Sturm der Verführung - Stephanie Laurens - E-Book

Sturm der Verführung E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Ein neuer sinnlicher und mitreißender Roman der Erfolgsautorin!

Für den charmanten Charlie Morwellan, den Earl of Meredith, ist es langsam an der Zeit, sich eine geeignete Frau zu suchen, die den Platz an seiner Seite einnimmt. Auf keinen Fall aber soll ihm dabei die Liebe den Blick verstellen! Die sanfte Sarah Conningham scheint die geeignete Kandidatin zu sein. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern auch intelligent und selbstbewusst. Doch für Sarah kommt nur eine Heirat aus Liebe infrage. Zwei Wochen gibt sie Charlie deshalb Zeit, sie davon zu überzeugen, dass er trotz dieser Gegensätze der Richtige für sie ist …

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 608

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Buch

Für den charmanten Charlie Morwellan, den Earl of Meredith, ist es langsam an der Zeit, sich eine geeignete Frau zu suchen, die den Platz an seiner Seite einnimmt. Auf keinen Fall aber soll ihm dabei die Liebe den Blick verstellen! Die sanfte Sarah Conningham scheint die geeignete Kandidatin zu sein. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern auch intelligent und selbstbewusst. Doch für Sarah kommt nur eine Heirat aus Liebe infrage. Zwei Wochen gibt sie Charlie deshalb Zeit, sie davon zu überzeugen, dass er trotz dieser Gegensätze der Richtige für sie ist …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen:

Verheißungsvolle Küsse · In den Armen des Eroberers · Der Liebesschwur · Gezähmt von sanfter Hand · In den Fesseln der Liebe · Nur in deinen Armen · Nur in deinen Küssen · Küsse im Mondschein · Küsse im Morgenlicht · Verführt zur Liebe · Was dein Herz dir sagt · Hauch der Verführung · Eine Nacht wie Samt und Seide

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Stephanie Laurens

Sturm der Verführung

Roman

Deutsch von Georgia Sommerfeld

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Taste of Innocence« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

Copyright der Originalausgabe © 2007 by Savdek Management Proprietory Ltd

Published by Arrangement with William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkterstr. 28, 81673 München

Redaktion: Gerhild Gerlich

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von RomanceNovelCovers.com und shutterstock.com

DN · Herstellung: kw

E-Book-Produktion: VRH

ISBN 978-3-641-25255-7V002

www.blanvalet.de

1

Februar 1833

Nordwestlich von Combe Horey, Somerset

Er musste heiraten, also würde er es tun.

Aber zu seinen Bedingungen.

Diese Worte hallten im Rhythmus des Hufschlags durch Charlie Morwellans Kopf, während sein Pferd ihn in leichtem Galopp nordwärts trug. Die Winterluft war frisch und klar. Um ihn wellten sich die immergrünen Ausläufer des Westhangs der Quantock Hills. Er war in dieser Gegend geboren, auf Morwellan Park, das jetzt eine Meile hinter ihm lag, aber heute hatte er kein Auge für die arkadische Landschaft, denn seine Gedanken waren auf andere Bilder konzentriert.

Er war der Herr und Gebieter über das Land zwischen den Quantock Hills im Osten und dem Westende der Brendon Hills. Seine Ländereien dehnten sich südlich vom Herrenhaus bis zum Land seines Schwagers Gabriel Cynster. Die Nordgrenze lag vor ihm, verlief auf einer Anhöhe. Als sein grauscheckiger Hunter Storm die Erhebung erklommen hatte, zügelte Charlie ihn und blickte geradeaus, jedoch ohne wirklich etwas wahrzunehmen.

Kalte Luft strich über seine Wangen, während er im Geist den Grund für diesen Ritt durchdachte – zum letzten Mal.

Er hatte vor drei Jahren nach dem Tod seines Vaters Grafenwürde und Grafschaft geerbt. Davor und auch seitdem hatte er alle Versuche, ihn in den Hafen der Ehe zu locken, geschickt abgewehrt. Natürlich war ein vermögender, lediger, über dreißigjähriger Earl für jede Heiratsvermittlerin ein begehrtes Objekt, doch nach zehn Jahren kannte er all ihre Tricks und machte sich einen Spaß daraus, ihren Netzen immer wieder zu entwischen.

Aber letztendlich gab es für Lord Charles Morwellan, achter Earl of Meredith, keine Wahl.

Das aber war nicht der Grund für seine Entscheidung.

Vor nahezu zwei Jahren hatten seine engsten Freunde, Gerrard Debbington und Dillon Caxton, geheiratet. Keiner von beiden hatte nach einer Ehefrau Ausschau gehalten, keiner von beiden hatte die familiäre Pflicht, heiraten zu müssen, das Schicksal hatte seine Fäden gesponnen, und beide waren glücklich zum Altar geschritten. Charlie hatte neben ihnen gestanden und gesehen, dass sie es richtig gemacht hatten, den günstigen Augenblick wahrzunehmen.

Inzwischen waren die beiden Väter.

Storm wurde unruhig. Geistesabwesend tätschelte Charlie seinem Hunter den Hals.

Durch verwandtschaftliche Beziehungen mit dem mächtigen Cynster-Clan verbunden, hatten Gerrard und Dillon und ihre Ehefrauen, Jacqueline und Priscilla, sich wie jedes Jahr nach Weihnachten auf Somersham Place getroffen, dem Hauptwohnsitz der Dukes of St. Ives und Stammsitz der Cynsters. Die große Familie und ihre weit verzweigte Verwandtschaft trafen sich zweimal jährlich dort, einmal zum sogenannten Sommerfest im August, dann wieder direkt nach Weihnachten, nachdem jeder das Fest selbst im Kreise der eigenen Familie gefeiert hatte.

Er hatte die überströmend herzliche Atmosphäre dieser Familienzusammenkünfte immer genossen, doch diesmal … es waren nicht Gerrards und Dillons Kinder an sich gewesen, die eine irritierende Unruhe in ihm auslösten, sondern das, was sie repräsentierten. Von ihnen dreien – Freunde seit über einem Jahrzehnt – war er der Einzige, der die Pflicht hatte, zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Zwar könnte er es theoretisch seinem jetzt dreiundzwanzigjährigen Bruder Jeremy überlassen, für die nächste Morwellan-Generation zu sorgen, aber was Pflicht und Schuldigkeit seiner Familie gegenüber anlangte, hatte er bereits vor langer Zeit akzeptiert, dass er nicht zum Drückeberger geboren war. Eine der bedeutenderen Pflichten und Bürden eines Earls würde er nie Jeremy auferlegen, das würden weder sein Gewissen noch sein Charakter, sein Selbstbild, zulassen.

Und deshalb war er heute auf dem Weg nach Conningham Manor.

Das Schicksal weiterhin herauszufordern, das Risiko, dass es in sein Leben eingriff, ihm eine Frau aussuchte, wie die Schicksalsgöttinnen es bei Gerrard und Dillon getan hatten, war töricht. Also hatte er beschlossen, sich selbst eine Ehefrau zu wählen, und das jetzt, vor dem Beginn der nächsten Ball- und Partysaison, sein Vorrecht auszunutzen, eine Lady, die zu ihm passte, auszusuchen, und die Angelegenheit zu erledigen, ehe die Gesellschaft davon Wind bekäme.

Ehe das Schicksal die Chance hatte, sein Vorhaben durch Liebe zu vereiteln.

Er musste schnell handeln, um die Kontrolle über sein Leben zu behalten, was er für eine Notwendigkeit hielt, nicht für eine Option.

Angesteckt von der Nervosität seines Herrn, begann Storm zu tänzeln. Charlie beruhigte den kraftvollen Wallach und konzentrierte sich auf die Landschaft vor sich. Etwa eine Meile entfernt ragten, eingebettet in eine Mulde, die schiefergedeckten Gebäude von Conningham Manor über die nackten Bäume seines Obstgartens empor. Die Diamantscheiben der Fenster blitzten im morgendlichen Sonnenlicht, und die kalte Brise verwehte den aus den hohen elisabethanischen Schornsteinköpfen hervorquellenden Rauch. Conninghams lebten hier schon fast so lange wie Morwellans auf Morwellan Park.

Charlie schüttelte seine Nachdenklichkeit ab und ritt in leichtem Galopp die Anhöhe hinunter.

»Gleichwohl, Sarah – Clary und ich sind überzeugt, dass du zuerst heiraten musst.«

Sarah, die, dem Bogenfenster zugewandt, im kleinen Salon von Conningham Manor saß, dem unbestrittenen Reich der Töchter des Hauses, schaute ihre sechzehnjährige Schwester Gloria an, die sie von der Bank in der Fensternische aus kriegerisch fixierte.

»Vor uns.« Das kam von der siebzehnjährigen Clara – genannt Clary –, die neben Gloria saß und ebenso darauf drängte, dass Sarah heiratete.

Mit einem unterdrückten Seufzer blickte Sarah auf die rote Bordüre hinunter, die sie vom Ausschnitt ihres neuen Spenzers abtrennte, und begann, geduldig ihre immer wieder aufgezählten Argumente zu wiederholen. »Ihr wisst doch genau, dass das nicht stimmt. Ich habe es euch erklärt, Twitters hat es euch erklärt, und Mama hat es euch erklärt. Ob ich heirate oder nicht hat keinerlei Auswirkungen auf eure Einführung in die Gesellschaft.« Sie hatte den letzten Stich aufgemacht, trennte das Band ab und schüttelte den Spenzer aus. »Clary wird nächstes Jahr ihre erste Saison erleben, und du, Gloria, im Jahr darauf.«

»Das ist nicht der Punkt.« Clary runzelte die Stirn. »Es geht um das … um das Wie.«

Als Sarah fragend die Brauen hochzog, errötete Clary und sprudelte heraus: »Es geht um unerfüllte Erwartungen. Mama und Papa werden in ein paar Wochen zu deiner vierten Saison mit dir nach London fahren. Offensichtlich hoffen sie noch immer, dass du die Aufmerksamkeit eines passenden Gentleman erregst. Maria und Angela haben immerhin schon in ihrer zweiten Saison Anträge angenommen.«

Maria und Angela waren ihre älteren Schwestern – achtundzwanzig und sechsundzwanzig Jahre alt –, die mit ihren Ehemännern und Kindern auf den fernen Besitzungen besagter Ehemänner lebten. Im Gegensatz zu Sarah waren sowohl Maria als auch Angela damit zufrieden gewesen, Gentlemen ihres Standes zu heiraten, die Vermögen und Ländereien besaßen und ihnen ein sorgenfreies Leben boten.

Beide Ehen waren konventionelle Verbindungen. Weder Maria noch Angela hatten eine andere Zukunft in Betracht gezogen, geschweige denn, von einer anderen geträumt.

Soviel Sarah wusste, galt dies auch für Clary und Gloria. Zumindest bis heute.

Wieder unterdrückte sie einen Seufzer. »Ich verspreche euch, dass ich mit Freuden ja sagen werde, falls ein Antrag von einem Gentleman kommen sollte, mit dem ich mir ein gemeinsames Leben vorstellen kann. Da dieser Glücksfall mir aber zunehmend unwahrscheinlich erscheint«, sie war froh, dass weder Clary noch Gloria eine Vorstellung davon hatten, wie viele Anträge sie in den vergangenen drei Jahren abgelehnt hatte, »werde ich wohl das Leben einer alten Jungfer führen.«

Sarahs Blick glitt zu der vierten Person im Raum, ihrer ehemaligen Erzieherin Miss Twitterton, liebevoll Twitters genannt, die, den grauen Kopf über eine Flickarbeit gebeugt, seitlich des großen Fensters in einem Armlehnstuhl saß. Sie ließ nicht erkennen, dass sie die sattsam bekannte Diskussion verfolgte.

Nein, dachte Sarah, was sie da gesagt hatte, entsprach nicht der Wahrheit: Ebenso wenig, wie sie sich vorstellen konnte, in einem Leben glücklich zu sein, wie Maria und Angela es führten, konnte sie sich vorstellen, in einem Leben glücklich zu sein, wie Twitters es führte.

Gloria schnaubte, und Clary schaute angewidert drein. Die beiden wechselten einen Blick und ratterten dann herunter, was sie für die wichtigsten Kriterien für die Definition eines »passenden Gentleman« hielten, eines Gentleman, den Sarah sich als Ehemann vorstellen könnte.

Sarah legte ihren neuen Spenzer – jetzt ohne die scheußlich grellrote Bordüre – zusammen, lächelte unverbindlich und ließ die beiden plappern. Sie mochte ihre jüngeren Schwestern wirklich sehr, aber bei diesem Thema machte sich der Altersunterschied als wahrhafte Kluft bemerkbar.

In ihrer Naivität betrachteten die beiden eine Eheschließung als simple Angelegenheit, die anhand einer Liste von Attributen entschieden wurde, während sie, Sarah, schon genug gesehen hatte, um zu wissen, wie unbefriedigend diese Methode sein konnte. Die meisten Ehen in ihren Kreisen wurden tatsächlich auf der Basis solcher Kriterien geschlossen – und der weitaus größte Teil verkam, auf keinem tragfähigeren Fundament als Akzeptanz erbaut, zu einer leeren Hülle, in der beide Partner anderswo Trost suchten.

Und Liebe.

Soweit Liebe unter diesen Umständen möglich war. Nie vorbehaltlos, immer mit dem Anstrich der Billigkeit.

Sie für ihren Teil hatte ganz bestimmte Ansichten zum Thema Ehe. Zwar galt sie nicht als rebellisch, aber sie war nie ein Mensch gewesen, der blindlings dem Diktat anderer folgte, insbesondere, was persönliche Belange anging. Also hatte sie aufmerksam beobachtet.

Und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es als Basis für eine Ehe etwas Besseres gab als die gesellschaftliche Norm. Etwas Edleres, ein Ideal, ein Engagement, das einen zwang, sie einzugehen, ein Gefühlszustand, der das Herz mit Sehnen und Verlangen füllte und schlussendlich Befriedigung, ein Konstrukt, in dem Liebe eher innerhalb der ehelichen Bande existierte als außerhalb.

Sie hatte es gesehen. Nicht bei ihren Eltern, denn deren Ehe war eine konventionelle, wenn auch gute Verbindung, ohne Leidenschaft, doch gegründet auf Zuneigung, Pflicht und gemeinsame Interessen. Aber im Süden lag Morwellan Park und jenseits davon Casleigh, das Heim von Lord Martin und Lady Celia Cynster und jetzt auch von ihrem ältesten Sohn Gabriel und seiner Frau Lady Alathea, geborene Morwellan.

Sarah kannte Alathea, Gabriel und seine Eltern schon ihr ganzes Leben. Alathea und Gabriel hatten aus Liebe geheiratet. Alathea hatte gewartet und gewartet, und schließlich war sie neunundzwanzig gewesen, als Gabriel sich endlich durchrang und ihr einen Antrag machte. Was Martin und Celia betraf, so waren sie vor langer Zeit miteinander durchgebrannt und hatten ihre Leidenschaft damit auf unmissverständliche Weise kundgetan.

Sarah kam häufig mit beiden Paaren zusammen, und was sie da sah, sowohl bei Gabriel und Alathea als auch bei Martin und Celia, hatte sie zu dem Schluss kommen lassen, dass eine Heirat aus Liebe einer um einer höheren Stellung willen allemal vorzuziehen war.

Natürlich wusste sie nur aus zweiter Hand, was Liebe war, hatte keine Vorstellung, wie dieses Gefühl sich in einer Ehe anfühlen würde – aber sie hatte Beweise dafür in der Art eines Lächelns gesehen, in dem verstohlenen Treffen zweier Blicke, der Berührung einer Hand, äußerlich zufällig, aber in Wahrheit bedeutungsschwer.

Liebe machte Augenblicke zu Kostbarkeiten.

Aber wie erklärte man Liebe?

Und stellte sie sich auf geheimnisvolle Weise von selbst ein, oder musste man sie sich erarbeiten? Wie entstand sie?

Da nicht verheiratet, hatte Sarah keine Antworten auf diese Fragen, nicht einmal den Schimmer einer Ahnung. Entgegen der Überzeugung ihrer Schwestern bestand für Sarah keine Notwendigkeit, sich zu verheiraten. Und sie bezweifelte stark, dass sie, ohne das Gefühl, von dem die Cynster-Ehen getragen wurden, selbst zu verspüren und bei dem Bewerber zu erkennen, dessen Antrag annehmen würde, gleichgültig wie vermögend, wie gut aussehend oder charmant der Mann auch sein mochte.

Für sie besaß eine Ehe ohne Liebe keinen Reiz. Eine Verbindung ohne Leidenschaft, Sehnsucht, Verlangen und Befriedigung käme für sie nicht in Frage.

»Versprich, dich umzusehen.«

Sarah hob den Blick und schaute geradewegs in Glorias beschwörenden.

»Ernsthaft, meine ich.«

»Und jeden annehmbaren Gentleman in Betracht zu ziehen und zu ermutigen!«, setzte Clary hinzu.

Sarah blinzelte verdutzt, lachte und legte ihren Spenzer beiseite. »Nein, das verspreche ich nicht. Ihr beide seid wirklich eine Plage – ich bin sicher, Twitters gibt mir recht.«

Sie schaute, eine Bestätigung erheischend, zu der Erzieherin hinüber, doch deren Aufmerksamkeit war im Moment anderweitig gefesselt. Sie schaute ob ihrer Kurzsichtigkeit mit zusammengekniffenen Augen auf die Zufahrt hinaus.

»Da kommt Besuch«, sagte sie und spähte an Clary und Gloria vorbei, als die beiden sich daraufhin vor ihr am Fenster drängten.

Auch Sarah schaute hinaus und erkannte dank ihrer scharfen Augen den Reiter sofort, der da aufs Haus zukam. Überraschung und eine befremdliche Mischung von Reaktionen, die sich stets im ersten Moment einstellten, wenn sie ihn sah, lähmten ihre Zunge. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.

»Es ist Charlie Morwellan«, konstatierte Gloria. »Was der wohl will?«

Clary zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich mit Papa wegen der Jagd sprechen.«

»Aber er ist doch nie hier zur Jagd«, wandte Gloria ein. »Er verbringt die meiste Zeit in London. Augusta sagte, sie bekäme ihn kaum noch zu Gesicht.«

»Vielleicht ist er in diesem Jahr ja doch lieber auf dem Land«, meinte Clary. »Ich hörte Lady Castleton zu Mama sagen, dass er in dieser Saison gnadenlos gejagt werden wird, sobald er einen Fuß in die Stadt setzt.«

Das hatte Sarah ebenfalls gehört, aber sie kannte Charlie gut genug, um zu wissen, dass er keine leichte Beute wäre. Sie sah zu, wie er sein Pferd am Rand des Vorplatzes zügelte und sich geschmeidig aus dem Sattel seines grauen Hunters schwang.

Der Wind spielte mit seinen modisch frisierten goldenen Locken. Sein Gehrock aus feinem, braunem Bath-Tuch war das Werk eines Londoner Schneiders. In perfektem Sitz schmiegte er sich an Charlies breite Schultern und tailliert an die schlanke Mitte und die schmalen Hüften. Das gestärkte Hemd war makellos weiß, die Weste, wie in der Bewegung sichtbar, braun-schwarz gemustert. Hirschlederkniehosen umschlossen die langen, muskulösen Beine, bevor sie in glänzenden, schwarzen Hessischen Stiefeln verschwanden und ein Bild vervollständigten, das Eleganter Peer auf dem Land hätte betitelt sein können.

Sarah saugte den Anblick förmlich auf, obwohl sie sich jedes Mal aufs Neue über ihre lächerliche Reaktion auf seine Erscheinung ärgerte. Er wusste, dass sie existierte, aber das war auch schon alles. Aus dieser Entfernung konnte sie sein Gesicht nicht genau erkennen, aber ihr von ihm besessenes Gedächtnis ergänzte die Details – die klassischen Linien von Stirn, Nase und Kinn, die aristokratischen, hohen Wangenknochen, die großen, graublauen Augen unter den schweren Lidern mit den langen Wimpern und den sinnlichen Schwung der Lippen, die seinen Ausdruck innerhalb eines Lidschlages von bezaubernd charmant zu grimmig dominierend verwandeln konnten.

Sie studierte Charlie nun schon seit Jahren und hatte ihn nie anders erlebt als den, der er war: ein vermögender Aristokrat, der von normannischen Lords abstammte. Allerdings mit einem Schuss Wikingerblut, was ihm in Sarahs Augen bei aller Seriosität auch etwas Verwegenes verlieh.

Ein Stallbursche kam angelaufen. Charlie übergab ihm die Zügel, sagte ein paar Worte zu ihm und steuerte dann auf das Hauptportal zu. Als er aus ihrem Blickfeld verschwand, seufzten Clary und Gloria wie aus einem Munde und kehrten dem Fenster den Rücken.

»Er ist wirklich himmlisch, oder?«

Sarah bezweifelte, dass Clary ernstlich eine Bestätigung erwartete.

»Gertrude Riordan hat erzählt, dass er in der Stadt mit einem fabulösen grauen Zweiergespann fährt«, schwärmte Gloria mit leuchtenden Augen. »Was meint ihr – ob er die Pferde wohl mitgebracht hat?«

Während ihre Schwestern die verschiedenen Möglichkeiten diskutierten zu ergründen, ob die so gerühmten Grauen auf Morwellan Park waren, schaute Sarah zu, wie der Stallbursche Charlies Hunter zu den Stallungen führte, anstatt ihn auf dem Vorplatz zu bewegen. Was immer Charlie hergeführt hatte – es würde offenbar einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die Stimmen ihrer Schwestern hallten durch ihren Kopf, Erinnerungen an ihre früheren Kommentare wirbelten kaleidoskopartig durcheinander – und kamen plötzlich in Form eines gänzlich unerwarteten Musters zur Ruhe. Führten zu einem verblüffenden Gedanken.

Wieder rieselte Sarah ein Schauer über den Rücken, aber diesmal fühlte er sich anders an.

»Nun, mein Junge …« Lord Conningham brach lachend ab und schnitt eine Grimasse. »Ich schätze, ich sollte aufhören, Sie so zu nennen, und Sie endlich als erwachsenen Menschen sehen – aber das fällt in Anbetracht der vielen Jahre, die ich Sie kenne, einfach schwer.«

Charlie, der Seiner Lordschaft in dessen Arbeitszimmer am Schreibtisch gegenübersaß, winkte lächelnd ab. Lord Conningham war ein freimütiger, gutherziger Mann, dem Charlie aufrichtige Sympathie entgegenbrachte.

»Ich spreche auch für Ihre Ladyschaft, wenn ich Ihnen sage, dass Ihr Antrag uns eine Ehre und Freude ist«, fuhr Lord Conningham fort, »aber ich muss Ihnen sagen, dass die Entscheidung – wie bei meinen vier übrigen Töchtern, von denen zwei bereits verheiratet sind – nicht von ihren Eltern getroffen wird. Sie müssen Sarahs Zustimmung erringen, doch ich wüsste nicht, was der entgegenstehen sollte.«

Nach kaum merklichem Zögern fragte Charlie sicherheitshalber: »Sie interessiert sich für keinen anderen Gentleman?«

»Nein.« Lord Conningham grinste. »Wenn es so wäre, wüsste ich es. Sarah neigt nicht zu Geheimniskrämerei. Wenn ein Gentleman ihre Sympathie gewonnen hätte, würden Ihre Ladyschaft und ich das wissen.«

Die Tür öffnete sich, und Lord Conningham blickte auf. »Ah, da bist du ja, meine Liebe. Ich muss dir Charlie wohl nicht vorstellen. Er hat uns etwas zu sagen.«

Charlie stand lächelnd auf, um Lady Conningham zu begrüßen, eine vernünftige Frau aus vornehmem Haus, die er sich ohne Weiteres als Schwiegermutter vorstellen konnte.

Zehn Minuten später verließ Sarah ihr Zimmer und eilte zur Haupttreppe, während sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlugen. Ein Lakai hatte ihr überbracht, dass ihre Mutter sie in der Eingangshalle erwartete. Sie hatte gerade lange genug vor dem Spiegel ihres Frisiertisches verweilt, um sich zu vergewissern, dass ihr Kleid aus feiner, immergrün-blauer Wolle und die Spitzenborte am Ausschnitt nicht zerknittert waren und sich nicht zu viele Strähnen aus dem Knoten gelöst hatten, zu dem ihr goldbraunes Haar im Nacken geschlungen war.

Einige waren entwischt, doch es blieb ihr keine Zeit, den Knoten neu zu machen. Außerdem musste sie nur halbwegs ordentlich aussehen für den Fall, dass Charlie sie im Vorbeigehen sähe; es war zu früh, als dass er zum Mittagessen bliebe, und sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass die Nachricht ihrer Mutter mit seinem Besuch in Zusammenhang stand – außer der lächerlichen Vermutung, die plötzlich in ihr aufgekeimt war und ihr Herz zum Rasen gebracht hatte. Sie hatte die Treppe erreicht, und als sie hinunterlief, fühlte sich ihr Magen an wie ein Stein, und ihre Nerven vibrierten.

Und das alles für nichts und wieder nichts, schalt sie sich. Ihre Annahme entbehrte jeglicher Grundlage.

Die Absätze von Sarahs Schuhen klackten auf den Stufen hinunter, und dann erschien Lady Conningham aus dem Korridor neben der Treppe und musterte Sarah von Kopf bis Fuß, nickte zufrieden, hakte sie strahlend unter und zog ihre völlig verwirrte Tochter in die Nische unter der Treppe. Dort ließ sie ihren Arm los, ergriff ihre Hand und drückte sie. »Nun, mein Liebes, um es kurz zu machen: Charlie Morwellan hat um deine Hand angehalten.«

Sarah blinzelte, und einen Moment lang war ihr, als drehte sich alles um sie herum.

Ihre Mutter lächelte verständnisvoll. »Ich weiß, es kommt aus heiterem Himmel, aber du hast weiß Gott Erfahrung mit Heiratsanträgen – du kennst die Prozedur. Wie stets liegt die Entscheidung bei dir – dein Vater und ich werden zu dir stehen, wie auch immer sie ausfällt.« Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Allerdings bitten dein Vater und ich dich in diesem Fall, ganz genau zu überlegen. Der Antrag eines Grafen verdient allgemein besondere Aufmerksamkeit, aber der Antrag des achten Earl of Meredith verdient eine noch größere.«

Sarah schaute ihrer Mutter in die dunklen Augen. Abgesehen von der Freude über Charlies Antrag, war es ihrer Mutter sichtlich ernst mit ihrer Bitte.

»Was Charlies Vermögen angeht, hast du bereits eine ausreichende Vorstellung, Liebes. Du kennst sein Heim, seinen Status und du kennst ihn, wenn auch zugegebenermaßen nur oberflächlich. Aber du kennst seine Familie.«

Ihre Mutter umfasste ihre beiden Hände und drückte sie leicht, und ihre freudige Erregung kehrte zurück. »Mit keinem anderen Bewerber hat dich eine so langjährige Bekanntschaft verbunden, auf der du etwas aufbauen könntest – und das wird dir auch in Zukunft nicht vergönnt sein. Es ist eine völlig unerwartete Gelegenheit, zugegeben, aber eine sehr gute.«

Ihre Mutter forschte in ihren Augen nach ihrer Reaktion. Sarah wusste, dass alles, was sie darin fände, Verwirrung war.

»Nun«, ihre Mutter reckte das Kinn ein wenig vor, und ihr Ton wurde forscher, »hör dir aufmerksam an, was er zu sagen hat, und dann fälle deine Entscheidung.«

Sie trat einen Schritt zurück und zupfte an Sarahs Ausschnitt. »Sehr schön«, sagte sie nach einem letzten, prüfenden Blick. »Jetzt geh – er wartet im Salon. Wie gesagt, dein Vater und ich werden deine Entscheidung akzeptieren, wie auch immer sie ausfällt. Aber bitte denke sorgfältig über Charlies Antrag nach.«

Sarah nickte. Sie war wie betäubt. Das Atmen fiel ihr schwer. Langsam drehte sie sich von ihrer Mutter weg und setzte sich zögernd in Bewegung.

Charlie hörte Schritte jenseits der Tür und kehrte dem Fenster gerade rechtzeitig den Rücken, um zu sehen, wie der Türknauf gedreht wurde. Gebannt beobachtete er, wie die Tür sich öffnete und die junge Frau eintrat, die er zu seiner Ehefrau gewählt hatte.

Sie war mittelgroß, doch ihre schlanke – aber durchaus sinnlich gerundete – Gestalt ließ sie größer wirken. Vorwitzige, aus ihrem Nackenknoten entwischte, goldbraune Strähnen umrahmten das herzförmige Gesicht mit den fein gezeichneten Zügen und dem makellosen Teint. (Die winzigen Sommersprossen auf dem Nasenrücken betrachtete er nicht als Beeinträchtigung.) Die hohe Stirn, die gerade Nase, die geschwungenen, braunen Brauen und langen Wimpern malten zusammen mit den rosigen Lippen und dem hübsch modellierten Kinn ein Bild mädchenhafter Schönheit.

Ihr Blick war ungewöhnlich direkt, und wenn sie sich bewegte, tat sie dies mit angeborener Grazie.

Die Hand auf dem Türknauf stand sie da und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Ihre Augen verengten sich leicht, und sogar auf die Entfernung spürte er ihre Unsicherheit, doch als sie ihn entdeckte, zögerte sie nur eine Sekunde, bevor sie, ohne den Blick von ihm zu wenden, die Tür schloss und auf ihn zukam.

Ruhigen Schrittes, mit heiterer Miene, jedoch die Finger ineinander verschränkt.

Sie konnte seinen Antrag unmöglich erwartet haben – er hatte ihr keinerlei Hinweis darauf gegeben, dass er auch nur darüber nachdachte, sie zu heiraten. Als sie sich das letzte Mal getroffen hatten – im November auf dem Hunt Ball –, hatte er einen Walzer mit ihr getanzt und etwa eine Viertelstunde die üblichen Artigkeiten mit ihr ausgetauscht. Das war alles gewesen.

Mit Bedacht. Er wusste schon seit Jahren, dass sie ihn nicht mehr mit kindlichen Augen sah. Dass es ein Leichtes für ihn wäre, mit einem Lächeln und ein paar gezielten Worten ihre Schwärmerei für ihn zu Faszination zu steigern. Nicht, dass sie sich jemals etwas hätte anmerken lassen, aber er kannte die Frauen – und vor allem sie – gut genug, um zu wissen, was unter ihrer kühlen, glatten Oberfläche, der heiteren Gelassenheit schwelte. Doch er hatte eine Entscheidung getroffen – nicht einmal, sondern viele Male im Lauf der Jahre: dass er nicht nur so zum Spaß diese mit so viel Mühe glatt gehaltene Oberfläche zerstören würde. Schließlich handelte es sich um die süße Sarah, die Tochter eines Nachbarn, die er seit ihrer Geburt kannte.

Also hatte er es sorgfältig vermieden, auf seine Instinkte zu hören, und sie einfach weiter wie eine der jungen Ladys aus seinem hiesigen Bekanntenkreis behandelt.

Aber als er schließlich beschlossen hatte, sich eine Ehefrau zu wählen, war ihm sofort ihr Gesicht in den Sinn gekommen. Er hatte gar nicht nachdenken müssen – er hatte einfach gewusst, dass sie die Richtige war.

Dann hatte er natürlich doch nachgedacht, all die Argumente und zahlreichen Kriterien in Betracht gezogen, die ein Mann wie er bei der Wahl seiner Ehefrau berücksichtigen musste. Das Ergebnis hatte bestätigt, dass Sarah Conningham die ideale Kandidatin war.

Sie blieb etwa einen halben Meter von ihm entfernt stehen und blickte zu ihm auf. (Wenn sie dicht vor ihm stand, reichte sie ihm gerade bis zum Kinn.) Verwirrung lag wie ein Schatten über den Augen, deren Farbe an Kornblumen erinnerte.

»Charlie.« Zu seiner Überraschung klang ihre Stimme fest, wenn auch ein wenig atemlos. »Mama sagte, Sie wollten mich sprechen.«

Er spürte, wie seine Mundwinkel sich zu einem Lächeln hoben. Keine falsche Schüchternheit, keine Umschweife – und auch kein »Lord Charles«. Sie hatten nie auf diesem förmlichen Weg miteinander verkehrt, und dafür war er jetzt dankbar.

Er spürte, dass sie von einer Spannung ergriffen war, die sie flach atmen ließ, doch äußerlich wirkte sie völlig ruhig. Hochachtung erwachte in ihm. Aber war er wirklich überrascht, dass sie mehr Format besaß als die Norm?

Nein – das war einer der Gründe für seine Wahl.

Der Impuls, die Hand auszustrecken und mit den Fingerspitzen über ihr Schlüsselbein zu streichen – nur um festzustellen, wie glatt die alabasterweiße Haut war –, kam völlig unvorbereitet. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, dann verwarf er ihn. Angesichts dessen, was er zu sagen hatte und welchen Umgangston er aufrechterhalten wollte, wäre eine solche Annäherung absolut unpassend.

»Wie Ihre Mutter Sie vielleicht wissen ließ, habe ich Ihren Vater um die Erlaubnis gebeten, Ihnen einen Antrag zu machen. Ich möchte Sie bitten, mir die Ehre zu erweisen, meine Ehefrau zu werden.«

Er hätte die dürren Worte natürlich in allerhand Plattitüden verpacken können, aber wozu? Sie kannten einander gut – vielleicht nicht auf privater Ebene, aber seine und ihre Schwestern waren eng befreundet, und er bezweifelte, dass es vieles in seinem Leben gab, wovon sie nichts wusste.

Und nichts deutete darauf hin, dass sie ihm die nüchterne Form seines Antrags übelnahm. Allerdings sah er sie nach einem Moment der Verwirrung die Stirn runzeln.

»Warum?«

Jetzt war es an ihm, verwirrt zu sein.

»Warum mich?«, beantwortete sie seinen Blick.

Warum jetzt? Warum lässt du dich nach all diesen Jahren endlich zu mehr herab, als mich nur anzulächeln? Seine unlesbare Miene war zum Haareraufen. Sie begann, auf und ab zu gehen. Dachte nach. Versuchte zu verstehen.

Seit jeher – sie konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen wäre – musste sie jedes Mal, wenn sie ihn sah, einen Moment innehalten, um ihre Sinne Luft schöpfen zu lassen, nachdem seine bloße Gegenwart ihnen den Atem geraubt hatte. Wenn der Moment verstrichen war, musste sie nur noch darauf achten, nichts Törichtes zu tun, nichts, was ihm ihre heimliche Besessenheit, ihre Schwärmerei für ihn verraten hätte.

Es war unsinnig und verursachte ihr nur Kummer, aber so sehr sie sich auch bemühte, ihre Torheit einzusehen – es nützte nichts. Irgendwann sagte sie sich, dass das eben ihre Art war, auf diesen normannischen Wikinger-Adonis zu reagieren. Dass sie nichts dafür konnte. Und er auch nicht. Es war einfach so. Sie war so geboren worden und musste sich nun damit abfinden.

Und jetzt stand er da und bat sie ohne jede Vorwarnung um ihre Hand.

Wollte sie heiraten.

Das konnte nur ein Traum sein. Verstohlen kniff sie sich, aber Charlie war immer noch da, stark und männlich, die verkörperte Versuchung, auch wenn er jetzt die Stirn runzelte.

Seine Lippen bewegten sich, verloren ihren verführerischen Schwung. »Weil ich glaube, dass wir ausgezeichnet miteinander auskommen werden.« Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Ich könnte Ihnen jetzt einen Vortrag über unseren Status, unsere Familien, unseren Hintergrund halten, aber Sie kennen jeden dieser Aspekte ebenso gut wie ich. Und«, sein Blick wurde eindringlich, »wie Sie sicherlich wissen – ich brauche eine Countess.«

Seine Mundwinkel zuckten, und dann fragte er: »Wollen Sie die Meine werden?«

Raffiniert vieldeutig. Sarah schaute in die graublauen Augen hinauf und hörte im Geist die Stimme ihrer Mutter. Denk sorgfältig über Charlies Antrag nach.

Sie forschte in seinen Augen und kam zu dem Schluss, dass sie das würde tun müssen, dass diesmal ihre Antwort nicht so klar auf der Hand lag. Sie wusste nicht, wie oft sie schon einem Gentleman so gegenübergestanden und eine Antwort auf diese Frage gegeben hatte, wenn auch auf vielerlei verschiedene Arten abgemildert. Kein einziges Mal hatte sie darüber nachdenken müssen, wie ihre Entscheidung lauten würde – nur über die Wahl der Worte, mit denen sie sie offerieren würde.

Aber diesmal, bei Charlie …

Ohne seinen Blick loszulassen, presste sie kurz die Lippen aufeinander, atmete ein und dann wieder aus mit einem »Wenn Sie eine ehrliche Antwort haben wollen, dann ist diese ehrliche Antwort, dass ich Ihnen nicht antworten kann. Noch nicht«.

Seine dunkelgoldenen, unglaublich dichten, langen Wimpern senkten sich. Als sie sich hoben, war seine Stirn wieder gerunzelt. »Weshalb nicht? Wann werden Sie mir antworten können?«

Zorn stieg in ihr auf, gezügelt, aber unmissverständlich vorhanden. Nicht überrascht – sie wusste, dass sein Charme nur schöner Schein war, eine Fassade, hinter der Starrsinn und sogar Rücksichtslosigkeit lagen –, studierte sie seine Augen und fand unerwartet Antworten auf zwei der vielen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen. Er wollte tatsächlich sie zur Frau. Und das bald.

Was sie von letzterem halten sollte, wusste sie nicht recht. Und auch nicht, wie sehr sie sich auf ersteres verlassen konnte.

Sarah war sich bewusst, dass er erwartete, sie mit seiner überfallartigen Direktheit und Forschheit einzuschüchtern und zum Nachgeben zu veranlassen. Sie lächelte verbissen und hob kriegerisch das Kinn. »In Beantwortung Ihrer ersten Frage: Sie wissen ganz genau, dass Sie Ihren Antrag ohne Vorwarnung machten. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie sich auch nur mit einem derartigen Gedanken trugen. Ihr Antrag kam aus heiterem Himmel, und es ist einfach so, dass ich Sie, ungeachtet unserer langen Bekanntschaft, nicht gut genug kenne, um Ihnen mit einem klaren Ja oder Nein antworten zu können.«

Sie hielt inne, um ihm Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben. Als keine kam, er nur die Lippen aufeinanderpresste und sein Blick sich in ihren bohrte, fuhr sie fort: »Und was Ihre zweite Frage angeht: Ich werde Ihnen antworten können, sobald ich Sie gut genug kenne, um zu wissen, welche Antwort ich Ihnen geben will.«

Sein Blick wurde noch durchdringender. Nach langem Schweigen sagte er: »Sie wollen, dass ich Ihnen den Hof mache.«

Es klang nicht kämpferisch. Das zumindest hatte sie erreicht.

»Nicht ganz. Ich möchte einfach Zeit mit Ihnen verbringen, um Sie besser kennenzulernen.« Ohne den Blick von seinem zu lösen, setzte sie hinzu: »Und damit Sie mich besser kennenlernen.«

Das überraschte ihn. Seine Mundwinkel zuckten, und er neigte den Kopf.

»Einverstanden.« Jetzt sprach er wirklich mit ihr, nicht mehr formell, sondern persönlich, und sein Ton war intimer geworden.

Sie hatte Mühe, den Schauer zu verbergen, der sie angesichts seiner plötzlich veränderten Stimme überlief. Schon seit Minuten wollte sie den Abstand zwischen ihnen vergrößern, aber da war etwas in seinem Blick, was sie zögern ließ, als käme ein Zurückweichen Feigheit gleich.

Als flüchtete sie vor einem Raubtier. Als forderte sie ihn auf … Ihr Mund war plötzlich trocken.

Er hatte den Kopf leicht schief gelegt und studierte ihr Gesicht. »Und wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis wir einander besser – gut genug – kennen?«

Es war weniger ein Blitzen als vielmehr eine verschleierte Idee in der Tiefe seiner Augen, die Sarah innerlich die Stirn runzeln ließ. Sie war versucht zu sagen, dass sie nicht die Absicht hatte, sich durch seine unzweifelhafte erotische Finesse umstimmen zu lassen, aber das wäre ebenso unklug wie weglaufen. Eine solche Bemerkung würde er höchstwahrscheinlich als Herausforderung interpretieren.

Und dieser Herausforderung wäre sie, dessen war sie sich sicher, nicht gewachsen.

Es war ihr nicht gelungen, auch nur für einen Moment den Blick von ihm zu lösen. »Ein, zwei Monate müssten genügen.«

Seine Züge verhärteten sich. »Eine Woche.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Völlig unmöglich. Vier Wochen.«

Auch er kniff die Augen zusammen. »Zwei.«

Sein Ton hatte eine Endgültigkeit, gegen die sie gerne aufbegehrt hätte – gegen die sie gerne geglaubt hätte, aufbegehren zu können. Mit zusammengepressten Lippen nickte sie. Knapp. »Also gut. Zwei Wochen. Danach bekommen Sie Ihre Antwort.«

Obwohl er sich nicht bewegte, hatte sie das Gefühl, als ob er sich zu ihr vorbeugte.

»Ich habe eine Bedingung.« Endlich gab sein Blick den ihren frei, glitt hypnotisierend abwärts. Seine Stimme wurde noch tiefer, noch bezwingender. »Als Gegenleistung für meine Zustimmung zu den zwei Wochen Brautwerbung, akzeptieren Sie, dass wir, nachdem Sie meinen Antrag angenommen haben«, sein Blick kehrte zu ihrem zurück, »mittels einer Sondererlaubnis innerhalb einer Woche heiraten.«

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, wollte mit ihnen das Wort »Warum?« bilden.

Er trat einen Schritt auf sie zu. »Sind Sie einverstanden?«

Gebannt – durch seinen Blick, seine Nähe – schaffte sie es mit Müh und Not, einen Atemzug zu tun, um Charlie zu antworten: »Ich bin einverstanden. Falls ich Ihren Antrag annehme, können wir mit einer Sondererlaubnis heiraten.«

Er lächelte – und sie entschied spontan, dass, gleichgültig, wie er es auffassen würde, Flucht eine exzellente Idee war.

In diesem Moment packte er sie und zog sie an sich. »Zwei Wochen Brautwerbung – erinnern Sie sich?«, sagte er.

Sie lehnte sich zurück, legte die Hände auf seine Oberarme. Seine Kraft berauschte sie. Ihr wurde schwindlig. »Was ist damit?«

Er lächelte verführerisch. »Sie beginnen jetzt und hier.«

Er neigte den Kopf und senkte seine Lippen auf die ihren.

2

Es war nicht ihr erster Kuss, aber keiner davor war wie dieser gewesen.

Nie hatten ihr die Knie gezittert, nie hatte sie einfach aufgehört zu denken, hatte nur noch gefühlt.

Sie brachte nicht die Kraft auf, sich der Berührung seiner Lippen zu entziehen, dem kunstvoll ausgeübten Druck, der Hitze, die bis in ihre letzte Faser zu dringen schien …

Sarah wurde klar, dass Charlie sie mit diesem Kuss um den Verstand bringen wollte, aber sie war willenlos, zu bezaubert, um sich zu wehren.

Charlie merkte es. Wusste, dass sie fasziniert war, bereit, sich mehr von ihm zeigen zu lassen.

Genau, wie er es beabsichtigt hatte.

Doch genug – dies sollte nur ein Kuss sein, nicht mehr. Aber zu seiner Überraschung kostete es ihn einige Anstrengung, dieses harmlose Vergnügen zu beenden, seinen Mund von ihrem zu lösen, der sich als unerwartet verführerisch erwies.

Frisch und zart. Als Charlie den Kopf hob, fragte er sich, ob das wohl der Reiz der Unschuld war. Und ob es dieses unvertraute Elixier oder ihr unterschwelliger Mutwillen war, was sein Verlangen weckte.

Wie auch immer – als sie, wie aus tiefem Schlaf erwachend, zu ihm aufblinzelte, konnte er nicht umhin, innerlich zu triumphieren. Sie lag warm und weich und begehrenswert in seinen Armen, doch er schob sie sanft von sich und setzte ein charmantes und angemessen harmloses Lächeln auf. »Ich nehme an, wir sehen uns heute Abend – bei Lady Finsbury.« Sein Lächeln wurde einen Hauch anzüglich. »Dann können wir damit fortfahren, uns besser kennenzulernen.«

Ihre Augen verengten sich leicht.

Er hob die Hand, strich mit dem Rücken eines Fingers über ihre Wange, trat zurück, verbeugte sich und ging.

Bevor er in Versuchung geraten konnte, mehr zu tun.

Sarah Conningham war definitiv die Richtige.

Das nächste Mal sah Sarah ihren zukünftigen Verlobten, als er am Abend dieses Tages an der Tür zu Lady Finsburys Salon erschien. Hochgewachsen, aufsehenerregend attraktiv, verwegen-elegant in seinem walnussbraunen Rock, der goldgestreiften Weste und dem gestärkten, elfenbeinweißen Hemd, beugte er sich mit unnachahmlicher Grazie über die Hand der Gastgeberin. Charmant lächelnd machte er ihr ein Kompliment – das erkannte Sarah an Lady Finsburys erfreutem Gesichtsausdruck – und trat in den Raum.

Nachdem er heute Vormittag gegangen war, hatte sie sich mühsam gefasst und zum Arbeitszimmer ihres Vaters begeben, wo ihre Eltern sie erwarteten. Ohne Umschweife hatte sie ihnen erläutert, worauf Charlie und sie sich geeinigt hatten. Obwohl nicht ganz nach dem Geschmack ihrer Eltern ausgefallen, hatten sie sich doch über die Vereinbarung erfreut gezeigt. Ihre Tochter hatte zwar nicht Ja gesagt, aber auch nicht Nein, und nach kurzem Überlegen hatten ihre Mienen sich aufgehellt. Offensichtlich waren sie überzeugt, dass die Zeit, die Sarah sich ausbedungen hatte, um Charlie besser kennenzulernen, nur zu einer positiven Antwort führen könnte.

Ihre Zuversicht verwunderte Sarah nicht. Als sie beobachtete, wie gewandt er mit den Gästen umging – allesamt aus der Umgebung und infolgedessen ihnen beiden bekannt –, hier jemanden begrüßte, dort stehen blieb, um ein paar Worte zu wechseln, und dabei unauffällig, aber unaufhaltsam auf sie zusteuerte, musste sie gestehen, dass sie, was die Konventionen anging, nichts entdeckte, was gegen ihn sprach.

Aber es waren nicht die konventionellen Aspekte, die sie bewogen hatten, auf der Brautwerbung zu bestehen. Sie musste sich überzeugen, dass, was sie als absolut essenziell für ihr zukünftiges Glück mit Charlie erachtete, in seinem Herzen existierte, Teil dessen war, was er ihr bot, ob bewusst oder unbewusst. Sie war es sich, ihren Träumen und ihrer Zukunft schuldig – und allen Gentlemen, deren Anträge sie abgelehnt hatte –, sich zu vergewissern, dass es vorhanden war, irgendwo im Rahmen seiner Absichten. Zuallermindest musste sie einen Beweis dafür finden, dass die Möglichkeit bestand, dass Charlie ihr dieses Eine geben konnte, dass es, eingestanden oder nicht, ein wesentlicher Bestandteil ihrer Ehe sein würde.

Eine Heirat aus Liebe oder keine Heirat – das war ihr Ziel, ihre Sicht ihrer Zukunft, falls diese Zukunft eine Ehe beinhaltete.

Das Zwischenspiel am Vormittag hatte sie in ihrer Entschlossenheit noch bestärkt, nicht von ihrer Vorstellung abzuweichen. Wenn er eine Ehe mit ihr im Sinn hatte, dann war Liebe der Preis, den sie für ihre Hand forderte.

Während sie angeblich den Damen und Herren der Gruppe lauschte, zu der sie sich ans Fenster gesellt hatte, sah sie Charlie aus dem Augenwinkel näher kommen. Als er an ein paar miteinander schwatzenden jungen Mädchen vorbeiging, drehte sich eines in einem gartenwickenrosa Kleid lachend zu ihm um und hielt ihn auf.

Sarah stockte der Atem, aber dann fiel ihr ein, dass Clary ja weder etwas von Charlies Antrag noch von ihrer Übereinkunft wusste – sie hatte ihre Eltern um striktes Stillschweigen gebeten.

Mit einem Lachen trennte Charlie sich von Clary, und gleich darauf stand er vor Sarah, nahm ihre Hand, führte sie an die Lippen und schaute ihr dabei in die Augen.

Wieder vibrierten ihre Nerven, und wieder rieselte ein Schauer über ihren Rücken.

»Guten Abend, Charlie.« Sie standen inmitten alter Bekannter, und sie dachte nicht daran, ihn mit »my Lord« anzusprechen. Seine graublauen Augen festhaltend, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort: »Ich glaube, Lady Finsbury kann ihr Glück kaum fassen, Sie hier zu sehen.«

Sein Lächeln wurde breiter. Er drückte sanft ihre Finger und gab sie dann frei. »Da geht es mir nicht anders.«

Sarah neigte zum Dank für das verblümte Kompliment den Kopf und wartete scheinbar geduldig, während er weitere Gäste begrüßte und mit den Herren pointierte Bemerkungen und die neuesten Sportergebnisse austauschte.

Eines allerdings war jetzt bereits anders zwischen ihnen beiden: Die seltsame Atemlosigkeit, die sie bisher stets befallen hatte, sobald sie seiner ansichtig wurde, war heute Abend ausgeblieben. Sie hatte Charlie studiert, abgeschätzt – vielleicht war das der Grund dafür, dass seine Gegenwart sich erst auf sie ausgewirkt hatte, als er ihr näher kam, nahe genug, dass ihre Blicke sich begegnen, seine Hand die ihre ergreifen konnte.

In diesem Augenblick hatte seine Wirkung auf sie mit einer nie gekannten Intensität eingesetzt, sie beinahe aus der Fassung gebracht, aber als er zu ihr zurückkehrte, hatte sie sich wieder völlig in der Gewalt.

Mit einer kaum merklichen Kopfbewegung bedeutete er ihr, ihm zu folgen. Unauffällig entfernten sie sich von der Gruppe.

Er wollte etwas sagen, doch sie kam ihm zuvor. »Weiß Ihre Familie von Ihrer … Absicht?«, fragte sie, indem sie an ihm vorbeischaute.

Er folgte ihrem Blick zu seiner Mutter Serena, seiner Schwester Augusta und seinem Bruder Jeremy, die gerade eingetroffen waren und von der Gastgeberin begrüßt wurden. »Nein.« Er drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. »Meine Entscheidung ist allein meine Angelegenheit. Ihr Interesse zu wecken würde unser Besserkennenlernen nur erschweren.« Seine Mundwinkel zuckten. »Allerdings sind sie nicht blind – sie werden es bald merken. Wissen denn Ihre Schwestern Bescheid?«

»Wenn es so wäre, würde Clary Ihnen nicht von der Seite weichen.«

»Dann lassen Sie uns um eine möglichst lange Ahnungslosigkeit beten.« Er ließ den Blick über die Köpfe hinwegschweifen. »Ich glaube, es ist gleich Zeit für den ersten Tanz. Wollen wir?«

Die Einleitung eines Cotillons erklang, und Charlie bot Sarah seinen Arm. Er hätte einen Walzer vorgezogen, aber er war nicht bereit zuzusehen, wie ein anderer Gentleman als Erster mit Sarah tanzte. Mit einem anmutigen Nicken legte sie die Hand auf seinen breiten Ärmelaufschlag. Als er sie zwischen den Gästen hindurch zum Speisezimmer führte, das zum Tanzsaal umgestaltet worden war, wurde ihm wieder bewusst, dass die Dinge sich nicht ganz so entwickelten wie erwartet und er sich darauf einstellen musste.

Auf sie. Sie, Lady Sarah, war der Grund für die Schieflage seiner Welt, der Punkt, von dem die Irritationen in seinen Plänen ausgingen.

Bei ihrem Gespräch am Vormittag hatte sie ihn mit ihrer Forderung nach einer Brautwerbung überrumpelt – erst auf dem Weg nach Hause war ihm klar geworden, wie weit sie sich von seiner Vorstellung entfernt hatten. Er hatte damit gerechnet, Conningham Manor als Verlobter zu verlassen; er hatte erwartet, dass Sarah seinen Antrag ohne Wenn und Aber annähme.

Stattdessen war ihm etwas Unerwartetes begegnet, etwas, was so stark war, dass es ihn zwar nicht von seinem Ziel abbrachte, jedoch veranlasste, seine Strecke neu abzustecken. Auch als er Sarah jetzt zu sich umdrehte und sie beide, die Hände erhoben, die Finger ineinander verflochten, ihre Position auf der Tanzfläche einnahmen, spürte er eine innere Stärke von ihr ausgehen, unaufdringlich, aber nicht zu unterschätzen. Aber …

Die Musik wurde lebhafter, und sie bewegten sich in den vorgeschriebenen Figuren, neigten sich, wiegten sich, drehten sich, kamen zusammen, glitten auseinander, und während er für nichts anderes Augen hatte als für ihr Gesicht und ihre anmutige Gestalt, wurde ihm bewusst, wie bezaubernd sie war, wie ihre weichen Rundungen ihn lockten. Auch wenn sich Stahl darunter verbarg. Oder vielleicht gerade deshalb?

Sie wirbelten herum, bewegten sich, die Blicke ineinandergetaucht, im Einklang, dann entgegengesetzt, fanden wieder zusammen, Seite an Seite, Arm an Arm, spürend berührend.

Im Bann ihrer kornblumenblauen Augen fühlte er das Netz der Sinnlichkeit, das Begehren um sie beide wob, während die Musik sie durch die komplizierten Schrittfolgen dirigierte. Als er wieder ihre Hand nahm und ihre Finger sich verflochten, spürte er, wie das Netz sich fester um sie legte, sie enger zusammenführte, als der Tanz es vorschrieb. Als er sie umrundete, ohne dass sich ihre Blicke trennten, der Rhythmus sich beschleunigte und sein Puls sich ihm anpasste, sah er plötzlich Verlangen in ihren Augen erwachen.

Augenblicklich schaute er weg, atmete tief durch, mobilisierte seine Willenskraft und sammelte sich.

Er fand sie weit anziehender als erwartet, das konnte er nicht leugnen. Ihre überraschende Weigerung, seinen Antrag widerspruchslos anzunehmen, hatte sein Interesse in unvorhergesehener Weise verstärkt.

Es war nur sein Jagdinstinkt, der da erwacht war, sagte er sich, angeregt durch den Reiz der Unschuld – den wieder zu kosten er kaum erwarten konnte. Sobald er ihr Einverständnis hätte – ihre Hand und sie –, würde diese übertriebene Faszination mit Sicherheit schwinden.

Aber noch war es nicht so weit.

Der Tanz endete. Er zog Sarah aus ihrem Knicks hoch. Die Bewegung brachte sie einander näher, als sie es sich bis zu diesem Moment gewesen waren.

Näher, als sie es sich seit dem Kuss im Salon ihrer Eltern gewesen waren.

Ihre Augen blickten weit geöffnet zu ihm auf, und wieder verspürte er den Impuls, sie zu küssen, stärker und zwingender als zuvor. Einen flüchtigen Moment lang gab es niemand im Raum außer ihnen. Ihr Blick sank zu seinen Lippen hinab, und sie öffnete die ihren leicht.

Sie standen auf der Tanzfläche, inmitten von Gästen, die jeder Hinweis auf eine Verbindung zwischen ihnen faszinieren würde.

Wieder atmete er durch, biss im Geist die Zähne zusammen und zwang sich, einen Schritt zurückzutreten, um den Bann zu brechen. Sie blinzelte und entspannte sich.

Verstohlen fasste er ihre Hand und ließ den Blick durch den Raum wandern, doch er sah keine Möglichkeit, sich mit ihr in einen ruhigen Winkel zurückzuziehen, wo sie ihre jeweiligen Ziele verfolgen könnten. Sie wollte ihn besser kennenlernen, er wollte sie wieder küssen, sie nachhaltiger kosten.

Aber Finsbury Hall war relativ klein, und draußen regnete es.

Als Charlie mit zusammengepressten Lippen auf Sarah hinunterschaute, sah er sein inneres Stirnrunzeln in ihren Augen gespiegelt. »Diese Umgebung ist unserem Zweck nicht unbedingt förderlich. Wenn ich morgen vorbeikomme – werden Sie Zeit für mich haben?«

Sie überlegte kurz und nickte dann. »Ja.«

»Gut.« Er legte ihre Hand auf seinen Ärmelaufschlag und drehte sich mit ihr Richtung Salon. »Wir verbringen den Tag miteinander, und dann sehen wir weiter.«

Am nächsten Tag holte er sie zu einer Ausfahrt ab – mit seinen beiden unvergleichlichen Grauen. Zu Sarahs unendlicher Erleichterung machten Clary und Gloria einen Spaziergang mit Twitters und sahen nichts – nicht die Pferde, nicht Charlie, nicht, wie er ihr in den offenen Zweispänner half, geschmeidig zu ihr heraufsprang und den Grauen die Peitsche gab, als brenne er mit ihr durch …

In ihren tannengrünen, langen Mantel gehüllt neben ihm sitzend, hatte sie tatsächlich das Gefühl, den Beschränkungen ihres Elternhauses und den manchmal erstickenden Konventionen der Gesellschaft zu entfliehen. Am Ende der Zufahrt lenkte er seine Pferde nordwärts. Verstohlen musterte sie ihn. Er wirkte ausgesprochen beeindruckend in seinem Kutschermantel, und die Selbstverständlichkeit, mit der seine langfingerigen Hände Peitsche und Zügel handhabten, nötigte ihr Bewunderung ab. »Wohin fahren wir?«

»Nach Watchet.« Er warf ihr einen Blick zu. »Ich bin dort geschäftlich engagiert und muss mit meinem Agenten sprechen, aber es wird nicht lange dauern. Danach könnten wir einen Spaziergang machen, im Gasthaus zu Mittag essen und vielleicht«, wieder warf er ihr einen Blick zu, »segeln gehen, wenn das Wetter sich hält und der Wind günstig ist.«

»Sie segeln?«, fragte sie verblüfft.

»Ich besitze ein kleines Boot. Einen Einmaster. Ich kann es alleine segeln – und das tue ich für gewöhnlich auch –, aber es trägt gut und gerne drei Personen. Es liegt an einem Pier in Watchet.«

Sie sah ihn im Geist, allein mit den Wellen, vor dem Wind segeln, der über die Bridgewater Bay fegte. Watchet war eine der Hafenstädte an der Südküste. »Ich war seit Jahren nicht mehr segeln – seit meiner Kindheit. Damals hat es mir großen Spaß gemacht. Die Grundkenntnisse sind noch da.«

Er lächelte. »Gut. Dann können Sie sich nützlich machen.«

Als sie sich Crowcombe näherten, nahm er seine Grauen zurück. Langsam fuhr der Zweispänner durch den Ort. Als sie das letzte Haus hinter sich gelassen hatten, gab er den Pferden die Peitsche, und sie preschten ins offene Gelände hinaus. Nach einer Weile fragte Sarah: »Was machen Sie eigentlich in London? Womit verbringen Sie Ihre Zeit? Ich meine nicht abends, nicht die Bälle und Partys, sondern tagsüber? Alathea erzählte mir einmal, Sie und Gabriel hätten die gleichen Interessen.«

Ohne den Blick von der Straße zu wenden, nickte er. »Um ihre Hochzeit herum hatte ich Gelegenheit, einen Blick in die Welt der Hochfinanz zu werfen. Sie erschien mir als eine aufregende Herausforderung, und Gabriel erklärte sich bereit, mich anzulernen. Ich kam also mehr oder weniger zufällig dazu. Aber heutzutage …«

Zu seiner Überraschung fiel es Charlie leicht, ihr zu erklären, was ihn an der Hochfinanz reizte, seine Begeisterung für Investitionen und die Entwicklung von Projekten, die letztendlich zu großen Verbesserungen für die Allgemeinheit führten, zu umreißen. Vielleicht lag es daran, dass Sarah ernsthaftes Interesse zeigte und ihre Fragen bewiesen, dass sie den nötigen Scharfsinn besaß.

»Momentan setze ich auf Infrastruktur – spekulative Investments. Die meisten Fonds, die ich verwalte – sowohl meine eigenen als auch die meiner Familie –, sind in sicheren Wertpapieren angelegt, aber ihre Verwaltung erfordert weder viel Zeit noch Geschick. Es sind die neuen Spielarten, die mich faszinieren. Spekulative Investments verlangen einem mehr ab, sind ertragreicher, sowohl was den finanziellen Gewinn angeht als auch den persönlichen.«

»Weil hier das Risiko größer ist und damit auch die Herausforderung – bei den risikofreien, sicheren Kapitalanlagen sind Aufwand wie Verlustgefahr geringer.«

Er schaute sie an, nickte und schaute wieder nach vorn. Es irritierte ihn, dass sie seine Beweggründe so schnell begriffen hatte.

Andererseits wäre, wenn sie seine Frau würde, solch Verständnis durchaus begrüßenswert.

Sie fuhren durch Williton. Kurz dahinter brachte er den Zweispänner in einer langen Kurve zum Stehen, und sie blickten auf Watchet hinunter.

Es war eine betriebsame kleine Küstenstadt, deren Häuser den Hafen mit seinen Landungsbrücken und Kais wie liebende Arme umschlossen. Die Kais säumte eine Reihe von Lagerhäusern, allesamt alt, aber eindeutig in Benutzung.

Im Westen, zwischen den letzten Häusern und der Kliffküste, erstreckte sich ein Gelände, das gerodet war und planiert wurde.

»Sie sagten, Sie seien geschäftlich in Watchet engagiert. Was gibt es hier, wovon Sie profitieren wollen?«

»Vom Hafen wie von den Lagerhäusern.«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Und zu welcher Klasse von Investition gehören die Lagerhaus-Anlagen – zu der risikofreien, langweiligen oder zu der riskanten, aufregenden?«

Er grinste. »Ein wenig von beidem. Mit den stetig expandierenden Gewerben und den Spinnereien in Taunton und Wellington ist die Zukunft von Watchet als Hafen gesichert. Der nächste ist Minehead.« Er nickte westwärts. »Nicht nur weiter entfernt, sondern auch der Küstenform wegen schwierig anzufahren.« Wieder schaute er nach unten, auf die in der Bucht vor Anker liegenden Schiffe, die graugrünen Wellen, das Meer, den Bristol Channel. »Watchet wird wachsen. Die Frage ist nur, wie sehr und wie schnell. Das Risiko besteht darin, die richtige Laufzeit der Anlage abzuschätzen, um einen effektiven Ertrag zu erzielen.«

Die Grauen begannen, ungeduldig mit den Hufen zu scharren. Das Gefälle der Straße nach Watchet war sanft, ohne steile Abschnitte, ideal für die schweren Lastkarren, die Tuche oder Vliese zum Verschiffen hinunter- und Wein und Holz von den Schiffen hinaufbrachten.

Charlie vergewisserte sich, dass kein großer Wagen auf dem Weg herauf war, und ließ die Zügel schnalzen.

In der Stadt angekommen, bog er in den Hof des Bell Inn ein und ließ die Pferde in der Obhut des dienstbeflissenen ersten Stallburschen, der Charlie gut kannte. Die Hand auf Charlies Arm gelegt, trat Sarah auf die High Street hinaus.

Was folgte, war eine kleine Einführung in Watchets Wirtschaftsleben. Charlies Mann vor Ort war teils Gütermakler, teils sein Agent; er koordinierte den vorhandenen Lagerraum mit den im Hafen umgeschlagenen Gütern.

Sarah saß in einem Sessel neben Charlie und hörte zu, als Mr Jones ihn über den Bestand in seinen Lagerhäusern informierte. Alle waren nahezu voll, wofür ihm Charlie Anerkennung zollte.

»Hier.« Jones beugte sich vor und schob ein mit Zahlen beschriebenes Blatt über den Schreibtisch. »Das sind, wie gewünscht, die errechneten Güterumfänge, die wir erreichen müssen, um ein weiteres Lagerhaus rentabel zu machen. Sie liegen gut im Rahmen dessen, womit wir innerhalb eines Jahres erfahrungsgemäß durchschnittlich rechnen können.«

Charlie nahm das Papier, überflog die Zahlen und bombardierte Jones anschließend mit Fragen.

Sarah spitzte die Ohren. Sie hatte genug von Charlie gehört, um zu erkennen, worauf sie abzielten – genug, um das Risiko und den potenziellen Ertrag einschätzen zu können.

Als sie Jones zehn Minuten später verließen, reichte sie dem Mann, wohl wissend, zu welchen Überlegungen ihre Anwesenheit ihn veranlasst hatte, zum Abschied lächelnd die Hand.

Gemächlich schlenderten sie in westlicher Richtung am Hauptkai entlang, den Salzgeruch des Windes in der Nase und die misstönenden Schreie der Möwen in den Ohren. Am Ende des Kais fasste Charlie sie unter und führte sie eine kopfsteingepflasterte Straße hinauf, zwischen zwei alten und verwitterten Lagerhäusern hindurch zu einem großen, ebenen, felsigen Ufergrundstück. Es war abgesteckt, Seile waren zwischen Pfosten gespannt.

Ein paar Schritte weiter blieb Charlie stehen, und sie blickten Richtung Meer. Stadt und Lagerhäuser lagen zu ihrer Rechten, vor ihnen streckte sich die neueste und westlichste Landungsbrücke in die kabbelige See.

Charlie drehte sich Sarah zu. »Ich denke daran, hier noch ein Lagerhaus zu bauen. Was meinen Sie dazu?«

Sie hob die Hände, um die Haare zu bändigen, die der Wind ihr ins Gesicht wehte, und dachte, während sie das ihnen am nächsten stehende Lagerhaus betrachtete, an die Zahlen, die sie bei Jones mitbekommen hatte. »Also ich würde zwei Speicher bauen – oder zumindest einen doppelt so großen wie den da.« Sie deutete auf das Gebäude. »Ich bin nicht gut im räumlichen Schätzen, aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass das voraussichtlich steigende Gütervolumen mit Leichtigkeit zwei Lagerhäuser füllen würde – wenn nicht sogar drei.«

Charlie grinste. »Wenn nicht sogar vier. Sie haben recht.« Er schaute sich den Kai an und dann das Gelände, auf dem sie standen. »Ich dachte an zwei. Das Risiko wäre sehr gering. Aller Voraussicht nach werden sie leicht zu füllen sein. Kein Grund, gierig zu werden – zwei genügen. Aber eines in der doppelten Größe …« Er hielt inne und meinte dann: »Die Idee ist nicht von der Hand zu weisen.«

Sarah triumphierte innerlich. »Wem gehört der Grund?«

Charlie nahm wieder ihren Arm und dirigierte sie Richtung Stadt. »Mir. Ich habe ihn vor Jahren gekauft.«

Sie zog die Brauen hoch. »Ein spekulatives Investment?«

Er nickte. »Eines, das verspricht, sich bezahlt zu machen.«

Sie wanderten gemächlich zum Gasthaus zurück, betrachteten die an den Landungsbrücken liegenden Handelsschiffe mit ihren zu löschenden Ladungen. Der Hauptkai summte vor Geschäftigkeit. Charlie half Sarah über mehrere Taue hinweg und zwischen Stapeln von Kisten hindurch, bis sie zum Gasthaus abbiegen konnten.

Der Wirt begrüßte beide, kannte beide, aber Charlie – Seine Lordschaft, der Earl – war ihm offensichtlich eine Extraportion Aufmerksamkeit wert. Sie wurden zu einem Tisch in einer verschwiegenen Ecke mit Blick auf den Hafen geführt.

Das Essen war exzellent. Sarah hatte erwartet, dass ihnen der Gesprächsstoff ausgehen würde, aber Charlie erkundigte sich nach allen Arten lokaler Neuigkeiten, die ihm in den letzten hauptsächlich in London verbrachten zehn Jahren entgangen waren, und die Zeit flog nur so dahin.

Unter dem Vordach des Gasthauses blieben sie stehen und schauten aufs Meer hinaus. Der Wind hatte sich zu einer leichten Brise gemindert, und das Wasser war nicht mehr kabbelig. Die Sonne hatte eine Lücke in der Wolkendecke gefunden und tauchte die Szenerie in goldenes Licht, milderte die Kälte.

Charlie schaute Sarah an. »Haben Sie Lust?«

Sie begegnete seinem Blick und nickte lächelnd. »Wo liegt Ihr Boot?«

Er führte sie am Kai entlang gen Osten, vorbei an den Anlegeplätzen der Handelsschiffe zu den schmaleren Anlegern der kleineren Privatboote. Charlies Boot lag fast am Ende eines Piers vertäut. Sarah erkannte auf den ersten Blick, dass es, offenbar sorgfältig gepflegt und kürzlich frisch gestrichen, in ausgezeichnetem Zustand war.

Das Leuchten in Charlies Augen, als sie ihm beim Ablegen half, verriet ihr, dass Segeln seine Leidenschaft war, und die Geschicklichkeit, mit der er das Boot steuerte, verriet ihr, dass er dieser Leidenschaft häufig frönte. Beziehungsweise gefrönt hatte. Sie bezweifelte, dass er in den letzten Jahren oft dazu Zeit gefunden hatte.

Sie lehnte sich zurück und beobachtete, wie er die Ruderpinne handhabte. Beobachtete, wie der Wind mit seinen goldenen Locken spielte. Daran, wie ihre Frisur aussah, mochte sie gar nicht denken.

»Vermissen Sie das hier, wenn Sie in London sind?«

Er drehte sich ihr zu. Auf dem Wasser wirkten seine Augen graugrün. »Ja«, antwortete er. Der Wind riss ihm das Wort von den Lippen. Charlie beugte sich während eines Manövers vor, und sie rückte näher, um ihn besser verstehen zu können.

»Ich liebe es seit jeher, vor dem Wind zu segeln, wenn das Segel sich bläht und der Bug sich ein Stück aus dem Wasser hebt und dann die Wellen durchschneidet. Man spürt die Kraft, man kann sie zügeln, aber nie wirklich beherrschen. Wenn ich hier draußen bin, fühle ich mich gesegnet.« Er schaute ihr in die Augen. »Als lächelten die Götter.«

Sie lächelte ihrerseits, hielt mit beiden Händen ihre fliegenden Haare fest, während Charlie am Ende des Piers Kurs aufs offene Wasser nahm. Und dann flogen sie dahin, immer schneller, immer weiter. Sarah legte den Kopf in den Nacken und lachte zu den Wolken hinauf, die am Himmel dahintrieben, schnappte erschrocken nach Luft, als eine Welle gegen das Boot schlug und es bedrohlich schwankte. Doch im nächsten Moment flogen sie wieder.

Die Götter lächelten noch die ganze nächste Stunde.

Wieder und wieder ertappte Sarah sich dabei, Charlie anzusehen, und sie spürte, dass ein törichtes Lächeln auf ihrem Gesicht lag, während sie seinen Anblick regelrecht aufsog, die wild flatternden Locken, die ob der Gischt zu Schlitzen verengten Augen, die breiten Schultern, die kräftigen Arme. Nie zuvor hatte sie seine Wikinger-Seite so deutlich gesehen. Jedes Mal, wenn ihr bewusst wurde, dass sie ihn anschmachtete, schaute sie schnell weg, aber kurz darauf kehrte ihr Blick unwiderstehlich angezogen zum Objekt ihrer Besessenheit zurück.

Anfangs dachte sie, die Aufmerksamkeit wäre einseitig, doch dann bemerkte sie, dass Charlie, wann immer sie ihm zur Hand ging, jede ihrer Bewegungen mit den Augen verfolgte. Sein Blick erschien ihr seltsam hart, besitzergreifend. Sie sagte sich, dass ihre Phantasie mit ihr durchginge, ihr Gedanken an Wikinger und Raubzüge eingab, aber sie konnte nicht verhindern, jedes Mal zu erschauern, wenn er sie so ansah, konnte nicht verhindern, dass ihr Herz in ihrer Brust hüpfte, sobald er ihr einen Befehl erteilte.

Glücklicherweise ahnte er nichts davon, und so konnte sie sich diese Gefühlszustände erlauben, während sie darüber nachdachte, was sie wohl zu bedeuten hatten.

Schon nach kurzer Zeit entwickelten sie ein reibungsloses Miteinander. Sarah erinnerte sich noch genau an das, was sie gelernt hatte, duckte sich, wenn der Baum über sie hinwegschwang, holte das erschlaffte Segel geschickt mit den richtigen Tauen ein.

Als Charlie den Bug schließlich Richtung Anleger drehte, war sie gleichermaßen erschöpft und fröhlich. Obwohl kaum ein Wort gefallen war, hatte sie mehr über ihn erfahren als erwartet. Der Tag hatte ihr Seiten von ihm enthüllt, von deren Existenz sie nichts gewusst hatte.

Als das Boot den Steg fast erreicht hatte, blieb ihr vorauswandernder Blick an einem Gentleman und einem anderen Mann hängen, die auf dem Gelände standen, wo Charlie sein neues Lagerhaus bauen wollte. Sie beschattete ihre Augen, kniff sie zusammen, um besser sehen zu können. »Da ist jemand auf Ihrem Grundstück.«

Charlies Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Er runzelte die Stirn. »Wer ist der Gentleman? Kennen Sie ihn?«

Sie strengte ihre Augen an, musterte die feine Kleidung, die weizenblonden Haare – und schüttelte den Kopf. »Er ist nicht von hier. Aber den anderen kenne ich. Das ist Skilling, der Grundstücksmakler.«

Sie hatten den Pier erreicht, und Charlie manövrierte das Boot geschickt zu seinem Anlegeplatz. »Ich habe das Grundstück über Skilling erworben – er weiß also, dass es mir gehört.«

»Vielleicht will der andere Gentleman ebenfalls Lagerhäuser bauen.«

Charlie starrte den geheimnisvollen Fremden mit zusammengekniffenen Augen an. Er und Skilling verließen nun das Grundstück, gingen jedoch nicht Richtung Kai, sondern Richtung Stadt. »Ja, vielleicht.«

Er nahm sich vor, den Grundstücksmakler auf den Gentleman anzusprechen. Ein Fremder – wenn Sarah ihn nicht wenigstens vom Sehen kannte, war er definitiv kein Einheimischer –, der Interesse an Grund und Boden und/oder Lagerhäusern in Watchet zu haben schien, war jemand, über den er Bescheid wissen musste.

Unglücklicherweise blieb Charlie keine Zeit, sofort mit Skilling zu reden – die Sonne senkte sich bereits, und er musste Sarah nach Hause bringen, bevor es dunkel wurde.