Shinjinmei - Taisen Deshimaru - E-Book

Shinjinmei E-Book

Taisen Deshimaru

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Beschreibung

Das SHINJINMEI (chin. Xinxin Ming) ist der älteste überlieferte Text des Zen überhaupt. Er wurde verfasst von Meister Sosan, dem dritten großen Vorfahren der Zen-Linie nach Bodhidharma, dem Begründer des Zen (Chan) in China. Dieser Text ist die gemeinsame Grundlage aller in der Folge entstandenen Zen-Schulen, und alle späteren Texte einschließlich der überlieferten Koan ruhen in der Tradition dieses Urtextes. Seine oftmals nicht leicht verständlichen Verse werden dem Leser hiermit erstmals zugänglich gemacht durch die ausführlichen Kommentare des japanischen Zen-Meisters Taisen Deshimaru-Roshi. Durch sie wird dem Leser Gelegenheit gegeben, in die reine Quelle des Zen einzudringen und das ursprüngliche Wesen seines Selbst kennen zu lernen. 'Bedeutend und auch schön anzuschauen.' (Buch und Bibliothek)

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Taisen Deshimaru-Rōshi

Shinjinmei

Verse über den Glaubensgeist

Ein Zen-Text von Meister Kanchi Sōsan (Jianzhi Sengcan, ?–606 )

Verlag Werner Kristkeitz

Die Zitate aus Meister Dōgens Shōbōgenzō entstammen zumeist der Referenzausgabe Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges. Kommentierte Übersetzung aus dem japanischen Urtext in vier Bänden, ebenfalls im Verlag Werner Kristkeitz erschienen. Alle Kalligrafien und Sumi-e (Pinselzeichnungen) in diesem Band stammen von Zen-Meister Taisen Deshimaru. Alle Rechte vorbehalten. Übertragung aus dem Französischen von Gabriele Rengetsu Stellmacher Covergestaltung: Saskia Vandrey Überarbeitete Ausgabe 2025. Titel der Originalausgabe: »Textes Sacrés du Zen (Ch’an), Vol. 2: Shin Jin Mei«, erschienen bei Éditions Seghers, Paris 1976. Deutsche Rechte © Verlag Werner Kristkeitz, Heidelberg 1978. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen, Verwertung bleiben vorbehalten. ISBN 978-3-948378-25-7www.kristkeitz.de

Taisen Deshimaru-Rōshi

Zen-Meister Taisen Deshimaru wurde am 29. November 1914 in der Provinz Saga in Japan geboren. In der Meiji-Zeit unterrich­tete sein Großvater väterlicherseits die Samurai im Jūdō, und sein Großvater mütterlicherseits war Arzt in östlicher Medizin. Sein Vater war Geschäftsmann und wurde Bürgermeister. Seine Mutter, eine leidenschaftliche Buddhistin, erzog ihn religiös. Schon in seiner Kindheit traf er den Zen-Mönch Kōdō Sawaki und wurde sein Schüler. Nach seinem Studium an der Universität Yokohama übernahm er einen verantwortungsvollen Posten in der Bergbautätigkeit der Gesellschaft Mitsubishi. Nach dem Krieg, den er in Indonesien verbrachte, folgte er weiter der Unterwei­sung seines Meisters Kōdō Sawaki, praktizierte bei ihm Zazen und gründete ein Institut für asiatische Kultur. Vor seinem Tod bestimmte Kōdō Sawaki ihn zu seinem Nachfolger.

Meister Deshimaru lebte seit Ende 1967 in Paris und richtete dort seinen Tempel ein. Hier wurde auch die Europäische Zenvereinigung (AZI) gegründet, um ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Deshimaru-Rōshi bekleidete das Amt des Kaikyōsōkan (geistiges Oberhaupt) des Sōtō-Zen für Europa und wurde in dieser Tätigkeit auch von den anderen Zen-Schulen Japans unterstützt. Iwamoto-Zenji, Hauptabt des Sōtō-Zen und Präsident der Buddhistischen Vereinigung Japans, sagte von ihm einmal, er sei «der Bodhidharma der modernen Zeit».

Taisen Deshimaru-Rōshi starb am 30. April 1982.

Vorwort

Diese Verse sind das Werk Meister Sōsans, des dritten Vorfahren nach Bodhidharma. Sōsan war Nachfolger von Meister Eka. Es ist dies der älteste überlieferte Urtext des Zen. Bodhidharma sprach fast nie, so auch sein Nachfolger Eka, der Fleischer und Straßenfeger war. Sie schrieben weder etwas auf noch verfassten sie Gedichte. Es ist uns also nicht möglich, etwas über ihre Lehre zu erfahren.

Jedoch das Shinjinmei von Meister Sōsan erlaubt es uns, die wirklichen Spuren, die seine beiden Vorgänger hinterließen, zu sehen und zu verstehen. Darum sagte Meister Keizan: «Wir müssen uns zum Sanpai niederwerfen vor dem Autor dieser Verse.»

In der Überlieferung der Lehre steht es mit drei späteren Werken in einer Reihe: dem Shōdōka («Satori – hier und jetzt») von Meister Yōka (649­–713), dem Sandōkai («Die Einheit von Essenz und Erscheinung») von Meister Sekitō (700–790) und dem Hōkyō zanmai («Der Samādhi des Schatzspiegels») von Meister Tōzan (807–869). Diese vier Texte machen das Erbe des Zen aus, dessen reines Wesen sie fassen.

Zur Zeit des Shinjinmei gab es die Sōtō- und die Rinzai-Schu­le des Zen noch nicht. Die Spaltung erfolgte erst nach der Zeit des San­dōkai. Die bis dahin geschriebenen Texte bilden somit die gemeinsame Grundlage beider Schulen. Insbesondere das Shinjinmei ist die Quelle der mehr als 1.000 Rinzai-Zen-Kōans.

Das Werk besteht aus 584 Schriftzeichen; die sich sich auf 146 sehr kurze, jeweils nur vier Schriftzeichen umfassende Sätze verteilen, und jeweils zwei davon bilden einen Vers. So ergeben sich insgesamt 73 Verse zu je 8 Zeichen.

Meister Dōgen hat das Shinjinmei immer wieder sehr tiefgehend in seinen Unterweisungen behandelt, und mein Meister Kōdō Sawaki hat es ebenfalls kommentiert.

Zur Zeit seines Entstehens war der Buddhismus in China verboten und wurde von der Regierung verfolgt. Sōsan war mehr als 40 Jahre alt, als er Meister Eka begegnete. Da er von Lepra befallen war, trat er an diesen mit folgender Bitte heran:

«Ich bin leprakrank. Bitte wascht mich von meinen Sünden rein!»

«Bring sie her, damit ich sie abschneiden und dein Karma reinigen kann», antwortete Eka.

Daraufhin sagte Sōsan: «Ich kann sie nicht fassen, um sie Euch zu bringen!»

«So habe ich dich auch schon von ihnen reingewaschen. Vertraue einfach meiner Lehre.»

Nachdem er von Eka die Mönchsweihe empfangen hatte, musste Sōsan fliehen und sich im Kankō-Gebirge verstecken. Er lebte allein und irrte ständig umher. Sein Vertrauen und seine beharrliche Zazenpraxis hatten ihn vollständig von seiner Krankheit geheilt.

Lange danach traf er denjenigen, der sein Nachfolger und der vierte Vorfahre werden sollte: Dōshin. Nach Ablauf einer neun Jahre dauernden Unterweisung gab er diesem die Bestätigung und die Schalen. Am 15. Oktober 606 starb er, stehend, in der Kinhin-Haltung unter einem Baum. Sein einziges Werk, das Shinjinmei, ist somit das erste, das je über das Wesen des Zen geschrieben wurde.

Der Kern der Lehre, die Bodhidharma an Eka weitergab, ist im Wesentlichen dies: «Strebe nicht danach, etwas zu erlangen, was es auch sei.»

Der Kern der Lehre, die Eka an Sōsan weitergab, ist dies: «Weise nichts zurück, was immer es auch sei.»

Im Zen soll man weder etwas anstreben noch etwas ablehnen.

Dieselben Prinzipien kann man auch im Shōdōka wiederfinden: «Sammle nicht die Blätter und halte nicht Ausschau nach den Ästen.» Im ganzen Kosmos gibt es keinerlei Vorstellung von Mangel oder von Überfluss.

Meister Keizan widmete Sōsan folgendes Gedicht:

Das Wesen des Kosmos (kū)

beinhaltet weder die Vorstellung eines Inneren

noch die eines Äußeren.

Weder Verbrechen noch Tugend

hinterlassen eine Spur.

Die Bedeutung des Titels Shinjinmei:Shinjin ist die Zuversicht, das Vertrauen im Herzen, der Geist des Glaubens.Mei sind in Stein gemeißelte Verse als Erinnerung für die kommenden Generationen.Shinjinmei – Verse über das Vertrauen im Herzen.

Taisen Deshimaru

Die göttliche Blume ist wie der Schnee

1

Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn du nur aufhörst auszuwählen.

Takuhatsu – Der Bettelgang der Mönche

Dieser Vers handelt von dem Problem der Neigungen des Bewusstseins. Das Satori jedoch geht darüber hinaus. Wenn wir unseren Geist nicht reinigen, wird er niemals zur Ruhe kommen und uns in den Wahnsinn führen. So wird unser Leben schwer und kompliziert: «Ich habe kein Glück … Ich bin unglücklich … Ich möchte gut aussehen … Ich muss reich und schön werden, ich möchte schöne Kleidung besitzen … Ich hätte so gerne ein Kind …» Die unaufhörlichen Neigungen machen unser Leben schwierig und verwickelt.

Wir dürfen nicht mit unserem persönlichen Bewusstsein auswählen. Das Studium des Zen, der Buddhalehre, in der Zazenpraxis ist leicht zugänglich und einfach. In den Büchern wird es kompliziert und schwierig.

Zen ergründet den wahren Geist, das Wesen des Geistes Buddhas oder Gottes. Im Innersten des Bewusstseins, in der wahren Stille, befindet sich das ātman der Upaniṣad, das kū der Buddhalehre, das Dasein ohne Numen, Nirvāṇa, Satori. Und dieses Innerste des Bewusstseins wird letztendlich zum kosmischen Bewusstsein. Shinjin hat somit die Bedeutung: der Glaube, das Vertrauen in das kosmische Bewusstsein, das heißt, das Vertrauen in Zazen.

Beim Zazen sondert man die Gedanken nicht aus; man lässt sie vorbeiziehen. Dies ist ein grundlegendes Prinzip, das im Alltagsleben genau die gleiche Gültigkeit besitzt. Natürlich kommt man nicht umhin, Entscheidungen zu treffen. Aber letztendlich muss man über die Entscheidungen hinausgehen.

Beim Zazen verwirklicht unser Geist vollständig, wirklich und wahrhaftig den Frieden und die Ruhe. Dieser Geist steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Kosmos, der alles Dasein in sich fasst.

Die Verwirklichung des Wahren Weges, des Satori, ist nicht schwierig, wenn wir die Geisteshaltung des Aussonderns und des Auswählens aufgeben.

Meister Jūhun schrieb: «Seit uralten Zeiten bis in unsere Tage hat der Große Weg sich nicht verändert … Das heißt: oben der Kopf, unten – rechts und links – die Beine.»

«Die Augen waagerecht, die Nase senkrecht», schrieb Meister Dōgen. Sich im normalen Zustand zu befinden, das ist der Wahre Weg.

Wenn wir den Wahren Weg verstehen wollen, müssen wir über Geschichte und Kultur, Gesellschaft und Sprache, Wissenschaft und Philosophie hinausgehen. Wir müssen uns von allem frei machen. Wenn wir alle Dinge vollkommen aufgeben, können wir Kū werden. Weder schwierig noch leicht, weder innerlich noch äußerlich, so ist der wunderbare Weg.

2

Es genügt, frei zu sein von Liebe und Hass, damit die Einsicht sich zeigt, unvermittelt und klar.

Bronzeschale für Räucherstäbchen

Gefühle wie Liebe und Hass sind keineswegs unentbehrlich. Sie verwirren das Leben. Nichts ist wirklich beschmutzt, nichts ist wirklich rein. Wenn wir weder Liebe noch Hass empfinden, wird unsere Einsicht in den Weg derart klar und durchdringend sein, dass sie uns ganz und gar augenfällig wird. Das Licht in der Höhle, das natürliche Licht, wird durch nichts «hervorgerufen» – es ergibt sich einfach aus der Öffnung zum Tageslicht hin. So verhält es sich auch mit dem Licht der Einsicht, es ist spontan, unbewusst und natürlich.

«Suche nicht, entfliehe nicht, hafte nicht. Wenn wir nach etwas trachten, verliert unser Geist seine Reinheit», sagte Kōdō Sawaki. Im täglichen Leben tauchen die Erscheinungsformen in großer Zahl auf. Doch ein einziger, von ein und derselben Konzentration getragener Weg muss uns leiten. Die zehntausend (= unzähligen) Abhängigkeiten, die zehntausend Gedanken abzuschneiden, das ist Satori, das ist Zazen. Die Rückkehr in den normalen, ursprünglichen Zustand.

Das folgende Gedicht stammt von Meister Keizan:

Die tausend rosa Blüten des Pfirsichbaumes

öffnen sich im Frühling,

doch er hat nur eine Farbe.

3

Doch entsteht im Geist eine Unterscheidung auch nur so winzig wie ein Staubteilchen: Sogleich trennt unendliche Entfernung Himmel und Erde.

Wilder Riesenkürbis

Ein winziger Irrtum eines Piloten hat bedeutende Auswirkungen auf die Flugroute. Ebenso beim Schie­ßen: Wenn die Kugel auch nur um ein Haar abgelenkt wird, entsteht am Ziel eine große Abweichung. So verhält es sich auch im täg­lichen Leben – es kann zum Beispiel zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Sohn, dem Meister und dem Schüler das kleinste Missverständnis unbegrenzte Folgen haben.

Wenn sich in unserem Geist eine Abweichung auch nur von der Breite eines Haares, von der Größe eines Staubkörnchens, eines Atoms, eines Elementarteilchens ergibt, werden Himmel und Erde sogleich durch unendliche Entfernung getrennt. Man selbst stimmt nicht mehr mit sich selbst überein, der Berg nicht mehr mit dem Gebirge. Der Himmel ist nicht mehr der Himmel. Der Verstand ist nicht mehr der Verstand. Der Kosmos ist nicht mehr der Kosmos. Buddha stimmt nicht mehr mit Buddha über­ein.

Es ist nicht schwer, Satori zu erlangen, doch wir dürfen nicht danach streben. Es muss unbewusst, natürlich, automatisch ge­sche­hen, ohne auszuwählen, denn wenn in unserem Geist eine Unterscheidung entsteht, und sei sie noch so winzig, trennen sich sogleich Himmel und Erde.

Oder, wie Meister Kassan sagte: «Der Himmel fällt auf die Erde, und die Erde erbebt.»

4

Willst du den Weg hier und jetzt verwirklichen, darf keine Vorstellung von richtig und falsch in deinen Geist mehr eindringen.

Wenn wir hier und jetzt den Weg verwirklichen, hat weder die Vorstellung eines Richtigen noch die eines Falschen mehr Platz in unserem Geist. Im wahren Leben wandelt sich mal das Glück zu Unglück, mal das Unglück zum Glück. Wenn wir eines gewinnen, sagte Dōgen, verlieren wir ein anderes; und wenn wir eines verlieren, gewinnen wir ein anderes.

In unserem täglichen Leben verhalten wir uns oft im Widerspruch zum Hier-und-Jetzt. Doch wenn wir auch die geringsten Vorstellungen von Annehmen oder Zurückweisen aufgeben, tut sich alles vor uns auf, unser Bewusstsein hat den Frieden gefunden, und unser Geist bleibt ruhig, ohne Dualität, jenseits der Relativität.

5

Der Kampf zwischen richtig und falsch führt zur Krankheit des Geistes.

Mushin –Der leere Geist ohne Ich-Bewusstsein

Produziert keine Unterscheidungen. Verfolgt nichts, was es auch sei. Kämpft nicht. Sucht weder Gott noch Buddha. Lauft nicht dem Dharma nach! Alles das ruft die Krankheiten des Geistes hervor.

Gefühle wie Liebe und Zuneigung haben als Früchte Begierde und Hass, die sich gegenseitig bekämpfen. Eben dies ist Wahnsinn. Derart ist die Krankheit des Geistes: Kampf zwischen Vorstellungen von ähnlich und verschieden, von übereinstimmend und nicht übereinstimmend, von richtig und falsch.

Solange wir auf der Suche nach Buddha oder dem Dharma sind, können wir den wirklichen Frieden nicht finden. Wir müs­sen die zehntausend Erscheinungsformen abschneiden. Wir dürfen nichts ersinnen, jedoch ohne darum nun irgendetwas zu zerstören. Wir dürfen nicht nach etwas forschen, selbst nicht nach der Farbe von Kū. Wenn wir diesen Punkt erreichen, lösen sich der Zweifel und die Angst von selbst auf.

Die Wahrheit nicht suchen,

die Illusionen nicht abschneiden.

So schreibt Meister Yōka im Shōdōka.

Wie können wir unseren Geist vom Zweifel, von der Angst und vom Leiden befreien? Was ist die Lösung?

Meister Enō, der 6. Vorfahre, fragte seinen Schüler Engaku: «Was ist dies?»

Engaku antwortete: «Dies – das ist was?»

Enō gab Engaku die Bestätigung.

Wenn euch diese Geschichte etwas kurz erscheint, hier noch eine zweite, daraus folgende:

Meister Jōshū gab seinem Schüler ein Kōan: «Was ist dies?» (Das heißt: Was ist der Zustand des Bewusstseins? Weder nichts noch nicht nichts.)

Der Schüler antwortete: «Ich bin keineswegs etwas. Beim Zazen bin ich im Zustand des Nichts. Jetzt gerade bin ich ‹Nichts›.»

Meister Jōshū antwortete: «Gib die Vorstellung, du seist ‹Nichts›, auf, und hör auf, immer dein Gehirn zu benutzen!»

6

Gelingt es dir nicht, in die Quelle der Dinge einzudringen, wird dein Geist vergeblich nach Ruhe suchen.

Die «Quelle der Dinge» ist der Urgrund des Seins; gen ist im Chinesischen und Japanischen «die Quelle», «der Ursprung»; es ist auch das gen in Meister Dōgens Name. Der Urgrund des Seins ist nicht abhängig von unseren fünf Sinnen. Es ist dies eine Welt jenseits unseres Bewusstseins. Dieser ursprüngliche Grund ist nur ein einziger im Kosmos; er ist das, was alles Seiende be­leuchtet, hier und jetzt. Einige haben dies verstanden, andere nicht, und die sind durch ihr Karma verwirrt.

Ein Mönch der Amida-Schule predigte einmal: «Wenn wir an Amida-Buddha glauben, werden wir in das Land Sarkabasti kommen. Wir müssen nur daran glauben.» Doch ein Laie ant­wortete ihm: «In diesem Paradies kann man keinen Sake trinken. Ich mag nun aber Sake, und wenn es dort keinen Sake gibt, möch­te ich dort auch nicht sein.»

Zwei befreundete Hunde unterhielten sich miteinander. Der eine war ganz schwarz und sagte zu dem anderen, ganz weißen: «Du bist vollkommen rein, und wenn du stirbst, wirst du sicher als Mensch wiedergeboren werden.»

Doch der weiße Hund war damit unzufrieden und antwor­tete: «Mir liegt überhaupt nichts daran, Mensch zu werden. Sicher, die Stellung des Menschen ist der des Hundes überlegen, aber sie ist nicht sehr zweckmäßig. Wie sollte ich dann draußen am Baumstamm Pipi machen? Außerdem bräuchte ich Kleidung, und mein Leben wäre weniger leicht. Das Leben der Menschen ist zu kompliziert.»

Schließlich sagte der schwarze Hund: «Gewiss, du hast Recht. Ich möchte auch kein Mensch werden.»

Jedes Wesen hat sein eigenes Karma: Trinkkumpane sind Trinkkumpane, Männer sind Männer, Frauen sind Frauen, Katz­en sind Katzen usw. Und doch müssen wir über die Kategorien hinausgehen und in die Quelle der Dinge eindringen. Jenseits von Dämonen und Buddha, Hölle und Paradies ist der ursprüngliche Grund, die unendliche Tiefe.

7

Der Weg ist rund, friedlich und breit wie der unermessliche Kosmos, vollkommen, ohne die geringste Vorstellung von Beharren oder Zerbrechen.

Stock und Bambushut des Wandermönchs

Da er rund ist, hat er auch weder Anfang noch Ende. Da er weder Anfang noch Ende hat, ist er auch ohne Begrenzung, ist er unendlich. Da er unbegrenzt ist, hat er auch weder Wurzeln noch Zweige. Ohne jegliche Begrenzung ist er weder schmal noch breit, ohne eine Vorstellung von Bewegung, von Stillstand, von vorn, hinten, außen, innen. Er ist einzig, ohne Unterscheidung, ohne verschiedene Gesichter. Er ist die Leerheit.

Manchmal wird er zum gewöhnlichen Menschen, manchmal zum Buddha. Manchmal nennt man ihn Erscheinungsform, manchmal Ursprung.

Überall und in jedem Augenblick kann nichts vergraben noch aufgewühlt sein, nichts kann verschwinden. Dennoch, ob wir sitzen, liegen, stehen oder ob wir in Bewegung sind, unaufhörlich tauchen in unserem Leben die Erscheinungsformen auf.

Alles ist rund, ruhig und unbegrenzt wie der Kosmos. Wir verharren nicht, wir bleiben nicht in unserem trügerischen Traum. Alles verändert sich unaufhörlich. Die Berge, die Flüsse, unsere Erdkugel, das ganze Universum, alles Dasein unterliegt keinem anderen Gesetz.

Der Mond und sein Widerschein im Fluss, der Mensch und sein Abbild im Spiegel, beide sind nur ein einziges, und alle Dinge sind ohne Anfang, ohne Ende, ohne Leben noch Tod. Beim Zazen, ohne zu denken, wird unser Bewusstsein unendlich.