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Den phantastischen Romanen und Erzählungen in der Steinmüller-Werkausgabe werden nunmehr Essays und Artikel an die Seite gestellt, die ebenfalls der Science Fiction und Phantastik gewidmet sind. Im vorliegenden Band betrachtet – nach einem Vorwort Karlheinz Steinmüllers – der erste Essay nicht nur "Die Geburt der Science Fiction aus dem Geist des 19. Jahrhunderts", sondern bietet auch einen Überblick über die genrebestimmenden Merkmale der SF. Damit ist der Rahmen für die folgenden Artikel gespannt, die übergreifende Themen oder das Werk einzelner Autoren, aber auch Kuriosa aus der Geschichte der SF präsentieren; zeitlich reicht der Rahmen von Vorläufern der SF wie den französischen utopischen Voyages Imaginaires bis in die Gegenwart zu Texten über phantastische Alternativen zur DDR-Geschichte. Nicht nur in Arbeiten über hierzulande bisher kaum behandelte Themen, sondern auch in den Essays, die berühmten Autoren wie Olaf Stapledon oder Cordwainer Smith oder bekannten SF-Motiven gewidmet sind, bestechen die Texte durch eine Vielzahl überraschender Entdeckungen.
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Seitenzahl: 422
Angela und Karlheinz Steinmüller
Streifzüge
Essays zu zweihundert Jahren
Science Fiction
Angela und Karlheinz Steinmüller
Werke in Einzelausgaben. Essays Band 1
Herausgegeben von
Erik Simon
Impressum
Angela und Karlheinz Steinmüller: Streifzüge
Essays zu zweihundert Jahren Science Fiction
(Werke in Einzelausgaben. Essays Band 1)
Herausgegeben von Erik Simon
Titelbild: Ausschnitt aus der Lithographie »Lunar Animals and other Objects Discovered by Sir John Herschel in his Observatory at the Cape of Good Hope«, 1835
Originalausgabe
Erste Auflage 2021
© 1992, 2021 Angela Steinmüller (für »Rückblick auf das Atomzeitalter«)
© 1981–2021 Karlheinz Steinmüller (für die übrigen Essays und das Vorwort)
Die Daten der Erstpublikationen sind der »Publikationsgeschichte« am Ende des Bandes zu entnehmen.
© 2021 Erik Simon und Memoranda Verlag (für die Zusammenstellung dieser Ausgabe)
© dieser Ausgabe 2021 by Memoranda Verlag, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Erik Simon
Korrektur: Christian Winkelmann
Gestaltung: Hardy Kettlitz & s.BENeš [www.benswerk.com]
Memoranda Verlag
Hardy Kettlitz
Ilsenhof 12
12053 Berlin
www.memoranda.eu
www.facebook.com/MemorandaVerlag
ISBN: 978-3-948616-58-8 (Buchausgabe)
ISBN: 978-3-948616-59-5 (E-Book)
Inhalt
Impressum
Inhalt
Streifzüge durch das Land der Fiktionen
Vorwort
Die Geburt der Science Fiction aus dem Geist des 19. Jahrhunderts
Von Megapatagonien nach Ikarien
Die französischen utopischen Voyages Imaginaires
Der erste letzte Mensch
Die italienische Mondexpedition von 1836
Der Moon Hoax und seine Folgen
Die dampfbetriebene Antiutopie
Émile Souvestre und die »littérature futuriste«
Mit dem Zug ins All
Jules Verne und der Einfluß der Eisenbahn auf die Science Fiction
Where Science Would Take the Place of Chance
Vom Scientific Detective zur Science Fiction
Nihilit und Neue Erde
Robert Kraft als Science-Fiction-Autor
Interplanetary Man
Olaf Stapledons visionäre Future History
Einmal Raketenantrieb und zurück
Raumfahrt und Science Fiction
Rückblick auf das Atomzeitalter
Science Fiction zwischen Paradies und Weltuntergang
Das Linebarger-Universum
Zum Werk von Cordwainer Smith
Über Lem und GOLEM
Eine Betrachtung aus dem Jahr 1981
USSEnterprise: Heimathafen DDR?
Star Trek – beinahe eine sozialistische Utopie
Arkadi und Boris Strugatzki als Experimentatoren
Und ewig grüßt der Generalsekretär
Die DDR in der Alternativgeschichte
Publikationsgeschichte
Abbildungsverzeichnis
Bücher bei MEMORANDA
Streifzüge durch das Land der Fiktionen
Vorwort
Die Geschichte der Science Fiction steckt voller Überraschungen, wie sollte es auch anders sein. Wer Streifzüge kreuz und quer durch die weniger bekannten Gefilde unternimmt, entdeckt, daß italienische Graphiker schon im Jahr 1836 auf dem Mond waren, mit Ballons versteht sich, daß SF und Detektivgeschichte gemeinsame Wurzeln haben, daß an Bord der USS Enterprise beinahe kommunistische Verhältnisse herrschen und daß erste Vorahnungen des Internets bei Tiphaigne de la Roche zu finden sind – im Jahr 1760.
Im Grunde genommen verdankt diese Essaysammlung ihren Ursprung dem chronischen Unterangebot an Science Fiction in der DDR. Als junger Mensch war ich ständig auf der Suche nach spannendem Lesefutter. Die Stadt- und Kreisbibliotheken boten kaum mehr, als ich selbst besaß. Also stöberte ich in den Antiquariaten von Karl-Marx-Stadt und Berlin, fand da tatsächlich manch Unerwartetes – wie etwa eine englische second impression der Erstausgabe von Huxleys Brave New World, allerdings mit häßlichen Kritzeleien eines überforderten Übersetzers. Später nutzten Angela und ich jede Urlaubsreise ins (sozialistische) Ausland für Pirschgänge durch Antiquariate und Buchläden mit fremdsprachigem Angebot. Auf dem Stadtplan von Budapest konnte ich fast ein Dutzend Stellen markieren: Hier lohnt es sich nachzusehen! Aber selbst in Städten wie Jihlava oder Irkutsk wurden wir fündig.
Seit 1990 hat sich der Radius unserer Pirschgänge zweimal erweitert. Zuerst kamen die Bouquinisten am Seineufer und auf dem Pariser Flohmarkt dazu, ebenso der Phantastik-Buchladen in der Brüsseler Innenstadt und die wundervollen Second Hand Bookshops im »Bücherdorf« Hay-on-Wye. Dann begannen große Bibliotheken, aber auch Google und Co., die alten Bestände einzuscannen. Heute kann man sich beispielsweise fast alle einschlägigen französischen Werke aus dem 17. und 18. Jahrhundert dank www.gallica.fr herunterladen. Das ist die Art von Digitalisierung, die ich mir immer gewünscht habe!
Viele der hier abgedruckten Essays beruhen jedoch nicht auf Zufallsfunden, sondern auf Vorträgen, die ich bei vielfältigen Gelegenheiten gehalten habe. So wurde ich in den 1980er Jahren mehrmals von der Evangelischen Akademie Berlin eingeladen, über Themen wie »Beflügelnde Utopie oder gefürchteter Dämon: Technik als Inbegriff des Fortschritts« mit Beispielen aus alter und neuer Science Fiction vorzutragen. Mit den Jahren wuchs das Material, das ich für ähnliche Vorträge im Kulturbund oder auf Urania-Veranstaltungen sammelte, und als ich 1988 die Notizen auf unserem ersten PC erfaßte, hatte ich tagelang zu tippen. Angela erkundete bald eine eigene Strecke von SF-Geschichte: Nach der Wende befaßte sie sich mit dem Zukunftsbild in der utopischen Literatur der DDR, und sie stieß in dem Zusammenhang auch auf die zwiespältigen Visionen des Atomzeitalters in Ost und West. Die Geschichte der SF in der DDR lag uns naturgemäß besonders nahe. Wir haben darüber vor vielen Jahren einen Band veröffentlicht: Vorgriff auf das Lichte Morgen. Der bedarf allerdings dringend der Erweiterung und Aktualisierung …
Zu diesem »lichten Morgen« von damals gehört auch die »Eroberung des Weltraums«, ein Thema, das mich von Kindesbeinen an fasziniert hat. Gelegentlich trug ich auf raumfahrthistorischen Kolloquien über das Wechselspiel von Science Fiction und früher Astronautik vor und stellte dabei fest, wie eng doch diese Beziehungen waren und wie weit sie zurückreichen. Die Arbeit an unserer Darwin-Biographie hatte ohnehin mein Interesse für das 19. Jahrhundert entzündet, für das viktorianische Zeitalter mit seiner ungeheuren Dynamik, seinen rapiden technischen und gesellschaftlichen Umbrüchen, die sich in der frühen SF nicht nur widerspiegelten, sondern sie überhaupt erst hervorbrachten. Allerdings ist die Vor- und Frühgeschichte der englischsprachigen SF weithin bekannt; viel weniger kennt man dagegen die französische Traditionslinie. Hier lag für mich dann ein überaus spannendes Feld – meist noch in der Epoche vor Jules Verne. Welchen Anteil Phantasiereisen an der Entstehung der SF hatten, wurde mir erst im Laufe der Zeit klar. Als Zukunftsforscher bin ich es gewohnt, daß die Kollegen stets davon reden, daß wir heute in einem einzigartig dynamischen, extrem beschleunigten Zeitalter leben, sozusagen auf der Welle der Innovationen surfen und dabei kaum die Balance zu halten verstehen. Ja, das war auch schon vor zweihundert Jahren das vorherrschende Zeitgefühl. Und ebenso fürchtete man den bevorstehenden Weltuntergang.
Science Fiction, sagt man, sei ein Fenster zu fremden Welten. Sie ist aber auch ein Fenster zu unserer eigenen irdischen Vergangenheit – zu den Zukunftsvisionen früherer Generationen, zu ihren Ängsten, ihren Hoffnungen, ihren Obsessionen, ihren bald hellsichtigen, bald verqueren oder auch nur peinlichen Phantasien. Man kommt bei solchen Streifzügen den Menschen von damals – zumindest den schreibenden Phantasten! – recht nahe. Das relativiert die eigenen Überzeugungen: Was wird einmal von den heutigen angeblichen Wahrheiten übrigbleiben, was wird man künftig als verquer belächeln oder gar als Peinlichkeit beiseite schieben? Ist das, was heute als neu, progressiv, innovativ und zukunftsweisend gilt, vielleicht nur mäßig aufgewärmtes altes Ideengut, verpackt in modischem Zeitgeist? Oder gibt es in der Science Fiction genuine Fortentwicklung, nicht bloße Tradierung, sondern eine permanente Entfaltung von Konzepten, Erzählweisen, Begrifflichkeiten und Gedankengebäuden so wie in der Wissenschaft? Bisweilen ähnelt die Science Fiction tatsächlich in dieser Beziehung einer sehr spezifischen, rein imaginären Forschungsrichtung. Heutige Autoren bauen auf den Ideen älterer Autoren auf, entwickeln diese weiter, finden und erfinden neue Konsequenzen. Man denke nur an Zeitreisen und Alternativgeschichte, Spekulationen über nichtmenschliche – außerirdische und künstliche – Intelligenz. Aber vergessen wir nicht, daß Science Fiction zuallererst einmal kritische Kommentare zu gesellschaftlichen Verhältnissen abgibt. Auch unter diesem Gesichtspunkt lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte der SF.
Die hier abgedruckten Essays sind im Verlauf von fast vier Jahrzehnten – zwischen 1981 und 2019 – und aus sehr unterschiedlichen Anlässen heraus entstanden. Da lag es nahe, zumindest die älteren Texte redaktionell durchzusehen, gegebenenfalls kleinere inhaltliche Ergänzungen anzubringen und nicht zuletzt die Zitierweisen anzugleichen. So werden jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Werke mit deutschem Titel erwähnt, aber mit dem Jahr der Originalpublikation. Zitate und Verweise habe ich möglichst einfach gehalten. Bei der Überarbeitung und generell bei der Konzipierung und Vorbereitung des Bands hat mich Erik Simon maßgeblich unterstützt; mein Dank gilt ebenso dem Verleger unserer Werkausgabe Hardy Kettlitz, der uns zu diesem Band ermutigte.
Ohne die »Cons« aber, die Zusammenkünfte (conventions) von Science-Fiction-Freunden, wäre die Hälfte der Essays in diesem Band nicht entstanden. In jährlichem Wechsel werde ich nach Leipzig und nach Dresden zu derartigen Cons eingeladen, ab und zu auch in den Andymon-Club hier in Berlin, jedesmal für einen Vortrag, und jedesmal habe ich den Ehrgeiz, eine weniger bekannte Ecke der Science Fiction auszuleuchten oder auch einfach Ergebnisse unserer Streifzüge vorzustellen. Immer heißt es dann: Schreib doch etwas für unser Con-Buch. Und ständig prasseln dabei neue Anregungen auf mich ein. – Aus diesem Grund richtet sich mein abschließendes Dankeschön an all die Science-Fiction-Freunde, die unseren Weg begleiten.
Karlheinz Steinmüller