The Wright Brother - K.A. Linde - E-Book
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The Wright Brother E-Book

K. A. Linde

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Beschreibung

A billionaire contemporary romance stand alone from USA Today bestselling author K.A. Linde
I'd dated his brother.
He didn’t remember and I wish I could forget.
I may have sworn off the Wright family a long time ago. But when I returned home, Jensen Wright crashed into my life with the confidence of a billionaire CEO and the sex appeal of a god. Even I couldn’t resist our charged chemistry, or the way he fit into my life like a missing puzzle piece.
Too bad he’d forgotten the one thing that could destroy us.
Because Jensen Wright doesn’t share. Not with anyone. And if his brother finds out, this could all go down in flames.
When it all was said and done, was he The Wright Brother?

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Seitenzahl: 483

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Das Buch

Emery Robinson war nie dazu bereit gewesen, nach Lubbock, Texas zurückzukehren, doch als sie ihren Freund beim Fremdgehen erwischt, hat sie keine andere Wahl. Und da ist noch etwas, für das sie nicht bereit ist: sich in einen Wright-Bruder zu verlieben. Schon wieder. Den Wrights gehört ein Imperium – ihre Firma ist Milliarden schwer, und sie beschäftigen den Großteil der Leute in der Stadt. Emery bleibt gar nichts anderes übrig, als für sie zu arbeiten. Während der Highschool datete sie einen der Wright-Brüder, bis er ihr das Herz brach. Die letzte Person also, in die sie sich verlieben möchte, ist Jensen Wright, der große Bruder ihres Exfreundes, und ihr neuer Boss …

Die Autorin

K.A. Linde ist die USA-Today-Bestsellerautorin. Als eifrige Reisende, Leserin und Schnäppchenjägerin lebt mit ihrem Ehemann und zwei Hunden in Lubbock, Texas.

K.A. LINDE

Finding

MR. WRIGHT

ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Anu Katariina Lindemann

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel The Wright Brother bei Amazon Digital Services LLC.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 08/2019

Copyright © 2017 by K.A. Linde

Copyright © 2019 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Hanne Hammer

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von Shutterstock/

© Roschetzky Photography (Skyline); Shutterstock/© kiukson (Mann)

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN 978-3-641-23917-6V001

www.heyne.de

Für Rebecca Kimmerling,

für jedes wundervolle Buch, bei dem du mir geholfen hast

und eine Million weiterer, die noch folgen werden.

1

Emery

ICH ROLLTE MEINE SCHULTERN zweimal und gähnte. Ich hasste es, so früh im Büro zu sein. Es war total nervig, aber zumindest bekam ich so Mitch noch zu sehen. Sein Seminar begann erst in einer Stunde, und ich dachte mir, dass wir die Zeit nutzen könnten, um zusammen einen Kaffee zu trinken … oder um sein Büro mit Beschlag zu belegen. Mir könnten da schon ein paar Dinge einfallen, die ich der Arbeit vorziehen würde.

Meine Füße trugen mich geradewegs den Gang im Institut für Geschichte der University of Texas, Austin, herunter. Ich war schon ganz aufgeregt angesichts der ungestörten gemeinsamen Stunde mit meinem Freund. Es mochte zwar ein bisschen verboten sein, weil er nicht nur mein Professor, sondern auch noch mein Doktorvater war, aber für mich war das kein Problem.

Ich erreichte sein Büro und öffnete die Tür. »Mitch, ich dachte, wir könnten …« Mir verschlug es mitten im Satz die Sprache, und ich starrte auf das, was sich da vor meinen Augen abspielte.

Mitch saß auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch – genau dem Tisch, der eben noch eine bedeutende Rolle in meinen Fantasien gespielt hatte. Und eine kleine, blonde Studentin hockte auf seinem Schoß. Ihr Rock war hochgeschoben – ich wusste es, obwohl ich so weit weg stand.

Mir drehte sich der Magen um. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich konnte doch nicht dermaßen naiv gewesen sein.

»Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte ich.

Die junge Frau sprang auf und strich ihren Rock glatt. »Nichts«, piepste sie.

»Ich hab ihr nur … bei ein paar Aufgaben geholfen, die bald fertig sein müssen«, behauptete Mitch.

»Willst du mich verarschen?!« Meine Stimme war leise und drohend. Wütend blickte ich die junge Frau an. »Du solltest besser gehen. Jetzt.«

»Emery«, sagte Mitch beschwichtigend.

»Jetzt!«, brüllte ich.

Die Frau schnappte sich ihre Handtasche und eilte aus dem Raum. Ich knallte die Tür hinter ihr zu und starrte zornig auf den Mann hinunter, von dem ich in den letzten drei Jahren gedacht hatte, dass ich ihn lieben würde. Aber als ich ihn jetzt dort sitzen sah, wie er seine Klamotten zurechtzog, sah ich nur noch das jämmerliche Abbild eines Mannes.

»O mein Gott, ist das peinlich«, fuhr ich ihn an. »Ich gehe. Ich verlasse dich, ich schmeiß das Förderprogramm und die Uni auch. Verdammt, ich bin fertig mit dir!«

»Du kannst nicht einfach das Programm schmeißen, Emery«, sagte er. Er ging nicht einmal darauf ein, was ich sonst noch gesagt hatte.

»Das kann ich sehr wohl und das werde ich auch!«

»Das ist doch albern«, sagte er und strich sich sein durcheinandergeratenes Haar zurück. »Dir fehlt doch nur noch ein Jahr.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Das kümmert mich gerade einen feuchten Dreck. Du hast mich verdammt noch mal betrogen, Mitch!«

»Ach, komm schon, Emery. Glaubst du das wirklich?«

»Ähm … hallo? Ich hab dich und Angela gerade auf frischer Tat ertappt! Sie ist eine Bachelor-Studentin!«

»Du weißt doch gar nicht, was du gesehen hast.«

Ich schnaubte. »Das sagt jetzt echt der Richtige. Ich weiß sehr wohl, was ich gesehen habe. Und ich bezweifle, dass es das erste Mal war. Wie viele andere gibt es noch?«

Er stand auf und streckte die Hand nach mir aus, aber ich wich zurück.

»Wir kriegen das hin, Emery.«

»O mein Gott! Glaubst du eigentlich, dass ich total bescheuert bin?«

»Oh, Em«, sagte er und strich sein schwarzes Jackett glatt. »Sei doch nicht so kindisch.«

Ich ärgerte mich maßlos über diese herablassenden Worte. »Ich bin überhaupt nicht kindisch, wenn ich dem Mann, den ich geliebt habe, vorwerfe, dass er mit einer anderen geschlafen hat. Ich stehe hinter dem, was ich für richtig halte, und diese beschissene Nummer, die du da abgezogen hast, ist meilenweit davon entfernt. Schläfst du auch noch mit anderen Studentinnen?«

»Ach, Süße, komm schon.«

»Du tust es, oder?« Kopfschüttelnd trat ich einen Schritt zurück. »Wow. Ich bin ja so eine Idiotin. Ich habe nicht nur Lust, der akademischen Welt den Rücken zu kehren, sondern auch dir!«

»Emery!«, rief er mir hinterher, als ich zur Tür marschierte. »Wir waren drei Jahre zusammen. Das kannst du doch nicht machen.«

Ich wirbelte herum. »Sag mir, dass du mit keiner anderen vögelst und dass ich die Einzige für dich bin.«

Mit zitternder Hand fuhr er sich durch sein langes, blondes Haar. Er bildete sich ein, der coole Professor zu sein, mit dem jeder reden konnte – nicht nur über Forschungs-, sondern auch über Alltagsprobleme. Auf diese Weise hatte er auch mir damals den Kopf verdreht. Ich war wie eine Närrin von den eleganten Anzügen und den schicken Abendessen geblendet gewesen und zu guter Letzt auch davon, endlich einen Mann kennengelernt zu haben, der mit mir auf Augenhöhe war. Doch wie sich jetzt herausstellte … war er nur eine elende Ratte.

Als er nichts erwiderte, begann ich, ihn zu verspotten. »Das habe ich mir schon gedacht.«

Aus seinem Büro zu stolzieren war eine der befreiendsten Erfahrungen meines Lebens. Eigentlich hatte er es verdient, seinen Job zu verlieren für das, was er in all den Jahren abgezogen hatte, aber ich brachte es einfach nicht über mich, ihn da hineinzureiten. Ich ging in das Sekretariat der Fakultät und füllte die nötigen Formulare aus, um das Programm frühzeitig zu beenden. Eines Tages würde ich vielleicht zurückkommen und meinen Doktor zu Ende machen, aber heute – das wusste ich – hatte ich meine Grenze erreicht. Ein Panikanfall zu viel, mein allererstes Rezept für ein Beruhigungsmittel und ein Dissertationsthema, bei dem ich ständig das Gefühl hatte, ihm nicht gerecht werden zu können, hatten mich völlig geschafft.

Scheiß auf die Uni!

Mit meinem Subaru Forester fuhr ich zurück zu meiner Einzimmerwohnung und verfluchte während der ganzen Fahrt den Verkehr in Austin. Wie konnte es sein, dass der Verkehr hier zu jeder Tages- und Nachtzeit stockte?

Drei Jahre der Vernachlässigung hatten meiner Wohnung ihren Stempel aufgedrückt, und mein Kopf schmerzte bereits bei der bloßen Vorstellung, wie ich das Chaos in den Griff kriegen sollte. Im Moment war mir völlig unklar, wie mein Leben weitergehen würde. Keine Verpflichtungen. Kein Job. Keine Zukunft.

Ich verdrehte die Augen angesichts meiner albernen Gedanken und fing an, die Hälfte des Schrankinhalts in meine zwei Koffer zu stopfen. Eine Stunde später steckte ich das MacBook in meine Ledertasche, dachte noch daran, auch die Handy- und Computer-Ladegeräte einzupacken, und sagte Austin Lebwohl. Irgendwann musste ich noch mal zurückkommen und meinen restlichen Kram holen, aber im Moment würde ich nichts anderes tun, als Weihnachtsmusik einlegen und die sechs Stunden bis nach Hause – nach Lubbock – fahren.

Das Seltsame an Lubbock war, dass die meisten Leute zwar keine Ahnung hatten, wo es genau lag, aber dennoch überrascht zu sein schienen, dass keine Steppenläufer durch die Straßen rollten oder die Wüste die Stadt einzunehmen drohte, wenn man es ihnen erklärte. Als ob das das Einzige wäre, was es im Westen von Texas gab. Meine Güte, Lubbock war schließlich eine Stadt mit dreihunderttausend Einwohnern!

In den vier Jahren, in denen ich in Norman an der University of Oklahoma studiert hatte, war ich so gut darin geworden, Fremden ihre Fragen zu beantworten, woher ich stammte, dass ich es mir immer noch nicht abgewöhnt hatte, den Leuten zu erklären, dass ich aus Texas kam, obwohl ich längst wieder nach Texas zurückgezogen war.

Zwangsläufig folgte darauf die Frage: »Und woher genau?«

Und dann musste ich erklären: »Aus Lubbock. Das liegt im Westen von Texas. Dort gibt es so einiges. Die Texas Tech University und Buddy Holly zum Beispiel.«

Dann nickten die Leute zwar, aber ich vermutete, dass mir keiner wirklich glaubte, weil sie noch nie im Westen von Texas gewesen waren.

Meine Schwester Kimber wartete bereits draußen auf mich, als ich vor ihrem nigelnagelneuen Haus vorfuhr. Sie legte eine Hand auf ihren dicken, schwangeren Bauch, während ihre vier Jahre alte Tochter, Lilyanne, um sie herumwuselte.

Ich parkte den Wagen und stieg schnell aus, um meine kleine Nichte mit Schwung hochzuheben. »Na, du kleines Lily-Käferchen«, begrüßte ich sie und wirbelte sie im Kreis herum, bevor ich sie mir auf die Hüfte setzte.

»Lilien sind doch keine Käfer, Tante Em. Lilien sind Blumen!«

»Stimmt, du kleine Schlaubergerin.«

»Hey, Em«, sagte Kimber und umarmte mich.

»Hey, Kimmy.«

»Harten Tag gehabt?«, fragte sie.

»Könnte man so sagen.«

Ich ließ Lilyanne wieder runter und öffnete den Kofferraum. Kimber hob den kleineren Koffer heraus, und ich rollte den größeren hinter mir her in ihr riesengroßes Haus.

»Em! Willst du mal mein neues Kleid sehen? Da sind Dinos drauf. Dinos machen Grr!«, sagte Lilyanne.

»Nicht jetzt, Lily. Erst mal müssen wir Emery ins Gästezimmer bringen. Kannst du ihr den Weg zeigen?«, fragte Kimber.

Lilyannes Augen leuchteten auf, und schnell wie der Blitz lief sie zur Treppe. »Komm, Tante Em. Ich kenne den Weg!«

Erschöpft seufzte Kimber. »Ich bin froh, dass du hier bist.«

»Ich auch. Sie hält einen ganz schön auf Trab, aber gut, dass sie da ist. Wie sollte ich mich hier denn auch sonst zurechtfinden?«, scherzte ich, während wir hinter Lilyanne die Treppe hochstiegen. »Jetzt aber mal Spaß beiseite, sind wir hier etwa in Die Schöne und das Biest? Gibt es hier vielleicht irgendwo einen Westflügel, den ich lieber meiden sollte?«, keuchte ich.

Kimber schnaubte und verdrehte die Augen. »So groß ist das Haus nun auch wieder nicht.«

»Für eine Bibliothek mit Leitern kann es nicht groß genug sein.«

»Natürlich. Vielleicht kriegen wir ja wirklich so eine.«

»Ich hab’s gewusst! Bitte sag mir, dass all die schmutzigen Liebesromane, die wir während der Highschool gelesen haben, jetzt stolz zur Schau gestellt werden.«

Im Gästeschlafzimmer angekommen, ließ Kimber meinen Koffer auf den Boden fallen. Der Raum hatte in etwa dieselbe Größe wie mein Loft in Austin. »Noah würde mich umbringen«, sagte sie und verdrehte die Augen. »Die meisten dieser Bücher habe ich mittlerweile sowieso auf meinem iPad. Ich bin zu E-Books bekehrt worden.«

»Toll«, sagte ich und wedelte mit dem Finger in ihre Richtung. »Ein iPad könnte ich auch gut gebrauchen. Ich erwähne das nur mal so am Rande, für den Fall, dass Noah noch Ideen für Weihnachtsgeschenke braucht.«

Kimber lachte. »O Gott, ich hab dich echt vermisst!«

Ich grinste verschmitzt. Noah arbeitete am Texas Tech Medical Center. Er arbeitete immer sehr, sehr lange und verdiente Dagobert-Duck-mäßig viele Dollarscheinchen. Er und Kimber waren schon seit der Highschool zusammen und vermutlich das ekelhaft süßeste Pärchen, dem ich je begegnet war.

»Komm, Lilyanne!«, rief Kimber. »Wir haben Plätzchen im Ofen.«

»Plätzchen?«, fragte ich, und meine Augen leuchteten auf. »Nach Moms Rezept?«

»Na klar. Wirst du dich mit ihr treffen?«, fragte Kimber in einem Ton, als würde es sie eigentlich überhaupt nicht interessieren. Doch ihr nervöser Blick entging mir nicht.

Es war nicht so, dass ich mich mit meiner Mutter nicht verstand. Es war eher so … dass wir uns einfach viel zu ähnlich waren. Deshalb gerieten wir, stur, wie wir waren, auch jedes Mal, wenn wir uns trafen, aneinander, und alle nahmen Reißaus, um noch rechtzeitig über alle Berge zu sein. Nur dass es in Lubbock keine Berge gab …

»Ja … wahrscheinlich.«

»Hast du ihr überhaupt Bescheid gesagt, dass du kommst?«

Kimber hob Lilyanne hoch und setzte sie auf einen Platz in die Nähe der Streusel. Der Timer klingelte – die Kekse waren fertig, und Kimber zog das Blech aus dem Backofen. Duftende, goldbraune Weihnachtsplätzchen – genau so, wie wir sie mochten.

Kleinlaut sah ich Kimber an. »Nein, aber …«

»Oh, Emery! Sie wird mir den Hals umdrehen, wenn du hier bist, ohne ihr ein Sterbenswörtchen gesagt zu haben. So etwas kann ich wirklich nicht gebrauchen, schon gar nicht in meiner Schwangerschaft!«

»Ich werde es ihr schon noch sagen!«, versprach ich und griff nach einem Plätzchen.

Kimber klatschte mir mit dem Spachtel auf die Finger. »Die sind noch zu heiß. Warte, bis sie abgekühlt sind.«

»Du willst doch kein Aua haben«, sagte Lilyanne.

Ich steckte meinen Finger in den Mund und saugte daran und schnitt meiner Schwester eine Grimasse. »Na gut.«

Glücklicherweise ging Kimber später nicht mehr auf das Thema ein, und wir verbrachten den restlichen Nachmittag damit, Kekse zu backen. Lilyanne und ich stachen die Formen aus, dann legte Kimber die Kekse auf das Backblech und schob es in den Ofen. Als die Plätzchen fertig gebacken und abgekühlt waren, glasierten wir sie und streuten noch Weihnachtsstreusel darauf.

Als Noah nach Hause kam – früher als sonst –, waren wir von den ganzen zuckersüßen Leckereien, mit denen wir uns vollgestopft hatten, voller Mehl.

Ich umarmte Noah herzlich. »Ich hab dich vermisst.«

»Ich dich auch, Em. Ich hab gehört, dass du ein paar Probleme hattest?!«

Ich rümpfte die Nase. »Ja. Danke, dass ich hierbleiben kann, um über alles mal in Ruhe nachzudenken.«

»Du bist hier jederzeit herzlich willkommen. Außerdem ist es gut für Kimber, dich hierzuhaben. Sie ist viel mit der Kleinen allein zu Haus, und ich weiß, dass sie nichts lieber täte, als wieder zu arbeiten.«

Meine Schwester besaß eine tolle Bäckerei direkt neben dem Campus, die Death by Chocolate hieß und die besten Kekse, Cupcakes und Donuts in der ganzen Stadt machte. Aber da das Baby nun bald auf die Welt kam, musste sie etwas kürzertreten und konzentrierte sich mehr auf den Bürokram, den sie von zu Hause aus erledigen konnte. Aber ihre wahre Leidenschaft galt dem Backen, und ich wusste, dass sie sich am liebsten so schnell wie möglich wieder in die Arbeit stürzen würde.

»Danke, Noah.«

Als es für Lilyanne Zeit fürs Bett war, verließ ich das Haus, um mit meiner besten Freundin etwas trinken zu gehen.

Als ich am Flips vorfuhr, zitterte ich bereits heftig wegen des bitterkalten Dezemberfrosts, der wie aus dem Nichts gekommen war. Ich suchte den Rücksitz ab, griff nach einer schwarzen Lederjacke und eilte über den Parkplatz.

Dem Türsteher reichte ich meinen Personalausweis, dann drängte ich mich durch die Hipstermeute, um in den hinteren Barbereich zu kommen. Wie erwartet, fand ich Heidi dort. Sie beugte sich gerade über den Billardtisch und machte einem Kerl schöne Augen. Der Typ schien zu denken, dass er bei einem Spiel gegen eine Frau leicht verdientes Geld machen konnte. Seine Kumpel standen um die beiden herum und grinsten von einem Ohr zum anderen, während sie Bud Light tranken. Lubbock war groß genug, dass es dort immer noch genug Idioten gab, denen Heidi das Geld aus der Tasche ziehen konnte. Die Stammgäste machten allerdings einen großen Bogen um sie.

»Em!«, rief Heidi und hüpfte aufgeregt auf und ab, als sie mich sah.

»Hey, Süße«, begrüßte ich sie und zwinkerte ihr zu.

»Jungs, ich muss dieses Spiel leider frühzeitig beenden. Meine beste Freundin ist hier!«

Verwirrt runzelte der Typ die Stirn. Heidi beugte sich vor und versenkte ihre restlichen Kugeln in den Löchern, wobei sie nicht einmal richtig hinschaute. Die Kinnladen des Typs und seiner Kumpel klappten herunter, und ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Ich hatte das schon etliche Male gesehen.

Als Heidi noch ein Kind war, hatte ihrem Vater ein Billardsalon gehört, und ihre Fähigkeiten waren legendär. Ich war mir ziemlich sicher, dass Billard auch der Beginn ihrer Liebesgeschichte mit der Geometrie gewesen war. Sie war an der Tech University ins Bauingenieurswesen gerutscht und arbeitete jetzt bei Wright Construction, der größten Baufirma des Landes. Meiner Meinung nach war das eine Verschwendung ihres Talents, aber ihr gefiel es, die einzige Frau in einer männerdominierten Branche zu sein.

»Du hast uns reingelegt!«, schrie der Typ.

Heidi klimperte unschuldig mit ihren langen Wimpern und sagte grinsend: »Her mit der Kohle!«

Er warf ein paar Zwanziger auf den Billardtisch und stürmte wie ein schlechter Verlierer davon. Heidi zählte die Scheine und stopfte sie in die Gesäßtasche ihrer Destroyed Jeans.

»Emery, Baby«, sagte sie und schlang ihre Arme um meinen Hals. »Ich habe dich so vermisst!«

»Ich hab dich auch vermisst. Bezahlst du?«

Sie lachte, zog einen der Zwanziger aus ihrer Hosentasche und schmiss den Schein auf den Tisch. »Peter, zwei Kurze für mich und Emery!«

Peter nickte mir zu. »Hey, Abschlussballkönigin!«

»Das war Kimber. Nicht ich!«

»Stimmt«, sagte er, als würde er sich dunkel daran erinnern. »Du hast aber einen von den Wright-Brüdern gedated, oder?«

Ich schnaubte. Es war jetzt neuneinhalb Jahre her, seit Landon Wright am Tag der Abschlussfeier mit mir Schluss gemacht hatte, und ich war immer noch das Mädchen, das früher einen der Wrights gedated hatte. Na super.

»Ja«, murrte ich, »ziemlich lange her.«

»Apropos Wright-Brüder …«, sagte Heidi, schob mir einen Tequilashot und eine Limettenscheibe zu und streute sich etwas Salz zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Ach, nee.«

»Sutton Wright heiratet am Samstag.«

»Echt?«, fragte ich überrascht. »Ist sie nicht noch an der Tech?«

Heidi zuckte mit den Achseln. »Sie hat den einen gefunden. Irgendwie scheint sie es ziemlich eilig zu haben. Sie haben sich erst an Halloween verlobt.«

»Eine Mussehe?«, fragte ich.

Was die Wrights anging, wimmelte es nur so von Skandalen. Aber mit Milliarden von Dollars im Hintergrund und null Moralvorstellungen wäre es vermutlich jedem leichtgefallen, in Schwierigkeiten zu geraten. Nur dass die fünf Wright-Geschwister einfach alle übertrafen.

»Ich hab echt keine Ahnung, doch ich gehe mal davon aus. Aber so oder so, wen interessiert’s? Ich lasse mir jedenfalls keine Chance für Freigetränke und eine protzige Angeberparty entgehen.«

»Viel Spaß«, sagte ich trocken.

»Ich nehme dich natürlich mit, du Luder«, erwiderte Heidi.

Sie hob ihr Glas in meine Richtung, und ich beäugte sie misstrauisch, bevor ich nach meinem griff, um mit ihr anzustoßen.

Nachdem ich den Tequila geext und in die Limettenscheibe gebissen hatte, antwortete ich schließlich: »Du weißt aber schon noch, dass ich, was die Wrights angeht, eine Regel habe, oder?«

»Ich weiß, dass du nach der Sache mit Landon von ihnen die Nase voll hast, ja.«

»O nein, du weißt schon, dass es nicht nur etwas mit Landon zu tun hat.«

»Ja, sie sind alle Arschgesichter. Was soll’s? Betrinken wir uns auf ihre Kosten, und machen wir uns über sie lustig.« Verführerisch legte Heidi ihre Hand auf meinen Oberschenkel und zog ihre Augenbrauen mehrmals hoch. »Ich bin da total scharf drauf.«

Ich schnaubte und gab ihr einen Klaps auf den Arm. »Du bist so ein Flittchen.«

»Aber du magst mich. Ich kauf dir ein neues Kleid, und wir werden total viel Spaß haben!«

Ich zuckte mit den Achseln. Was kann es schon schaden? »Na schön. Warum eigentlich nicht?«

2

Jensen

»MEINE SCHWESTER, DIESES KLEINE LUDER, ist schon wieder schwanger, und dieses Mal will sie es behalten«, sagte ich zu niemand Bestimmtem, während ich fachmännisch die rote Fliege an meinem Hals band.

»Ja, das ist dann wohl auch der Grund für die heutige Hochzeit, Jensen«, erwiderte mein Bruder Austin. Seine Fliege hing immer noch lose um seinen Hals, und er war schon bei seinem dritten Glas Whiskey. Mit neunundzwanzig Jahren war er bereits auf dem besten Weg, derjenige zu werden, der unseren Familiennamen in Verruf brachte. Wenn er nicht aufpasste, würde er noch genauso enden wie unser Vater, der bis zu seinem Tod ein verrückter Alkoholiker gewesen war.

»Ich kann’s nicht glauben, dass wir das hier heute tun.«

»Sie ist verliebt, Mann«, sagte Austin.

Er hob sein Glas in meine Richtung und ich kämpfte gegen den Drang an, ihn einen sentimentalen Vollidioten zu nennen.

»Er ist doch nur scharf aufs Geld – das ich ihm wohl oder übel anbieten muss, weil er niemals in der Lage sein wird, für unsere kleine Schwester zu sorgen.« Endlich saß die Fliege ordentlich, und ich drehte mich zu Austin um.

»Gönn dir einen Drink. Du bist zu unentspannt, was die Sache angeht.«

Zornig starrte ich ihn an. Ich musste unentspannt an diesen Scheiß herangehen. Mit erst zweiunddreißig Jahren war ich derjenige, der für die Firma verantwortlich war. Mir war das ganze Geld überschrieben worden und somit auch die Verantwortung, für meine vier jüngeren Geschwister zu sorgen. Wenn mich das unentspannt machte, konnte er mich gerne mal am Arsch lecken.

Aber das sagte ich nicht, sondern ging lediglich durch den Raum und schenkte ihm noch mehr Whiskey nach. »Trink noch einen, Austin. Du erinnerst mich so sehr an Dad.«

»Fick dich, Jensen! Kannst du dich nicht einfach für Sutton freuen?«

»Ja, Jensen«, stimmte ihm Morgan zu, die gerade in den Raum kam. Sie trug ein bodenlanges, rotes Kleid und hatte ihr dunkles Haar hochgesteckt. Ihr Lächeln war unwiderstehlich – wie immer.

Morgan war erst fünfundzwanzig Jahre alt und die Normalste in unserer Familie. Wir hatten zwar alle unsere Probleme, aber Morgan bereitete mir am wenigsten Kummer, weshalb sie auch mein Liebling war.

»Fang du jetzt nicht auch noch an«, sagte ich zu ihr.

»Sutton ist ein eigenständiger Mensch. Das ist sie immer schon gewesen. Sie tut das, was sie will – ganz egal was andere davon halten«, sagte Morgan. Sie griff nach Austins Glas und trank einen kräftigen Schluck. »Erinnerst du dich nicht mehr an die Zeit, in der sie beschlossen hatte, sie sei eine Prinzessin mit Superkräften? Mom konnte sie fast ein ganzes Jahr lang nicht davon überzeugen, ihr Tutu, den Umhang und die Krone abzulegen.«

Bei der Erinnerung musste ich lachen. Sutton war schwierig gewesen. Verdammt, sie war immer noch schwierig! Einundzwanzig und schon so gut wie verheiratet.

»Ja, ich erinnere mich. Und ich wäre glücklicher über diese ganze Sache mit Wie-heißt-er-noch-gleich, wenn er nicht so ein komplett unfähiger Volltrottel wäre«, erwiderte ich.

»Er heißt Maverick«, fiel uns Austin ins Wort. »Und an deiner Stelle würde ich lieber mal den Mund halten, Mann. Schließlich heißt du Jensen.« Er zog meinen Namen in die Länge und betonte die zweite Silbe. »Das ist auch ein verdammt seltsamer Name!«

»Das ist überhaupt kein seltsamer Name. Maverick ist ein Name für Vollidioten. Besonders, weil er sich auch noch so nennen lässt und nicht Mav oder Rick oder so.«

Morgan verdrehte ihre großen, braunen Augen, die sie von unserer Mutter geerbt hatte. »Lasst uns jetzt nicht mehr über dieses Thema reden, okay? Wo steckt Landon überhaupt?«

Wie aufs Stichwort schleppte sich in dem Moment mein jüngerer siebenundzwanzigjähriger Bruder in den Raum. Seine Ehefrau Miranda, die das gleiche Kleid trug wie Morgan, folgte ihm. Meine Augen wanderten zu meiner Schwester. Sie erwiderte den Blick und sagte damit eine Million Dinge, ohne dabei auch nur ein einziges Wort auszusprechen.

»Hey, Landon!«, begrüßte Austin unseren Bruder, als ihm klar wurde, dass sonst keiner etwas sagen würde, weil Miranda ebenfalls hier war.

»Hey«, sagte Landon und setzte sich neben Austin.

Er sah müde aus.

Landon war der Einzige von uns, der nicht in der Firma beschäftigt war. Austin und Morgan arbeiteten beide für mich bei Wright Construction, und Sutton würde mit einsteigen, wenn sie erst einmal das Examen in der Tasche hatte – oder zumindest war das der Plan gewesen, bevor sie schwanger geworden war. Jetzt musste ich vermutlich Maverick an ihrer Stelle einstellen, damit sie sich um das Baby kümmern konnte.

Landon hatte sein Examen in Stanford absolviert – im Gegensatz zum Rest der Familie, denn die Wrights hatten schon immer die Texas Tech besucht, seit der Gründung der Uni in den 1920ern. Doch statt seinen Abschluss in Wirtschaft sinnvoll zu nutzen, hatte Landon das Golfspielen zu seinem Beruf gemacht. Dabei hatte er auch Miranda kennengelernt. Sie waren erst sechs Monate miteinander ausgegangen, als er bereits um ihre Hand angehalten hatte. Genau wie bei Sutton hätten wir alle schwören können, dass Miranda schwanger war und dass sie es nur auf sein Geld abgesehen hatte. Und als sie neun Monate später kein Baby bekam, waren wir alle ganz schön erstaunt gewesen.

Es war eine Sache, eine Frau wie Miranda wegen eines Babys zu heiraten. Man musste sich schließlich um sein Kind kümmern, das stand an erster Stelle. Ganz egal wer die Mutter war. Doch es war eine vollkommen andere, eine Frau wie Miranda zu heiraten, weil man sie gernhatte – oder liebte!

»Welch nettes Wiedersehen«, sagte Miranda. Sie beäugte jeden einzelnen von uns, als wollte sie herausfinden, wie sie noch mehr Geld aus der Wright-Familie herausquetschen konnte. Genauso gut hätten echte Dollarzeichen in ihren Augen aufleuchten können.

»Miranda …«, sagte Austin. Er stand auf und umarmte sie kurz. »Schön, dich zu sehen.«

»Danke, Austin«, kicherte sie.

Austin, der Friedensstifter. Das war einst Landons Aufgabe gewesen, aber damit war es jetzt vorbei. Er war es nicht mehr, seit Miranda – dieses Miststück – ihre Krallen in ihm versenkt hatte.

Als ein Mann, der bereits eine brutale Scheidung hinter sich hatte, konnte ich einfach nicht begreifen, warum Landon sich nicht längst von ihr getrennt hatte. Fünf Minuten zusammen mit Miranda in einem Raum reichten mir bereits, und Morgan flippte dabei sogar regelrecht aus. Ich hasste es, dass Landon immer so aussah, als hätte man ihm gerade unrecht getan.

Ich hatte das alles schon mal durchgemacht. Ich wusste, wie das war und wollte nicht, dass er das Gleiche erlebte. Oder unter den gleichen Konsequenzen leiden musste.

»Husch, husch, Morgan«, trällerte Miranda. »Sutton wird uns und die anderen Brautjungfern bestimmt brauchen.«

»Ganz bestimmt. Warum gehst du nicht schon mal rüber und sagst ihr, dass ich in einer Minute da bin?«, erwiderte Morgan. Sie sprach so langsam und betont, wie sie das normalerweise mit kleinen Kindern tat.

Miranda warf ihr einen giftigen Blick zu. Oder vielleicht war das auch ihr ganz normaler Gesichtsausdruck, ich war mir da nie so sicher.

Dann griff sie nach Landons Arm. »Ich seh dich bei der Zeremonie, Liebling. Kuss?«

Landon hob seinen Kopf, und sie dockte an seinen Lippen an – wie ein Blutegel.

»Ich liebe dich.«

»Ich dich auch«, erwiderte er wie auf Knopfdruck.

Als sie weg war, atmeten wir alle erleichtert auf.

»Gott segne sie«, sagte Morgan mit affektierter Stimme.

»Leute …«, stöhnte Landon. »Lasst das bitte.«

Morgan begann, die Melodie aus Die böse Hexe des Westens zu summen.

»Du wirst ihr nie eine Chance geben, was, Morgan?«, fragte Landon.

»Nein, wahrscheinlich nicht.«

»Wir sind jetzt schon seit zwei Jahren verheiratet.«

»Ich kann’s nicht glauben, dass ihr im Hotel übernachtet«, unterbrach ich die beiden.

Landon zuckte mit den Schultern, griff nach der Whiskeyflasche und schenkte sich ein Glas ein. »Miranda wollte in der Innenstadt bleiben.«

»Und bevor hier jetzt noch der Dritte Weltkrieg ausbricht, weil wir Miranda erwähnt haben …«, fiel ihm Austin ins Wort. »Ich finde, jemand sollte Sutton holen. Wir werden gleich eine stundenlange Fotosession mit achtzehn ihrer engsten Freundinnen durchstehen müssen. Vorher könnten wir doch noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen – nur wir fünf.«

»Ich hab ihr gesagt, dass sie sich auf neun Brautjungfern beschränken muss«, klärte ich ihn auf.

»Und das nennst du eine Beschränkung?«, fragte Morgan verstimmt. »Ich glaube, ich komm nicht mal auf neun Leute, die ich mag.«

»Du warst ja auch nie in einer Studentinnenverbindung«, erinnerte ich sie.

»Ich mag keine Menschen. Ich würde ganz bestimmt nicht für neue Schwestern bezahlen wollen. Sutton übertreibt!«

Austin und Landon lachten, und dieser Klang half mir endlich, mich zu entspannen. Es war schön, alle meine Geschwister wieder unter einem Dach zu haben. Seitdem Sutton an der Uni war und Landon an irgendeinem Strand in Florida lebte, wo er das ganze Jahr über Golf spielen konnte, war es einfach nicht mehr dasselbe. Manche Leute waren der Meinung, die Wright-Geschwister wären … merkwürdig. Sie fanden, dass wir einander viel zu nahestanden, aber das mussten wir auch. Da unsere Eltern nicht mehr lebten, hatten wir nur noch einander.

»Schaust du nach, ob sie schon angezogen ist?«, fragte ich Morgan.

Sie stöhnte. »Das hab ich also davon, das einzige andere Mädchen zu sein.«

Ich hielt ihr die Tür auf. Sie hob ihr Kleid etwas an und stürmte hinaus. Ich wusste, dass sie nicht besonders glücklich darüber war, mehr als zwölf Stunden mit sieben anderen Frauen verbringen zu müssen, die sie weder kannte noch mochte – plus Miranda. Aber ich konnte nichts daran ändern. Der Versuch, Sutton davon zu überzeugen, irgendetwas zu tun, kam der Aufgabe gleich, einen Berg zu versetzen. Körperlich mochte sie zwar klein sein, aber sie hatte es faustdick hinter den Ohren.

Ich nahm Landon die Whiskeyflasche aus der Hand, bevor er und Austin sie noch ganz leer trinken konnten. Die beiden mit Alkohol allein zu lassen garantierte eine Katastrophe. Dann durchwühlte ich meine Tasche nach den Schnapsgläsern, die ich extra mitgenommen hatte. Ich stellte sie gerade auf, als Sutton mit Morgan zurückkam.

»Na, ihr!«, sagte Sutton. Mit federndem Schritt stolzierte sie in den Raum. »Morgan meinte, dass ihr mich hier für irgendetwas Wichtiges braucht.«

Ich hob die Flasche Four Roses Single Barrel Whiskey hoch. »Deine Brüder haben schon versucht, die Flasche ohne dich zu leeren, aber ich dachte mir – wie wär’s mit einem Trinkspruch?«

Enttäuscht ließ sie die Schultern sinken. »Du weißt doch, dass ich nicht darf …«

Ich grinste verschmitzt und schnappte mir eine Flasche Apfelsaft, die ich vorher beiseitegestellt hatte, weil ich wusste, dass sie im Moment keinen Alkohol trinken durfte. »Wie wär’s damit?«

»Ja! Mach mir einen Doppelten«, erwiderte sie.

Ich lachte und schenkte allen ein. Sie war definitiv eine von uns. Suchtmenschen zogen sich durch die Reihen der Wrights. Ich hatte meinen gerechten Anteil an Lastern abbekommen, konnte mich aber glücklich schätzen, dass Alkohol nicht dazugehörte.

»Unnnnd«, Sutton zog das Wort in die Länge, »wo ich dich schon mal hierhabe, Jensen, würde ich dich gerne um einen klitzekleinen Gefallen bitten.«

Ihre ohnehin schon großen blauen Augen wurden noch größer, als wollte sie mich gleich um eine Million Dollar bitten. Jahrelang hatte sie mich so angeschaut. Einmal war es wegen einer großen Geburtstagsparty zu ihrem Sechzehnten gewesen, um es mit dieser TV-Show My Super Sweet Sixteen aufnehmen zu können. Ein anderes Mal wegen einer Reise nach Europa mit ihren ganzen Verbindungsschwestern. Mir fiel beim besten Willen nichts ein, was sie jetzt noch von mir wollen könnte. Innerhalb von sechs Wochen hatten wir ihre Hochzeit organisiert, und sie würde für zwei Wochen nach Cabo fliegen – erste Klasse. Trotzdem war sie enttäuscht, weil ich ihr nicht den Jet geben würde.

»O nein«, murmelte ich. »Was willst du?«

»Schau mal, ich habe gestern Abend mit Maverick geredet, und ich weiß ja, dass er den Ehevertrag schon unterschrieben hat, aber …«

Mein Gesicht war sofort wie versteinert. »Nein!«

»Aber ich hab dich doch noch gar nichts gefragt!«

»Ich weiß, was du fragen willst, und meine Antwort lautet nein.«

»Aber das ist doch total lächerlich, Jensen. Wirklich! Er ist die Liebe meines Lebens. Wir werden für immer zusammenbleiben. Ein Ehevertrag ist lächerlich. Es ist doch ein ganz schlechter Start für eine Ehe, wenn du schon darüber nachdenkst, wie es einmal enden wird, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Was sagt so etwas denn über eine Person aus?«

Morgan, Austin und Landon, die hinter ihr standen, waren verstummt. Sie konnten mir vermutlich die Wut an meinem Gesicht ablesen. Ich wollte Sutton nicht an ihrem Hochzeitstag herunterputzen, aber ich stand ganz kurz davor.

»Du bist ein kleines Vermögen wert, Sutton. Und mir ist es scheißegal, wen du heiratest. Du bekommst einen Ehevertrag, um dich abzusichern – für den Fall, dass irgendetwas passiert! Indem du an die Zukunft denkst, verhinderst du vielleicht, dass man dich hinters Licht führt. Ganz egal wie sehr dich jemand jetzt liebt.«

»Aber Jensen …«, begann Sutton in einem erneuten Versuch, mich zu überzeugen.

»Sutton!«, fiel ihr Austin nun ins Wort, »Willst du das wirklich? Jensen und Landon hatten auch beide einen Ehevertrag. Ohne so einen heiratet niemand einen Wright!«

»Stimmt«, sagte ich und dankte meinem Bruder Austin im Stillen für seine Unterstützung.

»Und außerdem bist du erst einundzwanzig«, mischte sich nun auch Morgan ein. »Wer weiß denn heute schon, was noch alles passieren kann?«

»Oh, wow. Danke, Morgan«, knurrte Sutton.

»Ich habe damit nicht gemeint, dass Maverick nicht der eine ist«, entgegnete Morgan und malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Ich meine damit nur, dass Jensen auch niemals gedacht hätte, dass er sich eines Tages von Vanessa scheiden lassen würde, und schau, was passiert ist.«

Ich biss die Zähne zusammen, als der Name meiner Exfrau fiel. Vanessa Hendricks gehörte normalerweise nicht zu den Namen, die in einer höflichen Unterhaltung fielen. Aber natürlich war sie ein abschreckendes Beispiel dafür, warum ein Ehevertrag so überaus wichtig war.

»Falls Maverick wirklich den Ehevertrag abzulehnen gedenkt, kann ich mich gerne mal mit ihm unterhalten«, sagte ich mit hochgezogenen Augenbrauen zu Sutton.

Sie verdrehte die Augen. »So dumm bin ich nicht. Du würdest ihn halb zu Tode erschrecken.«

»Na ja, wenn er dich nur deines Geldes wegen will, dann hätte er es auch verdient.«

»Okay. Schon kapiert. Ich dachte nur, ich spreche es mal an. Maverick und ich haben uns lange darüber unterhalten.«

»Das glaub ich dir gern«, murmelte Landon vor sich hin.

»Wie auch immer … Shots!«, schrie Sutton plötzlich.

Ich verteilte Whiskeyshots an Austin, Landon und Morgan und reichte Sutton ihren Apfelsaft.

Ich hob mein Glas. »Auf Sutton, auf den glücklichsten Tag in ihrem Leben und auf viele weitere fantastische Jahre.«

Wir alle exten unsere Getränke. Der Whiskey brannte in meiner Kehle, aber ich grinste meine Geschwister an.

Die Welt war in Ordnung, wenn wir alle zusammen waren. Ganz egal welchen Herausforderungen wir uns stellen mussten, wir hatten zumindest einander.

3

Emery

»HEIDI, WAS MACHST DU DA eigentlich mit meinen Haaren?«, fragte ich.

Hinter mir begann Heidi hysterisch zu lachen. »Ich sorge dafür, dass du vorzeigbar aussiehst, Em. Warte es einfach ab. Es wird super aussehen.«

Sie fädelte ein paar weitere Strähnen meines Haars in diesen verrückten Zopf.

Ich war überzeugt, dass Heidi mich für die coolen Leute sitzen gelassen hätte, wären wir nicht schon seit dem Kindergarten beste Freundinnen und würde ich nicht all ihre tiefen, dunklen Geheimnisse kennen. Trotz ihrer Faszination für Geometrie, ihrer stets schwarzen Kleidung und ihren Billardkünsten war sie ein Cheerleadertyp und davon besessen, beliebt zu sein.

Meine Schwester Kimber war früher ein typisches Girlie gewesen – Ballkönigin ihres Jahrgangs und zur Hübschesten der Schule gewählt. Das ganze Programm.

Aber ich war anders. Auch wenn ich nie Probleme gehabt hatte, Jungs kennenzulernen, war ich doch auch keine typische Teenagerin gewesen. In meinem ersten Highschool-Jahr hatte ich Fußball gespielt, in der Stadt Runden mit dem Skateboard um meine männlichen Kumpel gedreht und war zu dem Schluss gekommen, dass es mein Traumjob wäre, Vampirjägerin zu werden.

Damals hatte Landon Wright meine Freundschaft mit Heidi ganz schön auf die Probe gestellt. Warum sollte der Star-Quarterback Interesse an dem einzelgängerischen, burschikosen Mädchen haben? Ich hatte es genauso wenig verstanden wie Heidi.

Ich schloss die Augen und schob diese Gedanken ganz weit weg. Der einzige Grund, warum ich jetzt an Landon dachte, war der, dass ich wusste, dass er heute Nachmittag auch auf der Hochzeit auftauchen würde. Ich hatte schon lange nicht mehr an ihn gedacht und ihn noch länger nicht gesehen.

»Ich verspreche dir hoch und heilig, dass es nett werden wird«, versicherte mir Heidi.

»Weiß ich doch. Ich vertraue dir«, erwiderte ich. »Ich kann’s nur nicht glauben, dass du mich tatsächlich dazu überredet hast, mit dir zu dieser Hochzeit zu gehen. Wird das so etwas wie ein Highschool-Wiedersehenstreffen? Ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin.«

»Das wird kein Highschool-Wiedersehenstreffen«, versicherte mir Heidi. »Ich bin eingeladen worden, weil ich für die Wrights arbeite. Die Hälfte der Firma ist eingeladen. Es wird eine große Hochzeit. Ich bezweifle, dass du ihm überhaupt über den Weg läufst.«

»Ich mache mir keine Sorgen, Landon über den Weg zu laufen. Außerdem ist es schon fast zehn Jahre her, seit es zwischen uns aus ist«, entgegnete ich.

»Und ist er nicht sowieso verheiratet?«, fragte Heidi.

Sie zog an meinem Haar, und ich zuckte zusammen.

»Ich folge ihm nicht. Du weißt vermutlich mehr über ihn als ich.« Ich starrte Heidi im Spiegel an. »Hör auf, mich so anzugucken! Weißt du eigentlich, wie viele Typen ich nach Landon gedatet habe? Nein, weißt du nicht. Weil ich mich nicht einmal selbst daran erinnern kann, aber es waren viele. Und im Moment sitze ich hier, weil ich Probleme mit einem Kerl hatte.«

»Ich kenn dich und Landon eben«, erwiderte Heidi verträumt. »Das perfekte Highschool-Pärchen. Das Einzige, worin du Kimber geschlagen hast. Du und Landon seid sogar zum Besten Paar im Jahrbuch gewählt worden.«

Ich verdrehte die Augen. »Hör auf, in Erinnerungen zu schwelgen, was die Highschool angeht, oder ich übergebe mich noch.«

»Ihr wart ja so süß …«, fügte Heidi noch hinzu.

»Wenn du auch nur eine Minute lang glaubst, dass zwischen uns irgendetwas auf dieser Hochzeit passiert, dann hast du komplett den Verstand verloren. Er ist nicht nur verheiratet, sondern wird auch mit seiner Ehefrau dort auftauchen. Und ab heute schwöre ich der Männerwelt sowieso ganz offiziell ab.«

Heidi lachte. »Ja, alles klar, Em«, sagte sie. »Du bist doch total verrückt nach Jungs, das bist du immer schon gewesen. Selbst damals, als du noch unser kleines Skatermädchen warst.«

»Hör zu, Mitch hat mich verarscht, indem er mir die große Liebe vorgegaukelt hat. Er war eben fünfzehn Jahre älter als ich und ein absoluter Frauenheld. Ich bin mir fast sicher, dass er mit einer Bachelor-Studentin geschlafen hat. Ich meine … wie schlecht muss mein Urteilsvermögen denn sein, dass ich bei so jemandem gelandet bin? Ich denke, ich sollte lieber eine gewisse Zeit Single bleiben.«

»Na schön«, sagte Heidi kopfschüttelnd. Ihr blondes Haar schwang dabei hin und her. Es reichte ihr in Wahnsinnswellen, die sie irgendwie hingekriegt hatte, bis zur Mitte ihres Rückens.

»Dann gibt’s heute Abend eben mehr für mich.«

»Du kannst sie alle haben.«

Heidi trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk. Dann griff sie nach meinen Stirnfransen und setzte noch einmal den Lockenstab an. »So. Wie findest du es?«

Ich schaute in den Spiegel und erkannte mich kaum wieder. Auch wenn man mich mittlerweile nicht mehr als burschikos bezeichnen konnte, neigte ich doch dazu, immer mal wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, wenn es mir nicht so gut ging, was im Klartext hieß: ungeschminktes Gesicht und unordentlicher Haarknoten. Aber Heidi hatte mein Gesicht aufpoliert wie einen alten Film. Mein Make-up war makellos, und der schimmernde Lidschatten brachte das Grün meiner Augen gut zur Geltung. Mein dunkles Haar war auf meinem Kopf zu einer Art Krone geflochten, die zur Seite in einen tief sitzenden, lockigen Pferdeschwanz floss.

»Du bist wirklich talentiert«, lobte ich sie. »Du hast es geschafft, mich wieder wie ein menschliches Wesen aussehen zu lassen.«

»Jetzt geh und zieh dir dein Kleid an«, erwiderte Heidi. »Ich kann’s kaum erwarten, alles zusammen zu sehen.«

»Okay, okay. Ich geh ja schon.«

Ich zog mir das Kleid an, das Heidi für mich in einer Boutique in der Innenstadt ausgesucht hatte.

Als ich aus dem begehbaren Schrank trat, ließ Heidi einen Pfiff ertönen.

»Sei nicht albern.«

Aber ich mochte das Kleid. Auf Suttons Hochzeit gab es einen Dresscode, und es war schwierig genug gewesen, ein Kleid zu finden, das mir gefiel. Ganz zu schweigen davon, ein bodenlanges. Doch Heidi hatte es irgendwie geschafft. Das Kleid war schwarz und schimmerte golden, was meine Figur gut zur Geltung brachte, wenn ich mich bewegte. Das i-Tüpfelchen des ganzen Outfits waren die süßen Peeptoes. Der Vorteil einer Winterhochzeit in Texas war der, dass wir mit etwas Glück tagsüber sogar die zwanzig Grad überschreiten konnten, allerdings war das Wetter zurzeit ziemlich unberechenbar.

»In diesem Kleid wirst du so was von flachgelegt werden«, sagte Heidi.

Dramatisch verdrehte ich die Augen. »Keine Jungs. Das hier ist Sperrzone.«

»Heute Nacht wirst du das nicht mehr sagen, wenn du erst gevögelt wirst. Mehr sage ich nicht dazu«, meinte Heidi. »Hoffentlich von Landon Wright. Dann würde sich der Kreis schließen.«

»Denk nicht mal daran. Falls ich ihn sehen sollte, werde ich in die entgegengesetzte Richtung laufen«, erwiderte ich.

Heidi grinste, als würde sie über einen nur ihr bekannten Witz lachen.

»Okay, okay«, sagte sie, als ihr mein Blick auffiel. »Keine Jungs. Ich hab’s kapiert. Falls Landon sich dir nähern sollte, werde ich ihn ablenken. Ich hab immer noch ein paar Cheerleading-Elemente drauf.«

Sie warf ihr Bein in die Luft und berührte dabei fast ihre Nasenspitze. Dann wirbelte sie in einer Tanzbewegung herum, die ziemlich kompliziert aussah. Es war mir ein Rätsel, wie sie dermaßen gelenkig sein konnte.

»O mein Gott, wenn du das in deinem Kleid machst, wirst du mehr als nur ein Ablenkungsmanöver für Landon sein. Du wirst dein Kleid entzweireißen – vor den Augen der gesamten Party.«

Heidi lachte und zuckte mit den Achseln. »Ich werde mich jetzt mal umziehen, und dann können wir los.«

Ein paar Minuten später kam sie in einem bodenlangen Meerjungfrauenkleid im tiefsten, dunkelsten Violett wieder zurück. Sie tänzelte zu mir herüber und zwinkerte mir zu. »Komm schon, sexy Lady. Heute Nacht bist du mein Date. Lass uns Kimber bitten, von uns ein Foto zu schießen!«

Wir eilten in Kimbers Schlafzimmer, und meine Schwester erklärte sich bereit, das Foto zu machen. Heidi reichte Kimber ihr Telefon. Dann warf sie eine Hand in die Luft und legte die andere auf ihre Hüfte, während sie einen Schmollmund machte. Ich zeigte mit dem Finger auf die Kamera, während ich Heidi einen Kuss auf die Wange gab. Als wir anschließend das Bild sahen, mussten wir alle kichern. Es war das albernste Foto überhaupt, aber es hätte uns nicht besser treffen können.

»Das posten wir auf Instagram – aber so was von! Verdammt, ist das gut, dich wieder hierzuhaben«, sagte Heidi zu mir.

»Benutz einen Filter«, bat ich sie nachdrücklich.

»Die Gesichtsrenovierung von eben kommt doch schon einem Filter gleich«, meinte Kimber und wies auf das ganze Make-up auf meinem Gesicht. »Du brauchst keinen Filter.«

»Mein Leben braucht einen Filter«, murmelte Heidi.

Dann postete sie das Bild und schnappte sich ihre Clutch. Sie stopfte ihr Telefon und ihren Personalausweis hinein. Weil ich es generell hasste, eine Handtasche mit mir herumzuschleppen – besonders, wenn ich irgendwie auch noch ein Kleid und hochhackige Schuhe handeln musste –, gab ich Heidi mein Telefon und meinen Personalausweis. Sie verdrehte zwar die Augen, packte aber meine Sachen trotzdem in ihre Handtasche.

»Macht es dir auch wirklich nichts aus, uns hinzubringen, Kimber?«, fragte ich meine Schwester.

»Kein Problem. Aber ich will hinterher alles über eure Eskapaden hören.«

»Ich werde dir live twittern«, versprach Heidi.

»O mein Gott, du wirst ja wohl nicht die ganze Nacht an deinem Telefon hängen«, erwiderte Kimber. »Ihr sollt euch amüsieren! Betrinkt euch und benehmt euch daneben.«

»Abgemacht und abgemacht«, sagte Heidi mit einem Augenzwinkern. »Lass uns jetzt mal los.«

Wir stiegen in Kimbers Wagen. Der Verkehr beim Historic Baker Building – ein Veranstaltungsort in der Innenstadt von Lubbock – war furchtbar. Und das sagte schon etwas aus, da es sonst nur an den Spieletagen der Texas Tech so schlimm war.

»Wie viele Leute hat Sutton eigentlich eingeladen?«, fragte ich und reckte meinen Kopf aus dem Fenster.

»So wie es aussieht, jeden, der ihr jemals über den Weg gelaufen ist«, erwiderte Heidi.

»Oder die ganze Stadt«, brummte ich.

»Vielleicht sollten wir einfach hier aussteigen«, schlug Heidi vor.

»Passt gut auf euch auf«, sagte Kimber. »Und nehmt ein paar Kondome mit.«

Heidi verdrehte die Augen.

Ich lachte, während ich aus dem Geländewagen sprang. »Danke, Kimber.«

»Tschüss, Süße!«, rief Heidi, die mir folgte.

Sie knallte die Autotür zu, und wir flitzten durch den Verkehr auf den Bürgersteig auf der anderen Straßenseite. Das Baker Buildung lag ein oder zwei Häuserblocks weiter die Straße runter, und ich verfluchte jetzt schon meine hochhackigen Schuhe. Im Laden hatten sie so bezaubernd ausgesehen. Doch jetzt waren sie kleine Folterinstrumente.

Wer hatte sich so etwas bitte ausgedacht?

Männer.

Männer hatten sich das natürlich ausgedacht, um uns zu quälen und unsere Hintern fantastisch aussehen zu lassen.

Zum Glück sah mein Hintern wirklich fantastisch aus, anderenfalls hätte ich die Schuhe schon längst wieder ausgezogen.

»Hör auf, so zu humpeln«, sagte Heidi und stolzierte in ihren Heels herum, als wären sie extra für sie angefertigt worden.

»Ich humple überhaupt nicht. Ich glaube nur nicht, dass ich sie die ganze Nacht über tragen kann.«

»Wir ziehen sie aus, sobald wir auf der Hochzeitsparty sind. Aber jetzt brauchst du sie noch, um was zu sehen.«

Ich gab ihr einen Klaps auf den Arm. »So klein bin ich nun auch wieder nicht! Ich kann auch ohne hohe Absätze ganz gut sehen. Du bist einfach nur verdammt groß.«

»Na ja, wir können schließlich nicht beide perfekt sein, Em.«

»O mein Gott, warum bist du noch mal meine beste Freundin?«, fragte ich sie.

»Da bin ich überfragt«, erwiderte sie kichernd. Dann hakte sie sich bei mir unter, und wir gingen auf den Eingang des Baker Buildings zu.

Drinnen war es bereits brechend voll. Am Eingang begleitete ein Dutzend Platzanweiser die Leute zu ihren Sitzen, während andere herumstanden und warteten, dass sie an der Reihe waren. Innerhalb einer Minute erkannte ich ungefähr zehn Leute wieder und drehte mich langsam und unauffällig so hin, dass ich mit niemandem reden musste.

Schließlich waren wir an der Reihe, und Heidi und ich schnappten uns einen der Platzanweiser.

»Braut oder Bräutigam?«, fragte uns der junge Mann. Er hatte eisblaue Augen und einen sehr schleppenden Südstaatenakzent. Vermutlich gehörte er einer Studentenverbindung an der Tech an und war zu diesem Job überredet worden, indem man ihm kostenlosen Alkohol versprochen hatte.

»Braut«, antwortete Heidi. »Wir sind Freundinnen der Braut.«

»Cool. Woher kennt ihr Sutton?«, fragte der junge Mann, während er uns – Heidi und ich hatten uns untergehakt – den Gang entlangführte.

»Wir sind zusammen aufgewachsen«, antwortete Heidi.

Als ich meine Augenbrauen hochzog, zuckte sie nur mit den Schultern.

»Freunde der Familie. Schon kapiert.«

Er brachte uns zur dritten Reihe, und ich spürte Panik in mir aufsteigen. Warum saßen wir so nah bei der Familie? Konnte er uns denn keine anderen Plätze geben? Ich wollte nicht so nah bei den Wrights sitzen. Schließlich war ich nur wegen der Freigetränke hier und weil man mir versprochen hatte, dass es lustig werden würde.

»Freunde der Familie sitzen vorne«, erklärte uns der Platzanweiser lächelnd und gab uns ein Zeichen, dass wir uns setzen sollten.

Heidi schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und setzte sich auf den zweiten Platz vom Gang aus.

»Du lässt mich außen sitzen?«, zischte ich ihr zu.

»Ja. Setz dich auf deinen Hintern.«

»Das gehörte nicht zu unserer Abmachung, Martin«, fauchte ich sie an, während ich mich setzte.

»Ohhh, du redest mich mit Nachnamen an. Jetzt hab ich aber Angst.«

»Dafür schuldest du mir was.«

»Genieß es einfach, Em. In ungefähr fünfzehn Minuten ist es vorbei, und wir können uns die ganze Nacht umsonst volllaufen lassen.«

»Richtig. Die Prioritäten …«, murmelte ich genau in dem Moment, als die Türen hinter uns ins Schloss fielen.

Als alle Gäste Platz genommen hatten, wanderte mein Blick durch den Raum. Er war aufwendig mit Blumen dekoriert, die an den Stühlen befestigt waren, und den ganzen vorderen Bereich schmückten schimmernde Vorhänge. Auf der Galerie im ersten Stock waren weiße Lichter angebracht worden, die ihr Licht auf die Anwesenden warfen.

Leise begann ein Streichquartett klassische Musik zu spielen, und die Lichter wurden gedimmt. Ich schaute genau in dem Moment wieder nach vorn, als der Pastor zusammen mit dem Bräutigam und seinen Brautführern aus einem Hinterzimmer trat.

Meine Augen scannten die Menschenreihe. Neun. Er hatte neun Trauzeugen. Heilige Scheiße!

Es waren so viele, dass sie sich in zwei Reihen aufstellen mussten.

Die letzten drei Männer in der Schlange stachen aus der Gruppe heraus und sahen einfach umwerfend aus.

Die Wright-Brüder: Jensen, Austin und zu guter Letzt Landon. Die Feier konnte beginnen.

4

Emery

ENTSCHLOSSEN WENDETE ICH meine Aufmerksamkeit von den Brüdern vor mir ab. Ich wollte ohnehin keinen von ihnen anschauen. Zu meinem Glück setzten sich die Brautjungfern in dem Moment in Bewegung und schritten den Gang hinunter. Und dann wurde der traditionelle Kanon in D-Dur gespielt. Wir standen alle auf, und Sutton schritt den Gang herunter. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie erst ungefähr zwölf gewesen war, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Und ich fand es schockierend, wie ähnlich sie heute, als Erwachsene, Landon sah.

Sie sahen alle ziemlich gleich aus: dunkle Haare, Schmollmund, athletische Figur. Obwohl alle natürlich ihre Eigenheiten hatten. Doch diese Unterschiede waren nicht auffällig genug – jeder konnte sehen, dass sie miteinander verwandt waren.

Heidi lehnte sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Ich wette zehn Mäuse, dass sie heult.«

»Sie ist schwanger. Natürlich heult sie«, murmelte ich zurück.

Ich versuchte, mir das Lachen zu verkneifen, als Sutton den vorderen Bereich des Raums erreichte und sofort in Tränen ausbrach. Ihr zukünftiger Mann nahm ihre Hände in seine und grinste sie an.

Der Pastor hob die Hände und sagte: »Setzen Sie sich bitte.«

Ich ließ mich auf meinen Sitz fallen und wartete darauf, dass das Ganze endlich vorbei war.

»Wir haben uns heute hier versammelt, weil Sutton Marie Wright und Maverick Wayne Johnson den Bund der Ehe eingehen wollen.«

Meine Augen wurden immer größer, und ich blickte zu Heidi rüber. Wir führten ein ganzes Gespräch, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sagen.

Maverick Wayne.

Maverick?

So heißt er?

Ach, du heilige Scheiße.

Ja.

Ja.

Ihr muss es um das »Johnson« gehen.

Ich lachte mich kaputt, was ich mit einem Husten überspielen musste, da sich bereits ein paar Leute nach mir umdrehten und mich wütend anstarrten. Heidi versuchte ihr eigenes Lachen zu vertuschen, indem sie nach ihrer Handtasche griff und nach ihrem Telefon kramte. Der Rest der Zeremonie verlief genauso wie jede andere Hochzeit auch, auf der ich bis jetzt gewesen war. War man auf einer gewesen, kannte man alle.

Bla bla bla.

»Ich will.«

Bla bla bla.

»Bis dass der Tod uns scheidet.«

Bla bla bla.

»Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«

Ordnungsgemäß klatschte ich mit den anderen Gästen mit und betete im Stillen, dass es später auch wirklich guten Champagner geben würde, um das hier wiedergutzumachen. Champagner machte alles wieder gut.

Die Musik setzte erneut ein. Die fünfzehn Minuten im Rampenlicht waren vorbei. Weiter ging’s mit wichtigeren und schöneren Dingen. Wie zum Beispiel einer Bar mit unbegrenztem Ausschank von Freigetränken und einem Tisch voller Desserts.

Maverick griff nach Suttons Hand, und beide schritten den Gang hinunter – sie strahlten dabei wie Straßenlaternen. Die Brautjungfern folgten ihnen. Jede trug ein langes, seidenes rotes Kleid und hatte sich bei einem der Brautführer untergehakt. Mit neun Leuten auf jeder Seite des Brautpaares dauerte es eine Ewigkeit. Einer folgte dem anderen, es nahm kein Ende.

Die einzige Brautjungfer, die ich wiedererkannte, war Morgan, die gleichzeitig auch die Trauzeugin war. Sie war nur zwei Jahre jünger als ich und Heidi und hatte – wie hätte es auch anders sein sollen – zu den beliebten Schülern gehört. Es war nicht schwer, sie wiederzuerkennen, weil sie noch genauso aussah wie damals in der Highschool. Zu ihrem Pech ging sie am Arm eines anzüglich grinsenden Verbindungsbruders. Die anderen Frauen mussten wohl Suttons Verbindungsschwestern sein, folgerte ich.

Dann kamen endlich die Wright-Brüder.

Jensen war der erste. Er bot seinen Arm einer Frau an, die rot anlief wie eine Tomate. Sie hakte sich bei ihm unter, und ich gab mir die allergrößte Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. Mir war es einmal ähnlich gegangen. Ich wusste, wie das war. Damals hatte Landon mich dieses schwärmerische, außerordentlich gute, überwältigende Gefühl spüren lassen, das damit einherging, dass einer der Wright-Brüder sich für dich interessierte. Und ich war ja auch eigentlich nicht dieser Typ Frau. Jetzt fühlte es sich total albern an. Mit Geld konnte man Glück nicht kaufen, und es brachte die Dinge ganz sicher nicht wieder in Ordnung, wenn der Kerl dir dein Herz brach.

Ich war so sehr in meine Gedanken versunken, dass ich nicht merkte, dass ich ihn anstarrte. Ihn, Jensen Wright. Und er starrte zurück.

Warum? Warum, o mein Gott, hatte Heidi mich außen sitzen lassen? Und warum schaute mich Jensen so an?

Er hatte sich bislang noch nicht einmal in Bewegung gesetzt. Er stand einfach da und starrte mich mit diesen dunkelbraunen Augen an. Und ich hatte keine Ahnung, was er dachte oder was das sollte. Nur dass er sich gerade total zum Deppen machte, weil er eigentlich jetzt losgehen müsste. Und zwar genau in diesem verdammten Augenblick.

Doch dann mussten die Synapsen in seinem Hirn wohl wieder losgefeuert haben, weil er langsam mit dem Mädchen an seinem Arm vorwärtsschritt. Und genau in dem Moment, als ich dachte, diesen Blick und sein penetrantes Anstarren überlebt zu haben, drehte er sich noch einmal um. Und sah mich noch einmal an. Genau dort, vor allen Hochzeitsgästen, drehte er sich noch einmal um und schaute mir direkt in die Augen.

In was für einer Welt lebe ich eigentlich?

Ich atmete vermutlich erst wieder normal, als er wieder wegschaute und weiter den Gang entlangschritt. Inzwischen war auch Austin an mir vorübergegangen, und ich hatte nicht einmal die Chance gehabt, Landon und seine Frau zu sehen. Und das war eigentlich das Einzige gewesen, das mich interessiert hatte.

Na wenn schon? Ich war eine Exfreundin. Ich hatte jedes Recht dieser Welt, mir seine Ehefrau mal genauer anzuschauen, um zu sehen, ob sie hübscher war als ich.

Heidi schüttelte mich an der Schulter, was mich wieder in die Realität zurückbrachte. »Hat dich Jensen Wright da gerade allein mit seinem Blick flachgelegt?«, fragte sie atemlos.

Eine ältere Frau, die vor uns saß, drehte sich um und starrte sie wegen ihrer Ausdrucksweise an. Heidi hatte ja auch nicht gerade leise gesprochen.

»Nein. Nee. Nein, hat er nicht!«, antwortete ich. Ich versuchte immer noch herauszufinden, was da gerade zwischen uns passiert war. Weil nichts von dem, was mir in den Kopf schoss, einen Sinn ergab.

»Das hat er sehr wohl. Aber so was von!«, sagte Heidi voller Überzeugung.

Die Leute in den zwei Reihen vor uns setzten sich zuerst in Bewegung, dann schob mich Heidi aus dem Gang und flüsterte mir dabei die ganze Zeit ins Ohr, wie begeistert sie war. »Erinnerst du dich noch daran, wie sehr du ihn während der Highschool-Zeit angehimmelt hast? Er war halt dieser heiße College-Typ. Ein total unerreichbarer Gott. Wie Zeus auf dem Olymp. Vielleicht wollten wir ja auch nur mal an seinen Blitzstrahl, wenn du verstehst, was ich meine.«

»O mein Gott, Heidi, du bist echt peinlich!«

»Em, denk doch nur mal an Jensen, als wir noch zur Highschool gegangen sind. Er sah so gut aus, er hätte in jeder Zeitschrift posieren können.«

»Ich habe seinen Bruder gedated!«

»Aber davor«, sagte Heidi nachdrücklich.

»Okay. Möglicherweise erinnere ich mich daran, ein- oder zweimal bei dir gewesen zu sein und dass …«

»Oder zehnmal!«

»Wir darüber gesprochen haben, dass er heiß ist.«

»Ja. Und er hat sich von heiß zu so was von einem verdammt gut abgelagerten Wein entwickelt. Der wird mit den Jahren nun mal immer besser, Süße«, sagte Heidi und stieß mit ihrer Hüfte gegen meine.

»Schlägst du mir gerade etwa allen Ernstes vor, dass ich was mit Jensen Wright anfangen soll, und das auch noch auf der Hochzeit seiner Schwester, und obwohl ich mal mit seinem Bruder zusammen war?!«, fragte ich ungläubig mit weit aufgerissenen Augen.

Heidi lachte. »Jetzt bist du aber ein bisschen vorschnell, oder nicht? Ich habe nichts davon gesagt, dass du was mit ihm anfangen sollst. Das hast du gesagt. Denkst du etwa darüber nach?«

»Nein«, fauchte ich.

Weil, nein. Jetzt mal im Ernst. Das würde nie passieren.

Ich hatte den Wright-Brüdern abgeschworen. Nichts davon würde jemals passieren. Auf gar keinen Fall! Jensen hatte wahrscheinlich nur … einen Käfer oder so was auf meiner Schulter entdeckt. Das musste es gewesen sein, denn sein Interesse würde keinen Sinn ergeben.

Schließlich war ich die Ex seines Bruders.

Ich war … ich.

Ein paar Minuten später traten wir in den Empfangsbereich. Dort wimmelte es nur so von Servicekräften in gebügelten Smokings, die mit Silbertabletts mit Horsd’œuvres herumliefen. Ich nahm mir ein raffiniert aussehendes Krabbenküchlein von einem vorbeikommenden Kellner und marschierte direkt zur Bar.

»Champagner, bitte«, sagte Heidi und warf dem Barkeeper ein strahlendes Lächeln zu.

Ich hielt zwei Finger hoch, während ich von dem Krabbenküchlein abbiss. Heilige Scheiße, das war ja richtig lecker. Wow! Wer zur Hölle war der Caterer? Ich blickte mich um und hatte auch schon meine Antwort. West Table. Natürlich. Nur die Wrights würden das teuerste Restaurant der Stadt für das Catering anheuern.

»Wir brauchen mehr hiervon«, sagte ich zu Heidi, als sie mir zwei Gläser Champagner reichte.

Es war mir noch nicht einmal peinlich, mit zwei Getränken gleichzeitig dazustehen.

Heidi lachte und sagte, während sie in die Richtung der Tische nickte: »Sehen wir erst mal, wo wir sitzen.«

Wir gingen zu dem Tisch mit der Namensliste, die mit großem Aufwand an einem rustikal aussehenden Fenster befestigt war.

Heidi zupfte ihr Namensschild von der alten Wäscheklammer. »Wir sitzen an Tisch zwölf. Meine Glückszahl.«

»Das ist sie doch nur, weil Brandon McCain während der ganzen Highschool-Zeit diese Nummer beim Footballteam hatte.«

»Okay, okay«, sagte Heidi achselzuckend. »Dann ist es eben meine Popp-Nummer.«

Ich schnaubte. »Na toll.«

»So, da wären wir.« Sie ließ ihre Handtasche direkt vor ihr Namensschild fallen. »Heidi Martin und Gast. Das bist du.«

»Wer sitzt denn sonst noch bei uns am Tisch?«, fragte ich.

Heidi und ich ließen unsere Blicke über die anderen Namensschilder schweifen.

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich kenne niemanden dieser Leute.«