Sein letzter Tresor – Ein Kriminalroman - Horst Bieber - E-Book

Sein letzter Tresor – Ein Kriminalroman E-Book

Horst Bieber

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Beschreibung

In diese Patsche hatte er sich selbst hineingeritten.
Ein weiteres Jahr Versteckspielen hielt er nicht durch. Langsam arbeitet Pulle weiter und allmählich formiert sich ein Plan in seinem Gehirn. Versuchen konnte er es, nein, musste er es.
Solange die Kripo den Täter nicht überführt hat, saß er hier fest. Und den Täter fand die Kripo überhaupt erst, wenn sie herausbekommen hatte, wer Peter Harms in Wirklichkeit gewesen war.
Tresorknacker Arthur Pullrich, genannt Pulle, und Kriminalhauptkommissar Aloys Schulte vom Einbruchsdezernat verbinden eine Hassliebe und ein ungeklärter Bruch. Als sein Nachbar Peter Harms tot aufgefunden wird, gerät Pullrich unter Druck, denn nun interessieren sich auch die Mordermittler für ihn. Er trifft eine Entscheidung …
Ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, schnörkellos erzählt und mit Charakteren, die dem Alltag entsprungen sind!

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Horst Bieber

 

 

Sein letzter Tresor

 

 

 

Ein Kriminalroman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Korrektorat: Marlies Linnemann

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Der Autor Horst Bieber 

 

Das Buch

 

 

 

In diese Patsche hatte er sich selbst hineingeritten.

Ein weiteres Jahr Versteckspielen hielt er nicht durch. Langsam arbeitet Pulle weiter und allmählich formiert sich ein Plan in seinem Gehirn. Versuchen konnte er es, nein, musste er es.

Solange die Kripo den Täter nicht überführt hat, saß er hier fest. Und den Täter fand die Kripo überhaupt erst, wenn sie herausbekommen hatte, wer Peter Harms in Wirklichkeit gewesen war.

Tresorknacker Arthur Pullrich, genannt Pulle, und Kriminalhauptkommissar Aloys Schulte vom Einbruchsdezernat verbinden eine Hassliebe und ein ungeklärter Bruch. Als sein Nachbar Peter Harms tot aufgefunden wird, gerät Pullrich unter Druck, denn nun interessieren sich auch die Mordermittler für ihn. Er trifft eine Entscheidung …

Ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, schnörkellos erzählt und mit Charakteren, die dem Alltag entsprungen sind!

 

 

***

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Pulle fuhr erschrocken zusammen, als die beiden Türflügel hinter ihm ins Schloss donnerten, drehte sich aber nicht um, weil das Unglück bringen sollte, sondern wartete darauf, dass sich das Tor vor ihm öffnete. Dann starrte er entgeistert den großen Mann an, der fünf Meter vor ihm an einem Baum lehnte und ihm höhnisch zulächelte. Bis vor wenigen Minuten hatte es heftig geregnet, das Wasser lief noch an den Wänden der Personenschleuse herunter und ein böig kalter Wind kräuselte die Oberflächen der Pfützen.

»Na?«, fragte Schulte endlich hämisch. »Wie geht’s denn so?«

Pulle biss die Zähne zusammen und antwortete nicht. Dass der Kriminalhauptmeister ihn als einen persönlichen Feind betrachtete, wusste er, aber dass sich Aloys Schulte die Mühe machen würde, ihn vor der Haftanstalt abzufangen, hatte er nicht erwartet. Und Schultes Hass war nicht geringer geworden, das verriet sein Gesicht.

»Was ist los? Hast du die Sprache verloren?«

Zwei, dreimal atmete Pulle tief durch, nahm das Köfferchen in die andere Hand und wandte sich wortlos zum Gehen. Die Bushaltestelle befand sich zweihundert Meter entfernt und lieber würde er sich bis auf die Haut nass regnen lassen, als zu Schulte ins Auto zu steigen.

Der Große richtete sich auf. »He, du, ich hab dich was gefragt!«

Auf dem Bürgersteig stand das Wasser, Pulle musste im Zickzack laufen.

Hinter sich hörte er Schritte.

»Was ist los?«

Nun blieb er doch stehen und erwiderte mühsam beherrscht: »Seit wann sind wir Freunde?«

»Freunde? Was soll der Quatsch?« Schulte baute sich neben ihm auf.

»Freunde duzen sich, oder?«

Schulte war für seine Grobheit berüchtigt und Pulle hatte bei den Verhören mehr als einmal befürchtet, dass der jähzornige Polizist zuschlagen würde. Eine Prügelei mit einem Kriminalbeamten vor den Mauern des Gefängnisses, aus dem man ihn gerade entlassen hatte, war das Letzte, was Pulle sich jetzt wünschte, aber er musste die Fronten klären.

Der große Mann lachte kratzig: »Entschuldigung, Verzeihung, Herr Pullrich, wie konnte ich nur, ich wollte mich nur nach Ihrem werten Befinden erkundigen.«

»Danke, mir geht’s gut. Mir ging es sogar sehr gut, bis ich Sie da eben vor der Tür gesehen hab.«

»Dann habe ich ja ein Ziel erreicht.«

»Fein, also leben Sie wohl.«

Sein Herz schlug Pulle bis zum Hals, während er weiterging, doch nach zwei Schritten schloss Schulte zu ihm auf.

»Außerdem wollte ich mit Ihnen reden.«

Darauf sagte Pulle nichts. Hinter dem Blut, das ihm in den Ohren rauschte, verspürte er eine wachsende Übelkeit.

»Der Fall Benniger ist nämlich noch immer ungeklärt.«

Damit überraschte der Kriminalbeamte ihn nicht. Es konnte nur um den Fall Benniger gehen, in den hatte sich Schulte verbissen, als hingen sein Glück, seine Karriere und seine Selbstachtung allein von der Klärung dieses Einbruchs ab. Stunden um Stunden hatte er auf Pulle herumgehackt, um ihm ein Geständnis zu entlocken, hatte geschimpft, getobt, mit Schlägen gedroht, das Blaue vom Himmel versprochen und ihn am Einschlafen gehindert, bis Pulle vor Erschöpfung vom Stuhl fiel und die Lampe mitriss, die Schulte auf sein Gesicht gerichtet hatte.

»Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Sie Bennigers Tresor geknackt haben.«

»Nein. Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Ich war’s nicht.«

»Sagen können Sie viel, aber ich weiß es.«

»Dann hätte der Staatsanwalt mich anklagen müssen.«

»Staatsanwälte!«, brummte Schulte verächtlich. Wegen der großen und tiefen Pfützen konnten sie nicht nebeneinander herlaufen, sondern sie tanzten und sprangen wie nach einer sinnlosen Choreografie. »Papierkrieger. Ich erkenn doch eine Handschrift, wenn ich einen heißen Bruch sehe.«

»Der Staatsanwalt hat wegen Benniger keine Anklage erhoben.«

»Nein. Sie sind zu billig davongekommen, okay, daran kann ich nichts mehr ändern. Aber wenn Sie glauben, Sie könnten jetzt in aller Ruhe die Beute aus dem Versteck holen und seelenruhig ausgeben, irren Sie sich. Gewaltig! Ich klebe Ihnen an den Hacken, das verspreche ich Ihnen. Und sollten Sie noch einmal ein krummes Ding drehen, sind Sie dran, Pullrich. Nichts mehr mit Reststrafenbewährung. Dann gibt es Sicherungsverwahrung.«

»Das hat mir mein Anwalt auch gesagt«, erklärte Pulle höflich.

»Na prima, also verstehen wir uns. Und noch eins, Pullrich: Benniger will sein Geld und seine Marken zurück.«

»Dabei kann ich ihm nicht helfen.«

»Er denkt inzwischen wie ich.«

»Ausgezeichnet«, sagte Pulle bitter. »Jetzt habe ich also zwei an den Hacken.« In letzter Sekunde hatte er verschluckt: »zwei Idioten«.

»So ist es!« Schulte fletschte die Zähne. »Einen schönen Tag wünsche ich noch.«

Damit machte er kehrt und lief zu seinem Wagen zurück, ein großer, breitschultriger Bulle, der wegen seiner Eigenmächtigkeiten und seines Jähzorns nicht mehr befördert wurde. In einer Zeitschrift hatte Pulle von Hunden gelesen, die sich in ihren Gegner verbissen und trotz aller Schläge ihre Kiefer erst lockerten, wenn man sie tötete. Schulte besaß furchterregend viel Ähnlichkeit mit diesen Biestern.

Im Bus zum Hauptbahnhof saß Pulle ganz hinten am Fenster und starrte auf die grauen Straßen hinaus. Der Regen hatte wieder eingesetzt, alle Menschen hasteten in Eingänge, flitzten unter Vordächer oder kämpften mit ihren Regenschirmen. Trotz der Heizung fror er in seinem dünnen Mantel.

Im Hauptbahnhof bestieg er den Zug. Kurz hinter Berkenwort schien das Licht im Wagon heller zu werden. Marga Ohlsen setzte sich auf den Fensterplatz ihm gegenüber, nachdem sie ihn flüchtig geküsst hatte.

»Tut mir leid, Pulle, ich war pünktlich da, aber ich wollte nicht mit dem Aas Zusammentreffen. Er stand vor dem Tor und wartete auf dich.«

»Ich weiß.«

»Was wollte er von dir?«

»Da gibt es einen uralten Bruch, der noch nicht aufgeklärt ist, und Schulte will den unbedingt mir anhängen. Woher kennst du Schulte?«

»Er war mehr als einmal bei mir und hat nach dir gefragt. Der Mann ist verrückt.«

»Ja, und gefährlich.«

 

Auf seinen beiden letzten Freigängen zur Vorbereitung seiner Haftentlassung hatte Pulle das Gartenhäuschen sorgfältig inspiziert. Dach und Fenster waren dicht geblieben, keine Feuchtigkeit im Keller, er musste nur streichen, an einigen Stellen die Isolation erneuern und schadhaften Putz ausbessern. Wasseranschluss und Strom waren intakt, und weil ein hilfreicher Geist den Hauptwasserhahn zugedreht und alle Leitungen entwässert hatte, war nichts geplatzt. Drei hölzerne Fensterläden hatten sich verzogen und klemmten, der Lack blätterte, aber sie hatten ihren Dienst getan, nicht eine Scheibe war zerbrochen. Der Garten sah allerdings wüst aus. Über vier Jahre war nichts darin getan worden, mit dieser Wildnis würde er gut beschäftigt sein, aber er freute sich auf die körperliche Arbeit. Im Knast hatte ihm Bewegung gefehlt. Die Wellblechhütte für die Gartengeräte am hinteren Zaun war in sich zusammengestürzt; den Verlust konnte er verschmerzen. Das Versteck unter den Bodenplatten war unversehrt, niemand hatte den Sprengstoff, die Zündkapseln oder das Werkzeug angerührt.

Die erste Nacht schlief Pulle schlecht. Die Stille störte ihn, im Knast waren immer Geräusche zu hören gewesen, an diese Ruhe musste er sich erst wieder gewöhnen.

Marga machte ihm ein ordentliches Frühstück und half ihm, seine Sachen, die sie die Jahre über aufbewahrt, in Schuss gehalten und zum Teil auch benutzt hatte, in mehrere Kisten und Kartons zusammenzupacken: Handtücher, Bettwäsche, Pullover, Wäsche, Schuhe, Geschirr, Töpfe, Besteck und seine wenigen Bücher. Marga war eine hübsche und hilfsbereite Frau, aber etwas naiv und dumm; Pulle hatte vor seiner Haft gelegentlich mit ihr geschlafen, aber ihr für die Zeit nach seiner Haftentlassung nichts versprochen. Trotzdem freute sie sich aufrichtig, ihn wiederzusehen, und zog sofort den Pullover über den Kopf. Er wehrte freundlich ab, küsste ihre Brustspitzen und versprach: »Nicht heute, Marga, später. Gib mir Zeit.«

Dafür kutschierte sie ihn mit seinem Hausrat zum Gartenhaus.

 

Pulles Bewährungshelfer musterte ihn kühl. In zwei Jahrzehnten hatte er zu viel erlebt, zu viele Versprechen gehört und zu viele Schützlinge wieder in den Bau wandern sehen, um noch an irgendetwas zu glauben oder einem Ex-Knacki unvoreingenommen zu vertrauen. Pulles offenkundige Feindseligkeit nahm er nicht zur Kenntnis.

»Das Haus da draußen in Syden gehört Ihnen?«

»Steht so im Grundbuch. Schuldenfrei.«

»Und Ihre Finanzen?«

»Wenn die Bank mein Geld nicht unterschlagen hat, kann ich ein Jahr in Saus und Braus und zwei Jahre lang mäßig leben.«

»Und sonst?« Der Mann blätterte in der Akte. »Gelernter Feinmechaniker, danach technischer Zeichner …«

»Ich wollte mich in einer Fabrik für Tresore und Geldschränke als Tester und Prüfer bewerben.«

»Großartige Idee! Die warten bestimmt schon auf Sie.«

»Das stelle ich mir so vor.« Einen Moment sahen sie sich offen an, beide klemmten sie die Mundwinkel ein.

Nach einer Weile fuhr der Brillenträger trocken fort: »Ihre zweite Verurteilung, nicht wahr?«

Pulle nickte gleichmütig.

»Soll ich jetzt Moral predigen? Wenn ich mir Ihre Akte so ansehe, denke ich mir, dass Sie reichlich Dreck am Stecken haben, aber eben auch Glück hatten, dass Sie nur zwei Mal überführt werden konnten.«

»So ähnlich hat sich der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung auch ausgedrückt.«

»Der Name Aloys Schulte sagt Ihnen etwas?«

»Und ob!«

»Gut! Was immer Sie jetzt planen, denken Sie daran, Sie haben das Aas an den Hacken.«

»Das Aas«, verbesserte Pulle höflich.

»Wie auch immer, ich würd’s an Ihrer Stelle schon aus Vorsicht mal mit ehrlicher Arbeit versuchen.«

»Wenn mich einer nimmt …«

Das alte Problem. Arbeitslose ohne Vorstrafen gab’s genug.

»Haben Sie sich im Einwohnermeldeamt gemeldet? Gut, ich drück Ihnen die Daumen, Herr Pullrich.«

Mehr würde er wohl nicht für ihn tun können.

Pulle schlenderte durch die Terborner Innenstadt, betrachtete Schaufenster und stellte fest, dass sich bis auf die Mode nicht viel geändert hatte. Sechs Jahre hatte er sich eingefangen und etwas über vier absitzen müssen und mit dem Strafmaß sogar noch Glück gehabt. Beim nächsten Prozess konnten es leicht sieben oder acht Jahre werden. Zwei Jahre musste er also brav und unauffällig bleiben; auch das Aas würde mal die Geduld verlieren oder sich um andere Täter kümmern müssen.

Das Wetter konnte sich nicht entscheiden, die paar Tropfen verdienten die Bezeichnung Regen nicht. Langsam bummelte Pulle an dem neuen Rathaus vorbei und betrachtete es neugierig wie ein Tourist. Als er vor vier Jahren vor Gericht gestanden hatte, war der Bau gerade fertig gestellt worden und die ersten Abteilungen der Stadtverwaltung hatten ihren Umzug vorbereitet.

 

Seine erste größere Anschaffung war ein gebrauchtes Fahrrad, ein Uraltmodell der Marke Panzerfahrer, schwer, unelegant, aber unverwüstlich. Ein Auto wollte er sich nicht leisten, sondern mit seinem Geld haushalten. Außerdem, so wie Schulte gestrickt war, würde der bei einem Autokauf sofort Verdacht schöpfen. Dass ein Schränker mit dem Fahrrad zum Bruch fuhr, überstieg dafür wahrscheinlich sein Vorstellungsvermögen und richtig war daran, dass Pulles Gerät nicht auf einen Gepäckträger passen würde. Er bedrängte den Fahrradhändler so lange, bis der einen zweirädrigen gummibereiften Anhänger besorgte, die Kupplung schweißte Pulle selbst an.

»Gelernter Schweißer?«, erkundigte sich der Händler neugierig und Pulle nickte knapp: »A und E. Ist aber lange her.«

Anschließend leistete er sich noch ein Uhrenradio und einen kleinen Farbfernseher samt Antenne.

 

Die nächsten Wochen verbrachte Pulle brav in seinem Garten, schnitt Bäume und Sträucher, mähte, stopfte Löcher im Rasen, beseitigte Unkraut, verjagte Kaninchen und führte verbotene Giftkriege gegen Maulwürfe, säte und pflanzte an. Anstelle der Wellblechhütte errichtete er ein winziges Haus aus vorgefertigten Gasbetonsteinen und baute eine feste Stahltür ein. Streng genommen war es wohl ein Schwarzbau, aber solcherlei Genehmigungsvorschriften hatte in der Siedlung noch nie jemand ernst genommen. Für das Haus kaufte er gebrauchte Möbel, installierte in der Küche und im Bad neue Armaturen, strich an und zimmerte vor der Nordostecke einen Holzverschlag gegen den Wind im nächsten Winter. Zwei Fenster wechselte er aus, anschließend isolierte er das Dach von innen. Den riesigen Kachelofen hatte sein Vater, ein gelernter Ofensetzer, noch kurz vor seinem Tode gebaut. Das Monstrum wurde von der schmalen Diele aus gefüttert und schluckte alles, was brannte, Koks, Braunkohlen und Eierbriketts, Anthrazit, Holz und sogar Torf. Beheizt wurden drei Räume und ein Warmwasserbehälter für das Badezimmer. Als sein Vater gestorben war, hatte sich Pulle auf freiem Fuß befunden, das war Ende Januar gewesen und der Boden so tiefgefroren, dass Pulle versucht gewesen war, dem Totengräber mit Sprengstoff zu Hilfe zu eilen.

Den Mietvertrag für den Garten hatte er anstandslos auf seinen Namen verlängern können, die Pacht zahlte er per Dauerauftrag vom legal Ersparten. Anders als viele Mithäftlinge besaß er deshalb bei seiner Entlassung eine feste Adresse und ein eigenes Dach über dem Kopf.

Aus dem zusammengefallenen Schuppen waren nicht einmal die Kohlen oder das Holz gestohlen worden, das er allerdings zum Trocknen hinauslegen musste. Einige Fugen verschmierte er neu, es gab immer noch etwas zu reparieren, anzuschaffen, auszuwechseln, auszubessern, und da er seine Ersparnisse schonen wollte, beantragte er als ordentlicher Mensch einen Holzsammelschein, der prompt gewährt wurde. Danach zog Pulle jede freie Stunde mit seinem Anhänger durch den Sydener Forst, und als sich der Herbst verabschiedete, war das Gestell an der Nordostecke seines Häuschens bis auf den letzten Dezimeter gefüllt. Pulle baute noch ein zusätzliches Dach, um seinen wertvollen Brennstoff vor Regen zu schützen.

Einen Vorteil bot diese ewige Reparatur und Bastelei, er konnte ordentliches Werkzeug kaufen, ohne sich bei Schulte verdächtig zu machen. Bereits im Frühsommer hatte er festgestellt, dass seine Ersparnisse schneller schmolzen, als er berechnet hatte, also sah er sich nach Jobs um und wurde in Syden fündig. Ein Supermarkt auf der grünen Wiese suchte Aushilfskräfte auf Vierhundertfünfzig-Euro-Basis und Pulle wusste, dass er nicht wählerisch sein durfte. Kisten und Paletten auspacken und zu den Regalen ziehen, Papierkörbe leeren und Kartons für den Container zusammenfalten und auch einmal Pfützen in den Gängen aufwischen. Doch dafür schaute der Filialleiter weg, wenn sich Pulle, bevor er ging, in der Giftkammer umsah. Eingedellte Gemüse, Fleisch und Fischkonserven, alte, etwas angelaufene, aber noch essbare Wurst, trockenes Brot, unglaublich, was die Leute so alles reklamierten. Das meiste war noch gut genießbar und Pulle bediente sich reichlich. Den Filialleiter störte es nicht, den Schwund hatte die Zentrale in die Preise einkalkuliert und das unverkäufliche Zeug wurde auf diese Weise elegant entsorgt. Für den Transport hatte sich Pulle eigens einen Drahtkorb organisiert und mit Flügelschrauben auf dem Gepäckträger seines Rades montiert. Die Festangestellten beobachteten seine Entnahmen misstrauisch, weshalb er zum Beispiel Getränke und Süßigkeiten stehen ließ.

Es gab schlechtere Jobs, und wenn er die eingesparten Einkäufe oder den Personalrabatt auf die Dinge, die er bezahlen musste, in seinen Stundenlohn einrechnete, verdiente er nicht einmal so schlecht. Vor allem wollte keiner etwas von ihm, er erledigte wortlos seine Arbeit, und wer ihn zum ersten Mal traf, verzichtete meist nach einem Blick auf sein mürrisches Gesicht auf den Versuch, ein Gespräch in Gang zu setzen. Er hatte sich mit Pulle vorgestellt und so wurde er auch gerufen. Nach drei Wochen schien er zur Einrichtung zu gehören.

 

Vorsichtshalber hatte er dem Geschäftsführer gleich gebeichtet, woher er kam und warum er diesen Job ausübte. Der Mann war auffallend groß, dünn und mager, wie vom Ehrgeiz zerfressen, und Pulles Geschichte interessierte ihn.

»Panzerschränke aufgeschweißt?«, wollte er wissen.

»Hey, da ist bei uns nichts zu machen, unsere Tageseinnahmen werden nach Geschäftsschluss von einer Firma abgeholt.«

»Ich bin auf Reststrafenbewährung draußen«, beruhigte Pulle ihn.

»Von Ihrem Panzerschrank lasse ich die Finger, keine Sorge.«

»Natürlich«, murmelte der Magere.

»Und wann läuft Ihre Bewährungsfrist ab?«

»In rund eineinhalb Jahren.«

»Bis dahin haben wir einen neuen Schrank.«

»Soll ich Sie beim Kauf beraten?«

»Die Idee hat was, ich werde es mir überlegen und mit der Zentrale reden.«

Nicht lange, und Pulle beglückwünschte sich für seine Vorsicht. Der Hagere hielt ihn an.

»Eben war ein Kriminalbeamter bei mir und hat mich vor Ihnen und Ihrem Schweißgerät gewarnt.«

»Hat er seinen Namen genannt?«

»Natürlich, Aloys Schulte.«

»Mein spezieller Freund bei der Kripo.«

»Den Eindruck hatte ich auch.«

Damit war der Fall gegessen, der Hagere sprach Pulle nie wieder auf die Vorstrafen an und hielt auch gegenüber den anderen Mitarbeitern den Mund.

Nach Schultes Besuch im Supermarkt untersuchte Pulle die Türen seines Häuschens. Spuren eines Einbruchs fand er nicht, aber das unbehagliche Gefühl blieb, dass sich jemand in seiner Behausung gründlich umgesehen hatte.

 

Die Villa Kunterbunt, wie das Nachbarhaus in der Siedlung genannt wurde, stand leer, und das alte, verknöcherte Ehepaar auf der anderen Seite hatte ihn schon vor seiner Verurteilung nicht gegrüßt. Das Alleinsein fiel Pulle nicht schwer, er war immer ein Einzelgänger gewesen, der sich gut beschäftigen konnte. Sobald er das Haus auf Vordermann gebracht hatte, räumte er das dritte Zimmer, eine schmale Kammer, um und richtete sich unter dem Fenster eine Bastelplatte ein. Bereits früher hatte er Flugzeugmodelle gebaut, Spielzeuglokomotiven repariert und Puppenstuben renoviert. Der Staatsanwalt hatte auch sein harmloses Werkzeug beschlagnahmen lassen wollen, sein Anwalt und er hatten wie die Löwen kämpfen müssen, ihn davon abzubringen.

In der Zweigstelle Syden der Stadtbücherei wurde er Stammkunde. Zweimal entdeckte er einen Mann, der sich erkundigte, was der Herr Pullrich denn ausgeliehen habe. Schulte gab wirklich keine Ruhe.

Die Dunkelblonde an der Ausleihe gab zu erkennen, dass sie eine Einladung zum Kaffee oder ins Kino nicht ablehnen würde, aber Pulle hatte keine Lust und vertröstete sie so geschickt, dass es keine Verstimmung gab. Pulle las viel und sah wenig fern. So hatte er es auch im Knast gehalten.

Auf dem Sydener Kirchplatz begegnete er Rollo, dem vor Erstaunen die Kinnlade herunterklappte: »Mensch, Pulle, du? Seit wann bist du wieder draußen?«

»Seit ein paar Wochen. Zwei Jahre haben sie mir auf Bewährung geschenkt.«

»Das ist ein Bier wert, was?«

Es blieb nicht bei einem Bier und Rollo rückte näher heran: »Du, Pulle, ich hab da was.« Rollo hieß unter Bekannten Klein Kujau und unterschrieb alles, was seine Freundin Jenny, eine hervorragende Taschendiebin, mitbrachte. Leider hatte Jenny schulterlange kupferrote Locken und fiel auf, sie hatte mehrfach gesessen und überlegte, das Metier zu wechseln. Ihre prachtvollen, langen Haare wollte sie um keinen Preis opfern.

»Nein, danke, nicht mit mir.«

»Was ist los? Hat dich der Knast fertiggemacht?«

Darauf antwortete Pulle nicht direkt: »Erstens hab ich immer allein gearbeitet, Rollo. Zweitens muss ich eine Zeit lang sauber bleiben. Und drittens hab ich das Aas an den Hacken.«

»Schulte? Was will denn der von dir?«

»Mir einen ungeklärten Bruch in die Schuhe schieben.«

»Auweia. Schulte!« Rollo seufzte mitleidig. Es gab solche und solche Bullen und Schulte zählte eindeutig zu den unangenehmeren. Mit dem legte sich keiner gerne an.

»Und was willst du jetzt machen?«

Das werde ich gerade dir auf die Nase binden, dachte Pulle amüsiert. »Etwas Geld hab ich noch und vor einigen Wochen habe ich einen Job angefangen.«

»Na so was, richtige Maloche?«

»Was bleibt mir anderes übrig?«

»Junge, Junge, dich hat’s ja wirklich hart getroffen.«

»Darauf noch eine Runde?«

Wenig später setzte sich Jenny zu ihnen und begann, heftig mit Pulle zu flirten, was Rollo wortlos duldete. Wahrscheinlich hoffte er, Jenny werde Pulle zu dem gemeinsamen Ding überreden können, aber da täuschte er sich. Als Pulle aufbrach, lief Jenny ihm nach, umarmte ihn und flüsterte Pulle ins Ohr: »Sei vorsichtig! Rollo arbeitet jetzt mit Levitzky zusammen.«

Nach dem Gespräch mit Rollo und Jenny ging Pulle ins Kino, ärgerte sich über die schwache Liebeskomödie und wurde, als er wieder auf die Straße trat, am Ärmel festgehalten.

»Nicht zu glauben, Pulle ist wieder auf der Pirsch.«

Die Frau hatte aschblonde Haare, ein verführerisches, faltenloses Gesicht und für ihr Alter eine immer noch aufregende Figur.

»Ach nee, die Kyra.«

»Pulle, warum hast du mich noch nicht besucht?«

»Ganz einfach, ich kann mir deine Preise nicht mehr leisten.«

»Das gibt’s doch nicht.«

»Doch, verehrte Schöne.«

Kyra nannte sich eine Hure mit Herz, was nur bedeutete, dass sie ihre Kunden nicht grundsätzlich sofort übers Ohr haute. Pulle war vor seiner Haft häufiger zu ihr gegangen und Kyra hatte ihm mehrfach versichert, dass er ihr immer ein sehr willkommener Kunde sei, an den sie stets mit Vergnügen denke. Das konnte man glauben oder auch nicht. Pulle wusste, dass sie eine Reihe von Stammkunden besaß, die er gar nicht näher kennenlernen wollte. Immerhin hatte er nie erlebt, dass sie ihr sauer Verdientes an einen Zuhälter abdrücken musste, was wohl bedeutete, dass jemand mit Einfluss im Milieu eine schützende Hand über sie hielt.

»Ich hab gehört, dass du dich selbstständig gemacht hast.«

»Stimmt, das Paradies hinter dem Nordbahnhof.«

»Ich würde gerne mal vorbeischauen, Kyra, aber ich habe wirklich kein Geld.«

»Mein Lieber, habe ich ein Herz oder nicht? Du bist natürlich mein Gast.«

»Ich überleg’s mir.«

»Aber nicht zu lange, einverstanden?«

Im Bus Richtung Kaatenmoor grübelte Pulle, wer ihr wohl das Geld für den Kauf vorgestreckt hatte. Früher war das Paradies ein schmuddeliger und schummriger oben ohne Schuppen gewesen, in dem man nicht zum Trinken kam, weil man seine Brieftasche mit einer Hand festhalten und mit der anderen die aufdringlichen Nutten mit den langen Fingern abwehren musste. Selbst Kyra hatte in diesem Bums nur bei allerschlimmster Geldnot gearbeitet.

 

Zwei Wochen später besuchte Pulle tatsächlich das Paradies.

Er trank noch an seinem ersten Whisky, als sich auf den Hocker neben ihm ein junger Bursche setzte, Anfang zwanzig, mit ölig schwarzen Haaren und einem ausdruckslosen Gesicht.

Er grüßte höflich und sagte etwas, was in dieser Umgebung mehr als ungewöhnlich war: »Hoffentlich störe ich Sie nicht, Herr Pullrich, mein Name ist Svoboda, Milan Svoboda. Darf ich Sie zu einem Whisky einladen?«

Pulle hätte abgelehnt, wenn nicht in der Sekunde Kyra besorgt auf die beiden Männer geblickt hätte. Also verdankte er ihr seinen Nachbarn.

»Gern, aber ich muss Ihnen gleich beichten, dass ich nicht in der Lage bin, mich zu revanchieren.«

»Das weiß ich und das ist unter anderem der Grund, warum ich gern mit Ihnen reden würde. Ich hätte Ihnen einen Job anzubieten.«

»Hier haben die Wände Ohren«, warnte Pulle.

Der Schwarzhaarige nickte.

»Ich weiß. Lassen wir uns Zeit.«

Danach sprachen sie über Fußball und Weltmeisterschaften und korrupte Schiedsrichter, bis es Zeit wurde zu gehen.

Vor dem Auto blieb Svoboda stehen und sagte: »Bruno Levitzky sucht jemanden für einen heißen Bruch. Dreißig Riesen bar auf die Kralle.«

»Vielen Dank für das Angebot«, sagte Pulle, mühsam beherrscht, »aber ich nehme es nicht an. Weil du so nett bist, mich nach Hause zu fahren, will ich dir auch erklären, warum nicht. Erstens bin ich auf Reststrafenbewährung draußen und habe keine Lust, fast drei Jahre zusätzlich abzubrummen. Zweitens ist die schöne Zeit der heißen Brüche langsam vorbei, an diese modernen Kisten mit elektronischen Sperren, Erschütterungsmeldern und Thermowarnanlagen wage ich mich nicht heran. Drittens habe ich immer allein gearbeitet, und von dieser weisen Regel bin ich nur einmal abgewichen, nachdem mir ein gewisser Bruno Levitzky einen angeblich hundertprozentigen Tipp verkauft hat. Die Bullen standen grinsend vor der Tür, als ich mit leeren Händen herauskam, und Levitzky hat im Prozess gegen mich ausgesagt. Du kannst ihm ausrichten, dass ich ihm das nicht vergessen habe und auch nicht vergessen werde.«

Auf dem Weg vom Auto zu seinem Gartentor hätte Pulle vor Wut brüllen können. Jetzt hatte er nicht nur das verrückte Aas Schulte an den Hacken, sondern auch noch Bruno Levitzky. Dieser krumme Hund würde sich mit der Absage nicht zufriedengeben, sondern nachforschen, warum Pulle abgelehnt hatte. Schließlich musste er sicherstellen, dass Pulle ihn nicht so verpfiff, wie er das selbst einmal aus unbekannten Gründen getan hatte. Levitzky war ein schäbiger Schuft, der seine Mutter stückweise verkaufen würde, wenn es ihm nur etwas einbrachte.

---ENDE DER LESEPROBE---