Seewölfe Paket 28 - Roy Palmer - E-Book

Seewölfe Paket 28 E-Book

Roy Palmer

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Beschreibung

Ein Schrei gellte durch den Harem. Er wieß Philip Hasard Killigrew den Weg - um die nächste Ecke des Korridors auf eine der Türen zu, die mit Perlenschnüren verhängt waren. Mit einem Satz war der Seewolf im Inneren - und hatte den Mörder vor sich. Zaira war vor Schreck auf die Knie gesunken. Jetzt schrie sie wieder gellend. Der Mörder in der Kutte hatte den Krummdolch gehoben und wollte zustechen. Hasard erreichte ihn mit einem letzten gewaltigen Satz, packte den Maskierten und riß ihn von der Frau weg. Sie landeten beide auf dem Marmorboden und rutschten bis zur Wand. Zaira schrie wieder. Der Maskierte wollte Hasard den Dolch in die Seite rammen...

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Impressum© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-996-3Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 541

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 542

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 543

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 544

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 545

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 546

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 547

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 548

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 549

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 550

Seewölfe Nr. 550

Nr. 551

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 552

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 553

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 554

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 555

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 556

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 557

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 558

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 559

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 560

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Auf dem Basar von Masquat ging es schon am frühen Morgen rege zu. Es war nicht leicht, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Turbanträger palaverten und handelten, Verkäufer priesen ihre Ware lautstark an, Musikanten spielten auf einem Podium – die Männerwelt war in einem Chaos aus Farben und Geräuschen unter sich.

In den alten Gemäuern der Kasbah tauchte hin und wieder das verschleierte Gesicht einer Frau hinter einem winzigen Fenster auf, verschwand aber sogleich wieder, wenn sich der Blick eines Passanten auf sie richtete.

Edwin Carberry, der mit einem siebenköpfigen „Stoßtrupp“ der „Santa Barbara“ in den engen Gassen unterwegs war, ließ sich von dem Getümmel nicht beeindrucken.

Er hatte einen Auftrag, und diesen Auftrag gedachte er strikt und rigoros auszuführen. Großeinkauf – der Kutscher hatte eine Liste angefertigt, auf der vom Maismehl bis zu geschlachteten Hühnern so gut wie alles aufgeführt war, was das Herz der Mannen begehrte.

Nur Wein, Bier und Schnaps hatte der Kutscher nicht mit aufgeschrieben. Diese Flüssigware galt im Reich der Muselmanen als „Teufelszeug“ und war deshalb durch die Gesetze des Korans verboten. Aber immerhin – der Seewolf und seine Mannen hatten davon noch genügend Vorräte an Bord.

Beim Einkauf ging es in erster Linie darum, wieder frische Lebensmittel in den Proviantlasten der Galeone zu verstauen. Aus diesem Grund hatte der Seewolf Masquat angelaufen und war im Hafen vor Anker gegangen. Dies war im Morgengrauen geschehen. Jetzt, um sechs Uhr, bewegte sich der Trupp durch die Kasbah.

Die Mannen – außer dem Profos waren Mac Pellew als „Kombüsenexperte“, Matt Davies, Higgy, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Don Juan de Alcazar und Stenmark mit von der Partie – hielten aufmerksam nach geeigneten Marktständen oder Läden Ausschau, in denen die begehrten Güter angepriesen wurden.

Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga, begleiteten die acht Männer. Sir John hockte auf Carberrys mächtiger Schulter – neugierig wie immer. Arwenack trottete neben Higgy her und griff hin und wieder nach dessen Hand.

Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, was wiederum oft zu Witzeleien Anlaß gab. Higgy trug es mit Gelassenheit. Nichts konnte sein irisches Gemüt erschüttern, auch der seltsame Humor eines Edwin Carberry nicht.

Die Männer stiegen Treppen hoch und begaben sich in den etwas höher gelegenen Teil der Kasbah. Immer wieder blieb Carberry stehen, warf Blicke auf die Liste und kratzte sich an seinem Rammkinn.

„Maismehl“, sagte er gedehnt. „Weiß der Henker, wo wir das kriegen.

Matt stieß einen leisen Fluch aus, weil er um ein Haar über die ausgestreckten Beine eines an einer Hauswand hockenden Bettlers gestolpert wäre.

„Wie wär’s, wenn wir erst mal einen zur Brust nehmen?“ fragte er mit verdrossener Miene. „Hier ist es im Monat März schon verdammt heiß, finde ich. Und die Zunge klebt mir am Gaumen fest.“

Der Profos drehte sich gemächlich zu ihm um. „Du hast wohl schon wieder vergessen, daß in arabischen Ländern nicht gesoffen wird, was, Mister Davies? Wie?“

„Ja, zur Hölle, das habe ich.“

„Dann schreib es dir hinter deine Segelohren.“

„Aye, Sir.“

„Außerdem sind wir im Dienst“, sagte Carberry. „Und im Dienst wird, nicht gesoffen.“

Mac Pellew trat vor den Profos hin. „Warum fragen wir nicht einfach jemanden, wo wir unsere Sachen kriegen, statt wie die Idioten durch die Gegend zu laufen?“

Carberry deutete auf einen bis auf die Knochen abgemagerten Araber, der sich an ihm vorbeidrücken wollte. „Frag ihn.“

„Wo erhalten wir hier frischen Proviant?“ erkundigte sich Mac bei dem Kerl, der sofort ein leutseliges Grinsen aufsetzte.

„Yallah, Yallah“, antwortete der Kerl, dann verschwand er.

„Frag noch ein paar Leute“, sagte der Profos. „Irgendwann triffst du bestimmt einen, der Englisch kann.“

„Wir hätten doch die Zwillinge mitnehmen sollen“, sagte Stenmark. „Die hätten sich verständigen können.“

„Wir haben sie aber nicht dabei“, sagte Carberry. „Außerdem wird hier nicht Türkisch gesprochen, sondern arabischer Dialekt oder so was. Im übrigen kommen wir auch allein zurecht. Also, Mac, wir gehen dann schon mal weiter.“ Er schaute zu Higgy und Arwenack. „Los, setzt eure Affenärsche wieder in Bewegung.“

Der Trupp marschierte weiter. Mac Pellew murmelte eine Verwünschung und schloß sich den Kameraden wieder an. Was blieb ihm anderes übrig? Hier konnte gewiß keiner Englisch. Überhaupt, nirgends war auch nur ein Mensch zu entdecken, der annähernd wie ein Europäer wirkte. Seltsam. Gab es hier nicht einmal Spanier, Portugiesen oder Franzosen?

Carberry betrachtete ein paar Stände, vor denen sich schnatternde Araber stritten.

„Mist, hier gibt es nur Klamotten“, sagte er vernehmlich.

Die Araber verstummten und blickten ihn nachdenklich und mißtrauisch an. Dann nahmen sie ihr Palaver wieder auf.

Plötzlich trat aus einem schmalen, dunklen Gang ein feister kleiner Mann auf den Trupp zu. Er trug ein angeschmutztes weißes Gewand und einen grünen Turban. Er lächelte und verneigte sich.

„Sidi“, sagte er zu Carberry. „Du Spanien? Portugal?“

„Nein, England“, knurrte der Profos.

„Schade“, flüsterte der Mann auf Portugiesisch. „Du nicht verstehen. Ich weg.“

„Ich doch verstehen“, entgegnete Carberry. „Ich kann Spanisch.“

„Oh, auch ich. Ein bißchen“, sagte der Araber.

„Wunderschön“, sagte Don Juan de Alcazar. „Vielleicht kannst du uns weiterhelfen. Wir suchen etwas.“

Der Kerl verbeugte sich wieder. „Oh, gut. Ich haben. Du Frau?“ Er blinzelte Carberry zu. „Nett, fett? Ich führen.“

„Wir haben was zu erledigen“, erwiderte der Profos.

„He, Moment mal“, mischte sich Higgy ein. „Kannst du uns nicht für ’ne halbe Stunde beurlauben, Ed?“

„Ausgeschlossen. Und arabische Frauenzimmerwollen mit Kerlen, die wie Affen stinken, nichts zu tun haben.“

Higgys Miene war zerknirscht. „Daß man dauernd in der Richtung verarscht werden muß!“ Er schüttelte Arwenacks Hand ab. „Los, lauf mal allein ein Stück weiter.“

Arwenack senkte den Kopf und sonderte sich einen halben Yard ab. Er war nun mal ein sensibler Affe und verkroch sich am liebsten ganz, wenn seine Leute schlechte Laune hatten oder sich ein Bordgewitter anbahnte.

„Sidi“, sagte der Araber vergnügt und zupfte an Carberrys Hemdsärmel. „Du Sklavin kaufen? Ein Zauber, sauber. Nicht teuer.“

„Wir brauchen Proviant“, sagte der Profos mit einem Gesicht, als wolle er den Kerl auf der Stelle mit Haut und Haaren verschlingen.

„Brot, Mehl, Fleisch und Fisch?“ fragte der Araber.

„Ja.“

„Ich haben. Ich führen.“

„Na endlich.“ Carberry atmete auf, und sogar sein Gesicht wurde etwas freundlicher. „Das wurde aber auch Zeit. Los beeil dich, wir wollen den Kram endlich hinter uns bringen.“

Der Araber setzte sich an die Spitze der Gruppe. Man tauchte in dem Gang unter, marschierte etwa fünfzig Schritte weit und stieg dann Treppenstufen hinunter, die in gähnende schwarze Finsternis führten.

„Hoffentlich ist das keine Falle“, sagte Don Juan.

„Ausplündern lassen wir uns nicht, keine Sorge“, brummte der Profos. Aber ganz geheuer war auch ihm die Sache nicht.

„Wo ist Arwenack?“ fragte Paddy Rogers den Iren.

„Weggelaufen“, erwiderte Higgy. „Aber der findet sich schon wieder an.

Sir John hatte von der Profos-Schulter abgehoben und flatterte hinter dem beleidigten Affen her. Es war nicht das erste Mal, daß die Maskottchen der Seewolf-Crew ihre eigenen Wege gingen – beziehungsweise flogen. Man brauchte sich deswegen nicht zu sorgen. Sie fanden immer wieder zum Schiff zurück.

Öllampen wiesen den Mannen der „Santa Barbara“ den Weg in die Tiefe. Sie blieben stehen und stellten fest, daß sie sich in einem riesigen Kellergewölbe befanden.

Carberry hielt den Araber an der Schulter fest.

„Was ist das hier?“ fragte er drohend. „Eine Kaschemme?“

„Eine Markthalle, Sidi“, versicherte der Kerl treuherzig.

„Wenn das nicht stimmt, kannst du schon jetzt dein letztes Gebet sprechen“, sagte der Profos.

„Ich ehrlich“, sagte der kleine Dicke.

Im dämmrigen Licht der Lampen schritten die Männer durch das Gewölbe und bogen um eine Ecke. Wieder verharrten sie unwillkürlich. Vor ihnen türmten sich Fässer, Kisten und Säcke. In einem schier unüberschaubaren Durcheinander von Waren standen weiße Männer und Araber.

Es duftete nach Pökelfisch und Rosinen, nach Tee und Gewürzen. Einer der Männer – ein vollbärtiger Hüne wandte sich zu ihnen um und blickte den kleinen Dicken fragend an.

Als dieser ihm ein beschwichtigendes Zeichen gab, lächelte der Mann und sagte: „Willkommen in Masquat.“ Er sprach portugiesisch.

Sultan Quabus bin Said war ein großer, gutaussehender Mann um die Mitte der Vierzig, mit glattem Gesicht und durchdringend blickenden dunklen Augen. Wie versteinert war seine Miene an diesem Morgen, als er durch den Park seines Palastes schritt.

Mustafa, sein wichtigster Berater, folgte ihm auf dem Fuß. Entsetzen und Bestürzung herrschten im Haus. Lähmende Furcht hatte die Haremsfrauen, die Eunuchen und Bediensteten gepackt. Keiner vermochte sich das Verbrechen zu erklären, das in der Nacht geschehen war.

Schweigend betraten die beiden Männer das Frauenhaus. Mustafa hatte Sonderrechte – er war außer dem Sultan der einzige Mann, der hier ein- und ausgehen durfte. Quabus bin Saids Vertrauen in den hageren, wendigen Mann war absolut. Vor Jahren hatte er Mustafa das Leben gerettet. Mustafa war ihm dafür ewig dankbar.

Weinen und klagende Laute erfüllten die Haremsgänge. Quabus bin Said schritt durch den Perlschnürenvorhang in eins der Gemächer und blieb vor der Frau stehen, die gekrümmt auf einem Kissenlager hockte. Sie hielt die Hände vors Gesicht gepreßt und schluchzte.

„Zaira“, sagte der Sultan. „Du solltest endlich aufhören. Von deinem Weinen wird Lamia nicht wieder lebendig.“

Zaira, eine vollbusige Brünette, stöhnte verzweifelt auf. Sie war es gewesen, die in der Nacht Lamia gefunden hatte – tot, in einer Blutlache, von mehreren Messerstichen durchbohrt. Zaira gehörte ebenfalls zu den Lieblingsfrauen des Sultans.

Gemeinsam mit Lamia hatte sie in der Nacht ihren Herrn aufsuchen und beglücken sollen. Doch alles war ganz anders gekommen. Schreiend hatte Zaira Alarm geschlagen.

Die Eunuchen hatten den Täter überall gesucht. Vergebens. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es fehlte jegliche Spur von ihm.

Mit tränenüberströmtem Gesicht sah die Frau zu ihrem Herrn auf.

„Wer hat es getan?“ fragte sie mit bebender Stimme. „Wer kann so grenzenlos grausam und gemein sein?“

„Ich werde den Mörder finden“, erwiderte der Sultan.

„Wir werden ihn stellen“, sagte Mustafa.

Zaira atmete tief durch. „Du hast uns alle verhört, o Herr“, sagte sie. „Aber es kann keiner von uns gewesen sein.“

„Wer sonst?“ fragte der Sultan mit ruhiger Stimme. „Kein Mensch kann diesen Palast betreten, ohne daß er mir gemeldet wird. Sämtliche Ein- und Ausgänge werden Tag und Nacht bewacht.“

„Trotzdem muß sich jemand eingeschlichen haben“, sagte Zaira.

„Wie?“ wollte Mustafa wissen.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

„Wir werden Lamia bestatten“, sagte Quabus bin Said. „Dann werde ich nachdenken. Ich werde jeden einzelnen sorgfältig überprüfen. Und der, auf den mein Verdacht fällt, dem gnade Allah.“

Zaira begann wieder zu weinen. „Die arme Lamia! Sie hatte doch keinem etwas getan!“

„Der Mörder will mich treffen“, erklärte der Sultan. „Wer immer es ist, er will sich an mir rächen, mir eins auswischen. Wenn ich ihn gefaßt habe, werde ich ihn aufspießen und vierteilen lassen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ das Gemach.

An den Räumen, in denen die anderen Frauen den Tod der schönen Lamia beklagten, ging der Sultan nur vorbei. Er begab sich in Lamias Gemach.

Sie lag in der Mitte des Hauptraumes aufgebahrt. Quabus bin Said gab Mustafa einen Wink. Mustafa verschwand wie ein Geist. Quabus bin Said wollte mit der Toten allein sein.

Fast eine halbe Stunde lang hielt der Sultan mit der Toten ein stummes Zwiegespräch. Dann küßte er sie ein letztes Mal. Er verließ den Harem und kehrte in das Hauptgebäude des Palastes zurück. Mustafa durfte ihm nun wieder Gesellschaft leisten. Sie setzten sich und blickten sich schweigend an.

„Ich habe sie wirklich geliebt“, sagte der Sultan schließlich.

„Das weiß ich, o Herr“, erwiderte Mustafa.

„An dem, der sie umgebracht hat, werde ich mich furchtbar rächen.“

„Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“

Quabus bin Said sah seinen engsten Vertrauten voll an. „Hast du keinen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“

„Nein, noch nicht.“

„Eine der Frauen“, sagte der Sultan. „Sie war eifersüchtig auf Lamia.“

„Die Frauen haben zusammengesessen, als es geschah“, erklärte Mustafa. „Und keine von ihnen hat einen Dolch. Wir wissen aber, daß Lamia mit einem Dolch getötet wurde. Der Wundarzt hat sie genau untersucht.“

„Ich traue ihm. Und wenn Zaira es getan hat?“

„Sie hat ebenfalls keinen Dolch und konnte auch aus der Waffenkammer keinen Dolch entwenden“, entgegnete Mustafa. „Wir haben die Waffenkammer kontrolliert. Es fehlt kein einziges Messer.“

„Was ist mit den Eunuchen?“

„Sie schwören, unschuldig zu sein.“

„Wenn ich den Mörder nicht finde, werde ich die Kerle dem peinlichen Verhör unterziehen“, sagte Quabus bin Said. „Und auch das Gesinde.“

„Die Möglichkeit, daß der Täter von außen eingedrungen ist, müssen wir aber auch prüfen, Herr“, sagte Mustafa. „Es ist immerhin denkbar, daß er sich eingeschlichen hat. Vielleicht hat er einen der Wächter bestochen.“

Der Sultan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wir werden es in Erfahrung bringen. In diesem Palast hat es noch nie einen Mord gegeben. Ein Fluch lastet über dem Haus. In Wirklichkeit hat man es auf mich abgesehen. Man will mich vom Thron stürzen, indem man mich verunsichert und mir Angst einzujagen versucht.“

Mustafa sah seinen Herrn entgeistert an. „Aber – das kann ich nicht glauben. Das bildest du dir nur ein, Herr!“

Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Ich ahne, daß sich etwas zusammenbraut. Ein Komplott. Eine Palastrevolution. Aber ich werde meine Gegner vernichten! Ich werde sie eigenhändig in der Luft zerreißen!“ Er sprang auf und schüttelte zornig die Fäuste.

2.

Carberry trat als erster auf den Bärtigen zu.

„Ja, danke“, sagte er. „Wo sind wir hier eigentlich gelandet?“

„In der besten Gegend von Masquat“, erwiderte der andere. Er streckte dem Profos die Hand entgegen. „Ich bin Silvestro Moravia.“

Carberry ergriff die Hand und drückte sie fest. Moravia verzog keine Miene, aber ihm war doch anzusehen, daß er litt.

„Du bist Portugiese, und das hier sind deine Freunde?“ fragte Carberry.

„Richtig. Meine Mitarbeiter. Wir handeln mit so gut wie allem, was du dir vorstellen kannst. Und wer seid ihr?“

„Unser Kapitän ist Philip Hasard Killigrew“, entgegnete der Profos. „Wir sind, gerade erst mit unserem Schiff eingelaufen.“

„Engländer also“, sagte der Portugiese und blickte die Mannen einen nach dem anderen an.

„Der größte Teil“, sagte Carberry. „Aber zur Sache. Wir brauchen Proviant, vor allem frisches Zeug. Wir wollen einkaufen. Ist das hier möglich?“

„Aber natürlich“, erwiderte Moravia lachend. Er breitete die Arme aus. „Unser Lager gehört euch! Sucht euch aus, was ihr haben wollt! Wir haben günstigere Preise als das Araber-Pack, und wir hoffen, daß bald auch die letzten Buden dieser Alis aus der Kasbah verschwunden sind. Dann breiten wir uns auch dort aus!“

Matt Davies stieß einen leisen Pfiff aus. Higgy und Paddy tauschten Blicke. Mac stieß Stenmark mit dem Ellenbogen an.

Don Juan sagte: „Ihr Portugiesen seid also dabei, den einträglichen Handel an euch zu ziehen, wie?“

„So ist es“, erwiderte Moravia. „Wir sitzen seit ein paar Jahren hier und haben bescheiden angefangen. Natürlich können wir das Gesindel nicht gewaltsam vertreiben. Dazu sind wir zu wenige, außerdem würde der Sultan nicht mitspielen. Wir booten die Brüder ganz langsam und heimlich aus.“

„Das sind ja feine Methoden“, sagte Don Juan.

Moravia fixierte ihn. „Hast du was dagegen?“

Don Juan de Alcazar hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Wenn der Sultan keine Einwände hat, was soll ich als Fremder dann beanstanden?“

Carberry, Mac, Matt, Higgy und die anderen taxierten routinemäßig die anderen Männer, die zu der Belegschaft des unterirdischen Warenlagers gehörten. Zehn Portugiesen, drei Araber – und der kleine Dicke, der, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, auf den Namen Halef hörte. Mit Moravia waren das also fünfzehn Mann, die man im Falle einer Auseinandersetzung gegen sich hatte. Aber warum sollte man sich streiten? Dazu bestand nicht der geringste Anlaß.

Moravia grinste breit. „Ja, da hast du recht. Na los, Freunde, nun fangt schon an. Womit können wir euch als erstes dienen?“

Der Profos holte wieder seine Liste zum Vorschein. „Mit Maismehl.“

„Wieviel Pfund?“

„Erst mal fünfzig“, erwiderte Carberry. „Dann sehen wir weiter. Habt ihr auch frisches Gemüse und Obst?“

Der bärtige Portugiese lachte und rieb sich die Hände. „Alles, was das Herz begehrt! Das habe ich dir doch gesagt! Schau her!“ Er griff hinter sich und wies zwei große, rote Pfirsiche vor. „Hast du jemals so große Früchte gesehen?“

„Selten“, erwiderte Carberry.

„Willst du mal reinbeißen?“

Der Profos hob abwehrend die Hand. „Nein, ich habe schon gefrühstückt. Wie sieht es mit Fisch aus?“

„Von der Sardine bis zum Seewolf ist alles vorhanden“, erklärte Moravia.

„Wenn das kein gutes Omen ist“, sagte Jack trocken.

„Ihr seid tüchtige Leute“, sagte Mac Pellew zu Silvestro Moravia, doch seiner gallebitteren Miene war abzulesen, daß er nach wie vor argwöhnisch war.

„Wir tun, was wir können“, entgegnete der Portugiese und warf Halef einen bedeutungsvollen Blick zu. Halef kicherte und fügte hinzu: „Und wenn ihr Sklaven, Maultiere oder bunte Vögel wollt, so werden auch die im Handumdrehen beschafft. Und Weiber – Weiber gibt es in Hülle und Fülle, in allen Altersklassen.“

Moravia grinste immer noch. „Halef ist ein alter Lustmolch, er hat nur die Frauenzimmer im Kopf. Hört nicht auf ihn. Er glaubt nicht, daß es verboten ist, Frauen an Bord von Segelschiffen zu holen.“ Völlig übergangslos fragte er: „Wer ist denn dieser Kapitän Killigrew?“

„Ein guter Kapitän“, erwiderte Carberry.

„Das glaube ich, aber ich meine was anderes. Seid ihr Handelsfahrer?“

„Forschungsreisende“, erklärte Carberry allen Ernstes. Seine Kameraden hatten Mühe, ein Grinsen zurückzuhalten.

Moravia zog die Augenbrauen hoch. „Und was erforscht ihr?“

Wieder war der Profos um keine Antwort verlegen. „Ach, die große, weite Welt. Wir sind in China gewesen, auf den Molukken und anderswo. Von überall haben wir ein paar seltene Gewürze und Blumen mitgebracht. Es handelt sich um einen Auftrag des englischen Königshauses.“

„Das ist ja hochinteressant.“

„Ja, ist es.“

„Und ihr habt Geld?“ fragte der Portugiese.

„Genug Geld, um deine Waren zu bezahlen“, entgegnete der Profos. „Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten.“

„Ich habe es gewußt“, sagte Moravia zufrieden lächelnd. „Unter Ehrenmännern versteht man sich auf Anhieb.“

Während sich die beiden unterhielten, hatte Mac Pellew einen kleinen Streifzug durch das Gewölbe unternommen. Er blieb mal hier und mal da stehen, hielt seine Nase in Rosinenkisten und Rübensäcke, schnupperte und inspizierte. Was sich hier dem Auge und dem Riechorgan bot, war wirklich erstklassige Ware. Nichts daran auszusetzen – die Arwenacks waren nur gut beraten, wenn sie sich hier eindeckten.

Plötzlich tauchte einer der Araber neben Mac auf. Er hielt eine Hand an den Mund und zischelte: „Herr, seid vorsichtig. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!“

„Wie meinst du das?“ fragte Mac verblüfft. Er war ohnehin erstaunt, daß das Kerlchen die portugiesische Sprache beherrschte.

„Die Sachen sind alle geklaut.“

„Schmuggelware?“ flüsterte Mac.

„Schlimmer. Das meiste wird den arabischen Händlern einfach entrissen. Sie sind machtlos dagegen.“

„Und warum bist du dabei?“ raunte Mac dem Araber zu.

„Weil sie mich sonst umbringen“, erwiderte das Kerlchen. „Ich habe mich ihrem Spiel verschrieben, kann nicht mehr fort. Ich kann euch nur warnen, Herr. Wenn euch jemand verpfeift und der Sultan erfährt, daß ihr Diebesware auf euer Schiff nehmt, dann droht euch die Todesstrafe.“

„Feine Sitten hier in Masquat“, brummte Mac. „Ich frage mich bloß, warum die Bande bisher noch nicht aufgeflogen ist? Ist der Sultan denn blind?“

„Sultan Quabus bin Said ist mit den portugiesischen Kapitänen, die in Masquat wohnen, gut Freund. Außerdem hat Moravia einen Kadi und einen Mufti bestochen. Die halten ihm den Rücken frei.“

„Verstehe.“

„Osman!“ rief Moravia plötzlich. „Wo steckst du, du Halunke? Komm her! Du füllst das Maismehl in Säcke ab, oder es gibt Zunder!“

„Ja, Herr!“ Osman, das Kerlchen, war wie der Blitz von Macs Seite verschwunden und gesellte sich mit solcher Geschwindigkeit zu seinen beiden Landsleuten zurück, daß Moravia und die anderen Portugiesen nichts von seinem Abstecher bemerkten. Die Säcke, Kisten und Fässer waren dazwischen – als ideale Versteckmöglichkeit.

Carberry hatte Moravia eine Goldmünze gezeigt. Moravia war begeistert. Mac Pellew gab seinem Profos zwar einen Wink, aber es geschah nicht mehr rechtzeitig genug. Der Portugiese wußte nun, daß die Mannen Gold- und Silbermünzen in ihren Gürteln trugen. Seine Gier war geweckt.

Carberry sah die Gebärde und schritt zu Mac hinüber.

„Na, was ist denn?“ fragte er.

„Sieh dir mal diese Rosinen hier an“, sagte Mac. Sein Blick besagte einiges. Carberry begriff. Sie traten hinter die Rosinenkisten, und der Profos setzte eine verkniffene Miene auf.

„Stimmt was nicht?“ fragte er.

Mac berichtete, was Osman ihm verraten hatte.

Carberry stieß einen leisen Fluch aus. „Ich hab’s ja geahnt. Hier ist also doch was oberfaul.“

Silvestro Moravia tauchte plötzlich bei ihnen auf.

„Ist was nicht in Ordnung mit den Rosinen?“ fragte er.

„Wir sind noch am Überlegen“, erwiderte der Profos. „Ganz sicher bin ich mir nicht, ob unser Kapitän Rosinen haben will. Sie stehen auch auf meiner Liste nicht mit drauf.“

Moravia lachte wieder einmal. „Dann nimm doch was anderes. Wie wäre es mit frischen Trauben?“

„Am liebsten wäre mir, unseren Kapitän erst zu fragen“, erwiderte Carberry. „Ich meine, die Entscheidung liegt ja letztlich bei ihm, nicht wahr? Am besten hole ich ihn, und er sieht sich alles selber an.“

„Von mir aus“, entgegnete der Portugiese. „Deine Kameraden können ja solange hierbleiben.“

„Nein, die gehen auch mit“, sagte der Profos.

Moravias Augen wurden schmal. „Was soll denn das? Eben warst du richtig versessen darauf, das Geschäft mit mir abzuschließen. Es ging dir gar nicht schnell genug. Sind dir jetzt Zweifel gekommen?“

„Das mußt du schon mir überlassen“, erwiderte Carberry. Allmählich platzte ihm der Kragen.

Moravias Miene wurde finster. „So haben wir aber nicht gewettet, Freundchen. Ein Ehrenmann hält an seinen Entscheidungen fest. Du zahlst für die Waren, Mann, und dafür beladen wir euch mit Fässern und Säcken. Abgemacht ist abgemacht.“

„Ach, rutsch mir doch den Buckel runter“, sagte der Profos. Er wandte sich ab, behielt den Bärtigen aber im Auge. Er gab seinen Männern einen raschen Wink. „Los, Abmarsch, Freunde. Wir halten erst Rücksprache mit dem Kapitän.“

„Alles verrammeln!“ brüllte Moravia plötzlich. „Laßt die Kerle nicht raus! Sie wollen uns reinlegen. Sie haben Lunte gerochen!“

Zwei der Portugiesen rannten durch das Gewölbe und rammten ein Tor dicht. Sie schoben einen Riegel vor und zückten ihre Waffen – Pistolen. Auch die anderen hatten wie durch Zauberei jetzt Pistolen und Säbel in den Fäusten.

Moravia selbst hastete an Carberry vorbei und verstellte ihm den Weg. Mac war dicht hinter dem Profos. Beide griffen nach den Waffen. Auch Don Juan, Matt und die anderen waren kampfbereit.

Carberry blieb stehen, Moravia schrie ihn an: „So einfach kommst du mir nicht davon, du englischer Hurensohn?“

„Wie hast du mich genannt? Einen englischen Hurensohn?“

„Ja!“

„Und warum dürfen wir deinen Laden nicht einfach verlassen, du portugiesischer Bastard, weil wir es uns anders überlegt haben?“ dröhnte Carberrys Stimme.

„Weil das hier nicht üblich ist!“ brüllte der Portugiese.

„Ich hab’s“, sagte Mac hinter dem Rücken des Profos’. „Hier in Masquat ist eben alles anders. Das ist es.“

„Schöne Stadt, feine Leute“, sagte Carberry. Dann rammte er Silvestro Moravia die Faust unters Kinn.

Der berühmte „Profoshammer“ verfehlte auch dieses Mal seine Wirkung nicht. Moravia geriet ins Taumeln und stieß röchelnde Laute aus. Carberry ließ die Faust blitzschnell noch einmal auf seinen Schädel hinuntersausen. Der Portugiese kippte gegen ein offenes Faß. Das Faß wackelte und stürzte um. Der Inhalt ergoß sich über den Boden – Öl.

Vier Portugiesen stürmten mit erhobenen Waffen auf die Arwenacks zu. Einer richtete die Pistole auf Matt Davies und drückte mit einem Fluch ab. Matt duckte sich geistesgegenwärtig. Die Kugel schlug in einen großen Ballen. Hirse rieselte aus dem entstandenen Loch.

Das Krachen des Schusses dröhnte überlaut in dem Gewölbe. Osman, der Araber, warf sich jammernd zu Boden. Seine Landsleute folgten seinem Beispiel. Auch Halef ging hinter einem Stapel Kisten in Deckung – er wollte seine Haut nicht zu Markte tragen.

Paddy Rogers fing einen der angreifenden Portugiesen ab, trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein und schlug ihm den Säbel aus der Hand. Der Kerl stolperte zur Seite und prallte mit seinem Nebenmann zusammen. Sie brüllten beide und waren für einen Moment verwirrt.

Carberry und Stenmark bearbeiteten die beiden anderen mit ihren Fäusten, und auch diese beiden gingen zu Boden und leisteten Moravia Gesellschaft.

Mac Pellew, Matt Davies und Higgy unternahmen einen Ausfall gegen die übrigen Gegner. Diese Kerle formierten sich in diesem Moment zum Angriff. Die beiden anderen, die sich mit den zwei von Paddy Gestoppten auf die Mannen werfen wollten, rutschten auf dem öligen Untergrund aus. Sie schlitterten auf Jack Finnegan und Don Juan zu und wurden mit harten Fäusten empfangen.

Die beiden Portugiesen, die das Tor des Gewölbes verrammelt hatten, drehten sich um und hoben ihre Musketen. Sie versuchten, auf die Seewölfe zu zielen, aber ihre eigenen Spießgesellen waren ihnen im Wege. Sie konnten nicht abdrücken, ohne die Kumpane zu gefährden. Fluchend ließen sie die Waffen wieder sinken.

Mac, Matt und Higgy gelang es unterdessen, von den restlichen vier Portugiesen zwei auf Anhieb zu entwaffnen. Matt schlug mit seinem Eisenhaken zu und traf den Arm eines Kerls. Der Kerl schrie, als stecke er am Spieß. Mac trat einem anderen voll gegen das Schienbein. Der Kerl heulte und wollte mit seinem Säbel zuhauen, aber Higgy war neben ihm und knallte ihm die Faust an die Schläfe.

Carberry, Stenmark und Paddy rückten nach. Sie achteten darauf, nicht in das ausgelaufene Öl zu treten. Carberry nahm sich einen Gegner vor, der mit verzerrtem Gesicht die Pistole auf ihn richtete. Bevor er abdrücken konnte, fegte ihm der Profos die Steinschloßwaffe aus der Hand. Sie wirbelte durch die Luft und sauste zwischen die Rosinen. Ein harter Hieb genügte. Der Portugiese krachte auf den Rücken und streckte alle viere von sich.

Higgy hatte sich etwas abgesondert. Er tauchte im Dunkel des Gewölbes unter. Als die beiden Torwächter mit grimmigen Gesichtern auf die Kämpfenden zurückten, huschte Higgy plötzlich von links auf sie zu und stürzte sich auf sie. Den einen riß er sofort zu Boden. Der Kerl flog auf seine Muskete und kam nicht zum Schuß. Der andere fuhr mit einem heiseren Schrei herum, aber auch er konnte seine Waffe nicht mehr abfeuern.

Don Juan war mit zwei langen Sätzen heran und fällte den zweiten Portugiesen mit einem Jagdhieb. Stöhnend landete der Kerl neben seinem Kumpan. Higgy und Don Juan grinsen sich zu, dann wandten sie sich zu den Kameraden um.

Auch dort war die Partie entschieden. Die Portugiesen lagen in friedlichem Schlaf zwischen den Kisten und Fässern – die meisten im Ölbad. Carberry schritt voran, als sei überhaupt nichts geschehen. Paddy rieb sich grinsend die mächtigen Pranken. Mac hielt nach den Arabern Ausschau, doch die befanden sich nach wie vor in Deckung.

„Wir können gehen“, sagte Don Juan de Alcazar. Er deutete eine Verbeugung zu Carberry an und wies mit der Hand zum Tor. „Bitte, Sir, der Weg ist frei.“

Der Profos zog den schweren Eisenriegel auf und öffnete den rechten Flügel des Tores. Mißtrauisch spähte er ins Freie. Ob der Lärm draußen wohl gehört worden war? Das schien nicht der Fall zu sein. Kein Mensch zeigte sich. Und oben, in der Kasbah, herrschte nach wie vor ein Höllen-Zustand. Der Markt entwickelte sich zu einem tosenden Durcheinander.

Carberry drehte sich zu seinen Begleitern um. „Die Luft ist rein. Wir kehren an Bord der ‚Santa Barbara‘ zurück.“

„Wollen wir nicht doch lieber gleich ein paar Sachen mitnehmen?“ fragte Matt Davies.

„Nein.“

„Als Schmerzensgeld, meine ich.“

Carberry schüttelte den Kopf. „Von diesem Pack will ich keinen vergammelten Hering haben.“

„Ed hat recht“, pflichtete Don Juan dem Profos bei. „Das ist eine Frage der Würde und des Prinzips.“

Die Männer stiegen die Treppe hoch, die in die Sonne zurückführte. Hinter ihnen regte sich nichts. Halef, Osman und die beiden anderen Araber wagten es auch jetzt noch nicht, aus ihren Deckungen hervorzukriechen.

Oben in der Gasse blieb der Profos stehen.

„Wo stecken eigentlich Sir John und Arwenack?“ wollte er wissen.

Die Antwort blieben ihm die Mannen schuldig. Statt dessen ertönte plötzlich ein teuflisches Gezeter, das den übrigen Lärm bei weitem überstieg. Einige Turbanträger rannten in eine bestimmte Richtung, und jemand stieß mörderische Schreie aus, etwa so, als habe er soeben den Leibhaftigen gesichtet.

Carberry und den Mannen schwante nichts Gutes. Sie liefen hinter den Arabern her. Sie bogen um eine Ecke – und da sahen sie die Bescherung. Ein ganzer Marktstand war zusammengekracht. Obst und Gemüse lagen auf dem Pflaster, irdene Krüge und Töpfe waren zerbrochen. Ein Bulle von Kerl richtete sich aus dem Durcheinander auf, schüttelte ein Stück roter Zeltplane ab und schüttelte wild die Fäuste. Er war es, der die mörderischen Laute ausstieß.

Über der Szene flatterte ein bunter Vogel. Sir John. Und auch Arwenack war nicht weit. Er versteckte sich in einer Hausnische und schob rasch noch das letzte Stück der Banane, die der erbeutet hatte, zwischen die Zähne. Während er kaute, erblickte er Higgy, der auf ihn zusteuerte. Arwenack traf Anstalten, die Flucht zu ergreifen. Aber der Ire überrumpelte ihn und packte seinen Arm.

„Los, nichts wie weg“, sagte Higgy. „Es hat schon genug Krawall gegeben.“

Sir John keifte und schimpfte. Als er aber den Profos entdeckte, verstummte er und setzte zur Landung an. Sanft landete er auf dessen Schulter und brabbelte etwas, das keiner verstand.

Ruhe trat ein. Die Araber schauten feindselig zu den weißen Eindringlingen. Die Tatsache, daß Higgy Arwenack an der Hand festhielt und Sir John bei Carberry gelandet war, ließ keinen Zweifel darüber offen, wem das „Viehzeug“ gehörte.

Was eigentlich vorgefallen war, erfuhren die Männer erst später. Aber es ließ sich auch so leicht zusammenreimen. Arwenack war wieder mal auf Klau-Tour gegangen.

Der Besitzer des Obst- und Gemüsestandes hatte ihn ertappt und versucht, ihn zu schlagen. Sir John hatte eingegriffen, mit Krallen und Schnabel. Es hatte einen heißen Kampf gegeben, in dessen Verlauf die Bude eingestürzt war.

Der bullige Araber rückte auf den Profos zu. Aber Carberry wollte kein neuerliches Handgemenge – zumal die Schuldfrage in diesem Fall eindeutig geklärt war. Lieber versuchte er, sich auf gütlichem Wege mit dem Mann zu einigen.

Carberry entnahm seinem Gurt zwei Goldmünzen und warf sie dem Bulligen zu. Es war erstaunlich, wie geschickt dieser die Münzen auffing.

Carberry sagte: „Das ist für den Schaden.“

Natürlich verstand der Bullige kein Wort. Aber Gold sprach für sich. Er biß kräftig in die Münzen, grinste und stieß glucksende, gutturale Laute aus. Dann steckte er das Geld weg und begann mit den Aufräumungsarbeiten.

Die Mannen marschierten zurück zum Hafen.

„Das reicht fürs erste“, sagte Carberry grimmig. „Es hat reichlich Stunk, gegeben. Ich schätze, wir können uns hier nicht mehr sehen lassen. Der Kapitän wird verdammt wütend sein, wenn er alles erfährt.“

3.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand auf dem Achterdeck der „Santa Barbara“ und blickte zu den weißen, ineinander verschachtelten Häusern von Masquat. Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und Old O’Flynn leisteten ihm Gesellschaft. Dan O’Flynn war in den Großmars gestiegen und hielt Ausschau.

Auf der Kuhl und auf der Back war vollzählig die Crew versammelt. Alle richteten ihr Augenmerk auf die Kasbah, denn der Tumult war auch ihnen nicht entgangen. Zumindest hatten sie gehört, daß etwas vorgefallen war. Sehen konnten sie allerdings nichts.

Die „Santa Barbara“ ankerte auf der Reede von Masquat. Das Beiboot lag an einer Pier, eingekeilt zwischen bunten und abenteuerlich getakelten Araberschiffen. Carberry und der Landtrupp hatten mit der Jolle übergesetzt. Jetzt kehrten sie damit zum Schiff zurück.

„Sturm ist angesagt“, meldete Dan aus dem Großmars.

In der Tat: Der Profos und die sieben Mannen hatten finstere Mienen aufgesetzt. Arwenack kletterte gebückt in die Jolle und verdeckte sein trübsinniges Affengesicht mit den Händen. Nur Sir John hatte mal wieder einen großen Schnabel. Er zeterte und schimpfte herum. Als Carberry wütend nach ihm griff, hob er vom Dollbord des Bootes ab und flatterte zur „Santa Barbara“.

Hasard beobachtete, wie der Papagei in den Großwanten landete.

„Warzenschweine und Rübenärsche“, schimpfte Sir John.

Die Männer grinsten.

„Was ist denn los?“ fragte Gary Andrews den bunten Vogel.

„Hoch die Plünnen! Gei auf die Hose!“ wetterte Sir John, dann schwebte er zur Back.

„Verdruß gibt es“, sagte Batuti. „Ist doch klar. Wundert mich, daß unsere Leute nicht verfolgt werden.“

Hasard war ebenfalls erstaunt. Nach den Mienen der Landgänger zu urteilen, hatte es mächtigen Ärger gegeben. Um so verblüffender war es, daß keine säbelrasselnden Turbanträger am Kai erschienen und hinter dem Trupp herschrien.

Die Jolle traf ein. Carberry und die Mannen enterten auf. Arwenack verzog sich sofort in die Kombüse. Er suchte beim Kutscher und bei den Zwillingen Schutz und Beistand. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Anders Sir John: der fluchte immer noch herum. Plymmie, die Wolfshündin, die auf der Back ein Nickerchen gehalten hatte, schaute fragend zu ihm auf.

Carberry enterte aufs Achterdeck und berichtete, was vorgefallen war. Die Männer lauschten.

Als der Profos geendet hatte, sagte Hasard: „Du bist sicher, daß der Schuß, der in dem Gewölbe fiel, draußen nicht gehört wurde?“

„Ganz sicher“, erwiderte Carberry grimmig. „Sonst hätten wir jetzt eine Horde von Kerlen am Hals.“

„Ja“, sagte der Seewolf. „Allerdings schätze ich, daß Moravia zu einem Gegenschlag ausholen wird. Die Schmach der Niederlage läßt er bestimmt nicht auf sich sitzen.“

„Soll er doch kommen“, sagte Ferris Tucker. „Wir bereiten ihm und seinen Hundesöhnen einen heißen Empfang.“

„Warum gehen wir nicht mit zwanzig Mann an Land und räumen bei den Portugiesen kräftig auf?“ erklärte Blacky. „Meiner Ansicht nach könnte ein weiterer Denkzettel nichts schaden. Danach lassen die Bastarde bestimmt die Finger von uns.“

„Oder wir hauen aus Masquat ab“, sagte Old O’Flynn. „Mir schwant, daß hier noch mehr böse Überraschungen auf uns warten. Ich halte zwar nichts davon, den Schwanz einzuziehen, aber was nützt es, wenn wir uns für nichts und wieder nichts mit diesen Kerlen herumschlagen? Es bringt uns nichts ein.“

„Das stimmt“, pflichtete Hasard ihm bei. „Aber eins wissen wir. In Masquat gibt es die Waren, die wir brauchen. Also werde ich einen Vorstoß auf dem diplomatischen Weg unternehmen.“

„Auf dem was?“ fragte Paddy Rogers.

„Ich erkläre es dir nachher“, entgegnete sein Freund Jack Finnegan – und wieder mal grinste die Crew.

„Ihr wißt doch, wie Arne das in Havanna macht“, sagte der Seewolf. „Er geht zum Gouverneur, übergibt ihm ein Geschenk und erreicht meistens das, was er bezweckt. Genauso will ich vorgehen. Ich statte dem Sultan einen Besuch ab und kläre ihn ein wenig über das auf, was in seinem Reich geschieht. Mal sehen, vielleicht fällt er ja aus allen Wolken.“

Natürlich hatte Mac dem Profos längst erzählt, was Osman ihm in der unterirdischen Lagerhalle verraten hatte. Carberry hatte es daraufhin in seinen Bericht eingeflochten. Nun wußte man Bescheid, was in Masquat gespielt wurde – die Portugiesen wollten auf raffinierte Weise das Ruder an sich reißen.

„Ganz allein willst du das tun?“ fragte Ben Brighton.

„Nein, ich nehme meine Söhne mit“, erklärte der Seewolf. „Vielleicht kommen wir mit ein bißchen Türkisch weiter, falls der Sultan uns nicht versteht.“

„Wir haben aber keine Ahnung, wo der Sultan wohnt“, gab der Profos zu bedenken.

Hasard deutete zu dem weißen Palast, der sich majestätisch auf den Hügeln über dem Hafen erhob. „Was hältst du von dem Prunkbau, Ed?“

„Eine Menge, aber ich traue dem Sultan nicht. Was ist, wenn der euch einfach verhaftet?“

„Wir nehmen Plymmie als Melderin mit“, erwiderte Hasard lächelnd.

Sultan Quabus bin Said blickte seinen Berater Mustafa an, als handle es sich um einen Fremden. Soeben war Mustafa eingetreten. Der Sultan schloß die Augen und öffnete sie wieder. Es schien, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht.

„Es tut mir leid, dich stören zu müssen, o Herr“, sagte der hagere Mann.

„Du störst mich nie. Was gibt es?“

„Fremde begehren dich zu sprechen.“

„Ich will jetzt niemanden sehen.“

„Sie kommen von weit her. Sie sagen, es sei sehr wichtig, was sie dir zu berichten haben“, erklärte Mustafa. „Sie sind Engländer. Kapitän Philip Hasard Killigrew und seine beiden Söhne.“

„Du kannst sie also verstehen, nicht wahr?“ murmelte Quabus bin Said.

„Du weißt, daß ich Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Französisch kann, Herr“, erwiderte Mustafa bescheiden.

Tatsächlich war er auch in diesem Punkt der wichtigste Mitarbeiter des Sultans. Nie gab es Schwierigkeiten, wenn der Sultan mit Europäern über Geschäfte verhandelte, denn Mustafa diente als Dolmetscher. Er hatte die besten Schulen besucht und war hochintelligent.

„Schick sie weg“, sagte der Sultan.

„Herr, verzeih“, sagte Mustafa. „Es scheint mir wirklich von Bedeutung zu sein, was sie auf dem Herzen haben. Es geht um Masquat, sagt der Kapitän. Er ist ein großer, aufrichtiger Mann.“

„Du hast einen guten Eindruck von ihm gewonnen?“

„Ja.“

Quabus bin Said konnte sich auf die Menschenkenntnis und den Instinkt seines Helfers voll verlassen. Deshalb fuhr er sich jetzt noch einmal mit der Hand übers Kinn und überlegte. Obwohl ihm nicht danach zumute war, mit anderen Menschen zu sprechen, entschloß er sich nun doch anders.

„Gut, führe sie herein“, sagte der Sultan.

Kurz darauf betraten Hasard und seine Söhne das Allerheiligste des Sultans. Plymmie hatte draußen bleiben müssen – vor dem Tor des Palastes. Der Seewolf und die Zwillinge konnten aber sicher sein, daß die Hündin auf der Hut war. Sollte irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen, dann witterte sie es garantiert.

Zwei Wächter begleiteten Hasard, Philip junior und Hasard junior. Mustafa ging vor ihnen her und kündigte den Besuch der Fremden formell bei seinem Herrn an. Dann standen die drei von der „Santa Barbara“ vor Quabus bin Said.

Hasard taxierte den Mann, während Mustafa ihnen bedeutete, auf Kissen Platz zu nehmen. Irgendwie erschien es dem Seewolf so, als würde er sich mit dem Sultan gut verstehen. Allerdings hing das ganz davon ab, wie das Gespräch geführt wurde und verlief.

Hasard erhob sich und überreichte Mustafa das Geschenk, das er für den Sultan mitgebracht hatte – einen goldenen Ring mit einem funkelnden Smaragd. Mustafa gab den Ring an seinen Herrn weiter.

Quabus bin Said betrachtete den Edelstein. Seine Miene hellte sich ein wenig auf, dann wurde sie wieder ernst.

„Frage den Kapitän, warum er mich beschenkt“, sagte er zu Mustafa.

Mustafa übersetzte die Worte ins Englische.

Hasard antwortete: „Es ist ein Zeichen der Ehrerbietung und der Hochachtung. Wir ankern im Hafen von Masquat. Man hat mir berichtet, der Sultan sei ein guter Herrscher. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen.

Quabus bin Said musterte den Seewolf. Schließlich nickte er. „Es ist selten, daß Männer aus der fernen Alten Welt sich in orientalischer Höflichkeit üben. Du, Kapitän Killigrew, scheinst dich darauf zu verstehen. Welche Gegenleistung erwartest du?“

„Für ein Geschenk gibt es keine Gegenleistung“, erwiderte der Seewolf.

„Ich nehme den Ring an“, sagte der Sultan und händigte das Juwel Mustafa aus. Der Berater plazierte es auf einem kleinen roten Kissen. Quabus bin Said richtete seinen Blick wieder auf Hasard. „Leider kommt ihr in ein Trauerhaus“, fuhr er fort. „Heute nacht ist Lamia, eine meiner liebsten Frauen, gestorben.“

„Das tut mir aufrichtig leid, Hoheit“, sagte Hasard. „War sie krank?“

„Sie ist getötet worden.“

„Vom wem?“ wollte der Seewolf wissen.

Quabus bin Said hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Keiner von uns hat auch nur den geringsten Verdacht. Es ist eine fatale Lage. Ein Gespenst scheint sich eingeschlichen und Lamia erdolcht zu haben.“ Er stellte die Fingerkuppen pyramidenförmig zusammen, fast wie zum Gebet, dann fügte er hinzu: „Dieser Mord richtet sich gegen mich. Der Mörder weiß, wie sehr ich Lamia geliebt habe. Seine Klinge hat in Wirklichkeit mich getroffen.“

„Ist Lamia bestattet worden?“ erkundigte sich Hasard.

„Ja“, erwiderte der Herr von Masquat. „Warum fragst du?“

„Mein Arzt, der Kutscher, hätte sie untersuchen können.“

„Du weißt, daß wir euch Ungläubige nennen, und daß der Koran die Berührung von Haremsfrauen durch Unbefugte und Ungläubige verbietet“, entgegnete Quabus bin Said.

„Das ist mir bekannt“, sagte Hasard. „Aber mein Bordarzt könnte auf Spuren stoßen, die deinen Leuten verborgen geblieben sind.“

Fast sah es aus, als wolle der Sultan aufbrausen. Dann aber erwiderte er nur: „Das geht nun nicht mehr. Lamia liegt unter der Erde. Außerdem wäre ich dagegen gewesen.“

„Verzeih meinen Vorschlag, Hoheit“, sagte der Seewolf. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich versuche nur, dir zu helfen. Hast du Feinde?“

„Jeder Mann hat Feinde.“

„Bestimmte Feinde?“

„Du sprichst wie ein Kadi“, sagte Quabus bin Said. „Das steht dir nicht zu.“

„Ein Kapitän nimmt an Bord seines Schiffes auch die Aufgaben eines Richters wahr“, hielt Hasard dem entgegen. „Wer haßt dich so sehr, daß er dir Leid zufügen will?“

„Vielleicht ist der Satan unter meinen eigenen Landsleuten zu suchen“, entgegnete der Sultan. „Sie sehen es nicht gern, daß ich die weißen Männer freundschaftlich empfange.“

„Du meinst die Portugiesen?“ fragte Hasard.

„Was weißt du über die Portugiesen?“

„Ich habe nur gehört, daß du mit ihnen auf gutem Fuße stehst. Ich habe mit meinen Männern den Markt besucht.“

„Du kennst unsere Sprache nicht“, sagte Quabus bin Said. Plötzlich schien ihn tiefes Mißtrauen befallen zu haben. „Wie kannst du so gut informiert sein?“

„Meine Männer haben mit Portugiesen gesprochen“, erklärte der Seewolf. „Sie wollten bei diesen Portugiesen Ware einkaufen, sind dann aber gewarnt worden, daß es sich um Diebesgut handle. Daraufhin versuchten meine Leute, sich zurückzuziehen, aber sie wurden von den Portugiesen beschimpft und angegriffen.“ Er schilderte, was sich weiter in dem Gewölbe zugetragen hatte. Den Vorfall mit Arwenack und Sir John verschwieg er lieber.

„Davon ist mir nichts bekannt“, sagte Quabus bin Said mit finsterer Miene. „Hat man dir davon berichtet, Mustafa?“

„Nein. Ich hätte es sonst an dich weitergegeben, Herr.“

„Was treiben diese Portugiesen?“ wollte der Sultan von Hasard wissen.

„Sie stehlen ihre Güter von deinen Landsleuten, Hoheit“, erwiderte der Seewolf. „Sie drangsalieren die arabischen Händler und entreißen ihnen den Markthandel durch ihre gewissenlosen Methoden. Bald werden die Araber ganz aus der Kasbah verschwunden sein. Das alles geschieht ohne dein Wissen, Sultan.“

Quabus bin Said begehrte auf: „Das ist eine Lüge!“

„Was ich sage, stimmt“, sagte der Seewolf unbeirrt. „Ich kann jedes Wort belegen und beschwören.“

„Wie heißen diese Portugiesen?“ fragte Mustafa den Seewolf.

„Ich kenne nur den Namen des Anführers der Bande“, erwiderte Hasard. „Silvestro Moravia. Ein großer Mann mit Vollbart.“

„Sein Name ist mir bekannt“, erklärte Mustafa. „Aber er hat immer vorgegeben, daß er in dem von ihm gepachteten Gewölbe nur seine eigenen Waren lagere, die er an Bord seines Schiffes mitgebracht habe. Das Schiff verkaufte er ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in Masquat an einen Spanier, der seine Galeone in einem Sturm verloren hatte. Seitdem hat Moravia das Gewölbe. Hin und wieder verkauft er etwas von seinem Gut, um sich und seine Mannschaft zu ernähren.“

„Ein schönes Märchen“, sagte der Seewolf. „Was Moravia unter der Hand betreibt, erfährt kein Mensch.“

„Ich werde ihn mir kaufen!“ stieß Quabus bin Said empört aus. „Ihn und seine Schergen! Was fällt diesen Kerlen ein, unschuldige Männer auszurauben und zu mißhandeln? Was sind das für Machenschaften? Mustafa, warum ist im Palast nichts davon bekannt?“

„Das ist mir ein Rätsel, Herr.“

„Es scheint so manches zu geben, von dem ich nichts weiß“, sagte der Sultan. „Vielleicht habe ich mich blenden lassen, vielleicht hat man mir Sand in die Augen gestreut. Doch das wird sich ändern.“ Wütend hob er die rechte Faust. „Ich werde allen beweisen, daß ich noch lange kein alter, einfältiger Narr bin!“

„Hoheit“, sagte Hasard mit beschwichtigender Stimme. „Ich habe dich nicht aufgesucht, um deinen Gram zu verstärken und deine Wut zu schüren. Ich halte es lediglich für meine Pflicht, dich über das aufzuklären, was im Hafen von Masquat geschieht. Sollte ich einen Fehler begannen haben, so bitte ich dich, alles zu vergessen, was ich dir erzählt habe.“

Quabus bin Said sah Hasard forschend an.

„Ich bin dir dankbar, Kapitän Killigrew“, sagte er. „Es ist gut, daß du mir die Augen geöffnet hast. Vielleicht gerade noch rechtzeitig genug. In Masquat scheint es mehr als einen Verräter zu geben. Ich werde Lamias Mörder auch bei den Portugiesen suchen.“

„Natürlich will ich keinen falschen Verdacht äußern“, gab der Seewolf zu bedenken. „Der Mord hat mit dem, was im Hafen vor sich geht, sicherlich nichts zu tun.“

„Ich will hoffen, daß es so ist“, erwiderte der Sultan. „Auf jeden Fall werde ich eine Untersuchung der Angelegenheit einleiten.“

Hasard erhob sich. Seine Söhne folgten seinem Beispiel.

Hasard sagte: „Wir möchten uns jetzt von dir verabschieden, Hoheit. Falls du es wünschst, halten wir uns zu deiner Verfügung.“

„Ihr sollt meine Gäste sein“, sagte der Sultan. „Wir werden etwas essen und etwas trinken und uns noch weiter unterhalten. Ich möchte, daß wir Freunde werden, Kapitän Killigrew.“

Der Seewolf wollte darauf antworten, aber plötzlich trat etwas völlig Unerwartetes ein. Und wieder ging das Grauen im Palast des Sultans um.

4.

Nabila, eine der jüngsten Frauen aus dem Harem des Quabus bin Said, frisierte sich in ihrem Gemach, als es geschah. Draußen, auf dem Flur, ertönte mit einemmal ein erstickter Laut – ein Wimmern, gefolgt von einem Stöhnen. Dann hörte Nabila einen dumpfen Fall.

Sie eilte zur Tür und teilte den Vorhang aus Perlenschnüren mit ihren Händen. Sie sah die dunkel maskierte Gestalt, die sich gerade wieder aufrichtete, und auch den reglosen Körper des Haremswächters, der auf dem Flur Posten gestanden hatte. Mehrere Messerstiche hatten den Eunuchen gefällt. Der Mörder war wieder im Palast – und mit einem pantherhaften Satz warf er sich auf Nabila.

Nabila war vor Schreck wie erstarrt. Sie schrie erst, als der Unheimliche sie zu Boden warf und mit dem Dolch auf sie einstieß. Ein Krummdolch – eine furchtbare Waffe! Nabila kreischte wie von Sinnen und schlug und trampelte um sich. Die Lähmung hatte sich gelöst. Die Todesangst verlieh ihr übermenschliche Kräfte.

Obwohl sie schon getroffen war, gelang es ihr, den Mörder von sich zu stoßen. Sie sprang auf, taumelte auf den Flur und rannte schreiend davon. Jetzt tauchten von allen Seiten Frauen und Eunuchen auf. Sie erblickten die blutende Frau. Entsetzte Rufe und Flüche wurden laut. Die Eunuchen zückten ihre Waffen und rasten auf den Schauplatz des Geschehens zu. Einer strauchelte und fiel hin. Er spießte sich um ein Haar mit seinem eigenen Säbel auf. Ein zweiter stolperte über ihn.

Die anderen schimpften und wetterten – und sahen voll Grauen, wie der Unheimliche aus dem Gemach hervorschoß und sich erneut auf Nabila warf.

Nabila stürmte kreischend vorwärts. Der Mörder verfehlte sie um wenige Zoll, stach mit dem Messer auf sie ein und fiel der Länge nach hin. Blitzschnell war er wieder auf den Beinen. Er sah die Eunuchen, die auf ihn zuliefen, und ergriff die Flucht.

Der Maskierte sprang über den toten Eunuchen hinweg und war mit einem langen Satz im Park. Wächter hasteten vom Hauptgebäude heran. Zwei blieben stehen und richteten ihre Musketen auf den Eindringling. Sie drückten ab. Die Schüsse krachten dumpf, Pulverdampf quoll von den Mündungen hoch. Aber der Vermummte schlug gedankenschnell einen Haken – die Kugeln flogen an ihm vorbei.

Sultan Quabus bin Said und Mustafa waren aufgesprungen, als die ersten Schreie aus dem Harem ertönten. Hasard und die Zwillinge wirbelten herum und stürmten auf den Flur. Mit wenigen Schritten waren sie im Freien – und sahen den Unheimlichen, der vor seinen Verfolgern in ein Nebengebäude floh.

Der Seewolf zückte seine Pistole und jagte hinter dem Maskierten her. Im selben Augenblick tauchte die verletzte Frau aus dem Harem auf, gestützt von zwei Eunuchen. Nabila schrie wieder auf und streckte anklagend und hilfesuchend zugleich die Hände aus.

Hasard war vor den Wächtern an der Tür des Nebenbaus und stürmte ins Innere. Er mußte damit rechnen, daß der Mörder ihn angriff, aber dieses Risiko ging er ein. Der Seewolf ahnte, daß der Unheimliche einen geheimen Ausgang oder einen Zufluchtsort kannte, an dem ihn keiner mehr fassen würde. Also war Schnelligkeit Trumpf – und Hasard hatte es sich in den Kopf gesetzt, den heimtückischen Messerstecher zu stoppen.

Der Eindringling trug eine Art Kutte und eine Kapuze über dem Kopf, so daß nicht zu erkennen war, ob es sich um einen Mann oder eine Frau, einen Araber oder einen Europäer handelte. Nur eins stand fest – der Mörder konnte geradezu unerhört schnell laufen.

Bei dem Nebengebäude handelte es sich um eine Abstellkammer, die durch eine Tür mit den Stallungen verbunden war. Hasard hörte etwas poltern, konnte im Dunkel aber nichts Genaues vor sich erkennen.

Er duckte sich und lief weiter, gelangte an die Verbindungstür und verharrte kurz. Dann schlich er zu den Stallboxen, in denen Rassepferde schnaubten und mit den Hufen scharrten. Sie schienen die Nähe des Unheimlichen zu spüren, die Gefahr, die von ihm ausging.

Hasard hielt Ausschau nach dem Vermummten – er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Hinter dem Rücken des Seewolfs waren die Stimmen der Palastwächter zu vernehmen. Sie betraten soeben den Abstellraum. Jemand stolperte über einen Kübel oder einen Eimer und fluchte fürchterlich.

Hasard pirschte weiter, an zwei Pferdeställen vorbei. Da geschah es: jäh schoß von links, aus der Deckung einer Boxwand, eine Gestalt auf ihn zu. Der Mörder! Er hatte ihm nun doch eine Falle gestellt. Wie besessen stach er mit seinem Krummdolch auf Hasard ein.

Hasard ließ sich fallen, rollte sich zur Seite ab und entging einem heftigen Stich, der tödlich hätte enden können. Hasard trat mit dem linken Fuß und traf den Angreifer in der Bauchgegend. Der Kerl stöhnte und krümmte sich. Der Seewolf schnellte wieder auf die Beine und streckte seine Pistole vor.

„Keine Bewegung!“ sagte er auf Spanisch.

Aber der Unheimliche lachte nur dumpf. Er zog den Kopf ein und rannte davon. Hasard legte auf ihn an, ließ die Waffe aber wieder sinken. Er riskierte es, eins der Pferde zu treffen.

Es gab nur noch eine Möglichkeit. Mit einem langen Satz warf sich der Seewolf auf den Maskierten. Er packte ihn an der Kutte, landete hart auf dem gepflasterten Boden und zog den Kerl zu sich heran. Doch eine ruckartige Bewegung genügte dem Mörder, und er war wieder frei. Ein reißender Laut erklang. Hasard hielt einen Fetzen der schwarzen Kutte in der rechten Hand.

Hasard rappelte sich wieder auf und stellte dem Mörder erneut nach. Aber dieser war in einer der Boxen verschwunden. Hasard lief an den Ställen entlang. Er entdeckte den Maskierten nicht. Er stoppte ab, kehrte wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Vergebens. Dieses Mal war der Eindringling wirklich verschwunden.

Die Wächter waren heran. Sie blieben keuchend stehen.

„Wo ist der Hund?“ schrie einer von ihnen.

Nun trafen auch der Sultan, Mustafa und die Zwillinge ein. Hasard zeigte ihnen den Fetzen schwarzen Stoffes.

„Fast hätte ich ihn erwischt“, sagte er und berichtete in knappen Zügen, was sich zugetragen hatte. Mustafa übersetzte alles ins Arabische.

Der Sultan deutete auf die Fenster über den Pferdeboxen. „Er muß durch eins der Fenster entwischt sein.“

„Ich hätte es gesehen“, sagte der Seewolf.

„Hast du nicht am Boden gelegen?“ fragte der Sultan.

„Trotzdem hätte ich es bemerkt.“

„Wo soll er dann sein?“ fragte Mustafa.

Hasard begann wieder, bei den Boxen zu suchen. „Vielleicht hat er sich irgendwo verkrochen. Wäre er draußen, dann hätte Plymmie Laut gegeben.“

„Wer ist Plymmie?“ wollte Quabus bin Said wissen.

„Unsere Wolfshündin“, erwiderte Philip junior. „Sie hält vor dem Tor Wache. Ich schätze aber, daß sie die Schreie auch gehört hat und um den Palast streift.“

Der Sultan gab seine Befehle. Die Wächter suchten in den Ställen nach dem Mörder – ohne Erfolg. Er schien im Boden versunken zu sein.

„Er ist ein Zauberer“, sagte der Sultan. „Er ist in Abgesandter der Mächte der Finsternis.“

„Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir“, erwiderte der Seewolf. „Wir finden ihn noch, verlaß dich darauf. Wie geht es der Frau?“

„Sie ist schwer verletzt“, sagte der Sultan.

„Ist ein Arzt bei dir?“ fragte Hasard.

„Mein Leibarzt.“

„Warum gestattest du nicht, daß mein Bordarzt sie behandelt?“

„Das habe ich dir bereits gesagt.“

„Er könnte ihr das Leben retten“, sagte der Seewolf.

„Kapitän“, sagte der Sultan. „Willst du behaupten, daß deine Ärzte besser sind als die meinen?“

„Die Erfahrung hat es bewiesen.“

„Du bist stolz und mutig“, sagte Quabus bin Said. „Jedem anderen Ungläubigen, der es wagt, so mit mir zu reden, hätte ich längst die Zunge abschneiden lassen. Aber du gefällst mir, Kapitän Killigrew. Du hast bewiesen, daß du mein Freund bist, denn du hast wie ein Held mit diesem gemeinen Mörder gekämpft. Er hätte auch dich töten können, wie er den Eunuchen umgebracht hat.“

„Das wußte ich nicht“, sagte Hasard.

„Es ist eben geschehen. Er erstach den Eunuchen, um Nabila zu überfallen“, erklärte Quabus bin Said. „Nabila wehrte sich und lief davon. Nur deshalb ist sie noch am Leben.“ Er deutete auf die Wächter. „Diese Kerle sind alle nicht schnell genug. Du hast ihnen bewiesen, wie flink ein Mann sein kann, Kapitän. Ich danke dir dafür. Ich werde nicht vergessen, was du getan hast. Laß deinen Arzt kommen. Ich erteile ihm eine Sondergenehmigung. Vielleicht hast du recht. Ich nehme deinen Rat und deine Hilfe an.“

„Philip“, sagte Hasard zu seinem Sohn. „Du läufst sofort zum Hafen und alarmierst den Kutscher. Er soll so schnell wie möglich herkommen.“

„Kann der Junge reiten?“ fragte Mustafa.

„Ja“, antwortete Hasard.

Der Sultan nickte und klatschte in die Hände. „Sattelt zwei Pferde! Der Junge reitet mit beiden Tieren zum Hafen, damit auch der Arzt ein Pferd zur Verfügung hat!“

Die Wächter führten den Befehl aus. In der Zwischenzeit waren sämtliche Boxen abgesucht worden, aber immer noch gab es keine Spur von dem Mörder.

„Ich habe es gesagt“, murmelte der Sultan. „Er ist ein Hexer.“

„Er bedient sich eines Tricks“, sagte der Seewolf.

„Wie meinst du das?“

„Er kennt sich im Palast aus“, erwiderte Hasard. „Sehr gut sogar. Vielleicht benutzt er einen Geheimgang.“

„Es gibt keine Geheimgänge“, sagte der Sultan. Er blickte zu seinen Untertanen. „Aber vielleicht ist es einer der Wächter, der sich verkleidet und im geeigneten Moment wieder aus seiner Larve schlüpft.“

Die Wächter begannen zu jammern und die Hände zu ringen. Sie beteuerten, daß sie unschuldig wären, Sie hatten Angst, daß ihr Herr sie foltern lassen würde.

„Sei nicht zu voreilig“, sagte Hasard zu Quabus bin Said. „Laß mich die Sache untersuchen. Vielleicht habe ich Glück und stoße auf eine Spur.“

„Du glaubst nicht, daß diese Bestie fliegen kann?“ fragte der Sultan.

„Nein.“ Wieder wies Hasard den Stoffetzen vor. „Ich verlasse mich auf das, was ich sehe, höre und rieche. Laß uns nach draußen gehen. Unsere Hündin hat eine ausgezeichnete Nase. Vielleicht gelingt es ihr, die Verfolgung des Mörders aufzunehmen.“

„Jede Hilfe ist mir recht“, sagte der Sultan.

Kurz darauf preschte Philip junior mit einem zweiten Pferd im Schlepp durch das offene Palasttor. Sein Vater, sein Bruder, der Sultan und Mustafa blickten ihm nach, dann traten sie ins Freie und schritten zu Plymmie. Unruhig lief die Hündin an der Mauer auf und ab.

„Sie scheint schon etwas gewittert zu haben“, sagte der Seewolf.

Plymmie sprang an Hasard junior hoch, winselte und ließ sich mit den Vorderpfoten wieder auf den Boden sinken. Sie rannte auf und ab, senkte die Nase auf den Untergrund, blieb stehen und kläffte aufgebracht.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Sultan. „Ich habe selbst keine Hunde und kenne mich mit diesen Tieren nicht aus.“

„Sie hat eine Spur aufgenommen“, erwiderte der Seewolf. „Aber der Geruch ist nicht intensiv genug. Sie verzettelt sich.“

Plymmie suchte schnuppernd den Boden ab und wühlte Staub auf. Schließlich knurrte und kläffte sie wieder. Fragend blickte sie zu Hasard junior auf. Dann kratzte sie mit ihrer linken Vorderpfote im Sand.

„Vielleicht ist etwas unter der Erde“, sagte der Sohn des Seewolfes.

Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Daran glaube ich nicht.“

Hasard trat zu der Hündin und hielt ihr den Fetzen Stoff vor die Nase, den er von der Vermummung des Eindringlings losgerissen hatte. Aufgeregt bewegte Plymmie ihre Nase. Sie senkte die Schnauze auf den Untergrund, entfernte sich ein Stück von der Palastmauer, verharrte und knurrte wütend.

„Früher oder später findet sie die richtige Fährte“, erklärte Hasard junior.

„Wann wird das sein?“ wollte der Sultan wissen.

„Wir können es nur erraten“, entgegnete der Seewolf.

„Du hast recht“, sagte Quabus bin Said. „Laßt uns wieder in den Palast zurückkehren. Nehmt euren Hund mit. Vielleicht stößt er im Stall auf die richtige Spur.“

Luke Morgan und Bob Grey hielten bei der Jolle Wache. Das Boot lag wieder an einer Hafenpier vertäut. Hasard und die Zwillinge waren mit Luke und Bob zum Ufer gepullt, dann hatten sie sich auf den Weg zum Palast des Sultans begeben. Der Seewolf hatte es auf jeden Fall für richtig gehalten, zwei Mann als Posten bei der Jolle zurückzulassen.

Bob und Luke hielten die Augen nach allen Seiten offen. Ihre Pistolen und Musketen waren feuerbereit. Auch an Bord der „Santa Barbara“ waren die Männer auf der Hut. Sie rechneten fest damit, daß Moravia und seine Portugiesen früher oder später zum großen Vergeltungsschlag rüsteten.

Vorläufig aber geschah nichts. Es ging auf die Mittagsstunde zu – in Masquat fand nach wie vor der lärmende Basar statt. Doch es tauchten keine Gestalten auf, die mit finsteren, blutrünstigen Mienen zum Kai marschierten.

Auch näherten sich keine Boote der „Santa Barbara“, von denen aus wütende Kerle das Feuer auf die Arwenacks eröffneten. Alles blieb ruhig. Silvestro Moravia, so schien es, ließ erst einmal seinen größten Zorn verrauchen und erholte sich von den Folgen des Profoshammers.

„Ich schätze, die Kerle warten die Dunkelheit ab“, brummte Carberry mit einem nachdenklichen Blick zum Hafen. „Dann rücken sie an. Sie wären ja dumm, wenn sie am hellichten Tag angreifen würden.“

„Wo Hasard und die Zwillinge bloß bleiben“, sagte Ferris Tucker. „Ich finde, sie sind schon viel zu lange da oben.“

Dan O’Flynn spähte durch einen Kieker zum Palast des Sultans.

„Da tut sich was“, sagte er. „Ein Reiter nähert sich. Er führt ein zweites Pferd mit sich.“

„Da haben wir die Bescherung“, sagte der alte O’Flynn. „Sie haben Hasard und die Jungen in Ketten gelegt, und jetzt erscheint so ein Mufti und stellt uns ein Ultimatum.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Ben Brighton.

Sehr wohl war aber auch ihm nicht zumute. In dieser Stadt gab es zu viele Dinge, die nicht geheuer erschienen. Ja, das beste wäre wohl doch gewesen, wieder in See zu gehen und weiterzusegeln.

„Es ist Philip junior“, sagte Dan.

„Na, da staune ich aber“, sagte Big Old Shane. „Welche Nachrichten bringt er uns wohl?“

Die Männer schwiegen und beobachteten Philip, der in den Hafen preschte. Einige Araber mußten dem jungen Mann ausweichen. Einer fluchte hinter dem Reiter her und schüttelte zornig die Faust.