Skagboys - Irvine Welsh - E-Book

Skagboys E-Book

Irvine Welsh

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Beschreibung

Die Vorgeschichte des Kult-Bestsellers »Trainspotting«

Mark Renton sollte glücklich sein. Er ist jung, smart, hat eine hübsche Freundin und Spaß am Studium. Doch im Großbritannien der Achtziger ist kein Platz für ihn und seine Freunde. Man hat ihnen Arbeit, Bildung und Wohlstand versprochen, aber nun ist niemand da, um diese Versprechen auch einzulösen. Als Marks Familie auf tragische Weise zerbricht, gerät sein Leben außer Kontrolle.

Dies ist die Geschichte der jugendlichen Außenseiter Mark Renton, Spud Murphy, Franco Begbie und Sick Boy. Eine Geschichte über Drogen, Armut und das Scheitern – aber auch über das Leben, die Freundschaft und vielleicht ein bisschen Liebe.

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Seitenzahl: 1329

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Die Originalausgabe

SKAGBOYS

erschien 2012 bei Jonathan Cape, London

Unter www.heyne-hardcore.de finden Sie das kompletteHardcore-Programm, den monatlichen Newslettersowie unser halbjährlich erscheinendes CORE-Magazinmit Themen rund um das Hardcore-Universum.

Weitere News unter facebook.com/heyne.hardcore

Copyright © 2012 by Irvine Welsh

Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Thomas Brill

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel / punchdesign, München, unter Verwendung eines Motivs von © file 404 / shutterstock.com

Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

ISBN: 978-3-641-11228-8

www.heyne-hardcore.de

In Erinnerung an Alan Gordon, »den Teamleader«, sowie an Stuart Russell und Paul Reekie, die wahren Stimmen der Opposition in England und Schottland.

»So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht.«

MARGARET THATCHER

»Dieses calvinistische Gespür für die angeborene Verworfenheit und Erbsünde des Menschen sucht auf die eine oder andere Weise jeden tiefsinnigen Denker gelegentlich heim.«

HERMAN MELVILLE

Inhalt

VERSUCHUNG

Prolog: Auszüge aus dem Reha-Tagebuch (Die Sache in Orgreave) – I Did What I Did For Maria – Blackpool – Anmerkungen zu einer Epidemie 1 – Too Shy – Der erste Schuss: Sag einfach »Ja« – Familienplanung – Way of the Dragon – Übergangen – Ulmensterben

FREIER FALL

InterRail – Geteiltes Bett ist halbes Leid – Funeral Pyre – Anmerkungen zu einer Epidemie 2 – Love Cats – Freiheit – Anmerkungen zu einer Epidemie 3 – Wenn es kommt, dann … – Noch mal dasselbe

KÄLTE

Union Street – Baltic Street – Tanzender Engel – Lieferkette – Ein reifer Student – Hausgäste – Die Hoochie-Connection – Skaggirl – Anmerkungen zu einer Epidemie 4 – Das Licht tat seinen Augen weh

TAUWETTER

Siebter Stock – Schlechte Zirkulation – Northern Soul Classics – Dirty Dicks – Hogmanay – Anmerkungen zu einer Epidemie 5 – Die Kunst der Konversation – Haut und Knochen – Der Müllschacht – Water of Leith

OZEAN

Seebären (1. Zoll- und Verbrauchssteuerbehörde, 2. Zumutbare Tätigkeiten, 3. Parkdeck) – Hetzen, hasten, niemals rasten – Auf hoher See – Fahnenflucht – Junk-Dilemma Nr. 1 – Towers of London – Wundbotulismus

DÜRRE

Junk-Dilemma Nr. 2 – Anmerkungen zu einer Epidemie 6 – Ein sicherer Hafen – Junk-Dilemma Nr. 3 – St. Monans (Peer-Education) – Scheidepunkt – Die Reha-Tagebücher – Avanti – Braunes – Im Geschäft – Junk-Dilemma Nr. 4 – Soft Cell – Anmerkungen zu einer Epidemie 7 – Trainspotting am Gorgie Central

DANKSAGUNG

VERSUCHUNG

Prolog: Auszüge aus dem Entzugstagebuch

Journal-Eintrag: Die Sache in Orgreave

Selbst diese Holzbohle von einer Couch kann nicht verhindern, dass mein Körper in einen erlösenden Schlaf sinkt. Es erinnert mich an mein Zimmer im Studentenwohnheim in Aberdeen: Ich liege im Dunkeln und bade förmlich in dem befreienden Gefühl, diese Angst los zu sein, die sich nachts in meiner Brust ansammelte wie der zähe Schleim in der seinen. Denn ganz gleich, was ich draußen höre – Autos, die nachts durch die engen Gassen der Sozialsiedlung brettern und mit ihren Scheinwerfern in dieses muffige Zimmer leuchten, Besoffene, die die Welt besingen und verfluchen, oder fürchterlich jaulende Katzen beim Liebesspiel –, ich weiß, dass ich diese Geräusche nicht hören muss.

Kein Husten.

Kein Schreien.

Und vor allem nicht dieses Klopfen: Tapp, tapp, tapp …

Keine besorgt flüsternden Stimmen, an deren Aufgeregtheit du erkennst, ob du diese Nacht noch ein Auge zumachen wirst oder nicht.

Nur die einlullende, dunkle Stille und diese Holzbohle von einer Couch.

Kein. Verdammtes. Husten.

Es fängt nämlich immer mit einem Husten an. Nur einem. Dann versuchst du, ihn mit reiner Willenskraft dazu zu zwingen, sich zu beruhigen – keine Chance. Dein beschleunigter Puls sagt dir, dass du im Unterbewusstsein bereits auf dieses Blaffen gewartet hast. Wenig später folgt das zweite Husten – der schlimmste Moment –, und deine Wut verlagert sich von der Quelle des Hustens hin zu denen, die dem Hustenden zu Hilfe kommen.

Lasst es doch einfach bleiben, verdammt noch mal!

Aber klar, durch diese papierdünnen Wände hört man das ganze Theater: erst das erschöpfte Seufzen, dann das Klicken des Lichtschalters und schließlich die nervös trippelnden Schritte.

Wenig später setzen die Stimmen ein – das leise gemurmelte Bitten und Flehen, die Beruhigungsformeln –, und die Prozedur beginnt: die Lagerungsdrainage und das Abklopfen zur Ableitung des Bronchialsekrets.

Tapp … tapp … tapp …

Tapp … tapp … tapp …

Der fürchterliche Rhythmus der großen Hände meines Vaters, wie sie seinen dünnen, krummen Rücken abklopfen – hartnäckig und kraftvoll. Fast schon brutal. Kein Vergleich zum ängstlich behutsamen Klopfen meiner Mutter. Dazu immer wieder ihr Flüstern, ihre verzweifelten Worte, um ihn zu ermutigen.

Ich wünschte, sie würden ihn im Krankenhaus lassen. Ihn verdammt noch mal einfach dort lassen. Ich jedenfalls betrete dieses Haus erst wieder, wenn er für immer verschwunden ist. Es ist so wundervoll hier auf dieser Couch, in diesem Hafen der Ruhe, wo ich all das vergessen und Geist und Körper ins Reich des Schlafs gleiten lassen kann.

»Komm schon, Junge! Hoch mit dir! Na mach schon!«

Die raue Stimme meines Vaters reißt mich aus dem Schlaf. Mir tut alles weh, meine Gliedmaßen sind steif. Er hat sich über mich gebeugt, guckt grimmig und wedelt mit seiner Zahnbürste herum. Er ist noch nicht komplett angezogen, man kann den blond-grauen Pelz auf seiner Brust sehen. Ich brauche drei ganze Sekunden, um mich zu sammeln – muss die Augen dreimal auf- und zuklappen, bis ich kapiere, dass ich auf der Couch meiner Oma in Cardonald liege. Ich habe mich erst vor ein paar Stunden hingehauen. Eigentlich wäre es noch pechschwarze Nacht, aber mein alter Herr hat die kleine Tischlampe angeknipst, die das Zimmer nun in ein schlappes aquamarinblaues Licht taucht. Ich weiß, dass er recht hat: Wir müssen uns auf den Weg machen, um den Bus am St. Enoch’s Square zu erwischen.

Ich weiß auch, dass sich alles geben wird, wenn ich erst einmal in Bewegung bin, auch wenn ich etwas zerknittert aussehen mag

ZUM TEUFEL MIT DIESEM SCHEISS!

Ich werd schon klarkommen, sobald ich meinen Arsch in Bewegung gesetzt hab, auch wenn ich wie ne verdammte Vogelscheuche ausseh. Zuerst will ich meine Oma aber nach nem Bügeleisen fragen, will die fiesen Falten aus dem navyblauen Fred Perry bügeln, bevor ich es über meinen schmächtigen Körper mit der käseweißen Gänsehaut ziehe. Doch mein alter Herr will davon nichts wissen. »Vergiss das Bügeleisen«, sagt er und wedelt wieder mit seiner Zahnbürste in der Luft herum. Dann verlässt er das Zimmer in Richtung Bad und schaltet an der Tür die Deckenleuchte an. »Das wird heut keine Modenschau. Also gib Gas, Junge!«

Eigentlich brauch ich seine Antreiberei nich. Das Adrenalin schießt mir durch den Körper und bringt mich auf Touren. Das Spektakel heute werd ich mir auf keinen Fall entgehen lassen! Auch Granny Renton ist schon auf den Beinen. Sie will sich verabschieden. Klein, schmächtig, mit weißen Haaren und abgestepptem Morgenmantel steht sie da, eine Reisetasche in der Hand, und mustert mich mit durchdringendem Blick. Nachdem sie mich nen Moment lang über ihre Brillengläser hinweg angestarrt hat, fängt sie an, meinen Dad im Flur vollzulabern. »Wann fährtn der Bus? Von wo fährtn der los? Wann kommtn ihr an?«, säuselt sie mit besorgter Singsang-Stimme.

»Geh wieder … zurück ins … Bett … Ma«, knurrt mein Dad, den Mund voller Zahnpasta und Spucke. Ich schlüpf währenddessen schnell in meine Klamotten: Hemd, Jeans, Socken, Sneaker und Jacke. Danach geh ich zum Kaminsims rüber und schau mir die gerahmten Bilder an, die dort zusammen mit den vier Ehrenmedaillen von Opa Renton stehen. Das Victoria-Kreuz ist auch dabei. Ich glaub, das war für die Normandie. Er hätte es wahrscheinlich nicht gemocht, dass die Teile so zur Schau gestellt werden. Bewahrte sie immer in einer Tabakdose auf. Wir mussten ihn regelrecht anbetteln, damit er uns die Dinger mal zeigte. Dazu muss man sagen, dass mein Opa von Anfang an ehrlich zu mir und meinem Bruder Billy war, wenn es um die Teile ging: Hat uns geradeheraus gesagt, dass das mit den Orden alles großer Bullshit wär. Viele mutige Typen wären trotz ihrer Heldentaten leer ausgegangen, während jede Menge Wichser für nichts und wieder nichts ausgezeichnet wurden. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ihn mal im Urlaub, in einem Gästehaus unten in Blackpool, deswegen gelöchert hab: »Aber du warst doch n mutiger Soldat, oder, Opa? Ich meine, wie du da bei der Invasion den Strand hoch bist und so … da braucht man doch schon Mumm.«

»Ich hatte Angst, mein Junge«, antwortete er mit düsterer Miene. »Vor allem aber war ich wütend. Wütend, dass ich überhaupt da war. Verdammt wütend. Ich wollte diese Wut rauslassen und dann möglichst schnell wieder nach Hause.«

»Aber dieser Kerl musste doch gestoppt werden, Dad!«, schaltete sich mein alter Herr ein. »Das haste selbst gesagt!«

»Weiß ich doch, weiß ich doch. Ich war ja schon stinksauer, dass man diesem Mistkerl anfangs so viel hat durchgehen lassen.«

Die beiden Bilder von meinem Großvater auf dem Kaminsims unterscheiden sich etwas. Auf dem einen wirkt er wie ein Lausbub in Uniform, der gerade mit seinen Kumpels zu nem Abenteuer aufbrechen will. Das zweite Foto wurde einige Zeit später gemacht. Da lächelt er auch, aber das spitzbübische Grinsen vom ersten Bild is verschwunden. Sein Lächeln sieht nich erzwungen aus oder so, aber irgendwie schwer erarbeitet.

Granny kommt zurück und verharrt nen Moment, als sie mitkriegt, dass ich mir gerade die Bilder von Opa anschaue. Kann sein, dass sie irgendwas in mir sieht – eine Ähnlichkeit im Profil oder so –, das Erinnerungen an die Vergangenheit weckt. Sie schleicht sich an mich ran, legt ihren Arm um meine Hüfte und flüstert: »Macht den Mistkerln die Hölle heiß, Junge!« Sie riecht gut, aber irgendwie auch alt – als würde sie sich mit Seife waschen, die sie mal vor dreißig Jahren gekauft hat. Als Dad reinkommt und wir uns fertig machen, fügt sie noch hinzu: »Aber pass auf dich auf, Junge. Und pass auch auf meinen Buben auf.« Damit meint sie meinen Vater. Schon komisch, dass sie ihn immer noch so nennt. Der Mann is schließlich steinalt. Bald fünfzig!

»Komm schon, Junge, Taxi wartet«, sagt er und wirft einen Blick durchs Fenster. Das Getue meiner Grandma scheint ihm peinlich zu sein. Dann dreht er sich doch noch um und küsst sie auf die Stirn. Sie wendet sich zu mir, nimmt meine Hand und flüstert mit ernster Stimme: »Du bist der Beste, Junge, der Beste von alln.« Das sagt sie jedes Mal. Eigentlich schon, seitdem ich ein kleines Kind bin. Hat mir immer ein tolles Gefühl gegeben. Bis ich rausfand, dass sie das zu all ihren Enkeln und sogar zu den Nachbarskindern sagt! Ich bin mir zwar sicher, dass sie es jedes Mal ehrlich meint, aber trotzdem …

Der Beste von alln.

Sie lässt mich los und reicht meinem Dad die Reisetasche. »Und verlier mir ja nich die Thermoskanne, David Renton«, zetert sie.

»Ja, Mutti, hab doch gesagt, dass ich n Auge drauf hab«, antwortet er kleinlaut, als wäre er wieder ein Teenager. Als er gerade gehen will, hält sie ihn zurück. »Ich glaub, du hast da was vergessn«, sagt sie. Dann huscht sie zur Anrichte rüber, holt drei kleine Gläser raus und schenkt Whisky ein. Mein Vater verdreht die Augen. »Aber Ma …«

Sie ignoriert seinen Protest und hebt ihr Glas, sodass wir nachziehen müssen. Ich hasse Whisky, und so früh am Morgen erst recht, aber mir bleibt keine Wahl. »Auf uns, die unsren und unsere Totn!«, krächzt sie.

Mein Dad schüttet das Gesöff auf ex runter, und auch meine Oma ist ruckzuck fertig. Muss per Osmose oder so gegangen sein. Hab zumindest nich gesehn, dass sie das Glas zum Mund geführt hätte. Ich brauch zwei Schluck und muss ziemlich würgen, um das Zeug runterzukriegen. »Stell dich nich so an, Junge, bist doch n Renton!«, nörgelt sie.

Dann nickt mein Vater mir zu, und wir machen uns los. »Die Frau is einfach unmöglich«, bemerkt er liebevoll, als wir in das große schwarze Taxi steigen. Mein Magen brennt wie Hölle. Ich dreh mich noch mal um, winke der kleinen Silhouette am Ende der dunklen Straße zu und hoffe, dass die törichte Alte möglichst schnell wieder rein ins Warme geht.

Granny Likes A Small Glass Of Whisky … so hat man uns in der Schule beigebracht, wie man G-l-a-s-g-o-w buchstabiert.

Draußen is zappenduster, und das menschenleere Glasgow macht nen schaurigen Eindruck. Kein Wunder eigentlich, um vier Uhr früh an einem Montagmorgen. Auf der Rückbank des Taxis stinkt es bestialisch. Wahrscheinlich hat irgendein verlauster Penner gestern Abend auf die Sitze gekotzt. »Grundgütiger!«, brummt mein Dad, als er es mitkriegt, und wedelt sich mit der Hand vor der Nase rum.

Mein alter Herr is n Hüne mit breiten Schultern. Ich hingegen komm eher nach meiner Mutter: dürr und staksig. Seine Haare sind blond (obwohl sie mittlerweile langsam grau werden). Meine sind fuchsrot, »ginger«, wie wir hier sagen, egal wie ich’s dreh und wende. Heute trägt er ne braune Cordjacke, die sogar ganz gut aussähe, hätt er da nich diese Pinnnadel von den Glasgow Rangers neben der von seiner Gewerkschaft, derAmalgamated Union of Engineering Workers, am Revers. Damit versaut er das Teil komplett. Außerdem stinkt er nach diesem Blue-Stratos-Deo, aber egal.

Der Bus wartet auf dem leeren Platz hinter der Argyle Street. Als wir ausm Taxi steigen, sehen wir, wie so ein hässlicher Vogel die Streikenden um Kleingeld anbettelt und sich danach wieder verzieht. Ein paar Augenblicke später kommt er wieder angekrochen und beginnt das Spiel von vorn. Ich steig schnell in den Bus, um seinem Gestank zu entkommen. Der Arsch widert mich an: keine Selbstachtung, keine Einstellung, einfach gar nix. Ständig verdreht er seine Augen und spitzt dabei seine Gummilippen, als wär er nich ganz dicht in der Birne. Das System hat diesen Typen klein gemacht, zwischen seinen Rädern zerquetscht wie eine Schmeißfliege. Alles, was dieser Parasit jetzt noch tun kann, ist Leute anzubetteln, die noch den Mumm haben, sich zu wehren. »Wichser!«, höre ich mich schimpfen.

»Nu urteil ma nich so schnell, Junge«, sagt mein Vater in seinem starken Glasgow-Akzent. »Du hast doch keine Ahnung, was der Typ schon durch hat.«

Ich antworte nich, bin mir aber ziemlich sicher, dass ich gar nich wissen will, was die stinkende Hackfresse schon durch hat. Im Bus sitz ich dann neben meinem Dad und ein paar seiner alten Kumpels von den Govan-Werften. Das passt. Irgendwie haben wir in letzter Zeit einen guten Draht zueinander. Das letzte Mal, dass wir zwei was unternommen haben – also nur wir beide, mein ich –, is echt Ewigkeiten her. Momentan wirkt der Alte ziemlich ruhig und nachdenklich. Macht sich wahrscheinlich Sorgen um meinen kleinen Bruder, unseren Davie, der wieder im Krankenhaus liegt.

Die Jungs haben reichlich Alk mit an Bord gebracht. Anrühren darf ihn allerdings keiner. Erst auf der Rückfahrt wird getrunken, wenn wir die verdammten Lastwagen der Streikbrecher aufgehalten haben und unsern Erfolg feiern. Auch Fressalien gibt’s zur Genüge: Granny Renton hat uns jede Menge Sandwiches gemacht. Gummi-Weißbrot von Sunblest, belegt mit Käse und Tomaten, Schinken und Tomaten und so weiter. Erinnert mich irgendwie an ne Beerdigung oder so.

Die Stimmung im Bus is aber eher wie bei einem Fußballspiel und hat gar nix von einer Trauerfeier oder einem Bergarbeiterstreik. Pokalfinalstimmung, würd ich fast sagen. Sogar die Fenster sind wie beim Fußball mit Fahnen verhängt. Die Hälfte der Truppe besteht aus streikenden Bergleuten von den Gruben in Ayrshire, Lanarkshire, Lothian und Fife. Die andere Hälfte sind Gewerkschafter wie mein alter Herr und auserlesene Mitreisende wie ich. Als Dad mir vor ein paar Tagen steckte, dass er zwei Plätze im Bus für uns klargemacht hat, bin ich fast an die Decke gesprungen. Die Politikstudis an der Uni werden vor Neid im Boden versinken, wenn sie erfahren, dass ich in einem der offiziellen Busse der NUM, der National Union of Mineworkers, mitgefahren bin!

Wir sind noch nich lange aus Glasgow raus, als sich die Nacht verabschiedet und einem frühmorgendlichen Sommerhimmel in grünblauer Farbe Platz macht. Trotz der Uhrzeit sind schon ein paar Autos auf der Straße. Einige der Fahrer drücken, als sie uns sehen, kräftig auf die Hupe, um ihre Unterstützung für den Streik zu bekunden.

Irgendwann komm ich mit dem besten Kumpel meines Vaters ins Gespräch, einem ehemaligen Schweißer namens Andy. Andy is n bodenständiger Weedgie – n Kerl aus Glasgow eben – und seit Ewigkeiten Mitglied in der Kommunistischen Partei. Er ist drahtig gebaut, hat ein knochiges Gesicht und eine fast schon transparente Haut, ganz gelb vom Nikotin. »Im September geht’s also wieder anne Uni, was, Mark?«

»Genau. Aber nächsten Monat is erst mal ne Reise durch Europa mitm InterRail angesagt. Deshalb hab ich wieder mit meim alten Job als Schreiner angefangen. Muss n paar Kröten zusammenkriegen.«

»Ach, n großartiges Leben is das, wenn man jung is! Du musst das Beste draus machen und alles mitnehmen, Mark, hörste?! Haste auch ne Freundin an der Uni?«

Bevor ich antworten kann, schaltet sich mein Dad ein. »Das würd ich ihm nich raten. Das würd die kleine Hazel nämlich ziemlich fertigmachen. Is son nettes Ding, die Hazel«, sagt er zu Andy und dreht sich dann zu mir. »Als was arbeitet sie nochma, Mark?«

»Schaufensterdeko. Bei Binns im West End. Das Kaufhaus, du weißt schon«, sag ich zu Andy.

Auf der Visage meines alten Herrn macht sich ein zufriedenes Grinsen breit. Wenn der wüsste, was für ne Art Beziehung ich mit Hazel hab, würde er ganz bestimmt nich mehr aller Welt von ihr erzählen wollen. Eine schreckliche Aber das is ne andere Geschichte. Mein alter Herr freut sich halt, dass ich ein Mädchen am Start hab. Jahrelang hat er sich nämlich Sorgen gemacht, dass ich schwul sein könnte. Schließlich hab ich ja dauernd so komische Musik gehört, hatte erst ne ziemlich aggressive Glamrock-Pubertät und war dann im Teenage-Alter als Punk unterwegs. Dann war da noch die Sache mit Billy, als er mich dabei erwischte, wie ich

Aber das ist noch mal ne andere Geschichte.

Wir kommen gut voran, und auch als wir die Grenze nach England überqueren, ist noch alles in bester Ordnung. Auf den kleinen Straßen von Yorkshire wird die ganze Sache dann etwas komisch. Überall ist Polizei. Anstatt aber den Bus grundlos alle paar Meter anzuhalten, wie wir es erwartet hatten, winken sie uns einfach durch. Ein paar von den Bullen geben uns sogar nützliche Tipps, wie wir am schnellsten ins Dorf kommen. »Was zum Henker hat das zu bedeuten?!«, brüllt einer der Jungs. »Was is mit den Straßensperren und den üblichn Schikanen?«

»Bürgernahe Polizeiarbeit!«, bemerkt ein anderer spöttisch.

Mein Dad schaut aus dem Fenster auf eine Reihe freundlich lächelnder Uniformträger, von denen uns einer sogar mit einem breiten Grinsen zuwinkt. »Das gefällt mir nich. Ganz un gar nich.«

»Solang sie uns nich dran hindern, die verdammten Streikbrecher zum Teufel zu jagen …«, erwidere ich.

»Du mach ma halblang, Junge, okay?!«, warnt er mich mit einem tiefen Brummen und runzelt die Stirn. »Wer is eigentlich dieser Kumpel, den du da treffen willst?«

»Das is nur einer von den Jungs aus London, mit denen ich in diesem Squat in Shepherd’s Bush war, du weißt schon, in diesem besetzten Haus. Nicksy heißt der. Der is in Ordnung.«

»Schätze ma, is wieder so n trotteliger Punkrocker, was?!«

»Keine Ahnung, was der mittlerweile für Musik hört«, antworte ich etwas gereizt. Er kann schon ein ziemlich bekloppter Hund sein, der Alte.

»Punkrock!«, sagt er dann höhnisch zu seinen Kumpels. »Noch so ne Marotte, die ihm irgendwann langweilig geworden is. Wasn der neuste Fimmel? Dieser Soulkram oder was? Unglaublich, diese Jugend heutzutage … fahrn runter zum Bolton Casino und trinken den ganzen Abend nur Coca-Cola!«

»Der Laden heißt Wigan Casino.«

»Wie auch immer. Müssen jedenfalls tolle Partys sein! Die ganze Zeit über nur Saft saufen!«

Andy und n paar der anderen Jungs lachen kräftig über das Gespött meines Vaters. Ich schluck’s einfach so runter. Is sinnlos, mit diesen alten Schnarchtüten über Musik zu diskutieren. Ich würd ihnen am liebsten sagen, dass Presley und Lennon längst Wurmfutter sind und sie verdammt noch mal endlich drüber hinwegkommen sollen. Aber ich lass es lieber. Die Stimmung im Bus ist gerade gut, und wie gesagt bringt es echt nix, mit den Typen zu diskutieren.

Mithilfe der Bullen schaffen wir’s dann irgendwann ins Dorf und parken auf der Hauptstraße hinter den anderen Bussen. Is ne komische Situation: Die Sonne kommt gerade erst rausgekrochen, und trotzdem treffen immer mehr Leute ein. Mein alter Herr schleicht sich zu einem Münztelefon davon. Bei der Fresse, die er zieht, weiß ich sofort, worum es in dem Gespräch geht. Schlechte Nachrichten.

»Alles in Ordnung?«

»Jaja …«, sagt er und schüttelt dann den Kopf. »Deine Mutter meinte bloß, dass der kleine Kerl ne schreckliche Nacht hatte. Sie mussten ihm Sauerstoff geben, ne ganze Menge sogar.«

»Mist … okay, aber das wird schon wieder«, sag ich zu ihm. »Die wissen doch da, was sie machen.«

Verdammte Kacke! Selbst hier unten muss der kleine Scheißer nerven …

Dann faselt Dad was von wegen, dass er Davie lieber nicht hätte allein lassen solln, weil meine Mutter das mit der Lagerungsdrainage nicht richtig macht und die Schwestern im Krankenhaus auch keine Zeit dafür haben. Er lässt den Kopf hängen, Schmerz zieht durch sein Gesicht. »Seine Lungen dürfen sich nich mit diesem Schleimzeug zusetzen …«

Ich kann mir diesen Scheiß nich schon wieder anhörn. Nicht hier in Yorkshire.

Die Pokalfinalstimmung hat sich mittlerweile in den Vibe eines Musikfestivals verwandelt. Alle sind gut drauf, als wir zu dem Feld marschieren, wo sich die Streikenden versammeln. Auch mein Dad macht sich etwas locker und unterhält sich mit einem Typen aus Yorkshire. Sie tauschen sogar ihre Pinnnadeln: den AUEW-Anstecker meines Dads gegen den NUM-Pin des Yorkshire-Typen. Stolz wie Bolle stecken sich die beiden dann die getauschten Pinnnadeln ans Revers, als wären es Orden.

Etwas weiter weg sehen wir, wie sich die Bullen hinter ihren Absperrungen sammeln. Es sind verdammt viele. Ich schau mir die Polizisten in den weißen Hemden etwas genauer an. Es sind die Wichser vom Met, dem Metropolitan Police Service aus London. Ein Typ im Bus meinte, dass die Bullen nicht zu viele Kräfte aus Yorkshire an die vorderste Front schicken wollen, weil die dann möglicherweise nicht mehr wissen, auf welcher Seite sie stehen. In unserem Lager sehe ich Fahnen und Transparente von allen möglichen Gewerkschaften und politischen Gruppen – alle versammeln sie sich hier mit uns. Trotzdem bin ich nervös: Wir sind zwar viele, aber die Bullen sind mehr. Mit jedem neuen Schub Streikender trabt mindestens die gleiche Anzahl an Bullen an, meist aber noch ein paar zusätzlich. Andy bringt die wachsende Unruhe auf unserer Seite dann auf den Punkt: »Darauf warten die doch schon seit Jahren! Die ham’s einfach nicht verkraftet, dass die Bergleute die Regierung in Heath gekippt ham.«

Die Fabrik, die wir blockieren wollen, kann man gar nich übersehen. Sie wird von zwei riesigen phallusförmigen Schornsteinen dominiert, die aus einer Ansammlung von Industriebauten im viktorianischen Stil herausragen. Die Anlage macht einen düsteren Eindruck. Wir stehen nördlich der Fabrik, wo uns die Bullen auf einem großen Feld zusammengetrieben haben. Plötzlich ist alles still, und die Rufe der Streikenden verebben. Ich schaue rüber zu dem Industriekomplex und hab einen Moment lang das mulmige Gefühl, dass das auch Auschwitz sein könnte (inklusive Gaskammern und so weiter) und dass wir dort eingesperrt werden sollen. Unsere Situation sieht tatsächlich alles andere als rosig aus: Die Polypen haben nicht nur mehr Leute als wir, sondern uns mittlerweile auch eingekesselt. An drei Seiten des Feldes stehen Polizisten. Die vierte wird durch eine Eisenbahnstrecke begrenzt. »Die Schweine haben einen Plan«, brummt Andy und schüttelt dabei besorgt den Kopf. »Die haben uns direkt hierhergeführt. Irgendwas läuft da ab!«

Ich hab das Gefühl, dass er recht hat. Weiter oben stehen ungefähr fünfzig berittene Bullen und mindestens noch mal so viele mit Hunden. Außerdem sind weit und breit keine Polizistinnen mehr zu sehen. Es ist offensichtlich, dass die Typen es ernst meinen. »Du bleibst immer bei uns, verstanden?!«, mahnt mein Dad und schaut dabei skeptisch zu einer Gruppe stämmiger Burschen mit Yorkshire-Akzent hinüber, die es gar nich abwarten können, dass endlich die Fetzen fliegen.

Plötzlich zieht eine Applauswelle durch die Masse. NUM-Chef Arthur Scargill ist aufgetaucht und wird wie ein Rockstar empfangen. Alle brüllen im Chor: »Victory to the Miners!« Der Wind auf dem freien Feld zerzaust Scargills Überkämmer-Frisur, sodass er sich schnell eine Baseballkappe aufsetzt.

»Die Kollegen sagen, dass hier jede Menge Spione vom MI5 rumrennen«, meint ein Typ namens Cammy aus unserem Bus zu Andy, als wir uns weiter nach vorn drängeln, um einen Blick auf Scargill zu erhaschen. Diese Ansage schmeckt mir ganz und gar nicht, da der britische Geheimdienst in meiner Vorstellung Typen vom Schlage eines Sean Connery beschäftigt. Mit Smoking, in Monte Carlo und so. Jetzt sollen es auf einmal irgendwelche elenden Wichser sein, die auf Kuhdörfern in Yorkshire als Bergleute verkleidet rumlaufen, um Demonstranten zu verpfeifen?! Erbärmlich.

Jemand reicht Scargill ein Megafon, und sofort fängt der Mann mit einer seiner emotionsgeladenen Reden an. Gänsehaut vorprogrammiert! Er spricht von den Rechten der Arbeiter, die über Jahre hinweg erkämpft wurden, und davon, dass wir ohne das Streik- und Organisationsrecht nicht viel mehr sind als einfache Sklaven. Seine Worte wirken wie Drogen: Man kann förmlich spüren, wie sie durch die Körper der Anwesenden strömen und ihnen die Tränen in die Augen treiben, ihnen Mut machen und ihre Herzen stärken. Als er mit erhobener Faust zum Ende kommt, brüllen alle aus voller Kehle wieder und wieder: »Victory to the Miners!«

Die Führungsriege der Bergleute, einschließlich Scargill, quatscht jetzt mit den Bullen. Sie versuchen, ihnen zu verklickern, dass wir am falschen Ort stehen. Denn dort, wo wir momentan festsitzen, haben wir keine Chance, unser Streikrecht anständig auszuüben. Man hat uns auf einem Feld zusammengetrieben und eingekesselt – viel zu weit weg von der Fabrik. »Wir könnten genauso gut im beschissenen Leeds stehen«, schimpft ein dicker Typ mit Donkeyjacke. Er nimmt einen Bullen mit Schutzausrüstung und riesigen Koteletten ins Visier und brüllt ihn an: »Ihr Typn seid ne verdammte Schande!«

Der Angesprochene steht aber nur da und glotzt stur geradeaus, als wäre er einer dieser Wachsoldaten am Buckingham Palace oder so was.

Die Stimmung lockert sich etwas, als jemand nen Fußball in die Menge schießt. Ruckzuck werden ein paar Tore aus Bergarbeiterhelmen aufgebaut, und wir spielen eine Runde. Als ich im gegnerischen Team den wieselflinken Cockney-Arsch Nicksy ausmache, rollt eine Welle der Euphorie durch meinen Körper. Er ist gerade am Ball, dribbelt durch die Gegend und scheint sich seiner Sache sehr sicher. Also brause ich auf ihn zu und hol ihn mit einer fiesen Blutgrätsche von den Beinen. »Nimm das, du englischer Hurensohn!«, brülle ich, als er zu Boden geht. Nicksy springt sofort wieder hoch und schreit: »Bist vom MI5, oder was is los, du Brutalo-Wichser?!«

Die Jungs hören auf zu spielen, und alle erwarten eine zünftige Keilerei. Wir starren uns aber nur an und brechen beide in lautes Gelächter aus.

»Na, wie steht’s, Mark?«, fragt Nicksy. Er ist ein drahtiger, kleiner Typ mit nervös umherschwirrenden Augen, einem langen Pony und hakenförmiger Nase. Von seinem Aussehen und seinen Bewegungen her würde man auf einen Leichtgewichtsboxer tippen. Ständig tänzelt er umher und macht einen auf dicke Hose. Der Junge scheint in der Steckdose zu schlafen, er hat eine unglaubliche Energie.

»Alles bestens«, antworte ich und schaue rüber zur Bullerei. »Ziemlich harte Nummer, die die heute abziehen, was?«

»Auf jeden Fall heftig. Kam Freitag mitm Zug nach Manchester hoch und bin gestern hierhergetrampt. Da war die ganze Gegend schon voller Polypen.« Er dreht seinen Kopf in Richtung der Bullen und fügt dann hinzu: »Ein paar von den Ärschen hamse nach Toxteth und Brixton extra in Sachen Tumultbekämpfung geschult. Die warten nur drauf, endlich loszulegen.« Dann wendet er sich wieder zu mir. »Mit wem biste hier, Junge?«

»Mit meim alten Herrn. Sind mitm schottischen NUM-Bus hier runtergekommen«, erkläre ich. Dann fliegt der Ball über unsere Köpfe hinweg, und wir versuchen, wieder ins Spiel einzusteigen. Kurz darauf lassen wir’s aber sein, da sich auf beiden Seiten immer mehr Leute versammeln. Die Spannung steigt erneut.

Das Fußballspiel wird komplett eingestellt, als jemand schreit, dass die Lastwagen der Streikbrecher bald kommen und wir viel zu weit von der Straße entfernt sind, um sie aufzuhalten. Ein paar Typen rotten sich zusammen und fangen an, Steine auf die Bullen zu schmeißen. Daraufhin tritt eine Reihe von Polizisten mit langen Schutzschilden vor die normalen Cops. Als dann trotzdem ein Stein in der Fresse eines Bullen landet, bricht Jubelgeschrei aus. Irgendwie hab ich ein verdammt ungutes Gefühl in der Magengegend, das aber durch den Adrenalinkick der neuesten Nachrichten verdrängt wird: Die Lastwagen der Streikbrecher sind da, um den verdammten Koks aus der Fabrik abzuholen!

Auf einmal stürmen alle nach vorn, um die Polizeilinien zu durchbrechen. Natürlich werde ich mitgerissen. Ich versuche einfach nur, die Arme dicht am Körper zu halten und nicht hinzufallen. Sofort verliere ich Nicksy aus den Augen. Grandma Rentons Worte – Pass auf meinen Buben auf! – kommen mir wieder in den Sinn, und ich überlege panisch, wo mein Dad abgeblieben ist. Plötzlich öffnet sich vor mir eine Lücke, und ich versuche hindurchzuschlüpfen. Im nächsten Moment preschen aber die berittenen Bullen in uns hinein, und wir rennen zurück. Es ist wie eine Massenschlägerei beim Fußball, aber nicht halb so witzig. Durch den Einsatz der Pferde werden wir so weit zurückgedrängt, dass die Lastwagen passieren können. Bei diesem Anblick kann sich keiner von uns mehr halten. »WAS ZUM TEUFEL MACHT IHR DA, IHR VERDAMMTEN NAZISCHWEINE?!«, brülle ich einem Polypen ins Gesicht, der ungefähr so alt ist wie ich.

Es folgt ein weiterer Vorstoß von uns, der abermals von den berittenen Bullen zurückgeschlagen wird. Wieder regnet es Steine auf die Mistkerle, und über den Lautsprecher wird verkündet, dass wir uns hundert Meter zurückziehen sollen, da andernfalls voll ausgestattete Riot-Cops eingesetzt werden. Kaum ist die Ansage durch, sehen wir schon, wie sie sich vorbereiten … mit ihren Helmen, den runden Schilden und den Schlagstöcken.

»Das is einfach unglaublich«, ruft ein älterer Bergmann aus Yorkshire mit brennender Wut in den Augen. »In diesem Land wurdn noch nie Riot-Cops gegen streikende Arbeiter eingesetzt!«

»Diese verdammten Rundschilde …«, brüllt ein anderer, »… die haben sie zum Austeilen und nich zum Schutz!«

Damit hat er verflucht noch mal recht: Während wir nur versuchen, unsere Position zu halten, greifen die Mistkerle wieder an und dreschen auf uns ein. Es ist der Wahnsinn. Die meisten von uns tragen normale Klamotten. Vielleicht sind ein paar mit dicken Donkeyjacken dabei, aber niemand hat etwas, das zur Verteidigung oder als Schutz dienen könnte. Die Bullen schwingen also ihre Knüppel, und unter den Bergleuten bricht eine Massenpanik aus. Ich selbst bin mittendrin und bekomme erst nen Schlag auf den Rücken, dann einen auf den Arm. Mir ist schon kotzübel, als ich mir noch nen Hieb gegen die Schläfe einfange. Diese Schläge fühlen sich anders an als Fausthiebe oder Fußtritte: Du kannst richtig fühlen, wie sie unter der Haut Schaden anrichten. Doch Adrenalin ist das beste Schmerzmittel, und so schlage ich zurück, trete gegen ihre verdammten Schutzschilde …

ABER ES IST ZWECKLOS!

Es ist verdammt noch mal nicht fair … verfluchte Scheiße! Wo zum Henker is mein Schutzschild? Wo is mein verdammter Schlagstock, ihr elenden Wichser? Es ist einfach nicht fair …

Ich schlage und trete gegen die Plexiglasdinger und versuche, die Bullen dahinter zu erwischen, aber es ist sinnlos. Fick diese Scheiße! Ich dreh mich um und renn aufs freie Feld. Als ein Bulle sich anschickt zu überholen, um sich einen flüchtenden Demonstranten zu schnappen, verpasse ich ihm einen Stoß. Er gerät ins Straucheln und geht fast zu Boden. Aber nur fast. Irgendwie fängt er sich und rennt weiter hinter dem anderen Typen her, ohne sichn feuchten Kehricht um mich zu scheren. Ich seh einen jungen Demonstranten, der auf dem Boden liegt und von drei Bullen gleichzeitig bearbeitet wird. Das Trio steht über ihn gebeugt und drischt auf den Jungen ein. Ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, mit langen schwarzen Haaren, schreit die Cops an: »Aufhören! Was macht ihr da?!«

Einer der Bullen beschimpft sie als »Bergarbeiterschlampe« und schubst sie beiseite. Die Kleine stolpert und fällt auf den Rücken. Als ein älterer Typ ihr zu Hilfe kommt und sie aus der Reichweite der Bullen ziehen will, kassiert er selbst noch einen Schlag auf die Schulter.

Alle Welt schreit und brüllt mittlerweile panisch durch die Gegend, nur ich stehe vollkommen reglos da und kann mich nicht entscheiden, was ich tun soll. Ich fühle mich, als wär ich eingefroren. Ein älterer Bulle sieht mich, blickt auf die jungen Cops hinter ihm und brüllt mir dann ins Gesicht: »MACH, DASS DU DICH VERPISST, ODER DIE SCHLAGEN DICH TOT!«

Die Sorge des Bullen um mein Leben jagt mir mehr Angst ein als die Todesdrohung selbst. Ich sehe zu, dass ich Land gewinne. Ich schiebe mich an den verwirrten, schreienden Leuten vorbei und halte Ausschau nach meinem Dad, Andy und Nicksy.

Wahnsinn! Egal, wo man hinschaut. Vor mir verprügelt ein muskelbepackter Riese mit langer Bikermatte und Lederklamotten einen Bullen nach Strich und Faden. Obwohl der Bulle ein Rundschild und einen Schlagstock hat, überwältigt der Hüne ihn und drischt mit seinen gigantischen Vorschlaghammerfäusten auf ihn ein. Ein paar Schritte weiter torkelt ein Typ durch die Gegend, der wegen der Blutfontäne, die aus seinem Kopf spritzt, fast nichts mehr sehen kann. Plötzlich verspüre ich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken und muss fast kotzen. Ich reiß mich aber zusammen und dreh mich um. Ein Bulle mit panischem Gesichtsausdruck glotzt mich an. Mit erhobenem Schlagstock und Rundschild in der Hand weicht er zurück – ganz so, als wär ich derjenige, von dem hier die Gefahr ausgeht. Mit einem Mal läuft alles in Zeitlupe ab. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich hab eine Scheißangst um meinen alten Herrn. Gleichzeitig reißt mich der ganze Wahnsinn irgendwie mit, und ich surfe auf einer euphorisierenden Adrenalinwelle.

Zum Glück ziehen sich die Bullen dann zurück. Die geschundenen Demonstranten sammeln sich wieder. Nachdem sich viele mit Steinen vom Feldrand bewaffnet haben, legen wir erneut den Vorwärtsgang ein. Auch ich schnappe mir einen Stein, weil mir klar ist, dass diese Brutalos keine Gefangenen machen und ich irgendeine Art Waffe brauche. Eigentlich will ich aber nur noch eins: meinen Vater finden.

Was zum Teufel …

Plötzlich breitet sich ein wehklagender Heulton im Lager der Streikenden aus. Es hört sich so an, als würden sie mit unvorstellbaren Schmerzen kämpfen. Einen Moment lang hab ich den Verdacht, dass die Bullen ihnen Ammoniak oder so was in der Art in die Augen gesprüht haben. Aber nein, die Leute schreien, weil gerade die Lastwagen der Streikbrecher voll beladen mit Koks aus der Fabrik rollen. Wir stürmen noch einmal nach vorn, um sie aufzuhalten, aber die Bullen schlagen uns abermals zurück. Scargill rennt jetzt vor den Polizeiketten herum und schreit etwas durch sein Megafon, das ich aber genauso wenig verstehen kann wie diese verzerrten Lautsprecheransagen aufm Bahnhof. Als die Lastwagen nach und nach in der Ferne verschwinden, ebbt auch unser Pfeifen und Buhen ab. Die Leute verlieren ihren Kampfeswillen.

Ich fühle, wie sich ein hartes und eiskaltes Etwas in meiner Brust zusammenschnürt, denke: »Game over!«, und mache mich auf die Suche nach meinem Vater.

Bitte, bitte mach, dass ihm nichts geschehen ist! Lieber Protestanten-Gott, Katholiken-Gott, Muslime-Gott, Juden-Gott, Buddhisten-Gott und all ihr anderen Götter … bitte macht, dass es ihm gut geht …

Ein paar der Streikenden verlassen das Feld zusammen mit ihren verwundeten Kameraden in Richtung Dorf. Andere legen sich gemütlich in die Sonne und sehen dabei so unbekümmert aus, dass man gar nicht glauben kann, dass sie vor ein paar Minuten noch in eine Massenschlägerei verwickelt waren. Mir geht es da ganz anders: Ich zittere am ganzen Körper, meine Zähne klappern heftig aufeinander. Man könnte meinen, ich hätte einen kleinen Motor verschluckt. Langsam spüre ich, wo mich die Schlagstöcke überall getroffen haben: Mein Kopf und mein Rücken schmerzen, mein Arm baumelt reglos an der Seite herunter.

DIESE VERFICKTEN …

Ich hab verdammte Angst um meinen alten Herrn. Wahrscheinlich sehe ich gerade genauso aus wie er: ein von Sorgen geplagter Mensch. Damit meine ich natürlich, wie er heutzutage aussieht, und nicht, wie er auf den Fotos aus seiner Jugendzeit wirkt. Irgendwann hab ich ihn sogar mal gefragt, warum er immer so besorgt dreinschaut.

»Kinder«, hat er bloß geantwortet.

BITTE MACH, DASS ER OKAY IST!

Irgendwann gebe ich die Suche auf und mache mich auf den Weg zurück ins Dorf und zum Bus, da ich annehme, dass mein alter Herr und Andy auch dorthin gegangen sind. Aber ich komme nicht weit, da die Riot-Cops wieder auf uns zustürmen. Wie besessen kloppen sie mit ihren Schlagstöcken auf ihren Rundschilden herum. Ich kann es kaum fassen. Die Nummer is doch eigentlich durch! Die Lastwagen sind schon längst weggefahren! Game over, ihr Trottel! Den Bullen scheint das egal zu sein. Sie stürmen trotzdem auf uns los. Dabei sind wir unbewaffnet und zahlenmäßig absolut unterlegen. Ich denke noch: Diese Wichser wollen uns echt umbringen. Dann tu ich das Einzige, was man in dieser Situation noch tun kann, und krabbel den verdammten Bahndamm runter auf die Gleise. Bei jedem Schritt schießt der Schmerz in meinen Rücken. Zu allem Überfluss verfängt sich meine Jacke in einem Zaun, und ich höre, wie der Stoff reißt. Auf dem Gleis neben mir humpelt ein stämmiger alter Kerl mit rotem Gesicht. Völlig außer Atem hechelt er mit nordenglischem Akzent: »Das is … Das is doch … Die wollen uns umbringen, die Schweine!«

Wo zum Teufel is mein Vater?!

Nachdem wir die Gleise überquert haben, helfe ich dem Alten auf der anderen Seite die Böschung hoch, weil sein Bein kaputt ist. Die Bullen haben ihm ziemlich heftig aufs Knie geschlagen. Die ganze Sache entwickelt sich zu einer richtigen Qual. Die Schmerzen in meinem Rücken sind die Hölle, und außerdem is mein Arm hinüber. Dazu kommt, dass der geschockte Alte mich die ganze Zeit über vollquatscht. Anfangs dachte ich, er käme aus dem Norden, aber jetzt erzählt er mir, dass er Ben heißt und ein streikender Bergmann aus Nottingham ist.

Als wir oben auf der Böschung sind und zur anderen Seite rüberschauen, werden meine Schmerzen von einem Gefühl der Übelkeit verdrängt, das aus meinem Bauch nach oben steigt. Drüben läuft ein schreckliches Gemetzel ab: Die Bullen prügeln die verbliebenen Streikenden vor sich her und wirken dabei wie kanadische Pelzjäger, die wehrlosen Robbenbabys die Schädeldecke eindreschen. Einige der Streikenden werden abtransportiert, andere sind noch voll bei der Sache und setzen sich trotz der aussichtslosen Lage mit Händen und Füßen zur Wehr. Ich sehe zu einem jungen Kerl in rotem Holzfällerhemd rüber, der vor seinem verletzten Kumpel kniet und ihm zu helfen versucht. Von hinten kommt ein Bulle angesprintet und zieht ihm mit dem Schlagstock volle Kanne eins über den Schädel. Der Junge klappt zusammen und fällt wie ein nasser Sack auf seinen verletzten Kollegen. Es wirkt wie eine Exekution. Auf der Überführungsbrücke haben sich ein paar Streikende zusammengefunden und allerlei Krempel von einem nahegelegenen Schrottplatz angehäuft, mit dem sie nun die Bullen bewerfen. Andere haben in der Zwischenzeit ein Auto von der Müllhalde geholt, auf die Straße geschoben und angezündet.

Die ganze Geschichte sieht mittlerweile wie ein Krieg gegen Zivilisten aus. Von Polizeiarbeit, Deeskalation oder dem Willen zur Eindämmung der Unruhen keine Spur.

Krieg.

Gewinner. Verlierer. Opfer.

Ich lasse Ben zurück und gehe wieder zur Straße. Dort angekommen, fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich meinen Vater sehe. Neben ihm steht ein Kerl, der irgendeine komische Batman-Maske oder so etwas trägt. Erst als ich näher komme, erkenne ich, dass es keine Maske ist, sondern rot-schwarzes Blut. Sein ganzes Gesicht ist davon bedeckt. Nur das Weiß seiner Augen und Zähne schimmert noch hervor. Ich brauche einen Moment, bis ich begreife, dass es Andy ist. Sieht so aus, als hätte er ordentlich was abbekommen. Die Bullen marschieren immer noch in unsere Richtung. Halb treiben, halb jagen sie uns ins Dorf zurück. Dort steigen wir wieder in den Bus. Viele von unseren Jungs sehen ziemlich mitgenommen aus. Auch meinen Dad hat’s erwischt: Eine Flasche hat ihm die Hand zerschnitten. Irgendeiner von den Streikenden hat sie geschmissen, ohne darauf zu achten, dass er die eigenen Leute erwischen könnte. Andy sieht ziemlich ramponiert aus und müsste eigentlich zum Arzt, aber der Drecksbulle in dem Spalier neben uns sagt, dass alle, die ins Krankenhaus gehen, auf der Stelle festgenommen werden. Er meint, wir sollten einfach nach Hause fahren. Ich schaue in ihre arroganten, hasserfüllten Gesichter. Verschwunden sind die grinsenden Visagen, die uns auf dem Hinweg freundlich gegrüßt haben.

Die Wichser haben uns reingelegt!

Die Ansage des Bullen ist eindeutig, aber ich will trotzdem noch mal aussteigen und schauen, ob Nicksy okay ist. »Mein Kumpel …«, sage ich zu meinem alten Herrn, aber der schüttelt nur den Kopf. »Keine Chance, Junge. Der Fahrer hat die Tür zugemacht und wird sie für nichts in der Welt wieder öffnen.«

Dann setzt sich der Bus in Bewegung. Andy hat sich mittlerweile das Hemd eines Kollegen um den Kopf gebunden, um die Blutung zu stoppen. Mein Dad sitzt neben ihm und hat seinen Arm um ihn gelegt. Seine eigene Hand hat er mit einem improvisierten Verband versorgt. Andy murmelt: »So was hab ich noch nie gesehn, Davie … ich kann’s gar nich fassen …«

Ich sitze da, mit einem ekelhaften Ziehen im unteren Rücken, und überlege, von wie weit oben die Anweisung für dieses Blutbad wohl gekommen sein mag … Polizeipräsident? Innenminister? Thatcher? Egal, ob sie selbst den Befehl dazu gegeben haben oder nicht, Bescheid wussten sie auf jeden Fall. Gesetze gegen die Gewerkschaften einerseits, Gehaltserhöhungen für die Bullen andererseits – und nebenbei beschneiden sie im öffentlichen Sektor den Leuten die Kohle und kürzen die Leistungen. Alles scheint auf Konfrontation ausgelegt. Kein Wunder, dass die Bullen heute so eifrig bei der Sache waren.

Als der Bus auf die Autobahn fährt, herrscht Totenstille. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Doch irgendwann wird der Alk rausgekramt, und die Leute trinken gehörig. Dann beginnen die Jungs trotzig, ihren Slogan »Victory to the Miners!« zu skandieren – immer lauter, immer überzeugter. Irgendwie fühlt es sich aber nicht besonders toll oder gar glorreich an. Viel eher kommt es mir so vor, als hätte man uns gelinkt. Als würden wir gerade aus Hampden zurückkommen, wo der Schiri einem der beiden Old-Firm-Clubs in letzter Minute einen Elfmeter geschenkt hat.

Draußen ist es verdammt heiß, der Fahrer hat die Klimaanlage angeschmissen. Ich sitze schweigend da, hab meinen Kopf ans Fenster gelehnt und schaue zu, wie die Scheibe von meinem Atem beschlägt. Mir tut alles weh, besonders mein Arm. Jeder Atemzug fühlt sich an wie ein verdammter Schlag gegen die Wirbelsäule.

Da sind ein paar Jungs im hinteren Teil des Busses, die trotzige Lieder der irischen Republikaner singen und dazu mit den Füßen auf den Boden stampfen. Nach kurzer Zeit kommen noch ein paar Pro-IRA-Slogans dazu.

Irgendwann wird’s meinem Dad zu viel. Wütend springt er auf und zeigt drohend mit dem Finger seiner noch immer blutenden Hand in Richtung der singenden Gruppe. »HÖRT AUF, DIESN SCHEISS ZU SINGN, IHR VERDAMMTEN IRA-TERRORISTENSCHWEINE! DAS SIND KEINE SOZI-LIEDER UN AUCH KEINE GEWERKSCHAFTS-LIEDER, IHR FENIER-DRECKSÄCKE!«

Daraufhin steht hinten ein hagerer, kleiner Typ auf und brüllt zurück: »VERPISS DICH DOCH, DU UVF-TORY-BASTARD!«

»ICH BIN KEIN VERDAMMTER TORY … du, du verfluchter …« Wie ein wilder Stier stürmt mein alter Herr nach hinten. Ich setze ihm sofort nach, greife seinen Arm und versuche, ihn zurückzuhalten. Obwohl wir ungefähr gleich groß sind, kann ich ihm nicht viel entgegensetzen, da ich im Vergleich zu meinem Dad eher schmächtig gebaut bin. Zum Glück kommt mir Cammy zu Hilfe, und zusammen halten wir den Alten fest. Die Typen hinten im Bus brüllen meinen Vater an, und er brüllt natürlich zurück. Alle anderen versuchen, die Streithähne zu beruhigen. Mit viel Mühe schaffen es Cammy und ich, den Alten wieder in Richtung unserer Sitzplätze zu ziehen. Wir stehen noch, als der Bus einen kurzen Schlenker macht. Ein lähmender Schmerz schießt durch meinen Rücken und treibt mir die Tränen in die Augen.

Diese verfickten Weedgies, immer und überall kommen sie mit ihrem beschissenen Fußball und diesem Irland-Mist an.

Als wir endlich wieder auf unseren Plätzen sitzen, kommt einer der Typen von hinten zu uns und entschuldigt sich. Es ist der mit der großen Klappe von eben, der Hagere. Er hat praktisch kein Kinn, dafür aber riesige und reichlich windschiefe Zähne. »Sorry wegen der Sache eben, Großer. Hast ja recht, falsches Lied, falscher Ort …«

Mein Vater nimmt die Entschuldigung nickend an, und der Hagere reicht ihm ne Flasche Grouse. Nach einem Versöhnungsschluck hält mein Alter mir die Flasche hin. Die Biberfresse besteht darauf, dass wir alle zusammen einen trinken. Ich winke ab. Verdammt will ich sein, wenn ich von diesem Wichser nen Drink oder sonst irgendetwas annehme, von dieser Whisky-Plörre ganz zu schweigen.

»Schon in Ordnung. Wir sin halt alle noch ziemlich aggro«, meint mein Vater und nickt zu Andy rüber, der nen Plemplem-Blick vor dem Herrn draufhat und unter Schock zu stehen scheint.

Die beiden fangen an, über die Ereignisse des Tages zu quatschen, und liegen sich kurz darauf in den Armen, als wären sie schon immer und ewig die besten Kumpels gewesen. Mir kommt fast das Kotzen. Dass sich diese sektiererischen Wichser ständig an die Gurgel gehen, ist schon kaum auszuhalten, aber wenn sie dann plötzlich zu kuscheln anfangen, find ich das nur noch krank. Irgendwie kann ich auch nicht mehr sitzen. Mein Rücken bringt mich um. Draußen sehe ich Straßenschilder von Manchester vorbeifliegen. Ohne wirklich zu wissen, was ich tue – ich schätze mal, dass ich irgendwie an Nicksy denke –, stehe ich auf und sage: »Ich steig hier aus, Dad.«

Mein Alter schaut mich geschockt an. »Was soll das, Junge? Du kommst doch mit mir nach Hause …«

»Glaub mir, Kumpel, hier kannst du nich aussteigen«, funkt der Typ mit der Streifenhörnchen-Visage dazwischen, aber ich ignoriere den neuen Busenfreund meines Alten.

»Nein, ich komm nich mit«, sag ich zu meinem Vater. »Hab mich mit n paar Kumpels im Wigan Casino verabredet.«

Eine glatte Lüge: Es ist Montagmittag, und das Wigan Casino hat schon vor ein paar Jahren dichtgemacht. Irgendwie fällt mir aber nichts Besseres ein.

»Aber deine Oma wartet doch in Cardonald auf dich … und später müssen wir noch den Zug nach Embra kriegen. Ich mein, dein Bruder, der liegt doch im Krankenhaus, Mark. Deine Mutter wird umkommen vor Sorge.«, versucht mein alter Herr mich umzustimmen.

»Ich steig hier aus«, sage ich noch einmal und gehe nach vorn, um dem Fahrer zu sagen, dass er auf dem Standstreifen halten und mich rauslassen soll. Der Mann hinterm Lenkrad schaut mich an, als wäre ich voll bekloppt, tritt dann aber doch auf die Bremse. Als ich aus dem Bus aussteige, meldet sich mein Rücken mit höllischen Schmerzen. Ich schau mich noch einmal um und sehe in das verletzte, verständnislose Gesicht meines Alten. Dann fährt der Bus los und verschwindet im Verkehr. Als ich am Rand der Autobahn entlanglaufe, fällt mir mit einem Mal auf, dass ich keinen blassen Schimmer hab, was ich hier eigentlich mache. Aber mein Rücken fühlt sich besser an, wenn ich mich bewege: Ich musste einfach aus diesem verdammten Bus raus.

Die Sonne brennt, und es ist scheiße warm, ein wunderschöner Sommertag. Rechts zischen die Autos vorbei Richtung Norden. Ich reiße mir den »KOHLE STATT STÜTZE«-Aufkleber von meiner Jeansjacke ab und inspiziere das Loch in meinem Ärmel, das doch nicht so groß ist, wie ich vermutet hatte. Kann man nähen, kein Ding. Ich hebe meinen Arm und versuche, ihn auszustrecken, wobei meine Schulter mächtig schmerzt. Dann klettere ich eine Böschung hoch auf eine Brücke und schaue über das Geländer hinunter auf die Autobahn, wo unendlich viele Autos und Lastwagen unter mir hindurchdonnern. Ich denke nach. Daran, dass wir verloren haben und düstere Zeiten bevorstehen. Und ich überlege, was zum Teufel ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll.

I Did What I Did For Maria

Heute Morgen sind acht Geburtstagskarten angekommen: alle von Mädels, die auf Simon David Williamson stehen, und da zähle ich noch nicht mal meine Mutter und meine Schwestern mit. Tolle Sache, das. Von Marianne kam auch eine. Nach einer ziemlich verzweifelt wirkenden Serie von sexy Liebesnachrichten nun diese Karte mit einem armseligen »Ruf mich an!« drauf. Wahrscheinlich wird ihr langsam klar, dass sie mir echt auf den Senkel geht. All dieser Scheiß von wegen »Komm mit mir zur Hochzeit meiner Schwester« und so … Seh ich vielleicht aus wie ein Typ, den man beim Escort-Service als Begleitung für Hochzeitsfeiern in Sozialsiedlungen mieten kann?! Wohl kaum. Aber egal. Marianne ist wieder im Spiel und wird früher oder später geknallt, auch wenn ich momentan keine sonderlich hohe Meinung von ihr hab.

Die tolle Stimmung wird durch einen dieser kackbraunen Briefumschläge vom Arbeitsamt getrübt. Es ist eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Richtiger Bombenjob, den sie mir da anbieten: Parkhauswächter in Canonmills! Die denken sich wahrscheinlich, dass der kleine Simon jetzt vor Freude an die Decke springt, aber Fehlanzeige. Muss leider mit größtem Bedauern ablehnen. Demnächst werd ich mich mal mit meinem Kumpel Gav Temperley, seines Zeichens Mitarbeiter beim Amt, über diese unerwünschte Störung unterhalten. Die arbeitenden Zeitgenossen scheinen nicht zu verstehen, wie das bei Männern wie mir läuft, die Vollzeit mit Freizeitaktivitäten beschäftigt sind. Ich bin vollkommen freiwillig arbeitslos, ihr verdammten Vollidioten! Hab nichts mit diesen arbeitsgeilen Drohnen zu tun, die wie in Trance kreuz und quer durch die Stadt rennen und nach nicht vorhandenen Jobs suchen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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