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Carolines Leben scheint perfekt zu sein. Eine heile Welt, in "rosa Pastell". Einen Freund, den alle Mädchen anhimmeln und den Caros Eltern lieben. Doch plötzliche Konflikte und eine unerwartete Begegnung bringt Carolines Welt ins Wanken. Und nun muss sie sich entscheiden. Weiter in Pastell leben? Oder in eine unbekannte düstere Welt eintreten? "Schwarz in Pastell" ist eine Geschichte über Selbstfindung, Liebe und die dunklen Schatten, die im Leben lauern. Details Caroline (16) wächst in Duisburg in einer scheinbar harmonischen Familie auf. Sie ist die absolute Vorzeigetochter. Als sie dann eine Beziehung mit Eric eingeht, dem Traumschwiegersohn ihrer Eltern, erfüllen sich alle Wünsche ihrer Mitmenschen. Alles scheint perfekt, wenn da nicht ein "unbedeutender" Fehler wäre: Carolines Gefühle für Eric haben nichts mit Verliebtheit zu tun. Sie möchte einfach um jeden Preis die hohen Erwartungen ihrer Eltern erfüllen. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse, und Caroline weigert sich zum ersten Mal, den Vorstellungen ihrer Eltern zu entsprechen. In dieser Situation begegnet sie David. Und David ist definitiv nicht das, was ihre Umwelt von ihr erwartet...
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Seitenzahl: 575
Veröffentlichungsjahr: 2023
For JulianKeep it alive
Mawie F. Viena
Schwarz in Pastell 1
Verführung
© 2023 Mawie F. Viena
Lektorat von: Feyza Özdemir
Covergrafik von: Heinrich Kowalski
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
ISBN
Softcover
978-3-384-03213-3
Hardcover
978-3-384-03214-0
e-Book
978-3-384-03215-7
Cover
Widmung
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort der Autorin
Deadline
Prolog
Kapitel 1: Im Paradies
Kapitel 2: Sommer, Strand, Bikini
Kapitel 3: Erwartungen
Kapitel 4: Das Underworld
Kapitel 5: Erwachen
Kapitel 6: David
Kapitel 7: Blutige Wahrheiten
Kapitel 8: In der Finsternis des Paradieses
Kapitel 9: Sorgen
Kapitel 10: Davids Wahrheit
Kapitel 11: Vorurteile
Kapitel 12: Requiem
Kapitel 13: Zwischen Licht und Schatten
Kapitel 14: Im Tourbus Erinnerungen an einen Ostseeurlaub
Kapitel 15: Gretchen liebt Piercings
Kapitel 16: Dancing in the light
Kapitel 17: Ohne Fenster
Kapitel 18: Das finstere Tal
Kapitel 19: Punkt ohne Wiederkehr
Kapitel 20: Zerbrochen
Kapitel 21: Torheit und Freiheit
Kapitel 22: Das Gift in meinem Kopf
Kapitel 23: Düstere Verzweiflung
Epilog
Danksagungen
Wichtige Hinweise & Disclaimer
Cover
Widmung
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort der Autorin
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Back Cover
Vorwort der Autorin
Als ich im Mai 2019 die Alphaversion von „Schwarz in Pastell“ beendete und mit der Überarbeitung anfing, stieß ich durch Algorithmen von YouTube und Zufall auf dieses Lied. Ungläubig las ich den Text immer und immer wieder. Lest den Text auf der nächsten Seite aufmerksam, hört dieses Lied und taucht dann in „Schwarz in Pastell“ ein. Ihr werdet am Ende verstehen, was mich dazu bewegt hat, diese Worte an den Anfang meines Buches zu setzen.
Trigger Warnung am Ende des Buches
Deadline
by Lessdmv (Julian Larre)
Yeah I'll make you to don't want to wake up From this dream which make you feel insecure I know my game is cruel, but it might be the cure So close your eyes and get on your knees Yeah my fingers wanna run through your hair And my lips just going down on your chest
I'll blow your mind away
I'll be your deadline
I'll hunt you anyway
Yeah baby I'll be your deadline
I'll fuck you
Tear you and bite you
I ain't gonna lie you
I'm gonna rip your face
Rip your face
Ruin you
Lick you and tie you
I'm gonna scratch you
Until your blood is everywhere
And you scream my name
Yeah just look at me and open your legs
My lips are pushing you to give in
With chains and bites I'm holding your neck
A punishment you'll never forget
I'll blow your mind away
I'll be your deadline
I'll hunt you anyway
Yeah baby I'll be your deadline
I'll fuck you
Tear you and bite you
I ain't gonna lie you
I'm gonna rip your face
Rip your face
Ruin you
Lick you and tie you
I'm gonna scratch you
Until your blood is everywhere
And you scream my name
A devil's kiss to take your breath
And fire to burn your fears
Desire for eternity.
Is danger what you wanted?
Damnation what you needed?
Dirty pleasure what you wanted?
Absolution what you needed?
Come I'll turn on the fire
in you and take you hard
This is sex
So drink the wine of my blood this is you
Come just take the sin and release your soul
This is sex
Pull the trigger and life live hard
Prolog
Dieser Abend lag unter einer tiefen Wolkendecke, während Regentropfen den Boden befeuchteten und der Duft von modernder Erde schwer über den Gärten in der Duisburger Vorstadt waberte. Die Hitze des Tages machte die Luft schwer, das Atmen hinderlich. Die langsamen Schritte des Mannes führten ihn zielsicher über die feuchten Steine, die im Licht der fast blinden Laternen glänzten. Sein Atem klang keuchend in der schweren Luft des Frühlingsabends und mischte sich mit den Gerüchen dieses Ortes. Er wartete in der Stille und betrachtete die Blüten, die sich in der Dunkelheit geschlossen hatten. Sich fragend, wohin sie gegangen war, was sie hier an diesem Ort wollte, auch wenn es ihm im Grunde gleichgültig war. Er musste nur mit ihr sprechen, denn auf diese Weise ging man nicht mit ihm um.
Der Klang ihrer Absätze drang kratzend durch die Stille, etwas war anders und er trat einen Schritt vor, um sie mit seinem Blick zu erfassen. Ihr Fuß schien verletzt und zwang sie, ihre Grazie für einen hinkenden Gang einzubüßen. Ihr sonst so perfektes Haar war zerzaust, während sie sich Schritt für Schritt der Kleingartenanlage näherte. Unbemerkt trat er auf sie zu, blieb vor ihr stehen, als sie ihren Blick erhob. Erschrocken fuhr sie zusammen. „Oh Mann, was machst du denn hier? Du hast mich erschreckt!“ Lächelnd zuckte er mit den Schultern. „Was für ein Zufall, nicht wahr? Hast du dich verletzt?“ Seufzend verdrehte sie ihre Augen, während sie ihre Handtasche auf den Boden ablegte. Der Unterton in ihrer Stimme klang genervt. „Ja, verdammt noch mal. Ich habe mir den Fuß verdreht, als mich dieser Penner geschubst hat. Wie konnte ich nur glauben, dass ich diese Menschen umstimmen könnte? Ich hätte einfach auf meinen Verlobten hören sollen, er kennt diese sturen und verbohrten Esel besser als ich und er hatte eindeutig recht.“ Unschlüssig streifte sie ihren Schuh ab und betrachtete den beschädigten Absatz. Während sie versuchte ihre Frisur zu richten, betrachtete sie den Mann vor ihr prüfend. „Ohne Scheiß, was machst du hier?“ Ein Ausdruck unverhohlener Gier spiegelte sich in seinen Augen. „Warum hast du mir den Brief geschrieben? War das dein Ernst?“ Sie hob ihre Augenbraue und betrachtete ihn unsicher. „Oh Himmel, natürlich war das mein Ernst. Mann, ich will damit aufhören, es geht einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr so weitermachen und glauben, dass ich dann eine Zukunft mit meinem Verlobten habe. Das musst du doch verstehen! Ich habe dir gesagt, dass ich in einer Beziehung bin.“ Der Mann nickte ruhig, doch der Ausdruck seiner Augen wurde eisig. „Muss ja ein toller Kerl sein, wenn du dafür auf so viel Geld verzichtest.“ Kühl richtete sie sich auf, um ihr unwohles Gefühl zu verbergen. „Weißt du, Geld ist einfach nicht alles. Ich habe zwar lange geglaubt, dass es so ist, aber ich wurde eines Besseren belehrt und für diesen Mann fällt es mir in der Tat nicht schwer.“ Einen Moment sah er in ihre grünen Augen und zuckte dann mit den Schultern. „Ich würde mein Angebot verdoppeln. Was sagst du? Denk darüber nach.“ Das Lachen der jungen Frau schallte durch die Nacht. „Was soll das jetzt? Ich habe dir gesagt, ich mache das nicht mehr. Ich bin keine Escort mehr und Schluss mit der Diskussion. Ich denke, ich habe mich nicht unverständlich ausgedrückt.“ Der Blick des Mannes verdüsterte sich. „Escort? Was für ein süßes Wort für eine Nutte. Vor allem für eine, der es Spaß gemacht hat.“ Genervt und beleidigt sah sie zum Himmel. „Schluss damit, ich werde jetzt gehen. Such dir jemand anderen.“ Sie beugte sich zur Handtasche hinab, während er keine Anstalten machte wegzugehen. „Was zahlt dir dein Verlobter?“ Seine Stimme klang zynisch bei dem Wort Verlobter. Ein leises Seufzen drang aus ihrer Kehle und sie betrachtete sein Gesicht mit einem Ausdruck tiefster Verachtung. „Nicht, dass es dich etwas angeht, egal, komm, ich werde versuchen, es dir zu erklären. Er liebt mich, unabhängig davon, was ich bin und wie ich bin. Er ist der beste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Ich habe zu lange meine Augen davor verschlossen, was wirklich für mich zählt.“ Belustigt grinsend schüttelte er den Kopf. „Und du weißt, was Liebe ist? Du kleine Nutte liebst nur harte Währung, wenn du deine Beine breit machst.“ Die Frau betrachtete ihn einen Moment, ehe sie ohne ein weiteres Wort hinkend ihren Weg fortsetzte. Das Gespräch war für sie beendet. Unschlüssig sah er ihr nach, ehe er sie mit wenigen langen Schritten einholte. „Ich lasse mich nicht von dir so abspeisen, du gehörst mir. Ich zahle für dich.“ Wut und Ekel zeichneten sich in ihren Augen, in ihren Zügen. „Vergiss es einfach. Such dir eine andere mit der du deine Spiele ausleben kannst. Wink nur mit deinen Scheinchen und die meisten werden sich darauf einlassen.“ Ihr Knöchel schmerzte zunehmend, während sie versuchte ihre Geschwindigkeit zu erhöhen und in die Gartenanlage abzubiegen.
Plötzlich traf sie ein harter Schlag in den Rücken und brachte sie unvermittelt zu Fall. Nur notdürftig konnte sie sich mit ihren Händen auffangen und schlug auf ihr Gesicht, sodass ihr Tränen in die Augen schossen. Hart legte sich seine Hand um ihre Kehle, während sie Blut auf ihren Lippen schmeckte. Mit einem Ruck drehte er sie um und sah sie ohne jeden Ausdruck von Gefühl an. Der intensive Geruch von Leder mischte sich mit dem ihres Blutes. Panisch versuchte sie sich zu wehren, als sie die Klinge bemerkte, die er ihr vor die Augen hielt. In seinen blassen Augen spiegelte sich kein Gefühl, weder Wut noch Verachtung und Grauen ergriff sie, als er ihre Kehle noch fester zudrückte, was ihr fast den Atem nahm. Ruhig raunte seine Stimme an ihr Ohr. „Wenn ich nicht mehr zahle, dann ist das unser letzter Fick mein Prinzesschen und der wird dir unvergessen bleiben. Keine Regeln mehr, ich lasse dich in den Genuss kommen, alle Grenzen zu überschreiten.“ Verzweifelt versuchte sie sich gegen seinen Griff zu wehren, als die Klinge sich in ihre Haut bohrte, mit einer unerträglichen Langsamkeit, während ihr Schrei in seiner Hand erstickte. Ein unerträglich zärtliches Lächeln zeichnete sich in den Zügen des Mannes, während er ihre grünen Augen betrachtete, die ihn panisch anflehten. „So schöne Augen, wie Smaragde. Ich glaube, da fällt mir etwas sehr Spaßiges ein, das deinem Liebsten sicher gefallen wird.“ Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien, während die Klinge sich ihrem Auge näherte.
Zehn Jahre später…
Kapitel 1
Im Paradies
Caroline warf ihre riesige Handtasche aus weißem Leder in die Ecke ihres Zimmers. Vor den Sommerferien war der Heimweg so entspannt wie sonst nie und noch immer hatte sie einen Ohrwurm von dem Song, den Leonie den gesamten Heimweg gesungen hatte. Es klang zwar schief und viel zu laut, aber ausreichend, um den Hit aus dem High School Musical in ihre Gehirnwindungen zu brennen und sie die kommenden Stunden damit zu foltern. Sechs Wochen Ferien und dann ging es endlich oder bedauerlicherweise in die Oberstufe, da war sie sich unsicher. Diese Ferien waren die letzten, die sie würde, genießen können, ohne sich in Büchern zu verkriechen und sie sollten wundervoll werden. Das hatten Leonie und sie sich geschworen. Glücklich ließ sie sich auf ihr Bett fallen, das voller Plüschtiere war und ihr kaum Platz ließ, um darin zu schlafen. Carolines Blick schweifte über die Poster von Zac Efron an den pastellrosa Wänden und sie grinste den hübschen Jungen auf den Bildern mit dem gleichen debilen Ausdruck an. Er war eigentlich eher immer Leonies Schwarm gewesen, aber irgendwie hatte auch sie ihn niedlich gefunden. Die Vibration ihres Handys holte sie aus ihrer inneren Stille. Sie klappte das goldene Handy mit den bedeutungsvollen Buchstaben D&G auf und las die SMS auf dem Display:
Hey Babe. Heute Abend Party im Gemeindehaus? Mit oder ohne Leo? Oder lieber bei dir? ;-) CU Eric
Ihr Lächeln gefror augenblicklich, während sie auf das Display starrte, dabei immer wieder Buchstaben mit geübten Fingern eintippte und erneut löschte. Erst nach einigen Minuten war sie mit ihrer Antwort zufrieden und schickte die Worte durch den digitalen Orbit:
Hey. Ja ich klär das. Sicher mit Leo. Bei mir? HAHAHA! Melde mich später. HDL Caro
Sie warf ihr Telefon aufs Bett und ging hinunter in die Küche zu ihrer Mutter, die bereits damit beschäftigt war, das Mittagessen vorzubereiten. „Brauchst du Hilfe?“ Melanie lächelte und reichte ihrer Tochter das Besteck. „Deck doch schon mal den Tisch. Ich habe noch gar nicht auf dein Zeugnis geguckt.“ Beiläufig zuckte Caro mit den Schultern und nahm die Teller aus dem Schrank. „Kann ich heute Abend mit Leo und Eric ins Gemeindehaus? Da ist ne Ferienparty und alle anderen gehen auch!“ Ihre Mutter schmunzelte, während sie sie beobachtete. „Frag deinen Vater, aber ich schätze, er wird nichts dagegen haben. Bringt Eric dich nach Hause?“ Während Caro nickte, wurde sie auf einen Song aus dem Radio aufmerksam, der sie an Nickelback erinnerte und sie drehte am Regler, um es lauter zu stellen. Ihre Mutter schüttelte seufzend ihren Kopf. „Caro, mach das leiser, von dem Geschrei bekommt man Kopfschmerzen. Was ist das? Ist das Tokio Hotel?“ Unwillig, aber ohne jeden Protest drehte sie leiser und zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung, wer das ist, aber Tokio Hotel ist es auf jeden Fall nicht. Woher kennst du überhaupt Tokio Hotel?“ „Ich habe nur Bilder von denen gesehen in der Zeitung und im Fernsehen. Die brüllen auch immer so. Hört das jemand von deinen Freunden?“ Caro überlegte einen Moment, während sie ihre Mutter dabei beobachtete, wie sie die Tomaten mit einer besonderen Sorgfalt in Würfel schnitt. „Nicht wirklich.“ Seufzend lauschte Caro auf die leise Musik, neugierig wen sie da hörte, entschied sie sich zum eigentlichen Thema zurückzukehren. „Ja, ich schätze, Eric hat eingeplant, mich nach Hause zu bringen. Zur Not nehme ich einfach ein Taxi.“ Die Aufmerksamkeit wieder dem Essen widmend, lächelte ihre Mutter, dabei schien sie weit weg mit ihren Gedanken. „Ich denke, dann wird Papa wohl kein Problem damit haben. Darf ich mal auf dein Zeugnis schauen oder hast du was zu verbergen?“ Mit einem Anflug von Lustlosigkeit schlürfte sie die Treppen hinauf in ihr Zimmer, dabei schweiften ihre Gedanken zu Eric. Der Schwarm aller Mädchen mit blondem Haar und braunen Augen wie ein Beach-Boy, der nicht wie in Teenagerfilmen unerreichbar weit weg war. Eric unterstrich diesen Style und genoss seine Wirkung, wenn er bei jeder Gelegenheit sein Shirt auszog und seinen durch regelmäßige Besuche auf der Sonnenbank gebräunten und trainierten Oberkörper präsentierte. Alle Mädchen reagierten nahezu hysterisch auf den charmanten sechzehnjährigen, der sich auch bei den Lehrern einer gewissen Beliebtheit erfreute. Geriet er allerdings in Stress, so erinnerte er mit all den hektischen roten Flecken, die sich auf seiner Haut bildeten, eher an einen schweren Fall von Windpocken und bei dem Gedanken schmunzelte Caroline leicht. Seit sechzehn Jahren kannte sie den Sohn von den besten Freunden ihrer Eltern und nun war er ihr fester Freund. Der Neid, der ihr entgegenschlug, wenn er händchenhaltend mit ihr über den Schulhof schritt, war beispiellos. Viele Mädchen suchten den Kontakt zu ihr, seitdem sie seine Freundin war, um lauernd auf das Ende der Beziehung zu warten und um im richtigen Moment parat zu stehen. „Glück?“, dieses Wort, das flüsternd über ihre Lippen kam, während sie das Zeugnis aus ihrer Tasche klaubte, klang so fremd in ihren Ohren, wenn es um Eric ging. Etwas Stolz, das empfand sie bei den neidischen Blicken, aber Glück? Leonie war erblasst, als sie ihr mitgeteilt hatte, dass sie und Eric tatsächlich ein Paar geworden waren und einen Moment hatte ihre beste Freundin nicht gewusst, wie sie hatte reagieren sollen. Die überschwängliche Freude aller überforderte Caroline immer wieder und erstickte jeden Zweifel in ihr sofort im Keim. Wie sollte sie auch zweifeln, wenn doch alle anderen so überzeugt von ihrem Glück waren. Bei ihrer Rückkehr in die Küche hielt sie das Papier vor die Nase ihrer Mutter, die ihr einen anerkennenden Blick zuwarf. „Ich bin stolz auf dich. Papa wird begeistert sein.“ Zufrieden legte das Mädchen das Zeugnis beiseite und räumte die Spülmaschine ein, während ihre Mutter im Plauderton fortfuhr. „Ich hoffe, du kannst dieses Niveau in der Oberstufe halten. Dieses Gymnasium hat nicht umsonst diesen Ruf und es macht sich spätestens in der Oberstufe bemerkbar. Nina und ich machen uns schon etwas Sorgen, dass vor lauter Liebe, die Schule etwas zu kurz kommen könnte.“ Der Gedanke, die Schule für Eric zu vernachlässigen, erschien Caro gänzlich unsinnig. „Ich denke gar nicht daran, irgendwas schleifen zu lassen. Was allerdings Eric vorhat, weiß ich nicht. Ich möchte meine Noten nicht beeinträchtigen. Bisher ist es mir nicht schwergefallen. Aber ich schätze, die Oberstufe ist was anderes. Herr Sondermann hat uns heute vor den Zeugnissen noch einen ewigen Vortrag gehalten, dass wir den Wechsel in die Oberstufe nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Ich finde es schade, dass er nicht mehr unser Klassenlehrer sein wird. Er war wirklich toll, die letzten Jahre. Nicht so verstaubt wie die anderen Lehrer.“ Es schien, als habe Melanie ihrer Tochter kaum mehr zugehört, während sie sich dem Salat gewidmet hatte. „Wenn du mal sowas wie Nachhilfe brauchst, dann musst du es nur sagen. Besser Hilfe holen, als mit den Noten abrutschen. Was ist denn mit den Orientierungstagen nach den Ferien?“ Mit einem Kopfschütteln starrte sie durch ihre Mutter hindurch. „Einige der Jungs hatten geplant Alkohol einzuschmuggeln. Irgendwer hat das natürlich verpetzt und die Schröder ist ausgerastet. Wir werden jetzt natürlich besonders kontrolliert. Ich weiß sowieso nicht, was das sollte. Ich kann Alkohol nichts abgewinnen. Ich hoffe die sagen das nicht noch ab nach den Ferien. Irgendwie freue ich mich ja auch drauf.“ Freudig stellte ihre Mutter den Salat in den Kühlschrank und setzte sich zu ihrer Tochter. „Ich bin froh, dass es bei euch nicht die gleichen Probleme wie an den städtischen Schulen gibt. Ich habe noch nie von Gewalt oder Drogen gehört.“ Bei den Worten schweiften Caros Gedanken zu ihrer Schule, die nach außen, wie ein Paradies wirken musste, da die Kirche eine gewisse himmlische Ruhe durch die Schulflure wehen ließ. Aber die Wirklichkeit sah anders aus. Die Gewalt war nicht erkennbar, es brodelte vielmehr unter der Oberfläche. Verbale Gewalt, leise ausgesprochen, Bedrohungen, all das war an der Tagesordnung und die Opfer hatten kein Forum. Jeder wusste all das, aber keiner sprach darüber. Problemschüler verschwanden nach kurzer Zeit. Man legte den Schülern einfach nahe, zu gehen und machte es ihnen leicht. Kritik an dem System war nicht erwünscht und die Unerwünschten wurden entfernt. Nur wer mit dem Strom schwamm, passte in die Schule. Das erlaubte es der Schule, sich in diesem selbsterschaffenen Paradies zu sonnen, aber wer eben vom Baum der Sünde kostete, der flog unerbittlich raus. Diese Dinge aber nun ihrer Mutter zwischen Salat und Thunfisch zu erklären, erschien Caroline sinnlos. Der silberne Nissan fuhr in die Auffahrt vor dem Reihenhaus der Familie ein und ihr Vater stieg beschwingt aus dem Wagen. Bernd war ein Mitte Vierziger mit den gleichen rötlichen Haaren wie seine Tochter. Sein perfekter Henri-Quatre-Bart verlieh ihm etwas Aristokratisches und machte ihn für die Damen noch immer attraktiv, auch trotz seines kleinen Wohlstandsbäuchleins. Mit beschwingtem Gang und erwartungsvollen Lächeln betrat der Mann das Haus. „Und Prinzessin? Wie ist das Zeugnis?“ Seine warme Stimme klang durch das ganze Haus, das mit seinen elfenbeinfarbenen Klinkern in perfekten Einklang zu all den anderen elfenbeinfarbenen Häusern der Vorstadtsiedlung in Duisburg Wedau stand. Mit strahlenden Augen und einem Lächeln fiel sie ihrem Vater in die Arme, der das zarte Mädchen im Kreis wirbelte. „Und?“ „Ein 1,1er Durchschnitt. Ich habe überall eine eins bis auf Sport, aber Basketball liegt mir nicht und in Französisch ist es auch leider nur eine Zwei. Aber sonst,“ erwartungsvoll sah sie zu ihrem Vater auf, dessen Züge sich noch mehr erhellten. Seine Umarmung wurde fester. „Ich habe es gar nicht anders erwartet. Ich bin stolz auf dich! Du hast einen Wunsch frei. Es gibt ein neues Handy von Prada, liegt wohl total im Trend, hat mir eine Kundin heute erzählt.“ Schmunzelnd reichte Caro ihrem Vater das Zeugnis und schüttelte ihren Kopf. „Das kommt erst im September und meins ist super. Ich brauche kein neues. Aber ich würde gerne heute Abend mit Leo und Eric ins Gemeindehaus, da ist eine Schools Out Party!“ Auf dem Gesicht ihres Vaters spiegelte sich Hochachtung vor den Noten, ehe er nickte. „Natürlich darfst du gehen. Ich bin beeindruckt, von mir hast du das nicht. Ich war kein Überflieger in der Schule.“ Mit einem fragenden Ausdruck in den Augen trat Melanie aus der Küche. „Das Essen ist fertig. Vielleicht hat sie es ja von mir.“ Als Belustigung in Bernds Augen aufblitzte, biss sich Melanie auf die Lippe und sah zu Boden. „Es gibt Pasta in Olivenöl mit Tomaten und ein Salat mit Thunfisch. Wie wars im Büro?“ Die unausgesprochene Kränkung hatte Melanie getroffen, doch sie ließ sich nichts anmerken und fuhr wie gewohnt fort. Die Frau mit dem aschblonden Haar, welches sie immer zu einem jugendlichen Pferdeschwanz gebunden trug, wirkte neben ihrem Mann immer etwas blass und verloren. Caro fragte sich oft, warum ihre Mutter immer alle kleinen Spitzen ihres Vaters hinnahm. War sie schon immer so gewesen? Nachdenklich beobachtete Caroline ihre Mutter, die bedächtig das Essen auftrug und ihr Blick wanderte zu ihrem Vater. Es war ihr ein Rätsel, wie dieses Paar vor 21 Jahren wohl zustande gekommen war. Die beste Freundin ihrer Mutter hätte viel besser zu ihrem Vater gepasst und dennoch war es anders gekommen. Als haben sich Gegensätze angezogen, war der dürre Ingo mit der bildhübschen Nina verheiratet und Bernd, der Frauenheld, mit den adligen Zügen und den giftgrünen Augen mit ihrer Mutter. Das graue Mauerblümchen, die neben Nina schon immer blass und verloren gewirkt hatte. Selbst auf der eigenen Hochzeit hatte Nina ihrer Mutter die Show gestohlen. Die alten Fotos zeichneten ein Bild, das sich bis in die Gegenwart fortgesetzt hatte. Als Caro bemerkte, wie ihre Mutter ihren Blick senkte und fast demütig wirkte, erschauderte sie. Dabei ertappte sie sich selbst, wie sie dem Blick ihres Vaters auswich und nie gewagt hätte, die Situation zu hinterfragen.
Ihr Vater plapperte während des Essens wie ein Wasserfall, während Melanie schweigend lauschte und Caroline ab und an eine Frage stellte. „Wir schreiben schwarze Zahlen. Ich bin froh, dass Ingo die Finanzen macht. Ich bin doch mehr der Mann für den Kundenkontakt und er der Buchhalter! Also mit anderen Worten, es war ein grandioser Tag. Und es wird mir eine Befriedigung sein, den Kunden zu erzählen, wie sehr du in der Schule glänzt.“ Caro lächelte das unangenehme Gefühl weg, dass die Worte ihres Vaters verursachten. „Naja, Eric und Leonie haben auch ganz gut abgeschnitten. Ich stehe nicht allein da.“ Diebisch lächelte Bernd in sich hinein. „Leo hat immer von dir abgeschrieben und von Eric erwarte ich nichts anderes. Er und du ihr wisst genau, welchen Stellenwert schulische Leistungen haben. Ich bin immer wieder positiv überrascht, wie zielstrebig ihr beide seid.“ Die Unterhaltung war für Caroline zunehmend ermüdend und sie nickte zustimmend, um weiteren Schmeicheleien über Eric aus dem Weg zu gehen. Melanie wirkte nachdenklich. „Wird bei dieser Party eigentlich auch Alkohol getrunken?“ Ihr Vater verdrehte sarkastisch die Augen. „Mela? Das organisiert die Kirche und wenn Jugendliche was mitbringen, dann kann es höchstens Bier sein. Woher sollten die was anderes haben?“ Caroline schüttelte den Kopf und seufzte. „Nach 19 Uhr kannst du Bier-Mix kaufen, aber ich mag das Zeug sowieso nicht. Mach dir wirklich keine Sorgen.“ Bernd schmunzelte. „Soll ich euch heute Abend abholen?“ Ohne von ihrem Salat aufzusehen, schüttelte sie ihren Kopf. „Nein, wir sind schon groß und schaffen den Weg allein. Manchmal ist es wirklich seltsam, dass Eric mein Freund ist, wisst ihr? Wir haben schon im Sandkasten zusammengespielt und jetzt ist es gewöhnungsbedürftig.“ Ihre Mutter lächelte vielsagend. „Ach, Kind was für ein Unsinn. Das ist doch nur gut für euch beide, ihr kennt euch so lange, dass du weißt, dass du ihm vertrauen kannst. Ein riesiger Vorteil, wenn du mich fragst, besser kann es doch gar nicht laufen und vielleicht feiern wir auch kurz nach eurem Abi schon eure Hochzeit. Du wärst so eine hübsche Braut.“ Bernds schallendes Lachen dröhnte durch den Raum, als er in das verdatterte Gesicht seiner Tochter blickte. „Reicht es dir nicht nach dem Studium, lass die beiden doch erstmal ihr Leben etwas genießen. Reisen und Geld verdienen. Außerdem will ich nicht jetzt schon Opa werden.“ Die Worte ihres Vaters jagten ihr ein eisiges Schaudern über den Nacken, während ihre Mutter spitzbübisch grinste. „Naja, wo zwei sind, können es auch schnell drei sein. Da muss nur mal ein Kondom reißen.“ Röte stieg in Carolines Wangen und Bernd verschluckte sich an den Nudeln. Ungläubig starrte er seine Frau an, dann wanderte sein Blick zu Caroline. „Du warst doch beim Arzt, oder? Ich bin zu jung, um mich Opa nennen zu lassen. Kinder müssen so früh doch wirklich noch nicht sein.“ Unwillig stocherte Caroline in ihren Nudeln. Das Thema war ihr höchst unangenehm, bisher hatten ihre Eltern nie so offen über Sex gesprochen. „Papa! Muss das sein? Ich finde das Thema ehrlich gesagt unpassend!“ Mit beschwichtigender Geste fiel Bernd ihr ins Wort. „Sorry! Also lasst euch mal Zeit mit Kindern und geht heute Abend erstmal feiern.“
Dem Mädchen war der Appetit vergangen und sie schob den Teller weit von sich. „Darf ich mich entschuldigen? Mir ist der Appetit vergangen.“ Seufzend nickte Bernd und ließ seine Tochter gehen, um sich selbst etwas betreten dem Essen zu widmen. Carolines Gedanken schweiften einige Wochen in die Vergangenheit, als das Thema ‚Verhütung‘ bereits in einem anderen Zusammenhang besprochen worden war. Damals war der Ton allerdings ein anderer gewesen, denn es war nicht um Eric gegangen. Ihr erster Freund war Nils gewesen. Allein wenn sie an ihn dachte, machte ihr Herz noch immer einen sachten Hüpfer. Sie hatte ihn im Jugendhaus an einem Freitagabend kennengelernt und sofort hatte die Chemie zwischen ihnen gestimmt. Der Junge, der zwischen Ober Marxloh und Marxloh, in einer Plattenbausiedlung wohnte, war kein Vergleich mit Eric. Still und schüchtern, das waren die ersten Worte, die ihr in den Sinn kamen, wenn sie sich an ihn erinnerte. Aber eben genau all diese Dinge waren offenbar das Problem gewesen, denn Nils hatte sich nicht gewehrt und irgendwann das Handtuch geworfen. Kaum hatte Caroline ihn zu Hause vorgestellt, war er von ihrem Vater in einem regelrechten Kreuzverhör auseinandergebastelt worden. Nichts war ihren Eltern an dem stillen Jungen recht gewesen. „Sohn einer Sozialschmarotzerin, Bastard ohne Vater, asozial, zukünftiger Parasit, ungebildet.“ Tatsächlich aber arbeitete Nils bereits neben der Schule in einem Getränkemarkt und unterstützte seine Mutter, wo er nur konnte, während diese als Reinigungskraft für einen Supermarkt arbeitete. Nils Vater hatte seine Mutter verlassen, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, und die Ausbildung seiner Mutter war in Deutschland nicht anerkannt worden, was die Frau dazu gezwungen hatte, sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser zu halten. Der Junge hatte sich selbst eine Ausbildungsstelle bei einem Steuerberater gesucht und mit einem guten Zeugnis die Realschule abgeschlossen. Seine Mutter war eine herzliche Frau, die ihren Sohn unterstützte, so gut sie konnte und auch Caro mit offenen Armen empfangen hatte. Leider waren ihre Eltern Nils gegenüber nie offen gewesen. Die kurze Beziehung war von Bernd regelrecht sabotiert worden und als Nils sie damit konfrontiert hatte, wusste Caro nicht, wem sie hatte glauben sollen. Am Ende hatte der Junge die Beziehung beendet und ihr die Entscheidung abgenommen. Nicht weitergeleitete Anrufe und falsche Informationen hatten das Verhältnis zwischen Caroline und Nils schnell negativ beeinflusst und das zarte Vertrauen zerstört. Dennoch wurde ihr Blick noch immer verträumt, wenn sie an die wenigen Wochen mit Nils zurückdachte. Die Situation, als Caroline mit ihrer Mutter gesprochen hatte, um einen Termin bei einer Gynäkologin zu vereinbaren, war ihr in besonders unangenehmer Erinnerung geblieben. Kaum hatte sie das Thema angesprochen, war sie am Abend von Mutter und Vater am Küchentisch zu einem regelrechten Verhör erwartet worden. Beide unterstellten Nils, sie ausnutzen zu wollen und ihr Vater war nicht müde geworden immer wieder zu betonen, dass sie für jegliche sexuelle Erfahrungen noch viel zu jung und unreif war. Sie konnte den Stein vom Herzen ihrer Eltern regelrecht fallen hören, als sie ihren Eltern mitgeteilt hatte, dass ihre Beziehung beendet war. Als Eric kurz darauf immer wieder überraschend zu Besuch kam, um sie abzulenken, war passiert, worauf ihre und Erics Eltern schon immer gehofft hatten. In einem schwachen Moment hatte sie sich geküsst und irgendwie gingen von da an alle davon aus, dass sie ein Paar waren. In manchen Momenten fragte sie sich, ob sie selbst den Augenblick verpasst hatte, als sie es hätte verhindern können.
Eric und sie waren das Paar, was sich seine und ihre Eltern seit nun schon sechzehn Jahren wünschten. Nina und Ingo waren Erics Eltern und er war gerade drei Monate älter als sie. Sie kannten sich seit ihrer Geburt und die Familien lebten auch beinahe Tür an Tür. Es schien so, als seien diese Kinder regelrecht füreinander bestimmt und ein Foto aus dem Kleinkindalter war zum Running-Gag auf jeder Feier geworden. Sie und Eric in Baby Brautmode war der Stimmungsmacher auf jeder Familienfeier, versehen mit dem Zusatz, dass bei ihrer tatsächlichen Hochzeit ein Gegenstück zu diesem Bild entstehen müsste. Inklusive der Schnuller, den der blonde Lockenkopf und das kleine rothaarige Mädchen, in ihren zuckersüßen Mündchen hatten. Der Dauerwitz hatte im Laufe der Jahre immer mehr an Ernsthaftigkeit gewonnen und nun war der Wunsch der Eltern dabei Wirklichkeit zu werden. Kaum hatte Eric allen eröffnet, dass sie nun ein Paar waren, hatte Melanie das Thema Verhütung von sich aus angesprochen. Alles, wozu sie laut ihren Eltern wenige Tage zuvor noch zu jung und unreif gewesen war, schien kaum, dass Eric im Spiel war, plötzlich in Ordnung.
Caroline öffnete in ihren Gedanken versunken ihren Kleiderschrank und griff wahllos nach einem Shirt und einer Jeans. Dem Sinn für Mode konnte sie nicht viel abgewinnen. Weder legte sie Wert auf die Frage, ob ihre Shirts nun von einem Designer oder von einem billigen Laden um die Ecke waren, noch auf die Frage, ob sie einem Trend entsprachen. Ihre Kleidung war für sie Einheitsbrei in verschiedensten Pastelltönen mit glitzernden Strasssteinchen, nichtssagend und ihr im Grunde auch gleichgültig. Sie richtete, ohne einen wirklichen Blick in den Spiegel zu werfen ihren Pferdeschwanz und trug etwas Lippenbalsam in einem Rosé-Ton auf. Dabei befreite sie eine Strähne aus dem strengen Zopf und richtete ihr goldenes Kreuz, das sie seit ihrer Kommunion an ihrem Hals trug. Unterdessen wanderten ihre Gedanken zu Eric, den sie so viele Jahre kannte und der ihr vor allem in den letzten zwei Jahren immer fremder geworden war. Aber selbst als Kinder war ihre Freundschaft immer von seinem herrischen und bestimmenden Wesen geprägt worden. Doch sein Verhalten war ihr in der jüngsten Vergangenheit zunehmend negativ aufgefallen, wobei sie in vielen Fällen nicht wusste, ob es sich um Gerüchte oder um die Wahrheit handelte. Hatte er Mitschüler drangsaliert? Ein Mädchen die Treppe hinunter geschubst? Es gab keine Beweise und der Aussage des Mädchens hatte keiner geglaubt. In der Schule wollte niemand annehmen, dass der Junge, der sich so großer Beliebtheit erfreute, tatsächlich dazu fähig war, jemandem etwas Derartiges anzutun. Er war der Kandidat für den nächsten Schülersprecher, aktiv in allen wichtigen Gruppen an der Schule und stets als erster dabei, wenn die Schule an sozialen Projekten mitwirkte. Ein vorzeige Schüler ebenso wie Caroline selbst.
Ihr gegenüber zeigte sich Eric immer von seiner besten Seite. Ein junger Mann, der sich immer sprachgewandt und kultiviert ausdrückte und auch ihre Zurückhaltung akzeptiert hatte. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. War er von dem lieben, wenn auch etwas herrischen Jungen, inzwischen zu einem hinterlistigen Mistkerl geworden. Ihr Vater, der jeden Samstag mit Eric zum Fußball ging, hatte im Verhalten des Jungen jedenfalls nichts bemerkt. Was Caroline bestärkte, nicht an ihm zu zweifeln und ihre negativen Gedanken beiseitezuschieben.
In einem Gespräch über die Duisburger Zebras versunken saßen Bernd und Eric im Wohnzimmer, als Caroline zu ihnen stieß. Mit einem seltsamen Blick musterte Eric sie, ehe er sich erhob, um sie mit einem zurückhaltenden Kuss zu begrüßen. Belustigt hob Bernd seine Hand vor die Augen. „Nicht vor den Augen deines Schwiegervaters, wir Väter können das so schlecht ab.“ Dabei lachte er albern und Eric legte sein charmantestes Lächeln auf. „Ach, Bernd entschuldige bitte, aber mir fällt es so schwer, mich zurückzuhalten. Können wir los?“ Caroline nickte eilig und winkte ihren Eltern wortlos zu, als ihr Vater seinen Arm um Erics Schulter legte. „Bringst du sie sicher nach Hause? Kann ich mich auf dich verlassen? Und bei der Wärme würde ich die Finger vom Bier lassen.“ Stichelnd tippte Eric gegen Bernds Schulter. „Vielleicht übernachte ich auch bei euch.“ Erstaunt starrte Caro ihren Freund an und tippte gegen ihre Stirn. „Wir fahren morgen früh in den Urlaub. Ich glaube nicht, dass du um 4 Uhr aufstehen willst! Also heute wohl eher nicht!“ Schulterzuckend ging der Junge an ihr vorüber und öffnete die Haustür. „Alles wie immer Bernd. Natürlich bringe ich Caro nach Hause. Schönen Abend euch.“ Kaum, dass die Tür geschlossen war, lächelte Bernd seiner Frau zu. „Sie sind beide sehr vernünftig, wenn ich da so mitbekomme, was manche Eltern mit ihren Kindern durchmachen müssen. Ich bin froh, Caro und Eric, werden irgendwann zwei erfolgreiche junge Leute. Nicht wie diese Gammler, die ich damals oft an der Uni gesehen habe, diese ewigen Studenten. Mit langen Haaren oder diese kriminellen, tätowierten Drogendealer, die überall rumrennen.“ Melanie lächelte ebenfalls zufrieden. „Wir haben wirklich Glück gehabt mit unserer Tochter. Wir sollten Gott für dieses Geschenk danken.“
Vor der Tür bemerkten beide Leonie, die sie bereits an der Ecke erwartete und von weitem winkte. Eric verdrehte die Augen und seufzte genervt. „Sie ist immer dabei. Ist sie dein Anstands- WAUWAU?“ Bei den Worten griff er demonstrativ nach Caros Hand und starrte in die Richtung des brünetten Mädchens mit den Rehaugen. Es schien, als würde Leonie bei dieser Vorführung regelrecht erstarren. Schon lange hatte sie den Eindruck, dass Leonies Gefühle für Eric über Freundschaft hinausgingen, aber sie schien dies unter keinen Umständen zugeben zu wollen. Die Mädchen waren seit der Grundschule unzertrennlich. Immer hatten sie zusammengesessen, immer hatten sie die gleichen Hobbies gehabt und alles miteinander geteilt, doch sobald es um Eric ging, wurde ihre beste Freundin verschlossen.
Beide kleideten sich ähnlich, hörten die gleiche Musik, tanzten in der gleichen Ballettschule und waren in der Schule beliebt. Dennoch unterschieden sie sich in einem Punkt deutlich voneinander. Caroline war in allem eine Nuance besser, schneller und präziser. Ihre Ballettlehrerin hatte es vor einiger Zeit in einem Gespräch mit den Mädchen auf den Punkt gebracht. „Leonie, du wirst niemals über die zweite Reihe hinauskommen. Technisch bist du einwandfrei, aber dir fehlt die Leidenschaft. Caroline ist voller Leben, Liebe und Leidenschaft.“ Auch bei Nils waren ihre Meinungen völlig auseinander gegangen. Carolines Exfreund war für ihre Freundin ein Loser gewesen, ein Störfaktor für ihre Freundschaft.
Aus dem Gemeindehaus konnte man schon von weitem die laute Musik hören, die aus dem Keller ins Freie drang. Leonie wirkte ungewöhnlich aufgedreht. „Ich bin so froh, dass wir endlich Ferien haben.“ Eric hob eine Augenbraue, während er sie beobachtete, und ein spöttisches Grinsen lag auf seinen Lippen. „Wenn Leonie keine langen Haare hätte, würde sie wie ein kleiner Junge aussehen.“ Verärgert löste Caro ihre Hand aus der von Eric. „Du bist gemein, lass das sein.“ Eilig ruderte Eric zurück. „War nicht so gemeint.“ Ohne etwas zu antworten, schüttelte Caro ihren Kopf, sie wollte nicht streiten, dafür war ihr Wunsch den Abend zu genießen viel zu groß. Schon am Eingang entdeckten sie die üblichen Verdächtigen aus ihrer Klasse. Einige Jungen aus ihrer Klasse standen vor der Tür und tranken verbotenerweise Energiedrinks mit hochprozentigem Inhalt und alberten rum. Sommerhits schallten aus den Lautsprechern und einer der Betreuer stand hinter dem DJ-Pult. Der Mann mit der Halbglatze tanzte wie ein Epileptiker zu der Musik, was Caro mit einem sparsamen Ausdruck in den Augen betrachtete.
In der „Disco“ schienen sich die Jugendlichen entlang der Wände regelrecht zu stapeln, während die Tanzfläche gänzlich ausgestorben war. Immer wieder warf jemand einen verstohlenen Blick auf die freie Fläche, um sich dann eilig abzuwenden. Kaum hatte die kleine Gruppe einen freien Platz gefunden, stieß auch schon Miguel hinzu. Leonie unterdessen versuchte krampfhaft die Aufmerksamkeit eines Jungen aus der Oberstufe zu erlangen, während Eric mit Miguel, seinem besten Freund über irgendein Spiel für die Playstation sinnierte. Konzentriert auf den unbekannten Jungen, bemerkte Leonie nicht die anzüglichen Blicke von Miguel, der fast unverschämt den Hintern des Mädchens begutachtete. Verloren starrte Caroline in die blitzenden Lichter, die den Raum in tausende von Farben tauchte und zum Takt der Musik die Farben wechselte. Ihre Gedanken glitten in die Ferne.
Warum fühle ich nichts? Warum ist da kein bisschen Gefühl in mir? Warum bedeutet mir Eric nicht das, was ich für ihn fühlen sollte? Warum? Ich habe keine Lust auf diese Beziehung. Muss ich mich nur an ihn gewöhnen, daran, dass wir nicht mehr nur noch Freunde sind? Ist das mein Problem oder liegt es noch an etwas anderem? Vielleicht bin ich wirklich so, wie Nils gesagt hat, verwöhnt und oberflächlich? Nichts ist mir gut genug, nicht mal der Mädchenschwarm der Schule. Ich bin undankbar. Oder fühle ich in Wirklichkeit gar nichts? Bin ich gefühllos? Nur eine Hülle, nicht fähig, überhaupt was zu fühlen? Oder liegt es an Leonie? Will ich ihr Eric nicht wegnehmen und wehre mich gegen die Gefühle? Eigentlich würden die beiden gut zusammenpassen.
Unbemerkt von den anderen verließ Caro den Raum und blieb auf dem Weg zur Toilette einen Moment vor einem Spiegel stehen. Ihr Blick wanderte über ihr Gesicht und ihre Erscheinung, während sich ihre Gedanken zu Worten formten.
Bin ich eigentlich schön? Rotes Haar und die helle Haut, ich finde ich sehe aus wie eine Porzellanpuppe aus der viktorianischen Zeit in falscher Kleidung. Ich bin sicher nicht jedermanns Typ, eigentlich finde ich mich nicht schön. Aber was ist schön überhaupt? Ist es die Figur eines Menschen? Sein Gesicht? Was macht mich schön oder hässlich? Sollte mir das etwas bedeuten? Sollte ich nicht, wenn ich doch so oberflächlich bin, nur das im Kopf haben? Aber eigentlich geht es mir an meinem Arsch vorbei. Oh Mann, jetzt würde Eric wieder so gucken. Dieser Blick, der geht mir auf den Sack, wenn ich mich nicht anhöre wie ein abgefucktes Lexikon. Ich frage mich, ob er wirklich so ist. Nie ein Schimpfwort, aber ich ja auch nicht. Nur in meinem Kopf… Fotze, Arschloch, Sack, ficken…. Sowas sage ich nie und es geht mir so oft durch den Kopf. Und diese Musik geht mir hier auch langsam auf den Sack. AHHHHHH, das nervt mich alles. Kotzt mich so derbe an. Immer dieses seichte Geklimper, immer alles Party und gute Laune. Gibt es nicht mehr als das? Mehr als Summersunshine? Aber was erwarte ich denn? Es ist ein katholisches Jugendhaus. Knallt mal bitte jemand den DJ ab, der zuckt sowieso nur noch… Was mache ich hier eigentlich, warum mache ich das, wenn ich keinen Bock darauf habe? Warum kann ich all diese Gedanken nie aussprechen, warum bleiben mir all diese Gedanken immer im Hals stecken?
Tief in ihren Gedanken versunken fiel ihr Blick auf ein vertrautes Gesicht und Caro erstarrte. Nils war auch da, aber er war offenbar nicht allein und plötzlich hoffte sie, dass er sie nicht gesehen hatte. Versteckt beobachtete sie den Jungen einen Moment, der in einem angeregten Gespräch mit einer jungen Frau war. An ihren Blicken konnte sie ihr Interesse für ihn ablesen, das ihr mit einem Schlag durch Mark und Bein ging. Ohne auf sich aufmerksam zu machen, drehte sie sich eilig weg und versuchte der Situation zu entkommen. Das Brennen in ihrer Brust war der Beweis, dass sie fühlen konnte. Eilig verschwand sie auf der Toilette, hoffend, dass er sie nicht bemerkt hatte. Minutenlag starrte sie in den fast blinden Spiegel und versuchte ihre eigenen Gefühle zu verstehen.
Wieso tut es noch immer so weh? Warum ist er mir nicht genauso gleichgültig wie Eric? Warum zum Teufel? Warum ist Eric mir überhaupt gleichgültig? Er sollte mir doch etwas bedeuten. Aber warum verdammt nochmal? Nils! Nils, nur die Erinnerung an dein Lächeln tut mir weh. Wer war dieses Mädchen? Ist sie deine Neue? Waren meine Eltern wirklich so zu dir? Du hast gesagt, dass sie dich nicht mochten und ja du hattest ja recht. Sie waren unfair zu dir und ich habe dir nicht geglaubt. Ich denke bei jedem Kuss von Eric an dich, hoffe meine Augen zu öffnen und in deine warmen Augen zu sehen. Wie soll ich nur aus diesem Dilemma wieder rauskommen? Ich kann meine Eltern nicht enttäuschen! Alle wollen, dass ich Eric liebe, dass wir eine glückliche Beziehung führen. Alle außer verdammt noch mal mir. Oh, lieber Gott, mach, dass ich da rauskomme. Ich will diese Beziehung nicht.
Mit einem verstohlenen Blick verließ sie die Toilette und sah sich nach Nils um, der inzwischen verschwunden war. Zwischen Enttäuschung und Erleichterung kehrte sie zu den anderen zurück, wo inzwischen auch die Tanzfläche von einigen wenigen Mutigen geentert worden war. Weder Eric noch Leonie hatten ihre Abwesenheit überhaupt wahrgenommen und sie bestellte sich eine Cola, die schal schmeckte. Schal wie der Abend, wie die Musik, wie die oberflächlichen Gespräche, wie ihr ganzes Leben. Durch die Fenster wehte warmer Sommerwind, der ihr Herz nicht mehr erreichte. So plätscherte der Abend seicht und ereignislos, wie die Musik dahin.
Die Nachtluft schien zu stehen und machte das Atmen schwer, während Caro und Eric entspannt durch die dunklen Straßen zu der Reihenhaussiedlung flanierten. Immer wieder bemerkte Caro die Blicke, die Eric ihr zuwarf, während sie selbst über die Reihenhäuser nachdachte, die sie an seelenlose Soldaten in einem Krieg ohne Sinn erinnerten. Etwas an dem Gedanken schnürte ihr den Hals ab und das Atmen fiel ihr mit jedem Schritt schwerer, als Eric sie aus ihren Überlegungen riss. „Ich möchte mit dir über etwas sprechen.“ Der Klang seiner Stimme deutet an, dass ihm das Thema wichtig war, und sie verlangsamte ihren Gang. „Dann hau raus!“ Während er es vermied ihr in die Augen zu sehen, keimte die Hoffnung in ihr auf, dass er sich womöglich von ihr trennen wollte. Kaum war ihr der Gedanke gekommen, hätte sie sich dafür Ohrfeigen können, war es doch nicht das, was alle erwarteten. Im Licht der Laterne stieg Eric eine ungesunde Röte in die Wangen, während er scheinbar nach den richtigen Worten suchte. Seine hellblonden Haare ließen die Röte besonders herausstechen und er erinnerte an einen Feuermelder mit modischem Haarschnitt. Die Assoziation ließ sie schmunzeln und den Blick senken, um nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. „Ich will mehr. Ich wünsche mir mehr mit dir.“ Die Worte des Jungen trafen sie wie ein fester Schlag in den Nacken. Zwar hatte sie das irgendwann erwartet, doch nicht so bald, nachdem er ihre Zurückweisungen immer ohne Widerworte akzeptiert hatte. Seufzend nickte sie und wich seinen forschenden Blicken aus. „Ich habe das bereits bemerkt.“ Eric hob ihr Kinn an. „Und? Warum können wir nicht einen Schritt weitergehen? Warum sagst du immer Nein?“ Unwillig ihm die Wahrheit zu sagen, wählte sie die erstbeste Ausrede. „Ich glaube, es wäre zu früh! Ich bin erst sechzehn und ich fühle mich noch nicht so weit.“ Unterdessen schrie ihr Inneres einen ehrlichen Wortlaut in Erics Richtung, ohne über ihre Lippen zu kommen.
Eigentlich weiß ich nicht, was ich für dich empfinde und will dich auch eigentlich gar nicht nackt sehen. Wie bei einem Bruder. Es ist mir im Grunde schon zu viel, wenn du mich streichelst. Was für eine ekelhafte Vorstellung, es schüttelt mich regelrecht. Ich sehne mich längst danach, mehr zu tun, als nur rumzuknutschen, aber du bist nicht der Junge, von dem ich träume. Hoffentlich ändert sich das irgendwann, sonst bekotze ich mich bei unserem ersten Mal womöglich noch.
Eric wirkte wie vor den Kopf gestoßen. „Wann ist es nicht mehr zu früh?“ Unwillig zuckte sie mit den Schultern. „Mit siebzehn, aber vorher kannst du das vergessen.“ Unterdessen nahm ihr innerer Monolog an Fahrt auf.
Das sind zum Glück noch 8 Monate, vielleicht habe ich mich bis dahin in dich verliebt. Scheiße, aber um Petting werde ich wohl nicht drum rumkommen, oder? Ich könnte mich schütteln, das ist creepy. Irgendwo habe ich doch gelesen, dass man sich auch durch Nähe in jemanden verlieben kann. Hoffentlich war das keine dämliche Ente. Ente ist auch ein doofes Wort für eine Falschmeldung. Warum nicht Huhn oder Schaf? Ich sollte besser bei der Sache bleiben.
Wortlos setzte Eric den Weg fort und stopfte seine Hände in die Hosentaschen, als er abrupt stehen blieb, Enttäuschung schwang in seiner Stimme. „Also willst du mich weiter auf Abstand halten? Nur küssen und Händchenhalten und das war es für dich? Ich habe mir das ehrlich gesagt anders vorgestellt. Wir müssen ja nicht sofort miteinander schlafen, aber… das kann einfach nicht dein Ernst sein.“ Trotzig drehte sie sich weg und biss sich auf die Lippe, um ihren Gedanken den Weg nach draußen zu versperren.
Mit dir schlafen? Schlafen? Alter Falter, warum diese gewählten Worte. Selbst wenn du sauer wirst, klingst du wie ein verschissenes Lexikon. Warum stört dich eigentlich nicht, dass wir fast wie Geschwister aufgewachsen sind? Oder willst du einfach nur poppen und es ist wurscht mit wem?
In ihren Worten klang eine klare Bestimmtheit, die alle weiteren Argumente von Eric im Keim erstickten. „Ich bin einfach noch nicht so weit. Ich habe noch nie was mit einem anderen Jungen gehabt und ich möchte, dass es der richtige Moment ist. Ich will bereit sein und Ende der Durchsage.“ Erstaunt hob Eric seine Augenbrauen. „Wie? Lief da nix mit Nils?“ Ihr missfiel es über die Zeit mit Nils zu sprechen. „Nein, es lief nichts. Ich springe nicht sofort mit jemanden in die Kiste. Das solltest du doch inzwischen gemerkt haben.“ In seinen Zügen spiegelte sich eine gewisse Gleichgültigkeit. „Ich habe auch noch nie mit einem Mädchen geschlafen. Aber wir kennen uns schon so lange, Caro worauf sollen wir warten? Gleich ist nach 16 Jahren ein sehr schmales Wort findest du nicht?“ „Es bleibt beim Nein! Wir sprechen nach dem Urlaub nochmal darüber okay? Und nun wünsche ich dir einen schönen Abend.“, ohne ihn zum Abschied zu küssen, schloss sie die Tür auf, um mit einem kurzen Winken und einem beiläufigen, „Sorry! Bis in zwei Wochen!“ dahinter zu verschwinden. Durch den Spion konnte sie beobachten, dass Eric noch einen Moment unschlüssig vor der Tür stand, ehe auch er sich auf den Weg nach Hause machte. Caroline verharrte noch einen Moment an der Tür, ehe sie sich leise auf den Weg in ihr Zimmer machte. Nils und sie hatten sich Zeit lassen wollen, hatten es nie eilig gehabt. Auch er war unerfahren wie sie und wäre die Beziehung nicht so jäh beendet gewesen, so wäre dieser Sommer sicher die richtige Zeit gewesen.
Kapitel 2
Sommer, Strand, Bikini
Verschlafen nippte Caroline auf dem Rücksitz des Nissan an einem Milchkaffee, während ihr Vater unangenehm gut gelaunt irgendein Lied mitsang. Erst als er sich einen Moment unterbrach, konnte sie das Lied als Song von Modern Talking identifizieren, so sehr hatte er mit seiner Stimme die Melodie misshandelt. Ihre Mutter blätterte kaugummikauend in einer Illustrierten und ließ immer wieder Blasen platzen, dabei schien sie die „Schmerzensschreie“ von Bernd völlig zu ignorieren. Zehn Tage Urlaub an der Ostsee standen an, die mit sieben Stunden Autofahrt beginnen sollten und in weniger als zwei Wochen mit der gleichen Rückfahrt enden würden. Allein der Gedanke an diese Rückfahrt bereitete Caro bei der Aussicht auf Schlager und 80er Bohlen-Pop Kopfschmerzen. Sie stopfte sich die Kopfhörer von ihrem MP3 Player in die Ohren, in dem vergeblichen Versuch das Geheule ihres Vaters auszublenden. Nach nur drei Stunden Schlaf strapazierte diese Situation ihre Nerven viel zu deutlich. Obendrein beschäftigte sie das Gespräch mit Eric noch immer. Sie hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht, wie sie es über sich bringen sollte, mit ihm intim zu werden. Am Ende war ihr so übel gewesen, dass sie sich beinahe erbrochen hätte.
Die Autobahn war erstaunlich frei in den frühen Morgenstunden, sodass sie bereits weit hinter Hannover einen Rastplatz ansteuerten, um sich über die Lunchpakete ihrer Mutter herzumachen. Noch immer müde griff Caro nach einem Becher, um sich einen Kaffee aus der Campingkanne zu ziehen, als sie den fragenden Blick ihres Vaters bemerkte. „Wir haben keine Milch!“ Schulterzuckend drückte sie auf den Knopf und ließ das schwarze Gebräu, das angenehm duftete, in den Becher laufen. „Ich mag den schwarz eh viel lieber.“ Irritiert stellte ihr Vater seinen Becher auf dem Dach des Nissan ab und musterte seine Tochter. „Ich finde das nicht so toll. Du bist noch im Wachstum.“ Einen Moment starrte Caro in den Becher, dann zu Bernd, der offenbar auf eine Reaktion wartete. Unschlüssig lächelte sie ihren Vater an. „Aber ein Becher Kaffee wird mich nicht schädigen, ob mit oder ohne Milch.“ Verwirrt von dem Gespräch betrachtete Melanie erst ihren Mann und dann ihre Tochter. „In einem schwarzen Tee ist mehr Koffein drin als im Kaffee. Sie übertreibt es doch nicht und freu dich, dann können wir alle zusammen Kaffee trinken.“ Bernd überlegte kurz und machte dann eine resignierende Geste. „Naja, aber es bleibt bei einem Kaffee.“ Versucht die Augen zu verdrehen, wand sich Caroline ab und trank ihren Kaffee.
Das Hotel lag direkt am Strand und war ein riesiger Komplex, es erinnerte mehr an ein Wohngebäude als ein Hotel, geschweige denn ein Wellnesshotel, was Caro hoffte, seit sie von dem Familienurlaub gehört hatte. Kaum hatten sie allerdings die Lobby betreten, versanken alle Hoffnungen in den Tiefen der Ostsee und im Geschrei von kleinen Quälgeistern, die quietschend und vergnügt durch die Gegend rannten. Mit einem vernichtend enttäuschten Blick sah Caroline ihre Eltern an. „Habt ihr ein Familienhotel gebucht?“ Ihre Mutter nickte und schien den verzweifelten Ausdruck in den Augen ihrer Tochter nicht zu verstehen. „Ja natürlich, was sonst?“ Ungläubig sah sich Caro um, sie war also in der Hölle eines Familienhotels gefangen.
Eine Stunde nach ihrer Ankunft bezog die Familie ihren Strandkorb mit Sonnenschirm an dem überfüllten Strand. Mit einem Buch vor ihrer Nase hatte Melanie es sich auf einem Handtuch gemütlich gemacht, während Bernd es vorzog, erstmal in den Wellen schwimmen zu gehen. Im Schatten des Strandkorbs hockte Caroline in ihrem Shirt, unter dem sie ihren rosa Badeanzug verborgen hielt, der ihr viel zu klein geworden war. Melanie sah nach einiger Zeit zu ihrer Tochter. „Sag mal, willst du den ganzen Tag dasitzen?“ Unschlüssig nickte sie und beobachtete aus dem Augenwinkel eine Familie, die mit ihrem kleinen Jungen nur einige Schritte von ihnen, ebenfalls einen Strandkorb hatte. Unvermittelt traf sie etwas Eiskaltes mitten ins Gesicht und sie entdeckte zwei etwa achtjährige Jungen, die mit ihrer Wasserpistole auf sie zielten. Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen. „Wenn ich euch erwische!“ Die Jungen rannten durch den Sand, gefolgt von Caro, die sich als ebenso flink herausstellte wie die beiden Jungen. Sie entriss einem der Bengel die Wasserpistole und zielte, als die Stimme ihres Vaters quer über den Strand dröhnte. „Was machst du da Caro?“ Wütend ließ sie die Pumpgun in den Sand fallen und machte auf dem Absatz kehrt, als sie die Rufe eines der Jungen hinter sich hörte. „Tittenmonster!“ Der Wunsch, erneut umzudrehen und den Tank abzuschrauben, um ihn über dem Kopf eines der Jungen zu entleeren, fühlte sich unwiderstehlich an. „Ich brauche einen neuen Badeanzug. Ich kann doch nicht so hier rumrennen!“ Mit diesen Worten ließ sie sich erneut in den Strandkorb fallen. Flehend sah sie zu ihrem Vater, der es sich erfrischt von dem kühlen Wasser entspannt auf einem weiteren Handtuch gemütlich gemacht hatte. Ihre Mutter sah über ihre Sonnenbrille hinweg und schüttelte den Kopf. „Da hast du eindeutig recht. Der passt ja hinten und vorne nicht mehr. Nimm dir etwas Geld und kauf dir einen Badeanzug in deiner Größe.“ Kritisch begutachtete auch ihr Vater sie, dann nickte er und sie atmete erleichtert auf. „Ich beeile mich, ich will auch schwimmen gehen.“ Erst nach beinahe zwei Stunden kehrte Caro strahlend von einem Ohr zum anderen zu ihren Eltern zurück. Stolz zog ihr Big-Shirt aus, um ihren hübschen schwarzen Bikini zu präsentieren, der ihren Körper perfekt betonte und wie für sie geschaffen zu sein schien. Einen Moment lang verschlug es Bernd die Sprache, der im Bruchteil einer Sekunde den Blick des Mannes mit der Familie bemerkte. Ohne zu zögern, griff er nach dem Shirt von Caro, um es ihr hinzuhalten. Missbilligung schwang in seiner Stimme. „Findest du das nicht etwas viel nackte Haut für dein Alter? Dieser abartige Typ schaut dich an, als wärst du ein Stück Fleisch.“ Das Gefühl, erniedrigt worden zu sein, stieg in ihr auf und sie zog das Shirt ohne Widerworte über ihren Körper, um sich dann erneut im Strandkorb einzuigeln. Bernd warf immer wieder angewiderte Blicke zu dem Mann der Caro fasziniert betrachtet hatte. Die Erscheinung seines Nachbarn zog Bernds Abscheu auf sich. Die kunstvollen Tätowierungen auf seinem Körper, sein langes Haar, das unter einem Cowboyhut hervor sah, während er mit seinem Sohn eine Sandburg baute. Obendrein war auch die Frau, die scheinbar die Mutter des Kindes war, ebenso bunt gezeichnet. Weder Caroline noch ihre Eltern bemerkten die Blicke der jungen Frau, die voller Mitgefühl waren.
Die Hotelbar war in den Abendstunden wie ausgestorben, nachdem die Eltern mit ihren jüngeren Kindern die Zimmer aufgesucht hatten. Nur noch eine Handvoll Menschen saßen bei Kerzenschein im Halbdunkel und genossen scheinbar die Stille. Noch immer angefressen vom Tag, saß Caro still mit einer Handvoll Spielkarten bei ihren Eltern, die sich angeregt unterhielte. Ihr Vater schüttelte plötzlich seinen Kopf. „Hast du diesen Verbrecher am Strand gesehen? Fürchterlich und wie er Caro angestarrt hat. Solche Gestalten finden sich nur im Milieu.“ Bei dem Wort Milieu senkte ihr Vater die Stimme und sah sich in der Umgebung um. Unsicher was ihr Mann meinen könnte, verzog sich ihre Mimik. „Mir ist nichts aufgefallen.“ Mit einer ausladenden Geste legte der Mann seine Karten nieder. „Dieser Kerl mit dem Knasttagebuch auf der Haut. Er und seine…“ Mit einem Räuspern sah er zu Caroline, die ihn interessiert beobachtete. „Nennen wir sie mal Dame. Er hat Caroline wie ein Stück Fleisch betrachtet. Was hast du dir nur bei diesem Fetzen Stoff gedacht?“ Die Stille am Tisch war bedrückend, als Caroline ihren Kopf schüttelte. „Ich habe nicht darüber nachgedacht.“ Im Grunde schwang in ihren Worten eher eine andere Feststellung.
Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass du ein Problem mit einem blöden Bikini haben könntest.