hoffnungsfroh zurückwiesen, wußten nicht, was vorlag: sie kannten nicht die Ergriffenheit, aus der das Angebot geboten war; sie waren nicht reif dazu. Es sind nicht die Opfer, die wir gebracht haben, die Entbehrungen, die wir dulden und dulden werden, der Hochmut des Siegers, die Furcht vor der baldigen Niederlage; es ist der Schauder: »genug, genug«, der sich die Hände vor das Gesicht schlägt. Schrecklich hat die Natur gehaust, schrecklich haben wir ihr gefrönt. Bald werden alle Länder in Blut ersoffen sein, aus denen Goethe, Shakespeare, Molière, Dante, Tolstoi hervorgegangen sind. Soweit noch die Stimme der alten Kultur, die zu Grabe getragen werden soll, in uns lebendig ist, sagen wir: es soll genug sein. Wir werden nie den entsetzlichen Hohn verhindern können, der zu uns herüber geklungen ist, und der an das mißtrauische freche Lächeln von Verbrechern erinnert, denen man verzeihen will und die in ihrer Verworfenheit nur glauben, man wolle sie betrügen. Nein, wir haben nicht Friedenssehnsucht in Deutschland, weil wir besiegt sind.

Oh, sie kennen uns noch nicht, noch immer nicht, wie ihre Psychologie überhaupt so unsäglich flach ist, Wenn wir im Beginn einer Niederlage stehen und man will das Reich zerstückeln oder grundsätzlich zugrunde richten, so werden sie ein anderes Bild sehen. Jede Stimme muß verstummen, die auch nur ein Wort äußert, das nicht Krieg ist. Verflucht soll der sein, der das Wort Frieden dann in den Mund nimmt. Sie haben uns gefürchtet bei dem Einmarsch in Belgien, dem Vormarsch durch Frankreich, der Schreckensruf »Ulanen«, »Hunnen«, »Barbaren« ist ertönt, die Angst wußte sich nicht zu sättigen. Nichts ist dies und soll es sein von dem Augenblick an, wo man uns an die Kehle will. Wir werden Ruhe, absolute Ruhe im Innern haben, unsere lärmenden Strudelköpfe werden wir in die Keller gesperrt haben, wohin sie gehören. Wir werden augenblicklich frei von ihnen sein. Wir versprechen, wir werden selbst in unseren Reihen, in den Häusern, auf den Straßen diejenigen massakrieren, die nur einen Hauch von Friedensgesinnung dann äußern. Uns wird kein Hunger schlapp machen; das triumphierende Gesicht der Welschen, das Gejauchz der Senegalneger, die man gegen uns aufbietet, die heiseren Rufe des Briten halten uns bei Besinnung. Glauben die Franzosen, es wäre nur eine Eigenheit des französischen Ingeniums, Niederlagen nicht anzuerkennen? Nach dem grausigen Zusammenbruch bei Sedan noch einen Orleansfeldzug, Franktireurkriege, ohne Ende zu führen? Und wenn wir für einen Augenblick, ein halbes Jahrzehnt, ein ganzes Jahrzehnt pausieren: der Teutoburger Wald liegt in Deutschland, im Herzen Deutschlands; von der Hermannsschlacht lernen unsere Kinder; mögt ihr Geduld mit uns haben. Mögt ihr auf uns warten solche sieben Jahre wie von 1806–1813; es wird sich das alte Lied wieder erfüllen: mit Mann und Roß und Wagen, so hat sie Gott geschlagen. Wenn sich die deutsche Niederlage zeigen sollte, so werden die Herren sehen, was sie sich groß gezüchtet haben; in dem Schlund dieses Feuers wird mit ihnen die ganze Welt verrauchen. So redet ein Freund des Friedens, kein Nationalist, einer, der den Druck der überlebten versteinerten Formen erfahren hat, so redet nicht Linie Potsdam, sondern Linie Weimar. Sagen die drüben: Ihr habt diesen Krieg nicht weiter zu führen, den eure inneren Feinde angestiftet haben, so sollen diese verächtlichen Füchse schweigen; denn der Krieg ist nicht angerichtet worden, damit sie sich an uns satt fressen. Bitter ist es so zu reden, aber das Bitterste und Schmerzlichste ist es, daß niemand so Hindernis des Friedens ist wie die Demokratie, die Pseudodemokratie unserer jetzigen Feinde. Seien die Herren gewarnt. Wenn wir im Begriff sind, in unserem Haus aufzuräumen, so überhören wir doch nicht die Schüsse gegen unsere Türen, die Axthiebe gegen unsere Fensterläden. Uns betrügt keiner mehr; in diesem Brunnen ist schon manches Kind ertrunken.

Im Namen dieser apokryphen Demokratie wird Elsaß-Lothringen Deutschland abgefordert; es kommt auf die Signierung des Appetits nicht an. Ich kann nicht umhin, das Verlangen nach Wiedergabe eine glatte Albernheit zu nennen. Es ist verständlich, daß der Verlust von Elsaß-Lothringen im Kriege 1870 Frankreich erbittert hat, aber nicht wir waren schuld an seiner Niederlage; es hat Frankreich 1870 freigestanden zu siegen. Wozu also der Lärm? Man wird nicht behaupten, daß der liebe Gott den Grenzstreifen Elsaß-Lothringen französisch erschaffen hat. Revanche stand Frankreich frei auch jetzt; sie ist ihm nicht gelungen, im Gegenteil, nicht den halben Arm Deutschlands hat es niederschlagen können. Jedoch den Ruhm hat es der bewundernswerten Tapferkeit; die Erinnerung an die alte Niederlage hat es verlöscht für seine heranwachsende Jugend, dieser Schatten ist von ihm genommen; diese Revanche ist ihm geglückt. Aber welch erbärmliches Schauspiel jetzt dies klägliche Keifen nach dem Preis des wirklichen riesengroßen Sieges, während man schon blaublaß an der Wand steht, Hilfe über Hilfe erbitten muß, mehr einen Arzt als eine Rüstung braucht. Ist dies Frankreichs würdig? Das Land hat die klarsten empirischen Köpfe, die sachlichsten Beobachter und Beschreiber hervorgebracht. Es hat die große Revolution gemacht, in der die Vernunft Göttin wurde, im Tempel verehrt wurde, und die Intelligenz sollte jetzt nicht soviel Kraft besitzen, um Albernheiten zu verhindern? Die französische Intelligenz sollte im Ernst in diesem Augenblicke, der nicht hinter denen der großen Revolution an Bedeutung zurücksteht, imperialistisch verblödet sein wie der und jener? Wir wissen genau, was es ist, das Frankreich Elsaß-Lothringen fordern heißt. Ihnen ist die Provinz nur ein Symbol, für die genommene Rache! Aber uns für die Niederlage. Und das sind zwei Seiten. Und hier gibt es keinen Disput. Und weiter: Elsaß-Lothringen, das scheinen die Franzosen nicht zu wissen, ist für Deutschland mehr als ein Land unter anderen: es ist das neugeeinigte Deutschland. An Elsaß hängt Deutschland mit ganzer Liebe. Wie deutsch das elsässische Land ist, weiß jeder gebildete Franzose. Daß ein früheres, planloses, bald heftiges, bald laues Regiment uns hier keine Sympathien geworben hat, ändert an der Sache nichts; man läßt sich auch ein Kind nicht rauben, wenn es uns haßt. Der Deutsche hat das Empfinden und wird es immer behalten, daß wir das Elsaß zu uns zurückgenommen haben. Wo sind jetzt, wo denken die alten revolutionären Kräfte Frankreichs? Ihr lacht über uns, daß wir keine Revolution machen können; man habe Verständnis für uns, wir bedürfen nicht des Treibhauses der Revolution, unsere Äpfel reifen in freierer Luft, unser Tempo ist anders als das gallische. Aber ihr entartete, erkaltete Enkel, so heilt euch erst selbst! Ihr reif für jede Autokratie!

Als der Krieg auf eine gewisse Höhe gekommen war, erschien Amerika auf dem Plan. Die ungeheuren Forderungen, die Geschichte und Vorgeschichte des Krieges stellte, schienen einen Leib gewonnen zu haben, ein Gehirn, Schwert, als das Phänomen Amerika sich am Horizont zeigte. Dieses Land war unabhängig, stolz, reich. Es wäre unglaublich gewesen, wenn der Koloß nicht mit ergriffen worden wäre von der abenteuerlichen allgemein reißenden Bewegung. An den Fett- und Fleischtöpfen der halben Welt labte er sich jahrelang; gemästet fand er kaum Zeit sich den Mund zu wischen; die Hypertrophie aller Organe trieb ihn unwiderstehlich sich zu erheben, irgendwie zuzugreifen mit den geschwollenen Pranken. Als Richter und Büttel trat Amerika auf, sein Urteil gegen den Bund der Mittelmächte. Wofern Amerika ein unabhängiger Richter ist, wären wir verrucht, wenn wir das Urteil nicht annähmen. Aber diese Demokratie von dem schwersten Machtkaliber, die sich ungestört entwickeln konnte, versagte beim ersten Schritt, erwies sich sofort verständnislos für das Urproblem des Krieges, seinen Ausgangs- und Angelpunkt, für die ungeheure Not und völlige Hilflosigkeit eines spät geborenen Riesen, der die Fideikommisse der Welt besetzt sieht. Wie leicht ist es, die brüsken Bewegungen dieses eifersüchtig bewachten jungen Tolpatsches moralisch zu degradieren; wers besitzt, hat die Moral für sich; der Hungrige ist immer der Rebell, der Räuber der Totschläger; das ist alte konservative Taktik. Und schlau ist dieser junge Tölpel gar nicht, alles mißlingt ihm. Die andere Seite hat in langen Jahren nichts gesehen als sich, raffte, als stünde der Weltuntergang bevor, und als müßte, müßte es andere reizen. Sie warfen kaum einen halben Blick auf das peinlich wuchernde Deutschland, und nun folgte der Irrtum, der Grundfehler, das Verbrechen; sie sagten: »Wir lassen ihn herankommen, den Tölpel; er ist kriegerisch, wild, wir werden uns um ihn nicht kümmern. Wir werden ihn niederhalten. Er wird es nicht wagen so bald zu kommen.« Der Grundfehler! Das Verbrechen! Hier hätten sie sehen müssen, – wofern sie es zu keinem Krieg kommen lassen wollten, – dies wird ein gefährlicher Feind, dieses Land starrt schon von Waffen; wir müssen abwiegeln. Urteilen die Herren von drüben nach dem dreijährigen Krieg: war Deutschlands damalige Stellung in der Welt angemessen seinen jetzt entwickelten Kräften, etwa im Vergleich mit Frankreich, nach dem Grundsatz jener Gerechtigkeit, die sie so viel anrufen? Aber ihr habt diese Ungeheuerlichkeit von Kraft nicht erwartet? Der Irrtum, euer furchtbarer unsühnbarer Irrtum! Es war ihre Pflicht, Sache der Gerechtigkeit, des kalten Bluts und der Umsicht, uns zu entwaffnen. Unser Heer, unsre Flotte wuchs, und doch kein Zeichen von Verständnis, doch nichts als weitere Entfernung in die Opposition und zähnebeißende Feindseligkeit. Ein Wettrennen arrangiert – Irrsinn über Irrsinn –, als wenn es in Deutschland irgend jemandem darauf ankam, andere zu besiegen, als vielmehr auf die Demonstration für Augen und Nerven: so stark sind wir. Unsere Import- und Exportzahlen, unsere Fabrikziffern, unser Nationalvermögen beweisen euch nichts: vielleicht beweisen es euch die Zahlen unserer Schiffe, Soldaten und Kanonen. Und schrecklich, nicht einmal das; sie müssen es gänzlich und völlig beweisen, mit Schlagen, Schießen und Vernichten; diese vorsintflutlichen Handgreiflichkeiten müssen Kulturvölker des zwanzigsten Jahrhunderts über den Stand ihrer Kräfte und Potenzen aufklären. Über den Stand ihrer geistigen Reife, bemessen an der Fähigkeit, bessere, stärkere Explosivstoffe, Gase zu produzieren; ja daran bemessen und an nichts anderem. So will es die Welt, die die Weisheit des Konfuzius, Platons, der Bibel auf dem Buckel, aber auch nur auf dem Buckel hat. Diese Schuld liegt nicht an uns; so urteilten – das sanfte Wort Urteil – englische Diplomaten und Staatsmänner, die Elite ihrer Clique, die im sogenannt politischen Betriebe aufgewachsen sind wie slowakische Jungen im Dreck. Sollen wir nicht schreien, daß überall in der Welt alles auf Deck muß, was seiner Sinne mächtig ist, und die Klügsten und Herzlichsten voran, damit die aufscheuchenden Stimmen sich vertausendfachen, damit die Weisheit nicht in Büchern bleibt, sondern beseelt, befruchtet und befiehlt? Damit nicht um elementarer Dummheiten und seelischer Schlechtigkeit willen die Entwicklung der Humanität, das ist der Menschenart, dazu der feinsten und teuersten Leben gefährdet wird?