Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht - Viveca Lärn - E-Book
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Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht E-Book

Viveca Lärn

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Beschreibung

Der Auftakt der großen Saltön-Reihe von Schwedens Bestsellerautorin Viveca Lärn: „Die Mittsommernacht“ jetzt als eBook bei dotbooks. Blauer Himmel über glitzernden Wellen und grünen Wäldern: Die Schäreninsel Saltön scheint ein wahres Idyll zu sein. Genau der richtige Ort also, um alle Enttäuschungen hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen. Das denken sich auch Sara, Johanna und Emily. Doch schon nach wenigen Tagen vermissen sie die Anonymität der Großstadt. Denn auf der kleinen Insel kennt jeder jeden, nichts bleibt ungesehen, alles wird kommentiert – kurz: Die Gerüchteküche brodelt! Und trotzdem können sich die drei Frauen dem Zauber der Insel und ihrer Bewohner nicht entziehen. Ob sie hier doch noch ihr Glück finden werden? „Ein vergnüglicher Roman über die Liebe.“ Gong Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwedische Wohlfühlroman „Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht“ von Viveca Lärn wird Fans von Åsa Hellberg und Mia Jakobsson begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 266

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Über dieses Buch:

Blauer Himmel über glitzernden Wellen und grünen Wäldern: Die Schäreninsel Saltön scheint ein wahres Idyll zu sein. Genau der richtige Ort also, um alle Enttäuschungen hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen. Das denken sich auch Sara, Johanna und Emily. Doch schon nach wenigen Tagen vermissen sie die Anonymität der Großstadt. Denn auf der kleinen Insel kennt jeder jeden, nichts bleibt ungesehen, alles wird kommentiert – kurz: Die Gerüchteküche brodelt! Und trotzdem können sich die drei Frauen dem Zauber der Insel und ihrer Bewohner nicht entziehen. Ob sie hier doch noch ihr Glück finden werden?

Über die Autorin:

Viveca Lärn wurde 1945 in Göteborg geboren. 1975 erschien ihr erstes Kinderbuch. Neben Romanen, Gedichten und Theaterstücken schrieb sie auch für Film und Fernsehen. Viveca Lärn ist heute eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen Schwedens. Sie wurde mit dem Astrid-Lindgren-Preis und der Nils-Holgersson-Plakette ausgezeichnet.

Viveca Lärns vierbändige Saltön-Reihe wurde äußerst erfolgreich als Fernsehserie verfilmt. Sie umfasst die folgenden Bände, die auch bei dotbooks erscheinen:

Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht

Sommer auf Saltön: Das Hummerfest

Weihnachten auf Saltön

Frühling auf Saltön

Die Website der Autorin: www.vivecalarn.com

***

Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Midsommarvals« bei Wahlström & Widstrand, Stockholm.

eBook-Neuausgabe August 2016

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Sommer auf Saltön bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 1999 Viveca Lärn

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2003 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/RicoK

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-622-5

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Viveca Lärn

Sommer auf Saltön:

Die Mittsommernacht

Roman

Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann

dotbooks.

Kapitel 1

Zehn Möwen hockten am Kai und sahen auf das Meer hinaus.

Zuerst konnte Sara sie nicht unterscheiden, aber nach einer Weile entdeckte sie, dass einer ein Auge fehlte.

Wie in einem dieser pädagogischen Spiele. Wer gehört hier nicht dazu?

Sie lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit. Sie würde nicht in die Schule zurückkehren. Schluss mit Wer gehört hier nicht dazu, F wie Frosch und die Schmetterlingsgruppe hat um zwanzig vor zwölf aus.

Was für ein Gefühl das gewesen war, zum letzten Mal das Lehrerzimmer zu betreten, um den Kollegen mit Hilfe eines gewöhnlichen Rührkuchens auf Wiedersehen zu sagen. Sie hatte den allzu bunten Frühlingsstrauß entgegengenommen und auch die Tüte mit dem Pulver, die ihn lange leben lassen sollte (warum hatte es für Axel nicht so ein Pulver gegeben?), und das hässliche Steinzeitschmuckstück von den Kollegen. Nachdem der Rektor seine Rede gehalten hatte, ging Sara in die Teeküche und riss von der braunen Kaffeetasse ihren Namen. Vier weiße Buchstaben auf einem grellgrünen Plastikband.

Die Hand des Rektors lag bleischwer auf ihren Schultern, und er lächelte unnatürlich.

»Ich verstehe, dass Sie nach allem, was geschehen ist, neu anfangen wollen. Aber Sie sollen doch wissen, dass Sie uns hier immer willkommen sind; auch wenn ich nicht selbst die Stellen vergeben kann. Wie auch immer. Es wird Ihnen doch gut gehen, nicht wahr, Sara?«

»Ja, verdammt, das wird es.«

Die Handarbeitslehrerin, die auf ihrem gewohnten Platz saß, ließ eine Masche fallen.

Vor der Würstchenbude lief ein Moped im Leerlauf. Der Besitzer, ein Mann mit krummem Rücken und verkehrt herum aufgesetzter Baseballkappe, war dabei, Zeitschriftenbündel auf den dazugehörigen Anhänger zu laden. Er sah nicht ein Mal in Saras Richtung. Vielleicht gab es sie nicht.

Sie war mit dem Zug gekommen. Von Göteborg nach Saltön. Eine dreistündige Reise.

Zwei Koffer und eine Tasche. Wahrscheinlich stand es in dicken Lettern auf ihrer Stirn: »Frisch verwitwet, keine dreißig«.

Sie betrachtete drei Fischerboote, die mit geschrubbten Decks und blitzenden Messinghandgriffen am Steuermannshäuschen ordentlich am Anleger vertäut lagen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als wäre dieser Ort, den sie wegen seiner einladenden Schönheit und der Lage am Meer ausgewählt hatte, doch nicht der richtige.

Der salzige Wind fuhr über den Kai und ließ die Möwen zittern. Die Einäugige erhob sich und segelte mit überlegener Miene davon, als ein kräftiger Windstoß die Alarmanlage eines rostbraunen Volvo, der vor dem Supermarkt stand, auslöste.

Im ersten Stock eines gelben Wohnhauses wurde ein Fenster geöffnet, und eine dunkelhaarige, magere Frau starrte wütend auf das Auto hinunter. Dann kam sie mit einer roten Daunenjacke über dem Nachthemd aus der Tür und stellte die Alarmanlage ab. Auf ihren schwarzen Lackpantoffeln hüpften rosa Pompoms.

Es wurde wieder so still, wie es nur ein kleiner Ort an der Nordsee an einem sonnigen Sonntagmorgen fünf Tage vor Mittsommer sein kann. Ein Ort mit nur einem Schlachter (der noch den Unterschied zwischen Beinscheibe und hoher Rippe kannte) oder mit vier florierenden Annahmestellen für Toto, Lotto und Trab- und Galopprennen. Arbeitslosigkeit, vor allem im Winter. Touristen…

Saras Gepäck stand noch am Bahnhof. Sie hatte sich mit dem Vermieter um elf Uhr am Kiosk verabredet. Über den Zeitpunkt war sie ein wenig erstaunt gewesen, denn sie hätte gedacht, dass alle Provinzler um diese Uhrzeit mit gefalteten Händen in der Kirche saßen.

Gegenüber vom Kiosk lag das Restaurant Kleiner Hund, wo Sara sich um eine Stelle beworben und diese sofort bekommen hatte. Eine Kleinanzeige in der Göteborgs Posten. Ein spontaner Impuls. Ein Telefongespräch. Angestellt. Unfassbar. Auf ihren Wunsch hin hatte sie eine schriftliche Bestätigung erhalten; zehn mit blauem Kugelschreiber dahingeschmierte Worte auf einer ausgerissenen Schulheftseite: »Hallo. Sie werden am letzten Montag im Juni im Kleinen Hund anfangen. Seien Sie pünktlich.« Keine Unterschrift.

Sara wandte dem Hafen den Rücken, und zwischen zwei riesigen Rosenbüschen, voller dicker Knospen, entdeckte sie eine schmale Eisentreppe, die mit hohen, unbequemen Stufen steil den Berg hinaufführte.

War es richtig oder falsch gewesen, hierher zu kommen? »Richtig!«, rief sie bei jeder geraden Stufe. »Falsch«, murmelte sie bei jeder ungeraden.

***

Nach Axels Beerdigung hatte sie beschlossen, neu anzufangen.

Sie hatte sich bei niemandem Rat geholt, sondern ihre innere Stimme befragt und hatte tatsächlich eine eindeutige Antwort erhalten. Wie immer, wenn sie es wagte, die ungebetenen und unablässigen Ratschläge ihrer Umgebung zu ignorieren. Der Entschluss war sonnenklar. Sie wollte weder in der Wohnung bleiben noch im Haus noch in der Straße noch im Viertel noch in der Stadt – und auf keinen Fall in der Schule. In Schweden wollte sie bleiben, zumindest bis auf weiteres.

»Ans Meer!«, hatte sie mit ihrer klaren Lehrerinnenstimme gerufen. Am Meer waren sie nie gewesen. Nicht in Schweden. Zu teuer, hatte Axel gesagt. Kapitalistenferien.

Die Trauernden waren an einem schwarzen Tag im Mai vor der Kirche auseinander gegangen, und Sara war sehr langsam und mit dem Kopf voller Gedanken durch das Hagaviertel nach Hause gewandert. Alles fühlte sich so schwer an. Wie sollte sie es bloß schaffen, in die leere Wohnung hinaufzugehen, die immer noch nach Gauloises und Axel roch? Ihre Beine fühlten sich an wie nach dem Göteborgmarathon im vorigen Jahr, und das, obwohl sie sich in den vergangenen Tagen keinen Schritt mehr als unbedingt nötig bewegt hatte.

Sie hatte die Tür zur Wohnung in der schrecklichen Gewissheit aufgeschlossen, dass sein Islandpullover immer noch auf dem Bett lag. In diesen Pullover hatte sie genug hineingeweint, und deshalb machte sie an der Tür kehrt und ging wieder in das Getümmel von Studenten, Künstlern und Touristen auf der Nygata von Haga zurück.

Sara starrte auf ein billiges Brautkleid aus dem Jahr 1902, das in einem der vielen Antiquitäten- und Trödelläden im Schaufenster hing. Sie ging weiter zum Spielplatz der Schule, wo die Schaukeln immer noch nach Kindern hin- und herschwangen, die nach der Frühstückspause wieder nach drinnen gelaufen waren. Sie spürte den dumpfen ekelhaften Schmerz direkt in der Magengrube, an den Schläfen und im Nacken, ging in sich und beschloss, dass sie etwas anderes machen musste, etwas völlig Entgegengesetztes, um das auszuhalten. Axel hatte große Hände gehabt, also würde sie sich jetzt nur noch mit Menschen mit kleinen Händen abgeben. Sie hatten auf der Linnégatan gewohnt, zwischen Straßenbahnschienen und Bussen, direkt über einem Möbelgeschäft, das ständig vor blumigen Bettsofas zu bersten schien. Sie würde in ein kleines Kaff ziehen.

Ihre Hände waren trotz der Frühjahrssonne kalt und rotfleckig.

Erst hatte er gelebt, und dann war er tot gewesen. So völlig übergangslos. Sie hatten sich darüber gestritten, wohin sie in den Ferien fahren sollten, zuerst ernsthaft, dann aus Spaß, und dann wieder ernsthaft.

Sie wollte, dass sie nach Norrland fuhren und eine Bergtour machten. Das hatten sie noch nie gemacht, und es wäre so gesund und frisch und völlig pur.

Er wollte, dass sie in das kleine Fischerdorf südlich von Rimini fuhren, denn das hatten sie immer gemacht, und dort kannte er mindestens vier andere Künstler, die auch Wein, Käse, Kunst und Fußball liebten. Und sie liebte doch den Strand und die Sonne, oder etwa nicht?

Da der ungewöhnlich zähe Streit ihr langweilig wurde, war sie losgegangen, um vier grüne Äpfel und eine Göteborgs Posten zu kaufen. Und als sie zurückgekommen war, hatte Axel auf dem Rücken auf dem Küchenfußboden gelegen, den Kopf zum Gasherd gewandt. Typisch Axel mit seinem Hang zum Drama.

Sie hatte ihm etwas Spöttisches zugerufen, denn sie wollte sich gern weiterstreiten, wenn auch lieber nur aus Spaß, weil sie einander so liebten. Das mit der Bergtour war nicht rein egoistisch gedacht, denn sie glaubte in der Tat, dass es für Axel und sein Herz gut wäre, eben nicht in Italien zu sitzen und zu viel Wurst, Käse und Sardinen zu essen und jeden Abend literweise Wein zu konsumieren. Er war achtundvierzig.

Aber Axel hatte die spöttische Bemerkung nicht gehört, denn er war tot gewesen, und zwar wegen seines Herzens. Es war zu spät, um noch nach Norrland zu fahren und keinen Wein zu trinken. Sein dunkelbrauner wehmütiger Schnurrbart hing endgültig herunter, und seine haselnussbraunen Augen starrten leer. Seine großen Hände lagen schlaff da, etwas, was sie nie zuvor getan hatten. Am rechten Daumen etwas Zinkweiß.

»Wie lange waren Sie verheiratet?«, fragte die Polizistin, nachdem sie beim Schließen der Augen geholfen hatte. Sie hielt den Kopf ein klein wenig schief, wie sie da auf Axels selbst gebautem Bettsofa saß.

»Fünf Jahre vielleicht. Oder vier. Drei, glaube ich.«

Die Polizistin lächelte vor sich hin.

»Haben Sie Kinder?«

»Nein, wir nicht, er hatte welche. Vielleicht sollte ich Axels Tochter anrufen. Sie wohnt in Amerika. Ist Aupair in Los Angeles.«

Die Polizistin sah aus dem Fenster.

***

Die Treppe endete ganz oben in der Erde, sodass man sich nicht entscheiden konnte, ob die letzte Stufe wirklich noch eine Stufe war.

Ein Stück weiter in einem kleinen Gehölz stand eine Bank in eine Steinbucht eingefügt, und Sara setzte sich darauf, nur an die Kante, für den Fall, dass die Bank jemandem gehörte. Sie musste aufpassen, dass sie es sich nicht aus Unkenntnis mit jemandem verdarb. Als sie auf die Anzeige geantwortet hatte, hatte der Besitzer des Restaurants gefragt, was für eine Verbindung sie zu Saltön hätte, und sie hatte geantwortet: »Keine, überhaupt keine.« Das war die Wahrheit.

Aber sie hatte ziemlich viel serviert, und zwar in der Zeit, als sie Austauschstudentin gewesen war und bei einer großbürgerlichen Familie außerhalb von Boston gewohnt hatte.

Die Aussicht über den Ort war grandios. Man sah über den ganzen Hafen, niedrige weiß gestrichene Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert, viele davon mit aufwändigen Schnitzereien am Giebel. Als hätten die Holzschnitzer der Idylle unbedingt noch ein wenig nachhelfen wollen. Um die meisten Häuser herum gab es nur winzige Grundstücke mit der Sorte Gärten, die ein Makler als »äußerst gepflegt« anpreisen würde. Um diese Gärten nette Holzzäune, schnörkelige Törchen und Briefkästen mit Sonne, Herzen, Bootshütten, Möwen und blau-gelben Flaggen.

Sie sah über das dunkelblaue Wasser im Hafen und war plötzlich stolz auf sich selbst, weil sie es wirklich geschafft hatte, das große Göteborg und die kleine Schule noch vor dem Ende des Schuljahres zu verlassen.

Alle hatten Verständnis gehabt. Mit der Trauer, sagten die Kollegen, ist das wie mit einem Job. Ein Jahr, dann ist das Schlimmste vorüber. Einmal Mittsommer ohne ihn. Einmal Ferien ohne ihn. Einmal Weihnachten, einmal Ostern. Im Jahr danach wird es besser. Wechsel der Umgebung. Wie mutig. Obwohl man nicht vor sich selbst fliehen kann, das kann man nicht. Aber egal. Du bist noch jung. Fang neu an. Natürlich nicht gleich. Klar. Tut mir Leid. Aber später. Vielleicht Familie. Vielleicht ein Jüngerer… Entschuldige, das war dumm von mir. Irgendwann scheint die Sonne wieder. Man lebt nur einmal.

Jetzt war sie erstaunt darüber, dass sie es geschafft hatte, so rasch alle Formalitäten zu erledigen und diesen unbekannten Ort so weit draußen im westlichsten Schärengürtel der Nordsee zu finden. Vierzehn Bewerber hatte es laut dem Besitzer des Restaurants gegeben, aber sie war offenbar die Einzige, die behauptet hatte, Erfahrung als Kellnerin zu haben.

Eine rote Backsteinkirche thronte hoch und streng über der Stadt, sowohl Seezeichen als auch Gotteshaus, während das hellgrüne Gebäude der freikirchlichen Gemeinde volksnah einschmeichelnd zu ebener Erde direkt hinter dem Bahnhof lag.

Unterhalb der Kirche lag die Sporthalle mit braun getönten Fensterscheiben. Sie war wie ein riesiger Iglu gebaut, mit einer überdimensionierten Feder auf dem Dach, die auf die erfolgreiche Badmintonmannschaft der Stadt hinweisen sollte.

Sara konnte auch das grüne Schild des Alkoholgeschäftes am viereckigen funktionalen Platz erkennen, die Anonymen Alkoholiker in einer gelben Patriziervilla neben dem Friedhof und ein großes, etwas heruntergekommenes Gemeindehaus. Etwas weiter am Hafen lagen das Dreisternehotel Saltjöbaden, die Jugendherberge, der Kiosk, eine Pension und die Minigolfbahn. Dann waren da die Fischhalle und das Kaltbadehaus, eine Eisbude, die Galerie und der Taucherclub Neptun. Zwischen der Fischhalle und dem Wasser ein hoher Obelisk aus Granit zum Gedenken an die Seeleute, die in Ausübung ihres Berufs gestorben waren.

Eine steile Straße führte zur Bibliothek hinauf, ein schönes, aber verfallenes weißes Holzhaus, an das zu unterschiedlichen Zeiten in den ungewöhnlichsten Winkeln angebaut worden war.

Das Altersheim war mit den üblichen gelblichen Ziegelsteinen und brav rechtwinklig errichtet worden. In jedem Fenster konnte man eine Tischleuchte und eine grüne Zimmerpflanze sehen, und manchmal auch ein sonnengebräuntes verwelktes Gesicht unter spärlichem grauen oder weißen Haar. Meistens Frauengesichter. Vor der Tür waren sechs Gehhilfen an eine Holzskulptur angekettet, die wohl einen alten Fischer darstellen sollte.

Um die Ecke, Richtung Marktplatz, dann nebeneinander die Bank, die Post, der Immobilienmakler und alle Geschäfte.

Hinten, vom höchsten Berg her, konnte man dünnen anthrazitfarbenen Rauch ausmachen, der von dem kleinen Industriegebiet aufstieg, in dessen Mitte die Konservenfabrik Månssons Delikatessen lag.

»Was meinst du, Axel?«, fragte Sara. Axel wollte wissen, wo die Kneipen und die Maler waren.

Oben auf dem Berg schlug eine Tür zu. Das war Karl-Erik Månsson, der rausging, und wenn er die Haustür hinter sich zuknallte, redete seine Ehefrau Kristina immer noch, ohne so recht zu wissen, was. Eine ermüdende Angewohnheit, fand Karl-Erik, aber man musste das Schlechte mit dem Guten nehmen. Über die Jahre würde er das schon ändern. Er hatte Zeit.

Jetzt atmete er den salzigen Frühjahrswind ein und ließ sich auf der schnörkeligen weißen Eisenbank vor der Küchentür nieder. Er nahm den Feldstecher aus dem Futteral und stellte ihn auf seine neue Sehschärfe ein. Die Alterssichtigkeit war bei ihm ungewöhnlich spät aufgetreten, sozusagen zwischen Flieder und Johannisbeeren, in dem Frühsommer, als Karl-Erik sechsundfünfzig geworden war. Jetzt war er neunundfünfzig und hatte tiefe Krähenfüße um Augen, Mundwinkel und vor allem um die Ohrläppchen. Er hatte immer noch kastanienbraune Haare, denn die färbte er jede fünfte Woche in der Sauna selbst nach.

Kristina war ungefähr so perfekt, blond, jung und süß wie die Mädchen in einer Fernsehreklame für Bier, Intimhygiene oder zuckerfreies Kaugummi.

»Weißt du, Kristina, du bist süßer als die Models da, aber du hast etwas, das sie nicht haben. Du hast Karl-Erik Månsson.«

Sein Alter zeigte sich lediglich in einem etwas eingeschränkten Gehör – ein Knallschaden aus dem Militärdienst, pflegte er mit männlicher Miene zu behaupten.

»Das ist doch wirklich praktisch, dass es gerade das Gehör ist, das nachlässt«, verkündete Karl-Eriks etwas bissiger jüngerer Bruder, als er die Rede auf das Hochzeitspaar hielt, und fuhr dann nach einer kleinen Pause fort: »… alldieweil die Braut einiges auf dem Herzen zu haben scheint.«

Die Gäste an den hinteren Tischen lachten so herzlich, dass die Wände vom Partyzelt bebten, aber Karl-Eriks engste Mitarbeiter in der Delikatessenfabrik lächelten eher zurückhaltend, nachdem sie zu ihrem Chef herübergeschielt hatten.

Die Mutter des Bräutigams, Magdalena, die in einem lila Kleid mit erschreckend tiefem Ausschnitt dünn und kerzengerade auf dem weißen Plastikstuhl saß, lachte anerkennend und leerte ihr Weinglas auf einen Zug.

»Evert hat eine scharfe Zunge«, sagte sie zum Pfarrer. »Die hat er von mir geerbt. Karl-Erik kommt eher nach seinem Vater, will sagen, er ist eher…«

»Vorsichtig?«, schlug der Pfarrer vor.

»Farblos«, sagte Magdalena. »Wenn Sie so nett wären, mir noch etwas Wein einzugießen. Ja, Albin war niemand, der einem auffiel. Und doch liebte er es, Aufmerksamkeit zu erregen. Es war wirklich geschmacklos von ihm, ausgerechnet an seinem fünfundsechzigsten Geburtstag zu sterben, und dann auch noch ehe die Delegation vom Vorstand und von der Gemeinde da gewesen waren. Typisch Månsson.«

»Ich hatte nie das Vergnügen, Albin kennen zu lernen«, antwortete der Pfarrer milde und schnäuzte sich diskret in die Serviette, »aber es ist doch schön, wenn man in einer Ehe etwas unterschiedlich ist. Wenn man sich sozusagen ergänzt.«

»Das glauben Sie doch selbst nicht!«, sagte Magdalena. »Sie und Ihre Frau sehen doch aus wie Geschwister.«

Der Pfarrer lächelte ein wenig und sah auf die Uhr. »Jetzt wird es Zeit für mich, dieses Fest und diese Feierlichkeit zu verlassen«, sagte er mit wohl modulierter Artikulation. »Ich habe meiner Frau Carola versprochen, dass wir um sieben Uhr mit den Kindern Flöte spielen werden.«

»Wie schade«, sagte Magdalena und lächelte mit blendend weißen Zähnen.

Am Kai spazierten die Möwen herum. Sie hatten ein paar Papier- und Krabbensalatreste von der Imbissbude zerhackt und schauten sich jetzt mit kleinen gierigen Augen um.

Karl-Erik Månsson rüttelte am Türgriff zum Hafenmeisterbüro, aber die Tür war verschlossen. Kein Mensch war im Hafen zu sehen. Von Kabbes Segelboot her, das das ganze Jahr über im Wasser lag, hörte man das Klappern der Wanten, die gegen den Mast schlugen. Kabbe war der Wirt vom Kleinen Hund und segelte ungefähr so gut wie ein Mehlsack.

Månsson ging auf den Steg des Segelvereins hinaus, um sich seinen Liegeplatz anzusehen. Als er die schmalere Verlängerung des Hauptsteges hinunterlief, knackte und knirschte es. Wenn er doch nur sein kleines praktisches elektronisches Notebook in der Tasche gehabt hätte.

Er sah zum Himmel hinauf und sagte mit klarer Stimme: »Brief an die Gemeinde. Bootssteg in katastrophalem Zustand, sollte so bald wie möglich gewartet werden, damit während der Hochsaison nichts passiert. Höchste Zeit. Nur noch fünf Tage, bis es richtig losgeht.«

Er fühlte sich beobachtet und sah sich eilig um. An einen Pfeiler gelehnt stand eine schlaksige schwarz gekleidete Frau und lächelte ihn spöttisch an, sagte aber nichts. Der intensive Blick aus ihren braunen Augen brannte förmlich.

Er nickte kurz. Sie hatte ihn doch wohl nicht angesprochen? Sie sah ein wenig fragend aus. Er schaute entschlossen auf die Uhr und ging mit kraftvollen Direktorenschritten weiter. Ein Hörgerät kam nicht infrage.

Und wenn sie etwas gefragt hätte, dann wäre das bestimmt so eine typische Frauenfrage gewesen. Wie viel Grad hat das Wasser?

Wie schön, dass er sich nicht mehr mit Frauenzimmern befassen musste. Kristina war so jung, dass er sie sich fast selbst erschaffen konnte. Er war dabei, ihr beizubringen, welches Essen das richtige war, und der nächste Schritt würde die Wahl ihrer Kleidung und des Umgangs sein. Er war stolz auf seine Geduld, denn die brachte ihn fast unmerklich an sein Zieh die perfekte Mädchenehefrau.

Kristina hatte ihre knackigen engen Hosen an – wie schön, dass ihr Mann sich wenigstens nicht in Kleidungsfragen einmischte. Es gab schon so ein endloses Gemecker über das richtige Essen. Kristina durfte weder Kebab noch Piroggen essen, was sie so gern mochte, kaum mal eine Pizza.

»Pizza«, sagte Kristina, »es gibt doch nichts Besseres. Vesuvio. Marinara. Frutti di Mare. Pizza Amore.«

»Hier im Haus essen wir wie die Fürsten, wenn wir ein Fest haben«, sagte Karl-Erik, »und wenn wir allein sind, essen wir schwedische Hausmannskost.«

Zu den Hosen trug Kristina das neongelbe enge Lieblingstop. Darüber hätte sie gern ihren kurzen lustigen Nerzschal getragen, aber es war inzwischen so schrecklich warm geworden, dass man sie ausgelacht hätte.

Sie fuhr das Auto den Hügel herunter, stellte sich auf den Behindertenparkplatz auf dem Markt und lief in die Videothek. Sie brachte drei amerikanische Gruselfilme zurück und suchte sich schnell drei neue aus.

»Drei Filme, drei Tage«, sagte der junge blasse Mann im schwarzen T-Shirt und zupfte an seinem Nasenring. »Werden Sie Mitglied, dann bekommen Sie Rabatt.«

»Nein, danke«, erwiderte Kristina. »Ich kann es mir leisten.«

Als sie wieder auf die Straße hinauskam, sah sie sich um, holte eine neutrale Plastiktüte aus der Tasche und tat die Videofilme dort hinein.

Die grelle Plastiktüte der Videothek stopfte sie in einen Papierkorb. Eine der Möwen unternahm sogleich einen Inspektionsflug, um den Neuzugang in Augenschein zu nehmen.

In dem Moment kam Kristinas Schwiegermutter aus dem Zigarrenladen.

»Ach je, ist er also so langweilig, dass du jeden Tag in die Videothek fahren und dir Filme ausleihen musst? Ja, Karl-Erik hatte schon immer einen gesunden Schlaf.«

»Die sind für eine Freundin«, antwortete Kristina und starrte wie versteinert auf die magere alte Dame, die ihr so selbstsicher gegenüberstand. »Sollen wir in den Kleinen Hund gehen und einen Kaffee zusammen trinken, Schwiegermama?«

»Kaffee hat noch keinen Menschen glücklich gemacht«, sagte Magdalena, kletterte in ihr riesiges blitzendes Auto und ließ den Motor an, ohne auf Wiedersehen zu sagen. Doch plötzlich bremste sie ab, legte den Rückwärtsgang ein und kam gefährlich nahe vor Kristinas Füßen zum Stehen. Die Fensterscheibe glitt lautlos herunter, und sie sah Kristina an. »Und das mit dem ‹Schwiegermama› bringt sowieso nichts. Ich rate dir, gewöhn es dir gar nicht erst an. Karl-Erik hat sich schon einmal scheiden lassen.«

Magdalena war so klein, dass sie auf einem Kissen mit aufgestickten Verkehrszeichen sitzen musste, um über das Lenkrad sehen zu können.

***

Als Kristina später aus dem Fitnesscenter nach Hause kam, stand Månsson da und sah mit dem Feldstecher aus dem Panoramafenster.

»Aha, du hast also wieder trainiert«, sagte er. »Gestern warst du auch da.«

»Aber du hast es doch gern, wenn ich einen geschmeidigen Körper habe. Die Bauchmuskeln haben wirklich nochmal ein paar Runden gebraucht.«

Kristina kuschelte sich an ihn, und er lächelte widerwillig.

»Laufen da viele junge Männer herum?«

»Ja klar. Heute habe ich Brad Pitt gesehen.«

»Wie hieß der?«

Kristina warf die Haare zurück. »Warum bist du eigentlich nicht bei der Arbeit? Nur weil Sonntag ist? Kommt die Fabrik denn überhaupt einen ganzen Tag ohne dich klar? Es könnte doch eine Betriebsstörung gegeben haben.«

»Ich wollte dich nur noch sprechen, ehe ich gehe. Ich habe für heute Abend meinen Bruder und seine Frau eingeladen. Etwas Einfaches. Du kannst Krabben mit viel Butter gratinieren. Und Knoblauch. Dazu kaufst du zwölf Brötchen bei Märta, die echten französischen mit Sesam drauf. Vergiss nicht, dass du zehn Prozent Rabatt bekommst. Ach was, sag ihr, sie soll die Rechnung an die Firma schicken.«

Kristina betrachtete ihn und fragte sich, wie er wohl ausgesehen hatte, als er in ihrem Alter gewesen war. Sie hatte Bilder in einem Fotoalbum gesehen, und da war er John Wayne ziemlich ähnlich gewesen. Männlich wirkte er immer noch.

»Vor unserer Hochzeit hast du so viel erzählt«, sagte Månsson. »Jetzt redest du fast gar nicht mehr mit mir, nur noch mit anderen. Woran denkst du eigentlich?«

Sie verabschiedete sich in der Tür von ihm, kontrollierte durch das Fenster, dass das Auto den Carport verlassen hatte, ging ins Badezimmer und nahm vorsichtig den kleinen Badezimmerschrank aus Messing von der Wand. Sie machte das Klebeband von dem Millimeterpapier los, das am Rücken des Schranks festgeklebt war, und mit einem Stift, der auf dem Fensterbrett lag, machte sie ein entschlossenes Kreuz in das dreihundertste Kästchen.

***

Johanna öffnete die Tür zu Magnus’ Zimmer und hielt sich die Nase zu.

»Wo hast du dich denn heute Nacht rumgetrieben? Du riechst nach Schnaps.«

Magnus lag auf dem Rücken und schlief lautlos. Die Haut sah unter dem schwarzen Haar blass aus, und der jungenhafte Ziegenbart wirkte fast blau. In den Koteletten war immer mehr Grau zu sehen.

Seine Nase war beinahe aristokratisch. Im Profil sah er aus wie ein römischer Gott, ein zu kurz geratener Gott allerdings.

»Was glaubst du, wer schon wieder rausgehen musste und die Alarmanlage vom Auto ausschalten?«, fuhr die Mutter fort und sammelte ein paar leere Kautabakdosen und eine Zigarettenschachtel vom Fußboden auf. »Wirst du dich heute endlich um einen Job kümmern? Sonst ab mit dir in den Arbeitslosenverein, geh Schach spielen. Hier kannst du jedenfalls nicht herumlungern.«

Magnus öffnete ein Auge und starrte seine Mutter an. »Sonntag.«

»Aha, dann passiert heute also wieder nichts. Dann bring dich mal auf Trab und sei um elf Uhr am Kiosk, um unsere neue Mieterin zu treffen. Sie wird oben unter dem Dach wohnen.«

Magnus setzte sich blitzschnell auf und sah sie missgelaunt an. »Hast du vermietet, ohne mich vorher zu fragen?«

»Ja, wer bezahlt denn die Miete und kauft das Essen?«

»Und was ist mit meiner Modelleisenbahn?«

»Die ist in vier Bananenkisten verpackt und steht im Keller.«

Magnus ließ sich stöhnend wieder aufs Bett fallen.

»Und du musst die Alarmanlage am Auto reparieren. Die Leute wundern sich schon.«

Sie zog die Tür hinter sich zu und wartete einen Augenblick draußen. Kein Laut war zu hören.

Sie schleuderte die schwarzen Pantoffeln mit den Pompons von sich, zog sich hellblaue Plastiksandalen an und nahm eine farbenfrohe Frauenzeitschrift mit auf den Balkon. Das Kaffeetablett hatte sie schon vorher dorthin gebracht, und unter der Milchtüte lag der Lottoschein mit den angekreuzten Kästchen.

»Ich müsste eigentlich viel Glück in der Liebe haben.«

Sollte sie gewinnen, würde sie sich ein schnurloses Telefon anschaffen, damit sie, wenn sie auf dem Balkon saß, nicht mehr mit sich selbst reden musste. Oder vielleicht sogar ein Handy. Magnus hatte ein gelbes Handy, weiß der Himmel, woher er das hatte. Aber wen hätte sie denn schon anrufen sollen?

Ihre Zeitschrift wollte Frauen mittleren Alters, die unter der ständigen Doppelbelastung von Haushalt und Beruf standen, ein paar wichtige Dinge beibringen. Diese Ausgabe wurde von der Beinschule beherrscht. Man gab grundlegende Ratschläge, welche konzentrierten Salben ganz sicher und auf lange Sicht Cellulitis bekämpften.

»Lange Sicht«, sagte Johanna zu sich selbst. »Ja, nach dem Tod gibt es keine Cellulitis mehr.«

Sie blätterte weiter und fand das aktuelle Horoskop. Es gab einen grünen Balken für Arbeit, einen roten für Liebe und einen blauen für Sex. Sie konnte nicht begreifen, wie Sex blau sein könnte, aber es war ja auch lange her, dass sie sich mit diesem Thema beschäftigt hatte, und seit ihrer Jugend war ja alles so klinisch geworden.

Der rote und der blaue Balken waren für alle Stiere in der nächsten Zeit minimal, während der Arbeitsbalken hoch in den Himmel ragte. Außerdem stand da, dass nach einem herrlichen Fest am Freitag eine unglückliche Zeit folgen würde.

»Erzähl mir was Neues«, sagte Johanna und zündete sich eine Zigarette an. Unglück hatte sie weiß Gott genug. Aber auf der Habenseite seit dreißig Jahren eine feste Anstellung, eine robuste Gesundheit, Untergewicht und niedrigen Blutdruck, vier jüngere Geschwister, die einigermaßen nett waren, weil sie es geschafft hatten, von Saltön wegzugehen, ehe es zu spät war, und vor allem einen erwachsenen kindischen, faulen und charmanten Tunichtgut von einem Sohn. Seit Jahren wartete sie darauf, dass er sich freimachen würde, eine kleine Revolte, eine ernsthafte Romanze, eine Hochzeit, eine Auslandsreise, aber er schien es überhaupt nicht eilig zu haben.

Johanna war schon bis Göteborg gekommen, aber noch nie bis Stockholm. Ihr größter Traum war es, einmal mit dem Zug nach Italien zu fahren, doch nicht, um Magnus’ Vater Claudio zu treffen. Der war sicher schon Vater und Großvater und dick wie ein kleines Schwein und glatzköpfig wie eine Ratte mit einem widerlichen fetten Schnurrbart.

Sie besaß eine Schwarz-weiß-Fotografie von Claudio, als er noch jung war. Sie hatte an dem Morgen, nachdem sie sich kennen gelernt und verliebt hatten, auf seinem Schoß auf dem runden schwarzen Hocker im Fotoautomaten auf Saltöns Bahnhof gesessen, und er hatte sie Bella genannt. Da hatte sie gekichert und gefunden, dass das wie der Name einer Kuh klang.

Weil Claudio das Foto bezahlt hatte, hatte er drei Stück behalten, aber Johanna bekam das hübscheste, auf dem Claudio lächelte und sie selbst aussah wie Gina Lollobrigida.

Bella. Johanna hatte darüber nachgedacht, dass es wirklich klang wie eine Schwarzbunte, doch dann war sie bei Hans-Jörgen in der Bibliothek gewesen und hatte das Wort in einem italienischen Lexikon gefunden. Hans-Jörgen mit seinem gewöhnlichen nordischen Aussehen hatte sie wie immer sehnsüchtig angeschmachtet.

Sie hatte ihm gnädig zugelächelt, denn sie war im dritten Monat gewesen und hatte sich wichtig und erwartungsfroh gefühlt, und außerdem wusste sie nun ja, dass Bella »Schöne« hieß.

Wenn sie eine Tochter bekommen hätte, dann hätte die Bella geheißen, aber nun war es ein Sohn geworden, der Magnus getauft wurde, weil er so groß war (wieder in die Bibliothek!). Er wog über vier Kilo und hatte schwarzes lockiges Haar, als er im Sahlgrenska-Krankenhaus in Göteborg geboren wurde.

Es wäre ein Leichtes gewesen, Hilfe mit dem Kind zu bekommen, denn Magnus war so süß und nett mit seinen großen braunen fragenden Augen. Alle, die ihn sahen, verliebten sich sofort in ihn. Aber nachdem Johannas Mutter, die Einzige, der sie das Kind anvertraut hatte, gestorben war, hatte sie selbst wie eine Vogelmutter über ihren Sohn gewacht. Sie war so eigensinnig gewesen, dass sie es sogar geschafft hatte, Månsson zu überreden, ihren Sohn zur Arbeit in die Konservenfabrik mitnehmen zu können.

Magnus hatte nicht rausgehen und wie die anderen auf dem gefährlichen Marktplatz spielen dürfen. Das erlaubte seine Vogelmutter nicht. Doch im Gegensatz zu echten Vogelmüttern mit Schnäbeln und Krallen hatte sie ihn nicht rausgeworfen, als er flügge geworden war, und jetzt war es zu spät.

Johanna band ihr dunkles Haar zu einem lockeren Knoten auf dem Kopf zusammen, damit die Sonne an die Haut im Nacken und auf den Schultern kommen konnte. Sie wurde schnell braun, eigentlich war sie nie ganz weiß. Der Großvater ihres Vaters war ein an Land gespülter Seemann von einem spanischen Schiff gewesen, das vor Saltön Schiffbruch erlitten hatte.

Sie spiegelte sich in der Thermoskanne. Hässlich war sie wirklich nicht, das konnte nicht der Grund dafür sein, dass sie allein war. Sie war ganz einfach wählerisch. Nach Claudio hatte sie niemanden an sich rankommen lassen, obwohl es einige versucht hatten, zumindest in den ersten zwanzig Jahren. Nüchterne und Betrunkene, Verheiratete und Ledige. Alle hatte sie abgewiesen. Sie hatte beschlossen zu warten, bis Magnus auf eigenen Füßen stünde und vielleicht eine Frau hätte, eine Wohnung, einen Job, ein eigenes Leben.

So wartete sie immer noch darauf, dass er auszog, damit ihr Leben eine andere Richtung nehmen könnte. Einen neuen Job, einen kräftigen, wohlerzogenen und nicht allzu aufdringlichen Mann als Freund, genug Geld, dass es für ein Ticket nach Neapel und zurück reichen würde …

Aber was passierte in Wirklichkeit? Immer mehr Dinge, die ihr Sorgen machten!

Vielleicht sollte sie wieder anfangen zu lesen. Es fiel ihr leicht, zu lernen. Außerdem arbeitete Hans-Jörgen immer noch in der Bibliothek und war auch noch immer Junggeselle. Er sah zwar etwas vernachlässigt aus, aber er hatte ein Herz aus Gold.

Sie schaute über den Marktplatz. Hinten von der Pension her sah sie die fette Emily auf ihrem roten Fahrrad angetrampelt kommen, mit einem übervollen Korb am Lenkrad. Plötzlich blieb Emily stehen, stellte das Fahrrad ab und wackelte auf den Steg hinaus. Sie trug die Nase immer noch so hoch wie schon als Kind. Dass man sich als etwas Besseres Vorkommen konnte, nur weil man die Tochter des Provinzarztes war, ging über Johannas Verstand.