Self-Publisher-Blues - Luise Link - E-Book

Self-Publisher-Blues E-Book

Luise Link

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Beschreibung

Ein großer Moment: Judy Fall hat als Self-Publisherin ihr erstes Buch veröffentlicht! Anerkennung, Ruhm, Ehre und Verkaufserfolge wollen sich aber nicht einstellen. Reaktionen der Umwelt, vergebliche Marketinganstrengungen, misslungene Verkaufsstrategien und schlechte Umsatzzahlen drücken auf die Stimmung. Liegt's am Self-Publishing-Buchmarkt? Hat Judy Fehler gemacht? Was muss sie zukünftig ändern? Satire, Sachbuch und Ratgeber – „Self-Publisher-Blues“ ist alles zugleich: amüsant und informativ – aber nicht immer ernst gemeint. Wer schreibt und veröffentlichen will, sollte es gelesen haben. Auch lohnend für jene 48%, die gar nicht wissen, was ein Self-Publisher ist...

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„Meine Verteidigung war erstaunlicherweise nötig, obwohl ich doch nichts Böses getan hatte – nur ein Buch geschrieben.“

Judy Fall

Inhalt

Statt eines Vorworts

Gestatten: Judy Fall

Auf Tour

Der Tag ist noch lang

Oh Mann, was habe ich getan?

Die Zeitung kommt

Der Schönheitsfehler

Ich gestehe

Durchhalten

Mit der Kritik leben lernen

Das Buch – ein Röntgenschirm

Pseudo

Verkaufsstrategien

Dilemma

Der Fanclub

Wer? Wie? Was? – Das Prinzip

Ein Plädoyer

Glück oder Pech

Die ersten Wochen

Veränderungen

Gitte wird lesen

Gittes Produkt

Was hatte Gitte richtig gemacht, was ich falsch

gemacht hatte?

Günters Beißhemmung

Die zweigeteilte Welt

Wie bei der Erdbeerschwemme

Warum schreibt man?

Sadismus und Masochismus: Die Beziehung

zwischen Autor und Leser

Arthur fragen

Ein Anruf, der ein Leben verändert

Gitte und Günter lesen gemeinsam

Kunst und Gunst

Neue Ideen

Gitte und Günter, Britney und Judy

Manöverkritik

Lully trägt vor

Fine

Ausblick

Glossar

Statt eines Vorworts

Anlässlich einer Recherche für mein geplantes Buch über Self-Publishing in Deutschland lernte ich 2013 bei einem Autorinnentreffen in Bad Mustermannshausen Judy Fall1 kennen. Sie hatte gerade ihr erstes Buch veröffentlicht, mit mäßigem Erfolg und unerwarteten Reaktionen ihrer Umwelt.

Im Interview – aus dem an dieser Stelle nur ein kleiner Ausschnitt veröffentlicht werden kann – versuchten wir gemeinsam eine erste Analyse der Probleme.

LL Frau Fall, Sie bezeichneten die Veröffentlichung Ihres ersten Buches bei der Tagung als ‚Buchschock‘. Das erinnert fast etwas an Babyschock.

JF Es gibt da durchaus Analogien.

LL Sie kündigten an, Ihr nächstes Buch unter einem Pseudonym veröffentlichen zu wollen. Warum?

JF Im Moment denke ich darüber nach, ja. Mein Agent hat mir dazu geraten. Meine Karriere als Schriftstellerin sei noch ungefestigt, ein zweites Buch mit mäßigen Verkaufszahlen schwer verkraftbar. Der Erfolg hat eben viele Väter, Onkel, Tanten und Kusinen. Von der Erfolglosigkeit hingegen bleibt immer etwas hängen. Selbst große Karrieren sind durch einmalige Flops vernichtet worden. Wenn das zweite Buch einen guten Umsatz erreichen würde, würde das erste sozusagen „geheilt“. Dann könnte ich mein Inkognito ja jederzeit lüften.

...

LL

Frau Fall, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Wir trafen uns in den nächsten drei Jahren regelmäßig zum Gedankenaustausch. Irgendwann bot Frau Fall mir an, ich könne ihre Geschichte, ihre Gedanken und Analysen in einem Buch verarbeiten. Ich habe diese Möglichkeit sehr gerne wahrgenommen. Aus vielen Gesprächen mit Self-Publishern weiß ich, dass ihr Fall weit über den eigenen hinausreicht: Er ist typisch für den Selbstverleger, der zum ersten Mal die öffentliche Bühne betritt.

Deshalb bin ich Frau Fall für die Autorisation zur Veröffentlichung der hier vorgelegten Fallanalyse zu großem Dank verpflichtet.

Gestatten: Judy Fall

Erinnern Sie sich noch an die Auftritte von Günter Grass oder Siegfried Lenz im Fernsehen?

Mein Gott, die Fernsehrunde und das Millionenpublikum vor der Mattscheibe – wie hat man diese großen Geister bewundert! Und wenn solche berühmten Autoren auf Lesetour gingen, da waren Theater, riesige Säle bis zum letzten Platz besetzt. Man lauschte dem Meister.

Literarisch schreiben – das wollte ich auch.

Ich verfasste einen Roman und veröffentlichte ihn. Als Self-Publisher. Mein Debut.

Wenn du einen Verlag hast, am besten einen ganz, ganz großen und renommierten, der nimmt eine Glocke in die Hand und teilt der Weltöffentlichkeit mit, dass er einen neuen Autor entdeckt hat. Einen, der etwas erzählen kann und zu sagen hat. Einen, der gut schreibt. Und dann sind die Leser gespannt, was der zu bieten hat. Und kaufen das neue Buch, sind beeindruckt, der junge Autor wird geehrt und kann sich toll fühlen.

Hast du keinen, also keinen Publikumsverlag, dann nimmst du die Bimmel selbst in die Hand. Du stellst dich auf den Marktplatz in deiner Heimatstadt, schellst oder bimmelst:

„Leute, hört mal alle her! Ich hab etwas zu erzählen und zu sagen.“

Dann gucken erst mal alle verblüfft und denken:

„Du liebe Güte, hat die denn auch schon was zu sagen? Was will die uns erzählen?“

Und sie nehmen sich dann – mehr oder weniger – vor, das neue Buch auf keinen Fall zu kaufen!

Der frischgebackene Autor hat also ein ziemliches Problem und muss sich eine Menge einfallen lassen!

Und von all dem handelt meine Fall-Analyse:

Der Fall von ‚Judy Fall‘

Auf Tour

Ich bin heute auf Tour.

Auf Ochsentour.

14.00Uhr.

Ich stehe in einer kleinen Buchhandlung, in einem Kleinstädtchen, nicht weit von Bad Mustermannshausen entfernt. Vor mir eine junge Dame, die sich intensiv beraten lässt, dann ein älterer Herr mit der gleichen Absicht. Endlich bin ich an der Reihe.

Ich bin schon zum zweiten Mal hier. Heute Morgen hat mir die Verkäuferin gesagt, ich solle um vierzehn Uhr wiederkommen, der Filialleiter sei noch nicht da.

Der Filialleiter lächelt sein freundliches „Siewünschen-bitte-Gesicht“.

Ich packe aus meiner Jutetasche fünf Bücher aus.

Bevor ich noch ein Wort hervorgebracht habe, ist sein Gesicht schon in den „Womit-wollen-Siemich-belästigen?“-Modus gerutscht.

Ich traue mich trotzdem zu sprechen.

„Guten Tag. Mein Name ist Judy Fall. Ich habe einen Roman geschrieben.“

Augenblicklich wandelt sich sein Gesicht zum „Ich-gebe-nie-einen-Euro“-Ausdruck, vielleicht soll’s auch die alte Version „Betteln und Hausieren verboten“ sein.

Nach Luft schnappend, keuchend, bringe ich mit letztem Mut hervor:

„Könnten Sie einige Bücher in Kommission nehmen? Natürlich gebe ich Ihnen auch den Buchhandelsrabatt von 30%.“

Nach den 30% wird’s ein kleines bisschen besser.

Der junge Filialleiter mustert mich, mitleidig. Klar, ein dynamischer Jungautor sähe anders aus.

Ich bin neunundfünfzig, gerade Frührentner geworden. Wenn man ein ganzes Leben wie ein Tier geschuftet und sich bis zur Frühverrentung abgeschafft hat, braucht man neue größere Aufgaben.

„Wo werden Sie die Bücher denn auslegen?“

Ich weiß genau, dass der Erfolg meines Buches nicht unerheblich von dem Platz abhängt, auf dem es sein Display erfährt.

Der Filialleiter blickt entrüstet.

Was fällt mir ein?

Wenn er schon gnädiglich mein kleines eitles Machwerkchen in sein Sortiment aufnimmt, da hab ich dankbar zu sein, nicht mit blöden Fragen seine Zeit zu verschwenden. Er sagt denn auch:

„Wo ich die Bücher hinlegen werde, das weiß ich nicht. Ich schau dann irgendwann mal. Kommen Sie in einem halben Jahr wieder, da können wir sehen, ob ein Buch verkauft worden ist.“

Der Tag ist noch lang

Auf meiner Rundreise stehen heute noch weitere vier Buchhandlungen. Alle in der Nähe meines Wohnortes. Ein Buch von mir hat höchstens lokal eine Chance. Ich hab da aber ein Problem. Ich schreibe eigentlich für die ganze Welt – bin aber selbst in meiner Heimat fast chancenlos. Wenn ich wenigstens Krimis schreiben würde! Das liegt mir aber nicht. Weil’s schon genug Verbrechen in der Welt gibt, da will ich nicht noch welche dazu erfinden.

Beim zweiten Buchhändler hab‘ ich mich seriös eingeführt. Ein Buch vorab vorbei gebracht, damit er nicht die Katze im Sack kaufen muss. Kaufen wird er aber ohnehin nicht. Geht alles auf Kommission und mit Rabatt.

„Wie hat Ihnen der Roman denn gefallen?“

Er schweigt einen Augenblick. Das verheißt sicher nichts Gutes.

„Also, was Sie da schreiben, was wollten Sie denn damit sagen?“

Wenn der Buchhändler es nicht versteht, habe ich vielleicht zu viel verschlüsselt?

„Ich lese ohnehin nur Literatur aus dem neunzehnten Jahrhundert“, fährt er fort.

„Da kann ich verstehen, dass Sie Gegenwartsliteratur nicht so mögen. Aber wenigstens haben Sie mein Buch als Literatur bezeichnet, das ist ja schon etwas“, sage ich.

Er zieht mir den Zahn umgehend.

„Ach, wissen Sie, für mich ist alles Literatur, auch drei Buchstaben oder zwei Worte.“

Dafür, dass ein Buch geschenkt ist, hat er sich echt rangehalten mit der Kritik.

Er nimmt mir dann aber die Bücher doch aus der Hand und verfrachtet sie an einen super Platz im schönen Laden. An dem Platz liegt’s nicht, wenn ich nichts verkaufe.

Ich verabschiede mich.

Heute Abend werde ich mir zum Trost noch mal „Amadeus“ ansehen. Mozart ist auch bei allen abgeblitzt und später hat man gejubelt, wie toll er war.

Buchhandlungsbesuche drei und vier laufen ähnlich ab wie Nummer zwei. In das vorab vorbeigebrachte Buch hat man aber noch nicht schauen können, deshalb fällt wenigstens die Kritik aus. Aber man ist bereit, die Bücher zu den üblichen Konditionen zu übernehmen.

Bei Nummer fünf spiele ich Vabanque. Die Buchhandlung ist die größte in der Gegend. Ich habe nicht angerufen, ich habe nichts vorbeigebracht, ich muss den Filialleiter überrumpeln, sonst wird er mir im Leben keinen Platz im Sortiment einräumen.

„Ich hätte gern die Filialleitung gesprochen. Ob ich meine Bücher hier bei Ihnen lassen kann.“

Oh, das kommt gar nicht gut an.

„Wir haben heute Inventur.“

So schnell lasse ich mich nicht abwimmeln.

„Ich bin weit gefahren. Könnten Sie bitte nachfragen?“

„Wie heißt denn Ihr Buch?“

Ich nenne Titel und Autorenname.

Die Verkäuferin ist entgegenkommend. Sie ruft tatsächlich die Filialleiterin an.

Sie nennt den Titel und den Verfasser.

Kurze Pause.

Ich kann durch Wände sehen.

Aha, ein Roman. Im Eigenverlag.

Ich bin gestorben.

Ich hake trotzdem noch einmal nach.

„Ich könnte Ihnen ein Freiexemplar hier lassen. Dann könnten Sie sich über die Qualität des Buches informieren.“

„Da schaue ich nicht rein“, entsetzt sich die Verkäuferin.

„Aber für eine so große Buchhandlung wie die Ihre ist doch die Kenntnisnahme, wenn nicht gar Förderung der heimischen Literatur eine wichtige Sache, oder nicht?“

„Wie viele Seiten hat denn ihr Buch?“, fragt sie.

„Einhundertfünfzig“, antworte ich.