Stone Beasts: Alle Bände der spannend-romantischen Gargoyle-Trilogie in einer E-Box! - Raywen White - E-Book

Stone Beasts: Alle Bände der spannend-romantischen Gargoyle-Trilogie in einer E-Box! E-Book

Raywen White

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Beschreibung

»Du hast dich nicht ohne Grund vor mir gefürchtet. In mir schlummert ein Monster.« Als Phee in den Gassen Prags von einer dämonischen Kreatur angefallen wird, ahnt sie nicht, dass dieser Augenblick ihr ganzes Leben verändern wird. Im letzten Moment gelingt ihr die Flucht, und zu ihrer Sicherheit wird sie von einem Kommissar an ein geheimes Internat gebracht. Dort erfährt Phee das Unfassbare: Sie besitzt magisches Blut. Aber nicht nur das, ihr vermeintlicher Angreifer ist ein Gargoyle, der sie in Wirklichkeit vor einem Vampir gerettet hat. Und obwohl sie sich vor ihm fürchtet, soll er zukünftig ihr Beschützer sein. Je näher Phee dem verschlossenen Wächter kommt, desto deutlicher erkennt sie, dass viel mehr in ihm steckt als das Monster, für das sie ihn anfangs gehalten hat. Stattdessen drohen ihr Gefahren aus einer Richtung, mit der Phee gar nicht gerechnet hat … Begeisterte Leser*innen:  »Wooooow ..... Was für eine Geschichte. Ich mochte gar nicht aufhören.« »Ich bin begeistert von dem bildhaften Auftakt.« »Ich war sofort gefesselt.« »Seit dem Lesen steht Prag als Reiseziel ganz oben auf meiner Liste.« »Ich muss unbedingt wissen, wie es weiter geht!« Kannst du sein steinernes Herz erweichen? //Die E-Box enhält folgende Romane:  -- Stone Beasts 1: Dämmerglanz -- Stone Beasts 2: Nachtglühen -- Stone Beasts 3: Morgenleuchten Diese Reihe ist abgeschlossen.//

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH, Völckersstraße 14-20, 22765 Hamburg © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2023 Text © Raywen White, 2022, 2023 Lektorat: Carolin Diefenbach Coverbild: shutterstock.com / © OlenaN / © Klavdiya Krinichnaya / © vovan / © Triff / freepik.com / © nattha99 / © kues1 / © kjpargeter / © keng_1980 / © PurnamaPurmoon / © rawpixel / © user4932979 Covergestaltung der Einzelbände: M. D. Hirt ISBN 978-3-646-60924-0www.impressbooks.de

© privat

Raywen White lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Raum Frankfurt am Main. Erst 2014 entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Schreiben und erzählt nun Geschichten, in denen Liebe und Magie der Fantasie keine Grenzen setzen. Jedoch haben in ihrem Leben Bücher schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Es gibt nichts Schöneres, als in eine Geschichte einzutauchen und den Alltag vergessen zu können. Dieses Gefühl möchte sie auch ihren Lesern ermöglichen.

Wohin soll es gehen?

Stone Beasts 1: Dämmerglanz

Stone Beasts 2: Nachtglühen

Stone Beasts 3: Morgenleuchten

Vita

Raywen White

Stone Beasts 1: Dämmerglanz

»Du hast Angst vor mir. Dein Herz rast.«

Als Phee in den Gassen Prags von einer dämonischen Kreatur angefallen wird, ahnt sie nicht, dass dieser Augenblick ihr ganzes Leben verändern wird. Im letzten Moment gelingt ihr die Flucht, und zu ihrer Sicherheit wird sie von einem Kommissar an ein geheimes Internat gebracht. Dort erfährt Phee das Unfassbare: Sie besitzt magisches Blut. Aber nicht nur das, ihr vermeintlicher Angreifer ist ein Gargoyle, der sie in Wirklichkeit vor einem Vampir gerettet hat. Und obwohl sie sich vor ihm fürchtet, soll er zukünftig ihr Beschützer sein. Je näher Phee dem verschlossenen Wächter kommt, desto deutlicher erkennt sie, dass viel mehr in ihm steckt als das Monster, für das sie ihn anfangs gehalten hat. Stattdessen drohen ihr Gefahren aus einer Richtung, mit der Phee gar nicht gerechnet hat …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Danksagung

1

Schon seit fünf Minuten starrte er auf eine Gruppe junger Leute, die vor einem Kino standen, lachten und sich mit ausladenden Gesten unterhielten. Die Reklametafeln des Gebäudes sowie das einer Fastfoodkette warfen ein farbiges Spiel aus Licht und Schatten auf ihre Gesichter.

Von seinem Versteck hoch über den Dächern Prags aus konnte er nicht verstehen, was sie sich erzählten. Die Stadt wirkte trotz der späten Stunde wie ein geschäftiger Bienenschwarm. Das Dröhnen der Fahrzeuge hallte in den Straßenschluchten wider, murmelnde Menschenmassen drängten sich über die Bürgersteige auf dem Weg zu ihren Vergnügungen. Nichts ahnend, welche Schrecken sich mitten unter ihnen bewegten.

Normalerweise interessierte sich Damian nicht für Menschen. Warum die Gruppe, bestehend aus zwei Männern und drei Frauen, seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war ihm ein Rätsel, dennoch konnte er seinen Blick nicht abwenden. Vor allem nicht von der jungen Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand. Ihr blondes Haar trug sie in einem lockeren Knoten, aus dem sich einzelne Strähnen stahlen und die zarte Linie ihres Halses umspielten. Ein blutrotes Kleid schmiegte sich eng an ihren Oberkörper und fiel in weichen Bahnen bis zur Mitte ihrer Schenkel, wo es einen Blick auf schlanke, lange Beine in schwarzen Strumpfhosen gewährte.

Der Mann, der bisher dicht neben ihr gestanden hatte, legte plötzlich seine Hand auf ihren Rücken und Damians Instinkt schlug Alarm. Seine Muskeln spannten sich kampfbereit an. Irgendetwas missfiel ihm. Er verstand nur nicht was.

Die junge Frau drehte den Kopf in die Richtung ihres Begleiters und zum ersten Mal konnte Damian ihr Profil sehen. Hohe Wangenknochen. Große, mit dunklem Makeup betonte Augen, deren Farbe er aus dieser Entfernung nicht ausmachen konnte, da sich das bunte Licht der Reklametafeln in ihnen spiegelte. Eine kleine Stupsnase und sanft geschwungene Lippen, die überrascht einen Spalt offenstanden.

Offenbar gefiel ihr die Annährung genauso wenig wie ihm, denn sie trat einen Schritt zur Seite, was die Hand des Typen jedoch nur ein Stück tiefer rutschen ließ, genau auf ihren Po.

Erbost stieß Damian den angehaltenen Atem aus und ein tiefes Knurren entrang sich seiner Kehle. Seine Klauen gruben sich geräuschvoll in die Ziegel des Daches, auf dem er hockte.

»Damian? Hast du etwas entdeckt?«

Pavels Frage ließ ihn zu den drei Nocs zurückblicken, die sie nun schon seit Einbruch der Nacht jagten. Sie standen unweit der Gruppe von Menschen, die er beobachtet hatte, und unterschieden sich rein äußerlich kaum von ihnen. Eine nächtliche Brise trug ihre Witterung zu ihm.

Er schüttelte verneinend den Kopf. Es gab weiterhin keine Hinweise auf den Grund ihrer Anwesenheit oder was ihre nächsten Schritte sein würden.

Allerdings lag auch etwas anderes in der Luft, das er nicht einordnen konnte. Nichts Bedrohliches. Es erinnerte an den Geruch der aufgehenden Sonne im Frühling. An die Wärme des herannahenden Morgens, wenn der Frost noch kühl auf den sprießenden Trieben lag. Dabei war es Ende Oktober und noch nicht einmal Mitternacht. Wie eine Motte zum Licht wanderte sein Blick zurück zu ihr. Auch wenn er wusste, dass es ein Fehler war und er sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren sollte.

Sie hakte sich bei einer Brünetten ein, die sie um einen Kopf überragte. Lachend verabschiedeten sich die beiden Frauen und schlenderten in Richtung der Moldau davon. Ein unangenehmes Ziehen machte sich in seiner Brust breit.

»Damian, du übernimmst den, der hinkt. Tomek, du den Großen«, befahl Pavel plötzlich. Die Nocs hatten sich ebenfalls in Bewegung gesetzt und teilten sich auf.

Damian nickte und konnte sich einen letzten Blick zu der jungen Frau nicht verkneifen. Zu seinem Bedauern war sie schon längst in der Masse verschwunden.

Es spielte keine Rolle. Er würde sie nie wiedersehen. Als letzter zog er sich von der Dachkante zurück, nahm Anlauf und sprang die drei Meter über die Straßenschlucht auf das nächste Gebäude. Er musste nicht mal seine Schwingen benutzen. Ohne einen Ton zu verursachen, landete er auf dem Giebel und folgte dem Noc mit sicherem Abstand.

Als sein Opfer irgendwann in einer dunklen Seitengasse verschwand und mit den Schatten verschmolz, begann Damian zu rennen. Nur Sekunden später glitt er ebenfalls in den Schutz der Dunkelheit.

Unrat türmte sich neben rostigen Müllcontainern. Eine einsame Straßenlampe flackerte in einiger Entfernung und schaffte es nicht, die Finsternis zu durchdringen. Dennoch konnte Damian alles problemlos erkennen. Von dem Noc war keine Spur zu sehen. Allerdings würde Damian seine Beute nicht entkommen lassen. Erwartungsvoll spreizte er seine Finger, an deren Spitzen Klauen scharf wie Rasierklingen saßen. Sollte der Noc ihn angreifen, in einem verzweifelten Versuch, sein Leben doch noch zu verlängern, würde er ihn schlicht zerfetzen.

Witternd sog er die Luft durch seine Nase. Ein fauliger Geruch vermischte sich mit dem des Noc und verdeckte ihn beinahe. Angewidert bleckte Damian seine Fänge und folgte der immer schwächer werdenden Spur durch einen finsteren Hinterhof, bis er wieder auf eine belebte Straße stieß und sich die ekligen Aromen verflüchtigten. Suchend sah er sich um, bis etwas Blutrotes in seinem Augenwinkel aufblitze. Die Farbe ihres Kleides. Sein Herzschlag beschleunigte sich wie vor einem Kampf.

Da. Sie war es tatsächlich. Stand mit ihrer Begleiterin an einer Ampel und wartete auf Grün, um die Straße überqueren zu können.

Nachdenklich legte Damian den Kopf schräg. Was war mit ihr? Warum reagierte er auf sie?

Es wurde Grün. Der Wind spielte mit dem Stoff ihres Kleides und ließ ihn um ihre Beine tanzen. Die klobigen Schnürstiefel an ihren Füßen gaben ihr etwas Kämpferisches.

Auf der anderen Straßenseite angekommen hüpfte sie lachend den Bordstein empor, als wäre er ein größeres Hindernis und nicht nur fünf Zentimeter hoch. Irritiert runzelte er die Stirn. Kurz darauf bogen die beiden Frauen in einen kleinen Park ein. Sobald sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren, hatte er das Gefühl, wieder frei atmen zu können.

Verwirrt sah er sich um. Weswegen war er noch mal hier?

Verdammt, der Noc. Pavel würde ihm eine gehörige Standpauke halten, weil er ihre Beute aus den Augen verloren hatte. Mit einem Fluch auf den Lippen wollte er sich abwenden, als er den Noc im Schatten der Mauer entdeckte, die den Park umgab. Dieser Mistkerl wusste genau, dass ihm ein Jäger auf der Spur war und er die Straße nicht ungesehen überqueren konnte.

Frustriert rannte er zurück in die Gasse, sprang aus dem Stand zwei Meter in die Höhe und grub seine Klauen knirschend in das verputzte Mauerwerk, an dem er sich bis zum Dachfirst hinaufarbeitete. Oben angekommen breitete er seine gewaltigen Schwingen aus, stieß sich kräftig ab und segelte einige Meter über die belebte Straße hinweg, bis er in einer der dichtbelaubten Baumkronen landete, die sich unter seinem Gewicht bog. Der Ast, auf dem er balancierte, knackte warnend. Schnell ließ er sich zu Boden gleiten und versuchte die Witterung des Nocs wieder aufzunehmen. Stattdessen nahm er erneut diesen frischen Frühlingsduft wahr, der ihm schon vor dem Kino aufgefallen war.

Sein Instinkt drängte ihn ihm zu folgen, doch er hatte eine Aufgabe. Lautlos huschte Damian durch die Nacht, vermied jeden Lichtkegel der Laternen, auf der Suche nach dem Noc.

Da! Er entdeckte sein Opfer, wie es humpelnd von Schatten zu Schatten schlich. Immer wieder blieb der Noc stehen, da etwas seine Aufmerksamkeit forderte, sodass es Damian ein Leichtes war, ihn einzuholen.

Eiskalt lief es ihm den Rücken runter, als er den blutroten Farbton eines Kleides im Schein der künstlichen Beleuchtung aufblitzen sah. Sie. Der Noc verfolgte sie.

***

»Hast du das gehört?« Unsicher sah sich Phee um, konnte aber nicht weiter als bis zum Rand des festgetretenen Kiesweges sehen, der sich durch den düsteren Park schlängelte. Von den farbenprächtigen Asternbeeten, an denen sie kurz vor der Dämmerung noch vorbeigekommen waren, war nichts mehr zu erkennen.

Caroline blieb stehen und lauschte in die Dunkelheit. »Ich hör nichts.«

Phee wurde ganz mulmig. »Lass uns schnell weiter«, bat sie und beschleunigte ihre Schritte.

Kichernd hakte sich Caroline bei ihr unter. »Hast du etwa Angst im Dunkeln?«

»Natürlich nicht«, erklärte Phee selbstsicher. Dennoch wäre es ihr lieber gewesen, wenn Milos, Caros aktuelle Flamme, sie begleitet hätte, statt sich noch mit einem Kumpel zu treffen. Auch wenn sie dadurch die Gelegenheit bekam, mit ihrer Freundin den Abend allein zu verbringen und mit ihr über ihre Probleme zu sprechen.

Ein leises Summen direkt in ihrer Nähe ließ sie erschrocken zusammenzucken.

»Meine Güte, bist du schreckhaft. Das ist nur mein Handy.« Kopfschüttelnd wühlte Caro in ihrer riesigen Handtasche nach dem Telefon. Sie wurde langsamer beim Lesen der Nachricht und blieb mit einem verschmitzten Grinsen stehen, das Phee nichts Gutes erahnen ließ.

»Anscheinend hast du bei Daniel Eindruck hinterlassen. Er fragt, ob du morgen Lust hast, mit ins Balis zu gehen. Das ist der angesagteste Club momentan.« Triumphierend hielt sie das Handy wie eine Trophäe in die Höhe.

Phee gab einen genervten Ton von sich. Sie hatte schon keine Lust zu diesem getarnten Doppeldate gehabt, bei dem alibimäßig die kleine Schwester von Milos mitgekommen war. Als ob sie nicht wüsste, was ihre Freundin in Wahrheit damit bezweckte. »Hör auf mich zu verkuppeln.«

»Nachdem du dich von Ben getrennt hast, dachte ich, du bist wieder offen für etwas Neues.«

»Das ist gerade mal drei Wochen her«, wütete Phee. »Außerdem hat dieser Arsch sich von mir getrennt.« Und es tat immer noch weh. Vor allem der Teil, bei dem er ihr gestanden hatte, dass er längst eine andere hatte. Sie war sich so dumm vorgekommen.

»Noch ein Grund mehr, jetzt Spaß zu haben.«

In diesem Moment erklangen das Knacken eines Astes und das Rascheln von Laub in ihrer Nähe. Phee erstarrte. Ein eisiges Schaudern lief ihr über den Rücken. Es kam ihr vor, als würde sie beobachtet.

War das ein Knurren hinter ihr gewesen? Schnell wandte sie sich um, doch in den düsteren Schatten konnte sie nichts erkennen.

Caro lachte. »Du siehst aus wie ein verschrecktes Huhn.«

»Wer weiß, was das ist«, flüsterte Phee.

»Hier gibt es wilde Hunde«, winkte Caro gelassen ab und zog Phee mit sich. »Da vorne ist außerdem schon der Ausgang.«

Erleichtert entdeckte Phee die roten Rücklichter der fahrenden Autos durch die Bäume.

»So, ich habe ihm zugesagt«, erklärte Caro in diesem Moment mit einem zufriedenen Lächeln und steckte ihr Handy weg.

»Was? Warum? Ich hab doch gerade noch gesagt, dass du mich nicht verkuppeln sollst!« Manchmal brachte Caro sie echt zur Weißglut.

»Entspann dich. Du hast Urlaub.«

Das war einfacher gesagt als getan. Ihr ganzer Körper stand unter Hochspannung. Allerdings hatte das auch andere Gründe. »Na ja, Urlaub würde ich das nicht nennen. Eher eine Flucht.« Nachdem ihr Arbeitgeber sie nach der Ausbildung nicht übernommen hatte, drängte ihre Mutter sie nun sich bei Hinz und Kunz zu bewerben. Außerdem lief sie die ganze Zeit mit diesem vorwurfsvollen Gesicht herum, als wäre das ihre Schuld – dabei hatte von Anfang an festgestanden, dass sie im Anschluss nicht übernommen werden konnte. Gut, sie hatte sich deswegen auch nicht wirklich angestrengt und ihre Noten ließen zu wünschen übrig, wie ihre Mutter ihr gern vorwarf. Wobei Phee ihr auch schon vorher nie etwas hatte recht machen können. Und dann war da noch Ben mit seiner neuen Tussi, denen sie dummerweise ständig über den Weg lief. Es war ihr einfach alles zu viel geworden.

»Du wirst schon noch etwas Neues finden.«

»Klar, bei uns im Kaff gibt es auch so viele Anwälte, die eine Rechtsanwaltsgehilfin brauchen«, erwiderte Phee sarkastisch. Seufzend dachte sie an all die Stunden, in denen sie immer wieder dieselbe stupide Arbeit erledigen musste. Wieder und wieder. Es war, als würde ihr die Luft abgeschnürt werden. »Eigentlich möchte ich das auch gar nicht mehr.«

»Was? Einen Job finden?« Caro blieb stehen und sah sie mit großen Augen an.

»Natürlich möchte ich einen neuen Job finden.« Immerhin war das ihre einzige Möglichkeit, endgültig von zu Hause wegzukommen. »Nur halt nicht als Rechtsanwaltsgehilfin.«

»Und was möchtest du dann machen?« Irritiert hob Caro eine Augenbraue.

Phee zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. »Keine Ahnung.« Im Endeffekt stand sie wieder an demselben Punkt wie vor ihrer Ausbildung, die sie nur ihrem Vater zuliebe absolviert hatte.

»Hol doch dein Abi nach und studiere, so wie ich«, schlug Caro vor.

Wie oft hatte Phee schon von ihrer Mutter hören müssen: Nimm dir ein Beispiel an Caroline. Sie ist so ein liebes Mädchen.

Dabei war Caro für die meisten Eskapaden verantwortlich, die ihre Mutter ihr vorwarf.

»Meine Mutter wäre begeistert«, murrte Phee. Allerdings hatte sie auch schon selbst darüber nachgedacht. Ihren Realschulabschluss hatte sie jedoch nur mit Ach und Krach geschafft. »Ich weiß nicht.« Sie stand vor einer Weggablung und konnte sich nicht entscheiden, welchen Pfad sie für ihre Zukunft einschlagen sollte. Es gab so viele Möglichkeiten, keine davon fühlte sich richtig an. Eher als würde eine Falle zuschnappen.

»Irgendetwas musst du aber machen«, bemerkte Caro. »Oder willst du dein Leben lang bei deinen Eltern und deiner Oma in dem alten, zugigen Bauernhaus wohnen, das bereits deinen Urururgroßeltern gehört hat?«

»Natürlich nicht!« Die Vorstellung war erschreckend, schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatte bereits darüber nachgedacht, nach Hamburg oder Berlin zuziehen. Nur brauchte sie dann auch einen Job, mit dem sie ihre Miete finanzieren konnte. Hauptsache nicht wieder so etwas Ödes wie ihre Ausbildung. Irgendetwas, das ihr genügend Freiräume gab.

Normalerweise war sie nicht so unentschlossen, sondern spontan und furchtlos. So wie nach dem letzten Streit mit ihrer Mutter. Sie hatte ihre Sachen gepackt und Caro vom Bahnhof angerufen, dass sie vorbeikommen würde.

Die schmerzliche Erinnerung, wie ihre Mutter ihr sagte, dass sie nur eine Last sei, blitzte auf. Schnell verdrängte Phee sie und kickte einen Kiesel in die Dunkelheit. »Vielleicht nehm ich mir ein Sabbatjahr und reise erst mal ein wenig«, murmelte sie nachdenklich.

»Und wovon willst du das bezahlen?« Caro war schon immer die praktisch Veranlagte von ihnen gewesen.

»Das weiß ich noch nicht. Die Idee ist mir gerade erst gekommen.« Wobei das nicht ganz stimmte. Sie hatte schon öfter mit dem Gedanken gespielt, ihn jedoch immer sofort verworfen. Außerdem hatte Ben sie für verrückt erklärt, allerdings konnte der sie nun kreuzweise. »Ich bin nicht die Erste, die das macht. Andere haben das doch auch geschafft.«

»Die hatten im Gegensatz zu dir einen Plan.« Sie schnaufte, dann fing sie an zu kichern. »Aber es passt zu dir. Du warst noch nie der Typ, der jeden Tag seine acht Stunden im Büro sitzen konnte. Ich habe eh nie verstanden, warum du ausgerechnet Rechtsanwaltsgehilfin werden wolltest.«

»Weil mein Vater mir die Ausbildungsstelle besorgt hat«, erinnerte Phee sie. Besser als weiterhin zu Hause herumzuhängen und von ihrer Mutter drangsaliert zu werden.

Mittlerweile hatten sie den Park verlassen und waren nur noch zwei Querstraßen von dem Haus entfernt, in dem Caro in einer WG wohnte.

Unsicher drehte sich Phee noch einmal um und warf einen Blick in die absolute Finsternis. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchten zwei leuchtende grüne Punkte auf, die wie die Augen eines nachtaktiven Tieres wirkten. Sie schienen sie direkt anzusehen, bevor sie verschwanden.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Schnell wandte sie sich ab.

2

Der Geruch von frischem Kaffee und das Klappern von Geschirr weckten Phee am nächsten Morgen. Wobei man schon von Mittag sprechen konnte. Ihr Kopf dröhnte und pochte. Ein pelzig-scharfer Geschmack ließ sie angewidert das Gesicht verziehen. Sie fühlte sich, als hätte sie zu viel gesoffen.

Na ja, hatte sie auch. Nachdem sie und Caro am gestrigen Abend nach dem Kino in die WG zurückgekehrt waren, hatten sie auf alte Zeiten und einer hoffentlich glorreichen Zukunft mit irgendeinem tschechischen Schnaps, dessen Namen sie nicht einmal aussprechen konnte, angestoßen.

Die Badezimmertür war abgeschlossen. Frustriert schlurfte Phee in die Küche. »Morgen. Warum hast du mich nicht geweckt?« Müde rieb sie sich über das zerknautschte Gesicht.

»Guten Morgen«, begrüßte Caro sie ekelhaft gutgelaunt. »Weil du dir eine Auszeit verdient und gestern viel zu viel getrunken hast.«

»Du hast genauso viel getrunken wie ich«, murrte Phee.

»Du bist halt aus der Übung.« Caro räumte ein paar bunte Plastikdosen aus dem Kühlschrank, deren Inhalt verdächtig nach Wurst und Käse aussah.

»Soll das auf den Tisch?«

Caro nickte und Phee stellte die Sachen auf den wackeligen Küchentisch, an dem bis zu zehn Leute Platz fanden. Die Altbauwohnung in der Innenstadt teilten sich insgesamt sechs Leute, von denen die meisten studierten. Gedeckt war für drei. Bis auf Milos war der Rest wahrscheinlich bereits ausgeflogen.

»Ist es wirklich okay, dass ich hier bin? Ich mein … müsstet ihr nicht eigentlich in die Uni?« Es war nicht das erste Mal, dass sie Caro das fragte, auch wenn sie so wie jetzt jedes Mal nur einen bösen Blick statt einer Antwort kassierte.

»Ich will diese Frage nicht mehr hören. Setz dich«, befahl Caroline und Phee ließ sich auf einen der bunt zusammengewürfelten Stühle fallen. Ihre Freundin goss ihr Kaffee in eine Tasse, auf der chemische Formeln abgebildet waren, und nahm ihr gegenüber Platz.

Die Spülung der Toilette erklang, dann das Klappen der Badezimmertür. Kurz darauf erschien Caros Mitbewohner und Lover oben ohne in der Tür. Netter Anblick. »Dobré ráno«, sagte er, was so viel wie Guten Morgen auf Tschechisch bedeutete.

»Morgen.« Gähnend stützte Phee ihren viel zu schweren Kopf mit der Hand ab.

Milos setzte sich neben Caro und zog sie auf seinen Schoß. Auf das Geknutsche der beiden hätte Phee verzichten können. »Nehmt euch ein Zimmer.«

»Du bist ja nur neidisch«, erklärte Caro und rutschte von Milos Schoss zurück auf ihren Stuhl.

»Gib es zu. Du hast mich gestern nur abgefüllt, damit ihr heute Nacht unanständige Dinge tun könnt, ohne dass ich was mitbekomme.«

»Wer weiß.« Caro zwinkerte ihr zu.

Der Vorteil an der Beziehung der beiden war, dass Caro Phee ihr Bett überließ und bei Milos übernachtete, sodass sie nicht auf dem Boden schlafen musste. Es gab nur ein Problem. »Eure Wände sind nicht gerade dick«, klärte Phee sie auf.

Während Caro rot anlief, lehnte sich Milos mit einem selbstzufriedenen Grinsen zurück. Zu Recht, musste Phee neidisch eingestehen. Er sah verdammt gut aus. Langes dunkelbraunes Haar, das er in einem Knoten zusammengebunden trug, und ein verwegener Dreitagebart schmückten sein schmales Gesicht und die Muskeln waren nicht von schlechten Eltern. Ein wenig erinnerte er an einen gutaussehenden Piraten. Ahrrr.

Das Toastbrot sprang geräuschvoll aus dem Toaster. Caro holte die vier Scheiben raus, legte sie in einen Brotkorb und tat direkt neue rein.

Als Caro sich und Milos je eine Scheibe auf den Teller legte, küsste dieser ihren Hals, woraufhin sie anfing zu kichern. Die beiden waren so ekelhaft frisch verliebt. Natürlich war sie neidisch. Wehmütig dachte sie an Ben. Die Zeit, als sie noch so herumgeturtelt hatten, schien ewig her zu sein.

»Woher ihr beiden kennt euch, Stephanie?«, fragte Milos mit schwerem tschechischem Akzent, bei dem S und K deutlicher hervortraten. Sehr sexy.

»Nenn mich Phee. Das tun alle.« Sie schnappte sich eine Scheibe Toastbrot und schmierte Butter darauf. »Wir kennen uns schon, seit ich denken kann. Unsere Mütter waren beste Freundinnen. Außerdem wohnten wir direkt nebeneinander.« Sie konnte wetten, dass Caro ihm das längst erzählt hatte, aber sie begrüßte seinen Versuch, Small Talk zu halten und Caro nicht länger vor ihren Augen abzuschlecken.

Nach dem Frühstück — oder eher Mittagessen — und einer ausgiebigen Dusche zogen sie los. Zum Glück spielte das Wetter mit, sodass sie ihren geplanten Sightseeingtrip durch Prag mit Milos als Reiseleiter nicht mit einem Regenschirm bewaffnet antreten mussten. Wenigstens einen Tag wollte Phee den typischen Touri geben.

Ihr erster Anlaufpunkt war Petrin. Mit einer alten Seilbahn, die schräg gebaut war und sich ächzend den steilen, bewaldeten Berg hochkämpfte, fuhren sie zu einem Aussichtsturm. Von dem Stahlkoloss, der dem Pariser Eifelturm ähnelte, hatte man eine großartige Sicht auf Prag.

»Der Wahnsinn. Caro, das musst du sehen!«, rief Phee und streckte die Arme in die Luft, die sofort von einer kühlen Brise umspielt wurden.

»Bist du verrückt?«, fragte ihre Freundin mit deutlicher Panik in der Stimme. Sie hatte sich nicht einmal einen Schritt weit auf die Aussichtplattform gewagt und klammerte sich an den Stahlträger wie an einen Rettungsring. »Wieso habe ich mich nur von euch dazu überreden lassen, hier hochzukommen?«

»Du halten dich an mir fest, Brouček«, ermutigte Milos sie, während Phee Caros Kampf mit der Höhenangst mit ihrem Handy filmte.

»Untersteh dich«, drohte Caro.

»Ihr seid so süß!« Phee ignorierte ihren Protest und hielt weiter drauf. »Was bedeutet eigentlich Bruscheck?«

»Brouček heißt Käferchen«, erklärte Milos.

»Käferchen?« Ob Milos wusste, dass Caro als Kleinkind ein Faible für Marienkäfer gehabt hatte, das so weit gegangen war, dass sie monatelang im Kindergarten nur ein rotschwarzes Kostüm getragen hatte?

Caro lief rot an, als Phee bei der Erinnerung losprustete. »Halt die Klappe. Los, ich will wieder runter«, jammerte sie und zeigte auf Milos, als dieser etwas erwidern wollte. »Das gilt auch für dich.«

Phee lachte und machte noch ein paar Selfies mit der Altstadt von Prag im Hintergrund, bevor sie den anderen nach unten folgte. Seit Langem hatte sie nicht mehr so frei durchatmen können.

»Wenn du das irgendwem zeigst, verrat ich deiner Mutter, wo du deine Tagebücher versteckst.« Die gesamte Fahrt zurück mit dem technischen Museumsstück versuchte Caro ihr das Handy abzunehmen und gab erst auf, als sie ausstiegen und Phee ihr versprochen hatte das Video wie einen Schatz zu hüten.

Sie überquerten die Moldau über eine breite, befahrene Straße, von der man die Karlsbrücke sehen konnte, und gingen in die Altstadt. Die engen, gepflasterten Straßen und hohen Gebäude mit den bunten Fassaden und den Verzierungen erinnerten Phee ein wenig an Leipzig, wo sie in der siebten auf Klassenfahrt gewesen war. Allerdings wirkte alles noch pompöser und verspielter. Pflichtbewusst besorgte Phee für ihre Mutter und Großmutter ein Souvenir von den vielen Ständen, die an den beliebtesten Touristenplätzen auf ihre Opfer warteten.

Am späten Nachmittag führte Milos sie in ein traditionelles Lokal. Der Geruch nach gebratenem Fleisch, Sauerkraut und Bier hing in der Luft.

Dankbar rutschte Phee auf die Bank und lehnte sich seufzend zurück. »Meine Füße bringen mich um.«

»Das heißt, wir gehen heute nicht ins Balis?«, fragte Milos und gab der Bedienung ein Zeichen.

»Quark. Natürlich gehen wir hin. Phee braucht nur eine kurze Pause und dann ist sie wieder topfit«, erklärte Caro im Brustton der Überzeugung.

»Offenbar kennst du meine Füße besser als ich«, bemerkte Phee spitz und vertiefte sich in die Menükarte, in der alle Speisen auf Deutsch standen.

»Was mechtet ihr trinken?«, fragte Milos.

Erst in diesem Moment fiel Phee die neben dem Tisch wartende Kellnerin auf. Bewaffnet mit einem Notizblock und Stift.

»Nimmst du auch ein Bier?«, fragte Caro.

»Seit wann trinkst du Bier?« Irritiert starrte Phee ihre Freundin an, die unschuldig mit den Schultern zuckte. Jedoch wanderte ihr Blick zu Milos, der sich mit der Bedienung auf Tschechisch unterhielt.

»Es schmeckt gar nicht mal so schlecht.«

»Ah ja.« Vielsagend zog Phee die Augenbraue hoch, bestellte sich dann aber auch ein Bier und als Hauptgericht Gulasch.

Die Sonne ging gerade unter, als sie das Lokal wieder verließen, und verwandelte das trübe Wasser der Moldau in flüssiges Gold. Sie schlenderten über die Karlsbrücke und versuchten den vielen Karikaturisten und Verkäufern auszuweichen, die ihre Waren feilboten. Die Prager Burg erhob sich leuchtend über den roten Dächern der Stadt und in der Nähe spielte ein Künstler Geige. Atmosphärisch. Tief atmete Phee die modrige Luft ein und stützte sich auf die Mauer, während ihr Blick über das Wasser glitt. Der Druck der letzten Zeit fiel Stück für Stück von ihr ab.

»Phee!«, rief Caroline, umarmte sie und richtete ihr Handy auf sie beide. Gemeinsam streckten sie der Kamera die Zunge raus.

Langsam senkte sich die Dunkelheit über die Stadt. Das Gedränge auf der Karlsbrücke wurde immer dichter. Die Touristen schoben sie weiter. Manchmal ärgerte sich Phee, dass sie nur eins fünfundsechzig maß. Als sie sich umblickte, konnte sie Caro oder Milos nicht entdecken.

Die Brücke schien kein Ende zu nehmen. Verdammt, wo waren die beiden?

Ein Kribbeln im Nacken ließ sie frösteln. Druck breitete sich in ihrer Brust aus und ihr Atem wurde flacher. Ihre Sinne warnten sie. Nervös sah sie sich um, ob jemand sie beobachtete.

Da. Sie war überzeugt Milos’ taubengraues T-Shirt im Augenwinkel gesehen zu haben und eilte erleichtert in die Richtung. Die Menschenmassen strebten immer weiter runter von der Brücke. Sie versuchte dem Strom zu entkommen. Die Gassen wurden schmaler und unheimlicher. Ein paar zwielichtige Typen unterbrachen ihre Unterhaltung, als sie sie bemerkten, und musterten sie aufmerksam. Einer von ihnen kam auf sie zu. Mittlerweile schlugen ihre Sinne lautstark Alarm. Phee eilte weiter, bis sie vollkommen allein war. Im Laufen drehte sie sich einmal um die Achse und entdeckte keine Menschenseele mehr. Ihre Schritte hallten von den Gebäuden wider.

Toll, jetzt hatte sie sich auch noch verirrt. Sie kramte nach ihrem Handy in der Hosentasche.

Ein Scheppern erklang. Knurren und Fauchen. Etwas raschelte in ihrer Nähe. Der gequälte Schrei eines Lebewesens ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ein dunkler Schatten huschte über ihre Füße. Mit einem Schrei sprang Phee zurück und ließ das Telefon fallen. Sie stieß gegen eine Mauer, an die sie sich schutzsuchend presste.

Plötzlich hüpfte etwas mit einem Kreischen zwischen zwei Mülltonnen hervor. Im fahlen Licht erkannte sie erst auf den zweiten Blick die braungetigerte Katze, die misstrauisch an ihr vorbeimarschierte.

Heilfroh fasste sie sich an die Brust und versuchte wieder zu Atem zu kommen. »Verdammt, hast du mich erschreckt.«

»Entschuldige, das war nicht meine Absicht.« Bei der leisen Stimme, die direkt neben ihr erklang, blieb ihr Herz stehen. Das dunkle Timbre gehörte eindeutig einem Mann.

Ihre Beine begannen zu zittern. Alles in ihr schrie Gefahr. Langsam drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren. In der Dunkelheit war nur schemenhaft eine Gestalt zu erkennen.

»Zeig dich!« Sie hatte auf Angst schon immer mit einer großen Klappe reagiert, was sie meistens jedoch nur in noch mehr Schwierigkeiten gebracht hatte.

»Ich rieche deine Furcht.« Seine Stimme besaß einen zufriedenen Unterton und verursachte Phee eine Gänsehaut.

»Na toll, soll das jetzt heißen, ich stinke, du Spinner?«

Er trat einen Schritt vor, blieb aber außerhalb des Lichtes. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen.

Ein weiteres Geräusch erklang in der Nähe. Schnelle Schritte. Jemand kam ihr zur Hilfe.

Als der Fremde sich mit einem Knurren von ihr abwandte, hätten ihre Beine fast vor Erleichterung nachgegeben.

Doch das Gefühl währte nur kurz. Jemand … etwas, das nur noch entfernt Ähnlichkeiten mit einem Menschen hatte, stürzte mit einem grässlichen Heulen auf sie zu. Klauen streckten sich ihr entgegen. In der dämonischen Fratze leuchteten die Augen in der Dunkelheit wie zwei glühende Kohlen. Scharfe Reißzähne blitzen im schwachen Laternenlicht weiß auf, als das Monster sein Maul gefräßig aufriss. Ihr Gehirn wollte nicht begreifen, was sie sah. In ihrem Kopf hallte ihr eigener Schrei, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.

Jemand rief etwas. Wahrscheinlich der Mann neben ihr, jedoch gingen seine Worte im Rauschen ihres eigenen Blutes unter. Sie konnte nicht mal unterscheiden, ob er sie auf Tschechisch oder Deutsch angesprochen hatte, geschweige denn was er gesagt hatte.

»Ich sagte, du sollst weglaufen!« Seine Stimme war nur noch ein undeutliches Knurren. Der Mann riss sie im letzten Moment zur Seite, bevor sich das dämonische Wesen auf sie stürzen konnte. Für einen flüchtigen Augenblick erhaschte sie einen Blick in sein Gesicht. Seine Augen schienen ebenfalls zu leuchten wie die einer Katze. Lange spitze Eckzähne lugten zwischen seinen Lippen hervor.

Wie aus weiter Ferne hörte sie abermals das Wort »Lauf«. Erst jetzt setzen sich ihre Füße in Bewegung. Sie rannte. Die Umgebung verschwamm zu diffusen Grautönen. Sie schürfte sich ihre Hände an dem rauen Mauerwerk auf, als sie, ohne langsamer zu werden, um die Ecke sprintete und dagegen prallte. Gehetzt sah sie pausenlos über ihre Schultern. Jede schattenhafte Gestalt wirkte verdächtig. Ihre Lungen brannten, ihr fliegender Puls dröhnte in den Ohren und übertönte jedes Geräusch.

Ihre Flucht wurde verlangsamt, als sie mit jemandem zusammenstieß. Sie wollte sich entschuldigen, aber ihr fehlte die Stimme. Ihre Muskeln protestierten vor Schmerzen und ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben. Schwer atmend stützte sie sich gegen eine Hauswand. Ihre Augen huschten panisch hin und her.

Die warme Beleuchtung tauchte ihre Umgebung in goldene Töne. Passanten schauten misstrauisch zu ihr. Ihr Gehirn war wie in Watte gepackt. Sie konnte kaum begreifen, was sie gesehen hatte. Das konnte nicht real gewesen sein.

Nur langsam drangen die Motorengeräusche der vorbeifahrenden Fahrzeuge zu ihr durch. Ein Lachen erklang in der Nähe und wirkte surreal. Stück für Stück formten sich Gedanken aus dem Chaos, das in ihrem Kopf herrschte.

Der Typ musste eine Maske getragen haben.

Vielleicht ein Filmset. Oder ein Streich.

Wo war Caro?

Ihre Finger tasteten nach dem Handy in ihrer Hosentasche. Scheiße! Sie hatte es fallen lassen. Ihre Handtasche war auch weg. Ihre Ausweispapiere, ihr Geld.

Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Diese verdammten Dreckssäcke hatten sie ausgeraubt!

Erneut sah sie dieses dämonische Wesen vor ihrem inneren Auge auf sich zurennen. Sah die unheimlichen Züge des Mannes, der sie beschützt hatte. Natürlich hatten sie Masken getragen, damit sie sie nicht identifizieren konnte.

Sie war so sauer, dass sie auf diesen billigen Trick reingefallen war.

Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe und versuchte sich zu orientieren. Sie musste die anderen finden. Teile der beleuchteten Burg waren zwischen den Häusern zu erkennen. Sie wandte sich ab und fragte einen Passanten: »Können Sie mir sagen, wo die Karlsbrücke liegt?« Sie erntete einen verwirrten Blick, irgendwelches Kauderwelsch und versuchte es bei zwei weiteren, die sie in eine grobe Richtung schickten.

»Phee!«

Caros Stimme hätte sie überall erkannt. Erleichtert eilte sie ihr entgegen.

»Verdammt, wo warst du? Wir haben dich überall gesucht«, rief ihre Freundin aufgebracht. »Warum gehst du nicht an dein … Handy?« Die letzten Worte kamen nur noch stockend. Ihr vorwurfsvoller Blick wurde besorgt. »Was ist passiert? Du zitterst ja wie Espenlaub.«

»Ich wurde überfallen«, erklärte Phee atemlos und strich sich fluchend durchs Haar. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte.

»Scheiße. Nicht dein Ernst?«

In dem Moment eilte Milos auf sie zu. »Was los?«, fragte er atemlos.

Fassungslos schnappte Caro nach Luft. »Sie wurde ausgeraubt.«

»Ty vole! Bist du verletzt?«, fragte Milos besorgt.

Phee schüttelte den Kopf. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie biss sich auf die Lippe, damit sie nicht losheulte.

»Fehlt etwas Wichtiges?« Mitfühlend legte Caro eine Hand auf Phees Unterarm, doch die trat einen Schritt zurück. Sie war kurz davor zu zerspringen und jedes nette Wort könnte sie in ein Häuflein Elend verwandeln.

»Handy, Geld, Bankkarte, Ausweis, Führerschein.« Wenn sie daran dachte, wie viele Behörden und Geschäfte sie nun abklappern musste, wurde ihr schlecht. Und was das alles kosten würde. Stöhnend raufte sie sich die Haare. »Verdammt, in der Tasche waren auch meine Schlüssel.« Ihre Mutter würde ihr den Arsch aufreißen.

»Wofür nimmst du die überhaupt mit?«, fragte Caro.

»Hinterher ist man immer schlauer«, bemerkte Phee spitz und ärgerte sich über sich selbst. Kräftig stieß sie die Luft aus. »Was mach ich denn jetzt?« Ihre Gedanken waren das reinste Chaos. »Ich … wir …« So konnte sie nicht denken.

»Lasst uns hinsetzen, dann kennen wir die nechsten Schritte iberlegen«, schlug Milos vor.

Seine ruhige und bedachte Art erdete Phee. »Ein Kaffee wäre jetzt tatsächlich hilfreich.« Ihre Beine fühlten sich wie wackelige Stelzen an.

»Gute Idee.« Caro zog sie mit sich zu einer Gruppe vollbesetzter Tische, die vor einem ockerfarbenen Haus standen. Zwischen den farblich passenden Sonnenschirmen spannten sich Lichterketten. Die meisten Leute saßen beisammen und tranken Bier. Ausgelassenes Gelächter erklang, das Phees überstrapazierte Nerven quälte wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Tafel.

»Das sieht voll aus.« Hinter Caro quetschte sie sich durch die dicht beisammenstehenden Tischreihen. »Sollte ich nicht besser zur Polizei gehen?«, fragte sie unsicher, auch wenn sie Angst davor hatte. Wahrscheinlich würden die Beamten sie auslachen.

»Die wird Anzeige aufnehmen. Mehr nicht«, erklärte Milos. »Wichtiger du sperrst erst deine Bankkarte.«

»Richtig.« Automatisch griff Phee nach ihrem Handy, um bei der Bank anzurufen. Aber das war ja auch weg. Erschöpft schloss sie die Augen. Ihre Wut war mittlerweile verflogen und zurück blieb pure Verzweiflung.

»Wir haben Glück, da will jemand gehen«, bemerkte Caro und drängte sich in Richtung eines Pärchens, das gerade vom Tisch aufstand. Sie hatten noch nicht einmal all ihre Sachen zusammengesammelt, als Caro sich die Plätze bereits unter den Nagel riss.

Niedergeschlagen ließ sich Phee auf den Stuhl sinken, während ihre Freundin ihr wortlos ihr entsperrtes Handy reichte.

»Bestellt ihr für mich einen Eiskaffee mit?«, bat Phee und gab in der Suchleiste Bankkarte sperren und den Namen ihrer Bank ein. Sie rief die angegebene Nummer an und folgte den Anweisungen der elektronischen Stimme.

»Sperr am besten auch noch direkt deine Sim-Karte«, erinnerte Caro sie und Phee nickte. Ihr ganzer Körper fühlte sich mittlerweile taub an. Auch hier führte sie wieder eine weibliche Ansage durch das Prozedere, bis diese die IMEI-Nummer wissen wollte.

»Keine Ahnung, was das sein soll.«

Ich habe Sie nicht verstanden. Bitte geben Sie Ihre IMEI-Nummer ein. »Verdammt, ich habe keine!«

»Streitest du dich ernsthaft mit der Bandansage?«, fragte Caro amüsiert und Phee zog eine Grimasse. Also das Ganze noch mal von vorn.

Mittlerweile war ihr Eiskaffee gekommen und sie nippte trübsinnig an dem Strohhalm. Dieses Mal schaffte sie es, bis zu einem realen Menschen durchzukommen, der ihr genau erklärte, wie sie vorgehen musste. Nachdem das erledigt war, sackte sie erschöpft auf dem Stuhl zusammen.

»Und was hat er gesagt?«, fragte Caro neugierig.

»Dass ich auf jeden Fall noch zur Polizei gehen soll, um Anzeige zu erstatten.«

Caro nickte. »Machen wir, sobald es dir besser geht. Du bist immer noch kalkweiß.«

Phee zitterte nach wie vor am ganzen Körper und sie war sich unsicher, ob sie ihre Beine tragen würden, sobald sie aufstand.

»Möchtest du darüber reden, was passiert ist?«

Unsicher biss Phee auf die Innenseite ihrer Wange und rührte mit dem Strohhalm ihren Eiskaffee um, von dem eigentlich nur noch ein paar Schaumreste am Boden übrig waren. Die Worte fielen ihr teilweise schwer. Vor allem als sie ihre Angreifer beschrieb. Es hatte so echt ausgesehen. Diese Zähne und diese Augen. Das tierische Fauchen. Ein Schaudern erfasste Phees Nacken und sie sah sich verunsichert um. Es fühlte sich erneut an, als würde jemand sie beobachten. Wahrscheinlich wurde sie paranoid.

»Das klingt nach einem Chrliče«, bemerkte Milos.

»Was ist das denn?«, fragte Caro. Es klang, als hätte er geniest.

Er schnippte mit den Fingern, als er nach einem passenden Begriff suchte. »Ein Gargoyle.«

»Ein Gargoyle?«, wiederholte Phee ungläubig. »Der eine war also ein Vampir und der andere ein Gargoyle.« Sie hätte eher auf einen Dämon getippt, aber das spielte auch keine Rolle. »Die Polizei wird mich für verrückt erklären.«

»Vielleicht kamen sie gerade von einer Kostümparty und haben sich nur einen Spaß mit dir erlaubt«, versuchte Caro sie zu beruhigen. »Dein Handy könnte noch immer dort liegen. Vielleicht haben sie deine Handtasche beim Fundbüro abgegeben.«

Phee nickte stumpf. Irgendwie glaubte sie nicht daran. Milos wirkte auch nicht so, als könnte er sich das vorstellen.

»Wir können dein Handy orten«, schlug Caro vor und tippte bereits aufgeregt etwas in ihr Smartphone.

»Lass. Das bringt doch nichts«, versuchte Phee sie davon abzuhalten, doch es war zu spät. Caros eben noch fröhliche Miene versteinerte und sie schluckte nervös.

»Was ist?«, fragte Phee. In ihrem Magen bildete sich ein harter Knoten.

»Es ist hier«, flüsterte Caro.

Phees Hals war wie zugeschnürt. »Okay, das reicht. Wir gehen jetzt zur Polizei«, beschloss sie und stand auf.

3

Es war noch stockfinster, als sie endlich wieder in die WG zurückkehrten, dennoch brannte in der Wohnküche bereits Licht und das Röstaroma von Kaffee lag in der Luft. Phee fühlte sich emotional völlig ausgebrannt. Sie war nur froh wieder hier zu sein.

Louis, der halb Deutscher und halb Portugiese war und irgendetwas mit Kunst studierte, saß am Küchentisch. Verschlafen schaute er von seinem Handy auf, als sie eintraten, und gähnte herzhaft. »Moin. Und wie war es im Balis?«

Caro schnaubt entrüstet. »Wir waren nicht dort, sondern fast die ganze Nacht auf dem Polizeirevier.«

»Was? Warum?«

»Phee ist überfallen worden.« Sie warf genervt ihre Handtasche auf das Sofa, das in einer Ecke des geräumigen Gemeinschaftsraumes stand.

»Scheiße! Und was sagt die Polizei?« Sein Blick huschte von ihr zu Milos.

»Wahrscheinlich bekommt sie die Sachen nicht wieder«, erklärte dieser und ließ sich erledigt auf einen der Stühle fallen.

»Und jetzt?«, fragte er an Phee gewandt.

»Ich geh duschen«, erklärte sie erschöpft. Ihr Körper schrie nach Schlaf. Wichtiger war nur ein Schwall heißes Wasser, der den Dreck und Schweiß der letzten Stunden von ihr abwusch. Sie holte sich aus Caros Zimmer frische Sachen und schlurfte wie ein Zombie ins Bad.

Keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte. Auch wenn ihre Freundin gesagt hatte, dass sie ihr Geld leihen würde und sie noch bleiben konnte, solange sie wollte, fühlte sich Phee bei dem Gedanken nicht wirklich wohl.

Allerdings wollte sie ihrer Mutter ungern gegenübertreten. Sie war immer noch verletzt und wütend. Vor allem wütend. Es war nicht das erste Mal, dass ihre Mutter ihr das Gefühl gegeben hatte, ungewollt zu sein. Zu nichts zu gebrauchen.

Verzweifelt lehnte Phee die Stirn an die kühlen Fliesen. Der Zorn war nur noch ein leises Wispern, das in der Leere verhallte, die in ihr herrschte. Sie war nicht ganz unschuldig an diesem Streit.

Nach der Dusche fiel sie todmüde ins Bett und schlief sofort ein, obwohl der Morgen bereits graute. In ihren Träumen verfolgte sie das Monster. Dieser Gargoyle, wie er seine Reißzähne fletschte, von denen Geifer tropfte. Seine Gestalt war riesig. Seine aufgespannten fledermausartigen Flügel versperrten ihr den Weg. Sie wollte fliehen. Wollte rennen, aber sie bewegte sich keinen Millimeter.

»Hey, wach auf.«

Atemlos schreckte Phee hoch. »Was ist los?« Panisch rieb sie sich die Augen und schaute sich orientierungslos um. Kein Dämon. Nicht real.

»Du hast schlecht geträumt«, erklärte Caro mitfühlend. »Außerdem ist da ein Polizist, der dich sprechen will.«

»Mich?«, fragte Phee verwirrt und versuchte ihre verschlafenen Gedanken einzusammeln.

Hatte die Polizei etwa bereits etwas herausfinden können? Eigentlich fühlte sie sich nicht in der Lage, sich dem zu stellen.

Kurz schwankte sie, weil sie zu schnell aufgestanden war, und wäre fast wieder zurück aufs Bett gefallen, hätte Caro sie nicht aufgefangen. »Mach langsam.«

»Mir geht’s gut«, erklärte Phee, auch wenn das nicht stimmte. Die Ereignisse des gestrigen Abends saßen ihr in den Knochen und hatten sie mehr mitgenommen, als sie gedacht hatte.

Sie beeilte sich etwas anzuziehen. Leise schloss sie die Tür hinter sich, als sie Caros Zimmer verließ. Milos lehnte wartend an der Wand und folgte ihr wie ein Schatten in die große Wohnküche, wo ein Herr mittleren Alters wartete und die für eine Studentenbude typisch zusammengewürfelte Einrichtung neugierig musterte. Sein dunkles Haar war an den Schläfen bereits graumeliert und er trug klischeehafterweise einen Trenchcoat. Mit seinem Schnauzbart wirkte er wie ein Inspektor aus einem alten Kriminalfilm der Achtzigerjahre, die ihre Mutter immer so gern schaute.

Als er sie bemerkte, trat er einen Schritt vor und zeigte seine Marke. »Ich bin Kommissar Novák. Sie sind Stephanie Arndt?« Er sprach fast akzentfrei.

Milos betrachtete die Marke und nickte ihr zu.

Phee kam sich vor wie in einem Krimi. Unsicher befeuchtete sie sich die Lippen. »Das bin ich.«

»Können wir unter vier Augen sprechen?«, fragte er und sah bedeutungsschwer in Carolines Richtung, die auf der Couch lümmelte und alles beobachtete.

Der Gedanke, dem Ganzen plötzlich allein gegenüberzustehen, bereitete Phee Herzrasen. »Das sind meine Freunde, sie bleiben. Haben Sie die Angreifer bereits gefasst?«

Einen Moment musterte er unschlüssig Caro und Milos, bevor er verneinend den Kopf schüttelte und seinen altmodischen Notizblock hervorholte. »Leider nicht. Ich gehöre zu einer Sondereinheit, die mehrere ähnliche Fälle untersucht. Es tut mir leid, dass ich Sie unter diesen Umständen aufsuchen muss, aber ich befürchte, Sie befinden sich in Gefahr.«

Caro richtete sich auf und sah beunruhigt von ihm zu ihr, während Phee noch die Bedeutung seiner Worte zu erfassen versuchte. Eine böse Vorahnung beschlich sie. »Was genau meinen Sie mit ›in Gefahr‹?«

»Sie sind aktuell unsere einzige Überlebende.«

Verwirrt runzelte Phee die Stirn. »Wie bitte?« Hatte sie ihn richtig verstanden?

»In den letzten Monaten gab es bereits drei ähnliche Überfälle auf jungen Frauen in ihrem Alter. Bei einem davon beschrieb ein Augenzeuge, dass er eine dämonische Gestalt in der Nähe des Tatorts gesehen hat. Kommt Ihnen das bekannt vor?«

Phees Magen schrumpfte auf Erbsengröße zusammen. Die düstere Vorahnung nahm Gestalt an, aber sie musste es aus seinem Mund hören, um es wirklich begreifen zu können. »Und was ist mit den jungen Frauen passiert?«

Er atmete tief durch und blickte verlegen auf seinen Notizblock. »Sie sind tot.«

Ihr wurde heiß und kalt.

»Wie?«

Der Kommissar sah sie nur ausdruckslos an. Unsicher blickte sie zu ihren Freunden, in der Hoffnung, dass sie sich vielleicht doch geirrt hatte, aber die sahen genauso ungläubig und verstört aus, wie sie sich fühlte.

»Sie meinen, in Prag sind Serienmörder unterwegs?« Caros Stimme hörte sich unnatürlich schrill an.

Phee musste sich erst einmal setzen.

»Ich verstehe, dass das ein Schock sein muss, aber ich muss wissen, was genau Sie gesehen haben«, erklärte Novák und schaute von seinem kleinen Notizblock auf, als sie nicht sofort loslegte. »Im Bericht steht, Sie haben sich schon den Tag vorher beobachtet gefühlt und auch danach?« Seine Stimme war so neutral, als würde er sie nach dem Weg fragen.

Phee nickte stumpf. Sie kam sich vor wie eine unbeteiligte Zuschauerin. Das geschah gerade nicht wirklich.

»Wir vermuten, dass sie ihre Opfer gezielt auswählen«, murmelte er und machte sich neue Notizen. »Da Sie noch leben …«, begann er und sah sie direkt an.

Eine eiskalte Hand schien über Phees Rücken zu streichen. »Denken Sie, dass sie es noch einmal versuchen.«

Dieses Mal war er es, der nur nickte, auch wenn es keine Frage gewesen war.

Phee schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum ausgerechnet ich? Ich bin erst vor vier Tagen nach Prag gekommen und habe niemandem etwas getan. Weder ich noch meine Eltern sind wohlhabend.«

Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Bisher konnten wir keine Gemeinsamkeiten bei den jungen Frauen feststellen.«

Das war eine rhetorische Frage gewesen, auf die sie keine Antwort erwartet hatte. Auch wenn ihr Unterbewusstsein ihr eine lieferte: Schlechtes Karma. Verdammt, das konnte einfach nicht wahr sein. Verzweifelt raufte sie sich die Haare.

»Vielleicht ist es doch besser, du fährst wieder nach Hause«, schlug Caro unsicher vor.

»Die haben meinen Ausweis und wissen, wo ich wohne.« Die Vorstellung, wie dieses Monster irgendwann nachts neben ihrem Bett stand, bereitete Phee eine Gänsehaut, auch wenn sie wusste, dass dies nur ein Mann mit einer Maske war.

»Ich muss Sie leider bitten die Stadt vorerst nicht zu verlassen«, erklärte Novák bedauernd.

»Ihr Ernst?« Ungläubig schüttelte Phee den Kopf.

»Was passiert jetzt?«, fragte Milos.

Phee schnaufte. »Ich kann es mir denken.« Sie hatte genug Krimis mit ihrer Mutter gesehen, um zu wissen, wie das ablief. Wahrscheinlich sollte sie hier wie auf dem Präsentierteller auf diese beiden kranken Wichser warten, damit sie sie erwischten. »Er postiert zwei Beamte in Zivil zu meinem Schutz vor der Tür. Die sind kurz abgelenkt und ich mausetot.«

Novák räusperte sich. »Ich verstehe, dass Sie Angst haben, daher …«

»Am Arsch. Sie verstehen gar nichts.« Sie hatte keine Angst. Sie war stinksauer. Warum passierte ihr das? Nur weil sie sich mit ihrer Mutter gestritten hatte? Mal wieder. Das war nur das schlechte Gewissen, das sie hatte. Sie konnte das alles immer noch nicht glauben. Fühlte sich überfordert. Tränen begannen ihren Blick zu verschleiern. Eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Emotionen überkam sie. Nur keine Angst.

»Ich weiß, dass das eine schwierige Situation für Sie ist«, begann der Kommissar noch mal von vorn. Phee biss sich auf die Unterlippe, damit sie ihm nicht erneut ins Wort fiel. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. »Ich würde Sie gerne an einem sichereren Ort als diesem unterbringen.«

»Wollen Sie mich ins Gefängnis stecken?«

»Es ist eine Art weiterführende Schule. Ein Internat, dessen Grundstück sehr gut abgesichert ist.«

»Ein Internat?« Ungläubig sah sie zu Caro und Milos, die mittlerweile dicht beieinander auf der Couch saßen und Händchen hielten.

»Sie wären dort sicher.«

Wirklich glauben konnte sie das nicht.

Novák wühlte in den Taschen seines Mantels und zog zwei zerknüllte Zettel heraus. »Hier ist die Adresse, falls Sie Ihre Freundin besuchen möchten. Und hier ist auch meine Nummer, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte.« Er reichte Caroline die beiden Visitenkarten. Sie zückte sofort ihr Handy und stieß nach einigen Sekunden einen anerkennenden Pfiff aus.

»Was ist?«

»Das ist eine teure Privatschule«, erklärte sie ihr.

»Und was soll ich da?«, fragte Phee überrumpelt. Nicht nur, dass Schule auf der Liste Was-tue-ich-als-Nächstes ganz weit unten stand, die Adjektive teuer und privat passten überhaupt nicht zu ihrem Leben.

»Nicht umgebracht werden«, erwiderte Caro trocken.

Das war tatsächlich ein wichtiges Argument. »Wäre es nicht sinnvoller, mich in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen?«

»So einfach ist das nicht. Wir sind hier nicht in Amerika«, erklärte der Kommissar mit zusammengekniffenen Augen. Offensichtlich fühlte er sich auf den Schlips getreten.

Beunruhigt sah Phee zu Caro und Milos. Das Echo ihrer eigenen unterdrückten Ängste und Zweifel war ihnen deutlich anzusehen.

Auch wenn Phee nicht wusste, was sie von dem Angebot halten sollte, es war besser, als hier zu bleiben und die beiden in Gefahr zu bringen. Sie war nicht mehr als ein Eindringling, der ihr Leben schon genug durcheinandergebracht hatte. »Okay. Und wann können wir los?«

»Sobald Sie Ihre Sachen zusammengepackt haben.« Novák steckte seinen Notizblock weg und lächelte mitfühlend. »Es ist ja nur vorübergehend, bis wir die Täter gefasst haben«, versicherte er ihr.

Wie lange das wohl dauern würde? Tief atmete Phee durch und stand auf. »Na, dann werde ich wohl mal packen gehen«, erklärte sie und ging zur Tür. Ihre Beine fühlten sich schwer wie Blei an.

Caro folgte ihr in das kleine Zimmer. Einerseits war Phee dankbar, dass ihre Freundin sie unterstützen wollte, andererseits wusste sie immer noch nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, und wäre viel lieber kurz allein gewesen, um einfach zusammenzubrechen. Es war alles so surreal. Zum Glück hatte sie noch nicht viel ausgepackt, sodass sie innerhalb kürzester Zeit ihre wenigen Habseligkeiten zusammengesammelt hatte.

»Wir können mitkommen, wenn du das möchtest«, schlug Caro leise vor.

»Das braucht ihr nicht.« Phee schulterte den großen Rucksack und wandte sich zur Tür.

»Sicher?«

»Ich habe euch schon genügend Ärger gemacht. Aber danke, dass du für mich da warst.«

Milos stand neben Kommissar Novák und beobachtete alles mit Argusaugen. Er nickte ihr aufmunternd zu. Bereits auf dem Revier hatte er ihr mit seiner ruhigen Art Kraft gegeben, während sie kurz vorm Durchdrehen gewesen war.

»Den solltest du auf jeden Fall behalten«, raunte Phee und Caro wurde rot.

»Habe ich vor.«

Vor der Tür zog Caro sie noch mal in die Arme. »Pass auf dich auf und meld dich.«

»Mach ich.«

***

Die ganze Fahrt über schwieg Novák. Phee starrte aus dem Fenster des zerbeulten Audis, der seine besten Tage schon längst hinter sich hatte. Die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, verschwammen vor ihren Augen. Die Menschen drängelten sich durch die Straßen, lachten. Eigentlich war alles normal. So wie immer. Jedoch hatte Phee das Gefühl, dass ihr diese Welt plötzlich völlig fremd geworden war.

»Wir sind gleich da«, erklärte Novák und bog in eine mit Linden gesäumte Allee ein.

Phee konzentrierte sich auf die Umgebung, die einem Park glich. Zwischen den Büschen und Bäumen entdeckte sie gepflegte Gärten, gepflasterte Zufahrten und prachtvolle Villen. Offenbar fuhren sie durch eine wohlhabendere Wohngegend. Auf der anderen Straßenseite erstreckte sich eine an die zwei Meter hohe Ziegelsteinmauer mit Stacheldraht auf dem Kopf. In regelmäßigen Abständen waren Kameras angebracht. Sie verstand nun, warum Novák sie herbrachte.

Er wurde langsamer, bog die Auffahrt zu dem Grundstück ein und blieb vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor stehen. Offensichtlich wurden sie bereits erwartet, denn nur Sekunden später öffnete es sich wie von Zauberhand und er fuhr auf das abgesicherte Gelände.

Phee wurde ganz mulmig zumute, als sich am Ende der Zufahrt ein langgestrecktes, viergeschossiges Herrenhaus aus dem letzten Jahrhundert in den Himmel erhob. Wobei, mit den Türmen und Erkern konnte man es ohne Weiteres auch als Schloss bezeichnen. Die Zinnen wurden von geflügelten dämonischen Wesen aus Stein bevölkert, die an ihren Angreifer erinnerten. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen.

Vor dem Eingang des Gebäudes stand eine Gruppe von Jugendlichen. Alle trugen sie ähnliche Kleidung, weinrote Jacketts und Hosen oder Faltenröcke mit einem kleinen weißen Wappen auf der rechten Brust. Abschätzig musterten sie den Wagen, den Novák direkt vor den Stufen parkte, die zu dem großen Eingangstor hinaufführten, das aus zwei massiven Türen mit Eisenbeschlägen bestand.

»Wir sind da«, erklärte Novák.

»Das hab ich befürchtet«, bemerkte Phee und erntete einen irritierten Blick. Mit einem mulmigen Gefühl stieg sie aus und straffte ihren Rücken, als sie dem Kommissar die Treppe hinauf folgte, vorbei an den gaffenden Schülern. Aus der Nähe erkannte sie, dass das Wappen ein verschnörkeltes D mit vier Flügeln darstellte.

Im Inneren wirkte alles elegant, alt und somit verdammt teuer. Wahrscheinlich gingen hier die Kids irgendwelcher ausländischen Diplomanten zur Schule. Kein Wunder, dass dieses Anwesen abgesichert war wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Schon jetzt hatte sie das Gefühl, eingesperrt zu sein.

Das Atmen fiel ihr schwer, doch sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr der ganze Tand ihr das Gefühl gab, unbedeutend und wertlos zu sein. Vor allem in dem Zwanzig-Euro-Kleid, das bereits am Saum ausfranste, und den schwarzen Stiefeln, die nicht feminin, dafür aber bequem waren. Dabei gab ihr ihr Lieblingsoutfit normalerweise das Gefühl, eine schützende Rüstung zu tragen.

Eine geschwungene Treppe, wie Phee sie nur aus Filmen kannte, führte ein Stockwerk höher. Auf halber Höhe teilte sich der breite Aufgang und ein riesiges Fenster eröffnete den Blick auf einen weitläufigen Park. Weitere Schüler kamen ihr entgegen, warfen ihr verstohlene Blicke zu und tuschelten miteinander.

Ein Junge mit strubbeligen blonden Haaren führte seine Faust zum Mund und machte eine anzügliche Bewegung. Offensichtlich der Klassenclown. Ohne sich zu ihm umzudrehen, hob sie die Hand über die Schulter und zeigte ihm den Mittelfinger.

Das Gemurmel in ihrem Rücken wurde intensiver und Gelächter mischte sich darunter. Erster Tag hier und schon Eindruck gemacht. Prima.

Sie durchquerte ein schmales Durchgangszimmer mit hohen Decken, das eine kleine Bibliothek beherbergte, deren Inneneinrichtung eher in ein Museum gehört hätte. Auch im Raum dahinter nahm ein Bücherregal die gesamte Wand ein, vor dem ein altertümlicher Schreibtisch mit zwei Stühlen stand. Fehl am Platz wirkte der zusammengeklappte silbrige Laptop, an den ein zusätzlicher Monitor und eine Maus angeklemmt waren.

»Setzen Sie sich«, sagte Novák, stellte sich ans Fenster und zog die weißen Stoffschals, die für ein diffuses Licht im Raum sorgten, zur Seite. Über den Baumkronen eines nahegelegenen Wäldchens färbte sich der Abendhimmel langsam rot. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie spät es bereits war. Die Nacht auf dem Polizeirevier und die Tatsache, dass sie bis zum Nachmittag geschlafen hatte, hatten ihr Zeitgefühl völlig durcheinandergebracht.

Die abgewetzten Holzdielen, auf denen ein Teppich mit floralen Mustern lag, knarzten, als sie den Raum durchschritt, um Nováks Aufforderung nachzukommen. Im Regal standen nicht nur Bücher, deren Rücken teilweise alte kyrillische Buchstaben zierten, sondern auch kleine Kunstschätze aus den verschiedensten Ländern. Eine afrikanisch anmutende Maske. Juwelenbesetzte Dolche. Faustgroße Quarzsteine. Ein chinesisches Teeservice. Alles wirkte teuer, selten oder beides und schrie förmlich: Nicht anfassen!

Als sich endlich Schritte näherten, schluckte Phee und zupfte ihr Kleid zurecht. Im Türrahmen erschien ein Mann, dessen Alter nur schwer abzuschätzen war. Mit seinem rabenschwarzen Haar, das penibel nach hinten gekämmt war, der makellosen Haut und dem perfekt passenden Anzug könnte er jedes Cover eines beliebigen Hochglanzmagazins schmücken. Seine Augen besaßen ein stechendes Blau, das noch intensiver war als das von Chris Pine. Eingeschüchtert rutschte sie auf dem Stuhl hin und her. Es war eindeutig: Dieser Mann hatte in dem Laden hier das Sagen.

Seine Schritte waren raumgreifend, als er zu ihr trat und ihr die Hand entgegenstreckte. »Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen. Ich bin Kasimir Anděl. Der Leiter dieses Instituts. Schön dich kennenzulernen, Stephanie.« Seine nasale Aussprache unterstrich seine vornehme Art. »Oder möchtest du anders angesprochen werden?«, fragte er sanft und überraschte sie damit.

Zwei Sekunden starrte sie ihn irritiert an, bevor sie aufsprang und seine Hand drückte. »Phee«, antwortete sie automatisch und merkte, wie ihre Wangen brannten.

»Dann Phee. Das passt zu dir. Möchtest du etwas trinken?«

Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie trocken ihr Mund war. Unsicher nickte sie.

Er lächelte auf väterliche Weise, schüttete ihr Wasser aus einer Karaffe in ein Glas, stellte es vor sie und nahm hinter dem wuchtigen Schreibtisch Platz. »Ich hoffe, du wirst dich hier wohlfühlen.«

»Klar«, erwiderte sie und biss sich auf die Zunge, denn es klang, als würde sie nicht daran glauben. Na ja, tat sie auch nicht, aber das musste sie ihm ja nicht auf die Nase binden. Zittrig nahm sie das Glas und trank es vollständig aus.

Verwundert hob sich eine seiner Augenbrauen. Er verschränkte die Finger miteinander, stützte die Ellenbogen auf das polierte Holz und musterte sie durchdringend. Ein wenig erinnerte sie der Blick an den von Frau Bernbrock, wenn sie im Englischunterricht mal wieder nicht aufgepasst hatte. Innerlich schrumpfte sie zusammen.

»Hier bist du sicher«, sagte er jedoch nur.

»Es ist ja nur vorrübergehend«, erklärte sie verlegen und stellt das leere Glas zurück auf den Schreibtisch.

Seine kompromisslose Miene sagte etwas komplett anderes.

»Du hast wirklich keine Ahnung, wie besonders du bist?« Ungläubig lachte er.

»Hältst du es für eine gute Idee, sie damit zu konfrontieren? Du kannst dir nicht sicher sein, dass sie wirklich eine von uns ist«, bemerkte Novák gereizt, allerdings beachtete Anděl ihn überhaupt nicht und starrte sie weiterhin an, als würde er tief in ihrer Seele nach etwas suchen. Die feinen Härchen auf Phees Armen richteten sich auf.

»Wir sind wie du.«

»Wie ich?« Obwohl er bisher ohne jeglichen Akzent gesprochen hatte, fragte sie sich in diesem Moment, ob es nicht doch ein Verständigungsproblem gab.

»Was meinen Sie?« Beunruhigt verlagerte sie ihr Gewicht.

»Wir nennen uns Den. Das ist das tschechische Wort für Tag.«

»Äh … okay?« Irgendwie wurde es gerade seltsam. »Ich glaube, Sie verwechseln mich. Ich bin ein normales, langweiliges Mädchen aus Mecklenburg-Vorpommern.«

Hilfesuchend sah sie zu Novák, doch der Kommissar presste nur missmutig die Lippen aufeinander.

»Jetzt nicht mehr. Jetzt bist du eine von uns. Beziehungsweise warst du das schon dein Leben lang, du wusstest es nur nicht«, erklärte Anděl.

Die Tür stand noch sperrangelweit offen. Vorsichtig stand Phee auf. »Was ist das hier? Eine Art Sekte?«

Anděl wandte sich an Novák und begann in einer schnellen Folge von Worten in einer Sprache zu sprechen, die sich ähnlich, aber auch anders anhörte als das Tschechisch, das sie die letzten Tage mehrfach gehört hatte. Als Anděl verstummte, musterte Novák sie einen Moment, bevor er dem Schulleiter zunickte und den Raum verließ.

Die Tür schloss sich und Phees Magen formte sich zu einem harten Klumpen. Unsicher sah sie zurück zu Anděl, der ihr ein gewinnendes Lächeln schenkte. »Möchtest du noch etwas trinken oder essen?«, bot er ihr an, doch sie schüttelte nur den Kopf. »Was wollen Sie von mir?«

»Wir wollen dich nur beschützen, da du eine von uns bist«, erklärte er geduldig.

»Und was seid ihr?«

»Wir sind die Den. Höhere Wesen. Unsere Vorfahren wurden von den Menschen als Gottheiten, Naturgeister oder auch als Engel verehrt«, erklärte Anděl.

»Engel?« Sie blinzelte und überlegte, ob sie sich verhört hatte, aber das hatte sie nicht. Er meinte das ernst. Eindeutig ein Spinner. »Ich denke, ich bin hier falsch.«

»Ich denke nicht. Nicht, nachdem die Noc dich bereits seit mehreren Nächten verfolgen.«

Erneut lief ein eisiger Schauder über Phees Rücken, als sie sich an das Gefühl erinnerte ständig beobachtet zu werden.

»Und wer sind die Noc?« Auch irgendwelche Spinner?

»Sie sind das Gegenteil von uns. Geschöpfe der Dunkelheit. Eine Vampirrasse, die …«

»Vampire?«, unterbrach Phee ihn. Okay, jetzt war endgültig der Zeitpunkt gekommen, von hier zu verschwinden. Das war doch verrückt.

Sie drehte sich blitzartig um und hechtete zur Tür. Noch bevor sie die Klinke berühren und herunterdrücken konnte, bewegte sich diese von allein.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie erkannte, wer im Türrahmen erschien und diesen komplett ausfüllte. Sie war so fassungslos, dass sie sogar vergaß zu atmen. Das konnte nicht wahr sein. Kleine Hörner traten aus seiner Stirn direkt unterhalb des Haaransatzes hervor und bogen sich nach hinten. Das letzte Mal hatte sie diese gar nicht wahrgenommen, da sie nahtlos in sein rabenschwarzes Haar übergingen, das ihm bis auf die Schultern fiel. Verwirrt überlegte sie, ob er in dieser Gasse ebenfalls nur diesen hässlichen, zerfledderten Umhang und das hautenge dunkle Top getragen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern. Genauso wenig wie an die Farbe seiner Haut, die an reife Pflaumen erinnerte, oder an die seltsam verformten Beine und die kurze schwarze Stoffhose, die tief auf seinen Hüften hing. Er lief auf seinen Zehenballen, der Fuß war langgestreckt wie bei einem Tier.

Als er eintrat, musste er den Kopf einziehen. Seine dunkle Gegenwart füllte sofort den ganzen Raum aus, ließ sie erzittern. Seine raubtierhaften Augen richteten sich auf sie. Sie war ihm so nah, dass sie dieses Mal erkennen konnte, dass sie die Farbe von dunklem Nussbaumholz besaßen, mit goldenen Splittern darin.

Als sich seine Mundwinkel hoben, zeigten sich die spitzen Fangzähne eines Raubtiers. An diese erinnerte sie sich nur zu gut.

Ihr Herz begann zu rasen – alles in ihr schrie: Flieh!

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