Seewölfe Paket 17 - Frank Moorfield - E-Book

Seewölfe Paket 17 E-Book

Frank Moorfield

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Beschreibung

Die samländische Bernsteinküste bot an diesem Morgen ein Bild des Friedens. Aber das täuschte, und das friedliche Bild wurde jäh zerstört, als die Menschen am südlichen Strand auftauchten - ärmlich gekleidete Männer, Frauen und Kinder, die in gebückter Haltung den Strand absuchten. Diese Menschen sammelten Bernstein, besser gesagt, sie mußten sammeln, denn sie waren von einer doppelten Anzahl von Uniformierten umgeben, von Reitern, die mit Peitschen auf sie einschlugen und sie antrieben, schneller zu sammeln. Den Seewölfen, die mit der "Isabella IX." vor der Küste ankerten, stieg die Galle hoch, als sie das brutale, menschenunwürdige Treiben am Strand beobachteten und sahen, wie die Peitschen geschwungen wurden...

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Impressum© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-775-4Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 321

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 322

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 323

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 324

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 325

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 326

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 327

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 328

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 329

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 330

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 331

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 332

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 333

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 334

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 335

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 336

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 337

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 338

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 339

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 340

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

„Verdammte Milchsuppe!“ stieß Edwin Carberry mit einem leisen Knurren in der Stimme hervor. „Bei diesem Nebel findet man ja seinen eigenen Hinterkopf nicht mehr, wenn man sich mal kratzen muß!“

Damit übertrieb der bullige Profos der „Isabella IX.“ zwar gewaltig, dennoch herrschte an jenem frühen Morgen des 31. März 1593 ziemlich schlechte Sicht, weil dichte Nebelschwaden die Ostsee überlagerten und sich träge auf die Küstengebiete zwischen Kurland und Ostpreußen zuschoben.

Die große, ranke Galeone aus dem fernen England wurde von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, befehligt. Die „Wappen von Kolberg“, ein ehemaliges polnisches Flaggschiff, fuhr unter dem Kommando seines Vetters, Arne von Manteuffel.

Beide Schiffe segelten Kurs Südsüdwest, der auf Brüsterort, die nördliche Landspitze der Bernsteinküste im ostpreußischen Samland, zuführte.

Jetzt, in der ersten Morgendämmerung, lagen die Galeonen auf der Höhe von Windau. Der Wind wehte mäßig aus Westen, die „Isabella“ segelte vor der „Wappen von Kolberg“, die ihr wegen des Nebels dichtauf folgte.

Die beiden Kapitäne, unter deren Führung am Vorabend ein polnischer Viererverband versenkt worden war, hatten beschlossen, in Küstennähe zu bleiben, weil sie davon ausgingen, daß sich etwaige Verfolger weiter draußen auf See befanden.

Edwin Carberry sollte jedoch bald noch mehr Grund zum Fluchen haben, denn das, was jetzt plötzlich und völlig überraschend geschah, purrte selbst jene Seewölfe hoch, die sich während ihrer Freiwache in die Kojen gehauen hatten. Ja, das Ganze wirkte wie ein böser Spuk im Morgengrauen.

Blacky, der wegen der schlechten Sicht auf der Back der „Isabella“ nach voraus Ausguck ging, brüllte plötzlich laut los und deutete auf die graue Nebelwand.

„Wahrschau! Da ist etwas Längliches Backbord voraus!“

„Was heißt da, was Längliches, was, wie?“ fragte der Profos mit Donnerstimme. „Schielst du vielleicht und siehst deine eigene Nasenspitze, he?“

Blacky ging nicht darauf ein. Er begann vielmehr, heftig mit den Armen zu fuchteln.

„Das ist eine Galeere!“ brüllte er erregt. „Jetzt sehe ich ganz deutlich die beiden Pfahlmasten! Und sie hält direkt auf uns zu. Mein Gott, wenn das nur gutgeht!“

Jetzt sahen auch die anderen Männer, einschließlich des Seewolfs, der sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ befand, die Galeere aus den Dunstschwaden auftauchen. Ihre Segel waren nicht gesetzt, sie wurde durch kräftige Riemenschläge vorangetrieben. Ihr weit hervorragender Rammsporn zeigte genau in die Richtung, in der sich die Backbordseite der „Isabella“ in wenigen Augenblicken befinden mußte.

Ein durch den Nebel bedingtes Aufeinanderprallen der beiden Schiffe schien unvermeidbar zu sein.

„Rasch, Pete! Ruder hart Steuerbord!“ brüllte Philip Hasard Killigrew zu dem kleinen, stämmigen Rudergänger hinüber.

Pete Ballie ließ das fortschrittliche Steuerrad, das Hesekiel Ramsgate auch auf der neuen „Isabella“ anstelle des herkömmlichen Kolderstocks eingebaut hatte, in rascher Reaktion durch die Fäuste wirbeln.

Der Rumpf der großen Galeone fiel etwas nach Steuerbord ab, aber für ein erfolgreiches Ausweichmanöver war es bereits zu spät.

Auch auf der Galeere mußte man inzwischen das aus dem Nebel auftauchende englische Schiff gesichtet haben. Zunächst waren laute Rufe zu hören, dann drangen schrille Entsetzensschreie zu den Seewölfen herüber.

Doch das fürchterliche Krachen und Splittern, das Sekunden später über die Wasserfläche dröhnte, erstickte für kurze Zeit alle menschlichen Laute.

Als die „Isabella“ mit ihrem Steven den gefährlichen Rammsporn erwischte und ihn vom Bug der Galeere wegfetzte, ging ein heftiger Ruck durch den Schiffsrumpf, dem ein häßliches Knirschen und Knacken folgte.

Der Aufprall riß die Galeere, die fast rechtwinklig auf das Schiff der Seewölfe zugelaufen war, ein Stück herum, dann donnerte sie mit Wucht gegen die Backbordseite der „Isabella“ und schurrte an ihr entlang nach achtern.

Das Splittern und Bersten hielt an, weil die Steuerbordriemen der Galeere durch die Kollision der beiden Schiffsrümpfe zerbrochen wurden. Überall barst Holz, Teile der Riemen klatschten ins Wasser, begleitet von erschreckten Schreien und dem Gebrüll verletzter Rudergasten, die durch die eigenen Riemen von den Bänken gefegt wurden.

„Himmel, Arsch und Sonnenschein!“ fluchte Edwin Carberry lauthals und hielt sich gleichzeitig an der Nagelbank des Großmastes fest, um nicht durch die Schlingerbewegungen des Schiffes über die Kuhl gefegt zu werden. „Können die Affenärsche ihre Klüsen denn nicht besser aufreißen, was, wie? Man meint, die hätten nicht genug Platz auf diesem Ententeich! Es ist, verdammt noch mal, eine Unverschämtheit, anständige Christenmenschen, die sich auf einer Pilgerreise befinden, einfach über den Haufen rennen zu wollen!“

Der Profos hatte sein klotziges Rammkinn vorgeschoben. Zusammen mit dem zernarbten Gesicht und der prächtigen Glatze, die er seit seiner Wette mit Luke Morgan zur Schau trug, verlieh es ihm das Aussehen eines Monsters aus grauer Vorzeit. Nur diejenigen, die Edwin Carberry kannten, wußten, daß er trotz seines furchterregenden Aussehens und seines kernigen Wortschatzes das Herz auf dem rechten Fleck hatte.

Doch jetzt blieb ihm nicht die Zeit, einige freundliche Worte auf die Galeere hinüberzubrüllen. Das Zusammenprallen der beiden Schiffe hatte sich in einer sehr kurzen Zeitspanne abgespielt, und das fremde Schiff verschwand, nachdem es sämtliche Steuerbordriemen verloren hatte, wie ein Geisterschiff achteraus.

Aber damit begann das Unglück erst richtig.

Die „Wappen von Kolberg“, die im Kielwasser der „Isabella“ segelte, schloß ebenfalls Bekanntschaft mit der Galeere. Auch Arne von Manteuffel schaffte es nicht mehr rechtzeitig, dem angeschlagenen Schiff auszuweichen. Er hatte zwar trotz des dichten Nebels mitgekriegt, wie die Galeere mit der „Isabella“ kollidierte, aber in der kurzen Zeit hatte er nicht mehr abwägen können, wie sich die Sache weiterentwickeln würde.

Und nun war es bereits zu spät dafür, einen Aufprall auf die fremde Galeere zu vermeiden.

Arne brüllte zwar noch einen entsprechenden Befehl zu seinem Rudergänger hinüber, aber bevor dieser darauf reagieren konnte, geschah es.

Die „Wappen von Kolberg“ nahm die Galeere voll auf die Hörner. Mit ihrem Steven rannte sie Steuerbord achtern voll in die Plattform der Galeere. Das Krachen und Bersten, das gerade erst verstummt war, begann erneut. Von der Masse und dem „Schwung“ der Galeone, die Arne von Manteuffel dem polnischen Generalkapitän Witold Woyda als Ersatz für sein versenktes Schiff abgejagt hatte, wurde die Galeere noch ein ganzes Stück weitergeschoben, bis sich die Verklammerung löste und das vom Unheil verfolgte Schiff mit seinem Heck herumgedrückt wurde. Das allerdings hatte zur Folge, daß es nun mit seiner Steuerbordseite gegen die Steuerbordseite der neuen „Wappen von Kolberg“ krachte.

Auf beiden Schiffen herrschte im Handumdrehen Zustand, hauptsächlich jedoch auf der Galeere, die achtern Wasser zog. Der Steven von Arnes Beutegaleone hatte riesige Lecks hinterlassen, durch die das Wasser mit beängstigender Geschwindigkeit in den Schiffsraum strömte. Die Achterlastigkeit der Galeere war bereits jetzt schon deutlich sichtbar.

An Bord der sinkenden Galeere verstärkte sich das Gebrüll. Flüche, Verwünschungen, Schreckensschreie und Kommandos dröhnten durch den wallenden Nebel.

„Das sind Polen“, sagte Arne von Manteuffel. Der große, breitschultrige Mann mit den eisblauen Augen glich dem Seewolf auf eine verblüffende Weise. Nur seine Haare waren im Gegensatz zur schwarzen Mähne des Seewolfs blond. „Die Galeerenbesatzung braucht jetzt unsere Hilfe“, fuhr er fort, „auch wenn die Polen nicht gerade zu unseren Freunden zählen. Der Kahn geht unverkennbar auf Tiefe.“

Renke Eggens, der Erste Offizier der „Wappen von Kolberg“, nickte.

„Bisher haben wir Schiffbrüchigen immer geholfen, gleich auf welcher Seite sie standen.“

Beide Männer eilten zum Steuerbordschanzkleid des Achterkastells hinüber, um das Ausmaß des Unglücks besser beurteilen zu können.

Doch was sie sahen, verwandelte ihre Hilfsbereitschaft in jähen Zorn.

Die Polen, einschließlich der Ruderknechte, die nicht angekettet waren, griffen zu den Waffen. Dabei rafften sie in der Eile alles zusammen, was ihnen in die Finger geriet: Musketen und Pistolen, hauptsächlich jedoch Blankwaffen aller Art. Dann drängten sie mit lautem Gebrüll zum Schanzkleid.

„Die wollen entern“, sagte Arne kurz. Da er die polnische Sprache verstand, wußte er auch die Kommandos, die auf der Galeere gebrüllt wurden, richtig zu deuten. „Gewissermaßen wollen die aus der Not eine Tugend machen“, fügte er grimmig hinzu.

„Dann sollten wir ihnen was auf die Köpfe geben“, sagte der schlanke und drahtige Renke Eggens. „Ich sehe ja ein, daß die Burschen ein neues Schiff brauchen, aber auf eine so einfache Tour geht das nicht.“

„Ganz gewiß nicht“, erwiderte Arne von Manteuffel. „Wir werden uns zu wehren wissen.“

Die Kommandos des Kapitäns der „Wappen von Kolberg“ waren kurz und präzise. Seine Männer eilten, ohne in Panik zu geraten, an die Waffen. Und in dieser Hinsicht war tatsächlich Eile geboten, denn die ersten Enterhaken der Polen verkrallten sich bereits im Schanzkleid der Galeone.

„Kappt die Taue!“ befahl Arne, der die Gefahr, die von den Enterhaken und ihren Wurfleinen ausging, sofort erkannte. Schließlich war die Galeere am Sinken und konnte sein Schiff erheblich in Gefahr bringen, wenn man es nicht schnell von seinem „Anhängsel“ befreite.

Einige seiner Männer gingen sofort daran, seinen Befehl auszuführen. Doch das erwies sich als ein hartes und gefährliches Stück Arbeit, zumal sich die ersten Polen bereits mit lautem Geschrei über das Schanzkleid schwangen.

Auf beiden Seiten wurden Pistolen und Musketen abgefeuert, dann klirrte das Metall der Blankwaffen – der Säbel, Degen, Messer und Cutlasse – gegeneinander. Innerhalb von wenigen Augenblicken tobte ein erbitterter Enterkampf.

Die Polen wollten aus der gegebenen Situation ganz offensichtlich Kapital schlagen, aber da stießen sie bei Arne und seinen Mannen auf erbitterten Widerstand. Wegen der Vorkommnisse der vergangenen Tage hegten diese gegenüber den Soldaten des polnischen Königs Sigismund III. ohnehin keine besonders freundschaftlichen Gefühle. Und der Verlust ihrer alten „Wappen von Kolberg“ saß den Deutschen noch immer ziemlich in den Knochen. Dennoch würden sie sich ihrer Haut zu wehren wissen, auch wenn die Polen in der Überzahl waren.

Arne von Manteuffel stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck seiner Galeone und riß die Radschloßpistole hoch. Ein polnischer Soldat, der gerade an Bord geentert war, hatte seine Muskete auf ihn in Anschlag gebracht und gefeuert. Die Kugel war haarscharf an seiner linken Schulter vorbeigepfiffen.

Jetzt krachte Arnes Pistole, eine grelle Mündungsflamme stach aus dem Lauf hervor, und der Soldat ließ seine leergeschossene Muskete fallen. Dann griff er sich mit beiden Händen an die Brust und kippte mit einem Aufstöhnen zur Seite.

Die Polen kämpften zäh und verbissen, und immer mehr von ihnen drängten auf die Galeone herüber. Da ihnen das Schiff unter den Füßen absoff, standen sie gewissermaßen unter Erfolgszwang. Sie hatten nur die Möglichkeit, diese Galeone in ihren Besitz zu bringen oder aber im kalten Wasser der Ostsee zu ertrinken. Die Chance, als Schiffbrüchige gerettet zu werden, hatten sie durch ihren heimtückischen Angriff vertan.

Außerdem war da noch die Galeone der Engländer, mit der sie zuerst zusammengeprallt waren. Der große Segler war durch die überraschende Kollision aus dem Kurs gelaufen und gleich darauf im dichten Nebel verschwunden. Die Polen hofften deshalb inbrünstig, daß die Engländer die Orientierung verloren hatten. Wenn nicht, dann würden sie sich auch diesem Schiff zum Kampf stellen, sobald sie das ehemalige Flaggschiff ihres Generalkapitäns in ihre Gewalt gebracht hatten.

Arne von Manteuffel und seine kleine Mannschaft erwiesen sich als harte Kämpfer. Viele der Polen schafften es gar nicht erst, die Planken der „Wappen von Kolberg“ zu betreten. Entweder wurden sie durch gezielte Schüsse daran gehindert oder aber im Kampf Mann gegen Mann zurückgedrängt. Eine ganze Reihe der Angreifer schwamm bereits im Wasser, einigen drohte das furchtbare Schicksal, von den beiden Schiffsleibern zermalmt zu werden.

Arne hatte zum Degen gegriffen und trieb damit einen polnischen Offizier, der zum Achterdeck auf entern wollte, die Stufen des Niedergangs hinunter. Dabei erwies er sich als äußerst geschickter Degenkämpfer, der es verstand, die plötzlichen Ausfälle seines Gegners mit ungeheurer Schnelligkeit zu parieren.

Auch Renke Eggens kämpfte wie ein Berserker. Es gelang ihm nach mehreren Versuchen, auch noch die letzte Wurfleine zu kappen, die die „Wappen von Kolberg“ mit der polnischen Galeere verband. Zwei Soldaten, die sich daran hochhangeln wollten, stürzten mit wilden Schreien in die Galeere zurück.

Während sich Renke zwei weiteren Kerlen zuwandte, die sich einige Schritte rechts von ihm über das Schanzkleid schwingen wollten, tönte eine laute Stimme von der Galeere herüber.

„Im Namen des polnischen Königs! Gebt auf, ihr Bastarde, sonst verarbeiten wir euch zu Fischfutter!“

Die Stimme kam von einem untersetzten Mann in Offiziersuniform, der sich ebenfalls anschickte, das Schiff der Deutschen zu entern. Er hatte polnisch gesprochen, aber der dunkelblonde Renke hatte ihn gut verstanden.

„Du verwechselst die Tatsachen, Freundchen!“ brüllte er zornig zurück. „Ganz davon abgesehen, daß euren habgierigen König nicht mal die Heringe fressen würden, wird sich ja bald zeigen, wer als erster nasse Füße kriegt!“

Mit wuchtigen Hieben trieb Renke Eggens die beiden Kerle, die auf die Planken der Kuhl gesprungen waren, auf die Back zu. Dort nahm sie Hein Ropers, der flachsblonde Bootsmann, in Empfang.

„Vielen Dank für das nette Geschenk!“ rief er Renke zu und lachte dabei, daß seine weißen Zähne blitzten. Dann packten seine eisernen Fäuste erbarmungslos zu.

Nachdem er dem ersten Polen die Waffe aus der Hand geschlagen hatte, wuchtete er ihn seinem nachfolgenden Kumpan entgegen. Und da dieser gerade mit seinem Degen zu einem voreiligen Stoß ausgeholt hatte, fuhr die Klinge seinem Landsmann voll in die Brust.

Verblüfft und entsetzt registrierte der Soldat sein eigenes Werk. Hein Ropers hingegen nutzte die Schrecksekunde, packte ihn am Kragen und Hosenboden und hievte ihn schwungvoll über Bord.

Es wurde auch höchste Zeit, daß der Bootsmann seine Fäuste wieder frei kriegte, denn ein kleiner, dürrer Bursche mit spitzem Rattengesicht, hatte sich von hinten an ihn herangepirscht, um ihm das Messer in den Rücken zu stoßen.

„Vorsicht, Hein!“ rief ein Mann aus der eigenen Crew, der selber alle Hände voll zu tun hatte.

Der Bootsmann wirbelte geistesgegenwärtig herum, blockte den heimtükkischen Stoß ab und schlug dem Polen das Messer aus der Hand. Dann riß er ihn herum und verpaßte ihm einen so fürchterlichen Tritt gegen den Achtersteven, daß der Bursche mit ausgebreiteten Armen Renke Eggens entgegensegelte.

„Das ist mein Gegengeschenk!“ brüllt Hein Ropers.

„Danke!“ rief Renke zurück und setzte dem rattengesichtigen Kerl die Faust aufs Haupt. Dieser verdrehte die Augen und ging mit einem schicksalsergebenen Seufzer auf die Planken.

Duckmäuser waren Arne und seine Mannen noch nie gewesen. Auch jetzt schlugen sie sich so, daß den Polen die Augen übergingen. Dennoch war die Übermacht der Angreifer ständig größer geworden, denn auch die Ruderknechte mischten kräftig mit.

Arne und seine dreizehn Männer, die ihm von der alten „Wappen von Kolberg“ geblieben waren, würden die Stellung nicht auf Dauer halten können. Obwohl sie wie die Teufel kämpften, wurde die Lage immer bedrohlicher für sie.

Außerdem waren einige Männer bereits verletzt worden. Die Blessuren waren zwar nicht ernster Art, aber sie reichten aus, die Kampfkraft des einen oder anderen zu schwächen.

Schließlich sah sich Arne von Manteuffel genötigt, den Rückzug zum Achterkastell zu befehlen, das auch gegen eine Übermacht durchaus verteidigt werden konnte.

„Jetzt könnten wir deinen Vetter gut gebrauchen!“ rief Renke Eggens, der gerade mit einem Belegnagel zugeschlagen hatte.

Arne nickte, ohne dabei seinen Gegner, einen mindestens sechs Fuß großen, bulligen Soldaten, aus den Augen zu lassen.

„Ich kann nur hoffen, daß Hasard den Lärm hört“, stieß er hervor, „und daß er uns in diesem verdammten Nebel wiederfindet!“ Sein Degen zuckte hoch, um einen Ausfall seines Gegners abzuwehren. Dann entdeckte er eine winzige Blöße bei dem grobschlächtigen Kerl, der seine Waffe wie einen Zahnstocher handhabte, und stieß blitzschnell zu.

Der Pole sank auf die Planken.

2.

Die Seewölfe hatten längst begriffen, was sich auf der „Wappen von Kolberg“ abspielte. Obwohl sie das Schiff nicht sehen konnten, sagte ihnen das laute Gebrüll genug. Auch waren sie sich darüber im klaren, daß es sich bei der Galeerenbesatzung um Polen handeln mußte. Nils Larsen und Stenmark hatten das schon mitgekriegt, als die Galeere an der Bordwand der „Isabella“ entlanggeschrammt war.

Die dichten Nebelschwaden begannen sich stellenweise aufzulösen, wodurch die Sicht langsam etwas besser wurde. Dennoch konnten weder der Seewolf noch Ben Brighton etwas durch ihre Spektive erkennen. Selbst Dan O’Flynn, der die schärfsten Augen an Bord hatte, mußte kapitulieren.

„Hast wohl heute nicht deinen Adlerblick drauf, was, wie?“ fragte der Profos grinsend. „Aber tröste dich, wir haben ja immer noch Paddy mit seiner prächtigen Knollennase. Wenn er mit diesem Zinken hoch genug an den Wind geht, wird er die Rübenschweine sofort riechen!“

Bevor Dan O’Flynn eine geharnischte Antwort vom Stapel lassen konnte, mischte sich der Seewolf ein.

„Zum Glück sind wir jetzt weder auf Adleraugen noch auf Knollennasen angewiesen“, sagte er. „Allein der Lärm wird alle Schiffe im Umkreis auf den richtigen Kurs lotsen. Außerdem können wir nicht weit vom Schauplatz entfernt sein.“

Das Gebrüll, das von der „Wappen von Kolberg“ herüberdröhnte, war in der Tat nicht zu überhören.

Edwin Carberry rieb sich in Erwartung der bevorstehenden Ereignisse tatendurstig die Pranken.

„Man hört’s ganz deutlich“, sagte er, obwohl durch den Lärm kein einziges Wort zu verstehen war, „das sind die Lümmel des Königs Siegermund …“

„Sigismund!“ unterbrach ihn Dan.

„Ach was“, fuhr Ed fort, „ist mir egal, wie sich diese beutelüsterne Majestät nennt! Hört ihr nicht, daß das Geschrei dieser plattfüßigen Strolche so richtig gierig klingt, he? Ich sage euch, die wollen die hübschen Klunkerchen unter sich aufteilen, die Arne an Bord hat, jawohl!“

„Du hast es erfaßt“, pflichtete ihm Old Donegal Daniel O’Flynn bei, der trotz seines Holzbeins und der Krükke gewandt zum Achterdeck aufgeentert war. „Die wissen bestimmt, daß sich noch die vierzehn Kisten mit Bernsteinen und Halbedelsteinen an Bord befinden, die Witold Woyda in Hopsal geklaut hat. Da wird Arne aber gut auf das Zeug aufpassen müssen!“

Edwin Carberry nickte mit grimmigem Gesicht.

„Wir hätten die Kisten zu uns an Bord nehmen sollen“, meinte er.

„Hä? Warum das denn?“ fragte Old Donegal.

„Ich hätte sie zusammen mit dem Mister Generalkapitän in der Vorpiek eingeschlossen“, fuhr Ed fort. „Dann hätte ich dem habgierigen Rübenschwein einen alten Lumpen in die Hände gedrückt und ihn beauftragt, jedes einzelne Steinchen schön zu polieren. Was glaubt ihr, was dieser Räucherhering für einen Spaß an dieser Arbeit gehabt hätte! So aber sitzt der Kerl da unten in unserer Piek und ruht sich aus. Vielleicht freut er sich sogar über den Lärm und wartet schon darauf, daß ihm seine Befreier das Schott öffnen. Ich wette, daß dieser Affenarsch …“

„Ha!“ entfuhr es dem alten O’Flynn. „Hör bloß auf zu wetten! Aus dem letzten Reinfall müßtest du eigentlich was gelernt haben. Wenn ich mir so deinen vierkantigen Glatzkopf ansehe, dann muß ich an eine verbeulte Kokosnuß denken.“

„Mach bloß die Luke dicht, du Holzgerippe!“ stieß der Profos hervor. „Und kümmere dich gefälligst nicht um meinen Charakterkopf! Vielleicht sprießen dort schon in wenigen Tagen hübsche Löckchen, wer weiß.“

Die Männer wollten in lautes Gelächter ausbrechen, aber da schaltete sich der Seewolf ein, der gerade einige Worte mit Ben Brighton gewechselt hatte.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte Hasard. „Was immer die Polen auch für Motive haben, über Arne und seine Männer herzufallen, sie spielen im Moment eine untergeordnete Rolle. Arne braucht unsere Hilfe, und zwar dringend. Mit seinen wenigen Leuten kann er das Schiff nicht auf Dauer gegen die Übermacht der Polen halten. Also mischen wir ein bißchen mit, und zwar so rasch es geht. Andererseits müssen wir natürlich damit rechnen, daß die Galeere zu einem polnischen Verband gehört, vielleicht sogar zu jenen Gruppen, die nach illegalen Bernsteinladungen fahnden. Somit besteht die Möglichkeit, daß jederzeit weitere Schiffe hier auftauchen.“

Die Seewölfe setzten sich in Bewegung.

Noch während die „Isabella“ vor den Wind ging, wurde die Gefechtsbereitschaft überprüft. Hasard ließ halsen, und schon wenig später lief die Galeone über Steuerbordbug auf die „Wappen von Kolberg“ zu. Das ständig lauter werdende Gebrüll sowie die Konturen des Schiffes, die sich jetzt deutlich im Nebel abzeichneten, zeigten an, daß man die richtige Richtung eingeschlagen hatten.

Alles Weitere lief rasch.

Hasard ließ die Segel ins Gei hängen, dann manövrierte Pete Ballie die „Isabella“ so an das Schiff der Deutschen heran, daß sich die Backbordseiten der beiden Schiffe berührten.

Und dann hielt die Seewölfe nichts mehr zurück.

„Auf ins Getümmel, ihr frommen Pilgerscharen!“ brüllte Edwin Carberry. „Jetzt wollen wir diesen triefäugigen Nebelböcken mal das Tanzen beibringen, was, wie?“

Mit einem donnernden „Ar-we-nack!“, dem Kampfruf der Seewölfe, stürmten die Männer auf die „Wappen von Kolberg“ hinüber, auf der noch immer ein heftiger Kampf tobte. Sie hatten rasch bemerkt, daß sich Arne mit seinen Leuten zum Achterkastell zurückgezogen hatte. Demnach war es höchste Zeit, daß die Deutschen etwas Unterstützung kriegten.

Philip Hasard Killigrew war schlau genug, nicht alle seine Männer auf Arnes Galeone überentern zu lassen. Wie richtig diese Entscheidung war, sollte sich schon wenig später herausstellen.

Der Seewolf blieb zusammen mit seinen zwölfjährigen Zwillingssöhnchen, Philip und Hasard, sowie mit Old O’Flynn, Al Conroy, Will Thorne und Gary Andrews an Bord der „Isabella“. Die beiden „Rübenschweinchen“, wie der Profos die Zwillinge meist nannte, hatten die Aufgabe, scharf Ausguck zu halten, zumal niemand wußte, welche Überraschungen der Nebel an diesem Morgen noch bereithielt.

Die restliche Crew begann auf der „Wappen von Kolberg“ mit dem großen Aufräumen.

Die Polen, die sich seit dem Rückzug der Deutschen aufs Achterkastell ihrem Sieg schon ziemlich nahe glaubten, hatten mit Entsetzen festgestellt, daß die große englische Galeone längsseits gegangen war. Daß dies keine Stärkung ihrer eigenen Reihen bedeutete, war ihnen klar.

So blieb ihnen nichts weiter übrig, als eine neue Front zur Backbordseite des Schiffes hin zu bilden. Doch bevor das gelang, befanden sich die meisten Seewölfe schon an Bord.

„Jetzt wird Reinschiff gemacht, Leute!“ rief der sonst so ruhige und besonnene Ben Brighton. „Und daß ihr mir ja das Deck schön sauber aufwischt!“ Er donnerte dem ersten Soldaten, der ihm in die Quere geriet, mit solcher Wucht die Faust unter das Kinn, daß dieser fast aus den Stiefeln gehoben wurde.

Auch die anderen Seewölfe hatten keine „Kontaktschwierigkeiten“, und im Handumdrehen war auf der „Wappen von Kolberg“ erst richtig der Teufel los. Der Kampf wurde teils mit Blankwaffen, teils mit nackten Fäusten oder Schlaginstrumenten geführt.

Arne von Manteuffel und seinen dreizehn Männern gelang es vom Achterdeck aus, die Polen zurückzudrängen, so daß sich das Getümmel mehr und mehr zur Kuhl hin verlagerte, wo die Seewölfe für Ordnung sorgten.

Sie alle kämpften wie die Löwen – Bill, Jeff Bowie, Matt Davies, Big Old Shane, Bob Grey, Batuti und all die anderen. Und die Polen begriffen sehr rasch, daß sie es mit eisenharten Männern zu tun hatten, die sich nicht einschüchtern ließen, am allerwenigsten durch lautes Gebrüll oder wüste Drohungen.

Big Old Shane, der schon als Schmied von Arwenack Castle in Falmouth gelernt hatte, kräftig zuzupacken, hielt eine Radschloßpistole am Lauf, und wer mit dem harten Kolben der Waffe Bekanntschaft schloß, brauchte sich hernach über mangelnde Beulen nicht zu beklagen.

Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, ließ seinen gefürchteten Morgenstern kreisen, und Dan O’Flynn war in ein hartes Degenduell mit einem Soldaten verwickelt. Bill hieb mit einem Belegnagel drein und Ferris Tucker, dessen Kreuz so breit wie ein Rahsegel war, ließ das stumpfe Ende seiner gefürchteten Zimmermannsaxt durch die Luft zischen.

Edwin Carberry schien seinen entdeckungsreichen Tag zu haben. Irgendwo in der Nähe der Nagelbank des Großmastes stieß er auf die herumliegenden Utensilien, mit denen für gewöhnlich Reinschiff gemacht wurde. Dazu gehörte eine Pütz, die halb mit Sand gefüllt war, außerdem ein sogenannter „Holystone“ – ein weißer Sandstein, mit dem sich auch grobe Verunreinigungen der Planken wegscheuern ließen –, und einen Dweil, bei dem es sich um ein schrubberartiges Gebilde mit langem Stiel handelte.

„Ho!“ rief Ed, sichtlich erfreut über seinen Fund. „Kommt nur herbei, ihr Läuseknacker! Ich werde euch hübsch aufpolieren, damit eure Affenärsche glänzen wie Speckschwarten!“

Da er gerade mit einigen Ruderknechten beschäftigt gewesen war, schüttelte er mit Schwung den Sand in die Menge, was ein lautes Aufheulen derer zur Folge hatte, die die Sandkörner in die Augen kriegten.

Dem Kerl, der ihm am nächsten war, stülpte er die leere Pütz über den Schädel und setzte dann eine Faust obendrauf. Das hohle Geräusch, das er damit erzeugte, erinnerte an eine Trommel, mit der man auf Galeeren den Takt für die Ruderknechte vorgab.

Einem vierschrötigen Burschen, der mit einer Spake auf ihn losgehen wollte, schleuderte der Profos den „Holystone“ entgegen. Der kantige Sandstein traf den Polen voll am linken Fuß und verfehlte trotz der festen Lederstiefel seine Wirkung nicht.

Der Kerl stimmte ein markerschütterndes Geschrei an und hüpfte auf dem heilgebliebenen rechten Fuß im Kreis herum, wie einer jener tanzenden Derwische des Ibrahim Salih, die die Seewölfe einst an der türkischen Südküste kennengelernt hatten.

Um dem Geheule ein Ende zu bereiten, hieb Ed noch mit dem Dweil zu. Da dieses Putzwerkzeug, an dem noch einige Scheuertücher befestigt waren, naß war, gab es ein klatschendes Geräusch, dann krachte der Ruderknecht mit verdrehten Augen gegen die Nagelbank.

„Merk dir das, du Rübenschwein“, stieß Ed hervor, „am frühen Morgen wird noch nicht gesungen und getanzt, so was gehört sich nicht!“

„Recht so!“ rief der bullige Paddy Rogers. „Außerdem gehören Kanalratten ins Wasser!“ Er sammelte die Kerle auf, die ihm vor die Füße gepurzelt waren und beförderte sie – schön einen nach dem anderen – über Bord.

Edwin Carberry trennte sich vorerst nicht von dem Dweil, mit dem man so richtig schön zulangen konnte. Und so mußte sich noch so mancher Pole die nassen Lumpen mit lauten Klatschen um die Ohren hauen lassen.

Auch die beiden „Hakenmänner“ unter den Seewölfen waren voll in ihrem Element. Matt Davies räumte vor der Back auf, und Jeff Bowie, der stämmige Liverpooler, fegte gerade wie ein Wirbelwind über die Kuhlgräting hinweg. Sein linker Arm, dessen Hand durch eine Hakenprothese ersetzt worden war, weil er einst unliebsame Bekanntschaft mit Piranhas geschlossen hatte, zuckte vor – direkt auf einen polnischen Offizier zu. Sekunden später hing die Uniform des Mannes in Fetzen. Nachdem Jeff ein weiteres Mal zugelangt hatte, stand der Kerl fast nackt auf den Planken. Er vergaß vor Entsetzen, seinen Degen zu gebrauchen, deshalb prellte ihm Jeff Bowie mit einem dritten Hieb die Waffe aus der Hand.

Der Profos, der das gesehen hatte, grinste von einem Ohr zum anderen.

„Mach langsam, Jeff!“ brüllte er. „Sonst kämpfen wir am Ende nur noch mit einer Horde nackter Affen!“

Der Kutscher, der gerade einem Messerstich ausgewichen war, bedankte sich bei seinem Gegner, indem er ihm einen Belegnagel über den Scheitel zog. Dann deutete er plötzlich nach Steuerbord.

Die Blicke der anderen Männer folgten seinem Zeigefinger. Und selbst die Polen hielten einen Moment inne und starrten wie gebannt auf das Bild, das sich ihnen bot.

Die Galeere, die ein Stück von der „Wappen von Kolberg“ weggetrieben war, ging über das Heck auf Tiefe. Mit einem lauten Gurgeln, Schmatzen und Zischen versank das wracke Schiff der Polen in den Fluten. Kurze Zeit später erinnerten nur noch treibende Planken, Holzstücke und Wasserfässer an die Galeere.

Der Untergang ihres Schiffes ließ blanken Haß in den Polen auflodern. Mit lautem Wutgeheul und verzerrten Gesichtern stürzten sie sich erneut auf die kleine Mannschaft Arnes und die Seewölfe.

Wie es aussah, strebte das Kampfgetümmel seinem Höhepunkt zu.

„Das Rübenschwein veranstaltet Krawall“, meldete Philip junior, der gerade das Achterdeck der „Isabella“ betrat.

Der Seewolf blickte seinen Sprößling verständnislos an.

„Wen meinst du damit?“

„Na, den plattfüßigen Räucherhering!“

Hasard schüttelte den Kopf.

„Zum Donnerwetter, kannst du dich nicht etwas deutlicher ausdrükken? Außerdem habe ich dir und deinem Bruder schon hundertmal gesagt, daß ihr solche Ausdrücke nicht benutzen sollt!“

„Na ja, Sir“, erklärte Philip ungerührt. „Ich hab dieser Miesmuschel von einem Generalkapitän gleich gesagt, daß Mister Carberry ihm die Haut in klitzekleinen Streifchen von seinem verlausten …“

„Jetzt reicht’s aber!“ sagte der Seewolf mit schneidender Stimme. „Wenn du dich nicht sofort in einer gesitteten Sprache ausdrückst, ziehe ich dir den Hosenboden stramm, aber so, daß du die nächsten drei Tage auf dem Bauch schläfst, mein Sohn!“

„Dann müßte der Profos schon seit Jahren auf dem Bauch schlafen, Sir“, sagte Philip mit unschuldigem Gesicht.

„Willst du dich etwa mit dem Profos vergleichen?“ fuhr ihn Hasard an. „Mister Carberry und sein Wortschatz – nun ja, die gehören ganz einfach zusammen, die bilden, wie man so sagt, eine geschlossene Einheit. Deshalb braucht ihr euch diesen Wortschatz noch lange nicht anzueignen, verstanden?“

„Ja, Sir!“ Philip junior schlug züchtig die Augen nieder, aber wer genau hinsah, bemerkte deutlich, daß der Bengel innerlich lachte und kicherte. Dennoch hätte er es nicht gewagt, in seinem anfänglichen Tonfall fortzufahren.

„Was war also?“ fragte Hasard.

„Mister Witold Woyda tobt unten in der Vorpiek herum“, berichtete Philip. „Er hat wie ein Verrückter mit den Fäusten gegen das Schott getrommelt und immerzu was Unanständiges gebrüllt!“

„Woher willst du das wissen? Du verstehst doch nicht polnisch?“

„Das war deutlich herauszuhören!“

Hasard gab es auf. Er konnte sich durchaus vorstellen, daß der gefangene Generalkapitän in der Vorpiek herumtobte. Der Lärm, der von der „Wappen von Kolberg“ herüberdröhnte, konnte ihm unmöglich verborgen geblieben sein. Außerdem schwebte Witold Woyda im Ungewissen. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging.

Hasard und seine Männer hatten die ganze Zeit über das Geschehen auf Arnes Galeone mitverfolgt. Und den wenigen Seewölfen, die mit ihrem Kapitän auf der „Isabella“ verblieben waren, war deutlich anzusehen, daß es ihnen in den Fäusten juckte.

Old Donegal fuhr sich immer wieder mit einer nervösen Handbewegung durch die Bartstoppeln.

„Es ist einem aber auch nichts vergönnt“, sagte er brummelnd, „dabei soll Körperbewegung so gesund sein. Bei allen Wassermännern, ich gäbe was drum, wenn ich da drüben dabeisein könnte. Ich würde sogar mein Holzbein abschnallen und es diesen Kerlen um die Ohren schlagen!“

„Laß es lieber dran, Donegal“, sagte der Seewolf. „Du wirst es noch anderweitig gebrauchen.“

Das hatte fast wie eine Prophezeiung geklungen.

In der Tat vergingen nur noch wenige Augenblicke, bis die helle Stimme Hasard juniors erklang.

„Steuerbord voraus ein dunkler Schatten!“

Die Blicke der Männer wandten sich sofort in die angegebene Richtung. Der Nebel löste sich mehr und mehr auf, deshalb konnten sie recht bald erkennen, was sich hinter den Dunstschwaden verbarg.

„Noch eine Galeere!“ stellte der Seewolf nach wenigen Augenblicken fest. „Offenbar liege ich doch nicht falsch mit meinen Vermutungen, unsere Freunde da drüben scheinen Verstärkung zu kriegen. Ich fresse einen Besen, wenn das nicht auch ein polnisches Schiff ist.“

Die Galeere lief schräg von Nordosten her auf die „Isabella“ zu.

„Gute Freunde sollte man entsprechend empfangen, Sir“, bemerkte Al Conroy. Der stämmige, schwarzhaarige Stückmeister deutete mit einer Kopfbewegung auf die ausgerannten Geschütze der „Isabella“, die er unter ständiger Kontrolle hielt.

„Wenn es sich tatsächlich um Polen handelt, wird uns gar nichts anderes übrigbleiben“, erwiderte Hasard. „Dafür werden die Burschen schon selber sorgen.“ Mit einem Augenzwinkern wandte er sich Old O’Flynn zu. „Nun sei froh, Donegal, daß du dein Holzbein noch nicht abgeschnallt hast. Gleich wird hier jede Hand gebraucht, und wenn das nicht ausreicht, müssen wir die Beine und Füße dazunehmen.“

„In Ordnung, Sir“, sagte der Alte mit dem wettergegerbten Gesicht. „Wenn’s dann immer noch nicht langt, habe ich auch noch einen verdammt harten Schädel.“

Obwohl es sich bei Old Donegal Daniel O’Flynn – von der Mutterseite her – um den Großvater der Zwillinge handelte, war er doch noch lange nicht alt genug, um sich als solcher zu fühlen. Ganz im Gegenteil – trotz seiner Beinprothese war er nach wie vor ein rechter Haudegen, der vor keiner Aufgabe zurückschreckte und an jeder Stelle voll seinen Mann stand.

Die Galeere, die bereits deutlich zu erkennen war, änderte ihren Kurs nicht, sie hielt nach wie vor auf die „Isabella“ zu. Hasard konnte durch den Kieker sehen, wie zahlreiche Männer über die Decks hasteten.

„Die haben was vor“, sagte er und setzte das Spektiv ab. „Alle Mann auf Stationen! Al und Gary, ihr übernehmt die vorderen Drehbassen, Donegal und Will, ihr kümmert euch um die achteren!“

„Aye, aye, Sir!“

Al Conroy und Gary Andrews eilten zur Back, während sich Old O’Flynn und der grauhaarige Segelmacher Will Thorne zum Heck verzogen, wo ebenfalls zwei der schwenkbaren Geschütze montiert waren.

„Und wir, Sir?“ fragten die Zwillinge wie aus einem Munde. „Wir könnten zum Beispiel …“

Der Seewolf vollführte eine Geste, die keinen Widerspruch zuließ.

„Ihr verschwindet schleunigst unter Deck und schaut nach den Tieren. Darum muß sich schließlich auch jemand kümmern.“

Die beiden „Rübenschweinchen“ verzogen sich ob dieser „Beschäftigungstherapie“ mit enttäuschten Gesichtern, während ihr Vater nach einem Tromblon griff.

Es blieb Hasard und seinen vier Männern gar nichts anderes übrig, als sich zunächst den leichteren Waffen zuzuwenden. Die schweren Geschütze waren durch die Schräglinie, in der die Galeere herangerudert wurde, noch nicht einsetzbar.

Hasard warf einen raschen Blick zur „Wappen von Kolberg“, aber dort schien noch niemand das Schiff bemerkt zu haben. Der Kampf war nach wie vor in vollem Gange.

Kaum waren die vier Männer des Seewolfs auf Stationen, da gaben die Polen auch schon ihre Absichten zu erkennen. Daß es sich um Polen handelte, daran zweifelte inzwischen niemand mehr.

Im Vorschiff der Galeere blitzte es zweimal hintereinander auf, und die beiden Buggeschütze stießen ihre Kugeln auf die „Isabella“ zu. Für einen Augenblick überlagerte das Donnern der Kanonen das Gebrüll auf der „Wappen von Kolberg“, dichter Pulverdampf verhüllte den Steven des polnischen Schiffes, das mit diesem Angriff die Feindseligkeiten eröffnete.

Beide Kugeln schlugen ungefähr eine halbe Kabellänge von der „Isabella“ entfernt ins Wasser und rissen gischtende Säulen hoch.

„Die Dummköpfe haben sich in der Entfernung verschätzt!“ brüllte Old Donegal. „Außerdem haben sie gleich beide Buggeschütze abgefeuert. Mit Löffeln haben die die Weisheit auch nicht gerade gefressen!“

„Es können ja nicht alle Menschen so schlau sein wie du!“ rief Will Thorne grinsend. „Ein bißchen Dummheit ist mitunter ganz nützlich, besonders wenn es die anderen sind, die darunter leiden.“

Die Galeere setzte ihren Kurs trotz der beiden Fehlschüsse fort, und wie Hasard durch das Spektiv feststellte, waren die Polen eifrig damit beschäftigt, die Geschütze nachzuladen.

Um die Lippen des Seewolfs spielte ein grimmiges Lächeln. Dann gab er Al Conroy, der an der Steuerbord-Drehbasse der Back stand, einen kurzen Wink, zumal dieses Geschütz strategisch am günstigsten postiert war.

„Feuer, Al! Vertreib die Kerle von den Buggeschützen!“

„Aye, Sir!“

Der Stückmeister senkte die brennende Lunte auf das Zündkraut der Drehbasse, Sekunden später wummerte das Geschütz los.

Die Schußweite stimmte, und daß er ein Meister im Zielnehmen war, das hatte Al Conroy schon oft genug unter Beweis gestellt.

Ein dumpfes Krachen verriet, daß auf der Galeere die Fetzen flogen. Al hatte das Vorkastell voll erwischt. Gerade wollte er sich mit grinsendem Gesicht dem Seewolf zuwenden, da verwandelte sich die Galeere innerhalb von Sekunden in einen Hexenkessel.

Eine höllische Explosion erschütterte das Schiff bis in seine letzten Verbände, dann schien plötzlich eine unsichtbare, gigantische Faust den Leib der Galeere zerschmettern zu wollen. Das Vorschiff, das Al Conroy getroffen hatte, brach mit infernalischem Getöse auseinander.

Kaum war wieder Stille eingekehrt, begannen die Polen mit einem ohrenbetäubenden Geschrei. Doch das war kein Angriffsgebrüll, kein sogenanntes Imponiergehabe, mit dem man den Gegner einschüchtern wollte, o nein! Was da an die Ohren der Seewölfe drang, das waren Schreie der Angst, des Grauens und der ohnmächtigen Wut.

Durch ihre Kumpane auf der „Wappen von Kolberg“ kriegten die Polen augenblicklich Unterstützung – jedoch nur mittels der Stimmbänder.

Hasard und seine vier Männer reagierten verblüfft. Eine solche Wirkung des Drehbassenschusses hatte niemand erwartet – auch Al Conroy nicht.

„Verdammt, ich muß ein Pulverfaß getroffen haben!“ stieß er hervor. „Oder aber etliche Kartuschen!“

Dann wurde der Stückmeister der „Isabella“ jäh aus seinen Überlegungen gerissen, denn die Galeere, deren Besatzung fluchtartig über Bord gesprungen war, ging in kürzester Zeit steil auf Tiefe.

Die Seewölfe, die drüben auf der „Wappen von Kolberg“ kämpften, quittierten das mit einem lauten „Ar-we-nack!“ Doch Hasard hatte den Faden gedanklich längst weitergesponnen. Wenn bis jetzt schon zwei Galeeren aus dem Nebel aufgetaucht waren, dann konnten auch noch weitere folgen, denn die Polen waren oft in Verbänden unterwegs. Also mußte der Kampf auf Arnes Galeone jetzt so rasch wie möglich entschieden werden, denn mit insgesamt fünf Männern und zwei Jungen war die „Isabella“ kaum manövrierfähig und erst recht nicht voll gefechtsfähig.

Der Seewolf wandte sich an seine Männer, die das große Aufräumen längst fortsetzten.

„Was ist los mit euch?“ brüllte er. „Beeilt euch gefälligst! Früher habt ihr zu so was nicht mal die Hälfte der Zeit gebraucht!“

Wumm – das saß, und zwar direkt in der moralischen „Wasserlinie“!

„Schinkenspeck und Rübensuppe!“ fluchte Edwin Carberry und schnaubte dabei wie ein wildgewordener Büffel. „Jetzt fängt unser Kapitän auch noch an zu motzen! Der versenkt da drüben Schiffe, indem er Al mal kurz husten läßt, und wir wischen immer noch mit diesen Rübenschweinen hier die Decks auf!“

„Recht hat er!“ brüllte Ferris Tukker zurück. „Wir müssen jetzt auch mal ein bißchen Dampf dahinter machen. Es können ja noch mehr von diesen Torfkähnen auftauchen!“ Erneut mähte er mit dem Stumpfteil seiner langen Axt um sich.

Auch Carberry und die anderen Männer explodierten in jähen Ausfällen. Gerade jetzt wollten sie ihrem Kapitän zeigen, was in ihnen steckte.

„Lahmärsche sind wir noch lange nicht!“ rief Matt Davies und ließ seinen spitzgeschliffenen Eisenhaken, der ihm die fehlende rechte Hand ersetzte, durch die Luft zischen.

Wie entfesselte Teufel räumten sie die Decks der „Wappen von Kolberg“ leer – mit voller Unterstützung Arnes und seiner Männer. Kein Wunder, wenn der Kampf bis jetzt angedauert hatte, denn die Polen hatten Arne und den Seewölfen nahezu die doppelte Anzahl an Soldaten und Ruderknechten entgegenzusetzen gehabt. Bis zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich die Zahl der Kampftüchtigen gewaltig vermindert.

Ed Carberry hatte eine Spake aufgelesen und raste damit von Backbord nach Steuerbord und von vorn nach achtern. Wer ihm in die Quere geriet, bezog Dresche.

Stenmark, Luke Morgan und Jan Ranse waren in üble Messerkämpfe verwickelt. Auch Blacky hatte gerade einen solchen Kampf siegreich beendet, aber er blutete aus einer Fleischwunde am rechten Unterarm.

„Bist du verletzt?“ rief der Kutscher, der immer noch mit einem Belegnagel wütete.

„Nur ein Mückenschiß!“ rief Blakky zurück. „Das kannst du später noch in Ordnung bringen.“

„In Ordnung“, sagte der Kutscher, der jetzt ohnehin keine Gelegenheit gehabt hätte, seines Amtes als Feldscher zu walten, denn er hatte sich mit einem breitschultrigen Ruderknecht angelegt. Niemand hätte dem blonden und etwas schmalbrüstigen Mann die Schlagkraft und Gewandtheit zugetraut, die er dabei an den Tag legte. Überall dort, wo er seinen Belegnagel hinsetzte, war gewiß, daß es Arbeit für den Feldscher der Gegenseite geben würde.

Bob Grey, ein flinker und drahtiger Bursche, hatte bis jetzt mit den Fäusten gekämpft und gerade einen polnischen Soldaten ins Reich der Träume befördert. Da registrierte er zu seiner Rechten einen Ruderknecht, der gerade zum Messerwurf auf ihn ausholte.

Doch da hätte sich der Pole besser nicht mit Bob Grey angelegt, der selber als Experte auf diesem Gebiet galt.

Bob warf sich blitzschnell zur Seite, so daß das Messer drei Handbreiten entfernt an ihm vorbeizischte und irgendwo hinter ihm auf die Planken polterte.

„So was Mieses!“ maulte er. „Der hat sich eingebildet, ich würde seinen Angriff nicht bemerken.“

Mit einer fließenden Bewegung zauberte Bob sein eigenes Messer aus dem Gürtel, und einen Lidschlag später raste es durch die Luft und fuhr dem heimtückischen Angreifer in die Brust.

Der Mann stieß einen gurgelnden Laut aus, preßte beide Hände gegen den Leib und sank langsam in sich zusammen.

Die Decks der deutschen Galeone leerten sich zusehends, zumal Hein Ropers, Arnes Bootsmann, und Paddy Rogers wieder einmal damit beschäftigt waren, eine ganze Reihe von Polen über das Schanzkleid zu hieven.

„Man stolpert ja sonst darüber“, sagte Paddy beinahe entschuldigend.

Die Polen hatten längst keine Chance mehr. Seit sie miterlebt hatten, wie die Engländer mit einem einzigen Drehbassenschuß eine ihrer Galeeren versenkt hatten, lag keine Kraft und keine Motivation mehr in ihrer Gegenwehr. Normalerweise hätten sie längst die Flucht ergriffen, aber wohin sollten sie jetzt noch ausweichen? Ihre eigene Galeere war bereits auf Tiefe gegangen und einfach im eiskalten Wasser davonschwimmen – darauf waren sie auch nicht gerade scharf.

Der eine oder andere von ihnen hatte längst eingesehen, daß es verkehrt gewesen war, dieses Schiff entern zu wollen. Sie hätten von Anfang an mit dem Eingreifen der englischen Galeone rechnen müssen. Aber jetzt war es zu spät, es blieb ihnen nur noch die Möglichkeit, mit dem Mut der Verzweiflung zu kämpfen – bis zur bitteren Neige.

Philip Hasard Killigrew, der sehr wohl bemerkt hatte, welche Reaktion seine „motzige“ Bemerkung ausgelöst hatte, konnte ein Grinsen nicht mehr unterdrücken. Schließlich kannte er seine Pappenheimer und wußte nur zu gut, wie er sie richtig in Fahrt bringen konnte. Doch er hatte es aus einer zwingenden Notwendigkeit heraus getan.

Jetzt winkte er kurz zu seinem Vetter hinüber, und der winkte mit einem breiten Grinsen zurück.

Nach weiteren zehn Minuten war der Kampf endgültig entschieden. Die „Wappen von Kolberg“ war freigeräumt, rings um beide Schiffe strampelten die Polen im Wasser.

„Wenn es den Kerlen nur um ein erfrischendes Bad ging“, sagte Jack Finnegan, „dann hätten sie das auch gleich haben können.“

Von dem Dank Arnes und seiner Mannen wollten die Seewölfe nichts wissen.

„Das war selbstverständlich“, sagte Ben Brighton. „Ihr könnt dafür an der nächsten Tanzveranstaltung bei uns teilnehmen.“

Auch Edwin Carberry steuerte schon wieder völlig andere Gedankenkurse. Er stemmte die mächtigen Fäuste in die Hüften und sah den Kutscher und Mac Pellew strafend an.

„Ihr beide“, knurrte er, „habt wohl auch nichts anderes zu tun, als euch herumzuprügeln, was, wie? Daß es längst Zeit ist zum Backen und Banken – das interessiert euch wohl nicht, he? Uns hängt der Magen schon bis auf die Stiefelspitze!“

„Dann paß bloß auf, daß du nicht drüberstolperst und auf die Futterluke fällst“, sagte Mac bissig. „Sonst könnte es nämlich sein, daß du die Räucherheringe, die es heute wieder einmal gibt, nicht samt Köpfen herunterschlingen kannst!“

Die Arwenacks wechselten wieder auf die „Isabella“ über. Während sich der Kutscher und Mac Pellew, die für den Inhalt der Kochtöpfe zuständig waren, in die Kombüse verzogen, gingen beide Schiffe wieder auf ihren alten Kurs.

Der Nebel riß auf, und die ersten spärlichen Sonnenstrahlen versuchten, die Reste der wabernden, dunstigen Masse zu durchdringen.

Zum morgendlichen Backen und Banken sollte es jedoch vorerst nicht kommen. Dafür sorgten fünf weitere Galeeren, die aus Nordosten herangerudert wurden. Ihre Riemen erinnerten an riesige Spinnenbeine, aber die Männer auf der „Isabella“ und der „Wappen von Kolberg“ wußten nur zu genau, daß diese Schiffe weit gefährlicher waren als bissige oder giftige Insekten.

3.

Der Profos der „Isabella“ fluchte fürchterlich.

„Alles nur wegen dieser verdammten Klunkerchen! Himmel, Arsch und Knoblauchduft, die schicken eine ganze Armada los, nur weil sie Angst haben, daß ihnen irgendwer sämtliche Bernsteinchen vor der Nase wegschnappt! Ob rechtschaffene Seeleute noch zu ihrem Frühstück kommen, das juckt die nicht im geringsten! Nicht einmal der Teufel ist so wild auf eine arme Seele, wie diese Rübenschweine auf das Steinzeug. Dabei kann man nicht mal ein Haus damit bauen!“

Mac Pellew, der gerade den Kopf aus dem Kombüsenschott streckte und sein gewohnt griesgrämige Gesicht aufgesetzt hatte, nickte beifällig.

„Man sollte diesen Burschen beim Backen und Banken die Mucks mit ihrem Steinkram füllen, damit sie sich die letzten faulen Zähne daran ausbeißen!“

Auch die übrigen Männer der Seewölfe-Crew waren nicht eben begeistert über das Auftauchen der fünf Galeeren. Aber sie hatten sich längst daran gewöhnt, daß die Polen ständig auf Patrouille waren, um rigoros jeden Segler nach „geschmuggeltem“ Bernstein zu durchsuchen.

Der Seewolf und sein Vetter, Arne von Manteuffel, hatten sich aus diesem Grund mit den Polen angelegt und sich dadurch deren besondere Aufmerksamkeit erworben – nicht zuletzt deshalb, weil sie ihren Generalkapitän Witold Woyda und dessen ehemaliges Flaggschiff mit sich führten – ersteren als Gefangenen und das Schiff als Schadenersatz für die versenkte alte „Wappen von Kolberg“.

Der Generalkapitän, der sich in der Vorpiek der „Isabella“ befand, hatte sich schon mehrmals mit Erfolg als Geisel verwenden lassen, dennoch gaben die Polen, wie die bisherigen Ereignisse gezeigt hatten, nicht auf. Sie wollten Woyda zurück, außerdem dessen Flaggschiff sowie die zwölf Kisten mit Bernsteinen und zwei Kisten mit Halbedelsteinen.

Da die „Wappen von Kolberg“ noch immer den Entführer der Freiin von Lankwitz, nämlich den gerissenen Hugo von Saxingen als Gefangenen an Bord hatte, war Witold Woyda auf der „Isabella“ untergebracht worden. Seine Schätze hatte man jedoch auf seinem ehemaligen Flaggschiff belassen.

Arne von Manteuffel fühlte sich fast ein wenig peinlich berührt. Er konnte schon gar nicht mehr zusammenzählen, was sein Vetter alles für ihn getan hatte – und das stets selbstlos und ohne zu zögern. Und seine Crew war genauso. Mein Gott, dachte Arne, was sind das nur für Kerle! Schon jetzt stand für ihn fest, daß er ihnen die vierzehn Kisten, die er an Bord hatte, überlassen würde. Das war seiner Meinung nach das Mindeste an Dank, den er Hasard und seinen Mannen schuldig war.

Bei den Seewölfen war die gesamte Crew bereits wieder klar zum Gefecht, schließlich wollte auch der Fünferverband der Polen in „alter Freundschaft“ empfangen werden.

„Das gibt bösen Stunk“, prophezeite Old Donegal. „Das sind immerhin fünf Schiffe.“

„Du merkst aber auch alles, Donegal“, sagte Ferris Tucker und kniff dabei ein Auge zu. „Haben dir die Wassermänner oder Seejungfrauen wieder was zugeflüstert?“

Der Alte reagierte bissig.

„Willst du vielleicht deinen Spott mit feststehenden Tatsachen treiben, du Holzwurm?“ schimpfte er. „Achte lieber darauf, daß du genug Flaschenbomben bereit hast, um sie den Kerlen anzubieten!“

„Dann laß sie nur erst mal näher heran, Donegal“, sagte der Schiffszimmermann grinsend. „Ich bin ja schließlich keine Hexe, die auf einem Besen durch die Luft reiten kann, um genau über den niedlichen Schiffchen die Flaschen fallen zu lassen.“

„Manchmal würde dir ein lodernder Scheiterhaufen unter dem Hintern auch nicht schaden“, sagte Old Donegal fuchtig. Dann stelzte er auf seinem Holzbein zum Niedergang, der von der Kuhl zum Quarterdeck führte.

Hasard stand neben Ben Brighton am Schanzkleid des Achterdecks. Die Gefechtsbereitschaft hatte er wohlweislich gar nicht erst aufheben lassen, seit Al Conroy die Galeere zu den Fischen geschickt hatte.

„Das scheint heute ein arbeitsreicher Tag für uns zu werden“, sagte er. „Die Burschen lassen jedenfalls nicht locker. Wie es aussieht, werden wir uns noch ein bißchen mit ihnen beschäftigen müssen.“

Ben grinste.

„Dabei haben wir immer gedacht, die Ostsee sei nur ein kleiner Ententeich, oder wie Mister Carberry meinte, eine Pißrinne für Kakerlaken. Bis jetzt hat uns dieser Teil der Welt, wie ich immer wieder feststellen muß, ganz schön in Trab gehalten.“

Hasard nickte und begann Arwenack, dem Bordschimpansen, der aufs Achterdeck geentert war, den Kopf zu kraulen. Dann gab er dem Affen einen freundschaftlichen Klaps.

„Verschwinde, Arwenack, hier gibt’s gleich Ärger!“

Der Schimpanse keckerte, als habe er den gutgemeinten Ratschlag verstanden und trollte sich in Richtung Quarterdeck.

Hasard setzte den Kieker ans Auge.

„Die kriegen wir so schnell nicht mehr los“, sagte er. „Soviel ich erkennen kann, wimmelt es auch auf diesen Galeeren von Soldaten.“

Der Abstand zwischen der „Isabella“ und dem polnischen Verband verringerte sich rasch. Die Polen schienen sich den beiden Galeonen haushoch überlegen zu fühlen. Während die vorderste Galeere vorwitzig versuchte, mit erhöhtem Riemenschlag zum Jagdschuß auf die „Isabella“ aufzulaufen, drehte die letzte Galeere der Fünfergruppe ab, um die Überlebenden der beiden gesunkenen Schiffe aufzusammeln, die immer noch im Wasser strampelten oder sich an treibenden Holzstücken festklammerten.

Mittlerweile war deutlich zu erkennen, wie Soldaten an den Bugkanonen der Galeere herumhantierten.

Da die schweren Geschütze der „Isabella“, die Siebzehn- und Fünfundzwanzigpfünder, im Hinblick auf das achteraus schräg auflaufende Schiff nicht einsetzbar waren, versuchte sich Al Conroy auf das Geheiß des Seewolfs hin erneut an einer Drehbasse, diesmal jedoch am Heck.

„Sei nicht enttäuscht, Al, wenn du den Kahn nicht gleich wieder mit einem einzigen Schuß versenkst“, sagte Hasard lächelnd. „Wir sind auch zufrieden, wenn du die Kerle von ihren Bugkanonen verjagst.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, erwiderte Al Conroy.

Sekunden später krachte die Drehbasse an der Steuerbordseite des Hecks los, und in der Tat, die Gegend um die Bugkanonen der pfeilschnell heranschießenden Galeere war im Nu wie leergefegt. Das Splittern und Bersten von Holz war zu hören, irgendwo im Vorschiff mußte die Galeere einen Treffer empfangen haben. Das bewies auch die Reaktion der Polen, die den Schuß mit lauten Gebrüll quittierten. Wie es aussah, würden sie noch eine Weile auf die Gelegenheit zu ihrem geplanten „Fangschuß“ warten müssen.

Fast gleichzeitig mit Al Conroy traten Big Old Shane und Batuti in Aktion. Seit einer Weile schon hatten sie ihre riesigen Langbogen gespannt, um deren Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Auch die gefürchteten Brand- und Pulverpfeile lagen griffbereit, mit denen sie eine Distanz von 500 Yards und mehr zu überbrücken vermochten. Beide Männer galten als Meister des Bogenschießens. Was das hieß, sollten die Polen gleich erfahren.

„Shane, Batuti!“ rief der Seewolf.

Beide legten die ersten Brandpfeile auf und spannten die Bogen

Dann ein kurzes Nicken Hasards, und die Geschosse pfiffen durch die Luft. Augenblicke später bohrten sich die Pfeilspitzen in das Holz der vordersten Galeere, die sich so zuversichtlich an die „Isabella“ herangewagt hatte.

Kaum hatten die ersten Pfeile ihre Ziele gefunden, waren schon die nächsten unterwegs.

Die Treffer ließen die heranrudernden Polen laut aufbrüllen, zumal ihnen die Pfeile, deren Schäfte mit wohldosierten Pulverladungen gefüllt waren, das Blut in den Adern erstarren ließ. Einige von ihnen glaubten sogar an Teufelsspuk, als die Pfeile nach ihrem Aufprall explodierten und ihr Schiff an allen Ekken in Brand setzten.

Vor allem die Ruderknechte brachen in Panik aus, als sich die brennenden Pfeile in ihrer unmittelbaren Nähe ins Holz bohrten. Genau das hatten Shane und Batuti beabsichtigt.

Batuti strahlte, seine perlweißen Zähne blitzten.

„Den Kerlen wird es warm, wenn Feuerchen unter Ruderbänken brennen!“ rief er in seinem holprigen Englisch. „Wenigstens brauchen Affenärsche nicht wegzufrieren!“ Erneut schnellte ein Pfeil von der Sehne seines Bogens und fuhr zwischen die Ruderknechte.

Was beabsichtigt war, trat ein. Die Männer sprangen laut schreiend und fluchend von den Ruderbänken hoch und versuchten, sich auf das Hauptdeck der Galeere zu retten. Nur wenige taten ihre Arbeit verbissen weiter. Die Folge war, daß prompt mit den Riemen gekrebst wurde und der Gleichtakt augenblicklich zum Teufel ging.

Hinzu kam, daß sich das Feuer in Windeseile ausbreitete, weil die frische Morgenbrise die Flammen hoch auflodern ließ.

Die Wuhling war unbeschreiblich. Nur wenige Soldaten feuerten noch ihre Musketen auf die „Isabella“ ab, aber Treffer erzielten sie nicht bei dem Zustand auf der Galeere. Da das Schiff bereits aus dem Kurs gelaufen war, war auch an einen Einsatz der Bugkanonen nicht mehr zu denken.

Ben Brighton lachte und rieb sich erfreut die Hände.

„Die haben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger an uns verbrannt!“ rief er.

Die Galeere sackte rauchend und brennend achteraus, an einen Angriff auf die „Isabella“ dachte an Bord dieses Schiffes wohl niemand mehr. Alle Mann hatten vollauf damit zu tun, Wasser an Bord zu hieven, um die Flammen zu löschen. Inwieweit das überhaupt noch gelingen würde, war zur Zeit eine offene Frage.

Die zweite Galeere verhielt sich etwas vorsichtiger als die erste. Ihr Kapitän war offensichtlich entschlossen, die Sache etwas schlauer anzupacken als sein Vorgänger. Er ließ sein Schiff genau ins Kielwasser der „Isabella“ steuern, dann brachte er die Ruderknechte auf Vordermann. Er schien den Seewölfen unbedingt zuvorkommen zu wollen, denn auf der ersten Galeere hatte man es nicht einmal geschafft, einen einzigen Kanonenschuß abzufeuern.

Sobald sich der polnische Kapitän einigen Erfolg davon versprach, gab er den Feuerbefehl, und zwar mit der Absicht, der englischen Galeone ein hartes Ding ins Heck zu schmettern.

Aber sein Handeln sollte sich ebenfalls als voreilig erweisen. Eine Schußweite, die Treffer zuließ, war noch nicht erreicht, und die Kanonenkugel, die eins der beiden Buggeschütze ausgespien hatte, klatschte ein Stück von der „Isabella“ entfernt ins Wasser.

Für den polnischen Kapitän war das Grund genug, die Ruderknechte zu noch größerer Eile anzutreiben. Mit wilder Hast vorangejagt, hielt die Galeere nach wie vor auf das Heck der „Isabella“ zu. Diesmal wollte man sich Zeit lassen mit einem Schuß, denn der nächste sollte, ja mußte unbedingt den erhofften Erfolg bringen.

Die Polen ließen sich jedoch etwas zulange Zeit.

„Ich bin feuerbereit, Sir“, erinnerte Ferris Tucker und deutete vielsagend auf sein katapultartiges Abschußgerät für die selbstgefertigten Flaschenbomben.

„Dafür ist es zu früh, Ferris“, erwiderte der Seewolf. „Die Erfolgschancen sind sehr gering.“

Doch Ferris Tucker war vom Ehrgeiz gepackt worden.

„Ich werde es trotzdem versuchen“, sagte er mit grimmigem Gesicht. Er wußte zwar, daß die Galeere noch zu weit von der „Isabella“ entfernt war, aber er wollte es dennoch mit genau berechneten Zündschnüren probieren. Schließlich hatte er auf diesem Gebiet bereits eine Menge Erfahrung.

„Meinetwegen“, sagte Hasard. „Probieren geht über Studieren.“

Die Heckdrehbassen der „Isabella“ konnten noch nicht eingesetzt werden, weil sich die Galeere außerhalb ihrer Schußweite befand.

Big Old Shane und Batuti schickten inzwischen weitere Brandpfeile auf die Reise.

Ferris legte die erste Höllenflasche auf die Abschußrampe. Das Ding war mit Pulver, gehacktem Eisen und Blei gefüllt und hatte eine Zündschnur, die genau den Berechnungen des rothaarigen Schiffszimmermanns entsprach.

Während Hasard nickte, stieß er einen Knurrlaut aus und löste die Schleudervorrichtung aus. Die erste Flaschenbombe segelte in hohem Bogen durch die Luft und klatschte ein ganzes Stück von der „Isabella“ entfernt in das Kielwasser.

Ferris hatte, bedingt durch die Entfernung, von vornherein nicht damit gerechnet, die Galeere zu treffen. Aber auch im Wasser treibend und sogar unter Wasser konnten die Dinger noch losgehen, wenn man es richtig anstellte. Und genau darauf hatte er spekuliert.

Die zweite Flasche folgte der ersten, eine dritte und vierte flogen hinterher – immer hinein in das schäumende Kielwasser, das die Galeere wenig später passieren würde.

Die Seewölfe hielten einen Augenblick den Atem an, und Ferris Tukker wollte schon einen ellenlangen Fluch vom Stapel lassen, weil sich anscheinend nichts tat. Da krepierte plötzlich eine der Höllenflaschen. Und gleich darauf noch eine. Sie explodierten genau zu dem Zeitpunkt, in dem die Galeere über sie hinweglief und sie untermangelte. Die übrigen Flaschenbomben buddelten ab, ohne zu zünden. Aber immerhin – die Detonationen unter Wasser schienen nicht ohne Wirkung zu bleiben.

Durch den Rumpf der Galeere ging ein heftiges Rütteln, gleich darauf tönten erneut laute Schreie über die Decks. Unterhalb der Wasserlinie schienen einige Planken eingedrückt worden zu sein. Es entstand Wuhling, die Riemen gerieten durcheinander, und die Galeere sackte deutlich tiefer.

Der Kapitän brüllte laute Kommandos, während sein Schiff achteraus zurückblieb.

„Bravo, Ferris!“ rief Edwin Carberry und hieb dem Schiffszimmermann die Pranken auf die Schulter. „Jetzt können sich die Seegurken die Seelen aus dem Leib lenzen. Hoffentlich kriegen sie nasse Füße bis hoch zum Hals!“

Auch der Seewolf klopfte Ferris Tucker anerkennend auf die Schulter, zumal bereits die ersten Polen über Bord sprangen. Offenbar wurde man der Lecks doch nicht mehr Herr.

„Schon gut“, brummte der rothaarige Riese und schnitt ein verbiestertes Gesicht. „Ich kann mir trotzdem nicht erklären, warum nur zwei Flaschen gezündet haben. Genaugenommen hätte es diesen Torfkahn in Stücke reißen müssen.“

„Jetzt halte aber die Luft an“, sagte Hasard. „Zwei Treffer sind schließlich auch was. Oder vielleicht nicht?“

„Hh“, stieß Ferris hervor und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Die Blindgänger wurmen mich trotzdem.“

Der Seewolf grinste.

„Hoffentlich hebt sich deine Laune wieder, wenn der Kasten auf Grund geht.

Was die Blindgänger betrifft, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, die die Zündung verhindert haben.“

„Welche?“ fragte Ferris interessiert.

„Nun“, fuhr Hasard fort, „entweder befand sich bei ihnen der Zündfunke noch außerhalb der Flasche und wurde daher beim Eintauchen gelöscht, oder der Flaschenhals war nicht dicht genug, so daß Wasser eindringen konnte, das gleichfalls den Funken in der Lunte erstickte und die Pulverladung unter Wasser setzte. Vielleicht sollten wir auf diesem Gebiet noch etwas experimentieren. Aber Grund zur Zufriedenheit haben wir auf alle Fälle.“

„Experimente sind immer gut“, mischte sich Old Donegal ein. „Man könnte ja dem Kutscher mal eine Flasche in die Suppe stecken. Wenn sie zündet, kann er die Erbsen hinterher von der Decke schaben.“

„Was anderes fällt dir wohl auch nicht ein, wie?“ fragte Ferris und warf dem Alten einen finsteren Blick zu.

Doch Old Donegal kicherte.

„Wenigstens weißt du dann, daß der Flaschenhals dicht war, und der Funke nicht in der Erbsensuppe ersoffen ist.“

Nun wurde die Aufmerksamkeit der Männer wieder auf die Galeere gelenkt. Dort waren mittlerweile auch noch die letzten Polen von Bord gegangen, und zwar in panikartiger Hast. Dazu hatten sie auch allen Grund.

Die Galeere krängte stark nach Backbord und ging langsam auf Tiefe. Verschiedene Brände, die durch die Pfeile der Seewölfe aufgeflackert waren, erloschen mit lauten Zischen, als die Decks vom Wasser überspült wurden.

„Alles hat auch seine Vorteile“, stellte der Profos sachkundig fest. „Die Kerle brauchen jetzt nicht mehr zu lenzen, und das Löschen der Feuerchen können sie sich ebenfalls sparen. Und dafür sagen die nicht einmal dankeschön!“

Den restlichen drei Galeeren des ehemaligen Fünferverbandes schien jegliche Angriffslust verlorengegangen zu sein. Vielleicht hielten auch sie die merkwürdigen Explosionen unter Wasser für Teufelswerk. Jedenfalls stellten sie die Verfolgung der beiden Galeonen ein und verschwanden bald darauf hinter der achteren Kimm.

4.

Langsam, Schritt für Schritt, stapfte der ärmlich gekleidete Mann durch den mit Tang überhäuften Sand. Dabei hielt er sich immer dicht ans Wasser, seine Füße wurden mitunter durch die Ausläufer der Brandung überspült.

Das kantige und wettergegerbte Gesicht des Mannes wirkte ernst und angespannt. In seinem Gang lag ein Anflug von Nervosität. Von Zeit zu Zeit verharrte er und sicherte scheu wie ein Tier, dem der Jäger auf der Spur ist, nach allen Seiten. Hin und wieder bückte er sich und hob etwas auf. Nachdem er es kurz in Augenschein genommen hatte, ließ er es in dem derben Jutesack verschwinden, den er über der linken Schulter trug.

Jetzt, im Morgengrauen des 2. April 1593, erinnerte nicht mehr viel an den heftigen, auflandigen Sturm, der während der Nacht getobt hatte und wie ein Inferno über die samländische Westküste hinweggebraust war.

Vorbei war das Heulen und Pfeifen des Windes, vorbei das Tosen der Brandung und das Aufspritzen der Gischt. Die See hatte sich wieder beruhigt, die schwarzen Sturmwolken waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Die Sonne schob sich wie ein riesiger roter Ball am Horizont hoch und schickte sich an, die letzten grauen Dunstschwaden, die wie zerfetzte Tücher über der Wasserfläche schwebten, aufzulösen.

Fritz Strakuweit, so hieß der Mann, der den Strand absuchte, stammte aus dem kleinen Küstenort Palmnicken. Und er war auf der Suche nach Bernstein, jenem versteinerten Harz von Nadelbäumen längst vergangener Zeiten, das man auch das Gold der Ostsee nannte.