Seltener Besuch - Alexander von der Decken - E-Book

Seltener Besuch E-Book

Alexander von der Decken

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Beschreibung

Axel Duda ist freiberuflicher Werbetexter. Die Branche ist im Umbruch und Duda auch. Wenige sind noch gut im Geschäft. Viele nicht, er gehört zur letzteren Gruppe. Eines Morgens dreht er den Duschhahn auf , völlig verkatert, das heiße Wasser trommelt auf seinen Kopf. Die Apokalypse zeichnet sich feuerrot am Horizont ab. Da fährt ein Schlitten vor, er steigt ein. Die Zeit ist aufgehoben. Duda kommt ins Gespräch mit Ernest Hemingway, Sherwood Anderson, Albert Camus und Ödon von Horvath. Die Geschichte zeigt, dass das Leben ist eine Sache des Standpunkts ist, man muss ihn nur finden.

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Seitenzahl: 39

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Alexander von der Decken

Seltener Besuch

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Seltener Besuch

Impressum neobooks

Seltener Besuch

Es war eine harte Nacht, voller wirrer Träume und Heimsuchungen. Geschafft stehe ich morgens unter der Dusche – wie jeden Morgen – und lass mir das Wasser auf den Kopf plätschern, schön heiß. Völlig entspannt genieße ich die Wärme, als ich weihnachtliche Weisen vernehme. Erst leise, dann immer lauter.

„O du fröhliche, O du selige,

Gnadenbringende Weihnachtszeit!

Welt ging verloren, Christ ward geboren:

Freue, freue dich, O Christenheit

O du fröhliche ….“

Ich trau meinen Ohren nicht, reiß den Duschvorhang auf – und da biegt ein Schlitten um die Ecke voller hübscher Weihnachtsmänninnen. Bis auf eine rote Weihnachtsmütze unbekleidet. Ich drehe den kalten Wasserhahn weiter auf. Vielleicht sollte ich mit dem Weizenbier aufhören – oder zumindest eine Zeit lang aussetzen. Nackte Weihnachtsmänninnen im Frühling, das glaubt mir niemand, ich klammere mich an den Wasserhahn. Der Schlitten hält direkt vor der Dusche und sie winken mich zu sich. Warum nicht, denk ich. Zum Fest kommt doch nur wieder der knorrige Alte mit Rauschebart und hochrotem Kopf von all den Schnäpsen, die ihm selige Eltern einflößen. Ne, da mach ich lieber ne dufte Spritztour mit den singenden Mädels. Also steig ich ein. Zwei geschmackvoll unbekleidete Weihnachtsmänninen rücken auseinander, weisen mir den Platz zwischen sich. Ich denke erst gar nicht daran, mir ein Handtuch mitzunehmen. Nass, wie ich bin, klettere ich in den Schlitten. Himmlische Chöre erklingen. Ich setze mich zwischen die beiden, mein Blick reibt sich an den Körpern. In meinem nächsten Leben werde ich Weihnachtsmann, soviel steht fest. Zumindest scheint das Personal da oben recht ansehnlich. Ob Alice Schwarzer und die Beauvoir hier auch Dienst tun? Ich würd’s zu gerne wissen. Die Schwarzer sah früher richtig gut aus. Ich frage mich, warum es ein besonderer Reiz ist, sich eine Frauenrechtlerinnen unbekleidet vorzustellen. Vermutlich ist es das Spannungsfeld zwischen perlendem Intellekt und blütenfarbener Phantasie. Ohne ein Kommando setzt sich der Schlitten in Bewegung, nur leises Glockengeläut. Und dann geht’s ab – im Kreis. Ich bin irritiert. Die Frauen haben maskenhafte Gesichter, keine Mimik, nur die Körper atmen. Scheppernde Karussellmusik setzt ein. Wunderschöne Körper. Die Welt dreht sich, die Kutsche fährt im Kreis, die Frauen sprechen, ich versteh kein Wort, das Karussell nimmt mehr Fahrt auf, es reißt gleich aus der Verankerung, denk ich, dann – auf einmal – verschwimmt die Zeit. Die Frauen sind bekleidet, die Musik verstummt, ihre Worte werden klar – ich sitze nackt zwischen ihnen. Sie sind geschwätzig wie Marktfrauen, ihre Gesichter beben vor Leben. Ich kenne diese Frauen, erinnere bloß nicht woher. Sie nehmen mich nicht wahr. Und dann wird mir klar, es sind die Lieben meines Lebens. Träume – die Geschwister des Wunsches. Meine Träume haben eine Seele. Ich berühre die Frau rechts neben mir, vorsichtig, zuerst die Schulter. Sie ignoriert es. Ich fühle das Schulterblatt. Meine Hand gleitet zu den Brüsten, mein Puls hämmert, diese Rundung. Ich wende mich der Frau links von mir zu. Langsam berühre ich ihr Bein. Meine Berührung versickert im lebhaften Geschwätz der Vier. Es sind die vier Lieben meines Lebens, mit denen ich in dem Schlitten fahr: Die Melancholie, der Tod, die Sehnsucht und die Unverbindlichkeit. Sie haben sich schön gemacht für mich, wollen aber unter sich sein. Meine Meinung interessiert nicht. Sie wollen sich amüsieren.

Der Tod, das ist Ernest Hemingway. Zeitlebens schwankte er mit dem Glas in der Hand an seiner Seite, unfähig, ihm den Rücken zuzukehren. Als Kind war er ihm begegnet, bevor er als Erwachsener von ihm tyrannisiert wurde. In dem Buch „In unserer Zeit“ hat er beschrieben, wie er ihn zum ersten Mal sah. Damals war es noch ein zufälliges Aufeinandertreffen. Beschrieben in dem Kapitel „Indianerlager“. Mit seinem Vater, einem Arzt, war der kleine Nick während der Ferien in einem Indianerlager, wo eine Frau ein Kind bekam. Nick sieht, unter welchen Qualen dies geschieht, sieht, dass der Mann das Leiden seiner Frau nicht erträgt und sich aus Verzweiflung die Kehle durchschneidet. Ein Akt, der den kleinen Nick zutiefst verunsichert. „Ist sterben schwer, Vati?“ – „Nein, ich glaube, es ist ziemlich leicht. Nick. Es kommt drauf an.“