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Kurz nach der epischen Schlacht des Raumschiffs Enterprise gegen Shinzon nahmen viele langjährige Besatzungsmitglieder von Captain Jean-Luc Picard neue Posten und neue Herausforderungen an. Unter den vielen Veränderungen war auch William Rikers Beförderung zum Captain und sein neues Kommando, Rikers Hochzeit mit Counselor Deanna Troi und Dr. Beverly Crushers neue Karriere beim Medizinischen Korps der Sternenflotte. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, wurde nie erzählt … BIS JETZT. Es hatte eine Gnadenmission sein sollen. Doch dann war das Undenkbare eingetreten: die Zerstörung der U.S.S. Juno, bei der alle Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Ungerechtfertigterweise macht das Sternenflottenkommando Captain Picard und die Enterprise-Crew für diese Tragödie verantwortlich, die sich im Rashanar-Sektor zutrug. Während einer laufenden Ermittlung bezüglich der Zukunft von Picards Kommando, gibt es zunehmend Spekulationen, dass seine beispiellose Karriere bald ein unrühmliches Ende finden könnte. Um den Namen seines ehemaligen Kommandanten reinzuwaschen, nehmen der stellvertretende Captain William Riker und eine entmutigte Notbesatzung der Enterprise eine Geheimmission an, die sie wieder zurück nach Rashanar bringt. Sie spüren eine mythische Bedrohung auf, die bereits für die Auslöschung unzähliger schwer bewaffneter Raumschiffe verantwortlich sein könnte. An jeder Ecke lauern offene Feindseligkeit und Todesgefahr. Und schließlich liegt ihre einzige Überlebenschance in der unerwarteten Rückkehr eines verloren geglaubten Freunds …
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Seitenzahl: 337
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für John O.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Das angenehme Gezwitscher der Vögel, die sanfte Brise zwischen den Ahornbäumen und der intensive Duft von Blumen und frischer Erde versetzten Beverly Crusher in tiefe Entspannung. Sie befand sich in den gepflegten Gärten der Sternenflottenakademie und konnte sich nicht daran erinnern, jemals in ihrem Leben glücklicher gewesen zu sein. Doch das lag nicht an der wunderschönen Umgebung, sondern an ihrer Gesellschaft. Ein junger, attraktiver Mann saß auf der Bank neben ihr und hielt ihre Hand. Er sah seinem Vater ausgesprochen ähnlich. Besonders die durchdringenden braunen Augen waren unverkennbar. Nach einer Abwesenheit von acht Jahren war ihr einziges Kind zu ihr zurückgekehrt. Jetzt, wo er ihr wieder so nah war, konnte sie sich nicht mehr erklären, wie sie seine Abwesenheit und die Ungewissheit über sein Schicksal hatte verkraften können. Sie hatte nicht einmal gewusst, ob er noch lebte.
Der Verstand ist wirklich unglaublich, stellte sie fest, insbesondere wenn es darum geht, die Trauer auszusperren, zu lernen, mit ihr zu leben, und die Verpflichtungen des Alltags zu meistern. Nun, da seine pure Anwesenheit sie so glücklich machte, erschien es ihr unfair, all diese Jahre ohne Wes an ihrer Seite gelitten zu haben. Fast hätte sie die dunklen Wolken vergessen, die über der Enterprise und ihren Mannschaftskameraden schwebten. Doch sie erinnerte sich an die Worte ihres Sohnes: »Um die Enterprise zu retten«, hatte er mit Nachdruck erklärt. Doch diesmal bestand die Bedrohung nicht aus einem versagenden Warpantrieb oder feindlichen Angreifern – mit derartigen Problemen hatten sie umzugehen gelernt. Sie wurden von der Bürokratie und Politik der Föderation bedroht.
»Captain Picard wird in der psychiatrischen Abteilung festgehalten«, flüsterte sie.
»Ich weiß«, antwortete Wes mit düsterer Miene. »Ich war während der Anhörung und beim Urteil dabei. Vielleicht hast du gesehen, wie ich Admiral Nechayev assistiert habe … als Ensign Brewster.«
»Brewster!«, stieß sie überrascht aus. »Wie hast du das gemacht?«
Er hob vorsichtig die Hand und lächelte freundlich. »Kannst du dich daran erinnern, wie Ensign Brewster ausgesehen hat?«
Beverly dachte angestrengt nach. Ihr Geist fühlte sich vernebelt an. »Ich kann mich nicht erinnern … obwohl ich ihn jeden Tag bei der Anhörung gesehen habe.«
»Das gehört zu dem, was ich als Reisender gelernt habe«, erklärte Wesley. »Ich kann sein, wo immer ich will. Ich kann beobachten, interagieren – und falle doch nicht auf. Fünf Minuten nachdem du mit mir gesprochen hast, erinnerst du dich nicht mehr an mich … zumindest nicht, bis ich mich entscheide, mein wahres Ich zu offenbaren.«
Die Ärztin schüttelte fasziniert den Kopf und griff nach der Hand ihres Sohnes. Sie war einfach glücklich, ihn bei sich zu haben, egal in welcher Gestalt oder Form. »Dann weißt du von der Zerstörung der Juno und der Vuxhal, des ontailianischen Schiffs? Es war nicht unser Fehler! Sie geben Jean-Luc die Schuld, obwohl er nichts hätte tun können!«
»Beruhige dich, Mom.« Der junge Mann drückte ihre Hand etwas fester. »Ich habe nicht alles gesehen, was in Rashanar geschehen ist. Ich habe gezögert und war zu spät dort. Diesen Fehler werde ich nicht noch einmal machen.«
»Ich war dort«, erwiderte Beverly mit einem tiefen Seufzer, »und nicht mal ich weiß genau, was passiert ist. Data und Geordi sagen, dass es auf dem Friedhof ein Schiff gibt, das seine Gestalt verändern kann. Es versteckt sich zwischen all den Wracks und legt andere Schiffe mit einer zielgerichteten Energiewaffe lahm. Danach nimmt es die Gestalt des Schiffs an. Laut Data befand sich die Enterprise in akuter Gefahr. Nur deshalb hat Jean-Luc auf den Kreuzer der Ontailianer gefeuert … oder auf das, was danach aussah. Er war davon überzeugt, einen Doppelgänger vor sich zu haben.«
»Das Tribunal hat diese Einschätzung nicht geteilt«, murmelte Wesley.
Beverly blickte finster drein. »Nein, sie mussten Rücksicht auf die Ontailianer nehmen, weil sie damit gedroht haben, die Föderation zu verlassen. Sie haben gesagt, dass sie keine weiteren Mitglieder … oder den Zugang zu Rashanar verlieren dürfen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Admiral Nechayev Jean-Luc verkauft hat.«
»Da muss ich widersprechen«, sagte Wes, ließ ihre Hand los und stand auf. Er ging nachdenklich vor einem üppigen Blumenbeet auf und ab. »Ich war die ganze Zeit an Nechayevs Seite. Sie hat mit dem gearbeitet, was man ihr gegeben hat. Niemand glaubt, dass Captain Picard dienstunfähig ist. Der Admiral konnte nicht riskieren, dass er vor ein Militärgericht gestellt wird. Sie hatte keine Wahl …«
Finster blickte er in die Ferne. »Aber ich hatte eine. Ich hätte viel früher aus meiner Deckung kommen und helfen müssen. Wie üblich habe ich nur beobachtet … ich wollte das Dasein als Reisender nicht aufgeben.«
»Oh, Wes!« Mit einem Ausdruck mütterlicher Sorge stand nun auch Beverly auf und griff nach dem Arm ihres Sohnes. »Bist du sicher, dass du es aufgeben müsstest? Kannst du … kannst du nicht einfach in beiden Welten leben?«
Plötzlich sah er viel älter aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. »Das glaube ich nicht, Mom. Ich befinde mich sozusagen in einer Art Probezeit. Als Reisender lebt man nicht in einer Welt – man lebt in jeder Welt. Meine Kräfte habe ich aus einem guten Grund. Was ich an Leid und Freude gesehen habe, reicht für tausend Lebensspannen – und niemals greife ich ein, ich sehe nur zu.«
»Aber du hast Admiral Nechayev geholfen«, entgegnete Beverly, »also hast du diese Grenze doch schon überschritten, oder etwa nicht?«
»Nicht wirklich. Zumindest nicht, solange ich das Ergebnis nicht verändere.« Wes ballte die Hände und blieb stehen. »Allerdings stehe ich kurz davor, diese Grenze zu überschreiten. Bitte sag niemandem, dass du mich gesehen hast.«
Verzweifelt nahm Beverly ihn in den Arm. Es fühlte sich an, als würde sie ihren Jungen ein weiteres Mal verlieren. »Wes. Wie kann ich nicht darüber sprechen? Bitte … verlass mich nicht noch mal.«
»Mom«, sagte er mit einem Lächeln, »ich werde dich nicht wieder verlassen, nicht so. Aber ich kann besser helfen und mehr Informationen sammeln, wenn wir mein Geheimnis noch etwas länger bewahren. Da ist noch jemand, dem ich mich zeigen muss. Wie lange ich ein Reisender bleiben darf, weiß ich nicht, denn wir alle teilen diese Erfahrung, sogar jetzt, in diesem Moment. Aber eins weiß ich: Ich werde nicht dabei zusehen, wie die Enterprise untergeht.«
»Wie lange wirst du noch über deine Fähigkeiten verfügen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. »Ich weiß es nicht. Unser aller Gedanken müssen sich auf einen Punkt konzentrieren – wie durch eine Linse –, damit jeder einzelne Reisende in der Lage ist, durch Raum und Dimensionen zu reisen. Es ist, als wären wir zusammengeschaltet. Um die Wahrheit zu sagen, weiß ich gar nicht, ob ich ein Reisender bin … ein Mensch … oder beides.«
Da sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, nahm sie ihn liebevoll in den Arm. Ihr Sohn war nun ganz offenbar erwachsen und musste für sich selbst entscheiden, wie er dieses außerordentliche Geschenk einsetzte … und wann es an der Zeit war, es aufzugeben.
Natürlich war Wesley schon immer talentiert, ein Wunderkind. Aber wir beide wissen, dass das auch seine Schattenseiten hatte. Hat ihn jemals jemand einfach nur als Person wahrgenommen? Vermutlich nicht, dachte sie.
Sie vermutete, dass er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als wirklich ein Ensign Brewster zu sein. Nur ein Gesicht unter vielen, nicht das Ziel von Neid und Erwartungsdruck.
Schließlich ließ er von ihr ab und ging ein wenig auf Abstand. Einzig seine Hände lagen nun noch auf ihren zitternden Fingern. »Mom, du wirst mich wiedersehen … allerdings eher so.«
Staunend beobachtete sie, wie sich Wesley unter ihrem liebenden Blick in den nichtssagenden Ensign Brewster verwandelte. Als die Ärztin versuchte, sich sein neues Gesicht genauer anzusehen, verschwand er und sie fand sich allein in den von Stille erfüllten Gärten der Sternenflottenakademie wieder.
War das nur ein Traum?, fragte sie sich. Eine Halluzination? Beverly betete, dass es nicht so war, da sie derartige Zustände bereits zuvor erlebt hatte. Sie bemerkte etwas in ihrer Hand und öffnete die Finger. Auf ihrer Handfläche lag Wesleys Abzeichen aus seiner Zeit bei der Nova-Staffel. Die Ereignisse damals hätten fast seine Karriere ruiniert.
Er ist wirklich hier gewesen, dachte sie erleichtert und drückte das kleine Stück Stoff an ihr Herz.
Getarnt als Ensign Brewster stand der Reisende auf der Veranda eines eleganten Hauses im viktorianischen Stil, das sich im Bezirk Russian Hill befand. Er klingelte und wartete geduldig darauf, bis jemand öffnete. Commander Emery erschien – der telepathische Gehilfe des Medusen, Commodore Korgan, der die Anklage gegen Captain Picard geleitet hatte.
Wesley richtete sich auf und wartete gespannt, bis der große, hagere Mensch ihn ansah. »Ja, bitte?«, sagte Emery. »Was wollen Sie, Ensign?«
»Wissen Sie noch, wer ich bin, Sir? Ich bin Ensign Brewster.«
Ein Anflug von Erinnern blitzte in seinen Augen auf. »Ah, natürlich. Ich hatte angenommen, dass unsere Arbeit mit Ihnen und Admiral Nechayev beendet sei.«
»Das stimmt auch«, antwortete der Reisende. »Aber erinnern Sie sich nicht? Commodore Korgan hat mich zum Tee eingeladen. Ich musste damals ablehnen, bis die Anhörung abgeschlossen war. Nun bin ich bereit, die Einladung des Commodores anzunehmen.«
Emerys Augen verengten sich im Angesicht des niederrangigen Offiziers zu schmalen Schlitzen. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies ein guter Zeitpunkt ist. Der Commodore bereitet sich auf einen neuen Fall vor, der ab morgen verhandelt wird. In welcher Einheit dienen Sie? Ich lasse Ihnen eine Nachricht zukommen, sobald er mehr Zeit hat.«
»Fragen Sie ihn bitte«, bat der Ensign nachdrücklich. »Ich bin mir sicher, dass er mich so schnell wie möglich sehen möchte.«
»Einen Moment«, murmelte Emery und schloss die Tür. Der Reisende konnte erkennen, dass er einige Schritte den Flur hinunterging. Dort verharrte er und kommunizierte offenbar mit seinem Vorgesetzten. Nach einigen Sekunden öffnete er die Tür erneut und sah den Besucher mit deutlich mehr Respekt an.
»Sie hatten recht«, sagte Emery. »Commodore Korgan möchte Sie sofort empfangen. Er hat vorgeschlagen, dass ich eine Pause mache, solange Sie mit ihm den Tee einnehmen.« Er trat einen Schritt zurück und ließ den Ensign eintreten.
»Brewster« betrat bemüht demütig den Eingangsbereich. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Commander.«
»Werden Sie denn in der Lage sein, mit ihm zu kommunizieren?«, fragte Emery.
»Davon gehe ich aus. Es ist so ein schöner Nachmittag für einen Spaziergang.«
Emery wirkte pikiert. »Das stimmt wohl. Der Commodore befindet sich im letzten Raum auf der linken Seite. In einer Nische gibt es einen Replikator. Bedienen Sie sich bitte. Es versteht sich wohl von selbst, aber öffnen Sie nicht die Box von Commodore Korgan und sehen Sie ihn nicht direkt an. Sonst können Sie sich Captain Picard in der psychiatrischen Abteilung anschließen.«
Der Ensign biss sich angesichts dieser Anspielung auf die Zunge. Ihm war jedoch auch bewusst, dass diese Warnung notwendig und angemessen war, sogar bei einem Reisenden. »Danke, Commander.«
»Versuchen Sie bitte, ihn nicht zu überanstrengen«, sagte Emery sanft und verließ das Haus.
Der Reisende atmete tief durch und folgte dem langen Gang. Als er sich der letzten Tür auf der linken Seite näherte, spürte er eine äußerst starke Präsenz, die in seinen Geist einzudringen versuchte. Es fühlte sich jedoch nicht bedrohlich an. Vielmehr wirkte es wie ein abwartendes Starren, wie wenn jemand nicht sofort verstanden hatte, was man gerade gesagt hatte.
Er öffnete die Tür und betrat einen hellen Raum mit nur wenigen Möbelstücken. Es gab einen kleinen Esstisch und zwei Stühle. An einer Wand befand sich der erwähnte Nahrungsreplikator. Der Schutzcontainer des Medusen stand auf dem Tisch. Daneben lagen einige Padds und Dokumente. Das körperlose Wesen befand sich in seiner elektromagnetischen Box mit den vier tentakelartigen Armen, die im Moment allerdings bewegungslos herunterhingen.
Willkommen, Ensign Brewster. Bitte nehmen Sie eine Erfrischung mit mir ein.
»Danke«, antwortete er, auch wenn lautes Sprechen nicht notwendig war. Die Gedankenwellen des Medusen erreichten ihn ebenso klar wie die jedes Reisenden.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie habe warten lassen.«
Was für ein Wesen sind Sie?, kam die ungeduldige Antwort zurück. Sie sind kein Mensch … oder zumindest nicht nur.
»Richtig. Ich bin nicht nur ein Mensch. Ich bin ein Reisender. Haben Sie von uns gehört?«
Einige Lichter an der Box blinkten hocherfreut. Aber natürlich, lautete die Antwort. Sie haben gelernt, Raum und Zeit, Gedanken und Dimensionen zu manipulieren. Die meisten Humanoiden sind nicht in der Lage, Ihre wahre Natur zu erkennen.
»Wir sind Beobachter«, antwortete der Besucher, als er zum Replikator ging. »Computer, eine Cola mit Kohlensäure, kalt.«
»Cola, kalt«, antwortete die äußerst effiziente Computerstimme, als ein gekühltes Glas mit sprudelnder Limonade erschien.
Der junge Mann griff nach dem Glas und nahm einen Schluck. Er genoss das Prickeln in seiner Kehle.
»Köstlich«, sagte er. »Ich habe zu lange auf sterbenden Welten verbracht, ohne jemals etwas zu essen oder zu trinken zu sehen.«
Ich fühle eine große Traurigkeit in Ihnen, antwortete der Meduse. Sie haben das Universum erlebt, wie es wirklich ist. Warum haben Sie sich entschieden, der Anhörung zum Zwischenfall in Rashanar beizuwohnen?
»Ich habe einst unter Captain Picard gedient. Auf der Enterprise. Damals hieß ich noch Wesley Crusher. Dr. Beverly Crusher ist meine Mutter.« Er ging zurück zu dem kleinen Tisch und setzte sich seinem Gastgeber gegenüber.
Sie sind ein Mensch und ein Reisender, stellte der Meduse fest. Sie sind ein wahrlich einzigartiges Individuum. Und doch wünschen Sie, unerkannt zu bleiben.
»Zumindest vorerst«, stimmte Wesley zu. »Da Sie in der Lage waren, im Gerichtssaal meine Tarnung zu durchschauen, bin ich gekommen, um Ihnen etwas mitzuteilen. Captain Picard ist unschuldig. Was Data gesagt hat, entspricht der Wahrheit. Ein furchtbares Wesen geht in Rashanar um und ist für die Zerstörung der Juno, der Vuxhal und der Calypso verantwortlich. Es könnte sogar all das Chaos während des Dominion-Krieges ausgelöst haben.«
Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich einen unschuldigen Mann angeklagt habe? Beim Gesetz geht es nicht um absolute Unschuld oder Schuld, es geht um das, was vor Gericht bewiesen werden kann.
»Das ist mir bewusst«, antwortete Wesley und nahm noch einen Schluck seines Getränks. »Deshalb habe ich auch nichts gesagt, solange die Anhörung noch lief. Es wäre mir möglich gewesen, viel mehr beizutragen, um das Ergebnis zu verändern. Das habe ich nicht getan. Dem Gesetz wurde genüge getan und sowohl die Ontailianer als auch die Sternenflotte sind zufrieden. Nun geht es darum, Gerechtigkeit zu finden … die Wahrheit aufzudecken.«
Wie sollten wir das bewerkstelligen, Reisender?
»Sie und ich verfügen über Wahrnehmungen, auf die andere nicht zurückgreifen können«, antwortete Wesley. »Andere sehen nur, wir beobachten. Wir würden uns von der chaotischen Natur Rashanars nicht verwirren lassen. Wir sind uns beide zu jeder Zeit im Klaren darüber, wo wir uns befinden. Jemand muss zurückgehen und sich dieser Bedrohung stellen … entweder um sie zu zerstören oder Beweise für ihre Existenz mitzubringen.«
Ich denke, dass Sie auf Rache aus sind, nicht auf die Wahrheit, kam die prompte Antwort.
Wesley seufzte. Er konnte diesen Gedanken nicht vollständig von der Hand weisen. »Die Enterprise und ihre Besatzung haben bereits einen hohen Preis gezahlt«, antwortete er. »Von der Juno ganz zu schweigen. Alles, was ich will, ist, verhindern, dass es wieder passiert. Werden Sie mit mir nach Rashanar reisen, Commodore? Ihre Aussage könnte vieles bewegen.«
Nach einer kurzen, aber umso schmerzhafteren Stille, antwortete der Meduse:Wussten Sie, dass nur zwölf meiner Spezies in der Sternenflotte dienen? Alle außer mir sind Navigatoren auf Schiffen, die weite Reisen unternehmen. Sie haben sich einst gefragt, warum das so ist.
»Das habe ich«, gab der Reisende mit einem Lächeln zu. »Und ich habe das Gefühl, dass Sie es mir verraten werden.«
Der Container gab ein Summen von sich. Die Lichter blinkten, bevor Korgan seine Antwort gab.
Das Reisen mit Warpgeschwindigkeit macht mich krank. Auf meiner ersten Trainingsmission bei der Sternenflotte wäre ich fast gestorben. Seitdem habe ich nach einer Alternative gesucht, nach einer etwas ruhigeren Betätigung. Nun reise ich indirekt durch andere. Sie sehen also, dass wir Medusen nicht alle gleich sind. Ebenso wie Sie kein typischer Reisender oder ein typischer Mensch sind.
Geschlagen schlug sich Wesley auf die Knie und erhob sich. »Entschuldigen Sie die Störung, Commodore. Danke für Ihre Gastfreundschaft.«
Einen Gefallen werde ich Ihnen aber tun, sagte die Stimme in Wesleys Kopf. Der junge Mann drehte sich im Türrahmen um und blickte auf den mysteriösen Container, der freudig blinkte. Ich werde eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass die Ontailianer gelogen haben. Das sollte ausreichen, um die Ergebnisse der Anhörung insgeheim für nichtig zu erklären und dafür zu sorgen, dass Captain Picard entlassen wird.
»Sie wussten, dass sie gelogen haben?«
Genau wie Sie, mein lieber Reisender. Und doch haben auch Sie geschwiegen.
Wesley senkte den Kopf und hörte zu. Ich habe erst später herausgefunden, dass sie tatsächlich Wrackteile der Vuxhal gefunden haben, die sie jedoch bei der Anhörung nicht vorlegen wollten. Es waren Spurenelemente von Neptunium in der molekularen Struktur nachweisbar, die auf eine geringe Entfernung zu den Anomalien im Zentrum des Friedhofs hindeuteten. Da sie also keine Beweise erbringen konnten, mussten sie auf das Angebot von Admiral Nechayev eingehen. Aber so verhält es sich nun mal bei einem Vergleich. Jemand muss die Schuld auf sich nehmen, auch wenn sie in diesem Fall reduziert war.
Wesley Crusher nickte. Manchmal war es einfach klüger nachzugeben. »Auf Wiedersehen, Commodore Korgan«, sagte er. »Danke für Ihre Aufrichtigkeit.«
Passen Sie auf sich auf, junger Reisender. Und nehmen Sie dieses Abschiedsgeschenk an.
Der Meduse erfüllte Wesleys Kopf mit den erhabensten und glückseligsten Gedanken, die er sich vorstellen konnte – Geburtstagsfeiern, niedliche Welpen, Urlaube, Wiegenlieder. Plötzlich wurde er in seine Vergangenheit versetzt und von Glücksgefühlen überwältigt. Ich bin zu Hause! Das ist mein Zuhause! Wes begann zu pfeifen und hüpfte die Stufen vor dem Haus wie ein Zehnjähriger hinunter. Mit einem seligen Lächeln streifte er durch die Hügel seines wunderschönen San Franciscos.
Jean-Luc Picard saß auf nacktem rotem Felsen und blickte durch den Bogen, der in den zerklüfteten Stein gehauen worden war. Seine Behausung war etwa einhundert Meter unterhalb der Klippe in die Felswand gegraben worden. Unter ihm verbarg schwefelhaltiger Dunst einen trüben Fluss, der nur wenige Wochen im Jahr Wasser führte. Über ihm erstreckte sich eine heiße, verlassene Ebene. Sobald die Sonne ihn hier unten erreichte, würde ihn die Hitze des Tages wie ein Schlag treffen. Die bescheidene Bleibe war nicht mehr als eine Hütte. Es gab einige Tonschalen und andere Utensilien sowie einen Haufen Leinentücher, auf denen man liegen konnte. In einer Ecke stand ein großer Tonkrug, der wie das Horn eines Brujgar geformt war. In ihm konnte man Wasser aus der Quelle sammeln. Vulkanische Stämme hatten derartige Felshütten jahrtausendelang bewohnt, als sie noch gewalttätige Wilde gewesen waren. Die kleinen Kaninchenbauten in den Felsformationen konnten mit einfachen Mitteln verteidigt werden und blieben für einen Ort mitten in der vulkanischen Wüste verhältnismäßig kühl.
Einzig die zerschlissenen Dixon-Hill-Romane des Captains in einer Ecke der Behausung konnte man als Zugeständnis an eine modernere Zeit verstehen. Auch gab es Stifte und ein Notizbuch, das jedoch noch jungfräulich war. Nichts an seinen aktuellen Lebensumständen hätte er für die Nachwelt festhalten wollen. Er wünschte sich nur, endlich aus diesem furchtbaren Albtraum aufzuwachen und sein Leben zurückzubekommen.
Passend zu seinem Einsiedlerleben hatte Picard seinen Bart wachsen lassen. Er trug Trainingsbekleidung der Sternenflotte, die deutlich angenehmer war als die schweren vulkanischen Roben, die alle um ihn herum trugen. Menschen neigten stärker zum Schwitzen als Vulkanier und eine Dusche war nirgendwo in Sicht. Zumindest solange er nicht zu einem anderen Holodeckprogramm wechselte.
Jean-Luc hörte Schritte auf dem steinernen Weg vor seiner geöffneten Tür und freute sich schon auf einen Besucher. Er konnte seine Enttäuschung kaum verbergen, als er bemerkte, dass es sich nur um einen weiteren Holocharakter handelte, einen weise aussehenden Vulkanier, der immer langatmige Plattitüden herunterbetete und stets versuchte, den Captain in ein Gespräch zu verwickeln.
Der alte Vulkanier räusperte sich und sagte: »Nur Nixon konnte nach China gehen.«
»Das kenne ich schon«, murmelte Picard. »Ziehen Sie Ihres Weges.«
Der Vulkanier stand noch einige Sekunden da, als würde er erwarten, dass der Einsiedler seine Meinung ändern und anfangen würde zu reden. Picard dachte ernsthaft darüber nach, ihn anzubrüllen. Aber das hätte sich bestimmt nicht gut bei seiner nächsten Beurteilung gemacht, die vermutlich entscheidend sein würde. Wann auch immer sie anstehen würde. Es war an der Zeit, den Kessel vom Feuer zu nehmen und das Wasser zur Ruhe kommen zu lassen. Und dieser Kessel bin ich, dachte Picard.
»Die Chancen für Regen stehen gut heute Nachmittag«, bemerkte der alte Vulkanier und betrachtete den goldenen Himmel.
Picards Antwort bestand darin, dass er sich auf seine Decken legte und die schroffe Wand an der Rückseite seiner Hütte anstarrte. Counselor Colleen Cabot und ihre Assistenten sahen bestimmt durch die falsche Wand zu, sofern sie überhaupt noch Interesse an ihm hatten. Vermutlich war es seine eigene Schuld, dass er so viel allein war. Alle hatten inzwischen verstanden, dass er unter diesen Umständen keinen Wert auf Besuch von seiner Mannschaft legte. Alle respektierten seinen Wunsch … und hatten ihn damit zum Einsiedler gemacht.
Er hatte aufgehört, die Entwicklungen um Rashanar zu verfolgen, doch langsam vermisste er die tägliche Interaktion mit anderen. Die Sache war erledigt, zumindest für den Rest der Welt. Für ihn hatte sie jedoch zu einer nicht enden wollenden Peinlichkeit und einer Inhaftierung auf nicht absehbare Zeit geführt.
Ich muss einen Weg finden, damit klarzukommen, entschied er, sonst werde ich verrückt.
»Guten Morgen, Jean-Luc«, erklang eine freundliche Stimme von der Tür. Er dreht sich um und stellte fest, dass ihn der Vulkanier endlich allein gelassen hatte. Nun stand an seiner Stelle eine junge Frau mit einem hübschen Gesicht, deren blondes Haar sanft im Wind wehte. Wie üblich trug Counselor Colleen Cabot elegante Zivilkleidung. Nur zweimal hatte Picard sie in einer Sternenflottenuniform gesehen: während seiner Anhörung und bei der Gedenkfeier für die Besatzung der Juno. Sie machte sich ein paar Notizen auf einem Padd. Der Captain fühlte sich wie ein Zootier, das vom Wärter besucht wurde. Admiral Nechayev zufolge hatte Colleen Cabot ihm einen nicht unerheblichen Gefallen getan, indem sie seine psychologische Begutachtung in die Länge zog. Es fühlte sich allerdings nicht so an.
Der Counselor betrat die karge Hütte. »Wissen Sie, Jean-Luc, ich hatte immer gedacht, Sie würden irgendwann das vulkanische Programm wählen, wenn Sie nur lange genug auf sich gestellt wären.«
»Es fühlt sich am ehesten wie ein Gefängnis an«, entgegnete er.
»Wenn Sie das sagen«, gab sie mit einem belustigten Lächeln zurück. Sie musste sich ducken, um sich ihm weiter nähern zu können. »Wir bekommen viele Anfragen, aber die Liste der Besucher, die Sie empfangen wollen, ist sehr kurz. Sie müssen nicht so isoliert leben, zumindest nicht, solange die Enterprise hier ist.«
Picard richtete sich auf, überschlug die Beine und blickte seine »Wärterin« an. »Sie müssen sich um Reparaturen und Testflüge kümmern. Dann folgt eine neue Mission. Die Besatzung soll sich an Captain Riker gewöhnen und sich nicht zu sehr um mich kümmern.«
»Wie selbstlos von Ihnen«, sagte Cabot und nahm ihm gegenüber Platz.
»Mir geht es in erster Linie um das Wohl der Enterprise und ihrer Besatzung«, antwortete er. »Das war schon immer so.«
Der Counselor nickte. »Ich weiß. Wenn Sie nicht sicher gewesen wären, dass sich Ihr Schiff in Gefahr befunden hätte, wäre es nie zum Beschuss der Ontailianer gekommen.«
»Es waren keine Ontailianer«, beharrte der Captain und biss die Zähne zusammen. Es war eine ganze Menge Selbstdisziplin nötig, um sich zu entspannen und seiner Besucherin ein Lächeln zu schenken. »Sie sind vermutlich nicht hergekommen, um die Anhörung nachzuspielen, oder? Ich hoffe nicht. Es gibt für mich kaum etwas Schlimmeres, als Kämpfe zu führen, die ich bereits verloren habe.«
»Aber ist es nicht das, worum es in Rashanar geht?«, fragte sie. »Ein Kampf, der niemals endet.«
»Ja, das ist eine der Theorien. Dieses Doppelgängerschiff – oder vielleicht sogar mehrere davon – könnte erklären, warum die Föderation und das Dominion in Rashanar bis zum bitteren Ende gekämpft haben. Sie wussten nicht, wen oder was sie da wirklich vor sich hatten. Also sind alle auf ihren Posten gestorben. Aufzugeben war nie eine Option.«
Colleen Cabot sah nachdenklich aus. Dann fragte sie: »Aber haben die Jem’Hadar und die anderen Dominion-Schiffe nicht immer so gekämpft? Bis zum Tod?«
»Nein«, antwortete Picard. »Wenn ein Schiff der Jem’Hadar nicht mehr effektiv kämpfen kann, versuchen sie, das andere Schiff so schnell es geht zu entern. Die Cardassianer waren nie dafür bekannt, ohne Not zu sterben. Wenn es einen Weg gibt, zu entkommen und den Kampf zu einem anderen Zeitpunkt fortzusetzen, tun sie das. Das gilt aber natürlich nicht, wenn die gesamte Besatzung bewusstlos und das Schiff manövrierunfähig ist. Denken Sie darüber nach, Counselor. Wie kann es einen Kampf ohne Überlebende geben? Sie sind doch Psychologin. Sie wissen, dass der Überlebenswille einer der stärksten Instinkte ist.«
Cabot lehnte sich vor. »Ja, Jean-Luc. Und Sie sind nach Rashanar geflogen, um dieses Rätsel zu lösen. War es nicht so? Und Sie haben es gelöst. Sie waren erfolgreich.«
Picard runzelte die Stirn. Er konnte sich denken, wo diese Befragung hinführte. Er wusste inzwischen, Colleen Cabot tat nichts ohne Hintergedanken.
»Ich habe mir das Doppelgängerschiff nicht ausgedacht, um die Geschichte abzuschließen«, sagte er nachdrücklich. »Data und La Forge hatten bestimmt nicht erwartet, auf zwei identische Schiffe zu treffen. Dennoch ist genau das passiert.«
»Sie verstehen mich falsch, Jean-Luc«, entgegnete Cabot enttäuscht. »Das Doppelgängerschiff ist nicht nur die Grundlage Ihrer Verteidigung, auch Ihre geistige Gesundheit und Ihr Selbstvertrauen stützen sich darauf. Solange Sie unerbittlich dabeibleiben, dass es dieses Schiff gibt, wird sich jeder – mich eingeschlossen – für Sie und Ihren Fall interessieren.«
Er musste lachen. »Sie wollen also sagen, dass ich entweder im Recht oder verrückt bin und dass es Sie eigentlich nicht interessiert.«
»Doch, es interessiert mich sogar sehr«, sagte Cabot ernst. »Und Sie sollte das auch interessieren, wenn Sie hier rauswollen.«
»Aber wie können Sie darüber befinden, ob ich im Recht oder verrückt bin?«, fragte der Captain. »Es sei denn, Sie fliegen nach Rashanar und sehen nach. Für mich und meine Mannschaft war Datas Wort immer ausreichend. Für das Tribunal war es das nicht. Ich kann Ihnen aber leider nichts anderes bieten.«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern, erhob sich langsam und klopfte sich den falschen roten Staub von der Hose. »Wenn Data ein Mensch wäre, könnten wir Hypnose einsetzen oder eine Gedankenverschmelzung vornehmen lassen. Wir hätten andere Optionen, um seine Geschichte zu bestätigen. Aber er ist kein Mensch und niemand sonst hat diese Transformation direkt mit angesehen. Sie sind überzeugt, aber auch Sie haben sie nicht selbst gesehen. Vermutlich haben Sie recht, Jean-Luc. Die Sternenflotte muss zurück nach Rashanar.«
»Wenn wir diese Gefahr nicht stoppen, werden weitere Schiffe zerstört werden«, mahnte Picard grimmig.
Der Counselor seufzte auf dem Weg zur Tür. »Sie überschätzen meinen Einfluss. Was möchten Sie zum Abendessen, Jean-Luc? Etwas anderes als den gesunden vulkanischen Haferschleim?«
»Ich bleibe beim Haferschleim«, murmelte Picard und legte sich wieder auf die staubigen Decken. »Der passt zu meiner Stimmung.«
Counselor Cabot ging nachdenklich durch die Korridore des Flügels mit den Holosuiten. Es war ihr nicht möglich, ihre Aufgabe zu erfüllen, da Picard oder die anderen Beteiligten keine weiteren Informationen beisteuern konnten. Der Captain war so zurechnungsfähig wie jeder andere innerhalb der Sternenflotte. Ihn weiter hierzubehalten erschien ihr vollkommen sinnlos. Stattdessen sollte man ihn einfach aus dieser Einrichtung entlassen und die Sache vergessen. Die Ontailianer hatten die Erde verlassen und waren in ihre Region des Alls zurückgekehrt. Die Angelegenheit immer weiter in die Länge zu ziehen erschien unnötig … es sei denn, man versprach sich noch etwas davon.
Der junge Counselor war immer noch tief in Gedanken versunken, als sie ihr Büro betrat und sich ihrem unaufgeräumten Schreibtisch näherte. Eine Gestalt drehte sich in ihrem Sessel um und starrte sie an. Der Mann hatte eine beeindruckende Präsenz.
»Admiral Nakamura«, sagte sie und schnappte nach Luft. »Was machen Sie hier?«
»Ich dachte mir, dass es an der Zeit für ein Gespräch wäre«, antwortete der angesehene Offizier mit offensichtlicher Verärgerung. »Uns gehen die Optionen aus und wir müssen langsam eine Entscheidung treffen.«
Colleen warf ihr Padd achtlos auf den Tisch. »Ich komme nicht weiter. Er hat uns alles über das Doppelgängerschiff gesagt, was er weiß. Wenn Sie Picard nach Rashanar schicken, wird er versuchen, es zu zerstören.«
»Sie müssen doch Mittel und Wege haben, ihn zu beeinflussen«, bedrängte Nakamura sie. »Drogen, posthypnotische Suggestion – es muss einfach einen Weg geben, ihn dazu zu bringen, diese Waffe in seine Gewalt zu bringen, damit wir sie studieren können.«
Nakamuras gönnerhafte Haltung machte Cabot wütend. Die schnelle Beförderung, die man ihr angeboten hatte, interessierte sie inzwischen nicht mehr. »Warum schicken Sie keine Forschungsmission los?«, fragte sie. »Eine ganze Taskforce, die nur dort hinfliegt, um die Waffe zu studieren und zu sichern … oder was auch immer Sie mit ihr vorhaben.«
»Ausgeschlossen. Die Ontailianer sind zu empfindlich. Vergessen Sie nicht, dass sie Rashanar kontrollieren. Unsere einzige Chance besteht in einer verdeckten Mission. Meine Abteilung hat alles über Dominion-Technologie zusammengetragen und studiert. Ein formwandelndes Raumschiff wäre ein Hauptgewinn!«
In Cabot brodelte es angesichts dieser ganzen unfairen Situation. Allerdings hatte sie noch ein Ass im Ärmel – Jean-Luc Picard. Er stand unter ihrer Kontrolle, bis sie entschied, ihn gehen zu lassen. Allerdings galt ihr erster Gedanke momentan nicht dem Captain.
»Ich habe da etwas gehört«, begann sie und versuchte, ihre Besorgnis zu verbergen. »Stimmt es, dass Beverly Crusher bald die medizinische Abteilung der Sternenflotte übernehmen könnte?«
Der Admiral zuckte mit seinen breiten Schultern. »Das ist nur ein Gerücht. Wann immer Dr. Crusher für ein paar Tage in der Stadt ist, hört man Geschichten wie diese.«
»Sie ist kein großer Fan von mir, seit sie gesehen hat, wie ich Picard behandelt habe. Sollte das also wirklich passieren, gibt es für mich keine Zukunft in der Sternenflotte, ganz gleich welche Strippen Sie ziehen.«
Nakamura zog seine Uniform glatt und starrte sie direkt an. »Vergessen Sie Crusher und konzentrieren Sie sich lieber auf Ihre Aufgabe.« Er hielt inne, als ihm offenbar eine Idee kam. »Data! Er müsste zugänglicher sein als Picard. Und es besteht die Möglichkeit, ihn zu programmieren. Er hatte in letzter Zeit zweimal Fehlfunktionen – einmal in Rashanar und einmal auf dem Planeten der Ba’ku. Eine Neuprogrammierung wäre also angebracht.«
Der imposante Admiral erhob sich hinter Cabots Schreibtisch und kam auf sie zu. »Sorgen Sie dafür, dass der Captain zufrieden ist. Aber nicht zu zufrieden, damit er glücklich ist, hier rauszukommen, wenn die Zeit reif ist. Ich bin mir sicher, dass Sie das ohne Probleme bewerkstelligen können.«
Sie zuckte zusammen, als Nakamura an ihr vorbeiging. Colleen hatte mittlerweile jegliche Sympathie für ihren wichtigsten Gönner verloren. Ihr war zwar immer bewusst gewesen, dass seine Unterstützung einen hohen Preis hatte, aber inzwischen war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie nicht auf diese Weise in der Sternenflotte Karriere machen wollte. Dennoch sollte man Nakamura genauso wenig wie Beverly Crusher in die Quere kommen.
So oder so, ich bin erledigt, dachte sie bei sich.
Auf der Brücke der Enterprise spähte der amtierende Captain William Riker über die Schulter von Geordi La Forge und beobachtete die verschiedenen Anzeigen, die über dessen Konsole liefen. Nach den Reparaturen im Raumdock der Erde war dies ihre erste Reise mit Warpgeschwindigkeit. Riker wollte, dass der Testflug ein Erfolg wurde. Allerdings durfte er auch nicht zu erfolgreich werden. Ansonsten würden sie zu schnell zu ihrer neuen Mission aufbrechen … und Captain Picard und Data zurücklassen müssen.
»Der Deuteriumschlamm reichert sich zu schnell an«, sagte Riker. »Was denken Sie, Geordi?«
»Wie bitte?« Der Ingenieur sah seinen Captain mit seinen Okularimplantaten an, als wäre er Lichtjahre weit weg gewesen.
Riker ignorierte den Lapsus. »Der Deuteriumschlamm erscheint mir zu gesättigt. Das könnte darauf hindeuten, dass der Materiereaktionsinjektor ausgetauscht werden muss, was wiederum mindestens einen weiteren Tag im Raumdock bedeutet, oder sehe ich das falsch?«
La Forge musste lächeln. »Definitiv, Sir. Der Injektor scheint ein Problem zu sein. Wir sollten ihn auseinandernehmen und abwarten, was wir finden.« Erneut huschte ein düsterer Schatten über sein Gesicht, der nichts mit der Effizienz des Warpantriebs zu tun hatte.
»Ich bin sicher, Data geht es gut.«
»Warum musste er noch mal dortbleiben?«, fragte La Forge. »Sie haben ihm den Emotionschip weggenommen und ihn dann durch alle möglichen Tests und Diagnosen gejagt. Mit ihm ist alles in Ordnung. Und trotzdem müssen sie das alles jetzt noch mal machen? Ich verstehe es einfach nicht.«
Riker hielt einen Moment inne und suchte nach den richtigen Worten, um Datas bestem Freund zu antworten. »Geordi«, sagte er langsam, »nicht jeder kennt Data so gut wie wir. Für uns ist er ein loyaler Freund und Kollege. Für sie ist er eine exotische Lebensform, ein wandelnder Computer, oder im schlechtesten Fall … nur eine Maschine. Die Sternenflotte bemüht sich nur, Antworten auf das zu finden, was in Rashanar geschehen ist.«
»Dann suchen sie aber an der falschen Stelle«, hielt La Forge dagegen. »Data wurde nicht mal angeklagt. Er kann nicht lügen. Wenn ich nicht blind wäre, hätte das Tribunal meine Aussage über die Ereignisse akzeptiert.«
»Data hat aber mehr als Sie gesehen«, entgegnete Riker und schüttelte frustriert den Kopf. »Hören Sie zu. Ich kann nicht ändern, was passiert ist. Wir müssen es hinter uns lassen und unseren Job erledigen. In Ihrer Freizeit können Sie grübeln so viel Sie wollen. Im Dienst möchte ich, dass Sie das hinter sich lassen.«
Der Ingenieur verzog das Gesicht und stand auf. »Captain, ich beantrage eine Freistellung. Ich möchte Captain Picard und Data unterstützen.«
Die Worte trafen Riker wie ein Schlag in die Magengrube. Er hätte alles, was er gerade gesagt hatte, am liebsten sofort zurückgenommen. Es stand außer Frage, dass jeder von ihnen sich in jeder Minute des Tages, Dienst hin oder her, Sorgen um Picard und Data machte. So zu tun, als wäre das nicht so, wäre sinnlos. La Forge stand mit versteinerter Miene vor ihm und wirkte fest entschlossen. Dabei war er bestimmt nicht der Typ, der einfach vor seiner Verantwortung davonlief.
Als er Rikers erstaunte Reaktion bemerkte, entspannte er sich etwas. »Mir ist klar, dass Sie sich um die Enterprise kümmern müssen. Sie bleiben also hier«, sagte er. »Aber mal sehen, ob ich vielleicht etwas bewirken kann.«
Riker spürte eine sanfte Hand auf seinem Rücken und sah, wie sich eine zweite auf La Forges Schulter legte. In dem festen Glauben, Deanna vorzufinden, drehte er sich um. Es war jedoch Dr. Crusher. Im Gegensatz zu ihnen beiden lächelte sie zufrieden und selbstsicher.
»Denken Sie noch mal drüber nach«, mahnte sie mit leiser Stimme. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir Hilfe aus einer unerwarteten Richtung erhalten. Mir ist bewusst, wie schwer es ist, ruhig zu bleiben, gerade wenn man sich so hilflos fühlt. Captain Picard und Data haben aber noch andere Verbündete als uns. Wenn Sie sich einmischen, werden Sie nur verschlossene Türen einrennen. Geduld ist jetzt das Wichtigste. Und wir müssen als Mannschaft geschlossen und bereit sein.«
»Bereit wofür?«, fragte La Forge und klang dabei in keiner Weise überzeugt. »Den Asteroidengürtel des Jupiters zu untersuchen? Das ist eine Mission für Kadetten im dritten Jahr. Ich kann nicht länger rumstehen und darauf warten, dass die Sternenflotte wieder zu Verstand kommt.«
»Wollen Sie den Captain etwa aus dem gesicherten psychiatrischen Flügel befreien?«, konterte Crusher. »Stürmen Sie danach ins Ingenieurkorps und retten Data? Wenn wir nach Rashanar zurückkehren, brauchen wir den Segen der Sternenflotte und nicht noch mehr Besatzungsmitglieder, die hinter Schloss und Riegel sitzen.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Riker einen Brückenoffizier, der ihnen ein wenig zu nah gekommen war. So nah, dass er ihre Unterhaltung möglicherweise hören konnte. »Zurück auf Ihren Posten, Ensign«, blaffte er den jungen Mann an, dessen Gesicht er nicht zuordnen konnte.
Beverly Crusher lächelte erneut sanft. »Machen Sie sich keine Sorgen, Will. Nichts wird diese Brücke verlassen. Wir stecken alle zusammen in dieser Sache.«
»Das wird nicht einfach«, sagte der amtierende Captain. »Im Offiziersclub habe ich mitbekommen, wie hinter unserem Rücken getuschelt wird. Immer wieder werden dort die Anschuldigungen gegen den Captain wiederholt. Sie sagen, er würde irgendwann schon einknicken. Wenn Sie mich fragen, ist es einigen in der Sternenflotte ganz recht, dass die Enterprise ein wenig zurechtgestutzt wurde.«
»Solches Gerede ist doch ganz normal«, erwiderte Crusher. »Unser Ruf wird das schon überstehen. Bitte, Geordi, halten Sie noch ein bisschen durch. Warten wir ab, was eine weitere Woche bringt. Ein guter Freund wird Picard und Data für uns im Auge behalten.«
Der verärgerte Ingenieur knirschte mit den Zähnen, nahm wieder Platz und studierte die Daten des Warpantriebs. Riker seufzte leise und dankte Crusher wortlos für ihre Unterstützung. Insgeheim wünschte er sich, er wäre auch nur halb so überzeugt wie sie, dass die Sache gut ausgehen würde. Denn selbst wenn sie recht behielt, würde es eine lange Zeit dauern, bis sie ihren Ruf wiederhergestellt hätten. Crusher verließ ihn und wechselte ein paar Worte mit dem unscheinbaren Ensign, der ihm zuvor aufgefallen war. Riker war plötzlich sehr dankbar für das besonnene Auftreten der Ärztin. Da sie Picard näherstand als jeder andere auf dem Schiff, hatte ihre Gelassenheit eine große Wirkung auf die anderen.
»Steuermann«, sagte er, »setzen Sie Kurs zurück zur Erde, Warp zwei.«
Schritte hallten über den makellosen Laborboden des Ingenieurkorps. Alle Unterhaltungen verstummten, als eine vertraute Stimme sagte: »Hallo, Commander Data.«
Der Androide lag auf einem Untersuchungstisch und drehte seinen Kopf. Admiral Nakamura blickte auf ihn herunter. Er trug einen Laborkittel und zog sich gerade Handschuhe an, als wollte er sich an die Arbeit machen.
»Hallo, Admiral Nakamura«, antwortete Data. Er war insgeheim froh, nicht länger den Emotionschip zu besitzen. Ansonsten hätte Nakamuras Präsenz ihn bestimmt mit einer gewissen Angst erfüllt. »Hat Ihr Besuch etwas mit der Anhörung zu tun?«, wollte er wissen.
»Selbstverständlich«, entgegnete der Admiral. »Wir hatten inzwischen auch Gelegenheit, uns Ihren Emotionschip genauer anzusehen. Wir glauben, dass der Anschluss an Ihrem neuralen Netz auch für andere Zwecke genutzt werden kann.«
Data dachte kurz über die Möglichkeit nach und sagte dann: »Es ist richtig, dass theoretisch auch andere Verbesserungen über diesen Anschluss vorgenommen werden können. Allerdings bezweifele ich, dass jemand anders als mein Schöpfer, Dr. Soong, verlässlich dazu in der Lage wäre, so ein Programm zu erstellen.«
Nakamura lächelte. »Ich sehe schon, Sie haben einfach kein Vertrauen ins Ingenieurkorps. Dabei wurden hier bereits unzählige ungewöhnliche Geräte entwickelt. Man ist überzeugt, dass uns das auch basierend auf Ihrem Emotionschip gelingen kann. Wir haben einen Testchip entwickelt, den wir gern anschließen möchten. Er hat keine Funktion. Wir möchten aber sehen, ob wir alles richtig verdrahtet haben. Sie werden nichts bemerken. Er ist, wie bereits gesagt, funktionslos.«
»Ich würde davon lieber absehen«, sagte Data entwaffnend ehrlich. »Dieser Anschluss ist nicht für die Nutzung mit wechselnden Geräten konzipiert.«
Die Fröhlichkeit des Admirals verschwand von einer Sekunde auf die andere. »Bedenken Sie, dass wir immer noch versuchen herauszufinden, ob der Emotionschip Ihr Urteilsvermögen in Rashanar beeinflusst hat. Es handelt sich also um einen Befehl.«
Data nickte nachdenklich. »In diesem Fall kann ich Sie nicht davon abhalten, Admiral. Fahren Sie fort.«
»Sehr gut.« Nakamura wandte sich an den Leiter des Labors, einen Bolianer namens Moroz: »Geben Sie mir den neuen Chip.«
Der Bolianer sah ihn verdutzt an. Er zögerte, bevor er antwortete: »Wir haben ihn Ihrem Assistenten übergeben. Erst vor ein paar Minuten.«
»Meinem Assistenten? Ich habe niemanden hergeschickt. Wo ist dieser Mann?«
»Er war gerade noch hier.« Commander Moroz sah sich um und blickte seine Kollegen erwartungsvoll an.
»Er stand dort drüben«, sagte einer und deutete in eine Ecke. »Ein schmächtiger Mann, ein Lieutenant.«
»Ich dachte, er wäre ein Commander«, sagte ein anderer. »Stämmig und älter.«
»Stämmig?«, mischte sich ein Dritter ein. »Er war Andorianer, die sind nie stämmig.«
»Andorianer? Nein, er war ein Mensch.«
Getuschel brach unter den versammelten Technikern aus. Allerdings konnten sie sich auf kein einziges Detail einigen.
»Sie haben den Chip einfach irgendjemandem gegeben?«, polterte der Admiral. »Irgendjemandem, der einfach hier reingekommen ist? Und Sie wissen nicht mal, wer er war?«
Data beobachtete den tobenden Mann, der drohend seine Fäuste in Richtung der Ingenieure erhob.
Der Admiral stampfte im Labor auf und ab und gestikulierte wild vor sich hin. »Es handelt sich um einen Prototyp! Ich kann nicht einfach nach nebenan gehen und mir einen neuen holen. Das ist doch Irrsinn!«
»Darf ich dann gehen?«, fragte Data, der sich aufsetzte und seine Beine über die Kante schwang. »Ich muss mich um meine Pflichten auf der Enterprise