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Die junge Studentin Jamie lebt mit ihrer Familie in Portland/Oregon und führt ein normales Leben. Doch dieses ändert sich, als sie den gutaussehenden und mysteriösen Sixt kennenlernt. Die Ereignisse überschlagen sich, als seltsame Dinge geschehen, die sie sich nicht erklären kann, und Sixt ihr gesteht, dass er kein Mensch, sondern ihr Schutzengel ist. Zudem schwebt Jamie in großer Gefahr. Kann Sixt ihr Leben retten?
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Seitenzahl: 588
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Die junge Studentin Jamie lebt mit ihrer Familie in Portland / Oregon und führt ein normales Leben. Doch dieses ändert sich, als sie den gutaussehenden und mysteriösen Sixt kennenlernt. Die Ereignisse überschlagen sich, als seltsame Dinge geschehen, die sie sich nicht erklären kann, und Sixt ihr gesteht, dass er kein Mensch, sondern ihr Schutzengel ist. Zudem schwebt Jamie in großer Gefahr. Kann Sixt ihr Leben retten?
Ally Trust ist in Deutschland geboren und lebt dort in einem kleinen ruhigen Ort. Schon in der Kindheit hat sie sich Geschichten ausgedacht und begann in ihrer Jugend mit dem Schreiben. Seitdem schreibt sie leidenschaftlich gerne. 2011 veröffentlichte sie ihr erstes Buch. Vor ihren Büchern hat sie schon einige Kurzgeschichten geschrieben und veröffentlicht.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Der Wecker klingelte. Es war Montagmorgen sieben Uhr. Ich stöhnte auf, als ich mich zu meinem Nachttisch reckte, um den Wecker auszustellen. Das Wochenende war so schnell vergangen. Es war wie immer. Die Woche zog sich und am Wochenende, wenn man Zeit hatte, rasten die Stunden nur so dahin. Ich zwang mich zum Aufstehen und ging erst einmal ins Badezimmer um mich zu waschen. Der Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich meine schulterlangen braunen Haare zuerst entwirren musste. Ich hatte nicht allzu viel Zeit. Um halb neun begann meine Vorlesung an der Uni. Ich studierte an der Portland State University, im US-Bundesstaat Oregon, Wirtschaftswissenschaften. Da meine Familie und ich in Portland lebten, war ich nicht auf ein Zimmer im Studentenwohnheim angewiesen. Es war sowieso sehr schwer gewesen, ein Zimmer zu bekommen. Die Wartelisten waren voll. Allerdings wollte ich auch nicht mehr bei meinen Eltern wohnen. Es war doch schließlich so, ging man auf ein College oder auf eine Universität, so wollte man auch selbstständig sein und von Zuhause ausziehen. Meine Eltern boten mir das Gästehaus, was auf unserem großen Grundstück stand, an. Da es nie benutzt wurde, nahm ich es. So sparte ich mir die Miete für eine Wohnung. Meine Eltern bezahlten zwar die Studiengebühren, aber das Geld, welches ich zum Leben brauchte, verdiente ich mir selbst, indem ich drei Mal die Woche in einer Boutique arbeitete. Das Gästehaus bestand aus zwei Etagen. Im Erdgeschoss befand sich ein kleiner Flur, von wo es aus ins Wohnzimmer, in die Küche und durch eine Treppe in die obere Etage ging. Oben befanden sich das Schlafzimmer und das Badezimmer. Das Haus war nicht sehr groß, aber es reichte mir vollkommen. Hier wohnte ich schon seit einem Jahr und hatte es mir nach meinen Wünschen eingerichtet.
Nachdem ich mich im Bad fertiggemacht hatte, ging ich ins Schlafzimmer und suchte mir aus dem Kleiderschrank etwas zum Anziehen heraus. Ich zog mir eine kurzärmlige weinrote Bluse und eine dunkelgraue Jeans an. Anschließend band ich meine Haare zu einem Zopf zusammen. Als ich damit fertig war, ging ich die Treppe hinunter in die Küche, wo ich mir einen Müsliriegel und eine Flasche Wasser holte. Ich ging in den Flur, wo meine Tasche stand und verstaute in ihr die Wasserflasche. Den Müsliriegel aß ich währenddessen. Das war mein Frühstück. Ich brauchte morgens nicht viel zum Essen. Ab und zu ließ ich auch das Frühstück ausfallen und aß das Erste am Tag erst am Mittag. Ich nahm meine Tasche und verließ das Haus. Es war ein sehr schöner Augustmorgen. Die Sonne schien, es war sehr warm und es befand sich keine einzige Wolke am Himmel. Wir wohnten am Rande der Stadt. Unser Grundstück war zudem das Letzte in der Straße und an diesem grenzte an der Seite ein Feld. Ich ging den Kiesweg entlang, an dem Haus meiner Eltern vorbei zu meinem Wagen, den ich vor der großen Doppelgarage geparkt hatte, welche an das Feld grenzte. Ich öffnete gerade meine Autotür, als mein Vater aus der Haustür kam und zu seinem Wagen ging, der neben meinem stand. Er trug wie jeden Tag, wenn er zur Arbeit fuhr, einen Anzug. Mein Vater war ein Meter neunzig groß und trug seine blonden kurzen Haare oftmals zurückgegelt, wie es auch an diesem Tag der Fall war. Von seiner Figur her war er nicht ganz so sportlich und hatte einen kleinen Bauchansatz.
„Guten Morgen, Jamie. Fährst du zur Uni“, fragte er.
„Morgen Dad. Ja, ich habe heute eine Vorlesung in Finanzwirtschaft, wo wir nächste Woche Mittwoch eine Klausur schreiben und noch zwei weitere Kurse.“
„Das Semester hat doch vor zwei Wochen erst angefangen und da schreibt ihr schon eine Klausur?“ Erstaunt schaute er mich an. „Ja. Die Professoren legen gleich richtig los. Nach der Uni gehe ich noch arbeiten. Aber zum Essen heute Abend bin ich da“, erwiderte ich.
„Na da hast du aber viel vor. Ach, bevor ich es vergesse. Denk daran, dass dein Wagen diesen Monat zur Inspektion muss und das du schon einmal einen Termin in der Werkstatt ausmachst. Du weißt ja, wie voll die Werkstatt immer ist“, erinnerte er mich. Ja, das wusste ich. Es war die beste Werkstatt in Portland, und wenn es nicht gerade ein Notfall war, konnte man schon mal Wochen warten, bis man einen Termin bekam. Ich nahm mir vor, mittags dort anzurufen und einen Termin zu vereinbaren.
„So jetzt muss ich aber los. Sonst komme ich zu spät zur Arbeit“, sagte mein Vater und stieg in seinen Wagen, einen silbernen Mercedes-Kombi, ein.
„Ja, ich muss auch los. Bis heute Abend dann“, erwiderte ich und stieg in meinen Wagen. Ich startete den Motor, fuhr auf die Straße und machte mich auf dem Weg zur Universität. Ich hatte wirklich Glück mit meinen Eltern. Sie ließen mich in Ruhe und mich mein Leben leben. Klar, sie waren immer für mich da, wenn ich Hilfe brauchte oder auch einfach nur so, wie Eltern halt für ihre Kinder da sein sollten. Aber sie akzeptierten meine Privatsphäre und kamen nicht ständig in mein Häuschen, um zu schauen, ob alles in Ordnung war oder mit anderen Ausreden, nur weil sie neugierig waren, was bei mir so los oder wer gerade zu Besuch war. Mein Vater Andrew Miller war fünfundvierzig Jahre alt und arbeitete bei einer Bank als stellvertretender Geschäftsführer. Durch seinen Job war er oft bis spät abends an der Arbeit. Früher hatte er es an den Wochenenden immer versucht, wieder gut zu machen, weil er so wenig Zeit für mich und meine inzwischen siebzehnjährige Schwester Leslie hatte, indem wir Ausflüge machten. In den letzten Jahren wurde es dann weniger. Die Interessen änderten sich, und wie es halt bei Teenagern so war, unternahm man am Wochenende lieber etwas mit gleichaltrigen, als mit den Eltern. Meine Eltern hatten sich ein Hobby zugelegt, wo sie meistens am Wochenende unterwegs waren. Sie hatten mit Freunden eine Bowlingmannschaft gegründet und waren mittlerweile so gut, dass sie an Turnieren teilnahmen. Diese waren an Wochenenden. Aber an einem Tag im Monat versuchten wir etwas zusammen zu unternehmen, sowie wir auch versuchten abends zusammen zu essen. Meine Mutter Nelli war zweiundvierzig Jahre alt und arbeitete vormittags in einem Versicherungsbüro. Sie war ein herzensguter Mensch und mit ihr konnte ich über alles reden. Eine Eigenschaft von Mom war es, sie merkte sofort, wenn ich ein Problem hatte. Allerdings fragte sie nicht mehrmals nach, wenn ich darüber nicht reden wollte. Ich wusste, dass ich immer zu ihr kommen konnte, wenn ich etwas auf dem Herzen hatte.
Der Weg zur Uni war nicht soweit, trotzdem dauerte es länger, weil ich durch die Stadt musste und in den Berufsverkehr geriet. Ich fuhr auf den Parkplatz vom Campus, suchte mir einen freien Parkplatz, nahm meine Tasche und stieg aus dem Auto aus. Als ich die Tür zuschloss, sah ich, dass ich meinen Wagen mal wieder waschen sollte. Ich fuhr einen weißen VW-Scirocco, den meine Eltern mir vor zwei Jahren zum Highschoolabschluss geschenkt hatten. Das Weiß leuchtete nicht mehr. Es hatte sich ein grauer Schleier von Schmutz darauf gebildet. Ich nahm mir vor, sobald ich Zeit hatte, in die Waschstraße zu fahren. Ich ging zum Nebengebäude, indem sich der Vorlesungssaal befand, wo heute die Vorlesung für Finanzwirtschaft stattfand. Die Front des Gebäudes bestand zum größten Teil aus Glas. Die Seitenwände waren aus Backstein. Die Universität war von dem Aussehen der Gebäude modern gehalten. Das Gelände war sehr groß, und wenn es keine Lagepläne gegeben hätte, die in Abständen an den Wegen standen, hätte man sich verlaufen können. Ich war fast beim Gebäude angekommen, als ich über einen Stein, der auf dem Weg lag, stolperte. Dabei fielen meine Kursbücher, die ich unter meinem Arm trug, auf den Boden.
„So ein Mist“, dachte ich und ging in die Hocke um die Bücher wieder aufzuheben, als mir jemand zuvorkam. Ich schaute auf und sah direkt in zwei eisblaue freundlich schauende Augen.
„Kann ich dir helfen“, fragte ein gutaussehender Junge und hatte die Bücher schon zu einem Stapel gepackt.
„Danke, das ist sehr nett“, erwiderte ich und konnte meinen Blick nicht von seinen Augen wenden. Sie hatten etwas Magisches, Anziehendes. Es war einfach nicht zu erklären. Wir standen auf und er reichte mir die Bücher. Er war einen Kopf größer als ich. Ich schätzte ihn auf ein Meter fünfundachtzig. Er war schlank, sportlich gebaut und hatte ein sehr schönes Gesicht. Seine dunkelbraunen Haare waren kurz geschnitten und mit Gel etwas verwuschelt. Sein Geruch nebelte mich ein. Er roch richtig gut. Es hatte etwas Süßliches, aber auch etwas Männliches.
„Ich heiße übrigens Sixt“, sagte er und lächelte mich an. „Jamie.“ Mehr bekam ich nicht heraus. Zum Glück hatte ich nicht gestottert. Das wäre mir unglaublich peinlich gewesen. Er sah so atemberaubend schön aus, dass mir die Worte im Halse stecken blieben. Bei seinem himmlischen Lächeln schmolz ich dahin.
„Kannst du mir vielleicht sagen, wie ich zum Sekretariat komme“, fragte er und lächelte immer noch.
„Ähm, ja. Einfach da vorne in das Hauptgebäude und dann gleich rechts die zweite Tür. Dann bist du schon da“, erklärte ich ihm und deutete mit der Hand auf das Gebäude, in das er gehen musste.
„Danke. Das werde ich schon finden“, sagte er und machte sich auf den Weg. „Also dann, wir sehen uns“, rief er mir noch zu.
„Ja“, flüsterte ich und stand wie verdattert da. Noch immer konnte ich den Blick nicht von ihm wenden und schaute ihm hinterher.
Auch er drehte sich noch einmal zu mir um und lächelte mir zu, bevor er im Gebäude verschwand. Ich schüttelte kurz den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden und ging ins Gebäude zum Vorlesungssaal.
„Wer war das denn“, hörte ich eine Stimme hinter mir fragen. Ich drehte mich um und sah, dass es Monica war. Monica kannte ich schon von der Highschool. Sie war im selben Jahrgang wie ich gewesen und war auch dort schon wie jetzt sehr neugierig. Sie studierte ebenfalls Wirtschaftswissenschaften, wobei ihre Noten nicht besonders gut waren.
„Das war nur jemand, der das Sekretariat gesucht hat.“ Das reichte. Mehr brauchte sie nicht zu wissen. Ich ging in den Saal und setzte mich auf den erstbesten Platz in der letzten Reihe. Monica folgte mir und nahm neben mir platz. Anscheinend reichte ihr meine Antwort nicht und sie wollte mehr hören.
„Ihr standet aber lange zusammen.“
„Nun ja, er hat mir geholfen meine Bücher aufzusammeln, die mir heruntergefallen sind und dann habe ich ihm den Weg erklärt.“
Wieso musste sie immer so neugierig sein?
„Er hat dir aber noch zugerufen, dass ihr euch seht. Habt ihr euch verabredet“, fragte sie und ihr Blick wurde noch neugieriger.
„Nein haben wir nicht. Er meinte damit, dass wir uns bestimmt auf dem Campus irgendwann noch einmal sehen.“ Das Wort irgendwann betonte ich absichtlich, damit sie daraus nicht doch noch etwas schließen konnte. Es war ja auch nichts. Ob ich ihn überhaupt noch einmal sehen würde, bei der Größe der Uni, war fraglich. Schade eigentlich. Ich wollte ihn sehr gerne wiedersehen. Seine Augen gingen mir nicht aus dem Kopf. Immer wieder hatte ich das Bild von seinem Gesicht vor mir. Es war so schön und hatte etwas Göttliches, Himmlisches. Monica gab sich endlich mit der Aussage zufrieden und die Vorlesung begann. Mr. Parker, der Dozent, der diese Vorlesung hielt, redete von Investition und Kapital, was das Thema der Klausur sein würde und zeigte dabei verschiedene Diagramme auf dem Projektor. Viel bekam ich nicht mit. Immer wieder sah ich Sixt, wie er vor mir gestanden und mich angelächelt hatte. Dabei hatte ich allerdings ein komisches Gefühl, als ob ich beobachtet werden würde. Ich drehte mich um, aber da war niemand. Auch von vorne oder der Seite schaute niemand zu mir. Ich konnte zumindest niemanden entdecken, der mich beobachtete.
„Was ist“, flüsterte Monica und schaute mich an.
„Nichts“, erwiderte ich und sah wieder nach vorne zu Mr. Parker.
Aber das Gefühl wurde ich nicht los.
Die Vorlesung war nach zwei Stunden vorbei und ich ging in die Mensa, um etwas zu essen. Ich hatte eine Stunde Zeit, bevor ich zu den zwei weiteren Kursen musste und diese nutzte ich für das vorgezogene Mittagessen. Danach kam ich nicht dazu.
Zwischen den beiden nächsten Kursen hatte ich nur zehn Minuten, um von einem zum anderen Kursraum zu kommen. Nach der Uni würde ich direkt zur Boutique fahren und dort bis 18 Uhr arbeiten. Monica folgte mir auf dem Fuße. Wir holten uns jeder ein Tablett, nahmen uns etwas zu essen und gingen zur Kasse, um zu bezahlen. Ich hatte mir einen gemischten Salat und dazu noch ein Ciabatta-Brötchen genommen. Zusätzlich hatte ich mir noch ein Sandwich gekauft. Dieses würde ich vor der Arbeit essen. Anschließend gingen wir zu dem Tisch, wo schon einige unserer alten Schulkameraden saßen. Wir trafen uns eigentlich jeden Tag in der Mensa, wenn unsere Kurse es zuließen. An dem Tisch saßen noch Josh, Claire, Bill, Dave und Emma. Ich stellte mein Tablett ab und setzte mich neben Claire. Ich ließ meinen Blick durch die Mensa schweifen, um zu schauen, was so los war und da sah ich ihn. Sixt saß mit vier weiteren Personen an einem Tisch in der hintersten Ecke des Raumes. Bei den vier Personen handelte es sich um zwei Mädchen, die eine hatte auberginefarbenes langes Haar, was sie offen über ihre schmalen Schultern fallen ließ. Sie trug ein schwarzes Kleid, wobei ihre langen makellosen Beine zur Geltung kamen. Ich kannte sie vom Sehen her, da wir einige Kurse zusammen hatten. Das andere Mädchen hatte dunkelbraune kinnlange Haare. Sie war ebenfalls schlank und trug ein rotes Top und einen blauen Jeansrock. Dann gab es noch zwei Jungs. Der eine war groß und muskulös. Er hatte blonde längere Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Der Andere war ebenfalls groß, hatte einen durchtrainierten Körper und schwarze, kurze Haare. Beide trugen T-Shirts und Jeans. Sie saßen sich alle zugewandt und unterhielten sich. Ich hörte, wie Claire meinen Namen rief und schaute von dem Tisch weg zu ihr.
„Hallo bist du noch da? Ich habe dich jetzt schon dreimal gerufen“, sagte sie.
„Oh entschuldige. Was ist denn?“
„Ich wollte mal wissen, ob ihr in der Boutique auch diese Leggings habt, die im Moment in sind?“
„Ja die haben wir. In verschiedenen Farben und Mustern.“ Claire war einen halben Kopf größer als ich und hatte kurz geschnittene blonde Haare. Sie ging mehrmals die Woche ins Fitnessstudio und achtete sehr auf ihre schlanke Figur. Viele Leute, die sie sahen, hielten sie für eingebildet. Aber das war sie gar nicht. Sie war nett und man konnte sich mit ihr auch mal über andere Themen, außer Klamotten und Kosmetik unterhalten. Also anders als mit Monica. Für sie zählte in erster Linie ihr Aussehen und sie selbst. Wenn sie nicht glücklich war, durfte es auch niemand anders sein. Sie gönnte anderen Menschen einfach nichts. So war sie schon immer gewesen und ich hatte schon einige Male ihren Neid zu spüren bekommen.
„Gut, dann komme ich heute Nachmittag mal vorbei. So eine muss ich unbedingt haben“, sagte sie und wandte sich wieder den Anderen zu. Ich piekste eine Cocktailtomate, von meinem Salatteller auf die Gabel, schob sie mir in den Mund und schaute noch einmal zu dem Tisch herüber, als Sixt genau in meine Richtung schaute. Unsere Blicke trafen sich und er lächelte mich an. Ich lächelte, nachdem ich die Tomate gekaut und heruntergeschluckt hatte, zurück und wandte meinen Blick schnell ab. Ich versuchte mich auf das Gespräch an meinem Tisch zu konzentrieren und bekam mit, dass sie einen Ausflug zu einem Freizeitpark planten. Alle wurden gefragt, ob sie mitkämen. Nur ich nicht. Ich wollte mich aber auch nicht aufdrängen. So war ich nicht. Wenn ich nicht gefragt wurde, würde ich auch nicht mitfahren. Ich wurde von dem Gespräch ausgeschlossen. Niemand beachtete mich. Aber es war mir egal. Ich hatte nicht wirklich Freunde. Ich sah sie mehr als Kollegen und Bekannte an.
Ich hatte einige schlechte Erfahrungen mit Freunden gemacht, die mich ausgenutzt, belogen und betrogen hatten. Meine frühere „beste Freundin“, wie sie sich genannt hatte, namens Maggie, wollte von einem auf den anderen Tag nichts mehr mit mir zu tun haben und ich wusste nicht warum. Ich hatte ihr nichts getan. Wir gingen auf verschiedene Highschools. Deshalb sah ich sie nie in der Schule. Wenn ich anrief und ihre Eltern mir sagten, dass sie nicht da wäre, rief sie nicht zurück. Ich wusste nicht, ob ihre Eltern ihr ausgerichtet hatten, dass ich angerufen hatte. Aber ich nahm es einfach an. Wieso sollten sie es nicht tun? Ich vermutete, dass sie sich von ihren Eltern verleugnen ließ und in Wirklichkeit zu Hause war, als ich anrief. Wenn ich sie auf der Straße oder in einem Geschäft traf, tat sie entweder so, als ob sie mich nicht sah, und haute regelrecht vor mir ab oder wenn sie nicht mehr verschwinden konnte, wimmelte sie mich ab und sagte immer nur, dass sie keine Zeit hätte. Ich hatte sie gefragt, was ich ihr getan hätte, aber ich bekam darauf nie eine richtige Antwort. Nach einigen Malen hatte ich es dann auch aufgegeben. Ich wollte ihr nicht hinterherlaufen.
Es tat weh, eine Freundin zu verlieren, denn wir kannten uns schon seit dem Kindergarten an, hatten uns immer gut verstanden und viel zusammen erlebt. Ein anderes Mädchen, von dem ich dachte, sie wäre eine Freundin, hatte mir meinen damaligen Freund Matt ausgespannt. Das war jetzt ein halbes Jahr her. Als herauskam, dass er mich mit ihr betrog, hatte ich die Beziehung sofort beendet. Ich wusste, dass er immer noch Gefühle für mich hatte. Aber es war zu viel passiert und für mich war klar, dass ich ihn niemals zurückhaben wollte. Wir waren zwei Jahre zusammen gewesen. Die erste Zeit war es auch schön. Er war liebe- und verständnisvoll.
Aber dann veränderte er sich. Er fing an, über mein Leben bestimmen zu wollen. Ständig forderte er von mir, mich zwischen ihm und meiner Familie zu entscheiden. Wenn ich mal etwas vorgehabt hatte, der Geburtstag von einem aus meiner Familie zum Beispiel, wo ich hingehen wollte, war er sauer gewesen, obwohl er ebenfalls eingeladen war. Er wollte nie hingehen und ich sollte es dann auch nicht. Genauso war er einmal sauer gewesen, weil ich nicht mit ihm in den Urlaub gefahren war. Es war mitten im Semester und ich konnte nicht zwei Wochen bei den Vorlesungen fehlen. Matt studierte nicht. Er ging arbeiten und konnte sich einfach Urlaub nehmen. Bei mir ging das nicht. Ich musste bis zu den Semesterferien warten. Ich konnte zwar mal ein oder zwei Tage in der Uni fehlen, aber zwei Wochen waren dann doch sehr viel und ich hätte einiges in den Vorlesungen verpasst. Das wollte Matt aber einfach nicht verstehen. Er kontrollierte mich regelrecht. Immer wieder wollte er wissen, wo ich war, was ich tat oder mit wem ich mich traf. Er rief ständig an oder schrieb SMS. Antwortete ich ihm nicht sofort, war er sauer und unterstellte mir, dass ich keine Zeit für ihn hätte und andere Leute wichtiger wären, als er. Sogar wenn ich in der Uni war, ließ er mich nicht in Ruhe. Er engte mich zu sehr ein und so etwas mochte ich nicht. Ich brauchte etwas Freiheit und wollte weder etwas vorgeschrieben bekommen, was ich zu tun hatte, noch wollte ich kontrolliert werden. Vertrauen war für mich in einer Beziehung sehr wichtig. Doch Matt vertraute mir nicht, obwohl ich ihm keinen Grund gegeben hatte, es nicht zu tun. Denn ein weiterer wichtiger Punkt in einer Beziehung war für mich die Treue. Und ich war ihm immer treu gewesen. Er dagegen belog mich mehrmals und ich nahm an, dass er sich mit anderen Frauen traf. Er klaute mir sogar Geld von meinem Bankkonto. Er hatte sich meine Bankkarte aus meinem Portemonnaie genommen und hatte am Geldautomaten Geld abgehoben. Woher er die Pin-Nummer hatte, wusste ich nicht. Vielleicht hatte er sie ausspioniert, als ich am Geldautomaten gewesen war. Er war öfter dabei gewesen. Aber eigentlich hatte er immer Abstand gehalten, während ich Geld abgehoben hatte. Er hätte eigentlich die Eingabe der Pin-Nummer nicht sehen können, weil ich immer darauf geachtet hatte, dass niemand sehen konnte, was ich eingab. Wenn ich ihn nicht dabei erwischt hätte, wie er die Bankkarte wieder zurück in mein Portemonnaie gesteckt hatte, hätte er es wahrscheinlich wieder getan. Seitdem hatte ich sehr auf die Karte aufgepasst. Zu seiner Entschuldigung meinte er nur, dass er das Geld dringend für seinen Wagen gebraucht hatte. Aber richtig entschuldigt hatte er sich nicht und das Geld hatte ich auch nicht zurückbekommen. Und dann kam Terina. Lange blonde Haare, große Oberweite und eine schlanke Figur. Wir lernten sie auf einer Party kennen. Terina und ich verstanden uns gut und konnten uns prima unterhalten. Wir freundeten uns an und unternahmen einiges zusammen. Dabei merkte ich erst gar nicht, wie sie sich an Matt heranmachte. Sie war eigentlich bekannt dafür, dass sie nur mit den Jungs ins Bett wollte. Das hatte ich hinterher von anderen Leuten gehört. Da war es aber schon zu spät gewesen. Matt fiel auf sie herein. Ich wusste nicht, ob sie noch zusammen waren. Es interessierte mich auch nicht. Ich hatte mit der Beziehung abgeschlossen und wollte mit ihm auch nichts mehr zu tun haben, genauso wenig wie mit ihr. Ab und zu bekam ich von ihm eine E-Mail, wo drinstand, wie sehr ich ihm fehlen würde und das er mich zurück wollte. Aber die löschte ich sofort, ohne zu antworten. SMS schickte er mir ebenfalls gelegentlich, genauso wie er mich ab und an anrief. Ich reagierte weder auf die SMS noch auf die Anrufe und wechselte meine Handynummer. Es war noch nicht einmal wegen ihm. Mein Vertrag lief aus und ich wechselte zu einem günstigeren Anbieter. Nach all diesen Erkenntnissen, dass ich ausgenutzt, belogen und betrogen worden war, hatte ich mir geschworen, mich nie wieder zu schnell auf jemanden einzulassen und zu vertrauen, damit ich nicht wieder enttäuscht wurde.
Ich schaute noch einmal zu dem Tisch herüber, aber da saß niemand mehr. Verwundert schaute ich mich in der Mensa um. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie gegangen waren. Ich stand auf, brachte mein Tablett zur Rückgabestation und ging zu meinem nächsten Kurs.
Nachdem meine Kurse vorbei waren, rief ich schnell in der Werkstatt an. Ich hatte Glück. Für die nächste Woche Donnerstag war noch ein Termin frei. Ich stieg in meinen Wagen, aß mein Sandwich, welches ich mir in der Mensa gekauft hatte, und fuhr anschließend zur Arbeit. Mein Auto parkte ich auf der anderen Straßenseite in einer freien Parklücke und ging in die Boutique. Elisabeth Evans war unsere Nachbarin und ihr gehörte der Laden. Sie war eine sehr nette Frau Anfang fünfzig, und als sie vor zwei Jahren von meiner Mutter gehört hatte, dass ich einen Job suchte, überlegte sie nicht lange und bot mir die Stelle an. Sie kannte mich schon, seit ich ein Baby war. Ihr Sohn John ging mit mir in den gleichen Jahrgang der Highschool und studierte nun in Kalifornien. Allerdings hatten wir nie großartig Kontakt gehabt. Mal ein Hallo aber mehr gab es nicht.
„Hallo Jamie“, sagte Mrs. Evans lächelnd, als ich den Laden betrat.
„Hallo.“
„Kannst du bitte die neue Ware auspacken, die im Lagerraum steht und in die Regale räumen“, fragte sie und zeigte auf die hintere Wand des Ladens.
„Kein Problem. Ich bringe nur schnell meine Tasche weg“, erwiderte ich und ging durch den Laden zum Aufenthaltsraum.
Dort saßen zwei weitere Angestellte, Megan und Katie, die gerade Mittagspause machten. Sie unterhielten sich über etwas, doch als ich hereinkam, hörten sie auf zu reden. Es kam mir vor, als hätten sie über mich gesprochen. Es konnte aber auch sein, dass ich es mir nur einbildete. Ich wusste, dass Megan mich nicht mochte. Aber auch nur weil Mrs. Evans zu mir immer so freundlich war und sie Megan ab und zu mal anmeckerte. Wobei und das wollte Megan nicht verstehen, war es so, dass sie oft nur dasaß und nichts im Laden tat oder mit einer unfreundlichen Miene im Laden stand und die Kunden, wenn sie sich mal nicht entscheiden konnten, angiftete.
Es kam mir so vor, als ob sie überhaupt keine Lust hatte zu arbeiten. Deshalb war es auch verständlich, dass sie dann Ärger bekam. Wenn ich einen Laden hätte, würde ich auch nicht dulden, dass meine Angestellten nicht arbeiteten oder mir die Kunden vergraulten. Schließlich würde ich dann mit dem Laden meinen Lebensunterhalt verdienen. Aus Megans Sicht wurde ich von Mrs. Evans bevorzugt. Das stimmte aber nicht. Mrs. Evans behandelte alle gleich. Sie machte keine Unterschiede. Wenn ich einen Fehler gemacht hatte, bekam ich dafür genauso Ärger wie die Anderen auch. Bei Katie war es anders. Mit ihr verstand ich mich recht gut, wobei sie in letzter Zeit immer weniger mit mir redete. Es kam wahrscheinlich daher, dass Megan versuchte sie auf ihre Seite zu ziehen. Mir kam es vor wie im Kindergarten. „Du darfst nicht mit ihr reden. Du bist jetzt meine Freundin.“ Wenn Megan nicht da war, kam Katie zu mir und tat, als ob nichts gewesen wäre. Ich redete dann zwar mit ihr aber mehr über allgemeine Themen, nichts Persönliches oder schon gar nicht über Megan. Sie würde es ihr sofort erzählen.
„Hallo“, grüßte ich und ging zu meinem Schrank um meine Tasche hineinzustellen.
„Hallo“, hörte ich beide sagen. Es war eher ein Gemurmel. Ich nahm mein Namensschild, klippte es an die kleine Brusttasche, die sich an meiner Bluse befand, und machte mich auf dem Weg zum Lagerraum. Der Karton mit der neuen Ware stand neben der Tür und ich packte ihn aus. Es handelte sich um mit Blumen bedruckte T-Shirts in verschiedenen Farben. Ich sortierte sie gerade im Laden ins Regal ein, als Claire hereinkam.
„Hi Jamie“, sagte sie und kam auf mich zu.
„Hallo Claire. Die Leggings, ich weiß schon. Komm mit, ich zeige sie dir.“ Ich führte sie zu einem Ständer, an dem die Leggings auf Bügeln hingen.
„Oh, ihr habt aber eine große Auswahl. Welche steht mir besser“, fragte sie und nahm eine Leggings vom Ständer um sie sich anzuhalten. Sie probierte mehrere aus, bis sie sich für zwei Leggings in verschiedenen Farben entschieden hatte. Nach den Leggings schaute sie sich noch weiter im Laden um. Als Angestellte des Ladens musste ich ihr zur Seite stehen und sie beraten. Sie schaute sich als Nächstes die Shirtkleider, die jetzt in Mode waren, an.
„Das Rote würde dir gutstehen“, sagte ich und hielt es ihr an.
„Das finde ich auch sehr schön. Es würde gut zu der dunkelblauen Leggings passen. Ich probiere es mal an“, erwiderte sie und wir gingen zur Anprobe. Claire ging in die Kabine und ich wartete davor, bis sie fertig war. Sie trat heraus und schaute sich im Spiegel an.
„Ich finde, das Shirtkleid steht dir und die Farbe sieht gut aus.“
„Danke. Ich nehme es“, sagte sie, ohne lange zu überlegen, ging wieder in die Kabine und zog sich um. Anschließend schaute sie noch nach einer Hose.
Nach einer Stunde war sie fertig und ging zur Kasse, um zu bezahlen. Ich tippte den Preis in die Kasse ein, nahm den Hundertdollarschein, den mir Claire reichte, und gab ihr das Wechselgeld zurück.
„Danke für die Beratung“, sagte sie. „Wir sehen uns dann morgen in der Uni.“
„Ja bis dann“, erwiderte ich und reichte ihr die Einkaufstüte. Als sie zur Tür heraus war, wendete ich mich wieder der neuen Ware zu, um sie weiter ins Regal zu räumen. Weder Megan, noch Katie hatten in der Zeit, wo ich mit Claire zu tun hatte, weiter eingeräumt.
Stattdessen standen sie nur im Laden herum und unterhielten sich.
Ich glaubte fest daran, dass Mrs. Evans sich das nicht mehr lange ansehen und sie bald kündigen würde.
Um 18 Uhr hatte ich Feierabend. Ich nahm meine Tasche, legte das Namensschild in den Schrank und ging an die Kasse, wo Mrs. Evans stand.
„Kann ich Ihnen noch etwas helfen“, fragte ich.
„Nein. Es ist alles schon erledigt. Geh ruhig nach Hause. Ich mache nur noch die Abrechnung und dann werde ich auch Feierabend machen“, erwiderte sie.
„Gut dann bis Mittwoch“, sagte ich und ging zur Tür.
„Ja bis Mittwoch. Tschüss.“ Katie und Megan waren schon weg. Sie hielten nicht viel von Überstunden und Pünktlichkeit. Aber wenn es um den Feierabend ging, ließen sie um Punkt achtzehn Uhr alles fallen und gingen nach Hause. Ich verließ den Laden, ging über die Straße zu meinem Wagen und fuhr nach Hause. Ich parkte vor der Garage, stellte den Motor ab und stieg aus. Nachdem ich den Wagen abgeschlossen hatte, brachte ich meine Bücher zu mir ins Haus und ging zu meinen Eltern herüber, um zu Abend zu essen.
„Hallo Jamie“, sagte meine Mutter, als ich ins Esszimmer kam.
„Hallo Mom. Was gibt es denn heute zu essen“, fragte ich. Abends ging ich meistens zum Essen zu meinen Eltern. Für mich alleine zu kochen lohnte sich nicht und so verbrachte ich etwas Zeit mit meiner Familie, die mir sehr wichtig war.
„Ich habe Steaks gemacht. Dazu gibt es Kartoffeln und Salat.“
„Hört sich gut an“, sagte ich und ging ins Esszimmer. Mein Vater und Leslie saßen schon dort am Esstisch. Sie begrüßten mich kurz und setzten ihre Unterhaltung fort. Sie redeten gerade über die Schule. Es ging anscheinend um eine Englischarbeit, die Leslie geschrieben hatte. Nachdem meine Mutter das Essen auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich dazu.
„Ach Dad, bevor ich es vergesse. Nächste Woche Donnerstag habe ich um drei Uhr einen Termin in der Werkstatt wegen der Inspektion“, teilte ich ihm mit.
„Das ging ja schnell.“
„Ja, da hat jemand den Termin abgesagt und jetzt habe ich ihn bekommen. Ich werde dann gleich nach der Uni dort hinfahren.“
„Gut. Wie war denn die Arbeit“, fragte er mich.
„Es ging so. Megan und Katie haben wie immer fast nichts getan und dann kam noch Claire vorbei, die ich beraten habe“, antwortete ich.
„Ich verstehe nicht, warum Mrs. Evans die beiden nicht kündigt.
Immer wenn ich in den Laden komme, sitzen sie nur herum“, kam es von meiner Mutter.
„Das verstehe ich auch nicht. Katie ist eigentlich nicht so arbeitsfaul. Sie wird nur sehr von Megan beeinflusst“, erwiderte ich.
„Mrs. Evans wird es aber bestimmt nicht mehr lange mitmachen“, meinte meine Mutter.
„Das glaube ich auch.“
In den folgenden Tagen sah ich Sixt jeden Mittag in der Mensa. Er saß immer mit seinen Freunden am gleichen Tisch. Ich schaute sehr oft herüber und fast jedes Mal trafen sich unsere Blicke. Er sah so atemberaubend schön aus. Seine eisblauen Augen leuchteten von Weitem. Ich hatte schon überlegt, ob ich nicht zu ihm herüber an den Tisch gehen sollte. Aber ich traute mich nicht.
Ich war zu schüchtern. Was hätte ich denn auch sagen sollen? Ich wusste ja noch nicht einmal, ob er mich mochte. Vielleicht wollte er auch nur freundlich sein und lächelte deshalb zurück. Vielleicht hielt er mich auch für so eine Art Stalkerin, weil ich öfter zu ihm herüberschaute und es nervte ihn. Aber würde er dann zurücklächeln? Er würde doch eher genervt reagieren und mir das auch zeigen. Ich wusste nicht, ob er mich mochte oder nicht. Fakt war zumindest, dass ich bei so einem gutaussehenden Jungen keine Chance hatte. Ich war mit meinen ein Meter fünfundsechzig und den fünfundfünfzig Kilo nur ein einfaches, durchschnittliches Mädchen. Ab und zu trieb ich Sport. Ich hatte mir einen Crosstrainer gekauft, der zu Hause in meinem Wohnzimmer stand.
Abends vor dem Fernseher trainierte ich mit ihm, wenn ich Lust hatte. Aber ich war nicht auf einen Dauerdiättrip, sondern aß, worauf ich Hunger hatte. Wobei ich schon drauf achtete, dass es mit den Süßigkeiten nicht zu viel wurde. Vom Äußeren war ich eher durchschnittlich. Blaue Augen, braune schulterlange Haare. Meine Haare trug ich mal offen, mal zum Zopf. Schminken tat ich mich eher dezent. Also nur die Augen. Ich hatte keine Lust mir tonnenweise Make-up ins Gesicht zu schmieren und nach ein paar Jahren, ohne Schminke alt auszusehen. Meine Augenbrauen waren gezupft und die Fingernägel gepflegt, aber ich ging nie auf eine Sonnenbank nur, um braun zu sein oder benutzte verschiedene Cremes. So etwas brauchte ich nicht. Ich sah etwas jünger aus, als ich war. Darüber war ich froh. Bei Ausweiskontrollen sah ich es als Kompliment an, wenn jemand sagte „Das hätte ich nicht gedacht.
Ich hätte dich jünger geschätzt.“ Es gab an dieser Uni Mädchen, die viel hübscher waren als ich. Also warum sollte Sixt etwas von mir wollen, wenn er doch jedes Mädchen haben konnte?
Als ich am Dienstag nach der Uni zu meinem Auto ging, bemerkte ich, dass mein Vorderreifen auf der Fahrerseite platt war.
„Oh nein, das kann doch nicht wahr sein“, dachte ich und legte erst einmal meine Bücher und die Tasche ins Auto. Anschließend hockte ich mich neben dem Wagen und schaute mir den Reifen an.
Ich sah einen Riss im Reifen. Jemand hatte ihn mir zerstochen. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte noch nie einen Reifen gewechselt und wusste gar nicht, was ich zu tun hatte. Ich beschloss, meinen Vater anzurufen. Er konnte mir bestimmt sagen, wie ich den Reifen zu wechseln hatte. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche und wollte gerade die Dienstnummer von meinem Vater wählen, als ich eine Stimme neben mir hörte.
„Kann ich dir helfen“, fragte die Stimme. Sie kam mir bekannt vor.
Ich drehte mich um und schaute in ein lächelndes Gesicht. Es war Sixt.
„Wenn du Reifen wechseln kannst. Ich kann es nämlich nicht“, erwiderte ich, lächelte zurück und steckte das Handy wieder ein.
„Natürlich kann ich das. Ich brauche nur einen neuen Reifen, einen Wagenheber und ein Radkreuz. Hast du so etwas?“
„Ich glaube schon. Das müsste alles im Kofferraum sein“, sagte ich und ging hinter mein Auto. Dabei sah ich einige Meter weiter von mir entfernt Terina stehen, die mich anstarrte. Was wollte sie denn hier? Sixt kam zu mir und ich sah, wie sie mit einem wütenden Ausdruck im Gesicht verschwand. Ich wusste nicht, was das sollte.
Es war mir aber auch egal. Ich stand hier mit dem gutaussehendsten Jungen auf der Welt und er wollte mir helfen. Ich öffnete den Kofferraum und fand die Sachen, die Sixt brauchte, unter der Kofferraumabdeckung.
„Hier ist es. Ich hoffe, es ist auch alles dabei“, sagte ich und schaute ihn an. „Ähm, du brauchst das aber nicht tun. Ich meine, wenn du etwas anderes vorhast... . Ich will dich nicht aufhalten.“
„Nein das tust du nicht. Ich helfe dir gerne“, erwiderte er und nahm die Sachen aus dem Kofferraum. Ich schloss die Heckklappe und wir gingen zur Vorderseite des Wagens.
„Hat dir nie jemand gezeigt, wie man einen Reifen wechselt“, fragte er.
„Nein, noch nie. Allerdings hatte ich auch noch nie einen platten Reifen“, gab ich zu.
„Dann zeig ich dir das jetzt mal. Es ist gar nicht schwer“, grinste er.
„Na gut. Dann kann ich es das nächste Mal selbst.“ Wir hockten uns beide auf den Boden und Sixt schaute sich den Reifen genauer an.
„Dir hat jemand in den Reifen gestochen“, stellte er fest und sein Gesicht wurde ernst.
„Ich weiß. Ich habe es vorhin schon entdeckt. Ich weiß nur nicht, wer so etwas tut.“
„Es gibt immer solche Verrückten, die anderer Leute Sachen kaputtmachen“, entgegnete er, nahm den Wagenheber und stellte ihn unter das Auto. „So als Erstes musst du das Auto aufbocken.
Das geht so.“ Er nahm den Hebel und betätigt ihn einige Male.
„Dann musst du die Radmuttern aus dem Rad drehen.“ Er schnappte sich das Radkreuz und begann die Radmuttern herauszuholen. Ich schaute ihm aufmerksam zu, was nicht so einfach war, da ich ihn ständig anschauen musste. Seine Schönheit zog mich einfach regelrecht an.
„Jetzt kannst du das Rad einfach abnehmen und das Neue draufsetzen“, sagte er und tauschte den Reifen. „Dann nur noch die Radmuttern wieder festschrauben, das Auto herunterlassen und fertig ist es.“ Sixt war sehr geschickt und schnell darin. Als er fertig war, stand er auf.
„So das war es schon“, lächelte er.
„Danke, ohne dich wäre ich aufgeschmissen gewesen“, sagte ich und stand ebenfalls auf.
„Kein Problem. Das mache ich doch gerne.“ Er hob die Sachen vom Boden auf. „Wo soll das hier hin?“
„Erst mal in den Kofferraum. Ich entsorge den Reifen dann zu Hause.“ Ich ging hinter das Auto und öffnete den Kofferraum. Sixt legte die Sachen hinein und ich schloss die Heckklappe wieder. Ich musste daran denken, mir einen neuen Reifen als Ersatz zu kaufen.
Zum Glück hatte ich einen vollwertigen Reifen, von der gleichen Marke und Größe wie die Anderen, die ich am Auto hatte, so brauchte ich nicht das Ersatzrad gegen einen richtigen Reifen austauschen. Mit einem Ersatzrad durfte man nur bis zur nächsten Werkstatt fahren, um es dann gegen einen normalen Reifen zu tauschen.
„So ich muss dann mal los“, sagte er.
„Danke noch mal.“
„Kein Problem“, erwiderte er. „Wir sehen uns.“ Er lächelte mich mit einem atemberaubenden Lächeln an. Bei dem Anblick schmolz ich dahin.
„Ja“, sagte ich nur. Er ging zu seinem Wagen und stieg ein. Ich stieg in mein Auto ein und fuhr aus der Parklücke. Sixt fuhr vor mir. An der Straße schaute er in den Rückspiegel und lächelte. Ich lächelte ebenfalls. Die ganze Fahrt nach Hause dachte ich an ihn. An sein Lächeln, sein Aussehen, seine Stimme. Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Anscheinend nervte ich ihn weder mit meinen Blicken in der Mensa, noch hielt er mich für eine Stalkerin. Das hoffte ich zumindest. Aber wenn es so wäre, hätte er mir doch bestimmt nicht geholfen. Er hätte einen großen Bogen um mich gemacht. Er schien mich zu mögen und ich mochte ihn.
Am Donnerstagnachmittag fuhr ich nach der Uni zur Werkstatt. Ich stellte meinen Wagen auf den Parkplatz ab und ging zur Serviceannahme. Eine nette Dame mittleren Alters an der Anmeldung nahm die Daten von mir auf und ich überreichte ihr meinen Autoschlüssel.
„Wie lange wird denn die Inspektion dauern“, fragte ich.
„So ungefähr zwei Stunden. Sie können entweder noch einmal weggehen oder Sie können in unserem Wartebereich warten. Dort steht auch ein Kaffeeautomat“, sagte sie herzlich.
„Dann warte ich“, erwiderte ich und ging in den Wartebereich.
Dort setzte ich mich auf einen Stuhl und nahm mir mein Buch, woran ich gerade am Lesen war, aus der Tasche. Es war ein Liebesroman. Es ging um einen Mann und eine Frau, die sich nach einigen Jahren wieder trafen und sich ineinander verliebten. Das Problem war, beide waren jeder in einer festen Partnerschaft. Die Inspektion hatte etwas Gutes. Nicht nur, dass mein Auto durchgecheckt wurde, sondern weil ich so etwas Zeit zum Lesen hatte.
Ich war gerade in mein Buch vertieft, als jemand in den Wartebereich kam und sich neben mich setzte.
„Hi“, sagte eine bekannte Stimme und ich schaute auf. Ich blickte in eisblaue, strahlende Augen. Es war Sixt.
„Hi“, mehr brachte ich nicht heraus.
„Was machst du hier? Ist dein Auto kaputt, oder wieder der Reifen“, fragte er lächelnd und seine weißen Zähne blitzten auf.
„Nein. Die Inspektion war wieder fällig. Und jetzt warte ich, bis sie fertig ist. Und was machst du hier?“
„Die Bremsklötze sind abgefahren und müssen gewechselt werden.
Naja, ich habe dich hier sitzen sehen und habe mich dazu entschlossen hier zu warten bis mein Auto fertig ist. Möchtest du einen Kaffee“, fragte er und ging zu dem Automaten.
„Gerne. Mit Milch und Zucker bitte“, sagte ich und kramte in der Tasche nach meinem Portemonnaie.
„Du brauchst dein Portemonnaie nicht herausholen. Ich lade dich ein.“ Sixt warf Geld in den Automaten und drückte auf die passende Taste.
„Danke. Das ist sehr nett von dir.“ Sixt kam mit zwei Kaffeebechern zurück und stellte sie auf den Tisch vor uns ab. Ich nahm einen der Becher und trank einen Schluck.
„Hast du dich an der Uni schon eingelebt“, fragte ich ihn.
„Ja habe ich. Was studiert du eigentlich“, wollte er wissen.
„Wirtschaftswissenschaften.“
„Und was möchtest du nach der Uni gerne machen?“
„Ich weiß es noch nicht genau. Vielleicht etwas Richtung Marketing“, antwortete ich „Und was studierst du?“
„Literatur. Naja, vielleicht liegt es daran, dass ich immer schon gerne und viel gelesen habe.“
„Ich lese auch gerne, wenn ich Zeit habe.“
„Das habe ich gesehen, als ich hier hereinkam“, sagte er und deutete auf das Buch, was ich auf den Tisch gelegt hatte. „Habe ich dich beim Lesen gestört?“ Sein Blick, mit dem er mich ansah, hatte etwas Entschuldigendes.
„Nein hast du nicht. Mit dir zu reden ist viel besser“, sagte ich und wurde durch mein Geständnis rot im Gesicht.
„Das ist schön zu hören“, erwiderte er sanft und lächelte mich an.
„Was liest du so“, fragte ich.
„Verschiedenes. Was mich gerade interessiert. Am liebsten allerdings Thriller. Und du?“
„Ich lese ebenfalls verschiedene Bücher. Mal sind es Liebesromane oder Thriller. Wenn mich ein Buch interessiert ist es mir egal, welches Genre es ist.“
„So ist es bei mir auch. Außer Liebesromane. Die muss ich nicht unbedingt lesen“, grinste er. „Wie alt bist du? Ich weiß, das fragt man eigentlich keine Frau, aber ich bin halt neugierig.“
„Stimmt, das fragt man eigentlich nicht“, grinste ich ihn an. „Aber ich verrate es dir trotzdem. Ich bin zwanzig und du?“
„Oh da bin ich ja älter als du. Ich bin dreiundzwanzig.“ Wir unterhielten uns über die Uni und Sixt fragte mich noch über meine Studienfächer aus. Die Zeit verging wie im Fluge. Plötzlich stand der Mechaniker im Warteraum.
„Miss Miller. Ihr Wagen ist fertig. Es ist alles in Ordnung. Wir haben keinen Fehler gefunden.“
„Das ist gut“, sagte ich. „Ich komme gleich wieder. Ich muss nur eben bezahlen gehen“, wandte ich mich zu Sixt. Ich ging mit dem Mechaniker zur Anmeldung und zahlte die Inspektionskosten. Er gab mir meinen Schlüssel und die Papiere.
„Ihr Wagen steht draußen auf dem Parkplatz“, sagte er.
„Danke“, erwiderte ich.
„Mr. Summers, Ihr Wagen ist auch fertig“, hörte ich einen Mechaniker hinter mir sagen. Er musste mit Sixt sprechen. Es war sonst niemand anderes da. Jetzt wusste ich zumindest schon mal seinen Nachnamen. Sixt kam zur Anmeldung und bezahlte ebenfalls. Zusammen verließen wir die Werkstatt und gingen zum Parkplatz. Unsere Autos standen nebeneinander. Sixt fuhr einen weinroten BMW X6 mit beigen Ledersitzen, so wie ich es von außen sehen konnte. Er sah ziemlich teuer aus und war recht groß.
Ich fand ihn irgendwie protzig. Meiner dagegen wirkte richtig klein.
Aber ich fand ihn schön. Was Jungs immer an protzigen und schnellen Autos fanden. Die Hauptsache war doch, dass das Auto fuhr.
„So ich muss jetzt mal los“, sagte Sixt und öffnete seine Autotür.
„Wir sehen uns ja in der Uni.“
„Ja, ich muss jetzt auch mal los“, erwiderte ich und warf meine Tasche auf den Beifahrersitz.
„Also bis dann. Ich fand, es war eine sehr angenehme Wartezeit.“
„Das fand ich auch“, entgegnete ich. Sixt stieg in seinen Wagen und fuhr los. Ich stieg ebenfalls in meinen ein. Schade, dass er schon wegmusste. Ich hätte mich gerne noch weiter mit ihm unterhalten.
Ich fuhr vom Parkplatz herunter und machte mich auf den Weg nach Hause.
Nach dem Abendessen saß ich noch mit meinen Eltern und Leslie zusammen am Esstisch. Meine Mutter brachte zum Nachtisch Eis und stellte jedem ein Schälchen hin. Ich nahm mir einen Löffel und begann das Eis zu essen.
„Wie war denn die Inspektion“, fragte mich mein Vater, „Gut. Es ist alles in Ordnung.“
„Das ist schön.“
„Ach Dad, ich brauche einen neuen Reifen“, sagte ich und nahm noch einen Löffel von dem Eis. Mein Vater war die letzten zwei Abende bei Geschäftsessen gewesen und so konnte ich ihm von dem zerstochenen Reifen noch nichts erzählen.
„Wieso? Was ist denn passiert“, fragte er überrascht.
„Am Dienstag hat mir jemand an der Uni den linken Vorderreifen zerstochen“, erzählte ich.
„Oh. Es gibt immer solche Idioten, die gerne etwas kaputt machen“, sagte er ernst. „Hast du den Reifen alleine gewechselt?“
„Nein. Mir hat ein Junge von der Uni geholfen“, erwiderte ich und hoffte, dass sie mich jetzt nicht ausfragen würden.
„Das war aber nett von ihm“, sagte meine Mutter.
„Ja, das war es.“ Ich schaute Leslie flehend an. Sie verstand sofort, dass ich keine Lust auf Fragen von meinen Eltern über den netten Jungen hatte, der mir den Reifen gewechselt hatte, und wechselte das Thema. Mit Leslie verstand ich mich richtig gut. Sie war nicht so nervig, wie man es von kleineren Geschwistern kannte. Leslie ging noch zur Highschool. Das war ihr letztes Highschooljahr.
Danach wollte sie Jura studieren und Anwältin werden. Sie hatte blonde Haare, war etwas kleiner als ich und hatte eine schlanke Figur. Sie kam vom Aussehen eher nach meinem Vater. Sie hatte die gleiche Haarfarbe und man sah Ähnlichkeiten im Gesicht. Ich dagegen ähnelte mehr meiner Mutter. Ich hatte nicht nur ihre Gesichtszüge, sondern auch ihre Haarfarbe geerbt. Sie war ein Meter sechszig groß oder klein, wie mein Vater oft sagte, um sie zu ärgern. Na gut gegen seine Größe war sie wirklich klein. Oft trug sie Schuhe mit hohen Absätzen, damit der Größenunterschied nicht so groß war. Ihre Haare trug sie zu einer flotten Kurzhaarfrisur.
Ihre schlanke Figur und ihre Gene nicht gleich von einem Stück Schokolade zuzunehmen, hatten Leslie und ich zum Glück von ihr geerbt. Darüber war ich sehr froh. So musste ich nicht ständig darauf achten, was ich aß.
„Mom, Dad, ich brauche noch eine Unterschrift für den Schulausflug am Montag, dass ich mitdarf“, warf sie schnell ein. Ich sah sie dankend an.
„Wo wollt ihr denn hin“, fragte mein Vater.
„Wir wollen ins Oregon Museum of Sience and Industry.“ Es war ein Technikmuseum, was neben Chemie und Physik auch ein U-Boot und ein Planetarium besaß. Die Lehrer der Highschool fuhren gerne mit ihren Schülern dorthin, weil man dort sehr viel lernen konnte. Allerdings brauchten die Schüler eine Einwilligung der Eltern, dass sie mitfahren durften.
„Da kannst du viel lernen. Schau dir das U-Boot an. So etwas kriegt man nicht jeden Tag zu sehen. Hast du das Formular denn hier“, fragte mein Vater.
„Ja, ich hole es eben.“ Leslie ging in den Flur, wo ihre Schultasche stand und holte das Formular und einen Stift. Meine Eltern unterschrieben es und sie packte es wieder ein.
„So ich werde dann mal herübergehen“, sagte ich und stand auf.
„Danke für das Essen, Mom.“
„Gute Nacht Schatz“, erwiderte sie.
„Gute Nacht. Bis morgen“, sagte ich und ging hinüber in mein Haus. Ich setzte mich im Wohnzimmer auf die Couch, schaltete den Laptop ein und stellte ihn auf meinen Schoß. Ich schaute nach meinen E-Mails. Es hatte sich einiges angesammelt, weil ich schon seit fast einer Woche nicht mehr nachgeschaut hatte. Als Erstes löschte ich die Werbemails, die zwei Drittel der gesamten E-Mails ausmachten. Die Übrigen schaute ich mir an. Es waren fünf E-Mails von Matt dabei. Ich las nur den Betreff, wo er immer wieder betonte, wie sehr er mich liebte und vermisste. Ohne die E-Mails gelesen zu haben, löschte ich sie. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich hatte auch keine Gefühle mehr für ihn. Für mich war Matt Vergangenheit. Nie wieder würde ich mich auf ihn einlassen. Ich beschloss, meine E-Mail-Adresse zu wechseln. Sollte er doch schreiben, wie viel er wollte. Sie würden jetzt nicht mehr bei mir ankommen. Ich richtete mir eine neue E-Mail-Adresse ein und löschte die Alte. Anschließend schrieb ich nur den wichtigsten Personen, also meiner Familie, jeweils eine E-Mail, dass ich eine neue E-Mail-Adresse hatte, und surfte noch etwas im Internet herum. Es hatte einen Vorteil, dass ich eine neue E-Mail-Adresse hatte, abgesehen davon, dass Matt mich nicht mehr belästigen konnte, bekam ich auch keine lästigen Werbemails mehr. Etwas Kaltes strich mir über den Arm und ich bekam eine Gänsehaut.
Erschrocken schaute ich mich um. Aber ich sah niemanden. Ich beugte mich über die Couchlehne. Aber auch dahinter war niemand. Ich nahm an, ich hätte es mir nur eingebildet und setzte mich wieder hin. Allerdings hatte ich den ganzen Abend das Gefühl, das ich nicht alleine war. Es war genau das gleiche Gefühl, wie eine Woche zuvor im Vorlesungssaal. Es verschwand erst, als ich mich ins Bett legte.
Das Wochenende fing schon gut an. Eigentlich wollte ich ausspannen, aber am Samstag rief um neun Uhr Mrs. Evans an, ob ich nicht im Laden aushelfen könnte, da Megan sich krankgemeldet hatte. Ich sagte zu und machte mich, nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, auf den Weg zur Boutique. War sie wirklich krank oder hatte sie nur keine Lust? Ich tippte eher auf keine Lust, wollte ihr aber nichts unterstellen. Andererseits konnte ich das Geld für die Extrastunden gut gebrauchen. In der Boutique war heute einiges los. Mrs. Evans hatte wieder neue Ware bekommen, die ich auspackte und Katie sollte die Leute beraten. Unter den Kunden waren auch Emma und Monica, die unbedingt von mir beraten werden wollten.
„Na was kann ich denn für euch tun“, fragte ich sie.
„Wir suchen ein Partyoutfit. Wir sind heute Abend zu einer Studentenverbindungsfeier eingeladen“, kam es von Monica und sie betonte das Wort Studentenverbindungsfeier. Sie wollte mich damit anscheinend ärgern und neidisch machen, weil ich nicht eingeladen war. Aber das ließ mich kalt. Ich war nicht unbedingt so scharf darauf zu so einer Feier zu gehen. Ich war einmal bei einer gewesen und das hatte mir gereicht. Die Leute betranken und blamierten sich, als sie im betrunkenen Zustand Sachen taten, die sie sonst nicht tun würden. Es gab auch eine Schlägerei und am Ende kam die Polizei und beendete die Party. Auf so etwas konnte ich wirklich verzichten. Ich wusste, sie war da nur eingeladen, weil sie sich wieder an irgendeinen Jungen aus der Studentenverbindung herangemacht hatte.
„Habt ihr denn schon Vorstellungen was es sein soll?“
„Noch nicht richtig. Ich dachte vielleicht an ein Partykleid“, antwortete Emma. Sie tat mir etwas leid. Emma war ein sehr hübsches Mädchen mit hellbraunen langen Haaren und grünen Augen. Ihr Problem war, sie war sehr schüchtern und sprach nur mit Leuten, die sie richtig gut kannte. Emma war eher eine Mitläuferin, die kaum eine eigene Meinung hatte und sich schnell beeinflussen ließ. Ich zeigte verschiedene Kleider, Tops, Blusen, Röcke und Hosen. Emma entschied sich schnell für ein weinrotes knielanges Kleid. Es passte wunderbar zu ihrer dünnen Figur und den hellbraunen Haaren. Bei Monica dauerte es länger, bis sie sich endlich für einen grau-schwarz karierten Rock und dazu eine weiße kurzärmlige Bluse entschied. Ich war froh, als sie endlich aus dem Laden waren. Monica hatte die ganze Zeit über nur von der Party gesprochen, wie toll sie doch werden würde und was für süße Typen dort wären. Sie wollte mich wirklich neidisch machen. Aber das war ich nicht im Geringsten. Monica war mir mit ihrem Gerede eher auf die Nerven gegangen. Die restliche Zeit bis zum Feierabend verging schnell. Samstags hatte die Boutique nur bis vier Uhr geöffnet. Mrs. Evans meinte, sie bräuchte auch etwas vom Wochenende, wobei Samstagsnachmittags sowieso nicht mehr viele Kunden in den Laden kamen.
Als ich wieder zu Hause war, setzte ich mich im Garten in den Liegestuhl und genoss noch etwas die Sonne und die Ruhe.
Nur leider währte die Ruhe nicht lange. Meine Eltern hatten eine Grillparty geplant und begannen Stühle und Tische im Garten aufzubauen. Mein Vater stellte den Grill auf und breitete auf dem Tisch daneben sein Grillequipment aus.
„Dad, wer kommt denn alles“, fragte ich neugierig aber auch ein wenig gequält, da ich wusste, dass es keinen ruhigen Abend zum Entspannen geben würde, so wie ich es eigentlich geplant hatte.
„Nur unsere Bowlingmannschaft, ihre Kinder und einige Nachbarn.“ Na das konnte ja was werden. Leslie freute sich, weil einige ihrer Freundinnen unter den Gästen waren. Für mich würde es ein langweiliger Abend werden. Mit den Leuten, die in meinem Alter waren, hatte ich nicht soviel zu tun. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass sie mitkämen. Die Meisten waren auf Colleges in anderen Staaten und der Rest würde doch eher ausgehen wollen, als zu einer Grillparty mit den Eltern zu gehen.
Ich überlegte noch eine Runde im Pool schwimmen zu gehen, den meine Eltern vor ein paar Jahren Leslie und mir im Garten bauen gelassen hatten, bevor die Gäste kamen.
„Jamie“, hörte ich meine Mutter rufen. „Kannst du bitte eben in den Supermarkt fahren. Wir haben keinen Ketchup mehr.“
„Ja mache ich“, erwiderte ich, stand auf und ging in mein Haus, um meine Tasche zu holen. Na super jetzt konnte ich noch nicht einmal meinen Feierabend genießen und schwimmen hatte sich nun auch erledigt. Etwas genervt darüber nahm ich meine Tasche, verließ mein Haus und ging zu meinem Wagen. Ich schloss ihn auf und setzte mich hinein. Ich startete den Motor und fuhr zum Supermarkt. Dort angekommen stellte ich den Wagen auf dem Parkplatz ab und ging in den Laden. Ich hielt mich gar nicht lange im Laden auf, denn ich wollte, so schnell es ging, wieder nach Hause und wenigstens noch etwas die Sonne in Ruhe genießen, bis die Gäste kamen. Deshalb schnappte ich mir aus dem Regal zwei Ketchupflaschen, ging zur Kasse und bezahlte. Als ich aus dem Laden wieder herauskam, lief mir Sixt über den Weg.
„Hi.“ Ich war etwas überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte, ihn zu treffen.
„Hi, na füllst du deinen Ketchupvorrat auf“, grinste er und deutete mit der Hand auf die zwei Flaschen, die ich im Arm trug.
„Nein, meine Eltern machen eine Grillparty und meiner Mutter fiel ein, dass wir keinen Ketchup mehr Zuhause haben.“
„Du siehst aber nicht erfreut darüber aus“, stellte er fest.
„Bin ich auch nicht. Für mich wird es ziemlich langweilig und Ruhe werde ich auch nicht haben“, entgegnete ich. Und dann kam mir eine Idee und mein Gesicht hellte sich auf. „Möchtest du vielleicht auch kommen. Ich meine natürlich nur, wenn du heute Abend nichts vor und Lust hast“, lud ich ihn ein.
„Ich würde gerne vorbeikommen. Ich meine, wenn deine Eltern nichts dagegen haben?“
„Nein haben sie nicht. Mein Vater hat soviel Fleisch gekauft, das reicht auch für eine Person mehr. Und mich würde es sehr freuen.“
Nervös stand ich da. Es wäre so schön, wenn er auch kommen würde.
„Na dann nehme ich deine Einladung gerne an“, sagte er lächelnd.
„Es kann aber etwas später werden. Ich muss gleich noch einem Freund helfen. Er und seine Freundin sind gerade umgezogen und ich habe ihm versprochen, ihm beim Aufbau des Wohnzimmerschrankes zu helfen.“
„Das ist kein Problem. Du wirst mich auch schnell finden. Ich bin diejenige, die gelangweilt auf ihrer Terrasse sitzt“, erwiderte ich.
„Ich versuche, mich zu beeilen. Dann brauche ich jetzt nur noch deine Adresse.“
„Everton Road 52. Es ist das letzte Haus in der Straße.“
„Das werde ich schon finden. Dann sehen wir uns nachher“, sagte er lächelnd.
„Ja, bis nachher.“ Ich ging zum Auto und fuhr nach Hause. Mein Herz machte Luftsprünge. Er würde vorbeikommen. Der Abend war also doch noch gerettet. Ich ging in den Garten und stellte die Ketchupflaschen auf den Tisch. Meine Eltern standen beide auf der Terrasse.
„Mom, Dad, ihr habt doch nichts dagegen, wenn ein Freund von mir auch vorbeikommt“, fragte ich.
„Nein. Er kann ruhig kommen. Woher kennt ihr euch“, wollte meine Mutter wissen.
„Von der Uni. Er kommt aber erst etwas später. Er muss noch einem Freund helfen, der umgezogen ist.“
„Das ist doch kein Problem. Essen und Getränke sind genug da“, sagte mein Vater.
„Das habe ich mir gedacht“, grinste ich und freute mich riesig darüber, dass Sixt heute Abend zu uns kommen würde.
Die Grillparty war voll im Gange und wie ich es geahnt hatte waren die Leute in meinem Alter gar nicht gekommen. Also saß ich, wie ich es Sixt auch schon gesagt hatte, auf meiner Terrasse. Es dämmerte schon, als ich seine Stimme neben mir hörte.
„Hi.“ Er grinste, als ich zu ihm hochschaute und seine Augen strahlten.
„Hi. Weißt du eigentlich, dass du mir gerade das Leben rettest“, fragte ich ihn. Verdutzt schaute er mich an. „Ich wäre vor Langeweile gleich gestorben. Es hätte nicht mehr viel gefehlt“, erklärte ich ihm.
„Na dann bin ich ja noch rechtzeitig gekommen.“
„Ja. Möchtest du etwas essen“, fragte ich. „Es ist noch genug da.“
„Eigentlich habe ich gar keinen Hunger, aber etwas zu trinken wäre nicht schlecht“, gab Sixt zu.
„Was möchtest du denn. Wir haben Bier, Wasser, Cola“, zählte ich auf.
„Ich nehme eine Cola.“
„Okay. Ich bin gleich zurück“, entgegnete ich und verschwand in das Haus von meinen Eltern. Ich ging in die Küche und holte aus dem Kühlschrank zwei kleine Flaschen Cola. Anschließend ging ich wieder in den Garten, wo Sixt auf mich wartete und reichte ihm eine der Flaschen.
„Danke. Wie wäre es, wenn wir uns da hinten am Wald hinsetzen.
Dann haben wir ein bisschen Ruhe“, schlug er vor.
„Ja das können wir gerne tun.“ Wir gingen quer durch den Garten, wobei wir einigen Leuten ausweichen mussten, durch das Gartentor zum Waldrand, an dem unser Grundstück an der Rückseite grenzte, und setzten uns ins Gras.
„Ihr habt ein schönes großes Grundstück. Gehört das kleine Haus dir?“
„Ja, es war einmal das Gästehaus. Aber es wurde nie benutzt. Naja, und als ich mit der Uni anfing, wollte ich eigentlich eine eigene Wohnung haben. Da haben mir meine Eltern das Haus angeboten“, erklärte ich.
„Das ist doch schön. Du hast dein eigenes Reich und deine Ruhe.“
„Ja, das habe ich. Meine Eltern sind zum Glück nicht so nervig.
Wenn etwas ist, kann ich immer zu ihnen kommen. Aber sie stören nicht alle paar Minuten, wenn ich Besuch habe oder so. Und zum Essen gehe ich meistens zu ihnen herüber. Für mich alleine lohnt es sich nicht etwas zu kochen“, gestand ich.
„Das würde ich auch so machen“, erwiderte Sixt.
„Und wie wohnst du“, fragte ich ihn.
„Ich wohne in einer WG.“
„Oh, da ist bestimmt immer etwas los.“
„Ja sehr oft. Wenn es mir zu viel werden sollte, ziehe ich einfach zu dir“, sagte er und lächelte mich mit einem unwiderstehlichen Lächeln an. Es kribbelte in meinem Bauch.
„Ok. Aber wir müssen uns dann ein Zimmer teilen. Ich habe nämlich nur ein Schlafzimmer.“
„Das geht schon. Ich würde sagen, ich nehme das Bett und du den Boden“, scherzte er.
„Das Bett gehört mir. Wenn du aber ganz nett zu mir bist, darfst du das Fußende haben“, bot ich ihm lachend an.
„Ich brauche nachts viel Platz beim Schlafen. Kann dann also passieren, dass ich zu dir ans Kopfende komme und dich versehentlich, also im Schlaf, aus dem Bett werfe“, grinste er.
Mittlerweile war es schon dunkel geworden. Meine Eltern hatten im Garten Girlanden aufgehängt und das Licht strahlte bis zu uns.
„Ist dir kalt“, fragte er besorgt, als ich mir die Arme rieb.
„Nur ein bisschen frisch“, erwiderte ich.
„Hier nimm die“, sagte er und reichte mir seine Jacke.
„Danke, aber jetzt ist dir doch bestimmt kalt“, stellte ich fest, denn Sixt saß im T-Shirt neben mir.
„Nein mir ist nicht kalt. Außerdem kannst du sie gut gebrauchen, wenn du auf der Terrasse schläfst“, sagte er grinsend.
„Wenn ich da schlafen muss, dann musst du es auch.“ So ging es den ganzen Abend weiter. Wir scherzten, lachten und unterhielten uns über alles Mögliche.