Tagebuch eines Vampirs - In der Schattenwelt - Lisa J. Smith - E-Book

Tagebuch eines Vampirs - In der Schattenwelt E-Book

Lisa J. Smith

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Beschreibung

Die Spiegel Besteller-Romanvorlage zur beliebten TV-Serie "The Vampire Diaries".

Mit dem Tod Catarinas scheint das Böse in Fell’s Church endgültig begraben zu sein. Doch auch Elena hat ihre Liebe zu Stefano bitter mit dem Leben bezahlt. Gefangen in einer Schattenwelt, spürt sie, dass das Grauen noch lange kein Ende hat: Ihr Geist wird von einer furchtbaren Macht gebannt, und die hat es auch auf ihre irdischen Freunde abgesehen! Zur Tatenlosigkeit verdammt, empfängt Elena die verzweifelten Hilferufe ihrer telepathisch begabten Freundin Bonnie, denn über Fell’s Church ist das Unheil bereits hereingebrochen – und hat sich mit der hübschen Sue schon das erste Menschenleben einverleibt! Elena weiß: Diese unheilvolle Macht ist die älteste, stärkste und gefährlichste, mit der sie es je zu tun hatten. Und es gibt nur eine Möglichkeit, sie zu besiegen: Wenn Stefano und Damon ihre Feindschaft – die das Böse aus Rache für die Jahrhunderte zurückliegende Vergangenheit unbarmherzig aufs Neue schürt – überwinden und Seite an Seite kämpfen. Doch der Hass sitzt tief und das Grauen hat viele Gesichter …
Während Elena verzweifelt darauf hofft, von ihrem Schattendasein erlöst zu werden, steht Stefano in einem blutigen Showdown Auge in Auge mit dem Ursprung alles Bösen: Es ist Nicolaus, der schier übermächtige Vampir, der einst schon Catarina in seine blutrünstige Schöpfung verwandelt hatte. Aber kein Preis ist Stefano zu hoch, um Elena zu rächen und Fell’s Church zu retten! Doch auf welcher Seite steht Damon?

Leidenschaftlich und blutdürstig, die Tagebücher eines Vampirs sind ein fesselnder Pageturner mit Suchtgefahr!

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Seitenzahl: 292

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Lisa J. Smith

In der Schattenwelt

Tagebuch eines Vampirs

Aus dem Amerikanischen von Ingrid Gross

cbt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 1992 by Daniel Weiss Associates, Inc., and Lisa J. Smith

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Dark Reunion – The Vampire Diaries 4« bei Harper Paperbacks, New York. Published by arrangement with 17th Street Productions, Inc., at Alloy, Inc. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Die Rache« bei CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten durch cbt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen. Übersetzung: Ingrid Gross Neu bearbeitet von: Kerstin Windisch

DIE AUTORIN
Weitere lieferbare Titel von Lisa J. Smith bei cbt: Im Zwielicht (30497) Bei Dämmerung (30498) In der Dunkelheit (30499)
KAPITEL EINS
»Alles kann wieder so werden wie früher«, versicherte Caroline warm und drückte Bonnies Hand.
Aber das stimmte nicht. Niemals konnte es wieder so werden wie vor Elenas Tod. Bonnie überkam ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken an das, was Caroline vorhatte. Irgendetwas sagte ihr, dass es eine sehr, sehr schlechte Idee war.
»Meredith’ Geburtstag ist doch schon vorbei«, warf sie ein.
»Der war am letzten Samstag.«
»Das weiß ich. Aber sie hatte keine Party. Jedenfalls keine, wie ich sie für Meredith plane. Wir haben die ganze Nacht Zeit. Meine Eltern kommen erst am Sonntagmorgen zurück. Nun sei kein Spielverderber, Bonnie. Denk daran, wie überrascht Meredith sein wird.«
Oh, sie wird sehr überrascht sein, dachte Bonnie. So überrascht, dass sie mir hinterher den Hals umdreht. Laut sagte sie: »Meredith wollte keine Party. Ihr war nicht nach Feiern zumute. Es schien ihr irgendwie … pietätlos.«
»Genau das ist falsch. Elena würde wollen, dass wir uns amüsieren, das weißt du genau. Sie liebte Partys. Und sie würde es hassen, uns sechs Monate nach ihrem Tod immer noch wie Trauerklöße herumsitzen zu sehen.« Caroline lehnte sich nach vorn. Ihre grünen Katzenaugen blickten ernst und bittend. Sie verstellte sich nicht. Das war keines von Carolines üblichen bösen kleinen Spielchen.
»Ich möchte, dass wir wieder Freundinnen werden«, fuhr sie fort. »Wir haben früher immer unsere Geburtstage zusammen gefeiert, nur wir vier. Erinnerst du dich? Und weißt du noch, wie die Jungs jedes Mal mit allen Tricks versucht haben, unsere Partys zu sprengen? Ob sie das wohl dieses Jahr auch machen werden?«
Bonnie merkte, wie ihr die Kontrolle über die Situation entglitt. Eine ganz, ganz schlechte Idee, dachte sie wieder. Doch Caroline redete immer weiter. Sie sah verträumt und fast romantisch aus, während sie von der guten alten Zeit sprach. Bonnie brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass diese Zeiten nie wiederkommen würden.
»Aber wir sind nicht mehr zu viert. Eine Party zu dritt macht doch keinen Spaß«, protestierte sie schwach, als es ihr gelang, Carolines Redeschwall zu unterbrechen.
»Ich werde auch Sue Carson einladen. Meredith versteht sich doch mit ihr, oder?«
Bonnie musste zugeben, dass das stimmte. Im Grunde mochte jeder Sue. Trotzdem, sie musste Caroline begreiflich machen, dass sie die Vergangenheit nicht zurückholen konnte. Man konnte nicht Sue als Ersatz für Elena nehmen und behaupten, damit sei alles in Ordnung.
Wie soll ich es ihr nur erklären?, dachte sie verzweifelt. Plötzlich hatte sie die Antwort. »Laden wir doch Vickie Bennett ein.«
Caroline starrte sie fassungslos an. »Vickie Bennet? Du machst wohl Witze? Ich soll mit dieser Idiotin einen ganzen Abend verbringen, die vor der vollbesetzten Cafeteria praktisch einen Striptease hingelegt hat? Nach allem, was passiert ist?«
»Gerade deshalb!«, erwiderte Bonnie fest. »Okay, sie hat nie zu unserer Clique gehört. Aber sie zieht auch nicht mehr mit den falschen Typen rum. Die wollen sie nicht mehr und Vickie selbst fürchtet sich zu Tode vor ihnen. Sie braucht neue Freunde. Wir brauchen Leute. Also?«
Einen Moment machte Caroline einen fast hilflosen Eindruck. Bonnie hatte trotzig das Kinn vorgeschoben, die Hände in die Hüften gestemmt, und wartete. Schließlich seufzte Caroline. »Gut, du hast gewonnen. Ich werde sie einladen. Aber du musst dafür sorgen, dass Meredith am Samstagabend zu mir nach Hause kommt. Und, Bonnie, kein Sterbenswörtchen! Ich möchte, dass es eine Überraschung für sie wird.«
»Oh, das wird es sicher«, sagte Bonnie bitter. Sie war weder auf Carolines offensichtliche Freude noch auf die warme Umarmung vorbereitet, die folgte.
»Ich bin froh, dass du die Dinge so siehst wie ich. Es wird uns allen guttun, mal wieder beisammen zu sein.«
Sie versteht nichts, dachte Bonnie leicht benommen, als Caroline wegging. Was soll ich bloß machen, um es ihr beizubringen? Sie k. o. schlagen?
Dann kam ihr ein weiterer unerfreulicher Gedanke. Oh Gott. Jetzt muss ich es auch noch Meredith beichten!
Bis zum Abend war Bonnie jedoch zu dem Entschluss gekommen, dass Meredith gar nichts zu wissen brauchte. Caroline wollte sie sowieso überraschen. Bonnie sollte ihr den Gefallen tun und eine völlig ahnungslose Meredith bei ihr abliefern. So ersparte sie Meredith, sich vorher zu viele Gedanken zu machen. Ja, sagte sich Bonnie. Es ist wahrscheinlich sogar das Beste, sie im Unklaren zu lassen.
Und wer weiß?, schrieb sie Freitagabend in ihr Tagebuch, wäre doch gut möglich, dass ich zu hart zu Caroline bin und all die Dinge, die sie uns angetan hat, ihr wirklich leidtun. Wie zum Beispiel der Versuch, Elena vor der ganzen Stadt bloßzustellen und Stefano wegen Mordes ins Gefängnis zu bringen. Vielleicht ist Caroline seither reifer geworden und hat gelernt, sich auch um andere zu kümmern und nicht mehr nur um sich selbst. Am Ende amüsieren wir uns wirklich auf ihrer Party und es ist wie früher.
Und mich kidnappen vielleicht vor morgen Nachmittag fremde Wesen aus dem All, dachte sie, während sie das Tagebuch schloss. Man konnte immerhin hoffen.
Das Büchlein hatte sie billig im Kaufhaus erstanden. Sein Deckel war mit kleinen Blumen bedruckt. Sie führte erst seit Elenas Tod ein Tagebuch, aber inzwischen wollte sie es nicht mehr missen. Es war der einzige Platz, an dem sie alles sagen konnte, was sie wollte, ohne dass man sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansah und ausrief: »Bonnie McCullough!« oder seufzte: »Aber Bonnie!«
Ihre Gedanken waren noch bei Elena, als sie das Licht ausmachte und unter die Bettdecke kroch.
 
Bonnie saß auf einem üppigen, gepflegten Rasen, der in alle Richtungen ins Endlose zu reichen schien. Der Himmel war makellos blau, die Luft warm und voller Blütenduft. Vögel sangen.
»Ich bin so froh, dass du kommen konntest«, sagte Elena. »Oh ja«, antwortete Bonnie. »Ich natürlich auch.« Sie sah sich um und dann wieder schnell zu Elena.
»Noch Tee?«
Bonnie hielt eine Teetasse in der Hand. Sie war aus feinstem Porzellan und eierschalendünn. »Ja, danke.«
Elena trug ein mädchenhaftes weißes Jugendstilkleid. Es war aus zartem Musselin. Der Stoff schmiegte sich an ihren Körper und machte deutlich, wie schlank sie war. Sie goss den Tee mit einer eleganten Bewegung ein, ohne einen Tropfen zu verschütten.
»Eine Maus dazu?«
»Eine WAS?«
»Ich sagte, hättest du gern ein Sandwich zum Tee?«
»Oh, ein Sandwich. Ja. Prima.« Es bestand aus hauchdünnen Gurkenscheiben mit Mayonnaise auf einem kleinen, viereckigen Stück Weißbrot, ohne Rinde natürlich.
Die ganze Szene war unwirklich schön. Wie gemalt von Monet. Wir sind in Warm Springs, dachte Bonnie. An unserem alten Picknickplatz. Aber sicher gibt es wichtigere Dinge zu besprechen als Tee und Sandwichs.
»Wer macht dir eigentlich das Haar?«, fragte sie. Elena war nie allein mit ihrer Frisur fertig geworden.
»Gefällt es dir?« Elena strich sich mit der Hand über ihre seidige hellblonde Haarpracht, die im Nacken zu einem losen Knoten zusammengefasst war.
»Es ist perfekt.« Bonnie kam sich vor wie ihre eigene Mutter. »Das Haar ist sehr wichtig, weißt du«, erwiderte Elena und sah Bonnie eindringlich an.
Ihre Augen waren von tieferem Blau als der Himmel. Lapislazuliblau. Verlegen fuhr sich Bonnie durch die eigenen widerspenstigen roten Locken.
»Natürlich ist auch Blut wichtig.«
»Blut? Ja, klar.« Bonnie hatte keine Ahnung, wovon Elena sprach. Plötzlich hatte sie das Gefühl, auf einem straff gespannten Seil über einem Fluss voller Krokodile zu balancieren. »Ja, Blut ist auch wichtig«, stimmte sie schwach zu.
»Noch ein Sandwich?«
»Danke.« Dieses war mit Käse und Tomaten belegt. Elena nahm sich selbst auch eines und biss geziert hinein. Bonnie beobachtete sie. Ihre bösen Ahnungen wuchsen von Minute zu Minute, und dann …
Dann sah sie den Schlamm an den Seiten des Sandwichs hervorquellen.
»Was … was ist das?« Vor lauter Angst hörte sich ihre Stimme ganz schrill an. Zum ersten Mal war der Traum wirklich ein Traum. Bonnie merkte, dass sie wie gelähmt war. Sie konnte nur keuchend Luft holen und fassungslos zusehen. Ein dicker Spritzer des dunklen Zeugs fiel aus Elenas Sandwich auf das karierte Tischtuch. Kein Zweifel, es war Schlamm.
»Elena … Elena, was hat das …«
»Oh, das essen wir hier unten alle.« Elena lächelte sie mit braun befleckten Zähnen an. Aber es war nicht mehr ihre Stimme. Sie klang hässlich und verzerrt. Die Stimme eines Mannes. »Und du wirst es auch tun.«
Die Luft war nicht mehr warm und duftend. Es war heiß und roch ekelerregend süß nach verwestem Fleisch. Schwarze Löcher bedeckten die Wiese, die ungepflegt und voller Unkraut war. Das war nicht mehr Warm Springs. Bonnie befand sich auf dem alten Friedhof. Wieso hatte sie das nicht eher bemerkt? Nur dass diese Gräber ganz frisch ausgehoben waren.
»Noch eine Maus?«, fragte Elena und kicherte. Bonnie betrachtete das halb gegessene Sandwich, das sie noch in der Hand hielt, und schrie auf. An einem Ende hing ein brauner Schwanz hervor. Sie schleuderte das Brot mit Wucht gegen einen Grabstein, wo es mit einem feuchten Platsch aufschlug. Dann sprang Bonnie auf. Ihr drehte sich der Magen um. Hektisch rieb sie ihre Hände an den Jeans ab.
»Du kannst jetzt nicht gehen. Die anderen kommen doch erst.« Elenas Gesicht begann, sich zu verändern. Sie hatte bereits ihr Haar verloren und ihre Haut wurde grau und ledrig wie die einer Mumie. Hässliche Würmer, Käfer und Insekten krabbelten auf den Tellern mit den Sandwichs herum und wanden sich in der Erde der frischen Gräber. Bonnie weigerte sich, genauer hinzusehen. Ich verliere noch den Verstand, dachte sie.
»Du bist nicht Elena!«, schrie sie und floh.
Der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht und machte sie blind. Ihr Verfolger war ihr dicht auf den Fersen. Zur Brücke, das war ihre einzige Chance. Da prallte sie mit jemandem zusammen.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte das Ding in Elenas zerfetztem Kleid, dieses skelettartige graue Wesen mit den langen, scharfen Zähnen. »Hör mir zu, Bonnie.« Es hielt sie mit übernatürlicher Kraft fest.
»Du bist nicht Elena. Du bist nicht Elena!«
»Hör mir zu, Bonnie!«
Das war wieder Elenas richtige Stimme, nicht mehr spöttisch, rau und hässlich, sondern liebevoll und gleichzeitig sehr eindringlich. Sie kam von irgendwo hinter Bonnie und wehte durch den Traum wie ein frischer, kühler Wind. »Bonnie, hör mir schnell zu …«
Alles begann, sich aufzulösen. Die knochigen Hände, die Bonnies Arme gepackt hielten, der schreckliche Friedhof, die stickige, heiße Luft. Einen Moment klang Elena ganz klar, dann plötzlich knisternd und gebrochen, wie bei einer schlechten Telefonverbindung.
»… er verdreht die Dinge, verändert sie. Ich bin nicht so stark wie er …« Bonnie konnte nicht alle Worte richtig verstehen.
»… aber das ist wichtig. Du musst … sofort finden.« Die Stimme schwand.
»Elena, ich höre dich nicht mehr!«
KAPITEL ZWEI
»Das ist alles, woran ich mich erinnern kann«, schloss Bonnie, als sie mit Meredith zwischen alten viktorianischen Häusern die Sunflower Street hinunterging.
»Und es war ganz sicher Elena?«
»Ja. Sie versuchte mir am Schluss etwas mitzuteilen. Aber gerade dieser Teil des Traums ist verschwommen. Ich habe nur gespürt, dass es wichtig war. Sehr, sehr wichtig.«
»Mäuse-Sandwichs und offene Gräber?« Meredith hob eine ihrer eleganten Augenbrauen. »Wirfst du da nicht Stephen King und Lewis Carroll durcheinander?«
Wahrscheinlich hat sie recht, dachte Bonnie. Trotzdem machte der Traum ihr zu schaffen. Den ganzen Tag schon konnte sie sich auf nichts anderes konzentrieren und das hatte ihre ursprünglichen Sorgen verdrängt. Jetzt, da sie sich mit Meredith Carolines Haus näherte, kamen sie jedoch mit Wucht wieder zurück. Ich hätte Meredith alles sagen müssen, dachte sie und warf einen beklommenen Blick auf das größere Mädchen. Ich hätte sie nicht unvorbereitet da hineinlaufen lassen dürfen …
Meredith schaute seufzend zu den erleuchteten Fenstern des alten Queen-Anne-Hauses hoch. »Brauchst du diese Ohrringe wirklich heute Abend so dringend?«
»Ja.« Jetzt war es ohnehin zu spät. Was blieb ihr anderes übrig, als das Beste daraus zu machen? »Sie werden dir gefallen, wenn du sie siehst«, fügte sie hinzu und hörte selbst die Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung in ihrer Stimme. Meredith blieb stehen. Ihre scharfen dunklen Augen musterten neugierig Bonnies Gesicht. Dann klopfte sie an die Tür. »Ich hoffe nur, Caroline ist heute Abend nicht zu Hause. Es könnte sonst sein, dass sie sich an uns ranhängt.«
»Caroline am Samstagabend zu Hause? Sei nicht albern.« Bonnie hatte vor Anspannung zu lange den Atem angehalten. Sie fühlte sich ein wenig wie beschwipst. Ihr helles Lachen klang gezwungen und falsch. »Was für eine Vorstellung!«, fuhr sie leicht hysterisch fort und konnte gar nicht aufhören, sich darüber zu amüsieren.
»Ich glaube, es ist überhaupt niemand zu Hause«, sagte Meredith skeptisch.
»Carolinchen war allein zu Haus, die Eltern waren beide aus …«, zitierte Bonnie mit Überschwang.
Meredith hatte die Hand auf den Türknopf gelegt. Jetzt hielt sie inne. »Sag mal, Bonnie, hast du einen Sonnenstich?«, fragte sie leise.
»Nein.« Wieder auf den Boden zurückgekehrt, griff Bonnie nach Meredith’ Arm und sah sie flehend an. Die Tür öffnete sich wie von selbst. »Oh, Gott, Meredith. Bitte dreh mir nicht den Hals um …«
»Überraschung!«, riefen drei Stimmen.
»Lächle«, zischte Bonnie und schob die plötzlich widerspenstige Freundin durch die Tür auf den Hausflur und in ein helles Zimmer voller Musik, Konfetti und Luftschlangen. Sie selbst setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Töte mich später. Ich verdiene es vermutlich. Aber jetzt – lächle!«, flüsterte sie Meredith mit zusammengepressten Zähnen ins Ohr.
An der Decke hingen bunte Luftballons und auf dem Tisch lag ein Berg Geschenke. Sogar an Blumen hatte Caroline gedacht. Bonnie fiel jedoch sofort auf, dass die Orchideen in dem großen Gesteck genau zu Carolines hellgrünem Schal passten. Es war ein Seidenschal von Hermès mit einem Muster aus Weinranken und Blättern. Ich wette, am Ende wird sie sich eine der Orchideen ins Haar stecken, dachte Bonnie.
Sue Carsons blaue Augen blickten ein bisschen ängstlich. Ihr Lächeln war besorgt. »Ich hoffe, du hattest für heute Abend keine anderen Pläne, Meredith«, sagte sie.
»Nichts, das sich nicht verschieben ließe«, erklärte Meredith trocken. Aber sie lächelte Sue warm an und Bonnie entspannte sich. Sue hatte wie Bonnie, Meredith und Caroline zu Elenas ursprünglicher Clique gehört. Sie sowie Bonnie und Meredith waren die Einzigen gewesen, die sich auf Elenas Seite gestellt hatten, als alle anderen gegen sie waren. Bei Elenas erstem Begräbnis hatte Sue gesagt, dass Elena immer die wahre Königin der Robert-Lee-Highschool bleiben würde, und hatte ihre eigene Nominierung zur Schneekönigin des Winterballs im Gedenken an Elena zurückgezogen. Niemand konnte Sue hassen. Das Schlimmste ist vorbei, dachte Bonnie.
»Ich möchte ein Foto von uns hier auf der Couch haben. Mit den Blumen im Vordergrund.« Caroline übernahm das Kommando. »Würdest du es bitte machen, Vickie?«
Vickie Bennett hatte bisher still und unbeachtet am Rand des Zimmers gestanden. »Ja, sicher«, sagte sie jetzt und strich sich nervös das lange hellbraune Haar aus der Stirn, während sie eifrig den Fotoapparat hochhob.
Wie ein Dienstmädchen, dachte Bonnie, dann wurde sie vom Blitzlicht geblendet.
Als das Polaroidfoto fertig war, betrachteten es Sue und Caroline lachend und scherzend, während Meredith trocken und höflich blieb. Bonnie fiel etwas auf. Es war ein gutes Foto geworden. Caroline sah toll aus wie immer mit ihren langen kastanienbraunen Haaren und den hellgrünen Orchideen im Vordergrund. Und da war Meredith mit ihrem ironischen Lächeln und ihrer dunklen Schönheit, die ohne ihr Zutun überall hervorstach. Schließlich Bonnie selbst, einen Kopf kleiner als die Freundinnen, die roten Locken wirr und mit einem dämlichen Ausdruck im Gesicht. Aber das Merkwürdige war die andere Person neben ihr auf der Couch.
Es war Sue. Natürlich war es Sue. Doch einen Moment lang schienen die blauen Augen jemand anderem zu gehören. Jemandem, der sie flehend ansah und im Begriff war, etwas ganz Wichtiges zu sagen. Bonnie runzelte die Stirn und blinzelte. Das Bild verschwamm vor ihren Augen und eine Gänsehaut überlief sie.
Nein, es war nur Sue auf dem Foto. Ich muss wohl kurz eine Halluzination gehabt haben, dachte Bonnie. Oder sie hatte sich von Carolines Wunsch, alle wieder wie früher zusammenzuholen, so sehr anstecken lassen, dass sie Gespenster sah.
»Ich mache das nächste Bild.« Sie sprang auf. »Setz dich, Vickie. Rück ein bisschen näher heran. Noch näher. Das ist es!« Jede Bewegung von Vickie war hastig und nervös. Als das Blitzlicht aufzuckte, fuhr sie zusammen wie ein verängstigtes Tier auf der Flucht.
Caroline warf kaum einen Blick auf dieses Bild. Sie stand auf und ging stattdessen in die Küche voraus. »Ratet mal, was wir statt eines Kuchens haben werden? ›Eis ganz heiß‹! Vanilleeis mit Schokoladensauce und jeder Menge heißen Himbeeren. Kommt, helft mir, die Schokolade zu schmelzen.« Sue folgte ihr, und nach einem kurzen Zögern auch Vickie.
Der letzte Rest Freundlichkeit wich aus Meredith’ Gesicht. Sie wandte sich an Bonnie. »Du hättest mich warnen müssen.«
»Ich weiß.« Bonnie senkte für eine Minute schuldbewusst den Kopf. Dann schaute sie wieder hoch und grinste frech. »Aber dann hättest du nicht mitgemacht und wir würden kein Schokoladeneis bekommen.«
»Und das ist die ganze Sache wert?«
»Nun, es hilft«, erwiderte Bonnie und versuchte, vernünftig zu klingen. »Komm schon, es wird bestimmt halb so wild. Caroline gibt sich ehrlich alle Mühe, nett zu sein, und es ist gut für Vickie, dass sie mal aus dem Haus kommt …«
»Ich glaube kaum, dass es so gut für sie ist«, unterbrach Meredith sie gnadenlos. »Sie scheint einem Herzanfall nahe zu sein.«
»Ach was. Sie ist vermutlich nur nervös.« Bonnies Meinung nach hatte Vickie auch allen Grund, nervös zu sein. Sie hatte fast den ganzen letzten Herbst in einer Art Trancezustand verbracht und war von einer übernatürlichen Kraft, die sie nicht verstand, langsam in den Wahnsinn getrieben worden. Niemand hatte erwartet, dass sie sich so gut erholen würde. Meredith blickte immer noch düster vor sich hin.
»He, tröste dich, es ist ja nicht dein richtiger Geburtstag«, meinte Bonnie.
Meredith nahm den Fotoapparat und drehte ihn hin und her. Den Blick auf ihre Hände gerichtet, sagte sie nur ein Wort: »Doch.«
»Was!« Bonnie starrte sie an und hob die Stimme. »Was behauptest du da?«
»Es ist mein richtiger Geburtstag. Caroline muss es von ihrer Mutter erfahren haben. Ihre Mutter und meine waren jahrelang die besten Freundinnen.«
»Meredith, wovon redest du? Dein Geburtstag war letzte Woche. Am dreißigsten Mai.«
»Nein. Er ist heute. Am sechsten Juni. Glaub mir, Bonnie. Das steht in meinem Führerschein und in allen Papieren. Meine Eltern haben begonnen, ihn eine Woche früher zu feiern, weil der sechste Juni ein Datum ist, an das sie nicht gern erinnert werden. An diesem Tag wurde mein Großvater überfallen und später verrückt, als Folge davon.« Bonnie holte tief Luft. Sie brachte kein Wort hervor. Also fuhr Meredith sanfter fort. »Im Wahn hat er versucht, meine Großmutter zu töten. Und auch mich.« Meredith legte den Fotoapparat vorsichtig genau in die Mitte des Tisches. »Wir sollten jetzt wirklich in die Küche gehen. Ich kann die Schokolade schon riechen.«
Bonnie war immer noch wie gelähmt. Sie erinnerte sich, dass Meredith schon früher über den Vorfall gesprochen hatte, allerdings ohne ihr die volle Wahrheit zu sagen. Und sie hatte verschwiegen, wann es passiert war.
»Überfallen? Du meinst, wie Vickie in der Kirchenruine überfallen wurde?«, stieß Bonnie hervor. Sie brachte das Wort Vampir nicht über die Lippen. Aber sie wusste, dass Meredith sie auch so verstand.
»Genau wie Vickie«, bestätigte Meredith. »Komm«, fügte sie noch leiser hinzu. »Sie warten auf uns. Und, Bonnie, ich wollte dich nicht aufregen.«
 
Sie will mich nicht aufregen. Okay, dann werde ich mich auch nicht aufregen, dachte Bonnie und goss vorsichtig heiße Schokolade über ihren Eisbecher. Obwohl wir seit der ersten Klasse Freundinnen sind, hat sie mir dieses Geheimnis vorher noch nie verraten.
Einen kurzen Moment überlief sie eine Gänsehaut, und unwillkürlich drängten sich ihr Worte auf, die sie in die hinterste Ecke ihres Gedächtnisses verbannt hatte: Niemand ist das, was er zu sein scheint. Sie war letztes Jahr gewarnt worden, als die Stimme der verstorbenen Honoria Fell durch sie gesprochen hatte. Ihre Prophezeiung hatte sich als schreckliche Wahrheit herausgestellt. Was nun, wenn es doch noch nicht vorbei war?
Bonnie schüttelte entschlossen den Kopf. Sie wollte jetzt nicht darüber nachgrübeln. Schließlich war Partytime! Und ich werde dafür sorgen, dass die Feier ein Erfolg wird und wir uns alle irgendwie vertragen, dachte sie entschlossen.
Komisch, es war noch nicht einmal sehr schwierig. Meredith und Vickie redeten am Anfang kaum miteinander. Doch Bonnie gab sich alle Mühe, nett zu dem Mädchen zu sein, und selbst Meredith konnte den schön eingepackten Geschenken auf dem Tisch nicht lange widerstehen. Als sie das letzte geöffnet hatte, redeten alle durcheinander und lachten.
Der Waffenstillstand und die gegenseitige Akzeptanz hielten an, als sie in Carolines Zimmer hochgingen, um sich ihre Klamotten, die CD-Sammlung und alte Fotoalben anzusehen. Schließlich ging es auf Mitternacht zu und die Mädchen krochen in ihre Schlafsäcke. Dabei unterhielten sie sich weiter.
»Wie läuft’s denn so mit Alaric?«, fragte Sue Meredith.
Alaric Saltzman war Meredith’ fester Freund – jedenfalls kam er dem nahe. Er hatte Parapsychologie studiert und war letztes Jahr nach Fell’s Church gekommen, als die Vampirüberfälle begonnen hatten. Obwohl er zunächst ein Feind gewesen war, wurde er zum Verbündeten – und zum Freund.
»Er ist in Russland«, erklärte Meredith. »Alaric stellt Nachforschungen auf seinem Spezialgebiet Parapsychologie an.«
»Was wirst du ihm sagen, wenn er zurückkommt?«, wollte Caroline wissen.
Diese Frage hätte Bonnie Meredith gern selbst gestellt. Da Alaric fast vier Jahre älter war, hatte Meredith ihn gebeten, mit Plänen für eine gemeinsame Zukunft zu warten, bis sie selbst ihren Abschluss hatte. Doch jetzt war Meredith achtzehn, auf den Tag genau, und der Schulabschluss war in zwei Wochen. Was würde danach geschehen?
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortete Meredith. »Alaric möchte, dass ich an der Duke-Universität studiere, und die haben meine Bewerbung auch angenommen. Aber ich bin unschlüssig. Ich muss noch mal in Ruhe darüber nachdenken.«
Bonnie fiel ein Stein vom Herzen. Sie wollte, dass Meredith mit ihr zur Boone-Universität ging, und nicht, dass sie sich verlobte, heiratete oder sonst was. Es war doch dumm, sich so jung schon für einen Typen zu entscheiden. Bonnie selbst war berüchtigt dafür, dass sie es nie lange bei einem Jungen aushielt und den Freund alle paar Wochen wechselte. Sie verliebte sich schnell und kam genauso schnell wieder drüber hinweg.
»Ich hab noch keinen gefunden, der es wert ist, treu zu sein«, sagte sie jetzt.
Alle schauten schnell zu ihr hin. Das Kinn auf die Fäuste gestützt, fragte Sue: »Nicht einmal Stefano?«
Bonnie hätte es wissen müssen. Das Licht war gedämpft, als einziges Geräusch drang das sanfte Rascheln der Trauerweiden von draußen herein. Bei dieser Stimmung war es unvermeidlich, dass sich das Gespräch über kurz oder lang zu Stefano hinwenden würde – und zu Elena.
Stefano Salvatore und Elena Gilbert waren bereits so etwas wie eine Legende in Fell’s Church, eine Art moderne Romeo und Julia. Als Stefano neu in den Ort gekommen war, waren alle Mädchen heiß auf ihn gewesen. Und Elena, das schönste, beliebteste und unnahbarste Mädchen der ganzen Schule, hatte ihn ebenfalls gewollt. Erst nachdem es ihr gelungen war, ihn zu bekommen, hatte sie die Gefahr bemerkt. Stefano war nicht das, was er vorgab zu sein. Er verbarg ein Geheimnis, das viel schwärzer war, als man es sich vorstellen konnte. Und er hatte einen Bruder, Damon, der noch geheimnisvoller und gefährlicher war als er selbst. Elena war zwischen die Fronten geraten. Sie liebte Stefano, wurde jedoch gleichzeitig von Damons Wildheit unwiderstehlich angezogen. Am Ende war sie gestorben, um beide zu rächen und ihre Liebe zu sühnen.
»Stefano, vielleicht. Wenn man Elena ist«, murmelte Bonnie und gab an diesem Punkt nach. Die Atmosphäre hatte sich geändert. Sie waren ganz still und ein wenig traurig geworden. Genau richtig für mitternächtliche Geständnisse.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie nicht mehr da ist«, sagte Sue leise. Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen. »Sie war so viel lebendiger als alle anderen.«
»Ihre Flamme brannte heller.« Meredith starrte auf das rosa-goldene Muster, das die Lampe an die Decke warf. Ihre Stimme war ruhig, aber eindringlich. Es kam Bonnie so vor, als würden diese Worte Elena besser beschreiben, als sie es je zuvor gehört hatte.
»Es gab Zeiten, da habe ich sie gehasst. Aber ich konnte sie niemals ignorieren«, gab Caroline zu. Ihre grünen Augen verengten sich bei dieser Erinnerung. »Sie war einfach nicht der Typ, den man links liegen lässt.«
»Etwas habe ich aus ihrem Schicksal gelernt«, meinte Sue nachdenklich. »Der Tod kann jeden von uns blitzschnell und unvorbereitet treffen. Man darf sein Leben nicht mit unnützen Dingen vergeuden, weil man nie weiß, wie viel Zeit einem noch bleibt.«
»Sechzig Jahre oder sechzig Minuten«, stimmte Vickie schüchtern zu. »Jede von uns könnte heute Nacht sterben.«
Bonnie wurde immer unruhiger. Sie rutschte hin und her. Doch bevor sie etwas sagen konnte, wiederholte Sue: »Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie wirklich tot ist. Manchmal kommt es mir so vor, als sei sie irgendwo in der Nähe.«
»Oh, mir auch«, stimmte Bonnie abwesend zu. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder die Szene in Warm Springs. Und einen Moment lang schien sie wirklicher als Carolines dämmriges Zimmer. »Letzte Nacht habe ich von ihr geträumt. Ich hatte das Gefühl, dass es tatsächlich Elena war und dass sie versuchte, mir etwas zu erzählen. Das lässt mich immer noch nicht los«, sagte sie zu Meredith.
Die anderen sahen sie schweigend an. Früher, da hätten sie bei jeder Anspielung auf Bonnies telepathische Fähigkeiten gelacht, aber jetzt nicht mehr. Ihre Begabung war unbestritten, erstaunlich und ein wenig Furcht einflößend.
»Wirklich?«, stieß Vickie atemlos hervor.
»Was, glaubst du, wollte sie dir denn mitteilen?«, fragte Sue.
»Keine Ahnung. Am Ende versuchte sie fast verzweifelt, mit mir in Kontakt zu bleiben, aber es gelang ihr nicht.«
Bedrücktes Schweigen folgte ihren Worten. Schließlich sagte Sue zögernd, und ihre Stimme stockte dabei fast unmerklich: »Meinst du … meinst du, es würde dir gelingen, noch einmal mit ihr Kontakt aufzunehmen?«
Diese Frage hatten sich alle bereits heimlich gestellt. Bonnie sah Meredith an. Vorhin hatte diese den Traum einfach so abgetan, doch jetzt erwiderte sie Bonnies Blick ernst.
»Ich weiß nicht«, antwortete Bonnie langsam. Die Bilder des Schreckens waren noch zu frisch in ihrem Gedächtnis. »Eines ist sicher. Ich fürchte mich davor, mich in Trance fallen zu lassen und mich dem zu öffnen, was immer auch da draußen sein mag.«
»Ist das der einzige Weg, mit den Toten Kontakt aufzunehmen? Was ist mit einem Ouija-Brett oder so?«, fragte Sue.
»Meine Eltern haben ein Ouija-Brett.« Carolines Stimme klang unnatürlich laut. Plötzlich war die gedämpfte, leise Stimmung wie weggeblasen und eine unerklärliche Spannung hing in der Luft. Alle setzten sich gerade auf und schauten einander erwartungsvoll an. Sogar Vickies verhuschter Ausdruck zeigte ein gewisses Interesse.
»Ob es wohl klappen würde?« Meredith wandte sich an Bonnie.
»Sollen wir überhaupt?«, zweifelte Sue laut.
»Trauen wir uns? Das ist in Wirklichkeit die Frage«, gab Meredith zu bedenken. Wieder merkte Bonnie, wie alle Blicke auf sie gerichtet waren. Sie zögerte einen letzten Moment, dann zuckte sie mit den Schultern. Prickelnde Erregung breitete sich in ihr aus.
»Warum nicht?«, sagte sie. »Was haben wir groß zu verlieren?«
»Unten an der Treppe ist ein Schrank, Vickie. Das Ouija-Brett müsste drinliegen. Auf dem obersten Regal bei den anderen Spielen«, befahl Caroline. Sie machte sich nicht die Mühe, Bitte zu sagen. Bonnie runzelte die Stirn und öffnete den Mund, aber Vickie war schon zur Tür hinaus.
»Du könntest ruhig etwas freundlicher sein. Was soll das? Willst du hier eine Vorstellung der bösen Stiefmutter abziehen?«
»Ach, hör auf, Bonnie«, wehrte Caroline ungeduldig ab. »Sie kann froh sein, dass sie überhaupt eingeladen wurde. Und das weiß sie genau.«
»Und ich dachte, sie wäre nur überwältigt von dem Glamour, den wir alle ausstrahlen«, bemerkte Meredith trocken.
»Außerdem …«, begann Bonnie, als sie plötzlich unterbrochen wurde. Das Geräusch war dünn und schrill. Kein Zweifel, ein Schrei. Ihm folgten tiefe Stille und danach eine ganze Reihe von hohen, spitzen Tönen.
Einen Moment lang waren die Mädchen im Schlafzimmer wie gelähmt. Dann sprangen sie aus ihren Schlafsäcken und rannten alle hinaus auf den Flur und die Stufen hinunter. Vickie stand vor dem Schrank, die Arme abwehrend gehoben, als wollte sie ihr Gesicht schützen. Als sie Meredith sah, klammerte sie sich schreiend an sie.
»Vickie, was ist geschehen?«, fragte Caroline. Sie hörte sich mehr ärgerlich als besorgt an. Die Schachteln mit den Spielen waren heruntergefallen. Monopoly-Häuschen und Trivial-Pursuit-Karten lagen überall auf dem Boden verstreut. »Warum schreist du so?«
»Es hat mich gepackt! Ich streckte die Hand nach dem obersten Regal aus, da packte mich etwas um die Taille.«
»Von hinten?«
»Nein. Von vorn. Aus dem Schrank heraus.«
Erstaunt blickte Bonnie in den offenen Wandschrank. Wintermäntel hingen dicht bei dicht und bildeten eine undurchdringliche Schicht. Einige reichten bis zum Boden. Meredith befreite sich sanft aus Vickies Umklammerung, nahm einen Stockschirm und stocherte zwischen den Mänteln herum.
»Oh, bitte …«, begann Bonnie unwillkürlich, aber der Schirm traf nur auf Stoff und Pelz. Meredith benutzte ihn, um die Mäntel beiseitezuschieben. Dahinter war nur die nackte Holzwand zu sehen. »Siehst du, keiner da!«, sagte sie in leichtem Tonfall. »Aber du weißt doch, wie das mit diesen dicken Mantelärmeln ist. Ich wette, wenn du dich weit genug zwischen sie lehnst, fühlt sich das an, als würden sich Arme um dich schließen.«
Vickie trat nach vorn, berührte einen baumelnden Ärmel und sah zu dem Regal hoch. Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Ihr langes, seidiges Haar fiel darüber wie ein Vorhang. Zuerst dachte Bonnie, sie würde in Tränen ausbrechen, dann hörte sie das Kichern.
»Oh, und ich habe wirklich gedacht … Nein, bin ich blöd. Wartet, ich räume alles auf.«
»Später«, erklärte Meredith fest. »Gehen wir ins Wohnzimmer.« Bonnie warf skeptisch einen letzten Blick auf den Schrank. Sie setzten sich alle um den großen Wohnzimmertisch. Nur wenige Lichter brannten, um die passende Stimmung zu erzeugen. Bonnie legte ihre Fingerspitzen leicht auf das Stückchen Plastik, die Planchette, die zum Spiel gehörte. Sie hatte zwar noch nie ein Ouija-Brett benutzt, aber sie wusste, wie man es machte. Das Plastikdreieck bewegte sich mit der Spitze auf die Buchstaben des Brettes zu und überlieferte so eine Nachricht. Vorausgesetzt, die Geister waren bereit, Kontakt aufzunehmen.
»Wir müssen es alle berühren«, meinte sie und beobachtete, wie die anderen gehorchten. Meredith’ Finger waren elegant und schlank, die von Sue zierlich mit ovalen Nägeln. Carolines lange Nägel waren leuchtend pink lackiert, die von Vickie bis aufs Blut abgebissen.
»Jetzt schließt die Augen und konzentriert euch«, sagte Bonnie leise. Angespanntes, leises Aufseufzen war zu hören, als die Freundinnen wieder gehorchten. Die Stimmung ließ keine kalt.
»Denkt an Elena. Stellt sie euch vor. Wenn sie da draußen ist, wollen wir sie zu uns heranziehen.«
Das große Zimmer war nun völlig still. Hinter der Schwärze ihrer geschlossenen Lider sah Bonnie hellgoldenes Haar und Augen wie dunkelblaue Edelsteine.
»Komm, Elena«, flüsterte sie. »Sprich mit mir.«
Die Planchette bewegte sich.
Keins der Mädchen konnte das bewirkt haben. Sie alle übten von verschiedenen Punkten her Druck aus. Trotzdem glitt das kleine Dreieck geschmeidig über das Brett. Bonnie hielt die Augen weiter geschlossen. Als die Bewegung innehielt, sah sie hin. Die Spitze zeigte auf das Wort »Ja«.
Vickie stieß ein leises Schluchzen aus. Bonnie schaute zu den anderen. Caroline atmete hastig, die grünen Augen zu Schlitzen verengt. Meredith war blass geworden. Sue hatte als Einzige von ihnen die Augen noch fest geschlossen. Alle erwarteten nun, dass Bonnie wusste, wie es weiterging.
»Konzentriert euch weiter«, sagte sie. Sie fühlte sich überrumpelt von den Geschehnissen und kam sich ein wenig blöd dabei vor, ins Leere zu sprechen. Aber sie war die Expertin. Sie musste es tun.
»Bist du es, Elena?«
Das Dreieck beschrieb einen kleinen Kreis und kehrte zum »Ja« zurück.
Plötzlich begann Bonnies Herz, heftig zu klopfen. Sie bekam Angst, ihre Finger würden so sehr zittern, dass ihr die Planchette entglitt. Das Plastik unter ihren Fingerspitzen fühlte sich jetzt anders an. Es war wie elektrisiert, als ob eine übernatürliche Macht hindurchfließen würde. Jetzt kam Bonnie sich nicht mehr dumm vor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Meredith’ Augen glänzten ebenfalls verdächtig.
»Wie können wir überhaupt sicher sein?«, warf Caroline laut und misstrauisch ein.
Sie spürt nichts, dachte Bonnie. Was das Übernatürliche angeht, ist sie total unterentwickelt. Das Dreieck schob sich wieder über das Brett. Es berührte die Buchstaben so schnell, dass Meredith kaum nachkam, die Botschaft auszusprechen. Auch ohne Zeichensetzung war sie ganz deutlich.
CAROLINE STELL DICH NICHT SO AN DU KANNST FROH SEIN DASS ICH ÜBERHAUPT NOCH MIT DIR SPRECHE
»Typisch Elena«, kommentierte Meredith trocken.
»Es klingt wie sie, aber …«
»Ach, halte den Mund, Caroline«, unterbrach Bonnie sie.
»Elena, ich bin ja so froh …« Ihr Hals war wie zugeschnürt und sie machte einen neuen Ansatz.
BONNIE WIR HABEN KEINE ZEIT HÖR AUF HERUMZUSCHNIEFEN UND KOMM ZUR SACHE
Auch das war typisch Elena. Bonnie schniefte ein letztes Mal und machte weiter. »Ich habe letzte Nacht von dir geträumt.«
TEE
»Ja.« Bonnies Herz schlug schneller denn je. »Ich wollte mit dir reden und dann haben wir den Kontakt verloren.«
BONNIE KEINE TRANCE KEINE TRANCE KEINE TRANCE
»Okay.« Das beantwortete ihre Frage. Sie war erleichtert.
SCHLECHTE EINFLÜSSE STÖREN UNSERE UNTERHALTUNG HIER DRAUSSEN GIBT ES BÖSE DINGE SEHR BÖSE
»Was? Sag mir, Elena. Was ist es?«
KEINE ZEIT
Das Plastikteil jagte hektisch von Buchstabe zu Buchstabe, als könnte Elena ihre Ungeduld kaum zügeln.