Schwert und Säbel - Simon Scarrow - E-Book

Schwert und Säbel E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Das große Mittelalterepos von Bestsellerautor Simon Scarrow

Malta, A. D. 1565: Die Inselgruppe steht als Bollwerk zwischen Europa und dem Osmanischen Weltreich, das sich immer weiter ausdehnt. Die gewaltige osmanische Flotte kennt nur ein Ziel: Malta, das die christlichen Länder im Mittelmeerraum verteidigt, von der Landkarte zu wischen. In diesen dunklen Stunden kehrt Sir Thomas Barrett, der einst von der englischen Königin ins Exil verbannt wurde, zurück nach Malta, um den Rittern des Malteserordens beizustehen. Doch neben dieser schweren Aufgabe muss er noch eine geheime Order der Königin ausführen, von der die Zukunft des englischen Reiches abhängt. Im erbitterten Kampf um Malta stehen Schwerter gegen Säbel ...

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Simon Scarrow

SCHWERT UND SÄBEL

Roman

Aus dem Englischen

von Kristof Kurz

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

»Instinktiv schlug der Korsar den Pikenschaft mit seinem Rundschild beiseite, sodass die Spitze ihr Ziel verfehlte und stattdessen seinen Kaftan aufriss. Thomas zog die Waffe zurück und vollführte eine Finte, um seinen Gegner auf Abstand zu halten. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie La Valettes Schwert sich in einer Blutfontäne in einen Schädel bohrte. Plötzlich schrie der Korsar auf und ging zum Angriff über, hieb auf die Pike ein und schlug die Spitze zu Boden. Er stürmte vor und ließ seinen Schild gegen Thomas’ Brustpanzer krachen. Thomas ballte die Hand zur Faust und rammte sie seinem Gegner ins Gesicht. Die kleinen Panzerplatten auf seinem Handschuh bohrten sich in das Fleisch des Korsaren, und Thomas spürte, wie dessen Nase mit einem dumpfen Knacken nachgab. Der Korsar stieß einen tierischen Schrei des Schmerzes und der Wut aus, schlug Thomas mit seinem Schild zurück und schwang den Säbel in hohem Bogen auf den Kopf des Ritters zu.«

Das neue große historische Epos von Simon Scarrow ist eines seiner gewaltigsten Romane.

Der Autor

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.simonscarrow.co.uk

Die Originalausgabe SWORDANDSCIMITAR erschien 2012 bei Headline Publishing Group, London

Vollständige deutsche Erstausgabe 08/2015

Copyright © 2012 by Simon Scarrow

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Werner Bauer

Umschlagillustration: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Motiven von © Nik Keevil

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-13690-1

www.heyne.de

Für Tom

Auf das unruhvolle Fieber des Lebens schläft er wohl;

Verräterei hat ihr Ärgstes getan;

nun kann weder Gift noch Stahl,

weder einheimische Bosheit noch auswärtiger Anfall,

nichts kann ihn mehr berühren.

William Shakespeare, MACBETH

KAPITEL 1

Mittelmeer, Juli 1545

Die Galeere tanzte auf den sanften, pechschwarzen Wellen des nächtlichen Meeres. Die Flinke Hindin lag eine halbe Meile von der Küste entfernt hinter den dunklen Felsen der Landzunge vor Anker. Ein junger Ritter stand allein auf dem Vordeck und hielt das in einer bogenförmigen Linie von der Spitze des Fockmastes herunterführende Bugstag fest umklammert. Die Luft war unangenehm feucht, und er hob eine Hand, um sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Die Mündungen der beiden langen Bronzekanonen hinter ihm waren zum Schutz gegen Spritzwasser nach oben gerichtet. Inzwischen war er so sehr an das Schwanken der Galeere gewöhnt, dass er sich nicht mehr festhalten musste; dennoch umschloss seine geballte Faust das raue Tau, während er konzentriert auf die dunkle See starrte und angestrengt lauschte. Doch bis auf das rhythmische Klatschen der kleinen Wellen gegen die Schiffshülle war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Vor über drei Stunden war der Kapitän mit vier Matrosen in einem kleinen Boot ans Ufer gerudert. Jean Parisot de La Valette hatte Thomas freundschaftlich auf die Schulter geklopft, ihm mit einem matten Glänzen seiner Zähne aufmunternd zugelächelt und dem jungen Ritter für die Dauer seiner Abwesenheit das Kommando über das Schiff übertragen.

»Wie lange werdet Ihr fort sein, Herr?«

»Ein paar Stunden, Thomas. Ich kehre zurück, sobald ich mir gewiss bin, dass sich unsere arglosen Freunde zur Nachtruhe gebettet haben.«

Beide Männer hatten unwillkürlich in Richtung der Bucht auf der anderen Seite der Landzunge geblickt. In etwa drei Meilen Entfernung lag ein türkisches Handelsschiff in Ufernähe vor Anker – genau an der Position, die ihnen der Fischer am Tag zuvor beschrieben hatte. Der Großteil der Besatzung befand sich nun wohl um Lagerfeuer geschart an Land, und nicht mehr als eine Handvoll Männer würden die Galeone bewachen. Die Gewässer vor der afrikanischen Küste wurden zwar von Korsaren heimgesucht, doch die Türken hatten von diesen wilden Piraten nichts zu befürchten. Ein Erlass des in Konstantinopel residierenden Sultans Süleyman hatte den Korsaren jegliche Plünderung verboten. Eine weitaus größere Gefahr drohte den muslimischen Schiffen, die das Weiße Meer – wie die Türken das Mittelmeer nannten – durchkreuzten, vom Orden des Heiligen Johannes, einer kleinen Schar christlicher Ritter, die die Anhänger der Lehren Mohammeds erbittert bekämpften. Sie gehörten zum letzten der großen Militärorden, die bis zu ihrer Vertreibung durch Saladin über das Heilige Land geherrscht hatten. Nun hatte der Orden sich auf die karge Felseninsel Malta zurückgezogen, die ihnen der König von Spanien zum Geschenk gemacht hatte. Von dort aus streiften die Ritter in ihren Galeeren durch das Mittelmeer, um jedes muslimische Schiff, das ihren Weg kreuzte, zu plündern. Und in dieser mondlosen Nacht plante eine der Ordensgaleeren einen Angriff auf das große Handelsschiff, das in drei Meilen Entfernung vor Anker lag.

»Uns erwartet reiche Beute …«, hatte Thomas gesagt.

»In der Tat. Trotzdem sind wir im Namen des Herrn hier«, ermahnte ihn der Kapitän in strengem Ton. »Alles, was wir erbeuten, wird dem Kampf gegen die Ungläubigen zugutekommen.«

»Ja, Sir. Ich weiß«, antwortete Thomas leise. Es beschämte ihn, dass ihm der ältere Ritter unterstellte, nur am schnöden Mammon interessiert zu sein.

La Valette kicherte. »Seid unbesorgt, Sir Thomas. Inzwischen kenne ich Euch sehr gut. Ihr seid ein ebenso frommer Diener des wahren Glaubens und ein ebenso tapferer Krieger wie ich. Irgendwann werdet Ihr Eure eigene Galeere kommandieren. Doch wenn dieser Tag gekommen sein wird, dürft Ihr nicht vergessen, dass Euer Schiff ein Schwert in der Rechten Gottes ist. Ihm allein gebührt die Beute.«

Thomas nickte. La Valette kehrte ihm daraufhin den Rücken zu und stieg durch die Lücke in der Reling zu den vier Matrosen hinunter, die in dem kleinen Boot neben dem Bug der Galeere auf ihn warteten. Der Kapitän knurrte einen Befehl, woraufhin sich die Männer in die Riemen legten und das Boot landwärts ruderten. Thomas hatte ihm hinterhergestarrt, während es rasch von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Jetzt, Stunden später – zu viele Stunden, wie es schien – war Thomas um seinen Kapitän besorgt. La Valette war schon zu lange weg. Die Dämmerung nahte, und wenn der Kapitän nicht bald zurückkehrte, würden sie den Vorteil eines Nachtangriffs einbüßen. Und was, wenn die Türken La Valette und seine Männer gefangen genommen hatten? Bei dieser schrecklichen Vorstellung ergriff eine tiefe Kälte von Thomas’ Herz Besitz. Gefangenen Ordensrittern bereiteten die Türken mit Vorliebe einen ebenso langsamen wie schmerzhaften Tod auf der Folterbank. Dann kam ihm ein weiterer besorgniserregender Gedanke: Wenn sie La Valette verloren hatten, lag die Verantwortung für das Schiff auf seinen Schultern. Und er verspürte die beängstigende Gewissheit, dass er noch nicht bereit dafür war, das Kommando über die Galeere zu übernehmen.

Er bemerkte eine Bewegung hinter sich und sah sich um. Eine hochgewachsene Gestalt erklomm die wenigen Stufen zum engen Vorderdeck. Der barhäuptige Mann trug einen dick wattierten Gambeson unter einem dunklen Wappenrock. Das weiße Kreuz darauf war im Sternenlicht nur undeutlich zu erkennen. Oliver Stokely war ein Jahr älter als Thomas, doch da er dem Orden später beigetreten war, stand er im Rang unter ihm. Trotzdem waren die beiden Freunde geworden.

»Irgendein Zeichen vom Kapitän?«

Angesichts dieser überflüssigen Frage musste Thomas unwillkürlich lächeln. Er war offenbar nicht der Einzige, dem das lange Warten an den Nerven zerrte.

»Noch nicht, Oliver«, sagte er und bemühte sich dabei um einen sorglosen Tonfall.

»Wenn er nicht bald zurückkehrt, müssen wir den Angriff abblasen.«

»Ich bezweifle, dass er sich dazu entschließen wird.«

»Wirklich?« Stokely schniefte. »Ohne das Überraschungsmoment werden wir größere Verluste erleiden, als wir es uns leisten können.«

Ein wahres Wort, dachte Thomas. Der Johanniterorden auf Malta zählte nicht einmal mehr fünfhundert Ritter. Der endlose Krieg gegen die Türken hatte seinen Blutzoll gefordert, und es wurde zunehmend schwieriger, die Reihen wieder aufzufüllen. Durch die strengen Aufnahmebedingungen und die Kriege, die die Königreiche Europas untereinander führten, schrumpfte die Zahl der jungen Adeligen, die sich als Anwärter zur Verfügung stellten, ständig. Früher wäre ein Veteran wie La Valette mit einem Dutzend jüngerer Ritter aufgebrochen, die nichts anderes im Sinn hatten, als sich in der Schlacht zu beweisen. Nun musste er sich mit fünf begnügen, von denen nur Thomas bereits gegen die Türken gekämpft hatte.

Dennoch kannte Thomas seinen Kapitän gut genug, um zu wissen, dass diesen nur eine erdrückende Übermacht vom Kampf abhalten konnte. La Valette brannte vor religiösem Eifer, befeuert noch durch den Drang nach Vergeltung für die Demütigungen, die er vor vielen Jahren als an eine schmale Holzbank geketteter Rudersklave der Türken hatte erdulden müssen. La Valette war einer der Glücklichen gewesen, die diesem Schicksal durch eine Lösegeldzahlung hatten entkommen können. Der Großteil derjenigen, die zum Galeerendienst verdammt waren, starb qualvoll an Erschöpfung, Durst oder den Wunden, die die schweren Eisenfesseln hinterließen. Aus diesem Grund, so sinnierte Thomas, würde Valette den Kampf suchen – egal, ob er den Feind überraschen konnte oder nicht.

»Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?« Stokely sah sich verstohlen um. Er wollte vermeiden, von einem der Männer auf dem Hauptdeck belauscht zu werden. »Wer soll dann das Kommando übernehmen?«

Thomas hatte bereits damit gerechnet, dass Stokely früher oder später diesen Anspruch anmelden würde. Er musste ihm zuvorkommen.

»Als sein Stellvertreter werde ich im Fall seines Todes oder seiner Gefangennahme seinen Platz einnehmen. Das weißt du genau.«

»Aber ich bin älter als du«, flüsterte Stokely energisch. »Also sollte ich Kapitän sein. Die Männer würden es gewiss vorziehen, von einem Mann mit mehr Erfahrung befehligt zu werden. Das leuchtet dir doch sicher ein, mein Freund?«

Egal, was Stokely denken mochte – Thomas’ Vorgesetzte hatten schon von Anfang an seine kämpferischen Fähigkeiten erkannt. Bei seinem ersten Einsatz hatte er einen kleinen Küstenhafen in der Nähe von Algier angegriffen, wobei es ihm gelungen war, eine mit Gewürzen beladene Galeone zu kapern. Danach war er La Valette unterstellt worden, dem wagemutigsten und erfolgreichsten Kapitän des Ordens. Dies nun war der dritte Beutezug, den sie gemeinsam gegen die Türken unternahmen, und inzwischen hatte er enge Bande mit der Mannschaft und den Soldaten auf La Valettes Galeere geknüpft. Er zweifelte nicht daran, dass die Männer lieber von ihm als von einem Ritter befehligt wurden, der frisch aus der Schreibstube des Quartiermeisters kam und erst seit einem Monat auf der Galeere diente.

»Wie dem auch sei«, antwortete Thomas, um die Gefühle seines Freundes nicht zu verletzen. »Wir müssen uns darüber keine Gedanken machen. Der Kapitän wird zweifellos bald zurück sein.«

»Und wenn nicht?«

»Er wird zurückkommen«, sagte Thomas entschieden. »Und sobald er wieder auf der Galeere ist, müssen wir zum Kampf bereit sein. Gib Befehl, die Ruder mit Tüchern zu dämpfen. Dann sollen die Männer die Waffen anlegen.«

Stokely zögerte einen Augenblick, bevor er nickte und die Stufen zum breiten Hauptdeck hinunterging, die sich etwa fünfzig Schritt über den Mittelteil der Galeere bis zum Heckaufbau hinzog, in dem sich die Quartiere der Ritter und höheren Offiziere befanden. Über dem Deck hingen die dicken Rahen der beiden Masten und bogen sich leicht unter dem Gewicht der gerefften Segel. Thomas hörte, wie sein Befehl weitergegeben wurde. Mehrere Männer stiegen durch die Luke hinunter, um die Korkknebel und Lederriemen aus einer der Kisten im engen Ruderdeck zu holen. Kurz darauf ertönte das bittere Murren der an die Ruderbänke geketteten Männer. Ein wütendes Knurren des für das Ruderdeck zuständigen Offiziers und das scharfe Knallen gegerbten Leders auf bloßem Fleisch ließen ihre Proteste jedoch bald verstummen.

Thomas konnte die Empörung der armen Teufel, die an den langen, gebogenen Riemen der Galeere saßen, gut verstehen. Damit keiner von ihnen eine Warnung schreien konnte, wenn die Galeere sich ihrer Beute näherte, war es sowohl unter christlichen wie auch unter muslimischen Kapitänen Brauch, ihnen Korken in die Münder zu stecken und diese mithilfe von Lederbändern und eisernen Schlössern an ihren Köpfen zu befestigen. Eine äußerst unbequeme Vorrichtung, die den schwer an den Rudern arbeitenden Männern zusätzlich die Luft raubte. Thomas hatte mit eigenen Augen gesehen, wie mehrere Sklaven nach einer Schlacht daran erstickt waren. Nichtsdestoweniger ein notwendiges Übel, dachte er, schließlich befanden sie sich auf einem Kreuzzug gegen die Ungläubigen. Für jeden Mann, der an seinem Knebel erstickte, anstatt den Feind zu warnen, wurden christliche Leben gerettet. Ein weiterer Hinweis darauf, dass sich eine Galeere in der Nähe befand, war der Gestank von Kot und Urin, der von den Ruderbänken aufstieg. Das Schiff wurde erst am Ende einer Kaperfahrt im Trockendock gesäubert; ohne den Wind, der stetig von der Küste her wehte, hätte der üble Geruch den Feind sofort alarmiert.

Über dem Ruderdeck beeilten sich die Soldaten des Ordens – spanische, griechische, portugiesische, venezianische und auch einige französische Söldner – in ihre Waffenröcke zu schlüpfen und die kleinen Metallscheiben anzulegen, die ihre bloßen Gelenke schützen sollten. Diese Ausrüstung war äußerst hinderlich und unter der sengenden Sonne sehr stickig, weshalb der Befehl zum Bereitmachen üblicherweise erst gegeben wurde, wenn sich die Galeere ihrer Beute näherte. Thomas war die erwartungsvolle Anspannung unter der Besatzung jedoch nicht entgangen. Deshalb hielt er es für besser, wenn die Männer eine Beschäftigung hatten, während sie auf die Rückkehr ihres Kapitäns warteten. Außerdem bot sich ihm so die Gelegenheit, Stokely daran zu erinnern, dass er, Thomas, als Ranghöherer die Befehlsgewalt innehatte.

Thomas spitzte die Ohren, als er ein vorher nicht da gewesenes Plätschern aus Richtung der Landzunge hörte. Sofort verdrängte er alle anderen Gedanken und suchte konzentriert die wogenden schwarzen Schatten der Wellen nach einer Bewegung ab. Dann erkannte er die fast unmerkliche Silhouette eines Bootes, dessen Besatzung sich nach Kräften in die Riemen legte. Erleichterung überkam ihn, als das Boot unter dem leisen Plätschern und Platschen der Ruder immer näher kam.

»Halt«, befahl La Valette mit leiser Stimme. Einen Augenblick später stieß das Boot sanft gegen die Galeere. Ein Seil wurde hinabgeworfen und von einem der Seeleute aufgefangen. La Valette kletterte an Bord, während Thomas das Vorderdeck verließ. Auch die anderen Ritter und Offiziere versammelten sich um ihren Kapitän.

»Herr, ist die Galeone noch an Ort und Stelle?«, fragte Stokely.

»Allerdings. Und die Türken schlafen wie die Steine«, verkündete La Valette. »Sie werden uns keinen Ärger machen.«

Stokely klatschte in die Hände. »Gelobt sei der Herr.«

»In der Tat.« Der Kapitän nickte. »Gott meint es gut mit uns, was auch der Grund für meine Verspätung ist …« La Valette hielt inne, bis er sich sicher war, dass er die Aufmerksamkeit aller Umstehenden hatte. »Diese Galeone wird heute Nacht nicht unser einziges Opfer bleiben. Zwei Korsarengaleeren befinden sich in ihrer Begleitung. Sie ankern gleich daneben. Fette Beute, Herrschaften.«

Diese Nachricht mussten die anderen einen Moment lang schweigend verdauen. Thomas sah sich unter seinen Kameraden um und bemerkte, dass sich einige von ihnen nervöse Blicke zuwarfen. Der Segelmeister räusperte sich ängstlich: »Es steht drei zu eins, Herr.«

»Nein. Zwei zu eins. Die Galeone ist nicht weiter von Bedeutung. Sobald wir die Galeeren bezwungen haben, wird sie uns ohne nennenswerten Widerstand in die Hände fallen.«

»Dennoch wäre ein Angriff unverantwortlich«, protestierte der Segelmeister. »Der Morgen naht bereits. Wir sollten uns zurückziehen.«

»Zurückziehen?«, knurrte La Valette. »Niemals. Jeder Mann, der dem Orden dient, ist so viel wert wie fünf Türken. Außerdem haben wir Gott auf unserer Seite, daher sind es wohl die Türken, die in der Unterzahl sind. Aber wir wollen das Schicksal nicht zu sehr auf die Probe stellen. Wie du ganz richtig bemerkt hast, wird die Dämmerung bald hereinbrechen. Also haben wir keine Zeit zu verlieren. Ist die Galeere gefechtsbereit?«

»Aye, Sir.« Der Segelmeister nickte.

»Die Männer auch?«

»Ja, Sir«, antwortete Thomas. »Ich habe bereits den Befehl gegeben.«

»Gut.« La Valette sah sich unter seinen Offizieren um und hob die Faust. »Dann verrichten wir das Werk des Herrn und die Türken sollen Seinen Zorn zu spüren bekommen!«

Im Osten zeigte sich bereits ein schwacher Silberstreif, als die Flinke Hindin die Landzunge umrundete. Dahinter öffnete sich eine drei Meilen breite, halbkreisförmige Bucht. Die Umrisse der Galeone und der beiden Galeeren waren deutlich vor dem bleichen Streifen des Sandstrands sichtbar. Kleine orangefarbene Punkte bezeichneten die Stellen, wo sich die Besatzungen um die glimmende Asche der Lagerfeuer kauerten.

»Wir kommen zu spät«, raunte Stokely, der neben Thomas auf dem Deck stand. »Die Sonne wird aufgehen, bevor wir sie erreichen. Die Türken werden uns mit Sicherheit bemerken.«

»Nein. Wir nähern uns von Westen, daher können wir etwas länger im Schutz der Dunkelheit bleiben.« Thomas hatte bereits erlebt, wie La Valette diese Taktik bei früheren Angriffen erfolgreich angewendet und den Feind damit im letzten Augenblick überrumpelt hatte.

»Aber nur, wenn die Türken mit Blindheit geschlagen sind.«

Thomas schluckte seinen Ärger runter. Dies war Stokelys erste »Karawane«, wie der Orden seine Kaperfahrten bezeichnete. Der junge Ritter musste erst noch lernen, der Erfahrung jener Kapitäne zu vertrauen, die schon seit vielen Jahren Krieg gegen die Türken führten – vorausgesetzt, er überlebte so lange, dachte Thomas. Es gab viele Wege für einen Ritter im Dienste des wahren Glaubens, vor seinen Schöpfer zu treten. Er konnte im Kampf fallen, einer Krankheit erliegen oder ertrinken – der Tod machte keinen Unterschied, ob ein Mann aus den edelsten Familien Europas oder der Gosse stammte. Besonders das Ertrinken stellte eine große Gefahr dar. Die Plattenrüstung, die einen Ritter im Kampf schützte, sowie seine übrige Ausrüstung waren schwer genug, um ihn unbarmherzig auf den Grund sinken zu lassen – sobald er über Bord fiel.

Thomas sah sich auf der Galeere um, musterte die Reihen von Soldaten, von denen mehrere mit Armbrüsten bewaffnet waren. La Valette stand aufrecht und stolz auf dem Achterdeck, neben sich die gedrungene Gestalt des Segelmeisters. Keiner der Männer wagte es, die Stimme über ein Flüstern zu erheben. Bis auf die Wellen, die sich monoton an den Felsen der Landzunge brachen, dem rhythmischen Knarren der Riemen und dem Platschen der eintauchenden Ruderblätter war nichts zu hören. Sobald die Galeere die Landzunge umrundet hatte, lenkte der Steuermann die Flinke Hindin in Richtung Küste und parallel zur nächstliegenden Galeere. Da der Kapitän seine Angriffspläne für sich zu behalten pflegte, konnte Thomas nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich würde La Valette diese Galeere zuerst angreifen. Selbst wenn es der Galeone gelang, den Anker einzuholen und die Bucht zu verlassen, bevor die Galeeren besiegt waren, wäre sie trotzdem leichte Beute für das schnellere Kriegsschiff des Ordens.

Das Licht im Osten wurde stärker, und der Umriss der Landzunge zeichnete sich nun deutlich vor dem Himmel ab. Eine stinkende Schwade aus einer der feindlichen Galeeren wehte über das Deck der Flinken Hindin und vermischte sich mit den üblen Gerüchen, die aus dem christlichen Schiff aufstiegen.

Die Galeere hatte sich dem Feind bis auf eine halbe Meile genähert, als der schrille Ton eines Horns über das Wasser hallte. Als er den Alarm hörte, lief es Thomas eiskalt den Rücken hinunter, und er umklammerte seine Pike noch fester. Vom Heck her war deutlich La Valettes Stimme zu hören.

»Rudermeister, Gefechtsgeschwindigkeit! Kanoniere, Geschütze klarmachen!«

Unter Deck wurde mit einem stetigen, hartnäckigen Rhythmus die Trommel geschlagen. Ein sanftes Glimmen leuchtete im Bug auf, als die erste Lunte angezündet wurde. Sie flammte kurz auf, als ein Kanonier darauf blies. Dann setzte auch die Mannschaft des anderen Geschützes ihre Lunte in Brand, und die Kanoniere warteten vor den Zündlöchern ihrer Waffen auf ihren Einsatz.

Thomas’ Herz schlug im Takt der sich beschleunigenden Trommel. Mit jedem Ruderschlag schwankte das Deck leicht unter seinen Füßen. Hinter dem Backborddeckbalken sah er winzige Gestalten am Strand, die sich um die glimmenden Lagerfeuer herum aufrappelten. Manche starrten einfach nur die Galeere an, die über die Bucht hinweg auf sie zu glitt. Andere wateten ins Wasser, sprangen hinein und paddelten auf ihre Schiffe zu. Diejenigen, die nicht schwimmen konnten, schoben die Beiboote in die seichte Brandung und kletterten an Bord. Auf der nächsten Korsarengaleere versammelten sich dunkle Silhouetten an Deck. Viele trugen Turbane, deuteten wild gestikulierend auf die sich nähernde Gefahr oder griffen zu ihren Waffen. Ihre Schreie hallten deutlich über das Wasser herüber.

Auf der christlichen Galeere dagegen war kein Wort zu hören – nur die Trommelschläge, das Rauschen des Wassers an den Schiffswänden und das gedämpfte Stöhnen der Ruderer. Thomas sah sich zum Heck um und konnte im Zwielicht der Morgendämmerung die Miene des Kapitäns nur undeutlich ausmachen. La Valette stand reglos da. Seine Linke ruhte auf dem Schwertknauf, die von einem kurz geschnittenen Bart umrahmten Gesichtszüge wirkten konzentriert und unnachgiebig. Er führte seine Männer stets schweigend in die Schlacht – eine Taktik, die den Feind verunsichern sollte. Erst im letzten Moment stießen sie einen markerschütternden Schrei aus und fielen über ihre Gegner her.

Ein lautes Krachen in unmittelbarer Nähe ließ Thomas zusammenzucken. Holztrümmer splitterten aus der Reling, und eine von der Korsarengaleere aufsteigende Rauchwolke ließ keine Zweifel daran, dass einer der feindlichen Arkebusiere das Feuer auf sie eröffnet hatte. Der Schütze stellte den Kolben seiner langläufigen Waffe auf dem Deck ab und lud eifrig nach. Thomas sah sich zu beiden Seiten um, ob jemand bemerkt hatte, dass er sich erschreckt hatte. Die Männer um ihn herum starrten jedoch unverwandt geradeaus. Stokelys Lippen formten ein geflüstertes Gebet. Sein Blick richtete sich auf Thomas, und sofort schloss er den Mund und wandte sich ab, sobald er bemerkte, dass dieser ihn beobachtete.

Weitere Rauchwolken stiegen auf, und Bleikugeln zischten über ihre Köpfe hinweg. Ein Geschoss schlug in den Bug der Galeere ein. Thomas zwang sich, still stehen zu bleiben, während weitere Arkebusen auf dem gegnerischen Schiff abgefeuert wurden. Feuerzungen schossen aus den Läufen, dann stiegen sich schnell verflüchtigende Rauchwolken auf.

»Armbrustschützen, bereit machen!«, rief La Valette.

Diese altmodischen Waffen besaßen weder die Reichweite noch die Durchschlagskraft der türkischen Arkebusen, wurden jedoch aufgrund ihrer Handlichkeit weiterhin von den Ordenssoldaten verwendet; ein sorgfältig gezielter Schuss konnte schreckliche Verletzungen anrichten. Eine kleine Gruppe von Schützen bezog entlang der Backreling Position. Mithilfe der kleinen Ankerwinde am Kolben der Armbrüste wurden die Sehnen gespannt. Sorgfältig legten die Schützen einen Bolzen auf seinen Platz am oberen Ende der Waffe.

»Feuer nach eigenem Ermessen!«, hallte der Befehl über Deck. Die lauten Schüsse der feindlichen Arkebusen wurden mit dem dumpfen Schnalzen der Armbrustsehnen beantwortet. Die Bolzen jagten in einem flachen Bogen über das Wasser und schlugen zwischen den Männern ein, die sich auf dem Deck des Korsarenschiffs drängten.

Thomas schätzte, dass die beiden Galeeren nur noch hundert Schritte voneinander getrennt waren. Männer mit Turbanen auf den Köpfen standen dicht an dicht an der Reling, brüllten den Christen ihre Schlachtrufe entgegen und hoben ihre Säbel und Piken. Im Ruderdeck darunter wurden die ersten Riemen zu Wasser gelassen, als die Besatzung verzweifelt versuchte, das Schiff in Bewegung zu setzen. Thomas bereitete sich auf das Kanonenfeuer vor, das jeden Augenblick erfolgen musste. Einer der Kanoniere warf einen Blick über die Schulter. »Na los, na los«, knurrte der Mann.

La Valette wartete noch einen Augenblick ab, dann formte er die Hände zu einem Trichter um seinen Mund. »Feuer frei!«, brüllte er.

KAPITEL 2

Sofort hielten die Kanoniere die brennenden Lunten an die Papierzylinder, die aus den Zündlöchern ragten. Das Schießpulver darin flammte mit einem knisternden Zischen auf, dann schoss ein Feuerstrahl mit ohrenbetäubendem Knall aus den Mündungen der Kanonen. Durch den heftigen Rückstoß geriet das Schiff ins Schwanken, und Thomas musste einen Schritt nach vorne machen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Jede Kanone war sorgfältig mit einer Mischung aus langen Eisennägeln, Kettengliedern und gegossenen Bleikugeln geladen, die man vor Monaten auf einem gekaperten Schiff erbeutet hatte. Dass der Feind nun seine eigene Munition zu spüren bekam, erfüllte Thomas mit einer grimmigen Befriedigung.

Der tödliche Hagel aus Metallstücken schlug in die Seite des Korsarenschiffs. Holzsplitter flogen in alle Richtungen, und die Seitenreling wurde an zwei Stellen in Stücke gerissen. Die Soldaten dahinter wurden wie Kinderpuppen hinweggefegt und landeten in einem blutigen Haufen auf dem Deck.

»Für Gott und den heiligen Johannes!«, rief La Valette. Seine Männer stimmten aus voller Kehle in den Kriegsschrei ein, wobei sie die Augen vor Aufregung und Kampfeslust weit aufrissen. »Für Gott und den Heiligen Johannes!«, brüllten sie unablässig, während die Galeere auf die Flanke des feindlichen Schiffes zuglitt.

»Bereit machen!«, befahl La Valette. Seine dröhnende Stimme war über dem Geschrei seiner Männer kaum zu hören. Thomas verstummte, biss die Zähne zusammen und ging in die Hocke. Er umklammerte die Reling fest mit einer Hand und stemmte die Beine auf das Deck. Die anderen Männer um ihn herum – zumindest diejenigen, die wussten, was sie erwartete – folgten seinem Beispiel und warteten auf den Zusammenstoß. Dann schienen die Planken unter seinen Füßen einen Luftsprung zu machen. Der Soldat hinter Thomas prallte gegen seine Schulter und fiel gemeinsam mit seinen Kameraden aufs Deck. Der Vordermast ächzte protestierend, und mit einem lauten Knall riss eines der Bugstage. Gedämpfte Schreie waren unter Deck zu hören, als die verängstigten Ruderer von ihren Bänken geworfen wurden und sich ihre Ketten schmerzhaft in ihr Fleisch schnitten. Der Bug der Flinken Hindin war stark genug, um einen Rammangriff zu überstehen. Er bohrte sich mit einem grässlichen Knarren und Splittern in die Korsarengaleere, die sich durch die Wucht des Aufpralls zur Seite neigte. Schreckensschreie ertönten, als die feindlichen Soldaten das schrägliegende Deck hinunterfielen und gegen die Reling prallten; etliche rollten darüber hinweg und landeten im Wasser.

»Bei allen Heiligen!«, murmelte Stokely, als er sich wieder aufrappelte und neben Thomas stellte.

Die Flinke Hindin war abrupt zum Stillstand gekommen. Einen Augenblick lang herrschte eine eigentümliche Ruhe, bis die Besatzungen beider Schiffe den Schock der Kollision überwunden hatten. Dann hallte La Valettes Stimme durch die kühle Morgenluft.

»Enterdreggen! Über das Schiff hinweg werfen und festmachen!«

»Na los.« Thomas legte seine Pike auf dem Deck ab und bedeutete Stokely, ihm zu folgen. Eilig lief er zur Reling und packte einen der schweren, an einem Taubündel befestigten Eisenhaken. Er griff das Seil etwas unterhalb des Hakens und schwang diesen mehrmals über dem Kopf, dann ließ er los. Der Haken flog über das feindliche Deck hinweg und verschwand hinter der gegenüberliegenden Bordwand. Sofort packte Thomas das Seil und zog. Während er sich vorbeugte, um das Tau mit einer Klampe zu verknoten, segelten weitere Haken über das feindliche Schiff und bohrten sich in die Planken.

»Zurück!«, befahl La Valette. »Beeilung! Rudermeister, lass die Peitsche knallen!«

Die Ruderer ließen sich wieder auf ihren schmalen Bänken nieder und packten die über die Jahre von vielen Händen glattpolierten Holzstangen. Der Befehl zum ersten Ruderschlag wurde gegeben, noch bevor alle an ihrem Platz waren, sodass die Ruderblätter nicht gleichzeitig ins Wasser tauchten. Sobald Thomas und Oliver ihre Seile befestigt hatten, kehrten sie zu ihrer Position an der Spitze der Bewaffneten auf dem Hauptdeck zurück. Einen Moment lang verharrte die Flinke Hindin an Ort und Stelle – nur ihr Bug drückte das feindliche Schiff immer weiter herunter. Dann setzte sie sich mit einem sanften Schlingern in Bewegung. Die an den Enterdreggen befestigten Seile spannten sich über dem gegnerischen Deck. Ein Warnschrei erklang, sobald der Korsarenkapitän die Gefahr erkannte. Seine Männer hieben auf die Taue über ihren Köpfen ein, doch wegen der Schräglage des Decks konnten nur wenige die Seile erreichen.

Es war zu spät: Die Flinke Hindin löste sich von dem feindlichen Schiff, wobei sie dessen Decksbalken mit sich zerrte. Die nähergelegene Seite tauchte immer tiefer ins Wasser, dann kenterte die Piratengaleere mit einer fast anmutigen Bewegung. Besatzung und ungesicherte Ladung rutschten über die Planken in die Fluten. Durch die Gitter im Oberdeck erhaschte Thomas einen kurzen Blick auf die panischen Gesichter der Ruderer, die nach wie vor an ihre Bänke gekettet waren. Dann wurden sie vom Meer verschluckt, und die von Seepocken bedeckte Unterseite der Galeere trieb glänzend auf dem unruhigen Wasser der Bucht. Die Enterdreggen wurden losgeschnitten, sodass die Taue in die See klatschten. Um das gekenterte Schiff herum versuchten Dutzende von Männern verzweifelt, sich an der Oberfläche zu halten. Diejenigen, die schwimmen konnten, paddelten in Richtung Strand. Alle anderen hielten sich an jedem Stück Treibgut fest, das sie ergattern konnten, oder klammerten sich an die Schiffshülle.

Thomas wollte in die Jubelschreie, die die Männer auf der christlichen Galeere ausstießen, nicht einstimmen. Dafür hatte ihn der Anblick der Ruderer in jenem Augenblick kurz vor dem Kentern des Schiffes zu sehr entsetzt. Viele diese Männer waren Christen wie er gewesen, Gefangene, die man zum Galeerendienst verdammt hatte und die nun durch die Hand ihrer Glaubensbrüder einen grässlichen Tod gefunden hatten. Thomas stellte sich vor, wie sie im dunklen, kalten Wasser um sich schlugen und an ihre Ketten gefesselt ertranken, und ihm wurde übel.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er drehte sich um. Stokely grinste ihn an, bis er die Betroffenheit auf Thomas’ Gesicht bemerkte. Dann runzelte er die Stirn.

»Was ist denn, Thomas?«

Thomas wollte etwas erwidern, doch er fand keine Worte, um den Schrecken zu beschreiben, der sein Herz erfasst hatte. Er verscheuchte die Gedanken aus seinem Kopf. »Nichts.«

»Dann freu dich mit uns.« Stokely deutete auf die ausgelassen jubelnden Männer auf Deck.

Thomas warf ihnen einen kurzen Blick zu und wandte seine Aufmerksamkeit dann der anderen, etwa eine Viertelmeile entfernten feindlichen Galeere zu. Die Korsaren hatten ihr Ankertau durchtrennt und das Schiff gewendet, sodass es nun direkt auf die Flinke Hindin zusteuerte. Thomas zeigte darauf. »Die werden wir nicht mehr auf dieselbe Art überraschen können.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung auf der Galeone. Die Besatzung erklomm flink die Takelage und verteilte sich auf die Spieren, um die Segel zu hissen. Schon bald würde sich das Schiff in Bewegung setzen, doch da nur eine leichte Brise wehte, brauchte es großes Glück, um aus der Bucht entkommen, bevor das Duell der Galeeren entschieden war. Um die Galeone konnten sie sich auch später kümmern, befand Thomas und wandte sich wieder den Korsaren zu.

Sobald sich die Flinke Hindin von ihrem ersten Opfer gelöst hatte, gab La Valette den Befehl zur Weiterfahrt, und die Ruderer legten sich in die Riemen. Langsam, dann immer schneller glitt das schlanke Schiff durch die Wogen. Ein kurzer Angstschrei ertönte, als einer der Korsaren im Wasser begriff, dass die Galeere direkt auf ihn zukam. Er verstummte abrupt, als ein großes Ruderblatt gegen seinen Schädel krachte, und ging unter.

Auf dem Vordeck beeilten sich die Kanoniere, die Rohre der beiden Geschütze auszuwischen und sie wieder feuerbereit zu machen. Sie rammten einen vernähten Kartuschbeutel mit Schießpulver und einen zweiten, mit den auf geringe Entfernung tödlichen Hagelgeschossen gefüllten Sack in den Lauf. Währenddessen kurbelten die Armbrustschützen zu beiden Seiten des Decks an ihren Winden oder legten den nächsten Bolzen ein. Thomas sah die Turbane der Arkebusiere über dem Bug der feindlichen Galeere hervorspitzen, als diese ihre Waffen bereit machten. Unter ihnen ragten die Rohre zweier Kanonen aus ihren Geschützpforten. Die dunklen Mündungen wirkten wie ein schwarzes Augenpaar, das seine Beute unbarmherzig anstarrte.

»Das wird eine blutige Angelegenheit«, murmelte ein Mann hinter Thomas.

»Aye«, antwortete ein Kamerad. »Möge der Herr uns gnädig sein.«

Stokely drehte sich wütend zu ihnen um. »Ruhe! Der Herr ist auf unserer Seite. Wir kämpfen für die gerechte Sache. Sollen doch die gottlosen Heiden um Gnade winseln, wir nicht.«

Der zornige Blick des Ritters brachte die Männer zum Schweigen. Stokely kehrte ihnen den Rücken zu, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte dem Feind entgegen. Thomas trat zu ihm. »Bis jetzt habe ich noch kein Gebet gehört, das die Kugel eines Feindes oder das Geschoss einer Kanone aufgehalten hätte«, flüsterte er. »Denk dran, wenn sie das Feuer eröffnen.«

»Das ist Blasphemie.«

»Nein, sondern die Lehre aus vielen bitteren Erfahrungen. Spar dir deine Gebete für später auf. Jetzt heißt es töten oder getötet werden.«

Stokely wollte antworten, überlegte es sich aber anders und schloss den Mund. Mit aufeinandergepressten Lippen sah er zur Korsarengaleere hinüber, die über das ruhige Wasser auf sie zukam. Am östlichen Horizont tauchte flammender Sonnenschein hinter der dunklen Masse der Landzunge auf. Kurz darauf fielen die ersten Sonnenstrahlen auf die See, und die Silhouette des Korsarenschiffs war nun deutlich zu erkennen. Thomas und die anderen mussten gegen die Helligkeit die Augen zusammenkneifen. Der Feind war nun so nahe, dass sie seine Schlachtrufe und das Klirren der gegen die Rundschilde geschlagenen Klingen hören konnten. Der Abstand zwischen den beiden Galeeren verringerte sich zusehends, und schon vernahm Thomas die ersten Schüsse, als die Ungeduldigeren unter den feindlichen Arkebusieren das Feuer auf das christliche Schiff eröffneten. Obwohl die Entfernung noch über zweihundert Schritte betrug, wurde einer der Kanoniere in den Kopf getroffen. Sein Schädel zerbarst, und Blut, Hirn und Knochensplitter spritzten auf seine Kameraden.

»Warum lässt La Valette das Feuer nicht erwidern?«, fragte Stokely.

»Der Kapitän weiß schon, was er tut.«

Eine weitere Kugel traf einen Soldaten in den Bauch. Mit einem gellenden Klirren durchschlug sie seine Brustplatte und den gepolsterten Waffenrock darunter. Der Mann ließ seine Pike fallen, brach zusammen und rollte sich stöhnend auf die Seite.

»Unter Deck mit ihm!«, befahl Thomas. Ein anderer Soldat legte seine Waffe ab und zerrte den Verwundeten zur Luke hinter dem Vorderdeck und die Stufen in den kleinen Laderaum hinunter, in dem sich der Proviant und die Wasservorräte befanden. Dort würde der Verletzte liegen bleiben, bis seine Wunde nach dem Kampf versorgt werden konnte. Und wenn die Korsaren den Sieg davontrugen, würde er bei der Plünderung getötet werden oder mit dem Schiff zusammen untergehen.

Als der Soldat wieder auf seinen Posten zurückgekehrt war, hatte sich die Entfernung zwischen den beiden Schiffen halbiert, die Kanonen jedoch waren noch immer nicht abgefeuert. Arkebusenkugeln zischten über ihre Köpfe hinweg oder bohrten sich in die Bordwand der Flinken Hindin. Thomas bemerkte, dass ein Kanonier die Lunte an das Zündloch hielt.

»Warte den Befehl ab!«, rief er dem Mann zu.

Der Kanonier drehte sich mit ängstlicher Miene gerade in jenem Moment um, als zwei helle Blitze kurz hintereinander aus dem Bug der feindlichen Galeere schossen. Dann war die Luft um Thomas herum mit lautem Krachen, Klirren und dem gellenden Klang von Metall erfüllt, das auf Metall traf. Mehrere Armbrustschützen und beinahe alle Kanoniere des Backbordgeschützes wurden vom Deck gefegt. Thomas wurde herumgeschleudert, als etwas gegen seine Brustplatte prallte. Er taumelte seitwärts und bemühte sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille an Deck, dann ertönten die Schreie der Verwundeten. Thomas sah an sich herab. Offenbar war er unversehrt. Als er aufblickte, bemerkte er, dass Stokely sich mit einer Hand die Wange hielt. Blut quoll unter seinem Panzerhandschuh hervor und tropfte auf seine Halsberge.

»Ich bin verwundet …«, sagte er schockiert. »Verwundet.«

Thomas zog Stokelys Hand beiseite. Ein Schrapnell hatte ein Loch in seine Wange gerissen. »Nur eine Fleischwunde«, sagte Thomas. »Du wirst es überleben.«

Er sah sich auf Deck um. Etwa ein Dutzend Männer war verletzt. Der überlebende Kanonier hielt die Lunte an das Zündloch. Ein greller Blitz, eine dicke Rauchwolke und ein erschütternder Knall folgten, der die Planken der Galeere und die Körper der Männer darauf zum Erzittern brachte. Thomas sah die Lunte in der leblosen Hand des toten Kanoniers und rannte auf das Vordeck, um sie aufzuheben. Er kauerte sich neben das Kanonenrohr und wartete ab, bis sich der Rauch so weit verzogen hatte, dass er das Korsarenschiff direkt vor sich erkennen konnte. Er hatte gerade noch Zeit, zurückzuspringen und die glühende Lunte an das Schießpulver zu halten. Mit einem heftigen Rückstoß feuerte die Kanone ihre Hagelladung direkt in die Menge der Feinde ab.

»Steuermann! Hart Backbord!«, ertönte La Valettes Stimme vom Bug her.

Sofort packten die Ruderer ihre Riemen, hoben die Ruderblätter aus dem Wasser und zogen die Holzstangen an Bord, während das Steuer griff und der Bug der herumschwenkenden Flinken Hindin an der Korsarengaleere vorbeizog. Einen Augenblick später schrammten die beiden Schiffskörper mit einem langgezogenen Ächzen aneinander. Die langen Holzruder, die nicht rechtzeitig eingeholt worden waren, zerbrachen splitternd.

Noch bevor die Flinke Hindin zum Stillstand kam, verließ La Valette das Achterdeck und rannte mit gezogenem Schwert los, um die von Thomas und den anderen Rittern angeführten Bewaffneten zu unterstützen. Der Kapitän vergewisserte sich, dass alle gefechtsbereit waren, dann richtete er seine Klinge über das Schanzkleid hinweg auf den Feind. »Für Gott und den Heiligen Johannes!«

KAPITEL 3

La Valette kletterte auf die Reling und sprang über den schmalen Spalt zwischen den Schiffen hinweg auf das andere Deck hinüber. Die Besatzung hatte bereits mehrere Enterdreggen auf das feindliche Schiff geschleudert und zog die beiden Galeeren immer näher zusammen.

Thomas holte tief Luft, umklammerte seine Pike fest mit einer Hand und wiederholte den Schlachtruf seines Kapitäns: »Für Gott und den Heiligen Johannes!«

Dann sprang er La Valette hinterher.

Der kampferprobte Veteran hatte sich bereits zur Mitte des feindlichen Decks vorgearbeitet. Er holte in weitem Bogen mit der langen Klinge seines Schwerts aus, trieb seine Gegner zurück und schuf so Raum für die nachrückenden Truppen. Mehrere Schüsse ertönten auf beiden Seiten, als die Arkebusiere noch ein letztes Mal feuerten. Dann warfen sie ihre Waffen beiseite, zogen die Säbel und stürzten sich in die Schlacht. Thomas landete auf dem Deck und sah sich schnell nach dem nächsten Feind um: Ein großer Mann mit Turban und kohlschwarzer Haut, dessen Augen über einem dichten Bart funkelten. Er trug einen Säbel in der einen und einen kupfernen Faustschild in der anderen Hand. Während er auf Thomas losging, schwang er seine Klinge, um die Stahlspitze von Thomas’ Pike beiseitezuschlagen. Thomas führte die Waffe nach unten und um die Klinge herum, bevor er damit nach der Brust seines Gegners stieß.

Instinktiv schlug der Korsar den Pikenschaft mit seinem Rundschild beiseite, sodass die Spitze ihr Ziel verfehlte und stattdessen seinen Kaftan aufriss. Thomas zog die Waffe zurück und vollführte eine Finte, um seinen Gegner auf Abstand zu halten. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie La Valettes Schwert sich in einer Blutfontäne in einen Schädel bohrte. Auf der anderen Seite kämpfte Stokely sich an der Spitze eines kleinen Trupps an der Reling entlang vorwärts. Um Thomas und den Korsaren hatten sich die Reihen gelichtet, wie um eine Bühne für ihr Duell zu bereiten.

Plötzlich schrie der Korsar auf und ging zum Angriff über, hieb auf die Pike ein und schlug die Spitze zu Boden. Er stürmte vor und ließ seinen Schild gegen Thomas’ Brustpanzer krachen; die Wucht des Aufpralls wurde jedoch von dem wattierten Stoff des Waffenrocks darunter abgemildert. Thomas ballte die Hand zur Faust und rammte sie seinem Gegner ins Gesicht. Die kleinen Panzerplatten auf seinem Handschuh bohrten sich in das Fleisch des Korsaren, und Thomas spürte, wie dessen Nase mit einem dumpfen Knacken nachgab. Der Korsar stieß einen tierischen Schrei des Schmerzes und der Wut aus, schlug Thomas mit seinem Schild zurück und schwang den Säbel in hohem Bogen auf den Kopf des Ritters zu.

Glücklicherweise bemerkte Thomas rechtzeitig den gekrümmten Stahl, der in der aufgehenden Sonne funkelte, und sprang zur Seite. Der Säbel zischte dicht an ihm vorbei und bohrte sich mit einem splitternden Krachen in die Deckplanken. Bevor der Korsar sich wieder aufrichten konnte, stieß Thomas mit aller Kraft zu, traf den Mann direkt in die Schulter und riss ihn von den Beinen, sodass er unsanft auf dem Deck landete. Thomas griff erneut an und trieb seine Pike direkt unter dem Schlüsselbein in die Brust des Korsaren. Die Spitze drang tief durch den weißen Kaftan und das Fleisch darunter und zerschmetterte Knochen. Der Korsar kniff Augen und Mund so fest zusammen, dass sein Gesicht an ein verkohltes Holzscheit erinnerte. Dann sank er auf das Deck zurück, die Hände auf die Wunde gepresst. Blut durchtränkte seine Kleidung.

Thomas stemmte den Stiefel auf die Brust des Korsaren und riss die Pike aus seinem Körper. Dann sah er sich nach dem nächsten Gegner um. La Valette und einige Männer kämpften sich nach achtern vor, wo sich der Korsarenkapitän und seine Offiziere zur Verteidigung bereit machten. Stokely und seine Männer hatten unterdessen das Vordeck erobert und metzelten die Kanoniere nieder. Überall auf dem Schiff herrschte Chaos. Die überlegenen Rüstungen der Ritter und Söldner verliehen ihnen einen entscheidenden Vorteil, gegen den auch der fanatische Glaube des Feindes an die Worte seines Propheten nicht viel ausrichten konnte. Die Säbel glitten von den Panzerplatten ab – allein ein Glückstreffer an einem Gelenk oder ein Hieb ins Gesicht konnte den Christen etwas anhaben. Nur eine Handvoll von Thomas’ Kameraden war gefallen, die übrigen machten den Korsaren gnadenlos den Garaus.

Dennoch lieferte ihnen noch so mancher Gegner einen vortrefflichen Kampf. Thomas suchte sich einen hochgewachsenen, schlanken und gut gerüsteten Kämpfer mit einem großen Schild und einem reich verzierten Säbel aus, der offenbar eine zum Lagerraum führende Luke bewachte. Ein Leichnam lag vor ihm: Das weiße Kreuz auf dem roten Wappenrock wies den Gefallenen eindeutig als Ritter des Ordens aus. Der Korsar grinste und hielt seinen Säbel hoch, damit Thomas die blutige Klinge sehen konnte, doch dieser ging nicht auf die Herausforderung ein. Der Korsar hatte relativ helle Haut – wahrscheinlich war er als Kind von der Balkanhalbinsel geraubt und als Muslim aufgezogen worden, ähnlich wie die berüchtigten Janitscharen, die Eliteeinheiten des Sultans. Ein schwarzer Pferdehaarbusch ragte schimmernd von seinem Helm auf, der genau wie die vielen winzigen Panzerplatten auf seinem gepolsterten Wams mit glänzendem schwarzem Lack überzogen war. Die rote Narbe auf seiner Wange ließ darauf schließen, dass er Erfahrung im Kampf hatte – und dass es zumindest einem seiner Kontrahenten gelungen war, ihn zu verletzen, dachte Thomas.

Er richtete die Pikenspitze auf den Korsaren, näherte sich vorsichtig und deutete einen Angriff auf dessen Gesicht an. Sein Gegner blinzelte noch nicht einmal, sondern schüttelte nur spöttisch den Kopf.

»Also gut«, knurrte Thomas mit zusammengebissenen Zähnen. »Wie wäre es hiermit?«

Er warf sein ganzes Gewicht in die Pike und sprang vor. Der Korsar wich geschickt zur Seite aus und zielte mit seinem fein gearbeiteten Säbel auf Thomas’ Kopf. Dieser duckte sich, sodass die scharfe Klinge gegen den gewölbten Stahl seines Helms prallte und ihm einen Augenblick lang die Sinne raubte. Er taumelte zurück und schüttelte den Kopf, wobei er die Pike hin und her schwenkte, um den Korsaren auf Abstand zu halten. Dieser lächelte kurz, dann kniff er die Lippen zusammen und trat vor. Seine Klinge wirbelte fast zu schnell für das menschliche Auge. Ohne den Säbel weiter zu beachten, änderte Thomas abrupt den Griff – nun hielt er die Pike wie einen Kampfstab, an dem er als Junge in England ausgebildet worden war. Wie alle Männer, die die Ausbildung zum Ritter durchlaufen hatten, war Thomas kräftig und gut gebaut. Er setzte zum Angriff an.

Diese ebenso dreiste wie ungeschliffene Taktik überraschte den Korsaren, der es nicht schaffte, dem Pikenschaft rechtzeitig auszuweichen. Thomas krachte in ihn hinein, trieb ihn zurück und brachte ihn dadurch ins Stolpern. Der Korsar prallte so heftig gegen die Reling, dass ihm die Luft aus der Lunge gedrückt wurde. Der Korsar ließ Schwert und Schild fallen, packte den Pikenschaft und stemmte sich dagegen. Thomas drückte mit aller Kraft. Die Muskeln und Sehnen in seinen Armen waren bis zum Äußersten gespannt. Langsam ging der Korsar in die Knie. Als die Pike die Brust des Mannes erreichte, hob Thomas sie an, bis die Holzstange direkt unter dem Kinn gegen die Kehle des Korsaren gepresst wurde. Dieser öffnete den Mund und versuchte verzweifelt seinen Gegner davon abzuhalten, ihn zu erwürgen.

»Verflucht seist du … Christ«, zischte er auf Französisch mit schwerem Akzent. »Fahr zur … Hölle!«

Thomas’ Gesicht war nur noch wenige Fingerbreit von dem des Korsaren entfernt. Er konnte jede Falte darauf genau erkennen, jeden Schweißtropfen, den der um sein Leben kämpfende Mann vergoss. Er atmete nur noch schwer, dann schlossen sich seine Augen. Seine Kehle gab mit einem leisen Knacken nach. Der Korsar zuckte, riss die Augen wieder auf und sah Thomas entsetzt an. Aus seinem geöffneten Mund drang nur noch ein trockenes Würgen. Thomas spürte, wie seinen Feind die Kraft verließ. Dennoch drückte er weiter gegen die Pike, bis der Korsar auf das Deck fiel, seine Hände sich vom Schaft lösten und er mit leerem Blick in den rosafarbenen Himmel starrte. Die Zungenspitze ragte zwischen seinen Zähnen hervor.

Thomas rollte sich zur Seite und hob die Pike für den nächsten Angreifer, doch wie sich herausstellte, waren um ihn herum nur noch Tote und Verwundete. Der Kampf um die Galeere war so gut wie beendet. Stokely und seine Männer hatten das Vorderdeck gesichert, La Valette und die anderen stürmten das Achterschiff, das von dem Korsarenkapitän und seinen letzten überlebenden Offizieren verteidigt wurde. Wild schlugen sie auf die gepanzerten Männer vor sich ein. Thomas sah, wie La Valette sein Schwert hob und es brutal herabsausen ließ. Der erfahrene Ritter war ein kräftiger, stämmiger Mann, und die Parade des gegnerischen Kapitäns konnte das Schwert nicht von seinem Kurs abbringen. Einen Augenblick später durchschlug der scharfe Stahl den Turban und drang bis zum Kiefer hinunter in den Schädel ein.

Sobald die Korsaren im Heck ihren Kommandanten tödlich verwundet sahen, streckten sie die Waffen und fielen um Gnade flehend auf die Knie. Schwerter und Piken hieben und stachen noch einige Zeit auf die Männer ein, dann war der Kampf vorbei. La Valette befreite seine Klinge, wischte sie am Kaftan des gefallenen Kapitäns ab, steckte das Schwert in die Scheide zurück und betrachtete das Blutbad auf dem Deck der Galeere. Da bemerkte er Thomas.

»Sir Thomas! Hier.«

Thomas eilte zum Heck, wobei er über die vielen Leichen steigen musste, die das blutgetränkte Deck pflasterten. Er blieb am Fuß der kurzen Treppe stehen, die zum Achterschiff führte, und sah zu seinem Kapitän auf. La Valette hatte einen Schlag auf den Kopf abbekommen. In der breiten Krempe seines Morions befand sich eine tiefe Delle. Trotzdem schien er weder verwundet noch benommen. Ruhig musterte er seinen Untergebenen.

»Du übernimmst das Kommando über dieses Schiff.«

»Das Kommando? Ja, Herr.«

»Ich werde mit der Flinken Hindin die Galeone verfolgen.« Er machte eine Handbewegung, und Thomas sah sich um. Die Segel des großen Handelsschiffes blähten sich in der sanften Morgenbrise. Bald würde die Galeone die Bucht verlassen haben, und auf dem offenen Meer war sie seetüchtiger als die Galeere. Wenn Seegang und Wind zunahmen, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie ihnen entkam.

»Ich lasse dir Sir Oliver und zwanzig Mann hier«, sagte La Valette. »Befreie alle Christen unter den Ruderern. Aber sei wachsam – ich will nicht, dass sich auch nur ein einziger Muslim als Rechtgläubiger ausgibt.«

»Ja, Herr.«

»Lass die Gefangenen an die Ruderbänke ketten. Dann wirst du die nötigen Reparaturen durchführen lassen, die Leichen beseitigen und Kurs auf Malta nehmen.«

»Malta?« Thomas runzelte die Stirn. Bis zum Winter war es noch lange hin. Es war zu früh im Jahr, um zum Hauptquartier des Ordens zurückzukehren. Doch Thomas hatte kein Recht, die Entscheidungen seines Kapitäns infrage zu stellen. Er stellte sich aufrecht hin und neigte ergeben den Kopf. »Wie Ihr befehlt, Herr.«

»Ganz genau.« La Valette bedachte ihn mit einem strengen Blick, doch dann lenkte er ein und senkte die Stimme, sodass ihn nur noch der junge Ritter hören konnte. »Thomas, wir haben eine Galeere versenkt und diese hier gekapert. Und ich vertraue darauf, dass wir die Galeone auch noch erwischen. Wir müssen uns auf Malta in Sicherheit bringen und die Vorräte der Flinken Hindin auffüllen, bevor wir wieder in See stechen. Heute um die Mittagszeit werden wir drei Schiffe, aber kaum genug Männer haben, um sie alle zu bemannen. Wir dürfen das Risiko eines weiteren Kampfes nicht eingehen, bevor wir unsere Beute nicht nach Malta gebracht haben. Habt Ihr verstanden?«

»Ja, Herr«, antwortete Thomas knapp.

»Wir sind nicht mehr viele. In Europa glaubt man, dass unser Orden die Vorhut der christlichen Mächte gegen die Türken ist. Doch in Wahrheit sind wir die letzte Verteidigungslinie. Das dürft Ihr nie vergessen. Jeder Mann, den wir verlieren, bringt den Feind einen Schritt näher zum Sieg.« Sein Blick schien Thomas durchbohren zu wollen. »Wenn Ihr lange genug lebt, werdet Ihr selbst irgendwann eine Galeere befehligen und für die Leben derjenigen verantwortlich sein, die unter Euch dienen. Nehmt diese Pflicht nicht auf die leichte Schulter.«

Thomas nickte. »Ich verstehe, Sir.«

»Das hoffe ich.« La Valette trat einen Schritt zurück und sah sich unter den Männern auf Deck um. »Hauptmann Mendoza!«, rief er.

Ein korpulenter Soldat kam zu ihm herübergetrottet und salutierte. »Herr?«

»Du bleibst mit deinen Männern an Bord. Sir Thomas hat das Kommando. Alle anderen, sofort zurück auf die Flinke Hindin!«

Die Männer folgten ihrem Kapitän über das Deck bis zur Reling, wo der Bug ihres Schiffes durch die Enterdreggen mit der Korsarengaleere verbunden war, und stiegen auf die Flinke Hindin hinüber. Sobald der letzte Mann das Korsarenschiff verlassen hatte, gab Thomas den Befehl, die Leinen der Enterdreggen zu lockern, sodass die Eisenspitzen losgemacht und vorsichtig auf das Deck der Flinken Hindin zurückgeworfen werden konnten. La Valette gab Befehl, die Ruder zu Wasser zu lassen, sodass die Galeere genug Abstand bekam, um ihren Bug in Richtung der fliehenden Galeone auszurichten. Dann nahm sie mit dem gleichmäßigen Schlag der Ruder die Verfolgung auf. Thomas sah ihr einen Augenblick lang hinterher, dann wandte er sich seinen neuerworbenen Kapitänspflichten zu.

KAPITEL 4

Zunächst musste er sich um die Gefangenen unter Deck kümmern. »Du und zwei weitere Männer kommen mit mir«, befahl er dem Hauptmann. »Die anderen schaffen die Leichen weg. Unsere Gefallenen sollen für ein ordentliches Begräbnis aufgebahrt werden.«

Gemeinsam mit Mendoza ging er zu dem mit einem Gitter versehenen Einstieg zum Hauptladeraum hinüber. Beim Näherkommen hörte Thomas murmelnde Stimmen von unten, dann einen ängstlichen Schrei, der sofort verstummte. Das Gitter war mit einem Bolzen gesichert. Die Korsaren waren äußerst gründlich vorgegangen, dachte Thomas, als er ihn löste – sie hatten die Ruderer nicht nur an ihren Bänken festgekettet, sondern auch unter Deck eingesperrt.

»Hilf mir mit dem Gitter.«

Zusammen gelang es ihnen, das Gitter hochzuheben und neben der Einstiegsluke auf den Boden zu werfen. Thomas spähte hinunter. Ihm schlug ein derart übler Gestank entgegen, wie er ihn noch nie erlebt hatte, und er verzog das Gesicht. Dann bemerkte er Bewegungen. Ketten klapperten an müden Gelenken, ausgezehrte, von langen verfilzten Haarsträhnen und dichten Bärten bedeckte Gesichter wandten sich dem bleichen Lichtschein zu, der durch die Luke fiel. Unter dem Schmutz war die Farbe ihrer Haut kam zu erkennen. Thomas kletterte die Leiter hinab, die zu dem schmalen Zwischengang zwischen den Bankreihen zu beiden Seiten führte. In der Nähe des Hecks stand eine Gestalt mit einer kurzen Peitsche neben dem Trommler, der noch immer an sein Instrument gekettet war. Thomas und seine Männer mussten den Kopf einziehen, als sie, von funkelnden Augen beobachtet, nach achtern gingen.

»Gelobt sei der Herr …«, krächzte eine Stimme. »Es sind Christen … Christen! Sie werden uns befreien!«

Diese Worte schienen die Ruderer wachzurütteln. Einige streckten ihren Rettern flehentlich die Hände entgegen, andere beugten sich einfach nur über ihr Ruder und schluchzten so heftig, dass ihre Schultern erbebten.

Sobald Thomas näher trat, ließ der Aufseher die Peitsche fallen und rang die Hände. »Bitte, Herr«, jammerte er auf Französisch. »Bitte.«

»Wo ist der Sperrbolzen?«, fragte Thomas.

Der Aufseher deutete mit dem Finger auf einen Eisenring, der gerade außer Reichweite des Trommlers angebracht war. »D-da.«

Thomas schob ihn zur Seite und musste gegen die Übelkeit ankämpfen, die der überwältigende Gestank aus dem Schiffsbauch in ihm hervorrief. Wie konnte man das nur ertragen?, fragte er sich. Der Sperrbolzen befand sich direkt neben dem Ring. Thomas befreite ihn mit seinem Dolch aus seiner Hülle, dann zog er die Kette durch den Ring und legte sie vor die erste Ruderbank. Er blickte den Männern, die darauf saßen, ins Gesicht.

»Wer von euch ist Christ? Ist einer von euch Christ?«

»Ich!« Der erste Mann nickte eifrig. »Ich, Herr. Ich bin aus Toulon.«

»Macht ihn los«, befahl Thomas.

»Und ich!«, sagte der Nachbar des Ruderers.

»Lügner!«, rief der erste Mann. »Du bist Moriske. Die Korsaren haben dich aus Valencia mitgebracht.«

»Hauptmann, befreie den Franzosen. Der andere bleibt in Ketten.«

Der Moriske – der von den Arabern abstammte, die einst Spanien beherrscht hatten – öffnete den Mund, um zu protestieren. Als er Thomas’ unerbittliche Miene bemerkte, überlegte er es sich anders und senkte resigniert den Kopf. Thomas sah sich um. Weitere Stimmen erhoben sich und bekannten sich zu ihrem Glauben. Wenn sie alle die Wahrheit sprachen, würde nur noch ein Drittel der Ruderer übrig bleiben. Zu wenig, um sie zurück nach Malta zu bringen. Als die verzweifelten Schreie immer lauter wurden, holte er tief Luft. »RUHE!«, brüllte er.

Die Ruderer, die seit Langem die Peitsche des Aufsehers gewohnt waren, schwiegen gehorsam. Thomas wandte sich seinem Sergeanten zu. »Lass die Christen frei. Aber nur die Christen. Jeder, der sich zum Glauben bekennt und als Lügner entlarvt wird, ist des Todes.«

»Ja, Herr«, erwiderte der Soldat gleichmütig.

»Weitermachen.« Thomas konnte den Gestank dieser armen Teufel und den trostlosen Anblick nicht länger ertragen. »Ich bin oben auf Deck.«

»Was ist mit ihm?« Mendoza sah zu dem Aufseher hinüber, der am Heck stand, zu Boden starrte und demütig sein Schicksal erwartete. Thomas warf ihm einen kurzen Blick zu, dann betrachtete er die Peitsche, die zu seinen Füßen lag.

»Mit ihm? Lass das die Männer entscheiden, die du befreist.«

Thomas drehte sich um und eilte den schmalen Gang zur Leiter zurück. Er musste gegen den Drang ankämpfen, die Beine in die Hand zu nehmen, um so schnell wie möglich diesem Höllenloch zu entfliehen. Auf Deck angekommen, lief er zur windzugewandten Seite hinüber und atmete tief durch, als könne er so jede Schwade der verpesteten Luft aus seinen Lungen vertreiben. Natürlich wusste er, was sich unter Deck einer Galeere abspielte, doch er hatte es bisher nur wenige Male mit eigenen Augen gesehen. Obwohl ihn dieser Anblick angewidert hatte, war er sich stets bewusst gewesen, dass die Männer, die an den Rudern der Ordensgaleeren saßen, Gesetzesbrecher, Piraten und Ungläubige waren. So schlimm die Bedingungen auf einer christlichen Galeere auch sein mochten – sie reichten nicht an das heran, was man diesen Männern hier angetan hatte. Blinde Wut stieg in ihm auf, das unbändige Verlangen, den Islam vom Antlitz der Erde hinwegzufegen.

Lautes Plätschern in der Nähe ließ ihn herumfahren; seine Männer warfen die Toten über Bord. Man hatte den Gefallenen die Waffen und alle Kleidungsstücke abgenommen, für die man auf den Märkten von Malta noch einen anständigen Preis bekommen konnte. Zwei weitere Männer bewachten eine Handvoll verwundeter Gefangener, die zu Füßen des Kreuzmastes saßen. Bei ihrem Anblick hatte Thomas das Gefühl, sein Herz würde sich in seiner Brust in kalten Stein verwandeln. Er stieß sich von der Reling ab, ging auf sie zu und bedeutete mehreren Soldaten, ihm zu folgen. Als er die Gefangenen erreichte, starrte er sie hasserfüllt an. Es waren über zwanzig Männer, von denen viele noch Rüstungsteile trugen. Leere Schwertscheiden hingen von ihren Gürteln und Bandelieren. Die meisten hatten Verletzungen erlitten, die man in aller Eile mit Kleidungsfetzen verbunden hatte. Doch keiner war so schwer verwundet, dass er sich nicht erholen und seinen Platz auf den Ruderbänken einnehmen konnte.

ENDE DER LESEPROBE