Tante Dimity und die Jagd nach dem Vampir - Nancy Atherton - E-Book

Tante Dimity und die Jagd nach dem Vampir E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

Ein Vampir treibt in Finch sein Unwesen! Das behaupten zumindest Loris fünfjährige Zwillingssöhne. Ist der bleiche Untote nur ein Produkt ihrer blühenden Fantasie oder geht wirklich ein Verbrecher in dem beschaulichen Dorf um? Lori stellt Nachforschungen an und trifft dabei auf Lizzie Black, die als Einsiedlerin auf einen abgeschiedenen Bauernhof lebt und in Finch als Hexe verschrien ist. Lizzie berichtet ihr von mysteriösen Vorkommnissen, die vor vierzig Jahren in einem nie aufgeklärten Mord gipfelten. Wird die Vergangenheit die Bewohner des Dorfes jetzt einholen? Oder kann Lori mit Tante Dimitys Hilfe das Rätsel lösen?

Ein mysteriöses Abenteuer mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Charlottes Marmeladenplätzchen.

"Eines der spannendsten Tante-Dimity-Abenteuer." - Kirkus Reviews

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Seitenzahl: 361

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Charlottes Marmeladenplätzchen

Über dieses Buch

Ein Vampir treibt in Finch sein Unwesen! Das behaupten zumindest Loris fünfjährige Zwillingssöhne. Ist der bleiche Untote nur ein Produkt ihrer blühenden Fantasie oder geht wirklich ein Verbrecher in dem beschaulichen Dorf um? Lori stellt Nachforschungen an und trifft dabei auf Lizzie Black, die als Einsiedlerin auf einen abgeschiedenen Bauernhof lebt und in Finch als Hexe verschrien ist. Lizzie berichtet ihr von mysteriösen Vorkommnissen, die vor vierzig Jahren in einem nie aufgeklärten Mord gipfelten. Wird die Vergangenheit die Bewohner des Dorfes jetzt einholen? Oder kann Lori mit Tante Dimitys Hilfe das Rätsel lösen?

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten »Tante Dimity« Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Thomas Hag

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3504-0

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity: Vampire Hunter« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2008 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2009

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Dr. Graig Thornally, Chiropraktiker, und Sarah Marron, Massagetherapeutin, ohne die ich dieses Buch niemals zu Ende gebracht hätte.

Kapitel 1

KIT SMITH WAR nicht mit Nell Harris durchgebrannt, und das war gut so, denn sonst hätte ich meine beste Freundin Emma Harris von einer Klippe stoßen müssen.

Bevor ich England verließ, um die Sommerferien in den Rocky Mountains zu verbringen, hatte ich Emma strikte Anweisungen erteilt. Sie sollte mit allen Mitteln verhindern, dass ihre Stieftochter Nell ihren Stallmeister Kit Smith heiratete. Und wenn sie dafür Nell in ein Kloster stecken und Kit ein paar Monate in die Sattelkammer hätte einsperren müssen. Emma hatte dafür zu sorgen, dass sich während meiner Abwesenheit nichts zwischen den beiden abspielte, was einer Eheschließung gleichkam. Ansonsten hätte sie bei meiner Rückkehr mit ernsten Konsequenzen zu rechnen gehabt.

Dabei hatte ich gar nichts gegen die Heirat. Im Gegenteil, ich brannte geradezu darauf. In der Tat brannte ich schon so lange darauf, dass es mich – und möglicherweise auch Emma – umgebracht hätte, wenn sie stattgefunden hätte, während ich fünfeinhalbtausend Kilometer entfernt war. Zum Glück für Emma war nichts dergleichen geschehen.

»Ich habe dir doch gesagt, sie werden nicht durchbrennen«, sagte sie gelassen.

Es war Mitte Oktober, ein trüber, verregneter Dienstagnachmittag. Mein Mann, Bill, war auf der Arbeit, unsere Söhne, Will und Rob, in der Schule, und ihre unbezahlbare Nanny, Annelise Sciaparelli, stand im Speisezimmer und summte leise vor sich hin, während sie den linken Ärmel ihres zauberhaften handgenähten Hochzeitskleids mit Perlen bestickte. Die Hochzeit sollte erst in acht Monaten stattfinden, aber Annelise war nicht der Typ, der etwas auf die lange Bank schob.

Stanley, unser schwarzer Kater, war aus dem Speisezimmer verbannt worden, weil er den gefährlichen Hang besaß, sich auf Nadeln zu stürzen, die sich bewegten. Ich wusste nicht, wohin er sich verzogen hatte, wahrscheinlich lungerte er in Bills Lieblingssessel im Wohnzimmer herum. Stanley hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass er Bills Kater war.

Emma und ich saßen bei einer Kanne Earl Grey am Küchentisch. Dazu gab es frisch gebackene Makronen und den neuesten Klatsch. Der Regen prasselte wie Gewehrfeuer gegen die Fenster, durch die man in den unter Wasser stehenden Garten schauen konnte, aber dank des warmen Ofens hatten wir es gemütlich.

Es war schon ewig her, seit Emma und ich uns zu einem schönen, altmodischen Teeklatsch zusammengesetzt hatten, denn Emmas prall gefüllter Terminkalender ließ ihr kaum Zeit, sich überhaupt mal hinzusetzen. Wenn sie nicht gerade im Anscombe Riding Center aufstrebende Reiter unterwies, kümmerte sie sich um ihren ausgedehnten Gemüsegarten oder kochte dessen Erträge ein. Außerdem entwarf sie Webseiten für anspruchsvolle Kunden und wachte über die nicht enden wollenden Renovierungs- und Restaurierungsmaßnahmen auf Anscombe Manor, dem ehrwürdigen Heim, das sie sich mit Derek, ihrem Ehemann, teilte.

Ich hatte mich unsäglich gefreut, dass sie sich durch das miese Wetter und den unwiderstehlichen Drang, ihren zahlreichen Pflichten für kurze Zeit zu entkommen, auf eine Tasse Tee und eine gute Portion Klatsch in mein Cottage hatte locken lassen. Von Annelises Hochzeit waren wir natürlich schnell zu Spekulationen über Kit und Nell gekommen. Das Thema war freilich nicht neu, wir hatten es schon x-mal aufgewärmt.

»Ich weiß, dass du gesagt hast, sie würden nicht durchbrennen«, räumte ich ein. »Aber warum denn nicht? Warum hat Kit ihr keinen Antrag gemacht? Warum hat er Nell nicht über den Sattel seines Pferdes geworfen und ist mit ihr davongeritten? Er und Nell – diese Verbindung ist im Himmel geschmiedet worden, das weiß jeder, Kit eingeschlossen. Was hält ihn also ab?«

»Er führt mal wieder das Alter an«, erwiderte Emma.

»Was hat das Alter damit zu tun?«, entgegnete ich ungeduldig. »Na gut, Kit ist etwas älter als Nell ...«

»Kit ist doppelt so alt wie Nell«, unterbrach mich Emma. »Nell ist achtzehn, Kit sechsunddreißig.«

»Na und?«, gab ich zurück. »Du weißt so gut wie ich, dass Nell schon immer zu alt für ihr Alter war. Das Wichtigste ist doch, dass sie Kit liebt und niemals jemanden außer Kit lieben wird. Als sie an der Sorbonne war, haben Prinzen um ihre Hand angehalten, aber sie hat sie abgewiesen, weil sie eben nicht Kit waren. Man sollte meinen, er hätte die Botschaft verstanden.«

»Ich meine, das geht uns nichts an«, sagte Emma ruhig.

Missmutig biss ich mir auf die Zunge und fragte mich, nicht zum ersten Mal, wie zwei so grundverschiedene Persönlichkeiten wie wir miteinander auskommen konnten. Emma war bedacht und zurückhaltend, ich intuitiv und hitzig. Ihre reservierte Haltung in Herzensangelegenheiten war mir so fremd wie ihr meine leidenschaftliche. Aber das alles schien nie eine Rolle zu spielen. Wir waren ein typisches Beispiel der Gegensätze, die sich anziehen.

»Natürlich geht es uns etwas an«, protestierte ich. »Kit ist einer unserer engsten Freunde. Wenn er Nell nicht heiratet, wird er für den Rest seines Lebens unglücklich sein, und das können wir nicht zulassen.« Ich schlug mit der Faust auf den Küchentisch, dass die Teetassen wackelten. »Es liegt bei uns, ob er die richtige Entscheidung trifft.«

»Nein, Lori, das liegt nicht bei uns«, sagte Emma ungerührt. »Das liegt bei ihm.«

Ich wollte sie gerade der emotionalen Kälte, Feigheit und schändlichen Rationalität bezichtigen – alles ganz freundlich –, als das Telefon klingelte. Ich warf Emma einen verächtlichen Blick zu und stand auf, vergaß jedoch alles um mich herum beim Klang der furchterregenden Stimme aus dem Telefonhörer.

»Ja«, murmelte ich. »Ja, ich verstehe ... Morgen Vormittag um zehn? ... Ja, wir kommen beide. Auf Wiedersehen.«

Als ich auflegte, zitterte meine Hand, aber als mein Blick auf das gerahmte Foto an der Küchenwand fiel, ließ mich mein mütterlicher Instinkt die Ruhe zurückgewinnen. Das Foto zeigte meine Söhne.

Will und Rob waren eineiige Zwillinge mit den dunkelbraunen, samtenen Augen ihres Vaters und seiner sanften Natur. Wenn sie nach ihrem Alter gefragt wurden, antworteten sie stolz: »Fünfeinhalb – fast sechs!« Dabei waren sie groß und kräftig, sodass die meisten Menschen sie für älter hielten. Für mich waren sie hingegen noch immer Kleinkinder, viel zu jung, um den Gefahren der kalten, mitleidlosen Welt außerhalb des Cottages entgegenzutreten.

Wir hätten sie nie in die Schule schicken sollen, dachte ich verbittert und betrachtete mein stirnrunzelndes Ebenbild im Glas des Fotorahmens. Wir hätten sie zu Hause unterrichten sollen.

Zuhause war ein honigfarbenes steinernes Cottage in der Nähe des kleinen Dorfes Finch in den Cotswolds, einer Gegend mit sanften Hügeln und buntscheckigen Feldern in Englands West Midlands. Auch wenn Bill und ich Amerikaner waren, so lebten wir doch lange genug in England, um uns als Ehren-Eingeborene zu fühlen. Von seinem Hightech-Büro in Finch leitete Bill die Geschicke der gediegenen Anwaltskanzlei seiner Familie, und ich spielte eine aktive Rolle in dörflichen Angelegenheiten. Wir waren beide überzeugt davon, dass es keinen besseren Ort gab, um unsere Kinder großzuziehen. Finch war klein, sicher und familiär. Ich fragte mich, wie wir auf den Gedanken hatten kommen können, die Zwillinge fortzuschicken, aber ich wusste genau, wie wir unseren Fehler wiedergutmachen konnten.

»Lori?« Emma sah mich besorgt an. »Was gibt es?«

Ich fuhr mit den Fingerspitzen über das Foto, bevor ich mich wieder an den Küchentisch setzte. »Es geht um die Zwillinge«, sagte ich düster. »Bill und ich werden sie von der Morningside nehmen müssen.«

Emma nahm die Neuigkeit ziemlich ungerührt hin. Sie trank einen Schluck Tee und fragte: »Warum werdet ihr die Jungs von der Morningside nehmen müssen?«

»Weil ich es nicht zulassen kann, dass meine Söhne eine Schule besuchen, die von dieser ... unheimlichen Frau geleitet wird.«

»Miss Archer ist nicht unheimlich«, meinte Emma.

»Oh doch«, beharrte ich. »Die bleiche Haut, das glatte rote Haar, die Art, wie sie einen über die Lesebrille hinweg anstarrt ... sie sieht aus, als würde sie jeden Morgen aus ihrem Sarg steigen und sich auf die Suche nach frischem Blut machen. Um es zu trinken! Oh ja, sie ist unheimlich!«

Emma biss ein Stückchen Makrone ab. »Verrate mir eines, Lori. Wieso habt ihr eure Söhne eigentlich bei einer Schule angemeldet, die von einer unheimlichen, Angst einflößenden Frau geleitet wird, die in einem Sarg schläft und Blut trinkt?«

»Weil wir getäuscht wurden«, entgegnete ich unbeirrt. »Wir haben uns derart von Morningsides freundlichen Lehrern und hellen Klassenzimmern beeindrucken lassen, dass wir der unheimlichen Direktorin nicht genug Beachtung geschenkt haben.« Nervös trommelte ich mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ich wette, sie stammt aus Transsylvanien.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Emma trocken. »Penelope Elizabeth Archer ist eindeutig ein alter transsylvanischer Name.«

»Vielleicht hat sie ihn geändert«, gab ich zu bedenken.

»So wie alles andere in ihrem Lebenslauf?« Emmas Nasenflügel zitterten leicht – ein Hinweis darauf, dass sie langsam die Geduld verlor. »Ich gebe einem halben Dutzend Schülern von der Morningside Reitunterricht, Lori. Ihre Eltern sprechen des Öfteren von Miss Archer. Sie ist in Warwickshire geboren, hat in Oxford studiert, und alle sind sich einig, dass sie eine erstklassige Direktorin ist – eine hochintelligente Frau, die ihr Leben den Kindern widmet.«

»Ja«, murmelte ich. »Den Kindern der Nacht.«

»Jetzt reicht es aber.« Emma verlor nun doch die Geduld. »Kannst du bitte aufhören, auf dem Tisch zu trommeln! Ich kann nicht mit dir reden, wenn du so herumzappelst.«

Ich verschränkte die Arme und starrte sie streitsüchtig an.

»Du willst deine Söhne schon seit dem ersten Tag von Morningside nehmen«, fuhr sie fort. »Zuerst war es die Grippe, mit der ihre Klassenkameraden sie anstecken würden, dann die Masern, dann Läuse und schließlich Flöhe. Letzte Woche hast du dir Sorgen darüber gemacht, dass sie aus der Schule rennen und von einem Auto überfahren werden könnten. In der Woche davor hast du fantasiert, ein Güterzug mit einer Ladung Chlor würde in Upper Deeping entgleisen und alle Kinder vergiften. Und jetzt erzählst du mir, dass die Direktorin ein blutsaugender Dämon ist! Was kommt als Nächstes? Aliens? Lepra? Überraschende Attacken durch Nashörner?«

»Ist es denn falsch, wenn sich eine Mutter Sorgen um ihre Kinder macht?«, fragte ich mitleidheischend.

»Du machst dir keine Sorgen«, entgegnete Emma, »du bist hysterisch. Du bist von deinen Todesszenarien so besessen, dass du bereits deine wohltätigen Aufgaben vernachlässigst. Seit die Jungen zur Schule gehen, bist du nicht ein einziges Mal im Krankenhaus in Oxford gewesen. Warum?«

»Zu weit weg«, antwortete ich. »Wenn irgendwas in der Schule passiert ...«

»Siehst du?«, triumphierte Emma. »Du hast jedes Maß verloren. Außerdem entgeht dir etwas sehr Wichtiges. Die Jungs blühen in der Morningside geradezu auf. Sie sind ganz vernarrt in ihre Lehrer, sie mögen ihre Mitschüler und begeistern sich für alles. Sie gehen fast genauso gern zur Schule, wie sie in den Reitstall kommen.«

»Ich weiß«, räumte ich mürrisch ein.

»Warum suchst du dann dauernd nach Gründen, sie zu Hause zu behalten?«, fragte Emma. »Ich könnte deine Ängste ja verstehen, wenn du die Zwillinge in ein Internat geschickt hättest. Aber sie besuchen nur den Nachmittagsunterricht, ein paar Stunden pro Tag, fünf Tage in der Woche. Sie wirken fröhlicher denn je. Warum kannst du dich nicht für sie freuen?«

»Will und Rob mögen mit der Schule zufrieden sein«, entgegnete ich düster. »Aber offensichtlich ist die Schule nicht zufrieden mit ihnen.«

Emma blinzelte mich verständnislos an.

»Der Anruf kam von Miss Archer«, erklärte ich. »Sie hat mich und Bill zu einem Gespräch in die Schule gebeten, morgen um zehn. Warum sollte sie uns mitten in der Woche in ihr Büro beordern, wenn alles eitel Sonnenschein wäre?«

»Um euch mitzuteilen, wie wunderbar sich eure Söhne machen?«, schlug Emma vor. »Wie beliebt sie sind? Dass sie der Schule alle Ehre machen?«

»Das hätte sie uns auch beim Elterntag sagen können.«

»Vielleicht wollte sie die Eifersucht der anderen Eltern nicht heraufbeschwören«, meinte Emma.

»Vielleicht kann sie nicht mit Will und Rob umgehen. Du weißt, wie stürmisch sie sind, Emma. Wahrscheinlich haben sie jede einzelne Schulregel verletzt, aus purer Lebenslust.« Ich beugte mich vor und knabberte nervös an einem Daumennagel. »Miss Archer will wahrscheinlich unsere Erziehungsmethoden in Frage stellen, weil wir ein Paar unbelehrbare Störenfriede herangezogen haben.«

»Deine Söhne sind weder unbelehrbar noch Störenfriede«, sagte Emma. »Rob und Will sind vielleicht etwas wild, aber sie benehmen sich ausgezeichnet. Du hast weiß Gott lange genug daran gearbeitet, ihnen gute Manieren beizubringen.«

Ich schnaubte verächtlich. »Hast du die Sache im Dorfladen vergessen? Als die Jungs dem zu Besuch weilenden Bischof die Schlagzeilen einiger Revolverblätter vorgelesen haben, und zwar laut? Ich dachte, der arme Mann würde gar nicht aufhören rot zu werden.«

»Will und Rob waren damals gerade vier Jahre alt«, erinnerte Emma mich. »Der Bischof war von ihren Lesefähigkeiten beeindruckt.«

»Ich wette, er ist noch immer rot«, murmelte ich.

»Wie auch immer«, sagte Emma und ignorierte meinen Kommentar, »ich glaube kaum, dass in der Morningside irgendwelche Boulevardblätter ausliegen.«

»Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht haben die Jungs Gebrauch von den Schimpfwörtern gemacht, die sie letzten Sommer in Colorado gelernt haben. Bill und ich haben mit ihnen darüber gesprochen, aber es kann ihnen natürlich was rausgerutscht sein.« Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. »Miss Archer glaubt wahrscheinlich, dass Bill und ich fluchen wie die Kesselflicker.«

»Was ihr nicht macht«, sagte Emma. »Ihr seid ein gutes Beispiel für eure Kinder. Sie haben die Schimpfwörter zufällig aufgeschnappt, und wenn ihnen dann und wann eines rausrutscht, ist ihre Klassenlehrerin sicherlich in der Lage, damit umzugehen, ohne gleich zur Rektorin zu laufen.« Sie schob mir die Hände aus dem Gesicht und sah mich ermutigend an. »Du wirst sehen, Lori, alles ist in Ordnung.«

»Meinst du?«, fragte ich ohne Hoffnung.

»Natürlich«, meinte Emma besänftigend. »Ich bin sicher, dass Miss Archer euch nur persönlich über die Fortschritte der Jungen informieren will. Vielleicht bittet sie euch, einem Komitee beizutreten, oder erklärt euch, dass die Schule dringend Spendengelder braucht. Sie macht einfach ihren Job, Lori, und dazu gehört es keinesfalls, hysterisch zu werden, weil ein paar Schimpfwörter gefallen sind. Genauso wenig übrigens, wie das Blut der Schüler zu trinken.«

Ich wünschte mir, Emma hätte recht. Ich wollte daran glauben, dass Miss Archer mich und Bill nur deshalb eingeladen hatte, um über irgendwelche Komitees und Spenden zu sprechen. Trotzdem wurde ich das mulmige Gefühl nicht los, das mich seit dem Telefonat beschlichen hatte. »Du hast ihren Anruf ja nicht entgegengenommen«, sagte ich schaudernd. »Du hast ihre Stimme nicht gehört. Sie klang ... beängstigend.«

»Beängstigend?« Eine Weile betrachtete Emma mich schweigend, dann lehnte sie sich zurück und nickte wissend. »Ach, jetzt verstehe ich.«

Ich sah sie voller Unbehagen an. »Was verstehst du?«

»Ich verstehe, warum du Angst vor Miss Archer hast«, sagte Emma.

»Ich habe keine Angst vor Miss Archer«, entgegnete ich.

»Doch«, widersprach Emma. »Du hast so viel Angst vor ihr, dass du die Jungen lieber aus der Schule nehmen würdest als dich mit ihr zu treffen. Und ich weiß auch, warum.« Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte Emmas Lippen. »Wegen deiner Mutter.«

»Was hat meine Mutter damit zu tun?«, fragte ich verblüfft.

»Deine Mutter war nicht nur deine Mutter«, begann sie mit einem triumphierenden Unterton. »Sie war auch Lehrerin. Und auch wenn sie nun schon seit vielen Jahren tot ist – Gott hab sie selig –, hast du noch immer Angst davor, was sie sagen würde, wenn sie erführe, dass du ins Büro der Direktorin beordert worden bist.«

Mit einem Schlag wurde ich durch die Zeit geschleudert, zurück zu dem albtraumhaften Nachmittag, an dem ich als Elfjährige wie ein Häufchen Elend auf dem harten Stuhl in Mr Shacklefords Büro saß, während meine Mutter mit ernstem Gesicht der Liste von Vorwürfen lauschte, die er gegen mich angehäuft hatte. Ich war auf dem Flur gerannt, hatte während des Unterrichts Zettelchen weitergereicht und, das Schlimmste, dem Lehrer widersprochen. Der folgende Heimweg wurde der längste, der je in der Menschheitsgeschichte zurückgelegt wurde. Meine Mutter war nicht laut geworden. Sie hatte mich nicht ausgeschimpft. Sie hatte kein einziges Wort gesprochen, bis wir unsere Wohnung betraten. Dann sagte sie leise und deutlich: »Ich möchte dich nie, nie mehr in Mr Shacklefords Büro sehen.«

Das musste sie auch nicht.

»Habe ich recht?«, fragte Emma.

Ihre Frage katapultierte mich wieder in die Gegenwart. Ich sah auf den Tisch und nickte.

»Ich bin nur ein einziges Mal im Büro des Direktors gewesen«, gestand ich schamvoll. »Es war schlimmer als ein Termin beim Zahnarzt.«

»Hatte dein Rektor rotes Haar und trug er eine Lesebrille?«, fragte Emma nach.

»Nein.« Ich sah Mr Shackleford vor mir. »Er hatte welliges schwarzes Haar und trug keine Brille.«

»Aber er hat dir Angst gemacht.«

»Er war der Rektor, mein Gott«, entfuhr es mir. »Ist das nicht beängstigend genug?«

»Vielleicht für ein Kind«, antwortete Emma streng. »Aber du bist kein Kind mehr, Lori. Du bist eine erwachsene Frau, die selbst Kinder hat. Mittlerweile solltest du deine Furcht vor Rektoren – oder Rektorinnen – überwunden haben.«

»Schätze schon«, murmelte ich und wich Emmas Blick aus.

»Wenn du nicht aufpasst, steckst du mit deiner Furcht noch die Jungen an«, sagte Emma. »An deiner Stelle würde ich Will und Rob gar nichts von dem Treffen erzählen. Wie gesagt, vielleicht hat es gar nichts mit ihnen zu tun.«

»Ich wünschte, ich könnte deinen Optimismus teilen.« Ich ließ mich in den Sessel fallen. »Aber ich habe das Gefühl, dass die Zwillinge Probleme haben.«

Wir hörten, wie die Haustür geöffnet wurde, kalte Luft strömte in den Flur und dann erklang die Stimme meines Mannes. »Lori? Ich hoffe, du hast den Kessel auf dem Herd. Ich bin völlig durchgefroren.«

»Eine Kanne kochend heißer Tee – kommt sofort!«, rief ich und sah Emma kopfschüttelnd an. »Wunder über Wunder. Er hat heute wohl früher Schluss gemacht.«

»Die Heizung im Büro ist kaputtgegangen!«, rief Bill. »Mr Barlow repariert sie, und solange arbeite ich von zu Hause aus.«

»Ich hätte es wissen müssen«, sagte ich seufzend zu Emma. »Bill macht nie früher Schluss.«

»Wo wir von Arbeit reden ...« Emma erhob sich. »Ich sollte mich auch wieder an meine machen. Danke für die Teepause, ich hab sie dringend gebraucht. Und mach dir nicht zu viele Sorgen wegen morgen. Ich bin sicher, alles wird gut.«

Ich zuckte ergeben die Schultern und machte mich daran, eine frische Kanne Tee für meinen ausgekühlten Ehemann zu brühen. Emma unterhielt sich noch eine Weile mit ihm im Flur, während sie ihre Jacke anzog und er sich seiner entledigte. Ich bekam nicht mit, wovon sie sprachen, aber bevor Emma aus der Tür ging, hörte ich sie gemeinsam lachen.

Kurz darauf schlenderte Bill in die Küche und rieb sich die Hände. Der raue Wind hatte sein anziehendes Gesicht gerötet, Regentropfen glitzerten in seinen nassen Haaren. Als er sich an den Küchentisch setzte, betrachtete er mich so liebevoll, dass ich es nicht über mich brachte, ihm die schlechte Nachricht zu übermitteln.

»Dein Tee ist in einer Minute fertig«, sagte ich. »Nimm dir schon mal eine Makrone.«

»Aber gerne.« Er bediente sich, ehe er sich mir zuwandte, mir in die Augen sah und mit dem Anflug eines Lächelns sagte: »Ich weiß wirklich nicht, warum du dir wegen des Treffens morgen solche Sorgen machst, Lori. Miss Archer wird dich bestimmt nicht nachsitzen lassen.«

Ich spürte, wie ich tief errötete. Aha, das also war der Grund für das Gelächter auf dem Flur gewesen!

»Ich bringe Emma um«, brummte ich.

»Du wirst auch nicht die Tafel putzen müssen«, prustete Bill nun heraus. »Oder hundert Mal schreiben: ›Die Rektorin schlägt ihre Zähne nicht in die Hälse der Schulkinder‹.«

Ich bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, aber im Laufe des Nachmittags und noch am Abend schmunzelte er immer wieder in sich hinein. Er hatte das bevorstehende Treffen mit der Rektorin in Gegenwart der Jungen nicht erwähnt, aber als wir ins Bett gingen, kicherte er schon wieder. Mittlerweile hätte ich ihn erwürgen können.

»Ich warne dich!« Ich setzte mich auf und drohte ihm mit der Faust. »Wenn du Miss Archer gegenüber auch nur ein Wort über Vampire sagst, bist du Hackfleisch.«

»Euer Wunsch ist mein Befehl, Gräfin.« Mit einem schauerlichen Lachen beugte sich Bill über meine Handgelenke und bedeckte meine Pulsadern mit Küssen.

Seufzend ließ ich mich auf das Kissen fallen. Wenn sich Miss Archer nicht bereits Sorgen um das häusliche Umfeld der Zwillinge machte, würde sie es spätestens tun, wenn sie Graf Bill kennenlernte.

Kapitel 2

NACHDEM BILL AM folgenden Morgen aufgestanden war, schien er seinen transsylvanischen Tonfall vergessen zu haben, aber sobald Annelise mit Will und Rob das Haus verlassen hatte, um sie zu ihren Reitstunden nach Anscombe Manor zu bringen, fing er wieder damit an. Ich verbrachte eine schaurige Stunde in der Küche, während Bill Aussprüche wie »Lass mich deinen Saft trinken« oder »Ich will meinen Schinken ... roh« zum Besten gab, bis ich schließlich nach oben flüchtete und mich anzog.

Ich befürchtete bereits, dass Graf Bill nie wieder das Feld räumen würde, aber mein Ehemann wusste, wann es genug war. Kaum waren wir in seinen Mercedes gestiegen, verwandelte er sich in den weltmännischen Rechtsanwalt, dem auf dem ganzen Weg nach Upper Deeping kein einziges bluttriefendes Bonmot entschlüpfte. Bald hatten wir die geschäftige Markstadt erreicht, in der sich die Morningside School befand.

Der Regen hatte sich über Nacht gelegt, aber über den Gehwegen von Upper Deeping hing noch immer ein kalter Nebel, und der Himmel war so grau und bleischwer wie meine Stimmung. Dass mein Mann offenbar entschlossen war, die Situation mit dem nötigen Ernst anzugehen, hätte mich ermutigen sollen, aber mich konnte nichts mehr ermutigen. Ich hatte die halbe Nacht darüber gegrübelt, auf welche Weise zwei lebhafte und intelligente Fünfjährige wohl eine Schuldirektorin erzürnen konnten. Als Bill den Wagen auf dem kleinen Parkplatz der Schule abstellte, war ich mit den Nerven fertig.

»Kopf hoch«, sagte er, als wir ausstiegen. »Du hast ja keinen Zahnarzttermin.«

»Ein Zahnarzttermin wäre mir lieber«, murmelte ich missmutig.

Wir gingen zum Hauptportal der Schule, wo Ted, der Mann vom Sicherheitsdienst, unsere Personalien überprüfte, bevor er uns Mrs Findle überließ, Miss Archers stämmiger, grauhaariger Sekretärin. Mrs Findle sprach niemals über die Angelegenheiten, die ihre Vorgesetzte mit Besuchern zu erörtern wünschte. So tauschte sie lediglich harmlose Bemerkungen über das Wetter mit Bill aus, während sie uns die Regenmäntel abnahm und uns einen langen Flur hinunter begleitete, in dem unsere Schritte hallten und an dessen Ende die einschüchternde Doppeltür uns erwartete.

Ich war zu nervös, um mich an dem Smalltalk zu beteiligen. Obwohl ich mich elegant gekleidet hatte – Kaschmir, Harris-Tweed und eine klassische Perlenkette fühlte ich mich, je näher wir der Doppeltür kamen, umso mehr wie die Elfjährige mit zerzausten Zöpfen, aufgeschlagenen Knien, schmutzigen Ellenbogen und schlechtem Gewissen. Eine Hälfte meines Hirns sagte mir, dass ich eine verantwortungsbewusste Erwachsene sei, aber die andere wünschte sich, dass ich Corky Campbell in der fünften Klasse nicht so oft mit Papierkügelchen beschossen hätte. Als Mrs Findle die Doppeltüren öffnete und uns in Miss Archers Büro bat, zitterten mir tatsächlich die Knie.

Was mich betraf, so sah Miss Archers Büro so beängstigend aus wie sie selbst. Die Zimmer der Schule waren in hellen, fröhlichen Farben gestrichen, das innere Heiligtum der Rektorin jedoch spiegelte den gediegenen Geschmack der viktorianischen Schulgründer wider. In meinen Augen betonten die düsteren Möbel und die schweren Vorhänge den ungesunden Teint der Rektorin und den unnatürlichen Glanz ihres fest geknoteten kirschroten Haars.

Nachdem sie uns förmlich begrüßt und uns zwei harte Holzstühle angeboten hatte, die mir erschreckend vertraut vorkamen, nahm Miss Archer ihren Platz hinter dem Mahagoni-Schreibtisch ein, strich über ihren grauen Wollrock und blätterte in einem Ordner, der aufgeschlagen vor ihr lag.

Währenddessen saß Bill ganz entspannt da, aufmerksam und höflich. Ich hingegen hockte steif auf der Stuhlkante und wappnete mich innerlich für den Tadel, der gleich erfolgen würde. Alte Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab.

Als Miss Archer endlich den Ordner schloss und eine Hand darauf legte, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Sie bedachte uns mit einem durchdringenden Blick über ihre Lesebrille hinweg.

»Ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie so kurzfristig zu mir bat, noch dazu an einem Arbeitstag«, begann sie, »aber es ist eine Situation eingetreten, die eine umgehende Reaktion verlangt.« Sie nahm die Brille ab, legte sie auf den Schreibtisch und faltete die Hände zusammen. »Sie kennen Louisa Lawrence, nehme ich an.«

Bill nickte. »Wir haben Mrs Lawrence und ihren Ehemann auf dem Elterntag letzten Monat kennengelernt. Ihre kleine Tochter Matilda besucht dieselbe Klasse wie unsere Söhne.«

»So ist es«, sagte Miss Archer ernst.

Ich wurde immer kleiner und fragte mich, was um alles in der Welt die Zwillinge der kleinen Matilda Lawrence angetan haben mochten.

»Gestern erhielt ich einen recht beunruhigenden Anruf von Mrs Lawrence«, fuhr Miss Archer fort. »Sie berichtete mir, dass Matilda seit dem Schulbeginn an Albträumen leide. Aber erst heute früh war es Mrs Lawrence möglich herauszufinden, was der Anlass für Matildas letzten Albtraum war.«

»Und der Anlass war ...?«, fragte Bill.

»Ihre Söhne«, antwortete Miss Archer knapp.

»Will und Rob sind schuld, dass ein kleines Mädchen Albträume hat?«, entfuhr es mir. »Wie das?«

Miss Archer schürzte die Lippen. »Lassen Sie mich eines sagen, bevor ich Ihre Frage beantworte. Niemand schätzt Kreativität mehr als ich, und in der Tat ist der Lehrplan auf der Morningside so ausgelegt, dass die kreative Seite jedes Kindes gefördert wird. Es gibt jedoch Grenzen, was das Ausleben der Fantasie anbelangt.«

»Ich verstehe«, sagte Bill und vermied es, Miss Archer zu widersprechen oder ihr zuzustimmen, bevor er die Details kannte. Mein Mann ist ein guter Anwalt.

»Mir ist auch die Tatsache bekannt, dass einige Kinder Schwierigkeiten haben, sich der Schule anzupassen«, fuhr Miss Archer fort. »Das neue Umfeld, die neuen Spielgefährten und der neue Tagesablauf können zu einem Gefühl der Desorientierung führen, das manche Kinder auf besorgniserregende Weise ausleben.«

Unruhig wrang ich die Hände und wünschte, Miss Archer würde auf den Punkt kommen. Ich wollte keinen Vortrag über Kinderpsychologie hören, ich wollte wissen, was genau meine Söhne getan hatten, um in der Riege unangepasster Störenfriede zu landen. Bill ging es offenbar genauso.

»Ich möchte Sie nicht drängen, Miss Archer«, sagte er und schlug lässig die Beine übereinander, »aber ich würde es begrüßen, wenn Sie die Frage meiner Frau beantworteten. In welcher Weise sind Will und Rob verantwortlich für Matilda Lawrences Albträume?«

»Matilda Lawrence ist nicht ihr einziges Opfer«, entgegnete Miss Archer und tippte mit dem Zeigefinger auf den Ordner. »Ich habe gestern mit der Lehrerin Ihrer Söhne gesprochen. Miss Brightman bestätigte, dass Will und Rob auch anderen Schülern Angst eingejagt haben.«

»Wie?«, beharrte ich.

»Ihre Söhne haben den Kindern eine Reihe von Geschichten aufgetischt, die man nur als grässlich bezeichnen kann.« Miss Archer verzog angewidert die Lippen. »Und haben einige von ihnen sehr beeindruckt. Als Miss Brightman sie deswegen zur Rede stellte, behaupteten Ihre Söhne, diese Geschichten seien wahr.« Miss Archer legte den Kopf schräg. »Während ich auf der einen Seite die Erfindungsgabe Ihrer Söhne bewundere, bin ich auf der anderen entsetzt darüber, dass sie Wahres offenbar nicht von Erfundenem zu unterscheiden vermögen, sowie über ihre Bereitschaft, ihre Mitschüler in Angst und Schrecken zu versetzen.«

Meine Nervosität schwand ebenso schnell, wie meine Wut erwachte. Ich hätte mir auf die Zunge gebissen, wenn Miss Archer den Jungen schlechtes Betragen vorgeworfen hätte, aber niemand – nicht einmal eine angesehene Schulrektorin, die mir eine Heidenangst einjagte – durfte sie der Lüge bezichtigen und ungestraft davonkommen. Meine Jungs sagten immer die Wahrheit.

Ich hob die Schultern und bedachte sie mit einem Blick, bei dem andere unter den Schreibtisch gekrochen wären. »Wollen Sie damit andeuten, dass meine Jungen lügen?«

»Ich deute es nicht nur an«, entgegnete Miss Archer. »Ich stelle es fest.«

Bill musste erkannt haben, dass sich Miss Archer auf dünnes Eis begeben hatte, denn er legte mir beruhigend eine Hand auf meinen Arm.

»Eine interessante Aussage, Miss Archer«, sagte er rasch. »Haben Sie Beweise dafür? Vielleicht können Sie uns ein Beispiel für die Art von Geschichten geben, die Will und Rob ihren Klassenkameraden erzählt haben.«

»Das habe ich auch vor«, sagte Miss Archer. »Dank Miss Brightman kann ich die Geschichten sehr genau wiedergeben.« Sie setzte die Brille auf und öffnete den Ordner. Nachdem sie ihre Notizen durchgesehen hatte, bedachte sie uns mit einem kritischen Blick. »In einem dieser Märchen schleppt ein sogenannter böser Mann ihre Söhne aus einem Schloss auf einer einsamen Insel und versucht sie während eines verheerenden Sturms ins Meer zu werfen.« Missbilligend schüttelte sie den Kopf. »Also wirklich ...«

»Ha!«, unterbrach ich sie mit kalter Verachtung. »Diese Geschichte haben Will und Rob keineswegs erfunden. Sie ist vollkommen wahr. Es geschah vor einem knappen Jahr, oben in Schottland, und es gab nichts ›Sogenanntes‹ an dem bösen Mann. Der Wahnsinnige hat mir aus kurzer Entfernung in die Schulter geschossen.« Ich beugte mich vor. »Möchten Sie die Narbe sehen?«

Miss Archer starrte mich über die Gläser ihrer Brille an. »Wie bitte ...?«

»Im vergangenen April hatten wir eine unangenehme Begegnung mit einem Stalker«, fügte Bill hilfreich hinzu. »Sogar in der Times wurde darüber berichtet.«

»Und Sie hielten es nicht für nötig, mich darüber zu informieren, als wir über Ihr Familienleben sprachen?« Miss Archer betrachtete uns ungläubig.

»Die Geschichte gehörte nicht zu unserem Familienleben«, verteidigte ich mich. »Es ist nicht so, als würde so etwas jeden Tag geschehen.«

»Ich hoffe nicht.« Miss Archer blinzelte wie eine Eule und wandte sich wieder ihren Notizen zu. »Ihre Söhne behaupten auch, dass ihnen ein unsichtbarer Mann das Fluchen beigebracht hat.«

»Auch wahr«, sagte ich. »Der Mann war natürlich nicht wirklich unsichtbar, aber Will und Rob konnten ihn nicht sehen. Er hatte unter ihrem Zimmer einen Tunnel gegraben. So konnten sie nur seine Stimme hören. Ein unflätiger alter Wicht.«

»Ein ... unflätiger alter Wicht hat unter dem Zimmer Ihrer Söhne einen Tunnel gegraben?«, wiederholte Miss Archer. Ihre Augen wurden immer größer.

»Eigentlich hat er einen Schacht genutzt, der schon existierte«, sagte ich in beschwingtem Ton. »Es geschah auf einem alten Bergbaugelände in Colorado, wo wir den Sommer verbrachten, er konnte also unter einer Reihe von Gängen auswählen.«

»Natürlich.« Miss Archer faltete die Hände und tippte die Daumenspitzen gegeneinander. »Und da sich die Geschichte im Schacht in Übersee ereignete, hielten Sie es sicherlich nicht für nötig, sie in unserem Gespräch zu erwähnen, da sie ja auch nichts mit dem Alltags- und Familienleben der Jungen zu tun hatte.«

»Genau«, sagte ich. »Außerdem haben Sie uns nicht nach unseren Sommerferien gefragt.«

»Seien Sie versichert, dass ich das von nun an tun werde.« Miss Archer räusperte sich und schlug eine andere Seite im Ordner auf. »Und die Geschichte über den Berg, der mitten in der Nacht explodierte. Stimmt die auch?«

»Aber ja«, erwiderte ich. »Es gibt sogar Gerichtsunterlagen, die das bestätigen, aber um sie einzusehen, müssten Sie nach Colorado reisen.«

»Was Sie nicht sagen«, entfuhr es Miss Archer. »Sie führen ja ein außerordentlich bewegtes Leben.« Ihr Blick wanderte von Bill zu mir, bevor sie fast flehentlich fragte: »Aber die Geschichte mit dem Vampir kann doch wohl unmöglich wahr sein.« Sie zögerte. »Oder?«

»V-vampir?«, stammelte ich erschrocken. »Die Jungen haben eine Geschichte über einen Vampir erzählt? Das kann nicht sein. Wir sind nie einem begegnet.«

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, das zu hören«, sagte Miss Archer und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Die meisten Experten sind sich einig, dass Vampire Geschöpfe der Vorstellungskraft sind, aber bei Ihrer, ähm, dramatischen Vorgeschichte ... kann man ja nicht wissen ...« Ihre Stimme verstummte langsam.

Grübelnd starrte ich auf einen Punkt über Miss Archers linker Schulter, bis mir ein plötzlicher Geistesblitz verriet, wer den Zwillingen die Idee mit dem Vampir in den Kopf gesetzt haben könnte. Ich warf Bill einen anklagenden Blick zu – und sah, dass auch er mich skeptisch ansah. Offensichtlich verdächtigte er mich, den Jungen Geschichten von blutsaugenden Lehrerinnen erzählt zu haben, genauso wie ich annahm, dass er seine Graf-Bill-Nummer vor ihnen abgezogen hatte. Er hob die Augenbrauen zum Zeichen, dass wir unsere gegenseitigen Verdächtigungen besser später klären sollten, und wandte sich mit dem Ausdruck unschuldigen Erstaunens an Miss Archer.

»Wir wissen leider gar nichts von dieser Vampirgeschichte«, sagte er. »Was genau haben unsere Söhne denn erzählt?«

»Sie behaupten, sie hätten einen gesehen«, antwortete Miss Archer.

»Wo?«, fragte ich. »Wann?«

Miss Archer warf einen Blick in ihre Notizen. »Sie erzählten Miss Brightman, dass sie während eines Ausritts auf ihren Ponys im Reitzentrum von Anscombe einen Vampir gesehen hätten. Sie gaben keine bestimmte Zeit oder ein Datum an.« Sie drehte die Seite um und sah uns an. »Aber Mrs Lawrence sagt, dass Matilda ihren ersten Albtraum Montagnacht hatte, also muss die Geschichte relativ neu sein.«

»Wir kümmern uns darum«, beeilte sich Bill zu sagen. »Was die anderen Geschichten betrifft ...«

»Wir werden die Jungs nicht auffordern zu lügen«, erklärte ich unbeirrt. »Sie können nichts dafür, dass sie in aufregendere Situationen geraten als andere Kinder. Glauben Sie mir, ich wünschte, es wäre nicht so.«

»Sicherlich ist es gut für sie, darüber zu reden«, fügte Bill hinzu.

Zu meiner Überraschung nickte Miss Archer.

»Ich stimme Ihnen zu«, sagte sie. »Es muss Will und Rob gestattet sein, die traumatischen Ereignisse auf ihre Weise zu verarbeiten.«

»Möchten Sie, dass wir die Jungen heute Nachmittag zu Hause behalten?«, erkundigte sich Bill.

»Keineswegs«, antwortete Miss Archer. »Ich habe nicht vor, ihren geregelten Tagesablauf zu stören. Ich werde Miss Brightman jedoch instruieren, zumindest für heute darauf zu achten, dass sie keine gruseligen Geschichten erzählen.« Sie nahm die Brille ab und sah nachdenklich vor sich hin. »Es wäre vielleicht gut, wenn Sie die wahren Geschichten – also die ohne Vampire – bald einmal mit Miss Brightman besprechen würden. Dann könnte sie die Erlebnisse Ihrer Söhne mit der ganzen Klasse aufarbeiten, damit sich die Ängste der übrigen Kinder verflüchtigen.« Sie sah Bill an. »Darf sich Miss Brightman mit Ihnen in Verbindung setzen?«

»Sie ist jederzeit willkommen«, sagte Bill. »Und richten Sie bitte Mrs Lawrence aus, dass es uns äußerst leid tut. Unsere Söhne hatten niemals die Absicht, Matilda oder irgendeinem anderen Kind Angst einzujagen, sodass es Albträume hat.«

»Das werde ich«, sagte Miss Archer. »Wenn ich ihr erst einmal die ... sagen wir ungewöhnlichen Erfahrungen Ihrer Jungen erläutert habe, wird sie es sicherlich verstehen. Ich hoffe, dass Sie wiederum meine Entschuldigung akzeptieren, weil ich Mutmaßungen angestellt habe, zu denen ich kein Recht hatte. Nach dem, was Sie mir eben erzählt haben, sind Ihre Jungen erstaunlich ausgeglichen in Anbetracht dessen, was sie erlebt haben.«

»Es sind gute Jungs«, sagte ich.

»Wir werden heute Abend ein ernstes Wort mit ihnen reden«, versprach Bill. »Und wir werden Sie und Miss Brightman über den Vampir auf dem Laufenden halten.«

»Danke«, sagte Miss Archer.

Sie drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch, und kurz darauf erschien Miss Findle mit unseren Regenmänteln über dem Arm. Wir nahmen sie entgegen, verabschiedeten uns von Miss Archer und gingen zur Tür, aber bevor wir sie erreicht hatten, richtete die Rektorin noch einmal das Wort an uns.

»Nur aus Neugierde«, sagte sie. »Was wollen Ihre Söhne einmal werden, wenn sie groß sind?«

Ich grinste. »Im Augenblick wären sie gerne Pferde.«

»Oh nein.« Miss Archer schüttelte den Kopf. »Bei so viel Material, aus dem sie auswählen können, müssten sie eigentlich Bestsellerautoren werden.«

Ein Funken von Belustigung glitzerte in Miss Archers finsteren Augen, als sie den Ordner zuklappte. Ein Schauder lief mir über den Rücken, und ich trat rasch auf den Flur.

Kapitel 3

»ICH FRAGE MICH, woher unsere Söhne von Vampiren gehört haben könnten«, überlegte ich laut auf der Heimfahrt zum Cottage.

»Sieh nicht mich an«, sagte Bill. »Ich habe in ihrer Gegenwart nicht einmal das Wort erwähnt.« Er sah mich von der Seite an. »Was ist mit dir?«

»Nicht eine Silbe«, entgegnete ich, und als er skeptisch die Lippen schürzte, beeilte ich mich hinzuzufügen: »Das wirst du mir doch nicht zutrauen, Bill. Ich habe Miss Archer niemals vor ihnen kritisiert und schon gar nicht gesagt, dass sie mich an ein blutsaugendes Monster erinnert. Bist du sicher, dass du nicht irgendwann mal deine alberne Graf-Dracula-Nummer zum Besten gegeben hast?«

»Aber nein«, antwortete Bill. »Derlei ist nur für Eure Ohren bestimmt, Prinzessin.«

»Sehr witzig«, sagte ich grimmig.

»Komm schon, Lori, du musst zugeben, dass die Sache nicht ohne Witz ist. Unsere Söhne, die furchtlosen Vampir-Jäger.« Lachend schüttelte er den Kopf. »Ich stimme Miss Archer zu. Ich bewundere ihre Erfindungsgabe.«

»Das werde ich auch, sobald sicher ist, dass sie es wirklich erfunden haben.«

»Aber natürlich haben sie es erfunden«, sagte Bill. »Ihnen sind die wahren Geschichten ausgegangen, und deshalb haben sie sich eine neue Gruselstory ausgedacht, um ihre Klassenkameraden zu beeindrucken.«

»Das hältst du von unseren Söhnen?«, fragte ich entsetzt. »Dass sie ein Paar angeberischer Lügenbolde sind?«

»Ich halte sie für absolut normale kleine Jungs, die lernen, wie man mit anderen Kindern zurechtkommt«, entgegnete Bill gelassen. »Sie machen eben auch dann und wann Fehler. Wie sollen sie sonst lernen, was richtig ist?«

»Wir sprechen mit ihnen«, sagte ich bestimmt. »Nach dem Mittagessen ist nicht genug Zeit, aber nach dem Abendessen werden wir ein ernsthaftes Gespräch mit ihnen führen. Dann hören sie auch am besten zu. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Bill.

»Ich hoffe nur, dass Miss Brightman sie heute Nachmittag daran hindern kann, ihren Klassenkameraden Angst einzujagen«, sagte ich. »Du magst das alles für einen großen Witz halten, aber ich will mir keine weiteren Matildas aufs Gewissen laden.«

»Ich auch nicht«, sagte Bill und tätschelte mir das Knie.

Ich grübelte eine Weile vor mich hin, dann stieß ich wehmütig aus: »Warum haben die Zwillinge uns nichts von dem Vampir erzählt?«

»Vielleicht wollten sie uns nicht ängstigen«, überlegte Bill. »Oder sie haben sich so an seltsame Dinge gewöhnt, dass sie der Meinung waren, ein einzelner Vampir sei es nicht wert, erwähnt zu werden.«

»Oh Bill«, stöhnte ich auf. »Unsere armen Babys. Was haben wir ihnen angetan?«

»Wir haben ihnen gar nichts angetan«, sagte Bill bestimmt. »Außer dass wir ihnen beigebracht haben, mit Ereignissen umzugehen, bei denen andere Kinder vom bloßen Hören Albträume bekommen.«

Seine Worte trösteten mich etwas, aber während wir durch die in Nebel gehüllte Landschaft fuhren, wünschte ich mir, dass Will und Rob gar nicht so stark hätten werden müssen.

Der Rest des Tages verging in typischer Hektik. Nach dem Mittagessen brachte Annelise die Jungen zur Schule, ich nahm an einer Ausschusssitzung zum Guy-Fawkes-Tag teil, und Bill jonglierte im Cottage mit Dokumenten, Telefonaten und E-Mails. Derweil mühte sich Mr Barlow, der örtliche Mann für alles, mit dem störrischen Ofen in Bills Büro in Finch ab.

Nach einer allzu langen Debatte darüber, ob das Freudenfeuer zum Guy-Fawkes-Tag dieses Mal statt an seinem traditionellen Ort auf dem Dorfplatz in der Nähe der Kirche abgebrannt werden sollte – eine völlig sinnlose Diskussion, weil in Finch immer die Traditionalisten siegten –, kehrte ich später als geplant zum Cottage zurück. Als ich eintraf, waren die Zwillinge bereits aus der Schule zurück und spielten im Wintergarten mit ihrer Eisenbahn.

Ich begrüßte Bill, der sich den Schreibtisch im Arbeitszimmer mit einem äußerst zufriedenen Stanley teilte, schob einen Braten in den Ofen, deckte den Tisch für das Abendessen und machte mich auf die Suche nach Annelise. Ich fand sie oben, im Zimmer der Jungen, wo sie die saubere Wäsche faltete und in den Schrank räumte. Während sie Socken sortierte, unterrichtete ich sie von unserem Treffen mit Miss Archer.

Annelise wusste in der Regel genau Bescheid, was das Leben der Zwillinge betraf, aber auch für sie kam die Vampirgeschichte sehr überraschend.

»Ich habe noch nie mit ihnen über Vampire gesprochen«, versicherte sie, »ebenso wenig wie über Werwölfe oder Hexen. Aber die Kindheit steckt voller Schrecken«, fügte sie ungerührt hinzu. »Unter dem Bett hockt der schwarze Mann, im Garten verstecken sich Kobolde ... irgendwann mussten die Jungs etwas über Vampire hören. Beliebtes Thema heutzutage.«

»Nicht in meinem Haus«, verkündete ich. »Ich will nicht, dass sich Will und Rob die Köpfe mit makabrem Mumpitz füllen.«

»Ich weiß nicht, ob du das verhindern kannst«, sagte Annelise. »Die Jungen sind jetzt draußen in der Welt, Lori. Sie hören alle möglichen Sachen, die sie zu Hause nicht hören würden. Uns bleibt wohl nur übrig, ihnen den Unterschied zwischen Wahrheit und Unsinn zu erklären.«

»Und genau das werden wir nach dem Abendessen tun«, sagte ich. »Und mit ›wir‹ meine ich uns alle. Ich möchte, dass auch du dabei bist. Bei diesem Thema müssen wir eine geschlossene Front bilden.«

»Du kannst auf mich zählen«, sagte Annelise.

»Das tue ich doch immer«, sagte ich und kehrte in die Küche zurück, wo ich das Gemüse zum Braten schnitt.

Nach dem Essen badete Annelise die Zwillinge und ließ sie es sich im Wohnzimmer mit Papier und Buntstiften bequem machen. Bill und ich hatten unterdessen das Geschirr weggeräumt und einen Plan für das große Gespräch ausgearbeitet. Wir beschlossen, dass ich den Ball ins Rollen bringen würde und Bill mich dann unterstützte.

Als wir das Wohnzimmer betraten, knieten Will und Rob vor dem Couchtisch und malten ihre Lieblingsmotive – Bilder von ihren grauen Ponys Thunder und Storm. Annelise saß am Kamin und las ein Buch, aber als sie uns sah, klappte sie es zu und legte es beiseite.

Bill musste erst Stanley seines Sessels verweisen, bevor er ihn wieder einnehmen konnte. Wie immer wartete der Kater, bis Bill es sich gemütlich gemacht hatte, um mit einem eleganten Satz auf seinen Schoß zu springen und sich zu einem schnurrenden schwarzen Ball zusammenzukringeln. Ich setzte mich auf das Chintz-Sofa und wandte mich an die Jungen.

»Daddy und ich waren heute Vormittag in eurer Schule«, begann ich. »Wir haben uns mit Miss Archer unterhalten. Sie hat uns erzählt, dass ihr den anderen Kindern Geschichten erzählt habt.«

»Mh-mh«, bestätigte Will und fuhr fort, Thunders Schweif zu malen.

»Daddy und ich wissen, dass fast alle eure Geschichten wahr sind«, sagte ich, »aber über eine wollen wir mit euch sprechen.«

»Okay«, meinte Rob gleichmütig.

»Habt ihr ...« Hilfesuchend sah ich zu Bill hinüber, der ermutigend den Daumen hob, und beschloss, geradewegs auf den Punkt zu kommen.