Sex and Crime auf Königsthronen - Sabine Werz - E-Book
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Sex and Crime auf Königsthronen E-Book

Sabine Werz

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Beschreibung

Warum ließ Hollands Nationalheld Wilhelm von Oranien seine Ehefrau einmauern? Wie entledigte sich Heinrich VIII. seiner Ehefrauen? War Johanna die Wahnsinnige wirklich irre? Und wozu brauchte Karl II. einen Speicheltuchhalter? Sabine Werz versammelt Liebestragödien, Mordkomplotte und Sexgeschichten von europäischen Königshäusern - Geschichten, die Ihr Lehrer schamvoll verschwieg.

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Inhalt

CoverInhaltTitelImpressumZitatTeil I: Klatsch als KönigsdisziplinMärchen kommen nicht ohne Könige aus und wir nicht ohne MärchenTeil II: Heinrich der VIII. – ein König zum Gruseln und seine schrecklich nette FamilieWie alles anfing: Eine schrecklich nette Familie oder Verwandtenmord hat TraditionDas blutige Erbe der RosenkriegeEin männliches AschenputtelEin König am Rande des NervenzusammenbruchsVerlobt mit acht, schwanger mit zwölf – Ein Kind wird KönigsmamaEs bleibt in der Verwandtschaft: Königs- und Kindsmorde in Kathedralen und im TowerEin königlicher FlüchtlingDie Tudors – Englands Neu-Rosen auf dem ThronSchließ die Augen und denk an EnglandKleider machen Leute – von falschen und von echten StaatsschauspielernDie Angst liegt mit im BettIn der Prinzenrolle nur zweite BesetzungPapa Tudor – Finanzterrorist und SchreibtischtäterA star is born – Ein goldener Prinz erobert das Herz des VolkesPopstar der RenaissanceRoyales Kultur- und BildungswunderGefährliche FreundschaftenGenial kalkulierte GrausamkeitenEine königliche Romanze und MärchenhochzeitDas Leben ein FestKönig Artus’ letzter Ritter kämpft für hundert ParmesankäseEheschlachten und tragische Niederlage einer WarladyFranz I. und Heinrich VIII. – die lebenslange WadenkonkurrenzDer größte Angeber und Bauherr der RenaissanceEuropas erster FriedensengelHeinrich der (Schein-)HeiligeDer Tudor-Monarch als Ritter der FederDie schwarze Nan und eine Ménage à quatreAmors Pfeil trifft den einsamen JägerEine sündhafte EheProzess um ein JungfernhäutchenLöwe Heinrich entdeckt seine Pranken und kegelt mit KöpfenDer Bischof von RomHemden nähen ist nicht genug – eine Königin wird ausgemustertSchon wieder eine TochterDie rasende KöniginTurnierunfall, Totgeburt und Todesurteile – ein Tyrann wird geborenInzest und ImpotenzErst ein paar Hinrichtungen, dann eine HochzeitEndlich! Der Prinz küttWas noch passiertTod und Vermächtnis eines GruselkönigsExecutioner strike home!Teil III: Wilhelm von Oranien oder: Die Ehe ist ein Todesurteil, das lebenslang vollstreckt wirdPrinz Wilhelm und König FußballWilhelm der Mitgiftjäger und HerzensbrecherGattinnen hinter GitternErbarmen, die Hessen kommenWie der Oranier nassauerteKindheit als ExilEine verwaiste PrinzessinWilhelm von O. wird Kaisers Liebling und MusterschülerEin Kavalier und SchürzenjägerDer Schneewittchenmord zu BrüsselManierenkunde und MaskenspieleEin Casanova auf FreiersfüßenLustig ist das Soldatenleben – erst recht im BettWilhelms Konzept der offenen EheSächsische Ausschweifungen und ein sexuell hyperaktiver hessischer ReichsfürstBis dass der Tod euch scheidet – Wilhelm wird frei für eine neue EheNeue Bündnisse im Ehebett – Sex fürs Vaterland und eigene für TruppenVom Prinzen zum RebellenDie Ehetragödie beginnt als Kuhhandel und GroschenromanDie sächsische Hochzeit – närrische Metzger und raffinierte MaskenspieleHerzschmerz im TraumschlossPrinz Pokerface schreibt gezinkte BriefeDer Freiheitskämpfer macht weiterDie spanische Furie schlägt zurückBilder des Schreckens und fürstliche FluchtpläneDillenburger DepressionenKrieg in den Niederlanden und Krach im NähzirkelShopping, Schuhe und zu viel SchokoladeJede Krise ist eine Chance – sogar die PestPrunk auf PumpEin Fürst in LumpenAnnas Kampf um ihre Leipserben und ihr LeibgedingeEin Anwalt namens RubensDie Scheidungsfehde beginnt lautlosDer Prinz will kein Provinzfürst werdenDer Widerspenstigen ZähmungVaterschaftstest per FolterTeil IV: Abenddämmerung der Monarchie – Sex, Lügen und der reine WahnsinnKlatsch as Klatsch can – Aufklärer treffen auf royale AbsolutistenEin Opfer der königlichen Genlotterie – Don CarlosWahnsinn hat Methode – Spaniens letzter HabsburgerMärchen über das Recht der ersten NachtTodesstrafe für sexuelle Konterrevolution und ein KönigsbordellEin royaler Hirschpark voller HurenKurzer Seitensprung zu den Anfängen des geregelten SeitensprungsVielweiberei ist und bleibt Mode bei den MächtigenGewitztes Liebchen oder eiskaltes Luder? Ein Seitensprung zur Zeit des MinnesangsTödliche Liebschaft und GruselromanzeEine unsterblich schöne LeicheKönige sind auch nur MenschenMarie Antoinette – Eine Königin spielt Milchmädchen, doch die Rechnung geht nicht aufKatharina die Große – Mörderische Komödiantin auf dem KaiserthronDie Krone wird zu schwer für manchen Kopf – Volksrebellen & PalastrabaukenPortugalSpanienÖsterreichDänemark – Ein König liebt die gestiefelte Cathrine und probt den AufstandFrankreichTeil V: Unerwartete Wiederauferstehung – Queen Victoria muss ein Empire rettenDie lustigen Prinzen von WindsorIn dubio pro Rex oder für Präsidenten?Queen Victoria schließt die Augen und denkt nicht an EnglandVictorias unbezähmbare ErbenAnhangNachsatz

Sabine Werz

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt

durch die Michael Meller Literary Agency, München

Copyright © by Sabine Werz

Copyright © 2010/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Monika Hofko

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-8387-0304-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die nützlichsten Bücher sind die, die den Leser anregen,

sie zu ergänzen.

Voltaire

… und gute Freunde sind die, die das Entstehen eines

Buches kritisch, liebenswürdig und hilfreich begleiten.

Ein herzliches Dankeschön an Ulrich Brünken!

Geschichte ist die Lüge,

auf die man sich geeinigt hat.

Napoleon, Kaiser von Frankreich

Wie schreibt man – außerhalb wissenschaftlicher Fachseminare – heute angemessen über Europas Könige und Europas Adel?

Auf den Knien des Herzens, wie die rührselige Sparte der Klatschpresse? Voll Ehrfurcht vor den Verdiensten und vor der erhabenen Würde, wie versprengte Monarchistenvereine? Mit revolutionärem Biss à la Heinrich Heine: »Der Teufel, der Adel und die Jesuiten existieren nur so lange, als man an sie glaubt.« Augenzwinkernd, wie der adlig geborene Soziologe Sir Bertrand Russel: »Alle Familien sind gleich alt, manche haben nur eine bessere Buchführung hinterlassen.« Oder im Stil von Englands royal ratpack: scheinheilig empört und klammheimlich begeistert über jeden Patzer von Blaublütern und Potentaten? Eine Mischung aus allem erscheint mir gerechtfertigt.

Fest steht: Das Interesse am Adel und an der Staatsform Monarchie ist auch nach dem Sturz oder der demokratischen Entschärfung von Europas Majestäten bunt, widersprüchlich und lebendig.

Könige und Adlige faszinieren nach wie vor – in der Forschung und im Friseursalon. Das beweist neben der Klatschpresse auch die Begeisterung für Biografien gekrönter Häupter, TV-Dokumentationen und historische Romane rund um Royals. Letztere sind auch in Deutschland sensationell erfolgreich, obwohl 1918 unser letzter Kaiser abgesetzt und sämtliche Adelstitel abgeschafft wurden. Die deutsche Monarchie zerplatzte wie eine Seifenblase, und kaum jemand vermisst sie hierzulande auf der Politbühne.

Schon Thomas Mann notierte in seinem Tagebuch: »Ich habe nichts gegen den Fall der Dynastien und des Kaisertums … (Es) ist ein romantisches Rudiment, das von Wilhelm II. auch in solchem Sinne dargestellt wurde, auf sehr nervöse, rauschhafte und provozierende Art, und das sich praktisch wirklich erübrigt.«

Die Weimarer Republik ging nach der Novemberrevolution von 1918 – bei der in Richtung Palast nur recht harmlose Schüsse fielen – schonend um mit dem Kaiser und den Aristokraten. Wilhelm wurde ins holländische Exil entlassen. Der Staat übernahm die pflege- und kostenintensiven Schlösser und Parks fürstlicher Familien, während er ihnen die bewohnbaren Häuser und einträgliche Vermögensanteile überließ. Unter anderem deshalb notierte Kurt Tucholsky, alias Peter Panter und Theobald Tiger, spitz: »Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.«

Ein mehr oder minder komfortables Fortleben ist Königen und ihrer Entourage auch in unserer Fantasie gesichert.

Selbst in den USA, die immerhin schon 1776 ihre Unabhängigkeit vom Mutterland England, von Europa und der Monarchie erklärten, kennt die Begeisterung bei royalem Staatsbesuch kaum Grenzen. Nirgends war die 1997 tödlich verunglückte Lady Di beliebter, nirgends war Fergie, die Herzogin von York, als Werbebotschafterin für Weight Watchers erfolgreicher. Daheim musste sich die zeitweise übergewichtige Duchess of York hingegen von der Pöbelpresse als Duchess of Pork (»Herzogin Schweinefleisch«) verspotten lassen und hatte als millionenfache Schuldenmacherin einen schlechten Ruf.

In England ist die Begeisterung für Romane rund um Ritter, Könige & Co. nicht so groß wie hierzulande. Dafür ist das Interesse der Bewohner des real existierenden Inselkönigtums an ihren toten Monarchen immens. Regelmäßig strahlen BBC und private Kanäle hinreißende Dokus über die Tudors, die Stuarts und über Queen Victoria aus.

Weniger geschichtlich interessierte Briten ergötzen sich an frischen Skandalen aus der Gerüchteküche des Buckinghampalastes. Selbst (Null-)Nachrichten à la »Prinz Harry schenkt der Queen ein Furzkissen zu Weihnachten« sorgen für Schlagzeilen. Und für Auflage.

Dank Bunte & Co. stranden derlei Nichtigkeiten auch auf den Wartezimmertischen hiesiger Arztpraxen und in den Lesezirkelmappen der Friseursalons, wo nicht wenige dem diskreten Charme der Monarchie erliegen. Schämen muss sich deswegen keiner.

Im Gegenteil: Klatsch aus den besten Kreisen hat eine royale Tradition.

Nach wie vor beliebte Gerüchte, Vermutungen und Verleumdungen über gekrönte Häupter sind so alt wie das Königtum selbst. Mehr noch: Die hässlichsten Enthüllungen über manche Könige und Fürsten stammen aus der Feder von Höflingen, Diplomaten, Kardinälen oder sind direkt den Köpfen adliger Machthaber entsprungen. Um Geschichte zu machen. Skandalberichte aus eigenen Kreisen dienten der Schwächung von Thronkollegen und Rivalen.

Auch der Vatikan mischte bei der Verbreitung oder Erfindung von Sudelgeschichten heftig mit und musste sich dasselbe von weltlichen Widersachern mit Krone und Zepter gefallen lassen. Manche ihrer gegenseitigen Tratschkampagnen in Sachen Sex and Crime dürften sich königliche und päpstliche Mobbingexperten selbst geglaubt haben. Auch unter den oberen Zehntausend traut(e) man der Volksweisheit: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Wie heiß und höllisch das im Einzelfall wirklich loderte, prüfen Historiker noch heute mit wechselndem Ergebnis.

Alles, was heute privat genannt wird, war jahrhundertelang Politik. Könige waren per definitionem öffentliche Figuren, die ihr Amt und ihre Macht in allen Lebenslagen buchstäblich verkörpern mussten. Monarchen des christlichen Abendlandes legitimierten ihr Amt mit Texten der Heiligen Schrift und verstanden es als gottgegeben. Weil kaum ein Sterblicher zum Heiligen geboren ist, behalf man sich seit dem Mittelalter mit der Annahme, der Monarch habe zwei Leiber: einen unantastbaren, quasi heiligen und daneben einen irdischen, der den Anfechtungen weltlicher Sünden eben nicht widerstehen kann.

Diese gelehrte Idee ist heute schwer nachzuvollziehen, und sie überzeugte selbst die Machthaber in der Praxis nicht immer. Gehobener Klatsch gehört bei Hof zum politischen Tagesgeschäft.

Auf den Burgen des Mittelalters sind fahrende Sänger nicht nur der schönen Troubadourlieder wegen willkommen. Interesse findet auch, was sie vom Hörensagen über Sexleben, Benehmen und Fehdeabsichten anderer Festungsherren wissen. Oder vorgeben zu wissen.

Im Italien der Renaissance dienen die Palazzi adliger Patrizier und ihrer Kurtisanen als internationale Gerüchtebörsen. Diplomaten aus aller Herren Länder spitzen die Ohren, um Fehltritte peinlicher Potentaten und politische Pläne zu erlauschen, während ihre Augen und Hände mit den Dekolletés der Damen beschäftigt sind.

Am Hof Heinrichs VIII. ist im 16. Jahrhundert gar der Stuhlgang des königlichen Vielfraßes Gegenstand politischer Betrachtungen. Und nicht nur dort. Die Laune oder eine eventuell lebensgefährliche Erkrankung, die Mediziner jahrhundertelang gern an Konsistenz und Farbe von Ausscheidungen ablesen, sind keine schmutzigen Details. Mit der Gesundheit eines Monarchen steht und fällt dessen politische Beschlussfähigkeit und dessen Macht. Schließlich verkörpert er Reich und Regierung.

Der Tudor Heinrich VIII. entleert seinen Darm auf einem mit Daunen gepolsterten Toilettenthron unter vier Augen. Der anwesende Kammerherr ist ein gesuchter Informant und der Posten des Groom of the Stool ein begehrtes Hofamt beim Adel.

Bestechungsgelder ausländischer Diplomaten erhöhen den Reiz des Handlangerjobs. Allerdings kann jede weitergetragene Äußerung über Heinrichs Exkremente wegen Hochverrats mit dem Tode bestraft werden. Weshalb einige Agenten lieber beim Hofapotheker abfragen, welche Medizin der Monarch bestellt hat. Rhabarberpillen deuten auf Verstopfung, Lakritzsud deutet auf Koliken hin.

Was ein Monarch beim Toilettengang so alles fallen lässt, kann kriegsentscheidend sein. Mit wem er ins Bett steigt, kann Geschichte machen. Ist er impotent, scharren entfernte Anverwandte und Bastarde mit den Hufen, um den Wettlauf auf den Thron zu beginnen. Fremden Potentaten bietet ein schwächelnder Thronkollege die Gelegenheit für kriegerische Angriffe.

Jahrhundertelang berichten Venedigs Botschafter, Frankreichs Diplomaten, spanische Spione und Spitzel des Vatikans in Geheimbriefen gleichermaßen über Becken-, Darm- und Truppenbewegungen von Königen. Und bei passender Gelegenheit wird das Aufgeschnappte europaweit öffentlich gemacht.

Die Hofdamen und Höflinge des Sonnenkönigs Ludwig XIV. lassen sich anno 1700 beim Perückenpudern von Zofen und Coiffeuren die neuesten Skandale berichten, und sie erfinden oder tratschen selber welche weiter. Gerüchte haben im Zeitalter des Absolutismus Hochkonjunktur.

Beim Tafeln und beim Tanz wird hinter dem Fächer getuschelt. Am Schreibtisch können die Damen und Herren des Ancien Régime die Tinte kaum halten, um sich und dem Rest der Adelswelt die neuesten Skandale mitzuteilen. Man munkelt vom Mord an einem kleinen Waffelverkäufer, der sich in einem Bordell weigert, einem Bastard des Sonnenkönigs und dessen Saufkumpanen als Lustknabe dienstbar zu sein. Madame de Montespan, eine der machtvollsten Mätressen Ludwigs XIV., soll schwarze Messen abhalten, sich auf dem Altar Satanspriestern hingeben und Liebestränke mixen, um le Roi zu halten, der seine Blicke verdächtig schweifen lässt.

Etwa in Richtung einer Madame Angélique de Fontanges. Die bekommt tatsächlich ein Kind von ihm und stirbt kurz darauf verdächtig plötzlich, finden die Hobby-Klatschreporter von Versailles. Die Montespan muss sich in billigere Gemächer zurückziehen, fernab vom König, der für die Favoritinnenrolle längst eine bessere Besetzung im Auge hat. Heute gilt als wahrscheinlicher, dass der aufregende Rotschopf Angélique Fontanges nicht den Giften der Mätresse, sondern einer Brustfellentzündung erlegen ist. Unsterblich geworden ist sie in den Angélique-Romanen von Anne Golon, denen sie als (lebenstüchtiges) Vorbild diente.

Die in den Tagen des Sonnenkönigs aufbrandende Klatsch- und Quellenflut ist für Romanautoren unerschöpflich und für Historiker kaum zu bewältigen. Vieles wird nach wie vor überprüft, neu gedeutet, manches wird verworfen. Die in diesem Buch vorgestellten Versionen bekannter Histörchen sind ebenfalls nicht das amtliche Endergebnis, sondern eine Auswahl gängiger und weniger gängiger Spekulationen.

Die Fülle des Rohmaterials aus der Epoche des Absolutismus verdankt sich einer kulturellen Weiterentwicklung. Schreiben ist an Höfen wie Versailles endgültig Mode und ein unverzichtbares Accessoire adliger Lebenskultur geworden. Allein die deutsche Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin des Sonnenkönigs, hinterlässt 60.000 Briefe meist pikanten Inhalts. Im damaligen Paris kursieren erste Klatschmagazine aus adliger Feder, die man begierig liest. Höflinge verfassen Memoiren, in denen sie Staatstragendes farbig mit erotischen und intimen Details aus dem royalen Leben mischen. Das Ganze dient wie immer nicht nur dem gepflegten Zeitvertreib.

Wer gerade was mit wem treibt, dient in Versailles (und anderswo) als Handlungsanweisung und bestimmt den eigenen Terminkalender. Le Roi schielt Madame X ins Dekolleté? Parbleu! Sollte man der Dame vielleicht die Aufwartung machen, um sich günstig zu positionieren? Gilt es, ihr Liebhaber anzudichten oder in Paris tatsächlich wegen eines Pülverchens vorzufühlen, um sie und ihre Familie aus dem Rennen zu werfen?

Weitere lebenswichtige Fragen: Gibt es eine Möglichkeit, über Favorit Y oder Günstling X einen Posten, Einfluss, Militärhilfe zu erlangen oder ein Politziel zu erreichen?

Für rein sensationslüsterne Schnüffler haben sich die männlichen und weiblichen Klatschmäuler nicht gehalten. Weder die Mätressen des Sonnenkönigs noch seine intimsten Verrichtungen sind geheime Privatsache. Der Sonnenkönig inszeniert sich und seine Königswürde im selbst gebauten Machttheater zu Versailles in Vollendung, und alle spielen mit. Dem gottgesalbten Roi beim familiären Mittagsmahl zuzuschauen ist eine Ehre, ihm beim faire la merde zur Hand gehen zu dürfen eine Auszeichnung. Gut betuchte Adlige zahlten hohe Summen dafür, mit hinter den Wandschirm schreiten zu dürfen, wo le cabinet wartete.

Es gilt nach wie vor die Vereinbarung: Alles, was ein König tut, gehört in die Sphäre des halb Menschlichen, halb Göttlichen, und die Untertanen müssen nehmen, was der Himmel schickt. Umtausch bei Nichtgefallen ausgeschlossen, der royale Stand ist von Gott eingesetzt und unantastbar. Die Begründung wird in der Bibel gefunden: Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist. Die Mama von Ludwig XIV. schenkt diesem bei der Geburt nicht nur das Leben, sondern auch den Beinamen Dieudonné (Gottesgeschenk).

In der mehr als tausendjährigen Geschichte der europäischen Monarchie zweifeln weder Untertanen noch Monarchen am quasi heiligen Amt von Königen. Thron- und Kronrecht sind dem Wesen nach eben erblich bis in alle Ewigkeit, und da kommen sie angeblich auch her. Die Könige und die Blaublüter des Hoch- und Spätmittelalters honorieren Hofgelehrte fürstlich für das Erstellen von Stammbäumen. Manche cleveren Forscher finden – haarscharf an Jesus vorbei – Ahnen aus den Zeiten von Moses. Cäsar ist als weltlicher Ahnvater des eigenen Geschlechts beliebt.

Der dauerhafte Bestand eines Adelshauses ist damit freilich nicht gesichert. Kann eine Dynastie sich nicht erfolgreich fortpflanzen, etwa wegen Impotenz oder Gebärunfähigkeit, übernimmt eine andere das himmlisch legitimierte Amt.

Wie verzweifelt Könige und Königinnen sich um legitimen Nachwuchs bemühten und tragisch scheiterten, dafür gibt es Beispiele en masse. Unzählige Königinnen sterben wegen ständigen Schwangerschaften jung, oft im Kindbett.

Einem selbst auferlegten Martyrium ähnelt etwa das Schicksal der letzten Stuart-Regentin Anne (1645–1714). Als 17-Jährige heiratet sie den trink- und essfreudigen Dänenprinzen Georg. Die Verbindung ist – wie üblich – arrangiert. Über den Ehemann höhnen Zeitgenossen, dass er lebe, bemerke man nur an seinem unüberhörbar schweren Atmen. Prinz Georg ist Asthmatiker.

Doch ob geborener Faulenzer oder nicht, im Bett beweist der Däne enorme Produktivität. Und das ist ganz in Annes Interesse. Obwohl sie erst 1702 die Regentschaft übernimmt, erfüllt sie mit eisernem Willen ihre vorrangige Pflicht – Kinder gebären. Das Haus Stuart droht zu erlöschen, denn die Ehe ihrer Schwester Maria, die mit William III. auf dem Thron sitzt, bleibt kinderlos.

Von 1684 bis 1700 durchlebt Anne 18 (!) Schwangerschaften. Neun enden mit einer Fehlgeburt oder mit einer Totgeburt. Von ihren anderen Kindern, die teils behindert zur Welt kommen, überlebt nur ein Sohn das erste Lebensjahr. Dann stirbt auch er an einer verbreiteten, damals unheilbaren Kinderkrankheit: an Windpocken, Masern oder an einem grippalen Infekt. Die permanenten Schwangerschaften haben ruinöse Folgen für Annes Leib und Leben. Schon im Alter von 33 Jahren zeigen sich Symptome von Arthritis, Rheuma und Gicht, ihr Leib ist aufgeschwemmt von Ödemen, sie setzt so viel Fett an, dass sie kaum gehen kann und in einer Sänfte zur Krönung geschleppt werden muss. Moderne Mediziner, die den Symptomkatalog gründlich studiert haben, glauben heute, dass man Queen Anne und ihren Kindern mit einem gängigen Mittel aus unserer Hausapotheke hätte helfen können: mit Aspirin.

Die Königin litt wahrscheinlich an einer seltenen Autoimmunerkrankung namens Lupus Anticoagulans oder Hughes-Syndrom. Diese Krankheit wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts entdeckt. Sie führt zu Durchblutungsstörungen im ganzen Körper und trifft vor allem Frauen. Zu den klinischen Symptomen zählen Thrombosen, Fehlgeburten, Spontanaborte und das Absterben ansonsten gesunder Föten im Mutterleib. Ursache ist die gestörte Blutversorgung des Mutterkuchens. Heute setzen Gynäkologen blutverdünnendes Aspirin erfolgreich gegen das Leiden und gegen die Komplikationen während der Schwangerschaft ein. Queen Anne war diese Therapie nicht vergönnt. Das Haus der Stuarts stirbt 1714 mit dem Tod der Regentin im Alter von 49 Jahren aus.

Damit England trotzdem protestantisch bleibt, müssen 57 katholische Thronanwärter übergangen werden. Das Parlament findet eine länderübergreifende Lösung; schließlich hat der Adel Europas stets international untereinander geheiratet. Per Gesetz und nach akribischem Studium von Ahnentafeln spricht man dem evangelisch-lutherischen Fürstenhaus von Hannover den Thron zu. Man denkt damals nicht nur in Königskreisen noch in dynastischen Kategorien, nicht in nationalen. Hauptsache, die Monarchie und der Protestantismus sind gerettet. Wieder heißt es: »Der König ist tot, es lebe der König.«

Die paradox klingende Formel wurde traditionell am Totenbett eines Monarchen gesprochen, und alles verneigte sich vor dem Erben – so er anwesend war. Selbst wenn der noch Windeln trug. Es gilt, der Unsterblichkeit des Amtes zu huldigen. Als Reporter die künftige schwedische Königin Victoria vor deren Märchenhochzeit im Juni 2010 fragten, ob sie sich schon auf ihre Thronbesteigung freue, antwortete die Kronprinzessin geistesgegenwärtig: »Wie könnte ich? An diesem Tag wird in unserer Familie etwas sehr Trauriges passieren.« In der Tat.

Soweit die Theorie zur Unsterblichkeit der Monarchie. In der Praxis ist Kritik an realen Throninhabern so alt wie das Königtum selbst. Die Kirche und der Restadel legen sich über alle Epochen hinweg mit den Monarchen an. Die adlige Verwandtschaft des Königs wiederum versucht nicht selten, diesem die Krone vom Kopf zu reißen und sie sich selbst aufs Haupt zu setzen. Auch das Volk wird mitunter rebellisch, wenn ein Monarch zu viele Kriege vom Zaun bricht, maßlose Steuern erhebt und Misswirtschaft im großen Stil betreibt.

Der Thron – obwohl in der Ewigkeit verankert – ist de facto also ein wackliges und oft unbequemes Sitzmöbel. So mancher Monarch, der seine Aufgaben ernst nahm und nicht nur Hof hielt, stöhnte wie Philipp II. von Spanien (1527–1598): »Ein König ist nichts weiter als ein Sklave, der eine Krone trägt.«

Ein Sklave, dem allerdings niemand eins mit der Peitsche überziehen oder Daumenschrauben anlegen darf. Das geschieht erst zweihundert Jahre später in Frankreich, als reihenweise Blaublüter, darunter 1793 die berühmt-berüchtigte Königin Marie Antoinette und ihr Gemahl Ludwig XVI., den Kopf unters Fallbeil legen müssen.

Der letzte Bourbone wird übrigens le roi martyr, der Märtyrerkönig, genannt. Was sein intimes Sündenregister betrifft, so gibt es über ihn weit weniger Schlimmes zu berichten als über seine beiden gleichnamigen Vorfahren. Ludwig der XVI. vergnügt sich nicht mit ständig wechselnden Mätressen, er teilt die Verschwendungslust seiner Gemahlin nicht, und statt auf der Hofbühne Versailles Pomp und viel Wind zu machen, zieht er sich gern zu Drechslerarbeiten in seine palastinterne Hobbywerkstatt zurück. Ein zumindest bürgerlich anmutendes Leben ist dank der Aufklärung längst en vogue und angebracht.

Berühmte französische Denker wie Rousseau, Diderot und der spitzzüngige Voltaire betrachten die Monarchie schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts im reinen Licht der Vernunft, und die Krone verliert an Glanz. Nebenher sind einige Aufklärer ausgemachte Klatschmäuler. Vor allem die begnadete Lästerzunge Voltaire (»Nichts ist gesellschaftlich erfolgreicher als Dummheit gepaart mit guten Manieren«).

Unter anderem geht auf ihn die erste Erwähnung darüber zurück, dass sein Brieffreund und Gönner Friedrich II. von Preußen seine Langen Kerls nicht nur militärisch schätzte. Das schwule Geheimnis vertraut er nach einem Besuch beim Alten Fritz in Sanssouci schriftlich seinem Geheimtagebuch und mündlich auch anderen an. Was unfein ist. Aber auch Friedrich bewies im Umgang mit dem Dichter und Denker nicht die besten Manieren, und er saß am längeren Hebel. Dem der Macht. Einmal lässt der große Friedrich seinen philosophischen Freund unter fadenscheinigen Gründen verhaften, dann wieder verbrennt er öffentlich ein Druckwerk Voltaires.

In Frankreich wandert der Allroundautor wegen Verbreitung von Inzestgerüchten über Herzog Philippe II. von Orléans in die Bastille. Der Fürst aus dem Herrscherhaus der Bourbonen regiert gerade in Stellvertretung für den minderjährigen Ludwig XV., als Voltaires Tragödie »Ödipus« 1718 uraufgeführt wird. Voltaire lässt den blutschänderischen Helden in der Maske von Philippe auftreten. Als Anspielung darauf, dass der Herzog ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Tochter habe. Woran wiederum etwas dran gewesen sein soll.

Fest steht: Bürgerliche Salondamen des 17. Jahrhunderts, Dichter und Denker stecken ihre Nase nicht nur in kluge Bücher, sondern auch in die höfische Gerüchteküche, schreiben nicht nur philosophische Abhandlungen, sondern korrespondieren eifrig über neueste Skandale und Gerüchte rund um den Sonnenkönig und um seine Nachfolger Ludwig Nummer XV und XVI.

Viel Empörendes können sie live miterleben, anderes wissen sie von adligen Freunden und Mäzenen, manches nur vom Hörensagen. Unter Hinweis auf das skandalöse Verhalten von Monarchen zieht man gegen die gottgewollte Allmacht von Königen zu Felde. Gerüchte und Klatschgeschichten haben die Französische Revolution erheblich befördert. Im Dienste der Wahrheit, der Republik und der bürgerlichen Freiheit sitzen Revolutionäre und Aufklärer gelegentlich auch erfundenen Verbrechergeschichten über Monarchen wie Ludwig & Co. auf, die am Hof die Runde machen. Zwecks gegenseitiger Rufschädigung unter Adelscliquen oder weil man sich vom Sonnenkönig bei der Postenverteilung übergangen fühlt.

Voltaire etwa macht genüsslich die in Adelsbriefen kolportierte Story publik, Ludwig XIV. habe einen heimlichen, weit fähigeren Zwillingsbruder und damit den eigentlichen König Frankreichs weggesperrt. Der Aufklärer hält das für die Wahrheit. Und Ludwig hat tatsächlich einen mysteriösen Adligen mit einer Ledermaske eingesperrt, den keiner zu Gesicht bekommen darf. Wegen dessen Ähnlichkeit mit Ludwig, glaubt Voltaire. Dem Philosophen drohte wegen der gedruckten Verbreitung des Gerüchts mal wieder die Bastille.

Im 19. Jahrhundert strickt Alexandre Dumas aus der Schauermähr den Thriller »Der Mann mit der eisernen Maske«. Wer sich wirklich darunter verbirgt, ist bis heute unklar. Bei Dumas ist der längst verstorbene Sonnenkönig in jedem Fall ein Erzschurke. Und dem neuen, bürgerlichen Lesepublikum ganz Europas gefällt das.

Romane, Histörchen und Presseberichte um blaublütige Finsterlinge kommen mehr und mehr in Mode. Zeitgleich mit dem Abstiegskampf des Systems Adel verlieren Könige außerhalb ihres Palastes die Kontrolle über eigene und erfundene Tratschgeschichten.

Natürlich gibt es genug echte Sünden und Verbrechen zu vermelden, aber jede Menge Märchen kommen hinzu, in denen sich lang aufgestauter oder akuter Zorn auf Könige und Kaiser entlädt.

Klatsch, Gerüchte und Verleumdungen sind eben seit Jahrhunderten ein etabliertes Politikmedium der besseren Kreise.

Heute kann man in Europa kaum noch weltbewegende Gründe für die Sucht nach intimen News über die Noblesse anführen; schließlich liegt das Regierungsgeschäft nicht mehr in ihren Händen.

Trotzdem leidet so mancher unter der Trockenhaube beim Friseur nach wie vor mit, wenn Caroline von Monaco für ihren schlagfertigen Schirmträger und Prinzen Ernst-August von Hannover als Entlastungszeugin vor Gericht muss. Während der »Prügel-Prinz« (Bildzeitung) unverschämterweise »fremdküsst« (ebenfalls Bild). Freude kommt auf, wenn Caroline beim alljährlichen Rosenball von Monaco nichtsdestotrotz »voll erblüht« (Bunte) oder Prinzessin Victoria von Schweden ihren ehemaligen Fitnesstrainer ehelicht. Live und weltweit übertragen. Nicht nur im Fernsehen, auch bei Ikea – selbst in der Bundesrepublik Deutschland.

Warum interessiert uns so etwas?

Märchen kommen nicht ohne Könige aus und wir nicht ohne Märchen

Eine tiefenpsychologische Erklärung für den anhaltenden Bedarf an royalen TV-Bildern und an Vorbildern findet sich bei dem Psychoanalytiker C. G. Jung: Könige und Königinnen gehören als Archetypen (Urbilder) zur Grundausstattung unseres Seelenlebens und unseres zeitlosen kollektiven Unbewussten. Genau wie der Traum vom gelingenden, heilen Leben und von der Rückkehr in ein Paradies.

Wir alle sind unserem Wesen nach Glückssucher. Als Wegweiser dienen die großen Weisheitsbücher, Märchen, Mythen und Religionen der Menschheit. Ohne ideale, zumeist königliche Hauptdarsteller, deren Leben – allen Fährnissen, Drachen, Dämonen und Versuchungen zum Trotz – von Erfolg gekrönt ist und zum Heilsein führt, kommen sie nicht aus. Und wir nicht ohne mythische Bilder und königliche Archetypen.

Der Traum vom gelingenden und überdies gottgefälligen Leben hat reale Monarchen und Menschen über Epochen hinweg geeint. Mythische, christlich unterlegte Erzählungen wie die vom König Artus und seiner Tafelrunde hatten genügend Wirkungsmacht, um mittelalterliche Könige und Kreuzritter zu Ausflügen in unwegsame, gefährliche Gebiete und Kämpfe zu locken. Auf der Suche nach weltlichem Glück und nach dem Heiligen Gral. Die Gnadenverheißung trieb die Kreuzfahrer ebenso an wie die Gier nach den sagenumwobenen Schatzkammern der Kalifen. Von märchenhaftem Glück werden auch die schwäbischen und bayerischen Bauern geträumt haben, die im 12. und 13. Jahrhundert als Siedler in die neu gegründeten Kreuzfahrerstaaten des Morgenlandes gelockt wurden.

Falls die Artussage und andere Heldenepen dem Volk zu Ohren kamen, werden sie die urmenschliche Hoffnung auf eine weise Herrschaft und großzügige Monarchen genährt haben. In Volksmärchen machte sich das Volk seinen eigenen Reim auf ideale und weniger weise Könige, gute und böse Königinnen.

Im Zweifelsfall wandte und wendet man sich an die als Himmelskönigin verehrte Maria und an den Allmächtigen auf dem Himmelsthron, zu dessen Rechten Jesus Christus mit der Dornenkrone sitzt. Königliche Ursymbole verleihen unseren christlichen und vielen anderen Gottesvorstellungen nach wie vor Wirkungsmacht bis in die tiefsten Schichten der Seele hinein.

George Bernhard Shaw fasste das Phänomen Royalität eher satirisch zusammen: »Kings are not born; they are made by artificial hallucination.« Zu Deutsch: Könige werden nicht geboren, sie werden durch künstliche Halluzination geschaffen. So kann man es natürlich auch sehen.

Oder so wie ein katholischer Land- und Armenpfarrer aus der Zeit des alles überstrahlenden französischen Sonnenkönigs: »Die Menschheit wird erst dann glücklich, wenn der letzte König mit den Gedärmen des letzten Priesters erwürgt worden ist.«

Oder so: »Königtum – glauben Sie! – ist eine Religion. Ein König glaubt an sich, oder er ist es nicht«, beschwor 1866 Richard Wagner voll Pathos und mit psychologischem Geschick seinen wichtigsten Mäzen Ludwig II., als der von Abdankung sprach. Der bauwütige Bayernkönig und der Nibelungen-Komponist waren bekanntlich beide den Idealen von mythischer Größenordnung zugänglich.

Der bürgerliche Komponist gilt darum noch heute als genial, der König galt dagegen schon zu Lebzeiten als verrückt und verschwendungssüchtig. Wie sich die Zeiten ändern! Und das immer wieder.

Zusammen ergaben Wagner und der Bayern-Ludwig in ihrer Zeit, dem 19. Jahrhundert, vor allem ein ideales Gespann. Damals versinken viele Deutsche in romantischer Schwärmerei für Burgen, Ritter, Monarchen und hochedle Minnesänger.

Dass reale Ritter der Nibelungenära oft nur einen ponygroßen Klepper unter sich hatten, wollte so genau keiner wissen. Dass viele Adelsherren des Mittelalters in hölzernen Wohntürmen im Licht stinkender Rindertalgkerzen hausten und keineswegs unablässig trällernd vor den Fenstern hoher Damen Ständchen brachten, wurde ebenfalls gern vergessen.

Und des Bayernkönigs Operettenfestungen mit den Schnörkelzinnen sind Zeugnis dafür, dass auch Monarchen selbst anno 1900 irgendwelchen Märchenfantasien über ihr wunderschönes Vorgestern aufsitzen und diese lieben, hegen und pflegen.

Ungebrochen ist das Interesse am Werden, Wirken und Vergehen von Königen und Blaublütern freilich vor allem deshalb, weil diese über tausend Jahre lang Europas Geschicke bestimmt und geformt haben.

Quer durch die Epochen und Länder betrug der Anteil des Adels zwar meist nur um die fünf Prozent der Bevölkerung, aber diese Adligen waren politisch, sozial und kulturell stilprägend. Im Guten wie im Schlechten.

Das kann und darf man heute – dank der von ihren Widersachern erkämpften Meinungsfreiheit – wahlweise begrüßen, ablehnen, verteufeln oder bewundern. Tatsache bleibt, dass sich Adel und Könige in unseren Breiten lange an der Macht halten konnten und dass noch immer ganze Epochen nach ihnen benannt sind. Man spricht von der Stauferzeit, der Tudorepoche, der Victorianischen oder der Wilhelminischen Ära. Neben der größten Gestaltungsmacht hatten Monarchen lange die größte Deutungshoheit über ihr eigenes Werden und Wirken.

Heute dürfen wir nach Herzenslust über sie klatschen und spekulieren – schließlich haben sie das selbst getan und uns eine Fülle von lohnendem Material hinterlassen. Auf dem vielfach auch die Geschichtsforschung fußt.

Höflingsgeschwätz und Lauschangriffe zwischen Betten, Beicht- und Nachtstühlen von Monarchen sind unerschöpfliche Quellen. Nicht wenige sind vergiftet und mit Vorsicht zu genießen, was Interpretationen notwendig macht und erlaubt.

Die Geschichte der Geschichtsschreibung und deren künstlerische Bearbeitung sind selbst geschichtlichem Wandel unterworfen und verraten uns manchmal mehr über unsere Epoche als über die des jeweiligen Monarchen. Weshalb auch die hundertste Studie über einen Tudorkönig interessant sein kann und weshalb immer neue Filmversionen über sein Leben zu faszinieren vermögen und weshalb die unverwüstliche Sissi heute als Musicalstar erfolgreich Hof hält.

Es taugt nicht viel, alle Monarchen Europas pauschal über einen Tyrannenkamm zu scheren. Die Amtsinhaber kamen über tausend Jahre in allen Formen, Farben, Gestalten und Güteklassen daher.

Das verraten schon die Beinamen, die Hofschreiber und Chronisten den verschiedenen Herrschern gaben. Da gibt es so schillernde Gestalten wie Wilhelm, den Tollkopf, seines Zeichens Herzog von Aquitanien. Ein König Lambert, genannt »der Faule«, regiert zeitweise Polen oder auch nicht. Der französische Monarch Ludwig X. wird als »der Zänker« bekannt. Dem byzantinischen Kaiser Michael hängt man den Titel »der Säufer« an und dem kastilischen Heinrich IV. die Zusatzbezeichnung »El impotente«, was in seinem Fall wörtlich genommen werden darf. Auch »Hasenfüße«, »Höckrige«, »Fromme«, »Einfältige« oder gar »Feige« finden sich in den Herrscherchroniken der Völker.

Es gab sie also alle: die geborenen Faulpelze, in deren Windschatten die Wirtschaft aufblühte, pflichtbewusste Diktatoren, die im festen Glauben, das Beste zu sein und zu tun, Schreckliches anrichteten und doch als »Große« in die Geschichte eingingen. Gelegentlich regierten gefährliche Windeier, harmlose Prahlhänse und gutmütige Trottel, deren Unvermögen genialen Ministern und dadurch ihren Ländern zugutekam – oder auch nicht.

Einen überschaubaren Kreis von Fans haben Geschichtslehrer und Historiker, die Schüler und Leser mit einem Haufen Fakten, Zahlen, Daten und Heldentaten toter Könige und mit endlosen Kriegen langweilen und die schamvoll verschweigen, was der Adel auf der Hintertreppe trieb.

Unter Fußnotenapparaten wird mitunter begraben, was Geschichte lebendig macht: spannende Geschichten, persönliche Tragödien und charakterliche Fehlleistungen, die die Weltgeschichte ebenso prägten wie königliche Dekrete, Reichskonkordate und Gesetzesurkunden. Wer erfährt, dass der Stauferkaiser Friedrich Barbarossa im reifen Alter von 40 Jahren eine 13-Jährige ehelicht und als 68-Jähriger bei seinem dritten Kreuzzug gen Orient in einem Fluss ertrinkt, um hernach gemäß royaler Sitte in Essig konserviert zu werden, entwickelt schnell Interesse an Vergangenheit und Geschichte. Und das geht dann über Merksätze wie »333 bei Issos Keilerei« hinaus.

Ohne Daten und Fakten, ohne seriöse zeit- und sozialgeschichtliche Einbettung kommt man freilich nicht weiter, oder man fällt auf uralte Gerüchte herein.

Wenn es in diesem Buch vor allem um Sex and Crime geht, um Leidenschaften und Verbrechen auf und hinter einigen Königsthronen, dann aus gutem Grund: Man muss Europas verblichene Monarchen weder staubtrocken abhandeln, noch künstlich unterhaltsam oder spannend machen: Sie sind es, und sie liefern Stoff und Gründe genug, sich eingehend mit ihnen zu befassen, ob man sie nun mag oder nicht.

Unser Besuch bei Königs und im royalen Machttheater beginnt an Englands Tudorhof, der für Königinnen und Mätressen lebensgefährlich war, und führt sodann in das niederländische Schloss eines deutschen Freiheitskämpfers, der eine Königsdynastie begründete. Der eine gilt als monströser Tyrann, der andere ist noch heute ein viel besungener Tyrannenschreck.

Wir schauen in die Gerüchteküchen ihrer Paläste und bekommen Deftiges vorgesetzt. Von ihnen, über sie und über diverse Thron- und Kronkollegen ihrer und anderer Epochen. Alle auftretenden Herrscherfiguren sind Meister der Selbstdarstellung, Freunde und Opfer von Klatsch, und dennoch regieren ihre Nachfahren noch heute und sind Teil des Mythos einer gottgewollten und für die Ewigkeit gedachten Monarchie.

Also ad fontes, wie die Humanisten im 15. Jahrhundert zu sagen pflegten – an die Quellen.

»Bluff Henry the Eight to six spouses was wedded,

One died, one survived, two divorced, two beheaded«

Englischer Abzählreim

Heinrich VIII. – englischer König von 1509 bis zu seinem Tod im Jahr 1547 – zählt zu den Monarchen, die selbst eingefleischte Geschichtsmuffel kennen. Na, Sie wissen schon, der mit den sechs Frauen, von denen er zwei in die Wüste schickte und zwei köpfen ließ. Der Dicke. Ein geborener Tyrann. Ist er das?

Tatsächlich bringt der Tudorherrscher am Ende seines 55-jährigen Lebens 160 Kilo auf die Waage. Ein königlicher Koloss, der nur noch im Rollstuhl und mit dem ersten Treppenlift durch seine Paläste zu bewegen ist. Diener müssen seine Hoheit per Hebekran aus dem Bett hieven. Wenige Wochen vor seinem Tod spielt der notorische Blaubart noch einmal mit dem Gedanken, auch seine letzte Ehefrau Katherine Parr unters Beil zu schicken. Wegen angeblichen Hochverrats.

Gattin Nummer sechs hat zart ein paar religiöse Widerworte gewagt, außerdem ist Heinrichs Herz für eine ihrer Hofdamen entflammt. Die weibliche Entourage seiner Königinnen ist von jeher sein Jagdrevier für frische Bräute gewesen. Heinrichs eigenes Hinscheiden verhindert den letzten von vielen Justizmorden, die er nicht nur an Ehefrauen, sondern auch an Freunden und Ministern begangen hat.

Nach 38 Regierungsjahren geht der zweite König der Tudordynastie als Scheidungsweltrekordler, Raffzahn, Vielfraß und Verschwender in die Geschichte ein. Und – so sagen seine zahlreichen Feinde – direkt in die Hölle.

Dem Königreich England und seinen Kindern, darunter die ebenfalls berühmte Elisabeth I., hinterlässt Heinrich knapp sechzig Schlösser, eine leere Staatskasse und eine neue Kirche. Unter ihm musste ganz England den Glauben wechseln, vom katholischem zum anglikanischen.

Geschichtsbewanderte Leser erinnern sich schon jetzt: Anstelle des Papstes hat Heinrich sich 1534 selbst zum direkten Stellvertreter Gottes auf Erden ernannt – zumindest auf britischem Boden. Diese Reformation von oben ist seine einzige politische Großtat, die bis heute Bestand hat. Dabei ist sie eine historische Notgeburt aus eher privaten Gründen.

Der damals zuständige Papst hatte sich über Jahre geweigert, Heinrichs erste Ehe für ungültig zu erklären und aufzulösen. Entnervt macht der König sich mit 43 Jahren zum Obersten Hirten Englands, um sich künftig höchstselbst so viele Scheidungen genehmigen zu können, wie seiner Majestät beliebten.

Der drastische Schritt verdankt sich dem süßen Geheimnis seiner berühmtesten Mätresse. Anne Boleyn ist schwanger, und der erhoffte Sohn soll nicht als Bastard zur Welt kommen, sondern als legitimer Prinz in einem Ehebett geboren werden. Es wäre nämlich Heinrichs erster männlicher Erbe und Thronfolger. Katharina, seine erste Ehefrau, patzte in dieser Hinsicht und hatte nur ein Mädchen hervorgebracht.

Gewinnbringend ist die Glaubenserneuerung für Heinrich außerdem. Als Kirchenfürst kann der König sämtlichen Klosterbesitz und alle Kirchenschätze einsacken und verprassen oder an wichtige Höflinge verteilen.

Grausam, skrupellos und selbstverliebt – so meinen wir Heinrich VIII. zu kennen, und vieles spricht für diese unschöne Charakterskizze. Vor allem die Porträts seines deutschen Hofmalers Hans Holbein d. J., der den Tudorherrscher zwischen 1537 und 1547 mehrfach für die Nachwelt festhält. Wer die Bilder nicht sofort vor sein inneres Auge rufen kann, schlage bitte rasch in einem Lexikon oder bei Google nach. Fertig?

Aus leicht treuherzigen Schweinsäuglein starrt uns der Blaubart aus den Gemälden entgegen: Breitbeinig, mit rotem Rauschebart, ohne erkennbaren Hals, im eigenen Fett und in juwelenüberkrusteten Gewändern versinkend. Schulterpolster von fantastischen Ausmaßen sollen von seinem Leibesumfang ablenken. In den Augen moderner Betrachter verwandeln sie Heinrich in ein wandelndes Geschoss. Ein Fashion victim – Modeopfer – würde man ihn in Frauenmagazinen nennen. Doch zu Lebzeiten Heinrichs sieht man das ganz anders.

Protz ist Königspflicht, die drohende Herrscherpose ein Muss und Leibesfülle Zeichen von Würde und Wohlstand. Hinzukommt, dass viele Untertanen den Tudorspross noch als optischen Leckerbissen in Erinnerung haben. Ja, in jungen Jahren ist Heinrich schlank, ein Vorzeigesportler und der Kultprinz Europas. Zu Beginn seiner Herrschaft im Jahr 1509 – Heinrich ist siebzehn – vermeldet Venedigs Botschafter in die Heimat:

»Die Natur hätte nicht mehr für ihn tun können. Er ist weitaus schöner als irgendein anderer Herrscher der Christenheit.« Eine Hymne unter vielen, die vermuten lassen, dass Heinrich im England seiner Tage bei einer Model-Castingshow echte Gewinnchancen gehabt hätte.

Holbeins exzellent gemalte Nahaufnahmen dagegen zeigen den aus der Form geratenen Herrscher in seinen späten Fünfzigern. Und selbst den werden seine Zeitgenossen noch recht ansehnlich gefunden haben. Wir müssen bedenken, dass ärmere Menschen jener Tage, sprich die überwältigende Mehrheit, in diesem Alter weit erbärmlicher ausgesehen haben. So sie überhaupt noch lebten. Gemalt hat sie wohl keiner.

Es sind Holbeins Bilddokumente des Königs, die den Romanautor Charles Dickens (»Oliver Twist«) im bürgerstolzen 19. Jahrhundert zu einem vernichtenden Urteil über Heinrich veranlassen, das bis heute nachwirkt: »Ein unerträglicher Rohling, ein Blut- und Fettfleck in der englischen Geschichte.«

Das sitzt, und das entspricht der heute noch populären Wahrnehmung.

Ist sie angemessen, oder handelt es sich um eine optische Täuschung? Hat der zeitlose Superstar unter Europas Königen ein gerechteres Urteil verdient? Zumindest ein detailgetreueres. Allein mit Fresssucht, Mord und Totschlag wird kein König weltberühmt, und das über Jahrhunderte. Der deutsche Historiker Joachim Fest hat Ruhm und geschichtliche Größe an der Frage festgemacht, ob ein Herrscher das Denken und Fühlen seiner Epoche zu verkörpern vermag. Und genau das konnte Heinrich VIII. wie kein Zweiter. Als junger Prinz und als später Tyrann.

Er ist zugleich Produkt und überragender Repräsentant einer Epoche, die ebenso widersprüchlich ist wie er und sein Leben. Die Renaissance ist reich an widerwärtigen Grausamkeiten und gelehrtem Feingefühl, berühmt für überragende Kunst und für entsetzliche Folter- und Hinrichtungsmethoden, bekannt für völlige Gewissenlosigkeit und für ehrliche Sehnsucht nach Glaubenserneuerung. All dies kann man so auch über Heinrich sagen.

In seiner Jugend gilt der Tudor als überaus liebenswert, empfindsam, gebildet, großzügig, romantisch bis zur Schwärmerei. Erst in späteren Jahren ist er krankhaft misstrauisch, launisch und notorisch grausam.

Wer Holbeins späten Heinrich genau anschaut, erkennt in seinem Gesicht noch Spuren von Schüchternheit, Unsicherheit, beinahe ängstliche Gefallsucht und eine überraschende Prise Zartgefühl.

All das verrät, was moderne Historiker bestätigen. Der König ist ein widersprüchlicher Charakter und ein zeitloses psychologisches Faszinosum.

Heinrich ist nicht nur Produkt und Repräsentant der Renaissance. Er ist vor allem der Nachkomme einer Familie, die zu den erstaunlichsten Seiteneinsteigern der englischen Königsgeschichte gehört. Von weit unten, aus der tiefsten Provinz und mit sehr dünnem Blaublut, bringen es die Tudors bis auf Englands Thron. Heinrich VIII., zweiter König der Sippe, sollte seine Abstammung nie vergessen und alles dafür tun, dass niemand sie ihm ansah oder anmerkte.

Darum wird er zum größten royalen Angeber der Renaissance, zum größten Bauherrn seiner Zeit, zum Verschwender, zum König, der allerhöchstens Gott über sich duldet, und zum Frauenmörder, der verzweifelt geliebt werden will, der aber noch dringender einen Prinzen braucht, um im Gedächtnis der Welt weiterzuleben.

Sein oberstes Ziel – und das seiner Vorfahren – ist es, den Namen Tudor unsterblich werden zu lassen. Das ist ihnen gelungen. Mit allen Mitteln.

Wie alles anfing: Eine schrecklich nette Familie oder Verwandtenmord hat Tradition

Um Heinrichs schillernde Doppelnatur und seinen Werdegang vom Prince charming zum blutrünstigen Gruselkönig zu verstehen, muss man einen Ausflug in die Tage der ersten Tudors unternehmen. Ich verspreche, es lohnt sich. Man lernt dabei, wie Macht einen Monarchen formt und wie sie ihn zu einem Monster verformen kann. Bei allen Tudors sind Sex and Crime, Politik und Privates vom Beginn bis zum Erlöschen ihrer Herrschaft und ihrer Dynastie mit Elisabeth I. untrennbar verflochten. Das Leben Heinrichs VIII., seiner Eltern und Nachkommen erinnert weniger an ein Märchen als an eine chinesische Verfluchungsformel: »Ich wünsche dir ein interessantes Leben.« Das hatten sie von Anfang an.

Wir müssen nicht bis in die Morgendämmerung der britischen Geschichte zurückgehen, um die Tudors kennenzulernen. Die Dynastie ist blutjung. Nur fünfzig Jahre vor der Geburt unseres Kapitelhelden Heinrich VIII. (*1491) ist die Familie das Gegenteil von berühmt, nämlich gänzlich unbekannt und kein bisschen königlich.

Die Familie stammt aus niederstem walisischen, Schafe züchtendem Adel. Das sollte erst ein gerissener Abenteurer und Frauenbetörer namens Owen Tudor ändern.

Bevor dieser romantische Stammvater der Tudors und Uropa von Heinrich VIII. die Szene betritt, muss ich Sie mit einem Krieg zwischen zwei anderen Königssippen behelligen. Pardon, aber damals haben wir noch Mittelalter.

Der bewaffnete Meinungsaustausch ist Ritteralltag. Insgesamt sieben englische Könige des Mittelalters verlieren ihr Leben auf dem Schlachtfeld, der Kampf um die Krone ist Tagesgeschäft. Die Jobbedingungen für den britischen Thron lauten wie folgt: Entweder man hat das Schwert in der Hand oder an der Kehle, entweder man hat die Krone auf dem Kopf oder diesen auf dem Henkersblock. Die Tudors und Heinrich VIII. sollten daraus lernen, wie man das Herrscherhaupt oben behält.

Im 14. und 15. Jahrhundert wackelt Englands Thron besonders heftig. Kaum hat ein Fürst das edle Sitzmöbel erobert, rebelliert eine andere Adelssippe und beweist mit handfesten Argumenten, dass sie mehr Anspruch auf die Herrschaft und blaueres Blut besitzt.

So richtig blutig, und das landesweit, wird es zwischen 1455 und 1485. Immerhin tragen diese Kampfhandlungen einen hübschen Namen: die Rosenkriege. Es ist ein dreißigjähriger Krieg, der erst sechs Jahre vor der Geburt von Heinrich VIII. endet.

Praktischerweise haben die Historiker sich übrigens darauf geeinigt, mit diesem Rosenkrieg auch Englands Mittelalter enden zu lassen. Danach beginnt für Wissenschaftler die britische Neuzeit, und die trägt auf der Insel mit dem Linksverkehr – ja, den gab es dort schon zu Zeiten von Pferd und Kutsche – den Namen die »Tudorzeit«.

Heinrichs Vorfahre Owen Tudor hat in den Kämpfen am Rande mitgemischt. Die entscheidende Eroberung macht er aber nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Bett. Noch wichtiger: Einer seiner Enkel wird als lachender Dritter und erster Tudorkönig aus den Kriegen hervorgehen: als Heinrich Numero sieben und Papa unseres Kapitelhelden. Und glauben Sie mir, damit hat keiner der adligen Streithähne gerechnet.

Ich verspreche, mich in Sachen Krieg auf die spannenden, schmutzigen und unterhaltsamen Aspekte zu beschränken. Also auf das, was man sich merken kann. Da es bei den Rosenkriegen um eine Menge Blut, Sex und Tränen geht, hat schon Shakespeare (1564–1616) über diese Epoche seine berühmten Königsdramen von Heinrich Nummer vier bis Richard Nummer drei geschrieben. Natürlich unter Zuhilfenahme dichterischer Freiheit, aber nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei.

Der Autor und begnadete Shakespeare-Übersetzer Urs Widmer beschreibt das Umfeld, in dem sich die letzten Monarchen des Mittelalters bewegen, so: »Alle waren stark und heftig und wollten einen dicken Happen vom Glück ihrer Zeit. Sie aßen und soffen und fickten und töteten, weil sie wussten, dass sie nicht wussten, wie lange sie sich noch am Schicksalsrad festklammern konnten.« Dem ist nichts hinzuzufügen.

Lediglich unseren Kapitelhelden Heinrich VIII. musste Shakespeare extrem schön- und kluglügen. Aus gutem Grund: Die Hauptauftraggeberin des Dichters war dessen Tochter, Elisabeth I., und die wollte vom Papa nicht nur Nachteiliges hören.

Seither haben jede Menge Historiker den Aufstieg der Tudors genauer rekonstruiert. Herausgekommen ist dabei ein typisch royales Sitten- und Schlachtengemälde, das zum Gruseln und Staunen einlädt.

Das blutige Erbe der Rosenkriege

Grob gesagt gibt es im 14. und 15. Jahrhundert in England zwei Königsfamilien. Das Haus Lancaster und das Haus York. Beide sind untereinander verwandt und haben verbriefte Ansprüche auf den Thron. Das liegt daran, dass ihr gemeinsamer Urahne, Edward III. (1312–1377), beängstigend fruchtbar war. Er hinterließ sechs Söhne und damit eine Menge Königsanwärter plus Nachfahren, unter anderem eben den Lancasterclan und den Yorkclan.

Die eine Sippe führt eine rote Rose (Lancaster), die andere eine weiße Rose (York) im Wappen. Diesen Symbolen verdankt sich der blumige Name »Rosenkriege«. In nur dreißig Jahren werden sich die Yorks und die Lancasters im Kampf um die Krone fast vollständig ausrotten und England an den Rand des Ruins bringen. Kurz: Dieser Bürgerkrieg ist ein Familienschlachtfest und die Hölle.

Dass die Yorks und die Lancasters so brutal aneinandergeraten, verdankt sich der Schwäche des letzten Lancasterkönigs. Weil Adlige äußerst fantasielos in der Namenswahl sind, heißt dieser arme Tropf auf Englands Thron ebenfalls Heinrich, und zwar der Sechste (1421–1471). Nein, der ist nicht besonders berühmt, wofür er aber wenig kann.

Der Thronjob ist von Anfang an eine Nummer zu groß für ihn, und er ist nicht dafür gemacht. Heinrich Nummer sechs ist neun Monate alt, als sein Vater – ein gefeierter Eroberer – stirbt. Damit hat England zum ersten und einzigen Mal in seiner Geschichte einen König in Windeln, und der hat naturgemäß wenig zu sagen. Regenten, darunter einige Yorks, übernehmen die Staatsgeschäfte für den Lancaster-Säugling und liegen sich sofort in den Haaren darüber, wer mehr zu sagen hat.

Shakespeare hat die Lage 160 Jahre später so kommentiert: »Schlimm ist’s, wenn Kinderhand das Zepter führt.« Moderne Eltern, die sich sklavisch in den Dienst ihrer Nachkommen stellen, dürfen diesen Satz zweckentfremden und ihn sich aufs Kopfkissen sticken.

Sobald unser Klein Heinrich schulreif ist, wird er in Frömmigkeit unterrichtet. Damit er nicht auf dumme Gedanken kommt. Etwa auf den, die erwachsenen Yorks und Lancasters beim Gerangel um seinen Thron zu ertappen. Der Religionsunterricht hat Erfolg. Schon mit sechs Jahren kann Heinrich die komplette Liturgie auswendig.

Mit acht wird er der Form halber in England gekrönt. Mit neun setzt man ihm zusätzlich Frankreichs Krone auf und verlobt ihn später mit einer französischen Prinzessin, weil sein verstorbener Vater das Land zu großen Teilen erobert hat. Der war ein echter Warlord, energisch, knallhart, ein begnadeter Feldherr.

Sein neunjähriger Sohn – so viel steht längst fest – ist das Gegenteil. Er neigt zu übertriebener Frömmigkeit und auch zu Schwermut und Antriebslosigkeit. Ein trauriger kleiner Prinz. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Mutter – die Königinwitwe Katharina – sich bald vom Hof zurückzieht. Sie will sich einer streng verbotenen Liebe widmen, die für Englands Geschichte Folgen haben wird. Und ihr Lover heißt wie? Na?

Genau. Tudor, Owen (1400–1461). Womit wir beim ersten erwähnenswerten Vertreter dieses Geschlechts angelangt sind.

Ein männliches Aschenputtel

Owen, den Urgroßvater von Heinrich VIII., dürfen wir uns als eine männliche Ausgabe von Cinderella vorstellen. Der Stammvater der Tudor-Monarchie ist ein umwerfend hübscher Abenteurer. Vom einfachen Bogenschützen arbeitet er sich hoch auf einen Dienstbotenposten bei einem Bischof und dann an den Hof. Weil sich niemand seinen folkloristischen Bandwurmnamen Owain ap Maredupp ap Tudur merken kann, dampft er ihn auf das Kürzel Tudor ein.

Um 1429 wird der gewitzte Waliser als Gewandmeister für die königliche Garderobe erwähnt. Nähen, flicken und ausbürsten dürften zu seinen Pflichten gehört haben. Hinzu kommt gelegentliche Hilfe beim Ankleiden der Royals. In dieser Funktion kann sich der schmucke Exsoldat an die junge Königinwitwe Katharina heranmachen. Diese gebürtige Franzosenprinzessin ist wie er unter dreißig, bildschön und einsam. Ein Fall für den romantischen Abenteurer Owen.

Wir erinnern uns, dass in der jüngeren englischen Vergangenheit einem schmucken Rittmeister derselbe Coup bei Diana, Prinzessin von Wales, gelang. Auch die war bildschön und einsam, allerdings dummerweise noch nicht Witwe, als sie Reitstunden bei James Hewitt nahm.

Zurück ins 15. Jahrhundert. Die damalige Königin Katharina ist wie gesagt Witwe und Mutter von Heinrich VI., der noch in den Kinderschuhen steckt. Mutterfreuden scheinen Katharina nicht sonderlich zu interessieren. Die Hofintrigen der Yorks und Lancasters langweilen sie, zumal die Französin kaum ein Wort Englisch versteht. Ihr Sprachschatz reicht gerade aus, um sich mit Liebhabern zu amüsieren. Die Affären sind selbstredend Hochverrat, der Bastardgefahr wegen.

Wer im Himmelbett der King Mum erwischt wird, muss mit der Höchststrafe rechnen. Und die ist absolut widerwärtig. Hochverräter werden kurz gehängt, dann noch lebend abgeknüpft, fachgerecht aufgeschlitzt, ausgeweidet und kastriert. Organe und Weichteile werden verbrannt, der restliche Körper gevierteilt. Ich beschreibe das in dieser Ausführlichkeit, damit Sie sich einen Begriff davon machen können, was »verbotene Liebe« vor 500 Jahren bedeutete.

Immerhin: Solange die Königsmama Katharina unter hochadligen Standesgenossen wählt, sagt keiner was. Schon gar nicht die betroffenen Standesgenossen, die gegen einen Bastard mit königsblauem Blut nichts einzuwenden hätten. Schließlich wackelt der Thron gerade ganz schön, und man kann ja nie wissen.

Der walisische Garderobenangestellte Tudor allerdings – also nein –, der geht als Lover eigentlich gar nicht. Die lebensgefährliche Liebe kommt dennoch zustande. Der Legende nach, wie folgt.

Katharina erwischt den Niemand namens Owen beim Nacktbaden in der Themse oder in einem Schlossgraben. Was sie sieht, gefällt ihr so außerordentlich, dass sie sich vom Gewandmeister lieber ent- statt bekleiden lässt. Ihrem Untergebenen macht die Sache ebenfalls genug Spaß, um Kopf, Kragen und die edelsten Teile zu riskieren.

Andere Quellen behaupten, Owen sei bei einem Tanzfest absichtlich gestolpert, um im Schoß der Königsmutter und in der englischen Monarchiegeschichte zu landen. Um es mit dem weisen Shakespeare zu sagen: »Lust verkürzt den Weg.«

Wie auch immer: Der muskulöse Tudor-Beau, von dem sein Urenkel Heinrich VIII. seine jugendliche Sportlerfigur geerbt haben muss, verdreht der Königin komplett den Kopf. Sie verliebt sich nicht nur, sie heiratet den Tudor sogar heimlich und verlässt den Hof, damit die beiden Turteltauben nicht auffliegen. Ihren Prinzensohn, den kleinen, lammfrommen Heinrich Nummer sechs, lässt sie zurück. Von nun an ist er vater- und mutterseelenallein.

Katharinas und Owens Verbindung entspringen zwei weitere Söhne. Edmund und Jasper – Nachname ebenfalls Tudor. Aus monarchischer Sicht sind diese Söhne selbstredend illegitim und völlig indiskutabel.

Als die Königin 1437 stirbt, hinterlässt sie ihren Bastarden … nichts. Außer einer Dosis royalen Blaubluts in den Adern. Mit keiner Silbe sind die Tudors, Owen inklusive, in ihrem Testament erwähnt. Alles geht an Katharinas Lancaster-Buben. Heinrich VI.

Ein König am Rande des Nervenzusammenbruchs

Das Königssöhnchen ist immer noch allein unter Männern, die sich in seinem Namen um die Macht zanken. Doch weil er inzwischen sechzehn ist, darf er 1437, also im Todesjahr der Mutter, die Regierung übernehmen. Damit ist er auch gleich überfordert. Der junge König, so urteilen Zeitgenossen (noch) höflich, hat zu viel Zartgefühl. Eine dünne Haut kann man im Mittelalter allenfalls hinter dicken Klostermauern schützen; für einen König ist das keine Option. Ihm bleibt – wie Heinrich VI. – höchstens die Mönchspose.

Der König von der traurigen Gestalt hasst es zu kämpfen, er trägt selten Waffen, reitet nicht einmal gern. Im heutigen Psychojargon würde man vielleicht sagen, er leidet von Kindesbeinen an an einer reaktiven Anpassungs-»Störung«. Hand aufs Herz: Hätten Sie die nicht, wenn Ihre gesamte Verwandtschaft und Ihr ganze Umgebung damit beschäftigt wäre, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, um Ihnen Ihren Besitz unterm Hintern wegzustehlen?

Heinrich VI. ist außerdem erblich vorbelastet; sein Großvater mütterlicherseits, der Franzosenkönig Karl VI., starb in geistiger Umnachtung. Dieser Monarch aus dem Hause Valois hielt sich für einen Menschen aus Glas, er hörte Stimmen und vergaß, dass er ein mächtiges Land regierte. Wahrscheinlich war er schizophren; dafür sprechen die Verfolgungsfantasien und seine Wahnvorstellung, er könne sich nur in einem Ganzkörperanzug aus Metall vor den Angriffen von Dämonen und unsichtbaren Strahlen schützen. Nein, eine Rüstung meinte der König damit nicht.

Seine Pariser Leibärzte hielten Karl VI. für besessen. Weshalb man ihm mehrmals den Schädel aufbohrte – natürlich ohne Narkose –, damit die Teufel entweichen könnten. Sie blieben aber lieber im Kopf des Königs und beherrschten ihn von dort aus.

Ein gefährlicher Geisteszustand, der dazu führte, dass Frankreichs Aristokraten sich um seine Krone zankten und dass die Engländer die günstige Gelegenheit nutzten, um in deren Land einzufallen und es weitgehend zu erobern.

Somit ist es kein Wunder, dass die mittelalterlichen Zeitgenossen auch wenig Verständnis aufbringen für den Gemütszustand seines englischen Enkels Heinrich. In ihren Augen ist das Staatsoberhaupt einfach eine feige Memme und plemplem.

Vornehmer drücken es Historiker aus: Heinrich Lancaster ist führungsschwach, geistig labil und bewegt sich gelegentlich am Rand zum Wahnsinn. Nun gut, so kann man es auch sehen. Mir jedenfalls sind manche Spleens dieses königlichen Narren sympathisch.

Der sechste Heinrich vermeidet es, mit Krone herumzulaufen, als schäme er sich dafür. Wenn er bei Hof oder bei einer Audienz die Staatsrobe anlegen muss, trägt er darunter ein härenes Büßerhemd. Er frönt gern exzessiven Fastenübungen, verbietet es, in seiner Gegenwart nackte Haut zu zeigen. Hat er Spaß an Minnesang oder an Mätressen? Fehlanzeige. Er meidet Frauen wie die Sünde, als die alle Töchter Evas im Mittelalter – und nicht nur damals – nun einmal gelten.

Okay, das finde ich nicht so sympathisch. Für König Heinrich VI. ist sein Widerwillen gegen das weibliche Geschlecht und gegen Erotik höchst selbstgefährdend. Und ein Kriegsauslöser!

Seine 1445 geschlossene Ehe mit der bildschönen, sechzehn Jahre alten französischen Prinzessin Margaret von Anjou bleibt acht Jahre lang kinderlos. Richard, Herzog von York, macht sich darum berechtigte Hoffnungen auf die Thronfolge. Sein Anspruch ist so gut wie der von Lancaster und Co. Die Krone ist Herrn York sicher, wenn Heinrich fromm und seine Lenden fruchtlos bleiben. Denn natürlich sind die beiden Blaublüter auch miteinander verwandt, und zwar mehrfach. Ich erspare Ihnen die Details, weil das Studium der Ahnentafeln York-Lancaster für einen Brummschädel sorgt.

Richard von Yorks Hoffnungen auf die Krone bekommen zusätzlich Nahrung, weil der Lancasterkönig rekordverdächtig erfolglos regiert. Dank komplett mangelhafter Kriegsführung gehen unter Heinrich Lancaster stückchenweise all die französischen Besitzungen verloren, um die seit dem Mittelalter zwischen Britannien und Gallien ein weiterer berühmter Krieg getobt hat – der Hundertjährige.

Die hundert Jahre darf man dabei nicht zu wörtlich nehmen; es gab jahrelange Unterbrechungen und Friedensperioden, manchmal geriet die Auseinandersetzung ganz in Vergessenheit. Gekämpft wurde außerdem nur stellen- und saisonweise. Im Winter blieben die Waffen kalt und die Krieger zu beiden Seiten des Kanals zu Hause. Zum Ende dieses generationsübergreifenden Kampfprojektes schienen die Engländer – dank Heinrichs Vater und dem verrückten Franzosenkönig Karl VI. – die überragenden Sieger zu sein. Jetzt sind sie – dank dem Sohn und dessen Regenten – die völligen Verlierer.

Nicht nur die Yorkisten fragen sich darum, was von einem König Heinrich VI. zu halten ist, der die Gewinne seines Vaters und seiner Vorgänger so vollkommen versiebt. Nicht viel, da dürfen wir uns sicher sein. Immer mehr gilt Lancasters letzter Heinrich nicht als frommer Sonderling, sondern als irrer Schwächling. Vielleicht hat er abends beim Zubettgehen wirklich à la Shakespeare geseufzt: »Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt.«

Als Heinrichs Heere, von denen er sich fernhält, 1450 auch die komplette Normandie verlieren und nur noch Calais den Engländern gehört, erleidet der König einen völligen Nervenzusammenbruch. Er schließt sich in seine Betkammer ein. Die Yorkisten nehmen sich jetzt fest vor, den Thron zu übernehmen und idiotensicher zu machen. Ihr Motto frei nach Shakespeare: »Um ein Königreich bricht man jeden Eid.« Auch den Treueschwur auf einen König.

Herzog Richard von York kämpft sich zum Leiter des Kronrates hoch und ernennt sich zum Hauptregenten in spe. Im Moment des völligen Blackouts von Heinrich Lancaster will er den Thron besetzen. Das Parlament signalisiert Zustimmung. Schließlich hat Heinrich noch immer kein Kind und damit keinen Nachfolger zustande gebracht, und beten allein hilft nicht viel.

Bisweilen hat der Lancaster-Monarch Heinrich zum Ärger der Yorks aber noch lichte Momente. In einem dieser Momente erinnert sich der 30-jährige kinderlose König an zwei völlig unwichtige Angehörige des Lancaster-Clans. Da waren doch noch diese Bastarde aus dem Schoß seiner Mutter Katharina. Seine halbseidenen Brüder, die genauso heißen wie ihr unnützer Vater. Irgendwas mit T.

Taugenichts?

Tausendsassa?

Trittbrettfahrer?

Tunichtgut?

Halt nein, Tudor!

Spaß beiseite. Denn was jetzt kommt, wird bitterer Ernst für ein achtjähriges Mädchen. In Zahlen: 8!

Verlobt mit acht, schwanger mit zwölf – Ein Kind wird Königsmama

Im Jahr 1452 ordnet Heinrich VI. überraschend die Verlobung seines Halbbruders Edmund Tudor mit der reichsten Erbin Englands an. Die heißt Margaret Beaufort, ist gerade mal acht Jahre alt, verfügt aber über ein Jahreseinkommen von tausend Pfund. Heute würde man sie Millionenerbin nennen. Außerdem vereint sie ein paar Schlückchen altes Königsblut plus Mätressen-Gene in sich.

Ihr künftiger Bräutigam Edmund Tudor ist 22 Jahre alt und unvermögend. Darum wird er zum Herzog von Richmond hochgeadelt und erhält ein paar Burgen in Wales. Das ist schon mal mehr, als seine königliche Mutter ihm vererbt hat. Sein Bruder Jasper darf sich über eine Ernennungsurkunde zum Herzog von Pembroke (ebenfalls Wales) freuen. Ihr Erzeuger Owen Tudor kriegt auch ein bisschen was, aber keinen Titel. Ihm hat die Liaison mit Katharina nur die vollen englischen Bürgerrechte eingebracht. Das muss für einen walisischen Schafzüchter reichen.

Mit der Adelung und Legitimierung der Tudorbastarde erweitert Heinrich die Lancasterfamilie um weitere York-Gegner. Die Yorks haben nämlich Massen an Kindern und Verwandten.

Außerdem hofft der König mit der »Adoption« von Edmund und Jasper Tudor, die als kampfeslustig bekannten Einwohner von Wales auf seine Seite zu bringen. Es riecht jetzt nämlich, wir schreiben das Jahr 1452, bereits verdächtig nach Krieg. Die Verlobung ist also ein wichtiges taktisches Manöver. Noch schöner für Heinrich: Der fromme König darf weiter wie ein Mönch Enthaltsamkeit üben, was ihm eben mehr zusagt als Sex und Kinderzeugen. Okay, das war jetzt nicht ganz ernst gemeint.

Von der achtjährigen Margaret Beaufort erwartet er in jedem Fall das Gegenteil. Die Verlobte hat er für seinen Tudor-Halbbruder ausgesucht, weil sie einer Familie von good breeders – guten Brütern – entstammt. Das ist amtlich und so auch in einer historischen Quelle vermerkt. Vielleicht erinnern sich ältere Leser noch daran, dass anno 1985 auch Lady Diana Spencer, später Prinzessin von Wales, vor ihrer Hochzeit von königlichen Gynäkologen ebenfalls auf Jungfräulichkeit und Fruchtbarkeit geprüft wurde. Königliche Traditionen halten sich eben lange.

Schon König Heinrich hat anno 1452 in Sachen Gebärfreudigkeit der Braut richtig kalkuliert. Unmittelbar nach ihrer Eheschließung im Jahr 1455 wird die inzwischen zwölfjährige Margaret Beaufort schwanger. Der Gatte Edmund Tudor ist zu diesem Zeitpunkt fünfundzwanzig Jahre alt und wäre heute wegen Kindesmissbrauchs dran. Damit Sie nun nicht glauben, eine derart frühe Teenagerschwangerschaft sei im Mittelalter der Normalfall gewesen: Kinder gelten mit vierzehn als geschlechtsreif, und bei Königs wurde aus gesundheitlichen Gründen mit der Thronfolgerzeugung gern bis zum sechzehnten Lebensjahr gewartet. Man will die wertvollen Brut- und Zeugungsmaschinen nicht beim ersten Versuch überlasten.

Das ungleiche Ehepaar Beaufort-Tudor wird in einer zugigen Waliser Burg untergebracht. Die neuen Lancaster-Verwandten und ihr zukünftiger Nachwuchs sollen vor dem Zugriff der Yorks geschützt werden. Inzwischen sind nämlich die Rosenkriege York gegen Lancaster ausgebrochen. Die Flucht in die Burg nutzt leider nicht viel.

Bevor Margaret Mutter wird, wird sie erst einmal Witwe. Ihr Gatte Edmund stirbt im November 1456. Offiziell fällt der werdende Vater und Großvater von Heinrich VIII. der Pest zum Opfer. Inoffiziell flüstert man von Gift aus der Hausapotheke der Yorks. Ein eingeschmuggelter Koch oder ein Page soll, laut zeitgenössischen Gerüchten, dem Tudor ein Pulver ins Ale gestreut haben.

Zwei Monate nach seinem Tod gebiert die dreizehnjährige, verwitwete Margaret am 28. Januar 1457 ihr Kind. Es ist eine dramatische Niederkunft. Mitten im Winter herrschen eisige Temperaturen in den Gemäuern, die Schwangere fiebert, ihr schmächtiger Körper ist den Wehen und den Anstrengungen der Geburt kaum gewachsen. Man zerrt ihr das Baby ohne Rücksicht auf Verluste aus dem kindlichen Leib.

Es ist ein Wunder, dass Margaret überlebt und einem gesunden Sohn das Leben schenkt. Die viel zu frühe Schwangerschaft und die harte Geburt haben ihren Preis. Margarets Körper stellt das Wachstum ein, und obwohl sie im Laufe ihres 66 Jahre währenden Lebens noch dreimal heiraten wird – sie ist als reiche Erbin begehrt –, kann sie nie mehr Kinder bekommen.

Ihr erstes und einziges Kind tauft sie auf den Namen Heinrich, und das ist keinesfalls fantasielos, es ist eine Absichtserklärung. Heinrich ist der typische Königsname im Hause Lancaster, die Yorks ziehen hingegen Richard vor.