Tante Dimity und die Geister am Ende der Welt - Nancy Atherton - E-Book

Tante Dimity und die Geister am Ende der Welt E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

Die Zwillingsschwestern Ruth und Louise Pym liegen im Sterben. Die beiden exzentrischen alten Damen bitten Lori um die Erfüllung ihres letzten Wunsches: Sie soll den vor langer Zeit verschollenen Bruder von Ruth und Louise ausfindig machen. Lori zögert nicht und macht sich auf den Weg ans andere Ende der Welt, ins ferne Neuseeland. Wird sie mithilfe von Tante Dimitys magischen Kräften ihr Versprechen halten und das Rätsel um den mysteriösen Bruder lösen können?

Ein Wohlfühlkrimi mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Donnas Anzac-Plätzchen.

"Kein anderer Krimi ist so liebenswert wie ein Tante-Dimity-Abenteuer!" (Kirkus Reviews)

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Seitenzahl: 293

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Donnas Anzac-Plätzchen

Über dieses Buch

Die Zwillingsschwestern Ruth und Louise Pym liegen im Sterben. Die beiden exzentrischen alten Damen bitten Lori um die Erfüllung ihres letzten Wunsches: Sie soll ihren Bruder, den vor langer Zeit verschollenen Aubrey ausfindig machen. Lori zögert nicht und macht sich auf den Weg ans andere Ende der Welt, ins ferne Neuseeland. Wird sie mithilfe von Tante Dimitys magischen Kräften ihr Versprechen gegenüber den Schwestern halten und das Rätsel um den mysteriösen Bruder lösen können?

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten »Tante Dimity« Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Thomas Hag

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3506-4

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity Down Under« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2010.

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Vic und Raewyn James, die mich auf einer ganz besonderen Reise »hin und zurück« begleitet haben

Kapitel 1

ICH HABE ES nicht kommen sehen. Während ich in der Küche das Abendessen für die Männer kochte, die ich liebe, bemerkte ich nicht, dass der Tod in den Kulissen lauerte. Wenn das Leben seinen geruhsamen Lauf nimmt, denkt man selten daran, wie schnell es enden kann. Wir ignorieren die Schatten, die hinter der Bühne aufziehen. Nichts kann uns auf ihren Auftritt vorbereiten.

An jenem goldenen Septembernachmittag jedenfalls war kein Schatten in Sicht. Die Herbstsonne schien milde auf meinen dunkelhaarigen Ehemann und seine ebenso dunkelhaarigen Söhne herab, die auf der Wiese im Garten einen Drachen steigen ließen, und eine leichte Brise strich durch die weißen Haare meines Schwiegervaters, der vor kurzem in Rente gegangen war und unter einem Apfelbaum die Sunday Times las. Schöner kann das Leben nicht sein, dachte ich, während ich die Kürbissuppe umrührte und einen Blick auf den Braten im Ofen warf.

Mein Ehemann Bill war ein großer, gutaussehender Mann, und er war ebenso klug wie attraktiv. Will und Rob, unsere beinahe sieben Jahre alten Zwillingssöhne, waren fröhlich, gesund und blitzgescheit. Wir wohnten in einem honigfarbenen Cottage inmitten der sanften Hügel und dem Flickenteppich von Feldern der Cotswolds, einer ländlichen Gegend in den West Midlands von England. Wir waren Amerikaner, lebten jedoch schon seit fast einem Jahrzehnt in den Cotswolds. Für die Zwillinge war es ihre Heimat.

Bill leitete die europäische Filiale der ehrwürdigen Bostoner Anwaltskanzlei seiner Familie von einem High-Tech-Büro in Finch aus, dem nächstgelegenen Dorf.

Wenn Will und Rob nicht gerade so taten, als wären sie Saurier, oder auf ihren grauen Ponys über Stock und Stein galoppierten, besuchten sie die Morningside School in der nahen Kleinstadt Upper Deeping. Ich kümmerte mich um meine Familie, half meinen Nachbarn, nahm an einer Vielzahl von wohltätigen Veranstaltungen teil und leitete den Westwood Trust, eine gemeinnützige Organisation.

William Willis senior, mein Schwiegervater, hatte bis vor kurzem Willis & Willis vorgestanden, besagter Anwaltskanzlei in Familienhand. Auch wenn er noch immer als Berater tätig war, hatten ihn das voranschreitende Alter und der Wunsch, sich mehr mit seinen Enkeln zu beschäftigen, dazu veranlasst, die Geschäfte in die Hände von Bills Cousin Timothy Willis zu legen. Willis senior hätte es vorgezogen, das Geschäft seinem Sohn zu übergeben, aber Bill hatte weder Interesse an Macht noch die Absicht, wegen eines prestigeträchtigen Titels seine Familie zu verpflanzen. Als Willis senior erkannte, dass sein einziges Kind in England glücklicher war, als es je in Boston sein würde, hatte er die Angelegenheit ohne ein Wort des Bedauerns ruhen lassen.

Bill, die Zwillinge und ich bemühten uns derzeit darum, Willis senior davon zu überzeugen, für immer zu uns zu ziehen. Wir hatten das frühere Zimmer unserer Nanny in ein gemütliches, aber dennoch luxuriöses Großvaterzimmer umgestaltet und so ziemlich jeden Trick angewendet – Betteln, Schuldgefühle einflößen, praktische Gründe –, um ihn an den Busen der Familie zu drücken.

Unser Kreuzzug wurde tatkräftig von einer Phalanx molliger Ladys aus dem Dorf unterstützt, die einen makellos gekleideten, stets höflichen und noch dazu zweifellos reichen Witwer Anfang siebzig für den ganz großen Fang hielten. Ob mein Schwiegervater sein Anwesen in Boston gegen ein bescheidenes Cottage in Finch eintauschen würde, blieb jedoch abzuwarten.

Willis senior war vor drei Tagen bei uns eingetroffen, aber nicht nur, um seine Enkel zu besuchen, sondern um an einem Fest teilzunehmen, das am kommenden Samstag in Finch stattfinden sollte. Als mein Blick auf den Kalender in der Küche fiel, hielt ich unwillkürlich inne, und ich spürte, wie mein Herz vor lauter Vorfreude heftig pochte.

In kaum einer Woche würde die – meiner Meinung nach – heiß ersehnte Märchenhochzeit des Jahrhunderts in der St. George’s Church abgehalten werden. Kit Smith würde Nell Harris heiraten, und ein neues Kapitel in der süßesten und abenteuerlichsten Romanze würde aufgeschlagen werden, die ich je erlebt hatte. Es hatte in den vergangenen sieben Jahren genug Zeiten gegeben, in denen ich daran zweifelte, dass die beiden je zusammenfinden würden, aber letzten Endes hatte die Liebe alle Hindernisse besiegt, worauf ich gehofft und wofür ich gebetet hatte.

Das Glück des Paares lag mir auch deshalb so am Herzen, weil Kit einer meiner besten Freunde war und Nell die Stieftochter meiner besten Freundin Emma Harris, aber ich war nicht die Einzige, die ihnen alles Gute wünschte. Niemand, dessen Herz noch schlug, konnte sich der einzigartigen Ausstrahlung dieser beiden entziehen. Die guten Leute von Finch jedenfalls hatten erkannt, dass die Verbindung dieser beiden Seelenverwandten ein ebenso seltener wie kostbarer Anlass zum Feiern war, und sie handelten entsprechend.

Die Frauen rollten die Ärmel hoch und putzten die Kirche so gründlich, wie es wohl seit hundert Jahren nicht mehr geschehen war. Die bleiverglasten Fenster funkelten, die Kerzenleuchter strahlten, die Altartücher leuchteten, und kein Körnchen Staub fand sich auf dem polierten Steinboden und den mit Schnitzereien verzierten hölzernen Kirchenbänken. Die Männer mähten den Rasen des Friedhofs, der St. George’s umgab, harkten die Kieswege und bepflanzten jedes Grab mit frischen Herbstblumen. Mr Barlow, das örtliche Faktotum, ließ es sich nicht nehmen, fehlende Ziegel auf dem überdachten Friedhofstor zu ersetzen und den altertümlichen Scharnieren eine großzügige Portion Öl zu verpassen, damit kein ungehöriges Quietschen das große Ereignis stören sollte.

Mit der gleichen inbrünstigen Sorgfalt hatten sich meine Nachbarn auch an ihre eigenen Wohnhäuser und Geschäfte gemacht. Was vorher ein wenig heruntergekommen ausgesehen hatte, strahlte nun, und wie Bill sagte, Finch hatte sich herausgeputzt, als posiere es für einen Unser-Dorf-wird-schöner-Wettbewerb.

Upper Deeping erlebte eine Invasion. Scharenweise kamen die Dorfbewohner, um sich in den Geschäften und Verleihen angemessen für den großen Tag einzukleiden. Bill und Willis senior waren nach Beratungen mit Nells Vater, Derek Harris, übereingekommen, sich in ihre besten Anzüge aus der Savile Row zu werfen. Mein Kleid aus smaragdgrüner Seide mit langen Ärmeln und einem herzförmigen Dekolletee hatte Sally Pyne angefertigt, die im Dorf eine Teestube betrieb und auch als Schneiderin arbeitete. Der Hut stammte allerdings aus einer schicken Londoner Boutique. Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, dass keine Frau in England ohne Hut zu einer Hochzeit ging, und nie im Leben hätte ich St. George’s ohne Kopfbedeckung betreten.

Natürlich war die Hochzeit das Gesprächsthema in Finch, und ich steuerte meinen Teil nur allzu gerne bei. Endlos konnten meine Nachbarinnen und ich über die Blumen, die Torte, die Musik, die Trauung und die Feier plaudern. Dabei interessierte uns eines am meisten – wie würde Nells Hochzeitskleid aussehen? Würde sie Seide tragen, Satin, Spitzen? Taft? Klassisch oder modern? Und welches Kleid, ganz gleich wie schön es auch sein mochte, könnte ihrer eigenen himmlischen Schönheit überhaupt gerecht werden? Es gab verschiedene Meinungen, aber da Emma Harris das Kleid niemandem zeigte – nicht einmal mir, ihrer besten Freundin –, konnten wir nur abwarten.

Die Pläne für die Feier konnte Emma jedoch nicht vor mir geheim halten, weil sie meinen Söhnen einen besonderen Part darin zugedacht hatte. Emma leitete das Anscombe Riding Center, dessen Stallungen auf dem Gelände von Anscombe Manor lagen. Kit war der Stallmeister der Schule und auch der Reitlehrer meiner Söhne, Nell unterrichtete dort Dressurreiten. Da sich die Welt des glücklichen Paares um Pferde drehte, lag es nahe, dass Pferde eine wichtige Rolle bei der Hochzeitsfeier spielen würden.

Zusammen mit anderen Mitgliedern des Juniorteams des ARC sollten Rob und Will eine berittene Ehrengarde bilden, die den offenen Kutschwagen des frischgetrauten Paares von St. George’s zur Feier nach Anscombe Manor begleiten würde. Da jedes Mitglied der Ehrenwache in formeller Reitkleidung erscheinen sollte, musste Emma die Eltern der Teilnehmer in ihre Pläne einweihen. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass ich alle Insider-Informationen brühwarm an meine Nachbarinnen weiterreichte.

Peggy Taxman, Vorsteherin des Postamtes von Finch, hatte uns derweil mit den Namen auf der Gästeliste versorgt, da sie sich persönlich um die Einladungen kümmerte. Diese Liste hatte großes Aufsehen erregt, da sich ein Duke, ein Earl, mehrere Ritter und ein pensionierter Londoner Polizeichef unter den Gästen befanden, dazu einige französische Grafen. Freunde aus Vergangenheit und Gegenwart würden sich auf den Weg nach Finch machen, um bei dem freudigen Ereignis dabei zu sein, zu Fuß, zu Pferde, mit dem Auto, mit dem Flugzeug und in einem Fall im eigenhändig gesteuerten Privathubschrauber.

Emma und Derek Harris hatten sich größte Mühe gegeben, Anscombe Manor für den Empfang herauszuputzen. Sie hatten die große Halle von oben bis unten gereinigt, hatten eine Catering-Firma engagiert, Musiker bestellt, das Grundstück von professionellen Gärtnern verschönern lassen und so viel Champagner eingekauft, dass man ein Schlachtschiff darin hätte schwimmen lassen können. Am Morgen der Hochzeit würde Derek noch einen Parkplatz für die Gäste absperren, Emma würde die Pferde auf die Weiden bringen, die am weitesten vom Haupthaus entfernt lagen, und sie würden eine brandneue Fahne auf dem Flaggenmast der Familie hissen.

Ich konnte es kaum abwarten, sie im Wind flattern zu sehen.

Die Kostüme lagen bereit, die Bühne war aufgebaut, und die Besetzung versammelte sich. In weniger als einer Woche, sagte ich zu mir, derweil ich verträumt auf die Herzen blickte, die ich auf den Kalender in der Küche gemalt hatte, würde Kit Smith endlich – endlich! – Nell Harris heiraten.

Ich seufzte verzückt, wischte mir die Tränen der Rührung ab und schaltete den Ofen aus. Ich wollte gerade meine Männer rufen, damit sie sich vor dem Essen die Hände wuschen, als das Telefon klingelte. Eilig rieb ich mir die Hände an der Schürze ab und griff zum Telefon. Sicher wartete eine weitere delikate Neuigkeit auf mich, die ich sofort weitergeben konnte.

»Lori?«, meldete sich Emma.

»Emma!«, rief ich erfreut. »Wie läuft es? Seid ihr mit den Rhododendren fertig? Ist der Rasen gemäht? Ich verfolge mit Adleraugen den Wetterbericht für Samstag, und es sieht so aus, als würde ein Schauer aus Rosenblüten auf uns herabregnen ...«

»Lori«, unterbrach Emma mich, und es schien mir, als klinge sie ein wenig angespannt.

»Du Arme«, bedauerte ich sie. »Du bist wahrscheinlich völlig erschöpft. Wenn du Hilfe brauchst, ganz egal bei was, kann ich jederzeit rüberkommen. Ich bin schneller da, als eines eurer Ponys auch nur mit dem Huf scharren kann. Sag nur Bescheid ...«

»Lori!«, rief Emma. »Kannst du mal den Mund halten?«

Verblüfft starrte ich das Telefon an. Ich kannte Emma als gelassene, ruhige Person. Noch nie war sie mir gegenüber laut geworden, und noch nie hatte sie mir, oder irgendwem sonst, den Mund verboten. Offenbar tat der Stress der Hochzeitsvorbereitungen seine Wirkung.

»Klar«, sagte ich eingeschüchtert. »Was gibt’s?«

»Ich weiß nicht, wie ich es dir schonend beibringen könnte, also sag ich es einfach geradeheraus«, antwortete Emma gepresst. »Die Hochzeit ist abgesagt.«

Einen Augenblick lang war ich sprachlos. Dann kicherte ich: »Guter Witz. Fast hättest du mich drangekriegt, aber ...«

»Es ist kein Witz«, entgegnete sie schwer atmend. »Die Hochzeit ist abgesagt. Nell und Kit haben sie bis auf weiteres verschoben.«

»Sie haben was?« Ich beugte mich über das Telefon, konnte kaum glauben, was ich hörte. »Ist das dein Ernst? Warum um alles in der Welt sollten sie die Hochzeit absagen?«

»Es ist wegen Ruth und Louise Pym.« Emma holte tief Luft. »Sie liegen im Sterben.«

Eine Wolke schien den Himmel zu verdunkeln.

Kapitel 2

ICH FÜHLTE MICH, als hätte mir jemand einen heftigen Schlag vor die Brust versetzt. Ich schwankte durch den Raum und setzte mich mit wackeligen Knien auf einen Stuhl am Küchentisch. Emmas Nachricht hätte mich nicht überraschen sollen, aber sie erschütterte mich im Innersten.

Ruth und Louise Pym waren die beiden vollkommen gleich aussehenden Zwillingstöchter eines Mannes, der viele Jahre lang Pfarrer in der Kirchengemeinde von St. George’s gewesen war. Die Schwestern hatten nie geheiratet und ihr ganzes emsiges Leben gemeinsam in dem strohgedeckten Ziegelhaus ihres Vaters am Rande des Dorfes verbracht. Niemand kannte ihr Alter genau, aber sie waren bei weitem die ältesten Einwohner des Dorfes, und die meisten schätzten sie auf deutlich über hundert. Auch wenn die beiden schon immer so zerbrechlich wie Spitze gewirkt hatten, schien ihre Energie doch nie zu versiegen, und ihre Arbeitsamkeit beeindruckte noch immer jedermann. Sie schafften mehr an einem Tag, als andere Frauen, die halb so alt waren wie sie, in einer Woche leisteten.

Als Bill und ich in das Cottage einzogen, zählten die Schwestern Pym zu den Ersten, die uns willkommen hießen. Sie waren bei unserer Hochzeit dabei, bestickten die Taufkleidchen unserer Söhne, luden uns unzählige Male zum Tee ein und teilten ihr immenses Wissen über die Gegend mit uns. Ruth und Louise waren fleißige Gärtnerinnen, konnten geschickt mit Nadel und Faden umgehen, sie kochten ausgezeichnet, gingen regelmäßig zur Kirche, sie waren die besten Nachbarn, die man sich vorstellen konnte, und darüber hinaus die einzigen eineiigen Zwillinge, die unsere Zwillinge, Rob und Will, je kennengelernt hatten. Kurz gesagt, sie waren unersetzlich.

»Ruth und Louise liegen im Sterben?«, fragte ich, irgendwie darauf hoffend, dass ich mich verhört hatte. »Bist du sicher?«

»Ich bin sicher«, sagte Emma.

»Wie hast du davon erfahren?«, fragte ich.

»Ruth rief mich heute Nachmittag an, um mir mitzuteilen, dass Nells Schleier fertig sei«, antwortete Emma. »Der Schleier ist ihr Hochzeitsgeschenk für Nell. Du weißt, sie waren ihr schon immer sehr zugetan.« Es schien, als wolle ihre Stimme versagen, doch nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Um ihnen den Weg zu ersparen, bin ich zu ihnen gefahren, um den Schleier abzuholen. Als sie auf mein Klopfen nicht reagierten, ging ich ins Haus.«

Ich nickte. In Finch gab es kaum verschlossene Türen. Meine Nachbarn betrachteten es als beinahe selbstverständlich, dass sie auch uneingeladen ein Haus betreten durften, wenn sie einem abwesenden Freund einen Gefallen tun wollten.

»Ich entdeckte den Schleier sorgsam gefaltet in einer Pappschachtel auf dem Esstisch«, fuhr Emma fort. »Ruth und Louise lagen im Bett. Sie sagten, sie seien etwas unpässlich, aber es gebe keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Aber mir gefiel ihre Gesichtsfarbe nicht, außerdem atmeten sie so schwer, deshalb rief ich Dr. Finisterre an. Er kam zum Glück schnell und brauchte nicht lange für seine Diagnose. Offensichtlich wusste er schon seit einiger Zeit um ihren Zustand.«

»Welchen Zustand?«, fragte ich.

»Es sind ihre Herzen«, sagte Emma. »Sie sind ... verbraucht.«

»Wie kann das sein?«, fragte ich und umklammerte krampfhaft das Telefon. »Sie haben doch vor zwei Wochen noch eine Reise ans Meer gemacht. Wie hätten sie so etwas mit schwachem Herz unternehmen können?«

»Dr. Finisterre hatte ihnen offenbar davon abgeraten«, teilte mir Emma mit. »Aber sie waren davon überzeugt, dass ihnen das Klima guttun würde. Der Arzt meint, dass diese Anstrengung die jetzige Krise verursacht haben könnte.«

»Ich hätte sie doch gefahren, wenn sie etwas gesagt hätten«, flüsterte ich.

»Das hätten wir alle«, entgegnete Emma. »Aber sie haben nicht gefragt. Ich schätze, sie haben ihren Stolz. Sie sind es gewohnt, allein zurechtzukommen.«

»Ja, es ist schwer, lebenslange Gewohnheiten abzulegen«, räumte ich ein. »Besonders wenn das Leben so lang ist. Hat der Arzt sie ins Krankenhaus überwiesen?«

»Nein, sie sind zu Hause«, antwortete Emma. »Sie wollten nicht, dass ich oder Dr. Finisterre einen Krankenwagen rufen. Sie weigern sich, ins Krankenhaus zu gehen, und ich kann sie gut verstehen. Ich wollte meine letzten Tage auch nicht künstlich ernährt und an Monitore angeschlossen verbringen.«

»Ich auch nicht«, sagte ich, »aber wenn man dort irgendetwas für sie tun könnte ...«

»Es gibt nichts mehr zu tun«, meinte Emma entschieden. »Dr. Finisterre kann es ihnen so angenehm wie möglich machen, aber abgesehen davon ... Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Ich stöhnte leise auf und legte die Hand auf die Stirn. »Was glaubt Dr. Finisterre, wie lange sie noch durchhalten?«

»Er weiß es auch nicht genau«, antwortete Emma. »Es kann noch Monate dauern, aber es kann auch schon morgen zu Ende gehen. Als ich ins Manor zurückkam – vor einer halben Stunde –, habe ich Nell und Kit informiert, und die beiden waren sofort entschlossen, die Hochzeit bis auf weiteres zu verschieben.«

»Sicherlich«, murmelte ich.

»Sie sind jetzt bei den Pyms«, fuhr Emma fort. »Sie halten mich fürs Erste auf dem Laufenden, und wenn es neue ... Entwicklungen gibt, melde ich mich bei dir.«

»Danke«, sagte ich.

Emma räusperte sich. »Ich weiß, wir haben einiges zu besprechen, Lori, aber das muss warten. Ich muss eine Menge Telefonate machen, nachdem die Hochzeit nun erst einmal abgesagt ist. Die Gäste, der Catering-Service, das Streichquartett ...«

»Ich kann die Telefonate hier in Finch für dich erledigen«, bot ich an. »Ich kenne die Nummern der Gäste ja auswendig.«

»Danke, aber das erledige ich besser selbst«, sagte Emma. »Ich bin die Stiefmutter der Braut. Die Gäste erwarten vermutlich, die Nachricht von mir persönlich zu erfahren.«

»Natürlich«, sagte ich. »Aber wenn du Hilfe brauchst oder einfach mal eine Pause machen willst, sag mir Bescheid.«

»Das mache ich.« Nach einem kurzen Zögern sagte Emma: »Ich wusste, dass sie nicht ewig leben können – niemand kann das –, aber dennoch kommt es mir so vor, als ...« Ihre Stimme verlor sich.

»Ich weiß, was du meinst«, tröstete ich sie. »Ich kann es auch nicht fassen. Es dauert wohl eine Weile, bis man es wirklich begreift.«

»Wahrscheinlich«, sagte Emma. »Dann setze ich mich mal ans Telefon.«

»Ich bin hier, wenn du mich brauchst«, bot ich ihr an. »Tag und Nacht.«

»Ich melde mich«, sagte sie und beendete das Gespräch.

Ich legte das Telefon auf den Tisch und starrte die Küchenwand an. Ich versuchte mir eine Welt ohne die Schwestern Pym vorzustellen, und es war, als sehe man einen Garten ohne Blumen. Ich hätte wohl noch lange so dagesessen, hätte mich nicht die Stimme meines Mannes aufgeschreckt.

»Der Braten duftet köstlich«, sagte Bill und bückte sich, um in den Ofen zu schauen. »Soll ich die Kartoffeln stampfen?«

Ich drehte mich zu ihm, und als er mein Gesicht sah, verschwand sein Lächeln augenblicklich.

»Was ist los, Lori?«, fragte er mit einem Blick auf das Telefon, das auf dem Tisch lag. »Ist jemand gestorben?«

»Noch nicht«, sagte ich und schaute nervös zur Hintertür. »Wo sind die Jungen?«

»Im Garten. Vater liest ihnen die Kricketergebnisse vor.« Bill setzte sich neben mich auf einen Stuhl und beugte sich zu mir, die Ellenbogen auf den Knien. »Was ist, Lori, was ist passiert?«

»Oh, Bill ...«, seufzte ich und dann platzte ich mit der ganzen traurigen Geschichte heraus. Als ich ihm alles erzählt hatte, sah ich ihn hilflos an. »Wie können wir das den Jungs beibringen? Sie verehren Ruth und Louise. Wie sollen wir es ihnen sagen?«

»Mit einfachen Worten«, antwortete Bill, »und dann werden wir ihre Fragen beantworten, so gut es geht. Und sie werden sicherlich Fragen stellen. Wie immer.«

»Sollen wir es ihnen gleich jetzt sagen?«

»Das wird sich nicht vermeiden lassen. Wenn sie dein Gesicht sehen, wissen sie sowieso, dass etwas nicht stimmt. Wir müssen ihnen ja nicht erzählen, dass die Pyms im Sterben liegen. Wir sagen, sie seien sehr krank. Die letzte Brücke müssen wir erst überqueren, wenn es so weit ist.« Er nahm mich bei der Hand und stand auf. »Komm. Bringen wir es hinter uns.«

Will und Rob nahmen die Nachricht von der Erkrankung der Pyms mit nachdenklichem Schweigen auf. Die Fragen, die Bill vorhergesehen hatte, stellten sie erst, als unser ungewöhnlich stilles Abendessen fast vorüber war.

»Sind Miss Ruth und Miss Louise so alt wie Toby?«, fragte Will und spießte eine grüne Bohne mit der Gabel auf. Toby war ein gutmütiges Pony, auf dessen Rücken unzählige Schüler des Anscombe Riding Center die Grundlagen der Reitkunst gelernt hatten, bevor es im reifen Alter von zwanzig Jahren in den Ruhestand gehen durfte.

»Miss Ruth und Miss Louise sind viel älter als Toby«, entgegnete Bill.

Will nickte und tauchte eine grüne Bohne in die Stampfkartoffeln.

»Toby war mal krank«, meinte Rob. »Aber er ist wieder gesund geworden. Werden Miss Ruth und Miss Louise auch wieder gesund?«

»Vielleicht«, sagte Bill.

»Was ist, wenn sie nicht wieder gesund werden?«, fragte Rob. »Sterben sie dann, so wie Mistys Fohlen?«

Das Stück Braten in meinem Mund schien auf einmal zäh wie Leder. Mistys Fohlen war im vorigen Frühling an Lungenentzündung gestorben. Es war das erste Mal, dass die Jungen mit dem Tod in Berührung gekommen waren, und es hatte einen tiefen Eindruck bei ihnen hinterlassen.

»Ja«, sagte Bill sanft. »Es tut mir leid, euch das sagen zu müssen, meine Söhne, aber wenn Miss Ruth und Miss Louise nicht wieder gesund werden, werden sie sterben.«

»Ich werde sie vermissen, wenn sie tot sind«, sagte Rob und löffelte seine Apfelsauce.

»Ich auch«, sagte Bill. »Und deine Mutter und dein Großvater auch. Wir würden sie alle sehr vermissen.«

»Wir sollten Miss Ruth und Miss Louise besuchen, bevor sie sterben«, schlug Will vor.

»Das werden wir«, sagte Bill, »aber nicht heute Abend. Heute brauchen sie Ruhe. Wenn Dr. Finisterre es erlaubt, besuchen wir sie morgen nach der Schule, okay?«

»Okay«, antworteten die Jungen im Chor.

Erst als ich die Zwillinge ins Bett steckte, fragten sie nach der Hochzeit. Ich erzählte ihnen, dass sie wegen der Krankheit der Schwestern verschoben worden sei, und sie schauten nachdenklich an die Decke.

»Vielleicht kann Nell dafür sorgen, dass es Miss Ruth und Miss Louise besser geht«, sagte Will.

»Sie hat auch Storm geheilt, als der so husten musste«, erinnerte mich Rob.

Storm, Robs geliebtes Pony, hatte vor einer Woche eine milde Kolik gehabt, von der das Tier sich jedoch bereits erholt hatte.

»Nell hat Storm eine Medizin gegeben«, fuhr Rob fort. »Und sie hat ihn im Stall herumgeführt.«

»Und er ist gesund geworden«, sagte Will.

»Ich bin sicher, dass Nell alles für Miss Ruth und Miss Louise tun wird«, sagte ich. »Aber manchmal sterben die Menschen, auch wenn man alles für sie tut, was man kann.«

»Wie Mistys Fohlen«, sagte Will.

»Wie Mistys Fohlen«, bestätigte ich.

»Lies uns eine Geschichte vor, Mami«, sagte Rob.

Ich verschwendete keine Zeit damit, ein »Bitte« zu verlangen, sondern griff nach Pu der Bär und las meinen Jungen daraus laut vor, in der Hoffnung, dass sie in Gedanken an Tieger und Ferkel und Ruh einschliefen und nicht mehr über Mistys Fohlen nachgrübelten.

Bill und Willis senior warteten im Wohnzimmer, als ich herunterkam. Offenbar dachte keiner der beiden an Schlaf. Bill saß in seinem Lieblingssessel, Stanley, unser schwarzer Kater, hatte es sich in seinem Schoß gemütlich gemacht. Willis senior stand am Eckfenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Ich ließ mich in die Ecke des Chintz-Sofas fallen und schaute in das Feuer, das Bill nach dem Essen im Kamin entfacht hatte.

»Wollten sie noch mehr wissen?«, fragte er.

»Sie hoffen, dass Nell eine Wundermedizin für die beiden hat«, antwortete ich.

»Tun wir das nicht alle?«, seufzte Bill und strich Stanley über das Fell.

Willis senior drehte sich um und kam herüber, um seine penibel manikürten Finger am Feuer zu wärmen. Bill und ich trugen Jeans und Wollpullover, mein Schwiegervater hingegen einen dreiteiligen Anzug, ein weißes Hemd und eine Seidenkrawatte. Auch als Rentner hatte er gewisse Gewohnheiten noch nicht abgelegt.

»Du hast beim Essen eine einfache Wahrheit ausgesprochen«, sagte er zu seinem Sohn. »Ich werde die lieben Damen sehr vermissen, sollten sie von uns gehen. Es gibt nicht viele Menschen wie sie.«

Ich erinnerte mich an eine Begebenheit und warf meinem Schwiegervater ein verschmitztes Lächeln zu. »Weißt du noch, wie du zum ersten Mal ihren Himbeerlikör probiert hast?«

»Allerdings.« Willis senior lächelte und setzte sich in den Sessel neben Bill. »Er sah aus wie ein völlig harmloser, stärkender Trank, aber ...«

»Er haut rein, als würde einen ein Esel treten«, vollendete Bill. »Köstlich, aber tödlich.«

»Die beiden haben ihr Gebräu runtergekippt, als sei es Muttermilch«, erinnerte ich mich bewundernd.

»Während ich hustete und keuchte wie ein Motor, der nicht anspringen will«, sagte Willis senior. »Eine äußerst lehrreiche Erfahrung.«

»Lehrreich?«, fragte Bill. »Wieso?«

»Weil mir danach klar war, dass man die scheinbar harmlosen alkoholischen Getränke älterer Damen, die regelmäßige Kirchgänger sind, nicht unterschätzen darf«, antwortete Willis senior. »Ihr Pflaumenwein war auch nicht ohne. Nachdem ich den genossen hatte, habe ich nur noch Tee aus ihren zarten Händen entgegengenommen.«

»Und Sahnetörtchen«, ergänzte ich.

»Und Mohnkuchen«, sagte Bill.

»Und Schokoladen-Eclairs«, fuhr ich fort. »Und Kokosmakronen und Baisers.«

»Ah, diese Baisers ...« Willis senior seufzte selig.

Unser Gang durch die imaginäre Backstube der Pyms wurde durch das Schrillen des Telefons jäh unterbrochen. Bill nahm ab, und ich wappnete mich für die Nachricht, die keiner von uns hören wollte, doch nach ein paar kurzen Worten mit dem Anrufer reichte Bill mir den Apparat.

»Es ist Kit«, sagte er. »Er möchte dich sprechen.«

Ich sprang auf und nahm das Telefon entgegen.

»Kit, wo bist du?«

»Nell und ich sind noch immer bei den Pyms«, antwortete er. »Ich glaube, du solltest auch herkommen. Ruth und Louise haben nach dir gefragt.«

»Ich bin in fünf Minuten da«, sagte ich, beendete das Gespräch, warf Bill das Telefon zu und eilte zur Haustür.

»Lori?« Bill schob einen unwilligen Stanley von seinem Schoß und folgte mir in den Flur. »Wohin gehst du?«

»Ruth und Louise möchten mich sehen.« Ich nahm eine Wolljacke von der Garderobe und zog sie mir über. »Ich nehme den Rover.«

»Soll ich dich fahren?«, fragte Bill.

»Ich möchte, dass du hierbleibst«, sagte ich und schnappte mir die Autoschlüssel, die auf dem Telefontisch lagen. »Falls es schlechte Nachrichten gibt, die du den Jungs beibringen musst.«

Ich gab ihm einen raschen Kuss, sagte Willis senior gute Nacht und lief durch die frische Nachtluft zu unserem kanariengelben Range Rover. Als ich den Motor anließ und den Wagen rückwärts über unsere kiesbedeckte Einfahrt steuerte, versuchte ich vergeblich, mich auf meinen vielleicht letzten Besuch bei den Pyms vorzubereiten.

Kapitel 3

DUNKELHEIT VERHÜLLTE DIE Felder zu beiden Seiten der schmalen, kurvenreichen Straße, Hecken verdeckten sie, aber ich war mir ihrer nur allzu bewusst. In meiner kleinen Ecke der Cotswolds war Erntezeit. Nur allzu bald, sagte ich mir, würde der Schnitter seine Sense schwingen und seine bittere Ernte einbringen.

»Sei doch nicht so melodramatisch«, murmelte ich ärgerlich, als ich an der gewundenen Auffahrt von Anscombe Manor vorbeifuhr. »In dieser Gegend wird die Ernte von stämmigen Männern auf großen Maschinen eingefahren, nicht von einem Skelett in schwarzem Umhang, das eine Sense schwingt.«

Dennoch fiel es mir nicht leicht, die Symbolik der Jahreszeit zu ignorieren.

Ich lenkte den Wagen um die gefährlichste Kurve auf der Strecke, und vor mir tauchte das Haus der Pyms auf, das schimmerte wie ein Juwel auf einem Samtkissen. Aus den Fenstern mit den Spitzenvorhängen unter dem struppigen Strohdach drang Licht, das die Backsteinwände in milden Glanz tauchte. Ich wunderte mich, wie viele Lampen drinnen brannten – ich hatte gedämpfte Beleuchtung erwartet, wie in einem Krankenzimmer, aber dann fiel mir auf, wie viele Autos auf dem Grasstreifen zwischen der Straße und dem Vorgarten der Pyms parkten. Kit Smith und Nell Harris waren offenbar nicht die einzigen Besucher der Schwestern.

Ich sah Kits Kleinlaster, Mr Barlows Lieferwagen, den schwarzen BMW des Pfarrers sowie Miranda Morrows himmelblauen Käfer, Sally Pynes altertümlichen Vauxhall und den alten Renault der Peacocks. Eigentlich hatte ich mich auf eine exklusive Einladung an der Bettstatt der Schwestern Pym eingerichtet, aber so wie es aussah, musste ich mich erst mal in die Schlange stellen.

Ich parkte den Rover hinter der Limousine des Pfarrers und schritt durch das schmiedeeiserne Tor in den mit Laub übersäten Vorgarten. Die nackten Blumenstängel zitterten einsam in den vernachlässigten Beeten, und ich fragte mich, wer den Garten wieder zum Blühen bringen würde, wenn die Schwestern Pym nicht mehr waren. Da die beiden alle ihre Verwandten überlebt hatten, würde das Haus sicher an einen Fremden verkauft werden. Würden die neuen Besitzer die alten Pflanzen bewahren, um die sich die Pyms so liebevoll gekümmert hatten, oder würde er sie herausreißen und durch einen modernen pflegeleichten Rasen ersetzen? Der Gedanke, dass simples Gras das Löwenmäulchen, die Stockrose und die Gartenwicke ablösen könnte, tat mir weh, und ich schob das unangenehme Bild beiseite und ging rasch weiter.

Ich war erst auf halbem Wege, als sich die Haustür öffnete und eine Gruppe von Dorfbewohnern hinaustrat, unter der Führung von Lilian Bunting, der belesenen Gattin des Pfarrers.

»Also«, sagte sie und schaute in das kleine Notizbuch in ihrer Hand. »Ich stelle einen Plan auf, damit wir abwechselnd das Kochen, das Einkaufen und die anderen Pflichten der Haushaltsführung übernehmen können. Mr Barlow und Derek Harris kümmern sich um das Haus, den Schuppen, die Zäune und die Garage. Miranda kümmert sich um den Garten, und Emma Harris sorgt dafür, dass nicht ein Stück Obst verfault. Peggy Taxman hat sich schon bereiterklärt, die Post direkt ins Haus zu bringen, und Jasper Taxman wird sich darum kümmern, dass alle Rechnungen pünktlich bezahlt werden. Mein Ehemann und ich werden für den geistlichen Beistand sorgen.«

»Es scheint, als hätte ich den leichtesten Job«, murmelte der Pfarrer.

»Man weiß nie«, meinte Mr Barlow. »Alte Damen können voller Geheimnisse stecken.«

Die anderen lachten, und ich lächelte verständnisvoll. Die soziale Maschinerie, die sich schon für die Hochzeit des Jahrhunderts in Bewegung gesetzt hatte, war offensichtlich umgeleitet worden und übernahm nun die Aufgabe, sich um die Pyms zu kümmern. Während ich mich mit Symbolik beschäftigt hatte, waren meine Nachbarn längst dabei, sich um die praktischen Dinge zu kümmern.

»Sieht aus, als hätte ich eine Dorfversammlung verpasst«, sagte ich und ging auf die Gruppe zu. »Trag mich gleich für den Putzdienst ein, Lilian. Ich kann sehr gut mit einem Staubwedel umgehen.«

»Lori!«, rief sie und schaute von ihrem Notizbuch auf. »Schön, dich zu sehen. Ich versichere dir, unser Treffen war ganz spontan.«

»Emmas Anruf hat uns alle hergebracht«, erklärte Christine Peacock. »Sobald wir das von den Pyms gehört haben, sagte ich Dick, er müsse den Pub alleine schließen, und habe mich auf den Weg gemacht.«

»Alle sind so schnell gekommen, wie sie konnten, nachdem sie die Nachricht erhalten hatten«, sagte Miranda Morrow. »Ruth und Louise sollten wissen, dass sie nicht allein sind.«

»Peggy meinte, wir würden nur dumm herumstehen«, merkte Sally Pyne pikiert an. »Sie und Jasper sind in ihrem Laden geblieben. Wenn ihr mich fragt, sie füllt einfach lieber ihre Kasse, als Freunden zu helfen.«

»Die Taxmans haben mir telefonisch ihre höchst willkommenen Dienste angeboten«, entgegnete Lilian Bunting mit einem tadelnden Blick auf Sally. »Ich bin sicher, dass wir ihnen dafür dankbar sein sollten.«

»Ich bin vor allem sicher, dass wir alle ein wenig überdreht und müde sind«, ließ sich der Pfarrer sachte vernehmen. »Es war ein schwieriger Abend. Wir sollten jetzt nach Hause fahren. Zweifellos wird ein guter Schlaf unsere Nerven beruhigen und uns auf die Aufgaben vorbereiten, die vor uns liegen.«

»Wie immer, die Stimme der Vernunft.« Lilian Bunting lächelte ihrem Gatten zu. »Du hast ja recht, Teddy. In der kurzen Zeit haben wir schon viel in die Wege geleitet. Jetzt sollten wir Ruth und Louise ihre Ruhe gönnen.«

Ich wünschte meinen Nachbarn eine gute Nacht, als sie an mir vorbeigingen. Lilian legte ich die Hand auf den Arm.

»Vergiss nicht, mich auf den Putzplan zu setzen«, sagte ich.

»Du stehst schon drauf«, sagte sie und tippte mit ihrem Füllfederhalter auf das Notizbuch. »Ich sage dir Bescheid, wenn deine Fähigkeiten im Umgang mit dem Staubwedel gefragt sind.«

Ich winkte den Dorfbewohnern hinterher, als sie davonfuhren, und wandte mich dem Mann zu, der in der Tür aufgetaucht war.

Kit Smith lächelte mir matt zu. Er trug verblichene Jeans, einen dunkelblauen Pullover, in dem kleine Heustückchen steckten, und dicke Wollsocken. Seine lehmbespritzten Gummistiefel standen neben Nells auf einer Matte direkt hinter der Tür.

»Lori«, sagte er, »komm herein.«

Ich folgte ihm in den Flur und hängte meinen Mantel auf den Kleiderständer. Meine Schuhe stellte ich zu den anderen auf der Matte, während Kit im Erdgeschoss herumging und einige Lampen ausschaltete. Als er wieder in den Flur kam, sah ich ihn besorgt an. Seine veilchenblauen Augen waren atemberaubend schön wie immer, aber ich kannte ihn gut genug, um den erschöpften Ausdruck darin zu erkennen.

»Du Armer«, sagte ich und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu umarmen. »Du siehst ganz schön mitgenommen aus.«

»Es war ein ziemlich anstrengender Tag«, entgegnete er und erwiderte meine Umarmung voller Wärme.

»Tut mir leid wegen eurer Hochzeit«, sagte ich und ließ ihn los.

Kit zuckte mit den Schultern. »Das spielt keine Rolle. Die Hochzeit findet schon irgendwann statt.«

»Ich weiß, aber trotzdem ...« Ich strich ihm mitfühlend über den Arm. »Wo ist Nell?«

»Oben, bei Ruth und Louise«, antwortete er. »Sie hat sich in einem der Gästezimmer einquartiert und wird sich rund um die Uhr um sie kümmern.«

»Habt ihr keine professionelle Krankenschwester engagiert?«, fragte ich.

»Sie wollten Nell«, sagte er.

»Wer nicht?«, entgegnete ich mit einem schiefen Lächeln.

»Und ich habe den ganzen Abend lang die Besucher sortiert«, informierte mich Kit.

»Ist mir aufgefallen«, entgegnete ich. »In Finch verbreiten sich Neuigkeiten rasant.«

»Allerdings«, stimmte er zu. »Die Tiefkühltruhe ist bereits voll mit Schmorbraten und Suppen, ganz zu schweigen von Horace Malverns Käse. Der Rest der Gaben befindet sich hier.« Er führte mich ins Esszimmer und deutete auf den langen Tisch aus Nussbaumholz. »Erbauungsliteratur von unserem Pfarrer, Chrysanthemen von George Weatherall, handgestrickte Schals von Sally Pyne, frische Eier von Mrs Sciaparelli, Honig aus den Bienenstöcken von Burt Hodge, ein Päckchen mit Miranda Morrows Kräutermedizin, sechs Flaschen mit Dick Peacocks selbstgemachtem Wein und ein paar Krimis von Grant Tavistock und Charles Bellingham.«

»Ich schlage vor, dass du Dicks Wein in die Spüle kippst«, sagte ich. »Er meint es sicher gut, aber ...«

»Für Menschen mit schwachem Herzen ist er nicht geeignet«, ergänzte Kit.