Neles Welt - Band 3: Das Geschwister-Projekt - Sabine Neuffer - E-Book

Neles Welt - Band 3: Das Geschwister-Projekt E-Book

Sabine Neuffer

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Beschreibung

Ein Geschwisterchen für Nele! Eigentlich ist Nele überglücklich: Ihre Mutter und sie sind zu Ron und Timmi gezogen und Ron und ihre Mutter werden heiraten. Aber um eine richtige Familie zu werden, muss noch ein Baby her. Es gibt nur ein Problem: Ihre Mutter ist gegen das Geschwister-Projekt. Als die sechs Monate alte Lilly für ein paar Tage zur Pflege zu ihnen kommt, sieht Nele ihre Chance gekommen. Jetzt muss sie nur noch beweisen, dass Babys kaum Arbeit machen, damit Mama ihre Meinung ändert. Da hat Nele sich ja etwas vorgenommen! Denn die kleine Lilly ist zwar supersüß, aber auch ganz schön anstrengend! Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet wieder Pläne! Jetzt als eBook: „Das Geschwister-Projekt“ von Sabine Neuffer. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

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Über dieses Buch:

Eigentlich ist Nele überglücklich: Ihre Mutter und sie sind zu Ron und Timmi gezogen und Ron und ihre Mutter werden heiraten. Aber um eine richtige Familie zu werden, muss noch ein Baby her. Es gibt nur ein Problem: Ihre Mutter ist gegen das Geschwister-Projekt. Als die sechs Monate alte Lilly für ein paar Tage zur Pflege zu ihnen kommt, sieht Nele ihre Chance gekommen. Jetzt muss sie nur noch beweisen, dass Babys kaum Arbeit machen, damit Mama ihre Meinung ändert. Da hat Nele sich ja etwas vorgenommen! Denn die kleine Lilly ist zwar supersüß, aber auch ganz schön anstrengend!

Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet wieder Pläne!

Über die Autorin:

Sabine Neuffer wurde 1953 in Hannover geboren. Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem für eine PR-Agentur, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Heute lebt sie in Wolfenbüttel und arbeitet an einer Realschule in Braunschweig.

Sabine Neuffer veröffentlichte bei jumbooks bereits die Kinderbücher Das Papa-Projekt und Das Oma-Projekt.

***

eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2009 Cecilie Dressler Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Tanja Winkler, Weichs

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-073-2

***

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Sabine Neuffer

Das Geschwister-Projekt

jumpbooks

1. Kapitel

Sara lehnte sich in dem kleinen Korbsessel zurück und sah sich zufrieden um. »Das hier ist doch etwas anderes als unser oller Garagendachboden. Weißt du noch? Da mussten wir immer Eimer aufstellen, wenn es geregnet hat. Und die Matratzen wurden trotzdem nass.«

»Hm«, machte Nele und trank einen Schluck Saft.

»Mann, Nele! Was ist denn eigentlich los mit dir? Seit Tagen bist du schon so miesepetrig. Dabei müsstest du doch superglücklich sein! Du hast alles erreicht, was du wolltest, und jetzt steht sogar der Hochzeitstermin fest. Freust du dich denn gar nicht?«

»Doch.« Nele blickte aus dem weit geöffneten Fenster des Gartenhauses, vor dem der Mairegen rauschte, sanft und warm, aber nass. Ihre Mutter kniete trotzdem in einem Blumenbeet und jätete Unkraut. Bei Regen ginge das am besten, hatte sie gemeint und sich wasserdicht eingepackt. Von der überdachten Terrasse hörte man Timmi: »Gewonnen! Komm, Oma, noch mal!« Und irgendwo im Haus saß Ron bei der Arbeit. Er tippte lange, komplizierte Programme in seinen Computer.

Ja, Nele hatte alles, was sie sich gewünscht hatte. Einen neuen Papa, einen kleinen Bruder und eine Oma. »Aber es ist noch nicht perfekt«, sagte sie.

Sara sah sie groß an. »Sag mal, spinnst du? Perfekter geht's doch wohl gar nicht! Ihr wohnt hier alle zusammen in diesem schönen Haus, Ron und deine Mutter heiraten, eure neue Oma kümmert sich um Timmi und ist für dich wie eine Freundin und einen Hund habt ihr auch! Was soll ich denn da sagen? Meine Oma kommt alle Jubeljahre mal zu Besuch, meine Mutter erlaubt mir nicht einmal einen Goldhamster und ich hab Linda und Carsten an der Hacke!«

»Neulich hast du gesagt, der wär nicht mehr so schlimm«, sagte Nele.

»Nee, er geht. Aber einen Goldhamster erlaubt er mir auch nicht.«

»Und Linda? Ich dachte, die lässt dich in Ruhe, seit sie mit Marcel zusammen ist.«

»Ja, tut sie ja auch«, gab Sara zu. »Aber irgendwie ist das auch Mist. Ich hätte gern mal eine richtig nette Schwester, verstehst du? Linda kann nur zwei Sachen – entweder ist sie ätzend oder sie ignoriert mich.«

Nele lachte. »Dafür hast du doch mich! Wir müssen uns eben die Schwestern ersetzen, ich hab ja auch keine. So, und nun komm! Lass uns endlich anfangen und diese verdammten Rollen lernen, morgen ist die erste Probe.«

»Ich kann meine schon«, sagte Sara. »Ist ja auch bloß so eine Minirolle.«

»Du hast es gut!« Nele seufzte. »Du brauchst nur im Bett rumzuliegen und musst ab und zu mal danke sagen, wenn dir dein Sohn das Essen bringt. Aber ich? Ich hab wahnsinnig viel Text, das schaffe ich nie!«

Die Schmalbach hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ihre Klasse zur Schuljahresabschlussfeier »Pünktchen und Anton« aufführen sollte, und sie hatte Nele dazu verdonnert, Pünktchen zu spielen: »Du hattest nie Probleme, Gedichte auswendig zu lernen, also wirst du mit dieser Rolle auch keine Schwierigkeiten haben.«

»Aber ...« Nele hatte protestieren wollen, doch die Schmalbach ließ sie gar nicht zu Wort kommen. »Die Rolle ist dir wie auf den Leib geschrieben. Also, am Mittwoch proben wir den ersten Akt. Ich erwarte, dass dann alle ohne Textbuch auf der Bühne stehen!« Damit war sie aus der Klasse gerauscht und nicht nur Nele hatte gestöhnt. Adrian, der den Anton spielen sollte, hatte sein Textheft auf den Tisch geknallt und »Alte Hexe!« hinter der Schmalbach hergebrüllt. Aber erst als er sicher war, dass sie weit genug weg war, um es nicht mehr zu hören. Eigentlich war er nämlich ein eher stiller Junge. Vielleicht hatte die Schmalbach ihm deswegen die Rolle des Anton gegeben. Patrick und Leon sollten die beiden fiesen Jungen spielen, die Pünktchen verrieten, und dem armen Joschi hatte die Schmalbach die Rolle des Ganoven aufs Auge gedrückt, bloß weil er so groß war. Dabei hätte die Rolle viel besser zu Sven gepasst, aber der war nicht mehr da. Seine Eltern hatten ihn auf ein Internat geschickt, bevor er von der Schule fliegen konnte, weil er so viel Mist gebaut hatte. Neles Mutter hatte gesagt, dass das keine gute Lösung war, sie hätten ihn lieber selber erziehen sollen. Nele aber konnte Svens Eltern verstehen. Sie hätte auch keine Lust gehabt, dieses Ekelpaket zu erziehen, und sie war froh, dass er nicht mehr in ihrer Klasse war. So konnte er sich wenigstens nicht über sie lustig machen, wenn sie während der Probe etwas verpatzte.

»Also los!« Sara schlug ihr Textbuch auf. »Ich lese immer den Satz, nach dem du dran bist, okay?«

»Okay.« Nele seufzte wieder. Seit drei Tagen hatte sie nichts anderes getan, als wieder und wieder die mit einem rosa Marker angestrichenen Stellen zu lesen. Beim ersten Mal hatte ihr der Text richtig gut gefallen und ein paarmal hatte sie laut lachen müssen, aber inzwischen fand sie ihn überhaupt nicht mehr lustig. Wenigstens konnte sie ihren Part besser, als sie gedacht hatte, und weil Sara die Stellen, an denen sie hakte, unbarmherzig wiederholte, klappte es schließlich richtig gut.

Nach einer Stunde schlug Sara das Textbuch zu. »Das reicht für heute. Zumindest wirst du morgen nicht hängen bleiben«, sagte sie.

»Was heißt zumindest?«, fragte Nele empört. »Zum Schluss war ich doch richtig gut!«

»Na ja.« Sara runzelte die Stirn. »Du leierst das runter wie ein langweiliger, alter Priester, der zum hunderttausendsten Mal das Vaterunser betet.«

Nele winkte ab. »Soll ich mich etwa zum Affen machen und mich hier«, sie machte eine Handbewegung, die das kleine Gartenhaus umfasste, »auch noch mit Betonung abgeben? Hört doch niemand! Außerdem – was weißt du eigentlich davon, wie alte Priester beten? Kennst du einen?«

»Nee«, räumte Sara ein. »Aber ich hab neulich einen Film gesehen, da hat einer seine Gebete genau so runtergerappelt wie du eben deinen Text.«

»Vielleicht hat sich das nur so angehört«, sagte Nele. »Vielleicht war er innen drin ganz nah bei Gott und voller Inbrunst.«

Sara brach in helles Gelächter aus. »Willst du mir etwa erzählen, dass du innerlich eben ganz mit Pünktchen verschmolzen bist?«

»Klar!« Nele streckte sich in ihrem Sessel und grinste. »Sie ist mein Alter Ego.«

»Dein alter ... was?« Sara sah sie verdutzt an.

»Mein Alter Ego«, wiederholte Nele. »Das ist lateinisch und bedeutet mein anderes Ich. Das hat Ron gesagt. Wenn man eine Theaterrolle richtig gut spielen will, muss sie einem zum Alter Ego werden. Man muss sich so in die Person, die man spielt, hineinversetzen, dass sie einem vorkommt wie ein Teil von einem selbst. Eben ein anderes Ich.«

»Na, ich weiß nicht.« Sara leerte ihr Saftglas und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Mir kommt es eher so vor, als wäre Pünktchen für dich eine alte Plage.« Sie stand auf. »Ich muss los. Meine Mutter hat mir eine ellenlange Einkaufsliste aufgedrückt. Und Klavier üben muss ich auch noch.«

Nele rollte die Augen zur Decke. »Und ich muss noch Mathe machen. Findest du nicht, dass wir eigentlich ein ziemlich bescheuertes Leben haben? Immer nur lernen und üben und üben und lernen. Wo bleibt denn da der Spaß?«

»Wieso? Das Theaterstück macht doch Spaß!« Sara verstaute ihr Textbuch sorgfältig in ihrem Rucksack. »Dass man dafür ein bisschen lernen muss, ist doch normal.«

»Normal!« Nele schnaubte. »Normal fände ich, dass im Mai die Sonne scheint und wir im Freibad liegen! Stattdessen pauken wir von morgens bis abends.« Sie gab ihrem Textbuch einen Stoß, sodass es vom Tisch rutschte.

Sara blickte kopfschüttelnd auf ihre Freundin hinab. »Du hast eine Laune!«

Nele starrte finster vor sich hin und erwiderte nichts.

»Also wirklich, ich muss jetzt gehen«, sagte Sara. »Vielleicht ist ja morgen schöneres Wetter, dann gehen wir schwimmen, einverstanden?«

Nele nickte.

Sara schulterte ihren Rucksack.

»Ach, weißt du was?« Nele gab sich einen Ruck. »Ich begleite dich zum Einkaufen. Die Matheaufgaben können warten.«

Als Neles Mutter hörte, was sie vorhatten, fiel ihr ein, dass Nele frischen Salat für das Abendessen mitbringen konnte. »Und Zahnpasta brauchen wir unbedingt, die hab ich neulich vergessen. Und wenn ihr sowieso im Drogeriemarkt seid, kauf doch auch Teelichte, die sind bald alle.«

Nele verdrehte die Augen. »Sonst noch was?«

»Wenn Frau Meyerlink wieder diese kleinen, jungen Kartoffeln hat, könntest du davon noch mal fünf Pfund mitbringen«, sagte ihre Mutter. »Und frag mal nach Bohnen. Wenn sie gut aussehen, nimm davon auch ein Kilo.«

»Wie soll ich das denn alles schleppen?«, maulte Nele. Ihre Mutter strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. »Komm schon, das kriegst du hin – besonders mit deinem nagelneuen Fahrrad mit dem Gepäckkorb«, erklärte sie zuckersüß.

»Na ja, okay.« Nele gab sich geschlagen und hielt die Hand auf. »Aber ich brauche Geld.«

»Nimm dir zwanzig Euro aus meinem Portemonnaie, meine Handtasche hängt im Flur.«

Nele schob ihr Rad, denn Sara war zu Fuß gekommen. Wenigstens hatte der Regen aufgehört und nun lugte sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. In den Büschen und Hecken glitzerten die Wassertropfen. Das hellte sogar Neles Stimmung auf. »Hast du noch Zeit für ein Eis?«, fragte sie Sara. »Wir waren ewig nicht bei Giulio.«

Sara sah auf die Uhr. »Dann müssen wir uns aber beeilen. Lass uns schnell die Einkäufe erledigen, dann hab ich vielleicht noch eine halbe Stunde.«

»Komm, setz dich auf den Gepäckträger, dann sind wir schneller«, schlug Nele vor.

Sie trat kräftig in die Pedale und war ganz außer Atem, als sie am Drogeriemarkt ankamen. Sara sprang lachend ab. »Du bist ganz schön gerast! Wenn es zu nichts anderem reicht, kannst du bestimmt jederzeit einen Job als Rikscha-Fahrerin in Indien kriegen.«

Nele tippte sich an die Stirn. »Tolle Aussichten!« Aber sie lachte auch. Ihre Laune hatte sich beträchtlich gebessert.

Sara musste auch im Drogeriemarkt einkaufen, und da ihre Liste erheblich länger war als Neles, schnappte sie sich einen Korb.

Nele hatte ihre beiden Sachen schnell beisammen, und während Sara nach dem richtigen Haarspray für ihre Mutter suchte, schaute sie sich müßig um. Der Laden war ziemlich leer. Die einzige Verkäuferin half einer älteren Dame, eine bestimmte Seife zu suchen, und verschwand, als sie sie nicht fanden, durch die Tür in den Lagerraum. Nele schlenderte weiter. Als sie um eine Ecke bog, entdeckte sie Vanessa und Jennifer, zwei Mädchen aus ihrer Klasse. Die beiden kauerten vor dem Kosmetikregal. Typisch! Wahrscheinlich suchten sie sich den hunderteinundachtzigsten Mascara für ihre Sammlung aus.

Nele mochte die beiden nicht besonders. Sie waren erst seit Februar in ihrer Klasse, weil sie nach den Halbjahreszeugnissen freiwillig ein Jahr zurückgegangen waren. Schon da war klar gewesen, dass sie im Sommer auf jeden Fall sitzen bleiben würden. Besonders gut passten sie nicht zum Rest der Klasse, darüber waren sich Sara, Nele und ihre Freundinnen schnell einig gewesen. Die beiden hatten nur JuMM im Kopf, wie Nadine einmal gemeint hatte – Jungs, Mode und Musik. Außerdem trug Vanessa ein Nasenpiercing, was Nele eklig fand, besonders bei Schnupfen. Und beide liefen immer mit ganz schwarz geschminkten Augen rum. Einmal, als sie bei einem Schulausflug in einen Regenguss geraten waren, war ihre Wimperntusche total verlaufen. Wie Pandabären hatten sie ausgesehen. Und so nannten die anderen sie seither nur noch. Nicht mehr Vanessa und Jennifer, sondern bloß noch die Pandabären. Allerdings sprachen sie kaum einmal über sie und mit ihnen auch nur selten. Die Pandabären waren nicht sehr interessant. Umgekehrt interessierten sich die beiden auch nicht für die anderen Mädchen in der Klasse. Total kindisch fanden sie sie, das hatten sie von Anfang an klargemacht. Aber richtigen Streit hatte es bisher nicht gegeben, sie lebten einfach nebeneinanderher und ließen sich gegenseitig in Ruhe.

Trotzdem, Hallo sagen konnte sie ja ruhig, dachte Nele und wollte gerade zu ihnen gehen, als sie erschrocken innehielt. Hatte sie das richtig gesehen? Hatte Vanessa da nicht eben etwas in ihre Tasche gleiten lassen? Nele wich einen Schritt zurück, versteckte sich hinter einem Ständer mit Papierservietten und spähte durch einen Spalt. Die Verkäuferin war immer noch hinten im Lagerraum, Sara und die ältere Kundin befanden sich in einem anderen Gang und waren nicht zu sehen. Nele verharrte mucksmäuschenstill. Die beiden Pandabären standen jetzt ganz eng zusammen, kehrten ihr den Rücken zu und tuschelten miteinander. Dann blickten sie sich verstohlen um, griffen wie auf Kommando beide in das Regal, ließen etwas in ihren Jackentaschen verschwinden und verließen eilig das Geschäft.

Nele stand wie erstarrt. Das gab's doch nicht! Die hatten geklaut!

»Komm, ich hab alles.« Sara stupste sie in die Seite. »Lass uns schnell zahlen.«

Nele folgte ihr wie im Traum. Die Verkäuferin hatte endlich die richtige Seife gebracht und setzte sich an die Kasse. »Habt ihr alles gefunden?«, fragte sie freundlich.

Nele nickte stumm. Musste sie nicht etwas sagen? Aber was? Die Pandabären waren längst über alle Berge.

»Du glaubst nicht, was ich eben gesehen habe«, flüsterte sie aufgeregt, als Sara und sie ihre Einkäufe in den Fahrradkorb luden. »Die Pandabären! Sie haben geklaut!«

»Was?!« Sara starrte Nele mit offenem Mund an.

»Ja, ehrlich! Ich habe es genau gesehen! Sie standen vor dem Regal mit den Kosmetikartikeln und haben was eingesteckt. Vanessa sogar zweimal! Und dann sind sie abgehauen, ganz schnell!«

»Aber ...« Saras Augen wurden kreisrund. Und fast so groß wie Untertassen. »Aber das ist ja ... Diebstahl! Das ist ja ... richtig kriminell!«

Nele schloss ihr Rad los. »Hättest du denen das zugetraut?«

»Nee.« Sara ging in Gedanken versunken neben ihr her. Bis zum Supermarkt. »Warte hier«, sagte sie dann. »Bewach unsere Einkäufe, ich beeile mich auch ganz doll. Und dann reden wir in Ruhe bei Giulio darüber, okay?«

»Ich hab eine bessere Idee«, sagte Nele. »Während du hier einkaufst, fahre ich schon mal zu Frau Meyerlink, und dann treffen wir uns bei Giulio.«

»Prima!« Sara hob den Daumen und verschwand im Supermarkt.

Frau Meyerlink freute sich, Nele zu sehen, wie immer. Sie stand inmitten ihrer gesunden Gemüseauslagen und verschlang eine Puddingschnecke. »Was darf's denn sein, Nele?«, fragte sie mit einem breiten Lächeln. Ihre Apfelbäckchen glühten.

»Kartoffeln«, sagte Nele. »Fünf Pfund von den kleinen, jungen. Und Bohnen. Wenn sie schön sind.«

»Bohnen sind aus«, sagte Frau Meyerlink und watschelte gemütlich um die Auslagen herum zu den Kartoffeln. »Aber ich habe wunderbare junge Karotten. Mit Petersilie und einer ordentlichen Portion Butter ...« Sie hob Daumen und Zeigefinger in einem rosigen Kringel an die Lippen und warf ein Küsschen in die Luft. »... ein Gedicht!«

»Dann geben Sie mir davon ein Kilo«, sagte Nele. Vitamine waren Vitamine und nur darauf kam es ihrer Mutter an.

»Willst du nicht auch noch ein Körbchen Erdbeeren mitnehmen?«, schlug Frau Meyerlink vor. »Das sind die ersten, aber sie schmecken schon richtig gut!«

»Heute nicht«, sagte Nele so höflich wie möglich und sah ungeduldig zu, wie Frau Meyerlink das schönste Bund Petersilie heraussuchte. »Ich hab's etwas eilig.«

»Na, dann!« Frau Meyerlink strahlte sie an. »Die Saison beginnt ja auch gerade erst. Vielleicht beim nächsten Mal.«

»Ganz bestimmt«, sagte Nele und verstaute das Gemüse in ihrem Fahrradkorb.

Mit dem Wechselgeld steckte Frau Meyerlink ihr doch noch ein Tütchen Erdbeeren zu. »Probiert sie mal, sie schmecken schon richtig nach Sommer.« Ihre Augen, die hinter den runden Wangen fast verschwanden, blitzten vergnügt.

»Danke«, sagte Nele gerührt. Vielleicht würde sie doch, wenn sie erst in New York lebte, was ihr großer Traum war, eines Tages herüberjetten, um bei Frau Meyerlink einzukaufen. Nach einer Begegnung mit ihr hatte man immer das Gefühl, dass die Welt wunderbar in Ordnung war.

Sara wartete schon, als Nele bei Giulio ankam. Sie saß an ihrem gewohnten Tisch, ganz hinten neben dem Spielautomaten. Auf dem Stuhl, auf dem früher immer Jessica gesessen hatte, thronte ihre Supermarkttüte, die fast aus den Nähten platzte.

»Du warst ja schnell!« Nele ließ sich auf ihren Platz fallen. »Hast du auch schon bestellt?«

»Klar. Für dich Meloneneis, drei Kugeln. Ich habe noch jede Menge Taschengeld von meiner Oma, ich lade dich ein.«

»Danke!« Nele grinste vergnügt. »Dann lade ich dich ein. Ich hab auch noch genug Taschengeld. Was hast du dir denn bestellt? Schokolade, Stracciatella, Vanille, stimmt's?«

»Was denn sonst?« Sara winkte ungeduldig ab. »Aber nun erzähl schon, wie war das eben mit den Pandabären?«

Nele berichtete ihr ganz genau.

»Das müssen wir sagen, oder?«, sagte Sara.

»Wem denn?« Nele sah sie ratlos an. »Außerdem – ist das nicht Petzen?«

»Aber ...« Sara wurde von Giulio unterbrochen, der ihre Eisbecher servierte.

Nele hatte gerade ihren Löffel in dem zartgelben Eis versenkt, als Sara sie am Arm packte. »Guck mal!«

Nele sah auf. Die Pandabären! Sie kamen quietschvergnügt in die Eisdiele spaziert, ließen sich an einem Tisch am Eingang nieder und steckten die Nasen in die Karte.

»Wetten, die bestellen einen Jumbobecher?«, raunte Sara.

Sie hatte sich getäuscht. Vanessa orderte einen Schoko-Nuss-Becher, Jennifer einen Früchtebecher, beide mit Sahne.

»Die müssen Geld haben!«, seufzte Sara neidisch.

»Und warum klauen sie dann?«, fragte Nele.

»Weil sie den Hals nicht vollkriegen können, ist doch klar! Guck dir die doch bloß an! Sie haben die teuersten Schickimicki-Klamotten an und sind aufgedonnert bis zum Gehtnichtmehr!«

»Vielleicht haben sie das alles geklaut«, überlegte Nele.

»Quatsch! Ihre Eltern haben Geld wie Heu. Vanessas Vater hat ein riesiges Autohaus in der Stadt. Das weiß ich, weil Carsten den Kombi da gekauft hat. Gebraucht allerdings.«

»Und Jennifer? Hat die auch reiche Eltern?«

»Ihr Vater ist irgendein hohes Tier in der Bezirksregierung. So reich wie Vanessas Eltern sind sie wohl nicht, aber schlecht geht's ihnen bestimmt nicht«, sagte Sara. Ihr Stiefvater Carsten arbeitete als Reporter für die Zeitung, er war ein wandelndes Lexikon, wenn es um Klatsch und Tratsch ging. Darum war Sara immer sehr gut informiert.

»Und warum klauen die dann?«, fragte Nele noch einmal.

»Weil sie einfach nicht genug kriegen können.« Sara zuckte mit den Schultern. »Sag ich doch.«

»Aber da muss man doch was machen!« Nele hatte ihr Eis noch nicht einmal angerührt.

»Und was?«, fragte Sara und knabberte an ihrer Waffel.

Nele sah sie nachdenklich an. Dann stand sie auf. »Wart's ab!«

Sie ging zu dem Tisch, an dem die beiden Mädchen saßen, und baute sich davor auf. »Ich hab euch vorhin gesehen. Im Drogeriemarkt. Ihr habt geklaut!«

»Wir?« Die beiden sahen sie verblüfft an. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich hab's gesehen, ganz genau!« Nele verschränkte die Arme und blickte finster auf Jennifer und Vanessa hinab.

»Du spinnst ja! Was willst du denn gesehen haben?« Vanessa lehnte sich grinsend zurück. »Hast du Beweise?«

»Ich hab's gesehen«, beharrte Nele.

»Ach ja?« Jennifer maß sie mit einem verächtlichen Blick. »Und wovon träumst du nachts?«

»Ich hab das nicht geträumt! Zeigt doch mal, was ihr in den Taschen habt!«, rief Nele empört.

»Sag mal, bist du nicht mehr ganz dicht? Wir räumen doch vor dir nicht unsere Taschen aus!«

»Genau! Machst du jetzt hier den Dorfsheriff, oder was?«, giftete Jennifer.

Nele sah die beiden lange an. Leider fiel ihr nichts Gutes ein. »Ihr seid echt mies, wisst ihr das?«, sagte sie schließlich ein wenig hilflos.

»Ach, Nele, nun spiel dich mal nicht so auf.« Vanessa tat sehr überlegen und schob gelangweilt die Eiskarte auf dem Tisch hin und her. »Geh schön zurück zu deinen Puppen, die glauben dir bestimmt jeden Mist, den du erzählst.«

Jennifer kicherte. »Die kannst du sogar ins Gefängnis sperren, wenn sie nicht artig sind!«

Nele hasste es, klein beigeben zu müssen, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Obwohl sie im Recht war. Doch ohne Beweise nützte ihr das gar nichts. »Wir sprechen uns noch!«, zischte sie, aber sie wusste selbst, dass das eine leere Drohung war. Mit roten Ohren, aber hoch erhobenen Hauptes ging sie an ihren Tisch zurück.

»Das war ja nun nicht gerade gelungen.« Sara rollte vorwurfsvoll die Augen. »Manchmal bist du aber auch ein Hitzkopf, Nele. Jetzt nehmen die beiden sich bestimmt vor uns in Acht. Dabei hätten wir sie so schön beschatten können.«

»Warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Bevor ich gegangen bin?« Nele machte sich missmutig über ihr Eis her. Es war schon ziemlich weich.

»Konnte ich wissen, was du vorhast? Du bist ja losgestürzt wie der Rächer der Enterbten!«

»Weil ich so wütend war! Erst stehlen sie und dann hauen sie jede Menge Geld für zwei gigantische Eisbecher raus! Das ist doch wirklich das Letzte!«

»Natürlich ist es das«, räumte Sara ein. »Aber so kommst du ihnen nicht bei. War doch klar, dass sie alles abstreiten.«

»Ja.« Nele löffelte zerknirscht ihr Eis. »War dumm von mir, oder?«

Sara widersprach ihr nicht, sondern beschäftigte sich mit ihrem Eis. »Was meinst du?«, fragte sie, als sie den Becher ausgekratzt hatte. »Ob die uns wohl abnehmen, wenn wir uns blöd stellen? Wenn ich zu ihnen hingehe und sage, dass du davon träumst, einmal eine große Detektivin zu werden, und dir immer und überall einbildest, Verbrechen zu beobachten? Ich könnte ja sagen, dass du uns damit schon oft in peinliche Situationen gebracht hast und ...«

Nele winkte ab. »So doof sind die auch nicht. Am besten, wir lassen erst einmal alles auf sich beruhen, dann werden sie das Ganze schnell vergessen. Sie nehmen uns doch sowieso nicht ernst. Und genau das«, sie blitzte Sara an, »wird unsere Chance sein. Wir kriegen sie noch! Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Sara schreckte auf. »Apropos Zeit, ich müsste längst zu Hause sein! Meine Mutter springt bestimmt schon im Karree.« Sie kramte ein paar Münzen aus ihrer Tasche, warf sie auf den Tisch und raffte ihre Einkaufstüte von Jessicas Stuhl. »Zahlst du?« Sie stürmte hinaus, stieß in der Tür mit einer jungen Frau zusammen, entschuldigte sich hastig und war weg.

Nele sah ihr kopfschüttelnd nach. Sie war froh, nicht so eine Mutter wie Sara zu haben. Dann aß sie nachdenklich ihr Eis auf.

Nachdem sie gezahlt hatte, ging sie doch noch einmal an den Tisch von Vanessa und Jennifer. Die beiden hatten sich erst zur Hälfte durch ihre Eisbecher gekämpft. »Ich möchte mich bei euch entschuldigen«, sagte Nele. »Sara hat mir ziemlich den Kopf gewaschen. Sie hat gesagt, dass ich total gemein war. Und ehrlich«, Nele senkte reumütig den Kopf, »sie hat recht. Wisst ihr, ich würde so gern einen Detektivclub gründen und suche immer nach einem Fall. Aber euch jetzt auszugucken war wirklich fies von mir. Ich hab nämlich gar nichts gesehen, ich fand euch nur verdächtig.«

Die Pandabären blinzelten einander aus ihren schwarz umränderten Augen an. »Du guckst wahrscheinlich zu viele Kinderkrimis«, meinte Vanessa nachsichtig.

»Kann sein«, sagte Nele beschämt. »Ehrlich, es tut mir leid, dass ich mich vorhin so aufgespielt habe.«

»Schon gut.« Jennifer schob ihren Eisbecher ein Stück von sich weg und betrachtete Nele jetzt großmütig. »Ich gebe ja zu, wir haben uns vielleicht auch verdächtig verhalten. Und ehrlich gesagt auch nicht ganz korrekt. Wir haben so ein paar Sachen ausprobiert, für die sie keine Tester hatten, verstehst du?«

»Klar«, sagte Nele leichthin. Dabei war sie sich sicher, dass es im Kosmetikregal für alles Tester gab. Aber wenn die beiden glaubten, sie wüsste das nicht, und dies eine Ebene war, auf der sie sich einigen konnten, wollte sie sich damit zufriedengeben. Wichtig war schließlich nur, dass die Pandabären sie für ziemlich blöd hielten. Vielleicht war Saras Idee nämlich doch gar nicht so schlecht, vielleicht funktionierte sie ja. Einen Versuch war es immerhin wert.

Vanessa jedenfalls lächelte jetzt schon mal ganz freundlich. »Frieden?«, fragte sie und streckte Nele die Hand entgegen.

»Frieden.« Nele schlug ein und kreuzte die Finger der anderen Hand in der Jackentasche. »Tut mir echt leid. Manchmal geht meine Fantasie mit mir durch.« Und dann setzte sie noch eins drauf: »Sara ist deswegen total sauer auf mich. Darum ist sie so schnell aufgebrochen.«

»Ach«, meinte Jennifer, »das kriegt ihr schon wieder hin.« Es klang ziemlich gönnerhaft, aber das störte Nele nicht. Sie hatte das eindeutige Gefühl, für sehr einfältig gehalten zu werden. Gut so!

2. Kapitel

Als Nele wieder zu Hause war, rief sie als Erstes Sara an und berichtete ihr von ihrem Gespräch mit den Pandabären. »Ich habe noch mal über deinen Vorschlag nachgedacht und mir überlegt, dass es ja nichts schaden könnte, wenn sie mich für richtig blöd halten. Und ich glaube, es hat geklappt! Aber morgen in der Schule müssen wir verkracht sein, damit es echt wirkt.«

»Och nee!« Sara klang nicht begeistert. Der Krach vom letzten Herbst saß ihr immer noch in den Knochen. Damals war es wirklich ernst gewesen und gar nicht schön.

»Sara, nur für einen Tag! Dann können wir uns doch wieder vertragen«, sagte Nele.

Am anderen Ende der Leitung war eine Weile Sendepause. Dann fragte Sara: »Und wenn wir noch länger durchhalten? Dann glauben sie uns ganz bestimmt und rechnen auf keinen Fall mehr damit, dass wir uns nachmittags zusammen nach ihnen auf die Pirsch machen.«

»Nee«, meinte Nele, »das ist eine doofe Idee. Erstens glaube ich sowieso nicht, dass wir die beiden so schnell wieder erwischen, und zweitens habe ich keine Lust, tagelang mit dir verkracht zu sein. Wenn es auch nur zum Schein ist, irgendwie tut es ja doch weh.«

»Stimmt!« Sara lachte erleichtert. »Also nur morgen, okay? Und um die Pandabären kümmern wir uns einfach gar nicht, dann denken sie, wir hätten sie über unserem Streit ganz vergessen.«

»Ja«, sagte Nele, »das könnte klappen. Also, dann bis morgen nicht am Kiosk.«

»Ich gehe fünf Minuten später los«, sagte Sara.

»Nein, ich«, sagte Nele. Fünf Minuten waren morgens kostbar.

»Gönn mir doch auch mal was!«, protestierte Sara.

»Bei dir klappt das doch sowieso nicht. Deine Mutter steht bestimmt mit der Stoppuhr in der Haustür!«

Sara knickte ein. »Auch wieder wahr. Aber weißt du was? Dann kaufe ich mir eine supergroße Schaumwaffel und dir keine!«

Nele lachte. »Verkracht sein ist wirklich blöd, was?«

Sara stieß einen Seufzer aus, der die Telefonleitung vibrieren ließ. »Megablöd«, bestätigte sie.

Und dann legten sie auf.

Nele hielt es keine zwei Minuten aus, dann drückte sie auf die Wahlwiederholung. Im selben Moment klingelte aber schon ihr Telefon. »Ich hab dich lieb«, sagte Sara.

»Und ich dich. Und wie!« Dann war da plötzlich die Stimme von Saras Mutter im Hintergrund und Nele hörte nur noch das Aus-Knacken und ein Tuten in der Leitung. Egal.

Beim Abendessen vergaß sie Sara und die Pandabären sehr schnell. »Wir haben eine Überraschung für euch«, sagte Ron nämlich. Er legte Messer und Gabel beiseite und schaute Nele und Timmi bedeutungsvoll an. »Was haltet ihr davon, wenn Anneli und Fussel zu uns ziehen?«

»Wie? Hier zu uns?«, fragte Nele verdattert. »Echt?«

Ron und ihre Mutter nickten. Anneli strahlte.

Nele sah von einem zum anderen. Sie meinten es ernst! Anneli hatte rote Flecken auf den Wangen und in ihren hellblauen Augen glitzerte es verdächtig. Nele stieß ihren Stuhl zurück und fiel ihr um den Hals. »Ist das toll!« Sie drückte ihre Oma-Freundin so fest, dass die sich lachend losmachte. »Lass mich am Leben, Nele! Sonst haben wir gar nichts von diesem schönen Plan!«

Nele lockerte ihre Umarmung. »Und in welchem Zimmer wirst du wohnen?«

»Bei mir!«, rief Timmi, der eine Weile gebraucht hatte, um zu begreifen, was die Ankündigung seines Vaters genau bedeutete. »Oma kann bei mir wohnen! Und Fussel auch!«

Ron lachte und wuschelte seinem Sohn durchs Haar, bis es nach allen Seiten abstand. »Das ist zwar lieb gemeint, aber auf Dauer würde es vielleicht doch ein wenig eng, meinst du nicht?«

»Och ...« Timmi dachte nach. »Wenn Oma keine Sachen mitbringt ...«

Neles Mutter beendete die Diskussion. »Anneli zieht ins Erdgeschoss«, erklärte sie.

»Und ich verlege mein Büro unters Dach«, ergänzte Ron. »Da oben ist es viel ruhiger«, er sah Nele streng an, »jedenfalls wenn du deine Musikanlage nicht auf volle Lautstärke stellst.«

Nele schüttelte eifrig den Kopf. »Mach ich nicht.« Sie fand den Gedanken, nicht mehr allein im obersten Stockwerk zu wohnen, sehr schön. Selbst wenn Ron gerade nicht dort oben bei der Arbeit war, hätte sie das Gefühl, einen Nachbarn zu haben.

»Wir haben uns überlegt, dass es für uns alle schöner wäre, wenn Anneli bei uns wohnt«, nahm Neles Mutter den Faden wieder auf. »Sie ist ja sowieso fast die ganze Zeit hier, aber abends hat sie immer noch den langen Heimweg, das ist ungemütlich. Und wenn sie bei uns wohnt, muss sie sich nicht mehr um ihren Haushalt kümmern.«

Anneli nickte glücklich. »Vor allem muss ich nicht mehr so viele Treppen steigen. Und Fussel kann ich morgens gleich aus der Tür hinaus in den Garten lassen, das ist viel bequemer für mich. Außerdem sind die Zimmer hier unten sehr schön.«

»Jedenfalls wenn wir sie erst renoviert haben«, sagte Neles Mutter. »Jetzt sehen sie doch sehr nach Büro aus. Aber ein Badezimmer ist auch da, Anneli wird also fast eine richtige kleine Wohnung haben. Das ist perfekt.«

Superperfekt, fand Nele. Etwas Besseres konnte sie sich gar nicht vorstellen – die ganze neue Familie unter einem Dach.

Timmi stopfte sich eine ganze Kartoffel auf einmal in den Mund. »Dann kann Frau Werner endlich wegbleiben«, verkündete er mit vollem Mund und schleckte sich die Soße vom Kinn.

»Timmi!« Neles Mutter griff nach ihrer Serviette.

Nele tippte sich an die Stirn. »Wie denkst du dir das denn? Soll Anneli dann etwa das ganze Haus putzen und für uns alle kochen?«

»Hmhm.« Timmi nickte, stieß Mamas Serviette weg und wischte sein Kinn mit den Fingern ab. »Wenn ich in der Schule bin, hat sie doch Zeit.«

»Eben«, sagte Ron. »Und die soll sie auch genießen!« Als er Timmis verständnislosen Blick sah, fügte er schmunzelnd hinzu: »Kannst du dir vorstellen, dass ihr da etwas anderes einfällt, als deinen Dreck wegzuputzen?«

»Und deine Wäsche zu waschen?«, fragte Mama.

»Und für dich zu kochen?«, fragte Nele.

Timmi sah die drei ratlos an. Schließlich blieb sein Blick an Anneli hängen. Dann ging ihm ein Licht auf: »Sie will lieber mit meinen kleinen Autos spielen!«

Alle lachten.

Timmi rutschte von seinem Stuhl und ging um den Tisch. »Kannst du ruhig, Oma.« Er legte seine kleine Hand auf ihre und schaute sie ernst an. »Ich erlaube es dir.«

Diesmal lachte niemand. Anneli legte ihre andere Hand auf Timmis. »Danke, Timmi«, sagte sie genauso ernst.

Plötzlich musste Nele sich gar nicht mehr anstrengen, um sich das Lachen zu verkneifen. Sie hatte auf einmal einen richtigen Kloß im Hals. Weil alles so schön war.

»Du, Mama?« Nele saß auf dem Küchentisch und baumelte mit den Beinen. Wenn das Frau Werner sähe!

Aber Neles Mutter störte sich nicht daran. Sie schaltete die Spülmaschine ein und wischte die Arbeitsflächen sauber. »Ja?«

»Wenn Anneli jetzt zu uns zieht, dann kannst du es dir doch wirklich noch einmal überlegen, oder?«

Ihre Mutter hörte auf zu wischen und drehte sich entnervt zu Nele um. »Fängst du schon wieder damit an?«

Neles Beine baumelten heftiger. »Warum verstehst du das denn nicht? Gerade jetzt, wenn Anneli auch noch hier wohnt, brauchen wir ein Baby! Sonst sind wir doch nur ein zusammengewürfelter Haufen.«

Neles Mutter legte den Küchenlappen aus der Hand und setzte sich an den Tisch. »Und du meinst, ein Baby würde aus diesem Haufen, wie du das nennst, eine richtige Familie machen?«

»Ja, klar!« Nele rutschte herum, zog die Beine auf den Tisch und kreuzte sie zum Schneidersitz. Frau Werner würde einen Schreikrampf kriegen. »Guck mal, durch ein Baby würden wir alle plötzlich wirklich zusammengehören, weil wir dann richtig miteinander verwandt wären. Ron und du, weil ihr zusammen ein Kind habt, und Timmi und ich, weil wir dasselbe Halbgeschwisterchen hätten. Dann wären wir wirklich eine ganz richtige Familie. Und Anneli ...« Sie verstummte. Sosehr sie auch nachdachte, zwischen Anneli und dem Baby würde es keine Verwandtschaft geben. Aber das machte vielleicht auch nichts.

»Nele«, sagte ihre Mutter, »das stimmt doch nicht. Ron und ich werden keine Verwandten, wenn wir zusammen ein Kind bekommen und ...«

Nele unterbrach sie. »Aber ihr würdet mehr zusammengehören!«, beharrte sie.

»Nein. Ron und ich lieben uns, darum gehören wir zusammen. Das hat nichts mit einem gemeinsamen Kind zu tun. Außerdem«, sie lächelte zu Nele hinauf, »haben wir doch euch, Timmi und dich.«