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Ein Mann verbringt ein paar Tage in Tallinn mit einer russischen Hure und schreibt für sie ein Lied. Eine Geschichte vom Ficken und vom Abschiednehmen.
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Ein Mann saß in einem Hotelzimmer und telefonierte: „But don’t send me a fat girl“, sagte er, schicken Sie mir kein dickes Mädchen.
- Wir haben auch schlanke Mädchen, sagte die Stimme in seinem Mobiltelefon.
- Gut, sagte der Mann, ich mag keine dicken Mädchen.
Der Mann wartete. Er las ein paar Seiten in seinem Reiseführer. Das Land, in dem er sich befand, gab es noch nicht lange. Über Jahrhunderte hatte das Volk, das hier lebte, fremden Herren gedient. In den Burgen und Städten wurden andere Sprachen gesprochen als in den Dörfern der Bauern. Im 19. Jahrhundert hatten die Söhne dieser Bauern, die Lehrer, Pfarrer oder Ärzte geworden waren, entdeckt, dass sie eine Nation waren. Mit einer eigenen Sprache, die sie einst aus den Steppen Asiens mitgebracht hatten, und in der sie nun Epen und Romane zu verfassen begannen. Nach dem ersten großen Krieg hatten sie ihren Staat gegründet. Und wieder verloren. Erst an die Deutschen, dann an die Russen. Nun, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Reiches, probierten sie es wieder. Ein kleines Bauernvolk, das nun das Herrenvolk war, eine Million an der Zahl, mit einer halben Million Bürger zweiten Grades, in deren Pässen keine Staatsbürgerschaft eingetragen war.
Der Mann ging ins Badezimmer, füllte seinen kleinen Expresskocher mit Wasser und steckte ihn an, um Tee zu machen. Er reiste viel, darum war er auch immer gut ausgerüstet. Er hatte seinen Laptop dabei und zusätzlich noch einen Handheld-PC, er hatte sein Mobiltelefon, das ihn mit dem Internet verband, seine Digitalkamera, sein Schweizermesser, seinen Teekocher, Teebeutel, Kondensmilch und Süßstoff. Er trank gerne Wein, aber im Gepäck führte er eine Flasche Metaxa mit, darin war der Wein konzentriert. Während das Wasser heiß wurde, nahm der Mann eine Dusche. Das gehörte sich so, wenn man ein Mädchen bestellte, und es erfrischte und belebte ihn. Er duschte erst heiß, dann kalt. Vom Abreiben mit dem Handtuch angenehm durchblutet, hängte er einen Teebeutel in den doppelwandigen, verschließbaren Becher, den er bei Starbucks in Atlanta gekauft hatte, goß heißes Wasser auf, tat Süßstoff hinein und dann erst Kondensmilch, damit es keine Flocken gab, und setzte sich mit dem heißen Getränk in den Lehnstuhl.
Er lehnte sich zurück, nippte vom heißen, süßen Tee und schloss die Augen. Er war ein wenig nervös, aber das war ihm angenehm. Einen kleinen Metaxa könnte er sich auch noch einschenken, überlegte er. Zu viel Alkohol freilich konnte alles verderben.
Sein Telefon klingelte. Natürlich klingelte es nicht, die Töne, die es produzierte, waren eher eine Art rhythmisches Pfeifen. Der Mann hatte viel Geduld darauf verwendet, seinem Telefon einen unaufdringlichen Klang zu geben. Er hätte es auch klingeln lassen können wie ein richtiges, altes, schwarzes Telefon mit ratternder Wählscheibe, aber das wäre erst recht wieder pompös gewesen. So hatte er es mit viel Mühe dazu gebracht, einfach wie ein älteres Modell eines Mobiltelefons zu klingen.
‚Die Sprache kommt mit der Technik nicht mit“, dachte er. ‚wir sagen noch immer, dass Telefone klingeln, obwohl sie Symphonien oder Schlager spielen, wir sagen, wir heben ab, obwohl wir nur einen Knopf drücken...’
„I am here“ sagte die Stimme im Telefon, „can you come down to the reception please?“
Er fuhr mit dem Lift hinunter. Die abendliche Menge, die sich ab zehn vor dem Aufzug drängte, um die Bar im 8. Stock zu besuchen, hatte sich verflüchtigt. Auf der Bank in der Lobby saß ein mageres rothaariges Mädchen in einem braunen Pullover.
Er lächelte sie an: „Hello, I am Harry!“ und hielt ihr die Hand hin.
„I am Natalja“.
Das Mädchen trat zur Rezeption und hielt ihren Ausweis hin. Sie bekam ein Anmeldeformular hingeschoben und füllte es aus. Er legte inzwischen 300 Kronen auf die Theke, die Gebühr für die Benützung des Zimmers durch einen zusätzlichen Gast nach zehn Uhr abends.
In Moskau hatte ein Securitymann einmal 200 Deutsche Mark von ihm verlangt, doppelt so viel wie das Mädchen, das nur 50 Dollar haben wollte. Er handelte auf 200 österreichische Schilling herunter. Dann mussten sie die Lobby verlassen und zu einem Lieferanteneingang gehen, den eine alte Frau bewachte. Die führte sie durch einen dunklen Gang zu einem Personallift, von dem aus sie dann, ohne von der Stockwerksaufsicht gesehen zu werden, in sein Zimmer gelangen konnten. Das Mädchen bat ihn um Wodka, aber er hatte nur Bier. Als er begriff, dass sie mit dem Wodka Zahnschmerzen betäuben wollte, gab er ihr ein Aspirin und schickte sie nach Hause.
Hier war alles viel einfacher. Man zahlte 300 Kronen und niemand sah einen auch nur schräg an.
Im Lift verschwanden nach zehn Uhr Abends alle Knöpfe außer dem für den 8. Stock und dem für das Erdgeschoß hinter einer Blechplatte. Das war, damit die Barbesucher nicht auf die Stockwerke der Hotelgäste kommen konnten. Als Hotelgast aber brauchte man den Securitymann, der mit einem Spezialschlüssel das Blech wegklappte und auf den Knopf für das richtige Stockwerk drückte.
„The girl I wanted to send you was not available“, sagte das Mädchen. – Deshalb bin ich selber gekommen.
Er sah sie genauer an im trüben Licht der Aufzugskabine. Sie trug keine Schminke. Ihr Haar war glatt nach hinten gekämmt und zu einem Knoten aufgesteckt. Das betonte ihre hohe runde Stirn.Ihre Nase war flach, ein wenig asiatisch, auch ihre Augen waren ein wenig schräg. Nicht einmal die Wimpern hatte sie gefärbt, die lang waren, aber hell und dünn, fast nicht sichtbar. Ihre Haut hatte die Blässe der Rothaarigen und ihre Lippen wirkten deshalb sehr rot. Ihre Zähne waren unregelmäßig, und beim Lächeln zeigte sie zu viel Zahnfleisch.
- Ich bin froh, sagte er auf Englisch. Ich hätte keine andere gewollt.
- Ich war auf einer Geburtstagsparty, sagte sie. Ich habe Tequila getrunken. Normalerweise trinke ich nichts, aber heute bin ich etwas betrunken.
- Es tut mir leid, dass ich dich von deiner Party weggeholt habe.
Er sperrte das Zimmer auf und öffnete ihr die Tür.
Das Mädchen ging hinein ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. Sie lächelte entschuldigend: Ich bin müde!
- Kann ich dir etwas anbieten? Ich habe nur diesen Cognac hier.
- Nein danke. Wo kann ich eine Dusche nehmen?
Er zeigte ihr das Badezimmer, dann setzte er sich wieder in den Lehnstuhl, trank seinen Tee aus und nahm noch einen kleinen Schluck Metaxa. Manche Mädchen trödelten im Bad. Sie versuchten, so einen Teil der vertraglich festgelegten Zeit herumzubringen. Diese da kam schnell zurück, mit einem Badetuch um den schmalen Körper.
- Jetzt du! sagte sie.
- Ich habe schon geduscht. Während ich auf dich gewartet habe.
Sie zuckte die Achseln.
- Würdest du dich besser fühlen, wenn ich noch einmal eine Dusche nehme?
Sie nickte.