Sommerblumenküsse & Sommerrosenträume - Sabine Neuffer - E-Book
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Sommerblumenküsse & Sommerrosenträume E-Book

Sabine Neuffer

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Beschreibung

So manch eine alte Gewohnheit gehört abgelegt! Der turbulente Liebesroman »Sommerblumenküsse« von Sabine Neuffer jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn eine einzige, zauberhafte Begegnung alles zu verändern scheint … Die Kinderbuchillustratorin Helena lebt ein beschauliches und ruhiges Leben mit ihrem Mann. Für Aufregung und Nervenkitzel sorgt Holger nicht, aber er gibt Helena das, was sie immer gesucht hat: den Halt und die Geborgenheit, die sie in ihrer Kindheit so schmerzlich vermisste. Doch dann strandet sie in einer stürmischen Nacht an einem Autorastplatz, begegnet dort Steffen – und kann es kaum fassen: Zwischen den beiden funkt es sofort! Der charmante Fotograf weckt in Helena eine nie gekannte Lebensfreude. Plötzlich gibt es so viel, was sie sich wünscht – auf jeden Fall mehr als nur einen neuen Küchenanstrich. Aber ihre Ehe kann Helena trotzdem nicht einfach so aufgeben, auch wenn Steffen noch so wundervoll ist ... oder? Jetzt als eBook kaufen und genießen: der bewegende Liebesroman »Sommerblumenküsse« von Sabine Neuffer, auch bekannt unter dem Titel »Herr Bofrost, der Apotheker und ich«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag. Die Liebe wartet da, wo man sie am wenigsten erwartet: der gefühlvolle Liebesroman »Sommerrosenträume« von Sabine Neuffer als eBook bei dotbooks. Wer braucht denn schon Gefühlschaos? Jahrelang hat die Goldschmiedin Hannah sich erfolgreich von Männern ferngehalten und stattdessen lieber ihr kleines Schmuckatelier ausgebaut. Doch die Ruhe ist in mehrfacher Hinsicht dahin, als ihr Vermieter Dirk nach Jahren friedlicher Untätigkeit auftaucht – und Hannah eine Baustelle direkt vor die Tür setzt! Sie würde ihn am liebsten auf den Mond schießen – zumal Dirk auch noch verboten gut aussieht, und diese Art von Ablenkung kommt gerade denkbar ungelegen. Zu allem Überfluss meint nun auch der charmante Webdesigner Till, der eigentlich nur ihren Onlineauftritt optimieren soll, Hannahs Liebesleben ankurbeln zu müssen. Ach, wie entspannt war die Zeit ohne Männer! Aber vielleicht tut ein bisschen Gefühlschaos ihr ja sogar ganz gut? Jetzt als eBook kaufen und genießen: der bewegende Liebesroman »Sommerrosenträume« von Sabine Neuffer, auch bekannt unter dem Titel »Das Glück ist eine Baustelle«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über »Sommerblumenküsse«:

Wenn eine einzige, zauberhafte Begegnung alles zu verändern scheint … Die Kinderbuchillustratorin Helena lebt ein beschauliches und ruhiges Leben mit ihrem Mann. Für Aufregung und Nervenkitzel sorgt Holger nicht, aber er gibt Helena das, was sie immer gesucht hat: den Halt und die Geborgenheit, die sie in ihrer Kindheit so schmerzlich vermisste. Doch dann strandet sie in einer stürmischen Nacht an einem Autorastplatz, begegnet dort Steffen – und kann es kaum fassen: Zwischen den beiden funkt es sofort! Der charmante Fotograf weckt in Helena eine nie gekannte Lebensfreude. Plötzlich gibt es so viel, was sie sich wünscht – auf jeden Fall mehr als nur einen neuen Küchenanstrich. Aber ihre Ehe kann Helena trotzdem nicht einfach so aufgeben, auch wenn Steffen noch so wundervoll ist ... oder?

Über »Sommerrosenträume«:

Wer braucht denn schon Gefühlschaos? Jahrelang hat die Goldschmiedin Hannah sich erfolgreich von Männern ferngehalten und stattdessen lieber ihr kleines Schmuckatelier ausgebaut. Doch die Ruhe ist in mehrfacher Hinsicht dahin, als ihr Vermieter Dirk nach Jahren friedlicher Untätigkeit auftaucht – und Hannah eine Baustelle direkt vor die Tür setzt! Sie würde ihn am liebsten auf den Mond schießen – zumal Dirk auch noch verboten gut aussieht, und diese Art von Ablenkung kommt gerade denkbar ungelegen. Zu allem Überfluss meint nun auch der charmante Webdesigner Till, der eigentlich nur ihren Onlineauftritt optimieren soll, Hannahs Liebesleben ankurbeln zu müssen. Ach, wie entspannt war die Zeit ohne Männer! Aber vielleicht tut ein bisschen Gefühlschaos ihr ja sogar ganz gut?

Über die Autorin:

Sabine Neuffer wurde 1953 in Hannover geboren. Nach dem Studium arbeitete sie als Lehrerin und für eine PR-Agentur, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte.

Sabine Neuffer veröffentlichte bei dotbooks bereits »Das Flüstern der Vergangenheit«, »Eine Liebe zwischen den Zeiten«, »Unter weitem Frühlingshimmel« und »Was uns nach diesem Sommer bleibt« sowie ihre Kinderbücher »Das Papa-Projekt«, »Das Oma-Projekt« und »Das Geschwister-Projekt«.

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Sammelband-Neuausgabe August 2023

Dieser Sammelband erschien bereits 2014 unter dem Titel »Herr Bofrost, der Apotheker und ich & Das Glück ist eine Baustelle« bei dotbooks; Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Die Originalausgabe von »Sommerblumenküsse« erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Herr Bofrost, der Apotheker und ich« bei Rowohlt, Reinbek bei Hamburg; Copyright © 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg. Copyright © der Neuausgaben 2013, 2021 dotbooks GmbH, München.

Die Originalausgabe von »Sommerrosenträume« erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Das Glück ist eine Baustelle« bei Rowohlt, Reinbek bei Hamburg; Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg. Copyright © der Neuausgaben 2013, 2021 dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-783-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Sabine Neuffer

Sommerblumenküsse & Sommerrosenträume

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Sommerblumenküsse

Kapitel 1

Eisregen kann so behaglich sein – wenn man eingekuschelt zu Hause sitzt, ein Glas Glühwein trinkt und das Szenario in den Fernsehnachrichten sieht. Endlose Ketten still stehender Scheinwerfer, durch deren Lichtkegel der Regen peitscht. Jeder Tropfen eine winzige Addition zu der Katastrophe – und zur eigenen Gemütlichkeit.

Doch wenn man an einem dunklen Januarabend nichts ahnend aus einer Autobahnraststätte tritt, der Regen ins Gesicht peitscht und man schmerzhaft auf dem Steißbein landet, ist Eisregen alles andere als behaglich. Im Gegenteil, man könnte sagen, sogar außerordentlich unangenehm. Und er kann – hier spreche ich aus Erfahrung – das Leben verändern. Aber das wusste ich damals natürlich noch nicht. Als ich an jenem Neujahrsabend die Glastür der Raststätte Allertal aufstieß und höchst unsanft auf den Hintern fiel, habe ich zwar deftiger geflucht, als ich zugeben möchte, aber natürlich dachte ich keinen Moment lang daran, dass dieses Wetter weiterreichende Folgen haben würde als einen verdorbenen Abend. Nein, mich bewegte nur die Frage, wie ich zu meinem Auto kommen konnte. Zehn Minuten später hatte ich es schlitternd und strauchelnd geschafft. Erleichtert schaltete ich die Innenbeleuchtung an und warf einen Blick in den Rückspiegel. Knipste das Lämpchen sofort wieder aus. Ich sah aus wie eine gebadete Katze! Na klasse! Warum kann ich nicht einmal auch mitten in einer Naturkatastrophe schön aussehen? Cameron Diaz schafft das spielend, und wenn ich einen sehr guten Tag habe, behauptet Laura, sehe ich ihr ähnlich.

Ich wühlte in meiner braunen Umhängetasche nach meinem Handy und stieß dabei – halleluja! – auf eine zerknitterte Schachtel Marlboro. Eigentlich rauchte ich nie, und ich konnte mir nicht erklären, wie diese Schachtel in meine Tasche geraten war, aber sie war ein Geschenk des Himmels. Allerdings musste ich das Fenster öffnen, wenn ich rauchte. Aber ich fror ja sowieso.

Paffend klickte ich mich durch das Telefonbuch meines Handys. Laura? – Verlockend, aber ein Blick auf den Akkustand sagte mir, dass ich das besser lassen sollte. Lieber Holger. Erstens hat ein Ehemann ein Anrecht darauf zu erfahren, warum seine Frau ausbleibt, zweitens würde mir besonnener männlicher Zuspruch jetzt gut tun.

»Spenger?«

»Hi, ich bin's. Holger, ich stecke in Allertal fest. Eisregen.«

»Ach, Lena, Kleines, wie dumm! Wie konnte das denn passieren? – Aber na ja, wenn du in Allertal bist, ist es ja nicht so schlimm. Geh einen Kaffee trinken und ruf mich in einer Stunde wieder an. Bis dahin werden sie die Straße bestimmt frei haben.« Holgers Vertrauen in die Allmacht des Straßendienstes war ungebrochen.

»Holger, mein Akku piept schon. Wenn ich mich nicht mehr melde, mach dir keine Sorgen ...«

»Nein, nein. Fahr bloß nicht los, bevor es nicht restlos getaut hat, hörst du?!«

Und dann war der Akku leer. Auch gut. So viel zu männlichem Zuspruch. Er brachte gar nichts. Und die Zigarette war auch zu Ende.

Ich zog die Füße auf den Sitz und meinen kurzen Mantel über die Knie. Der Königsweg zur Gemütlichkeit war das nicht. Ich steckte die Nase in meinen Rollkragen und blies warme Luft hinein. Sie reichte nicht einmal bis zum Bauchnabel.

So hatte ich mir diesen Abend nicht vorgestellt! Als ich am Morgen losgefahren war, um Katharina und Nina, meine Lieblingstanten, zu besuchen, war es zwar kalt gewesen, aber die Luft hatte nach Schnee gerochen, und der Himmel war knatterblau gewesen. Jetzt war der Himmel mehr als schwarz, und die Luft roch nach Abgasen. Um mich herum parkten die Autos dicht an dicht, und jeder Fahrer ließ seinen Motor laufen, um nicht zu erfrieren. Umweltschweine! Aber was die konnten, konnte ich auch. Nur richtig warm wurde mir dadurch nicht.

Ich tippte mich durch die Radioprogramme, in der Hoffnung, einen Wetterbericht zu finden, der eine den Norden in Blitzesschnelle überrollende Warmfront versprach. Stattdessen stieß ich auf einen widerlich unbekümmert dahinperlenden Chopin, das Gute-Nacht-Hörspiel für Kinder und einen Reisebericht über Peru – wo die Menschen ganz offensichtlich andere Sorgen hatten als ich.

Nein, das war alles nicht das Wahre. Hier im Auto sitzen zu bleiben war wirklich schwachsinnig. Ich beschloss, zur Raststätte zurückzutapsen, mir irgendeinen Roman zu kaufen und mich bei einer Tasse heißer Brühe im Restaurant niederzulassen, bis sich das Schicksal wendete.

Also nahm ich meine Tasche und stieg vorsichtig aus, um nicht sofort wieder auf die Nase zu fallen.

Das geschah erst zehn Meter weiter. Plötzlich riss es mir die Beine weg, und ich fiel so ungeschickt auf meine linke Hand, dass ich unwillkürlich aufschrie. Ich bin nicht zimperlich, aber das tat wirklich weh. Am liebsten wäre ich liegen geblieben. Erfrieren soll ein sanfter, schöner Tod sein. Aber direkt sterben wollte ich auch nicht, also rappelte ich mich unbeholfen auf. Und rutschte gleich wieder weg. Diesmal erwischte es meine Hüfte. Vielleicht war ein friedvoller Tod doch eine Alternative? – Mich packte die Wut. Ich würde mich doch nicht von einer lächerlichen Naturerscheinung kleinkriegen lassen! Wasser wechselt den Aggregatzustand, meine Güte, das passierte in meiner Küche jeden Tag!

»Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Eine tiefe, mitleidvolle Stimme neben mir und eine Hand, die unter meinen Arm fasste.

Ich machte mich los. »Ich brauche keine Hilfe – danke!«

»So?« Die Stimme klang amüsiert und gehörte eindeutig einem Mann. Auch das noch! Wahrscheinlich irgend so ein Macho, der sich einbildete, fester auf diesem vermaledeiten Eis zu stehen, als eine Frau es je könnte. Ich hätte ihn gern mit einem blitzenden Blick in die Flucht geschlagen, aber im schwachen Licht einer weit entfernt stehenden Straßenlaterne hielt sich der Effekt in Grenzen.

»Nun kommen Sie schon. Ich will Ihnen doch nur helfen«, sagte der Fremde und ergriff meine Hand. Zog mich, wie es schien, mühelos auf die Beine. Ich stand, aber ein richtig gutes Gefühl war das nicht. Meine Hand tat höllisch weh, meine Hüfte schmerzte, ich fühlte mich gedemütigt und hatte Angst, bei der nächsten Bewegung wieder auf den Allerwertesten zu fallen. Dieser Kerl vor mir hingegen schien widerwärtig sicher auf beiden Beinen zu stehen. Größer als ich, breiter als ich, stabiler als ich. Normalerweise schätze ich die Unterschiede in der Anatomie zwischen Mann und Frau, aber in diesem Moment machten sie mich streitlüstern. »Was soll das denn?«, fuhr ich ihn an. »Glauben Sie, ich komme nicht allein zurecht?«

Der Typ lachte. »Der Eindruck drängt sich auf. Wo wollen Sie denn hin? Ich helfe Ihnen gern.«

»Ich brauche keine Hilfe«, zischte ich, riss mich los und rutschte wieder aus.

Er fing mich auf. »Nun nehmen Sie doch Vernunft an«, sagte er geduldig. »Ich will Ihnen doch nur helfen. Glauben Sie, ich will Sie vergewaltigen, oder was?«

O Gott! Auf den Gedanken war ich noch gar nicht gekommen! »Wenn Sie das versuchen, schreie ich, so laut ich kann. Es sind genug Leute hier!«

»Eben.« Er lachte schon wieder. »Also, wohin möchten Sie? – Ich begleite Sie.«

Er klang wirklich freundlich, und mein Kampfgeist erlahmte. Ich hatte die Schnauze voll. Der Regen platschte mir ins Gesicht, ich fror erbärmlich, und zwischen mir und dem Restaurant lagen noch mindestens fünfzig vereiste Meter. Wohin ich wollte? – Nach Hause! In mein Bett! Um meine Wunden zu lecken.

»Hören Sie, ich finde es ein wenig nass hier!« Wieder lag ein Lächeln in der Stimme. Was eigentlich erstaunlich war. Vielleicht war er wasserdichter als ich. Oder einfach nur unsensibler.

»Ich will in die Raststätte«, sagte ich ergeben.

»Wissen Sie, was da los ist? Ich komme da gerade her, die Leute prügeln sich um die Plätze.«

Na und? Inzwischen war ich auch so weit.

»Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag«, sagte der Mann. »Mein Campingwagen steht gleich da drüben. Ich habe ein Handtuch für Sie und heißen Tee.«

»Ach?«, fragte ich gedehnt. »Und eine Briefmarkensammlung?«

Er lachte schon wieder. Widerlich heiter wie der Chopin vorhin im Radio. »Bevor Sie einsteigen, können Sie sich ja meine Autonummer aufschreiben! – Nun seien Sie nicht albern, ich will Ihnen doch nichts tun. Ich bin einfach nett, das ist so meine Art. Und Sie sehen so aus, als könnten Sie das im Moment ganz gut gebrauchen.«

Na, da hatte er allerdings Recht! Außerdem wären ein Handtuch und heißer Tee jetzt wirklich Klasse. Ich versuchte, sein Gesicht in dem schwachen Licht zu erkennen, aber viel konnte ich nicht sehen. Er schien jung zu sein, vielleicht in meinem Alter, und er wirkte nicht wie jemand, der bei der ersten Gelegenheit fremde Frauen anfällt. Seine Stimme klang Vertrauen erweckend, darauf würde ich mich jetzt einfach verlassen. »Na gut«, sagte ich gnädig und spürte, dass er schon wieder lächelte. Sonderbar, wie fröhlich er war, nachdem er Ewigkeiten hier mit mir im kalten Regen gestanden hatte und ich ihn nur angezickt hatte. Vielleicht war er Sozialarbeiter. Oder vom Tierschutzverein.

»Geben Sie mir Ihre Hand, sonst fallen Sie bloß wieder hin.« Er streckte mir seine Hand entgegen. Sie war groß und überraschend warm. Wir tappten mit vorsichtigen Schritten auf seinen Campingwagen zu, der vielleicht zehn Meter von uns entfernt stand. Es war ein Sven Hedin älteren Datums mit einem Hamburger Kennzeichen.

Der Fremde zog die Seitentür auf und forderte mich mit einer kleinen Verbeugung auf einzusteigen. Ich kletterte in den Wagen und atmete erleichtert auf. Unter meinen Füßen befand sich ein stumpfer, rutschfester Teppichboden, und warm war es hier. Mein Samariter schloss die Tür hinter sich. Ich drehte mich um und sah ihn blinzelnd an. Was er sah, wollte ich mir im Moment lieber nicht so genau vorstellen, stattdessen konzentrierte ich mich auf das, was ich sah. Braune Augen. Strubbeliges, braunes Haar unter der Kapuze seiner Winterjacke. Ein hübsches Gesicht. Was mir nicht gefiel, war, dass der Typ mich so intensiv anstarrte. »Sie haben gesagt, Sie hätten ein Handtuch für mich«, sagte ich patzig.

Er streifte seine Kapuze ab und öffnete einen der Oberschränke. Ich nutzte die Gelegenheit und sah mich um. Im hinteren Teil des Wagens befand sich zwischen zwei Sitzbänken ein Tisch, an einer der Seitenwände gab es eine winzige Küchenzeile, gegenüber war eine schmale Tür, die vermutlich zu einer Art Bad führte. Alles wirkte ein bisschen schäbig, aber es war gemütlich. Auf dem Tisch lagen ein Haufen Papiere und ein paar Bücher.

»Hier.« Der Mann hielt mir ein Handtuch hin. »Und da ist das Bad, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es diesen Namen verdient.« Er öffnete die kleine Tür, knipste das Licht über dem Spiegel an und machte eine einladende Geste. Am liebsten hätte ich das Licht sofort wieder ausgemacht, aber ich musste mich dem Desaster wohl stellen. Mein Haar klebte nass am Kopf, meine Nase leuchtete rot wie eine Signallampe, und mein Augen-Make-up ... oje! Ich sah aus wie ein grippekranker Pandabär. Als Erstes rubbelte ich mir die Haare trocken. Zum Glück waren sie kurz, von Natur aus lockig und sahen sowieso am besten aus, wenn ich sie an der Luft trocknen ließ. Dann wühlte ich in meiner riesigen Umhängetasche, die ich eigentlich seit mindestens einem Jahr ausmisten wollte. Ich war aber einfach noch nicht dazu gekommen, worüber ich jetzt froh war. Was ich fand, reichte für eine Restauration. Ich bürstete mein Haar, bis es glänzte, puderte meine Nase, bis sie nicht mehr glänzte, und betrachtete mich zufrieden. Ich will nicht angeben, aber meistens finde ich mich ganz hübsch. Natürlich bin ich von der klassischen Schönheit meiner Namensgeberin, der antiken Helena, weit entfernt, doch gerade das erfüllt mich mit klammheimlicher Befriedigung. Als meine Mutter diesen Namen für mich aussuchte, hatte sie bestimmt ein strenges, griechisches Profil vor Augen: gerade Nase, tiefbraune Augen und langes, glattes Haar – so wie die Malereien auf den Vasen, die sie damals ausbuddelte. Bei mir hingegen ist alles geschwungen und strebt an den Enden nach oben. Die Brauen ein wenig, die Mundwinkel ein wenig mehr, die Nase ziemlich. Und meine Augen sind blau und kullerrund. Meine Haare – wie gesagt. jetzt kringelten sie sich um Stirn und Ohren, die Locken sprangen in der Wärme auf und glänzten wie helles Gold im Licht der freundlich schwachen Lampe. Ich warf meine Kosmetikutensilien zurück in die Tasche und verließ das winzige Bad.

Als ich aus der Tür trat, stand mein unermüdlicher Sozialarbeiter am Herd und füllte gerade dampfendes Wasser in einen alten, braunen Teepott. »Setzen Sie sich, der Tee ist gleich fertig«, sagte er, ohne aufzuschauen.

Ich hängte meinen nassen Mantel an einen Haken neben der Tür, ließ mich auf einer der beiden Sitzbänke nieder und inspizierte die Bücher, die auf dem Tisch lagen. Ein Bildband über Design der sechziger Jahre, eine Churchill-Biographie, in der ein Lesezeichen steckte, ein Krimi von Petra Oelker, darunter das »NBA Magazine«. Eine sonderbare Mischung, aber nicht unsympathisch. Vielleicht war der Samariter ja ein Buchhändler aus Eimsbüttel, der sich auskennen und für jeden Geschmack gerüstet sein musste, im Herzen aber ein Basketballfan war. Und von gutem Tee schien er auch etwas zu verstehen. Der, den er mir eingoss, duftete köstlich!

Der verkappte Basketballfan setzte sich mir gegenüber. »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, sagte er. »Ich heiße Steffen. Steffen Ander.« Er zog das Lesezeichen aus der Churchill-Biographie und legte es vor mich auf den Tisch. Es war eine Visitenkarte, hellgrau und sehr schlicht. »Steffen Ander« stand darauf in kräftigem Türkis, Fotograf. Darunter eine Adresse: Loogestieg 11. Also kein Buchhändler und auch nicht Eimsbüttel, sondern Eppendorf. Auch gut. »Stecken Sie das Ding ruhig ein, wenn es Ihr Misstrauen beruhigt«, sagte er grinsend.

»Nein, nein, ich glaube Ihnen ja«, sagte ich schnell. »Entschuldigen Sie, dass ich so pampig war, aber ...«

»Schon gut«, unterbrach er mich und musterte mich interessiert. »Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass in dieser Nasszelle« – er deutete mit dem Kopf zur Toilettentür – »solche Wunder möglich sind. Sie sehen völlig verwandelt aus! Sie sind ja hübsch!«

Hey, was sollte das denn? Wollte er mich etwa anbaggern? Und außerdem – wieso hatte er gedacht, ich sei nicht hübsch? Bevor ich antworten konnte, redete er weiter:

»Wie heißen Sie denn?«, fragte er.

»Helena Spenger.«

»Aha. Und, Helena Spenger, was machen Sie bei diesem Wetter auf der Autobahn?«

»Ich habe Freunde besucht.« Wollte er mich aushorchen, oder was? Es ging ihn schließlich einen feuchten Dreck an, warum ich unterwegs war. Ich erkundigte mich ja auch nicht nach seinem Wohin und Woher. »Und Sie?«, fragte ich.

»Ich bin unterwegs zu meiner Schwester. Besser gesagt, ich war unterwegs. Das können wir jetzt ja wohl vergessen.« Er streckte behaglich die Beine von sich und nahm einen großen Schluck Tee. »Aber so lässt sich's doch aushalten, oder?«

Ja, so ließ es sich aushalten. Wie gut, dass ich den Verlockungen eines sanften Todes vorhin widerstanden hatte. »Ja«, sagte ich und lächelte zum ersten Mal, »danke, dass Sie mich aufgesammelt haben.«

»Ich hab's gern getan«, erklärte er. »Und jetzt, da ich Sie bei Licht sehe, stelle ich fest, dass ich nichts Besseres hätte tun können.«

»Ach«, erwiderte ich und stellte fest, dass sich so etwas wie Koketterie in meine Stimme schlich, »und was hätten Sie getan, wenn ich mich als hässliche Alte entpuppt hätte? Mich wieder hinaus aufs Eis gestoßen?«

Er lachte. »Dass Sie keine hässliche Alte sind, konnte ich sogar im Dunkeln erkennen. Dann wären Sie nicht so graziös gefallen.«

Graziös gefallen! Wahrscheinlich hielt er Stan Laurel für eine Balletttänzerin!

»Sind Sie immer in diesem Camper unterwegs?«, fragte ich, um das Thema auf eine weniger verfängliche Ebene zu bringen. Was belanglose Konversation angeht, bin ich grottenschlecht, aber ich fand, hierfür verdiente ich ein Plus mit Sternchen. Für meine Verhältnisse.

»Nein, er gehört mir nicht einmal. Ich habe ihn von einem Freund geliehen. Meine Schwester und ihr Mann bauen gerade um und haben keinen Platz für Übernachtungsgäste. Da dachte ich, ich könnte hier drin schlafen. Ich mag Hotels nicht besonders. Sie?«

Ob ich Hotels mochte? Na klar, wo sonst wurde einem abends ein Stück Schokolade aufs Kopfkissen gelegt? »Nö, ich mag Hotels. Und Restaurants. Und Friseure. Ich mag alles, wo ich bedient werde.«

»Restaurants mag ich auch. Friseure nicht.«

Das sah man. Sein hellbraunes Haar war wellig und ziemlich lang. Einen Schnitt konnte man beim besten Willen nicht erkennen. Trotzdem – oder gerade deswegen? –, der Typ sah nicht schlecht aus. Wie ein großer Teddybär. Groß und gemütlich. Nicht dick, sondern stämmig, so wie jemand, der gern mal in den Sahnetopf des Lebens langt.

Im Moment war das der Kandistopf, aus dem er großzügig Zucker in seinen Becher schaufelte. Dann goss er heißen Tee nach, sodass es knisterte.

Bedächtig rührte er um. Schließlich hob er den Blick. »Ich finde, wir sollten uns duzen. Das ist irgendwie netter, oder?«

Ja, klar, warum nicht? Ich duzte sogar unsere Putzfrau – sie war zehn Jahre älter als ich, hieß Corinna und hatte grün lackierte Fingernägel. Mit Goldglitter. Sie hatte das Du am ersten Tag vorgeschlagen. Es mache unser Verhältnis freundschaftlicher, fand sie. Solange sie nicht erwartete, dass ich aus lauter Freundschaft mit ihr die Badewanne schrubbte, sollte es mir recht sein. – Und ein bisschen Freundschaft mit diesem Teddy war in meiner Situation jetzt bestimmt nicht verkehrt. Er hatte Tee, er hatte Licht und eine Standheizung.

»Okay«, sagte ich und prostete ihm mit meinem Teebecher zu.

»Man unterhält sich lockerer, wenn man sich duzt«, erklärte er, nachdem wir feierlich getrunken hatten.

Wenn er meinte. Ich blickte ihn erwartungsvoll an. Mal sehen, was er so auf Lager hatte an lockerer Konversation. Zunächst einmal griff er hinter sich in ein Regal und förderte eine Pfeife zutage. »Stört es dich, wenn ich rauche?«, fragte er und begann auch schon, sie zu stopfen.

»Überhaupt nicht. Darf ich auch?«

»Wenn's keine Zigarren sind!« Er grinste.

Na, ein Feuerwerk an spritzigem Gedankenaustausch war das noch nicht. Ich kramte in meiner Tasche nach Zigaretten, zündete eine an und verfolgte, wie er bedächtig seine Pfeife in Gang setzte.

»So.« Er blinzelte mich durch den Rauch an. »Jetzt bist du dran. Was machst du? Wo wohnst du?«

Also doch! Er wollte mich ausfragen! Aber wahrscheinlich war es sein gutes Recht, er hatte sich mir schließlich auch anständig vorgestellt. »Ich bin Kinderbuchillustratorin. Und wohne in Hameln«, antwortete ich brav.

»In Hameln? Ich kenne natürlich die Geschichte vom Rattenfänger, aber irgendwie habe ich mir nie vorgestellt, dass da auch richtige Leute leben«, sagte er mit einem Augenzwinkern.

Arrogante Sau! Bildete er sich etwa ein, »richtige Leute« lebten nur in Großstädten? »Also, Eppendorf ist ja auch nicht gerade der Nabel der Welt«, erklärte ich. »Richtige Leute leben sowieso nur in Hollywood!«

Er lachte, laut und polternd. »Touché«, sagte er. »Und was für Kinderbücher illustrierst du?« Die Frage triefte vor Skepsis, so als habe er es sich gerade noch verkniffen, ›Pixi-Bücher?‹ hinterherzuschieben. – Ich hatte gute Lust, meinen Tee nicht auszutrinken, sondern mich postwendend mit frostigem Dank in die Allertaler Arktis zu stürzen, aber so viel Herablassung konnte ich nicht unwidersprochen stehen lassen. Leider bin ich nicht unbedingt der offensive Typ, denn dann wäre es ein Leichtes gewesen, ihm einfach die Fakten hinzuknallen: Mein Verlag! Meine Auflagen! Meine Kritiken!

Stattdessen sagte ich mit der Bescheidenheit, für die ich mich manchmal verfluche: »Im Moment arbeite ich am sechsten Band einer Serie.« Oje, das klang aber nun verflixt nach Pixi-Büchern. Ich beeilte mich, diesen Eindruck zu entkräften: »Die Hauptfigur ist immer eine andere, aber jedes Mal ein Kind, das Probleme hat. Es wird von einem Zwerg aufgespürt und zu einer weisen Frau in einem Zauberwald gebracht. Sie nimmt sich des Kindes an, es erlebt die unglaublichsten Dinge bei ihr, und wenn es später in seine Welt zurückkehrt, hat es sich so verändert, dass es seine Probleme lösen kann.«

Der Teddy war plötzlich wach und interessiert. Er vergaß, an seiner Pfeife zu ziehen, und beugte sich vor. »Sprichst du etwa von dem Zwerg Kasimir und Rosina in dem roten Kleid?«

Ich nickte. Dass er meine Bücher kannte, versöhnte mich sofort mit ihm.

»Dann bist du ...«, er stockte, »Helena Cornelius?«

Ich nickte wieder. Zufrieden beobachtete ich, wie seine rotznäsige Arroganz verpuffte und einer gewissen Achtung Platz machte. Na also!

»Echt?« Jetzt betrachtete er mich mit offenkundigem Respekt. Was mir gleich wieder ein bisschen unangenehm war. »Ich kenne alle deine Bücher! Du hast auch ›Das Marienkäferchen in der Apfelblüte‹ und ›Florian, der Grashüpfer‹ und die ›Engelschule‹ gemacht! Helena, die sind großartig! Ich habe sie alle für meine Nichte gekauft!«

Ich starrte verlegen in meinen Tee. Natürlich freute es mich, wenn meine Bücher gefielen, und ich konnte Stunden damit verbringen, positive Rezensionen zu studieren, aber wenn ich dem Lobenden gegenübersaß, war mir das immer ein wenig peinlich. Dann musste ich dem Impuls widerstehen, sofort auf die Schwächen meiner Bilder hinzuweisen, einen unbeabsichtigten Farbverlauf hier, eine nicht wirklich gelungene Linie da ... Diesen Fehler hatte ich ganz am Anfang einmal gemacht, und mein Gesprächspartner, ein Redakteur der Zeitschrift »Eltern«, dachte, ich wolle unbedingt mehr Komplimente hören, und pries meine Bilder noch enthusiastischer. Das Interview nahm eine ziemlich groteske Wendung, wir gerieten fast in einen Streit, und ich werde heute noch rot, wenn ich daran denke. Seitdem neige ich bescheiden das Haupt, lächele dankbar und schweige, wenn man mich lobt.

So auch jetzt. Als ich schließlich den Blick hob, sah der Teddy mich verwirrt an. »Das sind doch deine Bücher, oder?«

»Ja, ja, natürlich. Weißt du, Gertrud Teichmann, die Autorin, ist eine tolle Frau. Wenn du sie siehst, du würdest nie glauben, dass sie solche Geschichten erfindet, sie ...«, plapperte ich.

Er stoppte mich, indem er seine Hand auf meinen Arm legte, eine breite, kräftige Hand mit kantigen Fingernägeln. »Du kannst nicht richtig gut mit deinem Erfolg umgehen, was?« Er lächelte, aber seine Augen blieben ernst.

»Hast du noch Tee?«, fragte ich.

Er schenkte mir nach und schob mir die Blechdose mit Kandis herüber. Es war eine wunderschöne, kleine, alte Blechdose, rot, bemerkenswerterweise mit einem Teddybären auf jeder Seite. Ich drehte die Dose herum. Auf jeder Seite sah der Bär etwas anders aus. »Woher hast du die?«, fragte ich.

»Ich habe sie vor Jahren einmal auf einem Flohmarkt gefunden«, sagte er beiläufig. »Aber nun lenk nicht ab! Ich habe dich etwas gefragt.«

Ich wich seinem Blick aus. Ich mochte es nicht, so eindringlich angeguckt zu werden. Außerdem erschrak ich ein wenig vor diesen Augen. Sie waren sehr braun, und einen Moment lang hatte ich das Gefühl, sie wüssten alles über mich. Und dann war da eben diese Berührung gewesen, ganz kurz, ganz leicht, doch irgendwie sehr intim. Zu intim. Ich lehnte mich zurück, stellte die Füße auf die Sitzbank, schlang die Arme um die Knie. »Ach, weißt du, Erfolg ist ganz schön, weil man damit Geld verdient«, erklärte ich lässig. »Aber abgesehen davon brauche ich ihn nicht. Mir geht es nur ums Malen. Zu Hause habe ich ein sehr schönes Zimmer unter dem Dach, mit riesigen Fenstern nach allen vier Seiten. Wenn ich hinausschaue, sehe ich nur Himmel, sonst nichts. Ich bin da immer allein, und dann bin ich am glücklichsten.« – Hoppla, was hatte ich da gesagt? Am glücklichsten war ich doch wohl, wenn ich mit Holger und seiner Familie zusammen war, oder? Allein war ich in meinem Leben oft genug gewesen, und ich war so froh, dass das nun vorbei war. Dass ich endlich zu einer richtigen Familie gehörte.

Die braunen Augen sahen mich aufmerksam an. Sie waren gar nicht richtig braun, sondern hatten lauter grüne Pünktchen.

»Na ja ... ja ... ich bin nicht besonders gut im Erfolgreichsein«, gab ich zu. »Dieses Drum und Dran ist nicht so mein Ding. Bei mir zu Hause spricht niemand über meine Bücher, und das finde ich ganz gut. Es macht alles so normal.«

Die braunen Augen mit den grünen Pünktchen weiteten sich. »Normal?«, fragte der Teddy, den ich plötzlich gar nicht mehr so harmlos fand, erstaunt. »Normal?! – Du hast im letzten Jahr den Preis für das beste Kinderbuch bekommen! Deine Bücher verkaufen sich blendend! Und du findest es normal, dass bei dir zu Hause niemand darüber spricht?«

Na ja, irgendwie hatte er Recht. Ein bisschen komisch klang das wohl.

»Ach, weißt du, Zeichnen ist ein einsames Geschäft«, winkte ich ab. »Und ich bin manchmal ganz gern allein.« Komisch, was man so alles sagte, wenn man in einem fremden Wohnmobil einem Fremden gegenübersaß.

»Hm.« Der Teddy nickte unbestimmt. »Hast du Hunger?«, fragte er plötzlich. »So wie es aussieht, werden wir wohl die Nacht hier verbringen. Ich könnte uns etwas kochen.«

Ob ich Hunger hatte? Was für eine Frage! Es war die Tragik meines Lebens, dass ich immer Hunger hatte. Es reichte, dass jemand vorn Essen sprach, und ich entwickelte einen unbändigen Appetit. Was ja nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn ich nicht ständig hätte aufpassen müssen. Laura konnte essen, was sie wollte, sie blieb immer zart und zierlich.

»Was hast du denn anzubieten?«, erkundigte ich mich.

Er stand auf und öffnete den kleinen Kühlschrank. »Wenig«, antwortete er mit einem schiefen Lächeln. Er holte eine Packung geräucherter Krabben hervor. »Dazu könnte ich Wildreis machen. Und eine Dose Champignons habe ich auch noch. Ist das okay?«

»Wunderbar.«

»Magst du ein Glas Wein?«, fragte der Teddy und zauberte eine Flasche Barolo hervor.

Ich sah ihn zweifelnd an. »Meinst du wirklich, dass wir heute Abend nicht mehr weiterfahren können?«

»Und wenn schon? Wer sagt denn, dass wir müssen?«

Ja, wer sagte das eigentlich? Überrascht stellte ich fest, dass ich gar nicht unbedingt weiterfahren wollte. Ich fühlte mich wohl, und die bullige Wärme in dem kleinen Wohnmobil machte mich träge. Ich streckte die Hand aus. »Komm, gib mir die Flasche. Wo ist der Korkenzieher?«

»Hinter dir, in der Schublade.«

Ich öffnete den Wein, der Teddy stellte Gläser auf den Tisch und gab ein wenig Öl in die Pfanne.

»Wo wohnt deine Schwester eigentlich?«, fragte ich.

»In Göttingen.« Er warf die Pilze in die Pfanne. »Soll ich dir was verraten? – Ich wollte heute mit den beiden in meinen Geburtstag hineinfeiern.«

»Wie? Du hast morgen Geburtstag?«

Er nickte. »Am 2. Januar. Ein saublödes Datum. Da hat niemand Lust zu feiern. Die meisten Leute sind froh, wenn sie bis dahin so halbwegs ihren Silvesterkater auskuriert haben, und jeder empfindet es als Zumutung, so kurz nach Weihnachten schon wieder nach Geburtstagsgeschenken zu suchen. Darum feiere ich lieber im Sommer, Halbzeit sozusagen. Mein Lebensfest nenne ich es. Das ist viel besser. Ich kann es immer aufs Wochenende legen.«

»Und was machst du da? Große Party?«

»Manchmal. Aber meistens lade ich nur ein paar gute Freunde zum Essen ein, das finde ich schöner. Ich koche gern, aber nicht für Massen.« Er gab etwas Knoblauch zu den Pilzen. Das kräftige Aroma verbreitete sich sofort in dem kleinen Raum. Die Wagenscheiben waren inzwischen beschlagen, ich saß in einer Wolke aus Dampf, Küchendüften und Pfeifentabak, süffelte andächtig den tiefroten Wein und fühlte mich himmlisch.

Kapitel 2

»Hey, du träumst!« Der Teddy stellte einen Teller vor mich hin und reichte mir eine Gabel. Er hob sein Glas und schaute mich an. Die grünen Pünktchen hatten sich sonderbar vermehrt. Sie leuchteten. »Auf dich, schöne Helena.«

»Auf deinen Geburtstag«, sagte ich.

Er seufzte wohlig. »Vielleicht den besten, den ich je hatte?«

Wir tranken einen Schluck Wein, und ich wandte mich dem Essen zu. Es war köstlich. Der Teddy war ein guter Koch. Ich aß langsam, genoss jeden Bissen. Schließlich schob ich den leeren, sorgfältig mit Brot gesäuberten Teller weg und leckte mir das Olivenöl von den Lippen. »Das war super. Besser als jedes Fünf-Sterne-Menü!«

Der Teddy war längst fertig und grinste mich an. »Dir beim Essen zuzugucken ist wahrhaftig eine Freude. Da hast du keine Berührungsängste, was?«

Ich lehnte mich zufrieden zurück und legte die Hand auf meinen Magen, der sich sanft unter dem Pullover wölbte. »Nein, das ist ja das Elend.« Ich lächelte reuig. »Ich werde dafür büßen müssen.«

»Warum? Für mich siehst du perfekt aus.«

»Ja, weil ich regelmäßig büße. Mit fettarmem Joghurt und rohen Karotten.«

»Aber warum denn? Eine kleine Speckschicht ist doch etwas sehr Gemütliches!«

»So was kann auch nur ein Mann behaupten! Außerdem – ich rede hier nicht von einer kleinen Speckschicht, sondern von Wülsten!«

Er lachte. Es klang wie ein Bach, der über glatt polierte Steine rauschte.

Irgendwie war das verrückt, oder? Da saß ich in einem ziemlich abgewrackten Wohnmobil auf einem Autobahnparkplatz – ich meine, es gibt eindeutig romantischere Orte auf dieser Welt –, draußen zeigte sich der Winter von seiner hässlichsten Seite, und ich hatte Sommergefühle.

»Magst du einen Cappuccino?«, fragte der Teddy. »Also, so ein Pseudoding, aus der Tüte. Mehr kann ich dir nicht anbieten.«

»Ein Tütencappuccino wäre phantastisch«, antwortete ich. Alles an diesem Abend war phantastisch. Ich war bis dahin zwar noch nie auf der Autobahn gestrandet und verfügte somit über wenig Erfahrungen in derartigen Situationen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass man im Normalfall nicht eine solche Nacht wohlig warm mit einem leckeren Essen, einem ausgezeichneten Wein und heißem Cappuccino verbrachte. Der Regelfall war wohl eher der, dass man frierend und allein in seinem dunklen Auto hockte und verzweifelt nach den berühmten Gelben Engeln Ausschau hielt, die bei solch einem Wetter natürlich auch flügellahm waren.

Mein Engel räumte den Tisch ab, stellte die Teller in das Spülbecken und setzte Wasser auf.

»Soll ich dir helfen?«, fragte ich ohne großen Elan.

»Nein, bleib mal schön sitzen. Zu zweit kann man sich hier eh kaum bewegen.« Er blätterte in dem Wust von Papieren, die er vorher mit den Büchern zur Seite geräumt hatte. Schließlich zog er ein etwas vergilbtes, zerknittertes Blatt hervor. »Hier, das habe ich vorhin in einem der Schränke gefunden und mir damit die Zeit vertrieben. Hast du Lust?«

Er reichte mir das Blatt. Darauf standen lauter Fragen, noch auf einer alten Schreibmaschine getippt. Ich überflog sie kurz. »Das war mal in der FAZ oder so, stimmt's?«

»Ich glaube, ja. Ich habe meine Antworten aufgeschrieben, wir können dann vergleichen.«

Fragebögen haben eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich. Keine Ahnung, warum, eigentlich bin ich nicht der Typ für besessene Innenschau. Doch wenn ich eine Zeitschrift aufschlage und auf einen dieser Psychotests stoße – »Sind Sie abergläubisch?«, »Neigen Sie zur Eifersucht?«, »Sind Sie ein häuslicher Typ?« –, kann ich nicht widerstehen, ich muss ankreuzen! Natürlich weiß ich, dass ich manchmal abergläubisch bin und eher selten zur Eifersucht neige, und mir ist klar, dass man lange suchen muss, um einen häuslicheren Typ zu finden als mich.

Dieser Fragebogen allerdings war anders. Es gab weder vorgegebene Antworten zum Ankreuzen noch eine Auflösung. Man musste nachdenken. Vor allem darüber, wie ehrlich man sein wollte. Aber da ich, wie ich ebenfalls aus zahllosen Zeitschriftentests weiß, eher der ehrliche Typ bin, hatte ich keine große Wahl. So grübelte ich vor mich hin. Während ich am Bleistift kaute, wanderte mein Blick zu dem Mann am Spülbecken. Er hatte die Ärmel seines Pullovers bis zu den Ellenbogen hochgeschoben und scheuerte die Pfanne. Auf seiner Haut schimmerten hellbraune Härchen. Sein Rücken war breit und muskulös, der Hintern erfreulich knackig. Eigentlich sah dieser Mann überhaupt nicht wie ein Teddy aus. Teddys haben breite Hüften, keine sexy Hintern.

Hey, Moment mal! Was war hier eigentlich los? Ich war gerade dabei gewesen, mir zu überlegen, wer meine literarische Lieblingsfigur war, und plötzlich philosophierte ich über Hintern? Hastig wandte ich mich wieder dem Fragebogen zu, aber so richtig war ich nicht mehr bei der Sache. Mit einem Teddy auf so engem Raum zusammen zu sein ist eine Sache. Sechs Quadratmeter mit einem ausgesprochen attraktiven Mann zu teilen eine ganz andere. Plötzlich schien dieser Mann fünf Quadratmeter des Raumes einzunehmen. Ich schloss die Augen und dachte an Holger. Den guten, zuverlässigen Holger. Groß, schmal und dunkel, berechenbar und ein Hort der Sicherheit. Ehrlich, rechtschaffen, vertrauenswürdig, solide. – Ich öffnete die Augen wieder. Steffen Ander war geschrumpft. Ich hatte mindestens einen halben Quadratmeter mehr Platz. Aufatmend widmete ich mich wieder dem Fragebogen und sah erst auf, als eine Tasse dampfender Cappuccino vor mich hingestellt wurde. Sah direkt in braune Augen mit grünen Pünktchen. Sie hielten meinen Blick fest. Und manchmal kann in Bruchteilen von Sekunden das Undenkbare geschehen.

»Zucker?«, fragte Steffen, der nun endgültig kein Teddybär mehr war.

»Gern, danke.« Meine Stimme klang wie ein Reibeisen.

Aber, meine Güte, warum war ich eigentlich so angespannt? Dies war eine Auszeit aus dem normalen Leben, sonst nichts. Und ich wäre schön blöd, wenn ich sie nicht einfach genießen würde.

Steffen Ander hatte sich inzwischen den Zettel mit seinen Antworten zurechtgelegt und stopfte seine Pfeife. »Fertig?«, fragte er erwartungsvoll.

Ich nickte, setzte einen Punkt hinter meine letzte Antwort und zündete mir noch eine Zigarette an. Wenn ich schon eine Auszeit nahm, warum dann nicht eine ausschweifende? »Du fängst an!«

»Okay.« Er räusperte sich. »Was ist für Sie das größte Unglück? – Allein alt zu werden, habe ich geschrieben.«

»Blindheit.«

»Wo möchten Sie leben? – In einem modernisierten Bauernhaus. Und du?«

»Auf dem Land.« Wieder hielt Steffen meinen Blick fest.

»Was ist für Sie das vollkommene Glück?«, fragte er weiter und gab gleich darauf seine Antwort: »Im Einklang mit mir selbst zu sein.«

»Meine Katze auf meinem Schoß.«

Er blickte interessiert auf. »Du hast eine Katze? Was für eine?«

Ich lächelte kurz. Auf Ching Li bin ich so stolz, als hätte ich sie selbst in die Welt gesetzt. »Eine Britisch Kurzhaar, weiß.«

»Wie? Echt? Die Catsan-Katze?«

Ich nickte. »Genau die. Aber sie lebt nicht bei mir, das ist ein bisschen traurig. Mein Mann hat eine Katzenallergie, darum ist sie bei Katharina und Nina, meinen Tanten.«

»Du bist verheiratet?« Bildete ich es mir nur ein, oder wurden die grünen Pünktchen eine Spur dunkler?

»Na, sicher. Ist das so ungewöhnlich?«

»Nein, nein, natürlich nicht. Ich hätte es mir auch denken können, nachdem du dich vorgestellt hast. Dann ist Cornelius dein Künstlername?«

»Mein Geburtsname. Unter dem Namen ist mein erstes Buch erschienen, darum bin ich dabei geblieben.«

»Gute Entscheidung.« Steffen Ander nickte beifällig, verzichtete jedoch auf einen weiteren Kommentar. »Und obwohl du verheiratet bist, Helena Cornelius, ist es für dich das vollkommene Glück, deine Katze auf deinem Schoß zu haben?« Jetzt leuchteten die Pünktchen giftgrün.

Au Mann! Das hier war ja schlimmer als jedes Interview! »Mein Mann wäre etwas zu schwer für meinen Schoß«, erklärte ich lahm, um dann schnell das Thema zu wechseln. »Übrigens, Katharina und Nina leben in einem modernisierten Bauernhaus. Es ist wunderschön.«

Und das ist es wirklich. Katharina hatte das Haus von ihren Großeltern geerbt. Damals muss es eine ziemliche Bruchbude gewesen sein. Jedenfalls erzählt Nina das immer. Als sie Katharina kennen lernte, weigerte sie sich, dort zu übernachten, weil es nie richtig heißes Wasser zum Duschen gab, und wenn man sich die Haare föhnte und gleichzeitig Kaffeewasser aufsetzte, flog die Sicherung heraus. Aber Katharina war das egal. Sie interessierte sich nur für den Garten, ein verwunschenes Paradies voller Blüten und Düfte. »Ich habe, während ich mir die Haare föhnte, nie Kaffeewasser aufgesetzt«, wirft sie immer ein, wenn Nina von diesen vorsintflutlichen Zuständen erzählt. – »Nein«, erwidert Nina jedes Mal, »aber du hast immer Kaffeewasser aufgesetzt, wenn ich mir die Haare föhnte!«

Und dann musste Katharina ihr erlauben, das Haus zu renovieren, bevor sie bei ihr einzog. Das Ergebnis ist ein Traum aus Gelb und Weiß, Sonnenlicht in jedem Zimmer, große Fensterfronten zum Garten. Und die heißeste, prasselndste Dusche, die es gibt. Da sage noch einer, Geld mache nicht glücklich! Katharina und Nina sind das glücklichste Paar, das ich kenne, und ich bezweifele, dass das so gekommen wäre, wenn Nina nie ausgiebig hätte duschen können und immer mit feuchten Haaren hätte herumlaufen müssen.

Steffen bekam richtig glänzende Augen, als ich ihm von dem Haus erzählte. »Ja, genau so was stelle ich mir vor! Und dazu Platz, um mein Studio einzurichten – das wäre wirklich das Ziel meiner Träume. Eine Einheit von Wohnen und Arbeiten.« Er schaute mich etwas neidisch an. »Die hast du ja anscheinend mit deinem Zimmer unter dem Dach.«

Ja, eigentlich war das der Fall, stellte ich überrascht fest. Aber es kam mir nicht wirklich so vor. Mein Dachzimmer in dem biederen Einfamilienhaus, inmitten einer Neubausiedlung, das war eher ein Hafen in der Wüste.

»Na gut«, sagte Steffen, »machen wir mal weiter. Deine Lieblingsheldinnen in der Dichtung?«

»Anna Karenina und Miss Marple.«

Steffen grinste. »Meine ist Nscho-Tschi, die Schwester von Winnetou. Aber nur, wenn sie aussieht wie Marie Versini. – Deine Lieblingsmaler?«

»Klimt, Macke und Tom Wesselmann.«

Während Fragen und Antworten hin und her flogen, beobachtete ich Steffen. Er redete viel mit den Händen. Er war so lebendig.

Als wir fertig waren, öffnete er eine zweite Flasche Wein. Ich zündete mir noch eine Zigarette an. Holger würde die Krise kriegen, wenn er mich heute Abend sähe.

»Wie lange bist du verheiratet?«, fragte Steffen beiläufig.

»Fast sechs Jahre. Und du? Du bist doch bestimmt auch nicht solo, oder?«

»Doch. Seit einem halben Jahr. Meine Freundin hat mich verlassen – nach zwölf Jahren«, erklärte er mit Grabesstimme und zwinkerte mir dabei fröhlich zu.

Ich sah ihn fragend an.

»Na ja, in der ersten Zeit war's natürlich nicht so witzig, wer wird schon gern sitzen gelassen? Aber ich glaube, ich wusste schon lange, dass das irgendwann passieren würde. Es hätte auch andersherum kommen können – dass ich die Frau meines Lebens getroffen hätte.« Er pruckelte wieder in seiner Pfeife. »Weißt du, Ina und ich ... Wir haben uns zwar gut verstanden, aber eine erotische Beziehung war das eigentlich schon lange nicht mehr. Eher eine geschwisterliche. Wir verstehen uns auch jetzt noch prächtig.« Er sah mich unsicher an. »Es ist fast noch genauso wie früher, das spricht doch wohl Bände, oder?«

»Tja, vielleicht. Ich weiß nicht.« Ich wusste es wirklich nicht. Ich war kein Beziehungsvamp. Lange genug hatte ich andere Sorgen gehabt, und als ich mich vor acht Jahren in Holger verliebte, war das meine erste ernsthafte Beziehung. Und an eine Trennung dachte ich nicht im Traum. Also konnte ich hier wirklich nicht mitreden. Und wollte es auch gar nicht. Was gingen mich die Beziehungskisten dieses Steffen Ander an? Trotzdem – ein wenig interessierte Anteilnahme konnte ja nicht schaden, so unter Freunden. »Und? Hast du inzwischen die Frau deines Lebens gefunden?«

Er schaute mich an. Viel zu intensiv. Viel zu lange. Blinzelte kein einziges Mal. »Nein. Aber es könnte sein, dass ich gerade auf dem besten Wege dahin ...«

»Hast du noch Wein?«, unterbrach ich ihn hastig.

Er lächelte, langte hinter sich und schenkte uns nach. Dann fläzte er sich in die Ecke seiner Sitzbank. »Erzähl mir mal von dir, schöne Helena. Woher kommst du? Wo sind deine Wurzeln?«

Ach, du je. Eine schwierigere Frage konnte man mir gar nicht stellen. Wurzeln? – Ich hatte keine Wurzeln, das war mein Problem. Hanne, meine Mutter, hatte mich sozusagen im Galopp verloren. Irgendwo auf einer griechischen Insel, zwischen zwei Ausgrabungsstationen. »Och«, sagte ich daher vage, »ein bisschen in Griechenland, ein bisschen in Süddeutschland, ein bisschen mehr in Norddeutschland.«

»Mann, das klingt ja toll! Sprichst du etwa auch Griechisch?« Steffen neigte sich interessiert vor.

»Ja, ich bin eine Zeit lang in Athen zur Schule gegangen.« Das klang für andere immer toll, für mich war es die Hölle gewesen. Athen war verdammt weit weg von Rotenburg an der Wümme, von Katharina und Nina, von Laura, und das hatte sehr wehgetan.

»Und was, um Himmels willen, hat dich dann ausgerechnet nach Hameln verschlagen? Die Liebe etwa?« Die grünen Pünktchen tanzten spöttisch.

»Na und? Findest du das so verwerflich?«, gab ich zurück. Natürlich hätte ich ihm das genauer erklären können, aber einen Teufel würde ich tun! Ich reiste nicht auf die Mitleidstour und außerdem – es ging mir ja gut. Ich hatte alles, was ich immer gewollt hatte.

»Und das reicht dir?« Steffen ließ nicht locker.

»Ja.« Ich strahlte ihn an, und er gab auf,

Fast. »Hast du Kinder?«, war seine nächste Frage.

Ich schüttelte den Kopf Die meisten Leute verstanden nicht, dass ich keine Kinder hatte. Sie meinten, wenn ich Kinderbücher malte, müsse es mir doch ein Herzensanliegen sein, mir meine eigene Klientel heranzuzüchten. Aber das war natürlich Quatsch. Erstens würden meine eigenen Kinder aus den Beständen meiner Autorenexemplare bedient werden und mir keinen müden Euro einbringen, zweitens würden sie mich nachhaltig vom Malen abhalten. Außerdem – ich war erst vierunddreißig, ich hatte noch jede Menge Zeit.

»Willst du denn welche?«, forschte Steffen weiter.

»Ja, sicher. Irgendwann.« Nun reichte es aber. Wollte er meinen kompletten Lebensplan, oder was? »Was machst du denn so, wenn du nicht fotografierst?«, fragte ich.

»Ich lese viel. Und ich spiele ein bisschen Basketball, aber richtig gut bin ich nicht. Die anderen sind alle größer als ich.« Er warf mir einen Mitleid heischenden Blick zu, der mich nicht sonderlich beeindruckte. Steffen war mindestens eins neunzig, bestimmt zwanzig Zentimeter größer als ich! »Aber viel Zeit bleibt mir nicht für meine Hobbys. Schließlich will ich mir irgendwann mein Bauernhaus in der Heide leisten können, und zwar ein richtiges. Das ist teuer! Und einen Porsche brauche ich dann ja auch, um schnell in Hamburg zu sein.« Er zwinkerte mir vergnügt zu.

»Wieso? Ich dachte, du arbeitest dann in deinem Bauernhaus?«

»Ja, klar. Aber wenn man mal eben ein bisschen einkaufen will ...«

»Aha, ein Schickimicki auf dem Dorfe – ist das dein Traum?«

So ging es noch eine ganze Weile hin und her. Wir zogen einander auf, und mit jedem Schluck Barolo wurden wir alberner.

Bis mich irgendwann bleierne Müdigkeit überfiel. Plötzlich spürte ich den langen Tag, die Autofahrt, den ungewohnt schweren Wein, das intensive Gespräch. Alles ein bisschen viel, immerhin war es schon Mitternacht.

»Hey, du hast Geburtstag!« Ich rappelte mich auf, ging um den Tisch herum und ... Ich weiß nicht, wie es passierte, aber plötzlich lagen wir uns in den Armen. Steffen drückte mich sehr fest an sich, ich nuschelte irgendetwas Einfallsloses wie »Herzlichen Glückwunsch«, und dann küssten wir uns. Viel zu intensiv. Viel zu lange. Viel zu ... verwirrend.

Steffen war es, der mich schließlich von sich schob. Ein paar Zentimeter. Sein Blick hielt mich fest. Die grünen Pünktchen tanzten. Ohne Spott.

»Ich danke dir, schöne Helena«, sagte er heiser und strich mir das Haar aus der Stirn.

Wofür? Für den aufregendsten Kuss meines Lebens? »Ich muss jetzt gehen«, murmelte ich und machte mich los.

»Wohin?«, fragte Steffen verblüfft.

»In mein Auto natürlich«, erklärte ich, obwohl ich das alles andere als natürlich fand. Natürlich wäre es gewesen, in diese Arme zurückzusinken und ... Und???

»Quatsch! Du schläfst hier«, sagte Steffen plötzlich ganz sachlich. »Ich baue jetzt das Bett, es ist riesig, und etwas anderes als Schlafsäcke habe ich sowieso nicht anzubieten. Du wirst hier so sicher sein wie in Abrahams Schoß.«

Unschlüssig sah ich ihm zu, wie er den Tisch abräumte, ihn absenkte und zu einem breiten Bett umbaute. Aus einem Schrank zog er zwei rote Daunenschlafsäcke und warf sie auf das Bett. Abrahams Schoß? Wenn ich mich recht erinnerte, hatte der gute Mann ganze Stämme begründet! – Doch dazu gehörten ja immer noch zwei. Mit mir eine Familie zu gründen war schon nicht drin, von Stämmen ganz zu schweigen. Und überhaupt – warum machte ich alles so kompliziert? Ein Geburtstag war ein Geburtstag, und ein Kuss war ein Kuss. Und beides gehörte nun einmal zusammen. Und das war's. Punkt, aus, finito. Außerdem war ich todmüde und mein Auto saukalt. Da war eine warme Schlafstätte ein verlockendes Angebot. Und Steffen schien sich überhaupt nicht weiter für mich zu interessieren. Er leerte den Aschenbecher, verstaute die leeren Weinflaschen unter der Minianrichte und spülte die Gläser aus. Sein Rücken war breit und abweisend.

»Dieses komische Klo da, funktioniert das?«, fragte ich schüchtern.

»Natürlich, alles okay«, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Ich schnappte meine Tasche und verschwand in dem kleinen Bad. Pinkelte, rubbelte mein Augen-Make-up ab, wusch Gesicht und Hände, bediente mich von dem Odol im Spiegelschränkchen. Alles sehr schnell, denn nachdenken wollte ich jetzt nicht. Weder über mich noch über das Leben im Allgemeinen, noch über Abrahams Schoß im Besonderen.

Als ich wieder aus dem Bad kam, hatte Steffen die Seitentür des Wagens geöffnet und blickte ins Dunkel. Frische, kalte Luft drang herein. »Friert es noch?«, fragte ich.

Steffen nickte, ohne sich umzudrehen. »Es ist spiegelglatt. Aber es hat aufgehört zu regnen.«

Richtig, das unaufhörliche Trommeln auf das Dach war verstummt. Ich hatte es nicht einmal gemerkt. »Ist die Autobahn schon frei?«

»Nein, die stehen immer noch. Kein Wunder, wie soll da auch ein Streuwagen durchkommen?«

»Ja, klar.« Ich krabbelte auf das Bett und fummelte an dem Reißverschluss des Schlafsacks herum.

»Ich geh dann mal Zähne putzen«, sagte Steffen, zog die Seitentür wieder zu und verschwand im Bad. Ich zog schnell meine Jeans aus und kroch in den Schlafsack. Spürte als Letztes Steffens Hand in meinem Haar. »Schlaf gut, schöne Helena.«

»Du auch, du Lieber.« Aber da schlief ich eigentlich schon.

Kapitel 3

Als ich aufwachte, lag das Wageninnere in trübem Dämmerlicht. Graublau-hell war es, nicht wirklich freundlich. Ich schloss die Augen wieder und kuschelte mich enger in die warme Schulterbeuge, in der ich lag. Wie in Abrahams Schoß, dachte ich schläfrig.

Ich wurde erst wieder wach, als mir der würzige Duft frisch aufgebrühten Kaffees in die Nase stieg.

Verwirrt richtete ich mich auf und nahm den Kaffeebecher entgegen, den Steffen mir hinhielt. »Guten Morgen, schöne Helena«, sagte er lächelnd.

»Guten Morgen, Geburtstagskind«, sagte ich und war ziemlich stolz auf so viel Geistesgegenwart. Normalerweise war ich morgens eine komplette Niete. Und auch heute hatte ich damit mein Pulver bereits restlos verschossen. Ich hatte keine Idee, was ich noch hätte sagen können. Schließlich passierte es mir nicht alle Tage, dass ich morgens bei einem fremden Mann aufwachte, in dessen Armen ich eine sehr süße Nacht verbracht hatte. Zwar eine keusche, das möchte ich in aller Deutlichkeit festhalten, aber ... nun ja.

Nachdem ich den Becher geleert hatte, fand ich langsam zu meinem spritzigen Selbst zurück. »Wie sieht's denn draußen aus?«, fragte ich.

»Beschissen. Es hat getaut. Die Straße ist wieder frei.«

»Aber das ist doch prima! Seit wann denn?«

»Keine Ahnung. Seit zwei Stunden? Der Stau hat sich jedenfalls schon längst aufgelöst.«

»Wie spät ist es denn?«

»Kurz vor zehn.«

Verdammt! Hatte ich wirklich so lange geschlafen? Wie, zum Teufel, sollte ich das Holger erklären? Der dachte doch, ich hätte frierend in meinem kleinen Audi TT gehockt, in dem man die Beine nur ausstrecken konnte, wenn man die Füße auf die Pedale legte. In einer solchen Position konnte kein Mensch verschlafen, nicht einmal ich! Ob ich ihm weismachen konnte, ich sei in ein Kälte-Koma gefallen? – Wohl kaum. Holger verfügte als Apotheker über eine unangenehme medizinische Halbbildung, und ich war mir ziemlich sicher, dass diese Erklärung auf Skepsis stoßen würde.

»Musst du sofort fahren?«, fragte Steffen. Er klang angespannt. »Oder machst du mir noch ein Geburtstagsgeschenk?«

»Welches?«, fragte ich vorsichtig.

»Schenk mir noch ein paar Stunden. Lass uns nach Hannover fahren, durchs Sprengel-Museum bummeln und dort Mittag essen. Ich lade dich ein.«

Ich nickte, ohne nachzudenken. Ich liebte das Sprengel-Museum. Und Steffen ein paar Stunden schenken – warum nicht? Nachdem ich diese Nacht in seinen Armen unbeschadet überstanden hatte, konnte er nun wohl keine großen Verheerungen mehr anrichten.

»Gern«, sagte ich und freute mich, als ich die grünen Pünktchen wieder tanzen sah.

Ich schälte mich aus dem Schlafsack, schlüpfte in meine Jeans, zog meinen dicken Rollkragenpullover über und schulterte meine Tasche. »Ich geh mal in die Raststätte und mache mich ein bisschen frisch«, verkündete ich und zog die Wagentür auf. Sprang in matschige Eisnässe und marschierte los. In der Raststätte erstand ich eine Zahnbürste und Zahnpasta, Deo und eine Waschlotion und machte mich zu den Toilettenräumen auf. Nach einer Viertelstunde fühlte ich mich wesentlich frischer und hübscher. Und stark genug, das einzige in der Raststätte noch existierende Münztelefon zu füttern.

Holger nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Apotheke Spenger.« Seine Stimme klang gepresst.

»Hi, ich bin's! Ich bin ...«

»Lena! Endlich! Warum hast du dich nicht eher gemeldet? Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht! Wo hast du die ganze Nacht gesteckt?«

»Na, was glaubst du denn? Auf dem Rastplatz natürlich! Holger, du wusstest doch, dass da kein Durchkommen mehr war.«

»Ja, ja, ich hab's in den Nachrichten gesehen. Und wo bist du jetzt? Zu Hause? Warum hast du dich nicht längst von unterwegs gemeldet? – Ich war schon ganz krank vor Sorge!«

Na, was sollte ich erst sagen? Ich hätte mir in der letzten Nacht eine Lungenentzündung holen können! »Ich bin in Hannover. Ich will noch ins Städtische Museum und ein paar alte Küchengerätschaften abmalen. Und dann mache ich gleich noch ein paar Besorgungen, wenn ich schon hier bin.«

»Na gut«, sagte Holger besänftigt. »Nur, denk dran, heute Abend kommen meine Eltern und Kerstin vorbei. Das können wir auf keinen Fall absagen, wir haben sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen! Und wir müssen ihnen etwas Anständiges zu essen vorsetzen.«

Wir? Seit wann waren wir für das Essen zuständig? »Ja, ja, ich bringe was aus der Markthalle mit, kein Problem.«

»Aber nicht wieder diesen Fischsalat, den mochte mein Vater gar nicht. Und ich habe ihn auch nicht besonders gut vertragen.«

Nein, nein, ich wusste schon: keinen Fisch, keinen exotischen Käse, keine Antipasti mit Knoblauch, keine Experimente. Am besten butterzarte Schnitzel, Kartoffeln und grüne Böhnchen. Vorher Tomatensuppe, hinterher Eis. Warum gingen wir nicht einfach in den Ratskeller?

Als ich zurückkam, hatte Steffen die Schlafsäcke weggeräumt und das Bett wieder zur Sitzecke umgebaut. Auf dem Tisch lagen seine Bücher, daneben standen unsere leeren Kaffeebecher.

»Möchtest du noch etwas essen, oder wollen wir gleich fahren?«, fragte Steffen.

»Lass uns gleich fahren. Wenn wir nachher Mittag essen, reicht mir das.«

Er nickte. »Ist es dir recht, wenn ich vorfahre? Diese alte Karre ist nicht so schnell, und sonst haust du mir am Ende noch ab!« Er zwinkerte mir zu und lächelte schief.

»Ich hau dir nicht ab«, erwiderte ich. Und zwinkerte nicht.

Im Museum besuchten wir als Erstes James Turrell, tasteten uns kichernd durch seinen pechschwarzen Gang, der im Zickzack ins Nichts zu führen schien. »Gesehener Gedanke« hatte Turrell sein Objekt genannt. »Was siehst du, schöne Helena?«, fragte Steffen leise, als wir am Ende des Ganges angelangt waren.

»Nichts. Und du?«

Er räusperte sich. »Ich weiß nicht. Ein Wunschbild? Ein Trugbild?«

Eine Weile standen wir ganz still. Ich weiß nicht, ob ich Steffens Gedanken sah oder meine eigenen. Auf jeden Fall waren sie sehr bunt. Schön und erschreckend.

Irgendwann legte Steffen seine Hand auf meine und führte mich den schwarzen Weg zurück. Diesmal kicherten wir nicht.

Ein wenig benommen trat ich in den schwach beleuchteten Vorraum. Steffen schien es nicht anders zu gehen, seine Bewegungen waren gedämpft.

Wortlos zog er mich in den anderen Raum. »Langsame Auflösung« hieß er, und ich war mir gar nicht sicher, ob ich mich dem aussetzen wollte. Was würde sich hier auflösen? Ich? Oder die verwirrenden, betörenden Bilder in meinem Kopf? Beides wollte ich behalten, auch wenn das alles nicht so ganz zusammenpasste.

Wir setzten uns auf die breite Polsterbank an der hinteren Wand. Gegenüber befand sich eine große, hellgrau gestrichene Leinwand. Wenn man lange genug darauf starrte, begannen Farben darauf zu tanzen, blass erst, dann immer leuchtender. Bewegte Muster entstanden, flüchtige Bilder. Ein Meer von Klatschmohn im Wind, gelbe Luftballons vor einem Abendhimmel, Kerzen im Schnee ... Sahen wir das Gleiche? – Es spielte keine Rolle, und keiner von uns machte den Versuch, es zu erforschen. Wenn man in einem Konzert sitzt und demselben Orchester lauscht, hört man auch nicht immer dasselbe. Das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass man das Gleiche spürt.

Schließlich lösten wir uns, verließen die Räume der Träume.

Wir schlenderten durch die untere Etage, verharrten lange vor dem »Sturz der Engel« von Max Ernst. Ein Mann, eine Frau, beide nackt und, wie es schien, im freien Fall, dicht aneinander geschmiegt, sie kopfüber, er sie haltend. Es könnte ein beunruhigendes Bild sein, doch so habe ich es nie empfunden. Für mich ist es immer Ausdruck intimster Nähe, bedingungslosen Sich-Anvertrauens. Das schönste Liebesbild, das ich kenne.

Dann gingen wir zu Kurt Schwitters. Den Merz-Bau mit seinen schiefen Wänden hebe ich mir immer bis zum Schluss auf, für mich ist er das absolute Highlight. Auch jetzt gingen wir nicht gleich hinein. Steffen blieb erst einmal vor dem Plakat mit dem Gedicht an Anna Blume stehen. Er las es mir vor. Ganz. Es war, als hörte ich es zum ersten Mal. »O, du Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört (beiläufig) nicht hierher ...« Ich rührte mich nicht, als das letzte »Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!« verklungen war.

Steffen stupste mich sanft an, und ich folgte ihm in den Merz-Bau. Ich liebe diesen Raum. Er ist zwar winzig klein, aber auf wunderbare Weise weit, weil er so viel Platz für Phantasie lässt. Ich stelle mir immer vor, hier zu leben, die zahllosen Wände, Flächen und Vorsprünge mit meinem Kram zu füllen. »Schön hier, nicht?« Ich wandte mich zu Steffen um.

Er stand ganz dicht vor mir. Verdammt, er war groß. Einen Dirk Nowitzki mochte er nicht beeindrucken, aber ich wurde schwach, ich sank ihm entgegen.

Wie buchstabiert man Merz? »Mein eindrucksvollster, radikalster Zungenkuss«? Nie war ich so geküsst worden. Das war freier Fall pur.

Ich landete sanft, aufgefangen in einem braunen Blick, umtanzt von grünen Pünktchen. Die Wände standen noch ebenso schief wie zuvor, die Winkel kippten noch immer spitz in den Raum, die Linien stürzten nach wie vor gewagt aufeinander zu, kurz, die Ordnung der Welt war nicht im Geringsten erschüttert.

Steffen sagte kein Wort. Er hielt mich fest und schaute mich an. Plötzlich standen die grünen Pünktchen ganz still.

Irgendwann lockerte er die Umarmung, führte mich zum Ausgang. Im Gehen schob ich meinen Arm unter seine Lederjacke, legte sie um seine Taille.

Vor dem Anna-Blume-Plakat blieben wir noch einmal stehen. »Du deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir? Das gehört (beiläufig) in die Glutenkiste«, las Steffen, seine Stimme klang wie eingerostet.

»Komm, lass uns etwas essen gehen«, sagte ich. Meine Stimme klang nicht besser. Und Hunger hatte ich auch nicht.

Als wir im Restaurant saßen – wir hatten Glück und ergatterten einen Fenstertisch, von dem wir einen Blick auf den wintergrauen Maschsee hatten –, kroch allmählich die Normalität zurück. Geschirr klapperte, neben uns unterhielten sich die Gäste, die Kellnerin brachte die Karten und fragte nach unseren Getränkewünschen. Gerade Wände, rechte Winkel, weiße Tischtücher taten ein Übriges.

»Ich denke, ich nehme das Zanderfilet vom Grill mit schwarzen Spaghetti und Kräutersauce, das klingt gut«, sagte Steffen nach einem ausgiebigen Studium der Karte. Seine Stimme war wieder glatt, wie frisch geölt. »Und du?«

»Mich reizt das Mittelmeerfischragout, da ist alles dabei, was ich mag, vor allem Seeteufel und Meeresfrüchte.«

»Hm, damit hatte ich auch geliebäugelt. Aber ich bleibe bei dem Zander, dann können wir beide beides probieren. Und Antipasti misti vorweg?«

»Liebend gern.« Plötzlich hatte ich einen Riesenhunger.

»Gut. Und was trinken wir?« Steffen blätterte sich zur Weinkarte durch. »Was hältst du von einem Vernaccia di San Gimignano?«

»Aber wir müssen doch noch fahren.«

Steffen winkte ab. »Später. Bis dahin haben wir den Alkohol längst verdaut.«

Na, er vielleicht. Was mich anging, war ich nicht so sicher. Ich würde mich sehr zurückhalten, schließlich hatte ich kein Auto, in dem ich vor der Rückfahrt noch in Ruhe einen kleinen Rausch ausschlafen konnte.

Weder Steffen noch ich rührten an dem, was geschehen war, als spürten wir beide, dass Worte die Bilder nur verwackeln würden. Stattdessen sprachen wir über unsere Arbeit. Steffen beschrieb mir sein Studio, erzählte von seinen Kunden und seinen Plänen. In ein, zwei Jahren würde er so weit sein, sich ernsthaft um das Projekt Bauernhaus kümmern zu können. Bis dahin wollte er noch in der kleinen Wohnung in Eppendorf ausharren, die er nach der Trennung von Ina bezogen hatte.

Irgendwie beneidete ich ihn. Er kam mir so jung vor, so begeistert, voller Ideen und Vorfreude. Und er hatte noch so viele Träume.

Bei unserem dritten Cappuccino stellte Steffen die Frage, die ich die ganze Zeit gefürchtet hatte: »Wann sehen wir uns wieder, schöne Helena?«

Ich schüttelte den Kopf »Wir werden uns nicht wieder sehen, Steffen«, sagte ich, den Blick fest auf das leere Zuckertütchen in meinen Händen gerichtet, das kleiner und kleiner wurde. »Dies war ein wunderschönes Zwischenspiel, aber ich bin verheiratet. So was wie mit dir ist mir noch nie passiert, und dabei soll es auch bleiben.« Es tat mir weh, ihn so zu verletzen. Noch dazu an seinem Geburtstag. Ich wagte nicht, ihn anzuschauen.

»Tja, jede andere Antwort hätte mich auch überrascht«, sagte Steffen so munter, dass ich verblüfft aufsah. Er lächelte völlig entspannt, die grünen Pünktchen schimmerten.

Ich hatte ihm gar nicht wehgetan! Kein bisschen! So ein Mist!

»Aber wir werden