Tante Dimity und der Wunschbrunnen - Nancy Atherton - E-Book

Tante Dimity und der Wunschbrunnen E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

Als Lori Shepherd zusammen mit ihrem neuen Nachbarn Jack MacBride dessen verwilderten Garten aufräumt, machen die beiden eine unglaubliche Entdeckung: Dort gibt es einen Wunschbrunnen! Zum Spaß wirft Lori eine Münze hinein und erstaunlicherweise geht ihr Wunsch in Erfüllung. Das spricht sich schnell im Dorf herum und bald schon stehen die Bewohner von Finch vor dem Wunschbrunnen Schlange. Aber kann das wirklich mit rechten Dingen zugehen? Lori beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Kann sie mit Tante Dimitys übernatürlicher Hilfe Licht ins Dunkel bringen?

Ein wunderbarer Wohlfühlkrimi mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Sally Pynes Summer Pudding.

"Ein großes Lesevergnügen, tröstlich und charmant." Milwaukee Journal Sentinel

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Seitenzahl: 354

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Sally Pynes Summer Pudding

Über dieses Buch

Als Lori Shepherd zusammen mit ihrem neuen Nachbarn Jack MacBride dessen verwilderten Garten aufräumt, machen die beiden eine unglaubliche Entdeckung: Dort gibt es einen Wunschbrunnen! Zum Spaß wirft Lori eine Münze hinein, und erstaunlicherweise geht ihr Wunsch in Erfüllung. Das spricht sich schnell im Dorf herum und bald schon stehen die Bewohner von Finch vor dem Wunschbrunnen Schlange. Aber kann das wirklich mit rechten Dingen zugehen? Lori beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Kann sie mit Tante Dimitys übernatürlicher Hilfe Licht ins Dunkel bringen?

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten »Tante Dimity« Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Monika Köpfer

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Ommo Wille

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3510-1

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity and the Wishing Well« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2013 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2014

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Meg Ruley und Annelise Robey,

die mir auf meinem Weg bei jedem Schritt

zur Seite standen.

Kapitel 1

ES WAR EIN schöner Tag für eine Beerdigung. Der Regen prasselte von einem bleiernen Himmel, und ein stürmischer Wind wehte den frostigen Hauch der Vergänglichkeit durch die Grüppchen der Trauergäste, die sich im Kirchhof von St. George’s drängten. Es war Anfang Mai, aber es fühlte sich an wie Anfang März.

Trotz des Wetters war die Beerdigung gut besucht. In ganz Finch hingen Geschlossen-Schilder in den Schaufenstern der Geschäfte, und die Gardinen, die sonst häufig zur Seite gezupft wurden, wenn neugierige Dorfbewohner andere Dorfbewohner beobachteten, verharrten an diesem Tag reglos. Alles, was Rang und Namen hatte, stand zitternd vor Kälte vor der Kirche, und in Finch hatte alles Rang und Namen.

Die kleine, füllige Sally Pyne, Besitzerin der Teestube und außerordentlich begabte Konditorin, teilte sich einen Schirm mit ihrem nicht minder fülligen Verlobten Henry Cook. Christine und Dick Peacock, die wohlgenährten Besitzer des örtlichen Pubs, dienten dem weniger robust gebauten pensionierten Eisenbahnangestellten George Wetherhead als menschlicher Windschutz. Der rotwangige Mr Malvern, ein Milchfarmer, stand neben Grant Tavistock und Charles Bellingham, deren Broterwerb der Kunsthandel und die Restaurierung von Kunstwerken war.

Neben den drei Männern sah man, in ein schwarzes, knöchellanges Wollcape gehüllt, die Dorfhexe Miranda Morrow, die ihre Gesundheitsberatungs-Hotline sich selbst überlassen hatte, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. In einer weniger eingeschworenen Dorfgemeinschaft als der von Finch hätte die Anwesenheit einer Heidin bei einem christlichen Begräbnis den einen oder anderen womöglich veranlasst, die Augenbraue hochzuziehen, aber die Dorfbewohner waren längst an Mirandas kleine schrullige Eigenheiten gewöhnt.

Vier Frauen – zwei Witwen und zwei unverheiratete ältere Damen, alle im Ruhestand – standen dicht gedrängt im Windschatten eines Marmorengels zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Elspeth Binney, Opal Taylor, Selena Buxton und Millicent Scroggins ließen sich nie eine Beerdigung entgehen, wenn sie es irgendwie einrichten konnten. Aber an diesem Tag wurde ihre patentierte Frömmigkeit von den grollenden Blicken getrübt, mit denen sie eine andere Frau, Amelia Thistle, bedachten. Amelia hatte die vier Damen schmerzlich in ihrem Stolz verletzt, indem sie das Herz des begehrtesten Witwers des Dorfs erobert hatte, der zufällig mein Schwiegervater war. Das streitbare Quartett hatte Amelia zwar beinahe verziehen, dass ihr so spektakulär geglückt war, woran sie trotz aller Bemühungen gescheitert waren, aber der kalte Regen machte sie unleidlich.

Peggy und Jasper Taxman hatten ihre gewohnten Plätze in vorderster Reihe eingenommen. Der sanftmütige Jasper war zwar nur ein winziges Pünktchen auf dem Dorfradar, seine Frau jedoch eine Supernova. Peggy Taxman betrieb den Postschalter, den Gemischtwaren- und Gemüseladen und spielte bei jeder Dorfveranstaltung die erste Geige; ihre vielfältigen Funktionen übte sie mit eiserner Hand und einer Stimme aus, die Granit zum Bersten bringen konnte. Nur die Allertapfersten wagten es bisweilen, Peggy das Recht abzusprechen, ihren Fuß hinzusetzen, wo es ihr beliebte.

Dagegen hielt Mr Barlow, der örtliche Küster und handwerkliche Alleskönner, respektvoll Abstand zum Grab. Die zwanzigjährige Bree Pym, die Mr Barlow geholfen hatte, den Sarg an seinen letzten Ruheort hinabzulassen, stützte sich unterdessen mit ihren erdverkrusteten Händen auf den Grabstein ihrer Großgroßtanten Ruth und Louise Pym, deren Haus und bescheidenes Vermögen sie geerbt hatte. Die aus Neuseeland stammende Bree ließ keine Gelegenheit aus, Peggy Taxman die Stirn zu bieten. Doch an diesem Tag hütete sie ihre scharfe Zunge und verfolgte in feierlichem Schweigen die Zeremonie.

Ich war mit meinem Mann Bill und unseren achtjährigen Söhnen Will und Rob gekommen. Mein Schwiegervater Willis senior hätte sich uns liebend gern angeschlossen, war aber erst kürzlich von einer Lungenentzündung genesen, und sein Arzt, seine Haushälterin, sein Gärtner, sein Sohn, seine Schwiegertochter und seine Liebste hatten ihm verordnet, das Haus zu hüten.

Auch meine beste Freundin Emma Harris war wegen Krankheit verhindert, wenngleich in ihrem Fall nicht sie selbst erkrankt war, sondern ein Pferd. Pegasus, Emmas geliebte kastanienbraune Stute, hatte eine leichte Kolik und Emma somit die perfekte Entschuldigung, um diesen Tag in ihrem trockenen Pferdestall zu verbringen. Um die Triftigkeit ihres Abwesenheitsgrunds noch zu unterstreichen, hatte sie sämtliche Reitstunden abgesagt. Doch da den Pferden bekanntlich nicht zugemutet werden konnte, ihre Boxen selbst auszumisten, waren auch Emmas Mitarbeiter unabkömmlich und glänzten im Kirchhof von St. George’s durch Abwesenheit.

Theodore Bunting, der Pfarrer von Finch, nahm seinen gewohnten Platz an der Stirnseite des Grabes ein. Während er mit den flatternden Seiten seines Gebetbuchs kämpfte, bemühte sich seine Frau Lilian Bunting, ihn mit einem schwarzen Schirm vor dem garstigsten Wind abzuschirmen.

Als der Pfarrer von Staub und Asche sprach, huschten die Blicke der Trauergemeinde verstohlen von dem regennassen Sarg zu Lilians Schirm, der sich mit jedem neuen Windstoß gefährlich umzustülpen drohte. Die im Kirchhof anwesenden Frauen und Männer waren zu reif, um ihre Gedanken laut auszusprechen, nicht aber meine Söhne.

»Mrs Bunting wird noch über die Kirche davonfliegen, wenn sie ihren Schirm nicht loslässt«, sagte Rob mit unbewegter Stimme.

»Wie Mary Poppins«, fügte Will hinzu. »Nur dass sie älter ist.«

Bill ließ ein kurzes, aber bedauerlicherweise hörbares Lachen vernehmen. Ich stieß ihn in die Rippen und brachte Will und Rob mit einem strengen Blick zum Schweigen, aber der Schaden war bereits angerichtet. Mr Barlow kicherte, Bree Pym ebenfalls, und bald waren Peggy Taxmans Schultern die einzigen, die nicht vor unterdrücktem Gelächter erbebten. Doch es dauerte nicht lang, und ihr stechender Blick bereitete dem ungehörigen Kichern ein Ende.

Für gewöhnlich neigten die braven Dorfbewohner bei einem Begräbnis nicht zum Kichern. Finch war ein kleiner Weiler inmitten der sanften Hügel und des Flickenteppichs aus Feldern und Wiesen der englischen Cotswolds. Bill und ich waren zwar Amerikaner, lebten aber schon seit einem Jahrzehnt in der Nähe von Finch. Unsere Söhne waren hier geboren und waren nie woanders zu Hause gewesen.

Seit Bills verwitweter Vater bei uns in Finch lebte, war unsere Familie vollständig. Will und Rob konnten sich nach Herzenslust in dem herrlichen georgianischen Herrenhaus austoben, das ihr Großvater erworben und restaurieren hatte lassen. Weniger willkommene Besucher – um genau zu sein, Elspeth Binney, Opal Taylor, Selena Buxton und Millicent Scroggins – wurden hingegen von dem stattlichen schmiedeeisernen Tor ferngehalten, das den Eingang der Auffahrt bewachte.

Während sich Willis senior seinen Orchideen und seiner Liebsten, Amelia Thistle, widmete, leitete Bill von seinem Büro am Dorfanger den europäischen Zweig der altehrwürdigen Anwaltskanzlei, die sich seit jeher in Familienhand befunden hatte. Die Zwillinge besuchten die Morningside School in dem nahegelegenen Marktflecken Upper Deeping, und ich jonglierte zwischen meinen verschiedenen Rollen als Ehefrau, Mutter, Schwiegertochter, Freundin, Nachbarin, freiwillige Helferin bei Gemeindeveranstaltungen und örtliche Klatschbasenaufsicht. Im Lauf der Jahre waren auch Bill, Will, Rob, Willis senior und ich zu unverzichtbaren Fäden im sozialen Gewebe unseres Dorfes geworden und trugen dazu bei, dass es erhalten blieb.

Wenn ein Bewohner starb, riss sein Tod eine Lücke, die nur schwer wieder zu füllen war. In einem kleinen Ort wie Finch trauerte jedes Haus um einen verstorbenen Dorfbewohner. Der Tod eines Nachbarn war wie ein Todesfall in der eigenen Familie, und niemand mit einem Funken Anstand würde bei der Beerdigung eines Familienmitglieds kichern.

Mr Hector Huggins war jedoch die Ausnahme von der Regel. Sein Tod hatte nicht den Hauch von Trauer im Dorf ausgelöst, nicht weil er unbeliebt gewesen wäre, sondern weil er wie ein Fremder unter uns gelebt hatte. In einem Dorf, wo buchstäblich jeder alles über jeden wusste, hatte Mr Huggins tatsächlich das Kunststück fertiggebracht, anonym zu bleiben.

Natürlich wusste man ein paar wenige, nutzlose Dinge über ihn. Er war Mitinhaber einer Steuerkanzlei in Upper Deeping gewesen. Er hatte örtliche Geschäfte unterstützt, an örtlichen Veranstaltungen teilgenommen und keinen einzigen Gottesdienst in St. George’s versäumt. Aber er hatte sich weder Freunde noch Feinde gemacht. Er hatte schlicht und einfach gar keinen Eindruck hinterlassen. Bill hatte ihn einmal als Tapetenmensch bezeichnet. Als jemand, der sich still und stumm im Hintergrund hielt, unfähig oder unwillig, am Leben anderer Menschen teilzuhaben.

Nachdem er in Rente gegangen war, hatte Mr Huggins begonnen, seine Nachmittage allein auf der Bank in der Nähe des Kriegerdenkmals zu verbringen, und seine Abende auf der Buckelbrücke am südlichen Ende des Dorfangers, wo er wortlos stand und angelte. Wie er die Vormittage verbrachte, wusste niemand, aber es war sehr wahrscheinlich, dass er sie ebenfalls in aller Stille verlebte.

Mr Huggins hatte im Ivy Cottage gewohnt, einem schlichten Steinhaus auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Anwesen meines Schwiegervaters. Aber da eine hohe Hecke das Ivy Cottage gänzlich von fremden Blicken abschottete, konnte man viele Male daran vorbeifahren, ohne auch nur seine Existenz zu erahnen. Meine nachbarschaftliche Fürsorgepflicht hatte mich von Zeit zu Zeit dazu veranlasst, bei Mr Huggins vorbeizuschauen, aber ich hatte nie meinen Fuß auf die andere Seite des Tors gesetzt. Jedes Mal schickte er mich mit einem sanften Lächeln und der freundlichen Versicherung, dass er keiner Hilfe bedürfe, wieder fort.

Weder ich noch ein anderer Dorfbewohner hatte gewusst, dass Mr Huggins krank war, bis ein Krankenwagen vor Ivy Cottage vorfuhr und ihn auf eine Reise mitnahm, die seine letzte sein sollte, wie sich herausstellte. Zehn Tage später starb er im Krankenhaus von Upper Deeping. Kurz darauf erhielt der Pfarrer einen Brief von einem Londoner Rechtsanwalt mit einem Scheck sowie den Anweisungen für Mr Huggins’ Beerdigung. Doch ob sich dieser Rechtsanwalt auch um die Veräußerung des irdischen Besitzes seines verstorbenen Mandanten kümmern würde, entzog sich unserer Kenntnis.

Irgendjemand in der Gemeinde meinte sich schwach zu erinnern, dass Mr Huggins Verwandte in Übersee hatte. Zu seiner Beerdigung war jedoch niemand erschienen. Mr Malvern, Dick Peacock, Henry Cook und Grant Tavistock hatten sich als Mr Huggins’ Sargträger zur Verfügung gestellt, aber da niemand etwas über den Verstorbenen zu sagen wusste, blieb es dem Pfarrer überlassen, ihn zu preisen.

Der Pfarrer machte das Beste aus dieser misslichen Situation, indem er seiner Grabrede zwei Bibelverse zugrunde legte; darin ermahnt der heilige Paulus seine Brüder: »Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen haben. So sollt ihr vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben führen und auf niemanden angewiesen sein.«

Mr Huggins hatte nicht gerade mit seinen eigenen Händen gearbeitet, und den Dorfbewohnern sträubten sich kurz die Nackenhaare beim Gedanken, sie könnten von einem Mann, der niemals den geringsten Versuch unternommen hatte, Teil der Dorfgemeinschaft zu werden, als jene, »die nicht zu euch gehören«, betrachtet worden sein. Aber niemand konnte leugnen, dass ihr verstorbener Mitbürger ruhig gelebt, sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hatte und auf niemanden als sich selbst angewiesen gewesen war. Unter den Anwesenden schien das vage Gefühl vorzuherrschen, dass, wenn Eigenständigkeit eine Tugend war, sich Mr Huggins seinen Platz im Himmel verdient hatte.

Was er sich hingegen nicht verdient hatte, war ein Platz in unseren Herzen. Ich bezweifelte, dass irgendjemand im Kirchhof seinen Tod als tiefen und einschneidenden Verlust empfand. Möglicherweise hatten die Leute Mitleid mit einem Mann, dessen Angehörige ihn allem Anschein nach im Stich gelassen hatten. Vielleicht bedauerten sie, dass sie ihn nicht näher kennengelernt hatten. Vielleicht bedauerten sie sogar, seinen Tod nicht wirklich bedauern zu können. Aber untröstlich war gewiss niemand.

Ich vermutete, der Großteil der Dorfbewohner war, so wie ich, aus einem Pflichtgefühl heraus zu Mr Huggins’ Beerdigung gekommen, und ein Pflichtgefühl war nicht dazu angetan, einen gegen einen ansteckenden Kicheranfall zu feien. Dennoch wirkten wir nach unserem unrühmlichen Abgleiten ins Lustspielhafte ein wenig beschämt und verdoppelten unsere Anstrengungen, die gebotene Trauermiene aufzulegen. Ein Dorfbewohner war gestorben, er hatte keine Angehörigen, die ihn betrauerten, und wir waren es der Ehre unseres Dorfs schuldig, ihm ein gebührendes letztes Geleit zu geben.

Gerade als der Pfarrer eine Handvoll Erde auf den Sarg streuen wollte, lenkte ihn eine Bewegung auf der Straße ab. Sämtliche Köpfe, soeben noch andächtig gebeugt, hoben sich alarmiert, als ein weißer Ford Focus mit knirschenden Reifen auf dem grasbewachsenen Seitenstreifen jenseits des überdachten Friedhofstors zum Stehen kam. Der Pfarrer ließ seine Hand wieder sinken, als er sah, wie eine groß gewachsene Gestalt aus dem Wagen sprang, mit einem Satz die niedrige Kirchhofmauer überwand und im Zickzack zwischen den Grabsteinen hindurch über das durchweichte Gras lief, ehe sie wenige Zentimeter vor Mr Huggins’ offenem Grab schlitternd zum Stehen kam.

Bei dem Neuankömmling handelte es sich um einen jungen Mann – ungefähr Mitte zwanzig. Er trug eine dunkelbraune Regenjacke, khakifarbige Cargo-Shorts und ausgetretene Wandersandalen. Doch obgleich sein Aufzug ein wenig schäbig war, so war er weit mehr als gut aussehend. Sein zerzaustes blondes Haar erinnerte an Maisbart, und sein tiefgebräuntes Gesicht ließ seine Zähne fast ein wenig zu weiß erscheinen. Selbst seine Zehen, die sich in der kalten Luft rasch rosa färbten, waren wohlgeformt. Während er innehielt, um Atem zu schöpfen, spürte ich, wie die Herzen der Trauergemeinde schneller schlugen. Aber obwohl zahlreiche Münder offen standen, war niemand mit Worten bei der Hand.

Und wieder leitete ein Kind uns an.

»Hallo«, sagte Will strahlend. »Wer bist du?«

»Ich heiße Jack MacBride«, antwortete der junge Mann mit einem breiten australischen Akzent. »Ich bin gekommen, um Onkel Hector Lebwohl zu sagen.«

Kapitel 2

DER JUNGE MANN zwinkerte Will kumpelhaft zu, dann wandte er sich dem Pfarrer zu.

»Ich bin hier doch richtig, nicht wahr, Pater?«, fragte er besorgt. »Das ist doch die Kirche St. George’s? Finch ist nämlich nicht auf meiner Karte eingezeichnet, daher musste ich in Upper Deeping anhalten und nach dem Weg fragen, und der Typ, an den ich geraten bin, war ein bisschen trottelig.«

»Keine Sorge, Mr MacBride«, erwiderte der Pfarrer milde. »Sie sind am richtigen Ort. Und wenn Sie wollen, dürfen Sie als Erster Erde ins Grab Ihres Onkels streuen.«

»Klasse«, sage Jack.

Er nahm eine Handvoll Erde von dem aufgeschütteten Haufen neben dem Grab und warf sie schwungvoll auf den Sarg, sodass ein lautes Platschen zu hören war. Das schaurige Geräusch löste den Bann, mit dem Jack MacBrides Ankunft den Kirchhof belegt hatte. Die geöffneten Münder klappten wieder zu, gaffende Blicke wurden abgewendet, und das uralte Ritual nahm seinen Fortgang, als wäre nicht soeben ein Adonis mit goldenen Haaren auf dem Schauplatz erschienen wie ein unvermuteter Sonnenstrahl inmitten des strömenden Regens.

Die Frauen traten der Reihe nach vor, um ihre durchnässten Blumensträußchen ins Grab zu werfen, während die Männer je eine bescheidene Handvoll Erde beisteuerten. Will und Rob, ermuntert von Jack MacBrides Überschwang, mussten daran gehindert werden, riesige Erdklumpen in Richtung Grab zu hieven. Vorsorglich umklammerten Bill und ich ihre Schultern, bis der Pfarrer den Abschlusssegen gesprochen hatte.

Amelia Thistle nickte Jack wohlwollend zu, ehe sie davoneilte, um ihrem genesenden Galan in seinem reizenden georgianischen Heim einen Besuch abzustatten. Der Rest von uns stellte sich hingegen in einer Reihe auf, um dem Neuankömmling zu kondolieren und ihn bei dieser Gelegenheit in Augenschein zu nehmen. Bill und ich erlaubten den Jungen, je einen kleinen feuchten Erdklumpen ins Grab zu werfen. Dann gesellten wir uns zum Pfarrer und seiner Frau, die das Ende der Schlange bildeten, während die Dorfbewohner, die bereits kondoliert hatten, am überdachten Friedhofstor herumstanden, um die weiteren Entwicklungen abzuwarten.

»Mein herzliches Beileid, Mr MacBride«, begann der Pfarrer.

»Sagen Sie ruhig Jack«, warf der junge Mann ein. »Mr MacBride passt eher zu meinem Vater.«

»Mein herzliches Beileid, Jack«, begann der Pfarrer von Neuem. »Mein Name ist Theodore Bunting, und ich bin der Gemeindepfarrer.«

»Und ich bin Lilian Bunting, Teddys Frau«, sagte Lilian, indem sie ihren bedrohlichen Regenschirm zuklappte. »Darf ich Ihnen unsere Freunde vorstellen: Bill Willis, seine Frau Lori und ihre Söhne Will und Rob.«

»Hallo.« Jack nickte uns zu.

»Ihre Füße sehen kalt aus«, warf Rob ein.

»Oh ja, das sind sie auch«, erwiderte Jack.

»Warum haben Sie keine Socken an?«, wollte Will wissen.

»Und warum tragen Sie Shorts?«, fragte Rob.

»Weil es da, wo ich herkomme, heiß ist. Meine warmen Sachen sind zuunterst in meinem Rucksack, und ich hatte keine Zeit mehr, sie hervorzukramen.« Er warf dem Pfarrer einen entschuldigenden Blick zu. »Tut mir leid, dass ich mitten in die Zeremonie hineingeplatzt bin, ich wollte eigentlich früher hier sein, aber mein Flieger ist mit einiger Verspätung in Heathrow gelandet, dann hat es eine verdammte Ewigkeit gedauert, um einen einigermaßen vernünftigen Mietwagen aufzutreiben, und der Verkehr war ein verdammter Albtraum, weil die Hälfte der verdammten Straßen überflutet war, und ...«

Der Pfarrer fiel ihm ins Wort. »Ihre Entschuldigung ist angenommen«, sagte er mit einem Seitenblick auf die Kinder. Will und Rob blickten mit Sternchen in den Augen zu Jack empor. Verdammt zählte nicht zu den Wörtern, die sie oft zu hören bekamen, vor allem nicht im Kirchhof. Und dass ein Erwachsener es dreimal in einem Satz und noch dazu bei einer Beerdigung in den Mund nahm, war ein unerwartetes Highlight. Ich tauschte einen stummen Blick mit Bill und nahm mir vor, meinen Jungs zu Hause einen Auffrischungskurs in Sachen gesitteter Ausdrucksweise zu verpassen.

»Mrs Bunting und ich laden jetzt im Schulhaus zu einem kleinen ungezwungenen Imbiss im Gedenken an Ihren verstorbenen Onkel ein«, fuhr der Pfarrer fort. »Wir würden uns freuen, wenn Sie ebenfalls kämen, Jack.«

»Es gibt Kuchen«, warf Will ein.

»Und heiße Schokolade«, steuerte Rob hinzu, indem er auf Jacks rosa Zehen starrte.

»Literweise heiße Schokolade«, sagte Will bestätigend.

»Hört sich nach einem Festmahl an!« Jack grinste die Jungen an. »Führt mich hin, Kumpels!«

Will und Rob ergriffen je eine von Jacks ausgestreckten Händen und hüpften jeder wie ein Wasserfall plappernd neben ihm her.

Wie aufs Kommando setzten sich die Dorfbewohner in Bewegung und folgten ihnen durchs Friedhofstor und die kopfsteingepflasterte Gasse hinauf zum alten Schulhaus, das inzwischen als Gemeindehalle von Finch diente. Die Buntings, Bill und ich gingen gemessenen Schritts hinter ihnen her. Nur Mr Barlow und Bree blieben zurück, um das Grab wieder zuzuschaufeln.

»Wusstest du, dass er kommen würde?«, fragte ich Lilian.

»Ich wusste nicht einmal, dass es ihn gibt«, erwiderte Lilian.

»In dem Brief, den ich von Mr Huggins’ Anwalt erhielt, stand nichts von irgendwelchen Angehörigen«, erklärte der Pfarrer.

»Vielleicht hat Mr Huggins seinem Anwalt nichts von seinen Angehörigen gesagt«, warf ich ein.

»Das wäre aber sehr merkwürdig«, entgegnete der Pfarrer.

»Mr Huggins war ein alter Mann«, gab Lilian zu bedenken. »Er möge in Frieden ruhen.«

»Amen«, sagte der Pfarrer.

»Gab es nicht Gerüchte über Verwandte, die in Übersee leben?«, sagte ich nachdenklich. »Wenn Jack MacBride Mr Huggins’ Neffe ist, und wenn er so australisch ist, wie er sich anhört, ist er ein Verwandter aus Übersee.«

»Ich nehme an, unsere Fragen werden bald beantwortet werden«, meldete sich Bill zu Wort. »Der junge Jack ahnt es zwar noch nicht, aber ehe er sich versieht, wird er vom ganzen Dorf verhört werden.«

Ob bewusst oder unbewusst gingen wir vier plötzlich ein wenig schneller. Über die Motive der anderen bin ich mir nicht sicher, aber ich für meinen Teil wollte dabei sein, wenn die Bewohner von Finch den jungen Jack ins Kreuzfeuer nahmen.

Im Schulhaus war es gottlob angenehm warm und trocken. Wir deponierten unsere Regenausrüstung in der Garderobe und eilten in das ehemalige Klassenzimmer, um uns mit einer Tasse dampfenden heißen Tees aufzuwärmen. Normalerweise wachte ein Zirkel einflussreicher Damen über die Teemaschine, daher war ich überrascht, als nur eine Schar Männer darum herumstanden. Henry Cook, Dick Peacock, Jasper Taxman und Grant Tavistock sahen geduldig zu, wie ihre besseren Hälften den bereits vollen Teller von Jack MacBride zusätzlich beluden.

»Ich kann’s ihnen nicht verübeln«, sagte Henry philosophisch. »Der Kerl sieht wirklich gut aus.«

»Wobei sein Akzent natürlich auch eine Rolle spielt«, meinte Grant. »Charles hatte schon immer eine Schwäche für Aussies.«

»Peggy kann Australier nicht ausstehen«, sagte Jasper. »Sie findet sie laut und vulgär.«

»Sieht so aus, als hätte sie gerade ihre Meinung geändert«, bemerkte Dick.

Jasper schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht, sie will einfach nur nicht Sally das Feld überlassen.«

»Da kämpft sie aber auf verlorenem Posten«, sagte Henry. »Meine Sally backt die besten Kuchen im ganzen County.«

»Also ich streite mich deswegen bestimmt nicht«, sagte Jasper verdrießlich. »Dafür aber sicher meine Frau.«

»Vielleicht gibt es gleich eine Essensschlacht«, sagte Dick hoffnungsvoll, worauf die anderen Männer kicherten.

Gemeindeveranstaltungen, bei denen alle Einwohner Speisen mitbrachten, arteten jedes Mal in einen Wettbewerb aus. Und da meine Mitbürger damit gerechnet hatten, dass die Versammlung im Schulhaus der Höhepunkt von Mr Huggins’ Beerdigung sein würde, hatten sie sich mächtig ins Zeug gelegt, um ihr kulinarisches Geschick unter Beweis zu stellen. Die Tapeziertische, die die Wände säumten, bogen sich unter schmackhaften Aufläufen, Würstchen im Blätterteig, Quiches und Sandwiches, während die Tische auf dem Podium Plätzchen in Hülle und Fülle und eine eindrucksvolle Sammlung an Kuchen und Torten boten. Mein eigener Beitrag, ein schlichter Mohnkuchen, nahm sich neben dem Schottischen Früchtekuchen, den Eccles Cakes, dem Madeirakuchen und den Kokosnusstörtchen mehr als bescheiden aus. Doch ein Devil’s Food Cake, eine reichhaltige Torte aus dunkler Schokolade, wurde als ein unangebrachter Beitrag zu einem Leichenschmaus angesehen, wie ich aus bitterer Erfahrung gelernt hatte.

»Hat Jack schon irgendetwas Interessantes gesagt?«, fragte Bill die Wächter der Teemaschine.

»Er hat uns einen wirklich guten Witz erzählt, bevor er von uns weggezogen wurde«, sagte Dick. »Aber seitdem ist er nicht mehr zu Wort gekommen.«

»Deine Jungs scheinen sich aber köstlich zu amüsieren«, sagte Henry. »Begierig wie Jungvögel picken sie die Krümel auf, die von Jacks Teller herunterfallen.«

»Mit dem einzigen Unterschied, dass die Krümel in diesem Fall ganze Makronen, Meringen und Brandy Snaps sind«, warf Grant ein.

Sofort zogen Zuckerschockszenarien vor meinem geistigen Auge vorbei. Ich ließ Bill stehen und durchquerte den Raum, um Will und Rob von dem Gedränge wegzuziehen, das sich um ihr Idol gebildet hatte. Nachdem ich Puderzucker von ihrem Kinn weggewischt und ihre klebrigen Finger gewaschen hatte, schickte ich sie zusammen mit ihrem Vater nach Hause. Trotz der Aussicht, an einem regnerischen Tag mit zwei hyperglykämischen achtjährigen Buben im Cottage eingesperrt zu sein, erhob Bill keinen Protest, wusste er doch, dass es zwecklos gewesen wäre. Mich dagegen hätte allenfalls ein geplatzter Blinddarm von der Person weggebracht, die für die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre das Gesprächsthema Nummer eins von Finch zu werden versprach.

»Genug ist genug«, murmelte Lilian. »Der arme Junge wird noch zu Tode gedrückt werden, wenn wir ihm nicht zu Hilfe eilen.« Um gegen den Geräuschpegel anzukommen, rief sie mit lauter Stimme: »Ladys und Gentlemen!«

Das Stimmengewirr erstarb.

»Sollen wir unserem verehrten Gast jetzt vielleicht eine Verschnaufpause gönnen?«

Ehe jemand antworten konnte, marschierte Lilian durch den Raum und zog Jack sanft, aber bestimmt aus der Schar seiner Bewunderinnen heraus. Dann legte sie seine freie Hand in ihre Armbeuge und führte ihn zu einem Stuhl in einer Ecke. Der Pfarrer und ich ließen uns flink auf die Stühle daneben sinken, während Lilian sich ebenfalls einen heranzog und gegenüber Jack Platz nahm.

Erst jetzt bemerkten seine Bewunderinnen, dass sie sich die hervorragende Gelegenheit hatten entgehen lassen, den Neuankömmling zu befragen. Während sie unseren Verteidigungsring mit wütenden Blicken bedachten, arbeiteten sie sich langsam und bemüht unauffällig in unsere Richtung vor.

Jack wischte Kuchen-, Plätzchen- und Brotkrümel von seinem zerknitterten blauen Pullover und lächelte Henry Cook dankbar an, der ihm eine Tasse Tee gebracht hatte.

»Essen Sie in aller Ruhe Ihren Teller leer«, sagte Lilian. »Sie müssen völlig ausgehungert sein.«

»Stimmt. Ich könnte einen ganzen Ochsen verspeisen«, erwiderte Jack. »Seit Bangkok habe ich nichts Ordentliches mehr zwischen die Kiemen gekriegt.«

Er bemühte sich, seinen überladenen Teller auf seinen Knien abzustellen, gab dann auf und platzierte ihn auf dem Boden. Wir geduldeten uns so lange, bis er ein Schinkensandwich, drei Würstchenteigrollen, ein Speckbrötchen und ein riesiges Stück von Sallys Madeiratorte heruntergeschlungen hatte, ehe wir zur Sache kamen.

»Sie müssen müde sein nach der langen Reise«, begann der Pfarrer. »Wenn man bedenkt, von Bangkok bis hierher ...«

»Ich bin von Sydney aus gestartet«, wandte Jack ein. »Bangkok war nur ein Zwischenstopp.«

»Wohnen Sie in Sydney?«, fragte Lilian.

»Manchmal, aber ich bin in Malua geboren, ungefähr dreihundert Kilometer südlich von Sydney.«

»Leben Ihre Eltern dort?«, erkundigte ich mich. Diese Frage beinhaltete etliche weitere: Waren Jacks Eltern noch am Leben? Wenn ja, warum waren sie dann nicht zur Beerdigung gekommen? Hatte es in der Familie ein Zerwürfnis gegeben? War Mr Huggins deswegen in England geblieben, während seine nächsten Blutsverwandten in Australien lebten? Und so weiter und so fort.

Aber zu meinem Bedauern beantwortete Jack nur die Frage, die ich tatsächlich gestellt hatte.

»Keine zehn Pferde würden meine Eltern aus Malua Bay wegbekommen. Für sie ist es ein kleines Stück Paradies.« Jack trank seinen Tee, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sah mich schelmisch an. »Ich kann Ihnen ihre Telefonnummer geben, falls Sie meine Angaben überprüfen möchten.«

Ich errötete, während Lilian amüsiert gluckste.

»Sie müssen unsere Neugier entschuldigen, Jack«, sagte sie. »Ihr verstorbener Onkel hat nie über seine Angehörigen gesprochen, und sein Anwalt hat es versäumt, uns zu sagen, dass Sie zur Beerdigung kommen würden. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir das Begräbnis um ein, zwei Tage verschoben, um Ihnen die nötige Zeit für Ihre Reiseplanungen zu geben.«

»Macht doch nichts », erwiderte Jack. »Bis vor wenigen Tagen wusste ich selbst nicht, dass ich kommen würde. Es hat sich alles ein wenig überstürzt ergeben. Aldous Winterbottom ...«

»Der Anwalt Ihres Onkels«, warf der Pfarrer ein.

»Genau. Der gute alte Aldous ist extra nach Heathrow rausgefahren und hat mir den Schlüssel von Onkel Hectors Bude und einen Packen Papiere in die Hand gedrückt. Er kann also für mich bürgen.« Er langte in eine Tasche seiner Cargo-Shorts. »Irgendwo muss ein Zettel mit seiner Telefonnummer sein.«

»Lassen Sie ruhig, ich habe Mr Winterbottoms Nummer«, versicherte der Pfarrer ihm. »Aber ich verspüre keinen Drang, ihn zu kontaktieren. Sie hätten bestimmt nicht all die Mühen auf sich genommen, um hierherzukommen, wenn Sie nicht wären, wer Sie sind.«

»Wissen Sie bereits, wo Sie übernachten werden?«, fragte Lilian. »Falls nicht, sind Sie herzlich eingeladen, bei Teddy und mir im Pfarrhaus zu wohnen. Wir haben mehrere Gästezimmer.«

»Sehr freundlich von Ihnen, Mrs Bunting«, sagte Jack. »Aber ich werde die nächsten Tage in Onkel Hectors Cottage pennen. Aldous Winterbottom hat mir gesagt, dass Strom und Telefon noch nicht abgestellt sind, es wird mir also gehen wie ’ner Zecke auf’m Rücken von ’nem Schaf.« Doch dann sah er mit gerunzelter Stirn zwischen dem Pfarrer und Lilian hin und her. »Das einzige Problem ist, dass ich nicht weiß, wo Onkel Hector gewohnt hat.«

»Er hat im Ivy Cottage gewohnt«, sagte ich. »Es ist nicht weit von hier. Wenn Sie mich nach Hause fahren, zeige ich es Ihnen.«

»Abgemacht.« Sein strahlendes Grinsen ging nahtlos in ein breites Gähnen über. »Tut mir leid«, murmelte er und hielt sich die Hand vor den Mund, um ein zweites Gähnen zu verbergen. »Ich nehm’ an, der Jetlag hat mich erwischt. Ich bin total geplättet.«

»Wenn Sie gleich noch mit im Pfarrhaus vorbeischauen, bekommen Sie von mir Tee, Eier, Speck – alles, was Sie für ein Frühstück brauchen«, sagte Lilian. »Ihre Vorratskammer können Sie dann aufstocken, wenn Sie sich richtig von Ihrer Reise erholt haben.«

»Sie sind ein Schatz, Mrs Bunting«, sagte Jack und klopfte ihr auf die Schulter.

Sally Pyne trat vor und sagte schüchtern: »Ich könnte Ihnen ein Essenspaket zusammenstellen, wenn Sie wollen, Jack.«

»Ich auch.« Opal Taylor schob sich flink vor Sally hin. »Sie werden morgen bestimmt zu müde sein, um einkaufen zu gehen.«

»Wir können Sie ja schließlich nicht hungern lassen!«, sprudelte Selena Buxton hervor, indem sie Opal zur Seite schubste.

Jack zwinkerte ihnen zu. »Danke, Ladys, das wäre großartig.«

Sally, Opal, Selena und der Rest von Jacks Fans zerstreuten sich, um ihre Leckerbissen zum Abtransport vorzubereiten. Jack lächelte freundlich, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf ein einzelnes, schlichtes Plätzchen, das einsam auf dem Tellerrand lag. Er ergriff es, nahm es kurz in Augenschein und steckte es in den Mund. Während er kaute, trat ein abwesender Ausdruck in seine Augen.

»Wunderbar«, sagte er und leckte sich genüsslich die Lippen. »Ich nehme an, Sie können mir nicht sagen, wer die Anzac-Plätzchen gemacht hat?«

»Das war bestimmt Bree Pym«, erwiderte Lilian.

»Sie haben sie vielleicht auf dem Friedhof bemerkt – das dunkelhaarige Mädchen mit dem Nasen-Piercing.«

»Bree stammt aus Neuseeland«, fügte ich hinzu.

»Ach, dann ist ja alles klar«, sagte Jack. »Niemand außer einem waschechten Aussie oder einem Kiwi, wenn er sich ordentlich anstrengt, bringt ein richtiges Anzac-Plätzchen zustande. Ich werde mich bei Bree bedanken, dass sie mir diesen heimatlichen Genuss beschert hat.« Er reckte den Kopf und blickte sich im Raum um. »Ist sie hier?«

»Nein, leider nicht«, antwortete Lilian. »Bree ist noch auf dem Friedhof, um zusammen mit unserem Küster das Grab Ihres Onkels zuzuschaufeln.«

»Bree hat Mr Barlow auch geholfen, es auszuheben«, sagte der Pfarrer. »Und die beiden haben den Sarg zu seinem letzten Ruheplatz hinabgelassen.«

»Was, das kleine Mädchen hat das Grab ausgehoben?«, rief Jack aus. »Sie muss kräftiger sein, als sie aussieht.«

»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann nennen Sie Bree in ihrem Beisein nicht ein kleines Mädchen«, warf ich ein. »Sie schätzt das gar nicht, und Sie würden es möglicherweise bereuen, weil sie in der Tat kräftiger ist, als sie aussieht.«

»Gebongt«, sagte Jack.

»Bree ist sehr fit«, fügte der Pfarrer hinzu. »Allerdings ist Mr Barlow der Ansicht, dass das Herunterlassen eines Sargs mehr eine Frage von Technik als von Kraft ist.«

»Wie auch immer, dann bin ich Bree Pym ja verdammt viel schuldig«, sagte Jack. »Und Mr Barlow auch. Gut, dass ich noch ein wenig hierbleibe.« Er gähnte abermals, und seine strahlend blauen Augen wurden von Müdigkeit überschattet.

»Kommen Sie mit ins Pfarrhaus?«, sagte Lilian und stand auf. »Dann fülle ich rasch einen Korb mit Lebensmitteln für Sie, bevor Sie mit Lori davonbrausen.«

»Falls Ihnen im Ivy Cottage irgendetwas fehlen oder es zu unbequem sein sollte, dürfen Sie jederzeit auf die Einladung meiner Frau zurückkommen«, sagte der Pfarrer.

»Danke, Mr Bunting, aber um meinen Job zu erledigen, muss ich an Ort und Stelle sein.«

»Ihren Job?«, fragte der Pfarrer.

»Ach, hatte ich das nicht erwähnt? Ich bin hier, um Onkel Hectors Angelegenheiten zu regeln.«

So sehr ich meine Fantasie auch bemühte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, was für Angelegenheiten der ruhige, im Ruhestand befindliche Hector Huggins ungeregelt zurückgelassen haben sollte. Aber ich verzichtete darauf, Jack nach Details zu fragen. Die Fahrt nach Hause würde mir reichlich Gelegenheit für ein anständiges Verhör geben.

Kapitel 3

BEVOR ER DAS Schulgebäude verließ, bedachten die guten Leute von Finch Jack MacBride mit einem Lebensmittelvorrat, der für eine ganze Woche gereicht hätte. Der Pfarrer und ich halfen ihm, die übervollen Tüten und überquellenden Körbe zu seinem Mietwagen zu schleppen. Interessiert schaute ich zu, wie er einen abgewetzten khakifarbenen Rucksack und einen schwarzen Karton im Kofferraum zur Seite bugsierte, um Platz für seine Beute zu schaffen.

Der schwarze Karton zog auf Anhieb meine Aufmerksamkeit auf sich. Er erinnerte mich an die flachen Kartons, in denen Bill die Schriftsätze seiner englischen Mandanten aufbewahrte. Ich fragte mich, ob sich darin die Dokumente befanden, die Aldous Winterbottom Jack am Flughafen von Heathrow übergeben hatte, und wenn ja, ob sie Hector Huggins’ noch zu regelnde Angelegenheiten betrafen. Hätte ich die Gelegenheit gehabt, kurz hineinzuspähen, hätte ich nicht gezögert, aber zu meinem Verdruss ergab sich auch nicht der Hauch einer Chance.

Bevor ich mich hinabbeugen konnte, um den Karton näher zu betrachten, stand auch schon Lilian neben mir und verstaute den Proviant im Kofferraum. Seufzend schlug ich den Kofferraumdeckel zu, stieg auf der Beifahrerseite ein und wartete, bis sich Jack von den Buntings verabschiedet hatte. Als Jack hinter das Lenkrad kletterte, winkte ich Lilian und dem Pfarrer zu und wies Jack dann an, in Richtung Buckelbrücke zu fahren.

»Vielen Dank, dass Sie mich mitnehmen«, sagte ich. »Bill ist in unserem Wagen mit den Jungs nach Hause gefahren. Ohne Sie hätte ich jetzt einen ungemütlichen Fußmarsch von dreieinhalb Kilometern vor mir.«

»Es ist mir eine Ehre, Mrs Willis«, erwiderte Jack.

»Ich heiße Lori Shepherd. Bei meiner Heirat habe ich meinen Nachnamen behalten, aber hier spielt er ohnehin kaum eine Rolle, da mich alle nur Lori nennen. Ich hoffe, Sie tun das auch, Jack.«

»Sehr gern, Lori«, antwortete er mit einem liebenswerten Nicken.

»Tut mir leid wegen des lausigen Wetters«, sagte ich.

»In Australien kriegen wir auch eine gehörige Portion Regen ab«, entgegnete er. »Während des Monsuns schüttet es wie aus Kübeln. Die Flüsse treten über die Ufer und überfluten die Orte. Der Regen in der Nässe ist ein verdammtes Ärgernis.«

»In der Nässe?«

»In der Monsunzeit. Wir nennen sie ›Nässe‹, denn genau das ist es. Aber es ist nicht so kalt wie hier.« Er lächelte verzagt. »Ich wünschte, ich hätte mir die Zeit genommen, meine Socken zu suchen. Meine Füße sind steifgefroren.«

»Ich verordne Ihnen ein heißes Bad und ein prasselndes Kaminfeuer. Und eine Tasse Tee. Eine Katze in Ihrem Schoß würde Sie ebenfalls aufwärmen. Ich bezweifle jedoch, dass Ihr Onkel eine Katze besaß.«

»Nein«, sagte Jack. »Onkel Hector hatte nichts für Haustiere übrig.«

Während wir über die Buckelbrücke holperten, bat ich Jack, im Schneckentempo weiterzufahren. »Sehen Sie die hohe, struppige Hecke dort?« Ich deutete nach vorn zu meiner Rechten. »Dahinter befindet sich das Ivy Cottage. In der schmalen Lücke befindet sich das Gartentor, und die breitere ist für die Garagenzufahrt.«

»Danke!«

Ich wies zur linken Straßenseite. »Und dort drüben wohnt mein Schwiegervater. Er wäre gern zur Beerdigung Ihres Onkels gekommen, aber er erholt sich gerade von einer Lungenentzündung, und wir wollten nicht, dass er einen Rückfall riskiert. Um die Wahrheit zu sagen, mussten wir ihn in seinem Schlafzimmer einsperren und den Schlüssel verstecken.«

»Wirklich?« Jack sah mich erstaunt von der Seite an.

»Nein, nicht wirklich. Aber dass er die Beerdigung versäumt hat, tut ihm wirklich leid. Er legt sonst großen Wert darauf, bei den Veranstaltungen der Gemeinde dabei zu sein.«

»Armer Kerl«, sagte Jack. »Hoffe, er steht bald wieder im Ring.«

Ich lächelte bei der Vorstellung, wie mein vornehmer Schwiegervater seine in Boxhandschuhen steckenden Fäuste gegen einen brutalen Gegner schwang. »Williams Haushälterin wäre ebenfalls zur Beerdigung gekommen, aber sie musste zu Hause bleiben, um auf ihn aufzupassen.«

»Für den Fall, dass er den Schlüssel gefunden hätte, was?«

»So ungefähr. Sie heißt Deirdre Donovan. Wenn Sie irgendetwas benötigen – eine Tasse Zucker, eine Erklärung, wie Sie zur nächsten Tankstelle gelangen –, wird sie Ihnen bestimmt gern helfen.«

»Ein echt hilfsbereiter Ort, dieses Finch.«

»Wir tun unser Bestes.« Und für einen gut aussehenden und gut gelaunten Kerl wie dich tun wir sogar noch ein bisschen mehr, fügte ich in Gedanken hinzu. Laut sagte ich: »Noch drei Kilometer bis zu unserem Cottage. Dann können Sie schnurstracks zum Ivy Cottage zurückfahren und sich aufs Ohr hauen.«

»Genau das habe ich vor.«

»Ich hoffe, Ihr Onkel hat Ihnen nicht allzu viele Angelegenheiten hinterlassen, die Sie regeln müssen.«

»Nein, nein, keine Sorge.« Jack zuckte lässig die Schultern.

»Prima«, sagte ich und verbarg meine Enttäuschung hinter einem weiteren Lächeln. Eine derartig allgemeine Antwort entsprach ganz und gar nicht der ausführlichen persönlichen Auskunft, die ich mir von der gemeinsamen Autofahrt mit Jack erhofft hatte. Ich unternahm einen neuen Versuch. »Haben Sie ihn gut gekannt?«

»Ziemlich gut, würde ich sagen.«

Allmählich vermutete ich, Jack war einfach zu müde, um meine Fragen so zu beantworten, wie sie es verdienten, aber bevor ich erneut nachhaken konnte, drehte er auch schon den Spieß um.

»Sie sind doch ein Yank, stimmt’s?«, fragte er. »Ein Brite hätte statt gas station eher petrol station gesagt.«

»Stimmt, ich bin Amerikanerin, und Bill ist auch Amerikaner, aber wir leben schon seit mehr als zehn Jahren in England.«

»Warum?«, fragte er.

»Ich habe ein Cottage hier geerbt, und da die Mandanten meines Mannes in Europa ansässig sind, haben wir beschlossen, unseren Lebensmittelpunkt nach England zu verlegen. Aber der ausschlaggebende Grund war, dass wir uns in Finch verliebt hatten. Es ist ein großartiger Ort, um seine Kinder aufzuziehen.«

»Das kann ich mir vorstellen. Ruhig, sicher, jede Menge Platz für die Kinder zum Herumtollen, keine Rowdys, an denen sie sich ein schlechtes Beispiel nehmen könnten.«

»Nein. Keine Rowdys, das stimmt.«

»Mit Ausnahme von mir«, sagte Jack und warf mir ein verlegenes Lächeln zu. »Ich werde mich zusammenreißen müssen, solange ich hier bin. Nicht, dass sich die Knirpse ein schlechtes Beispiel an mir nehmen.«

»Nun, wenn Sie zum Beispiel Wörter wie verdammt etwas sparsamer verwenden könnten, oder besser gar nicht, wären Bill und ich Ihnen dankbar«, sagte ich ausweichend. »Wir sind uns natürlich bewusst, dass unsere Kinder im Pausenhof weitaus schlimmere Wörter aufschnappen, aber zu Hause geben wir uns Mühe, ihnen eine kultivierte Ausdrucksweise nahezubringen.«

»Abgemacht«, sagte Jack.

»Ist aber nicht böse gemeint«, fügte ich besorgt hinzu.

»Habe ich auch nicht so aufgefasst. Andere Länder, andere ...«

Er unterbrach sich mit einem mächtigen Gähnen, sodass ich schweren Herzens beschloss, die Frage-und-Antwort-Stunde zu beenden. Es führte zu nichts, einen Mann, der zu müde war, um einen angebrochenen Satz zu beenden, weiter mit Fragen zu bombardieren. Also nutzte ich die letzten Minuten unserer kurzen Fahrt dazu, ihn auf die wissenswertesten Eckpunkte unseres Ortes aufmerksam zu machen. Als wir Brees rotes Backsteinhaus passierten, betrachtete Jack es aufmerksam, während er die gewundene Auffahrt zu Emmas Anwesen kaum eines Blickes würdigte, ebenso wenig wie ihn die saftigen grünen, von Schafen gesprenkelten Weiden zu beeindrucken schienen, die immer wieder zwischen den Hecken hervorlugten.

»Ich würde sie jetzt lieber zählen, als sie mir anzuschauen«, sagte er. »Jetlag ist echt scheiße.«

Ich zuckte innerlich zusammen, doch Jack schien sein Fauxpas selbst aufgefallen zu sein. »Das heißt«, fügte er in britischem Englisch hinzu, sodass er sich anhörte, als hätte er eine Pflaume im Mund, »Jetlag ist ein schreckliches Ärgernis.«

Ich grinste und machte das Daumen-hoch-Zeichen. Kurz vor der Abzweigung zu unserem Cottage bat ich ihn, langsam zu fahren, dann bog er in die Kiesauffahrt ein, hielt den Wagen, schaltete den Motor aus und drehte sich zu mir. Jetzt sah ich, dass seine strahlend blauen Augen blutunterlaufen waren und sein tiefgebräunter Teint ein wenig fahl wirkte. Je schneller er ins Bett kommt, desto besser, dachte ich.

»Darf ich Sie um einen Gefallen bitten, Lori?«, fragte er.

»Natürlich, worum geht’s?«

»Das Problem ist, dass ich niemals all den Proviant aufessen kann, den die Ladys mir mitgegeben haben. Glauben Sie, man würde es mir krummnehmen, wenn ich Sie bitten würde, mich von einem Teil davon zu befreien?«

»Ja«, sagte ich, ohne auch nur einen Moment nachzudenken. »Geschenke dürfen nicht weitergeschenkt und unter gar keinen Umständen zurückgegeben werden. Jedenfalls nicht in Finch.«

»Es könnte doch unser kleines Geheimnis bleiben«, sagte er flehend. »Niemand braucht es zu wissen.«

»Es würde keine Stunde dauern, bis es alle wüssten«, antwortete ich trocken. »Fragen Sie mich nicht, wie das sein kann. Es ist einfach so. In Finch gibt es keine Geheimnisse, Jack, und je eher Sie sich mit diesem Umstand abfinden, desto besser für Sie. Wenn Sie etwas von dem überschüssigen Essen loswerden wollen, würde ich vorschlagen, Sie vergraben es mitten in der Nacht im Wald, aber selbst dann ist die Chance, dabei gesehen zu werden, noch immer eins zu eins.«

Einen Moment lang legte er die Stirn in Falten, dann strahlte er mich wieder an.

»Aber ich könnte doch ein paar Leute zum Mittagessen einladen. Haben Sie und Bill und die Zwillinge morgen Zeit?«

»Tut mit leid.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber Sonntag ist unser Familientag. Da sind wir bei Bills Vater.«

»Ach, natürlich«, sagte Jack schicksalsergeben. »Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich an die Zeitumstellung gewöhnt habe. Und was ist mit Montag?«

»Da sind die Jungen in der Schule und Bill im Büro. Aber ich würde Ihnen sehr gern beim Mittagessen Gesellschaft leisten.«

»Meinen Sie, Bree Pym würde ebenfalls kommen?«, fragte Jack. »Das wäre eine gute Gelegenheit, ihr zu danken, dass sie sich um Onkel Hectors Grab gekümmert hat.«

»Ich werde Ihre Einladung gern weitergeben. Und sollten Sie in der Zwischenzeit etwas benötigen ...« – ich fischte einen Kugelschreiber und einen Zettel aus meiner Handtasche, kritzelte meine Telefonnummer darauf und reichte ihn Jack –, »rufen Sie mich an. Wir werden vielleicht nur für kurze Zeit Nachbarn sein, aber Nachbarn sind Nachbarn.«

»Und in Finch helfen Nachbarn einander.« Jack nickte. »Allmählich wird mir klar, warum es Onkel Hector hier so gut gefallen hat. Dann bis Montag, um die Mittagszeit herum?«

»Ich werde da sein.« Ich öffnete die Beifahrertür. »Sind Sie sicher, dass Sie es heil zum Ivy Cottage zurückschaffen? Die Kurve bei Brees Haus kann ein bisschen kniffelig sein, besonders, wenn die Straße nass ist.«

»Keine Sorge. Danke für den kleinen Ausflug, Lori.«

»Ich habe zu danken, dass Sie mich hergefahren haben.« Ich stieg aus. »Und willkommen in Finch.«

Ich wartete einen Augenblick, um mich zu vergewissern, dass er in Richtung Dorf zurückfuhr, dann lief ich über den gefliesten Gartenweg zum Cottage.

Eine verdächtige Stille empfing mich.