Thekla, oder die Flucht nach der Türkei - August Schrader - E-Book
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Thekla, oder die Flucht nach der Türkei E-Book

August Schrader

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Beschreibung

In 'Thekla, oder die Flucht nach der Türkei' nimmt uns der Autor August Schrader mit auf eine faszinierende Reise in das 19. Jahrhundert. Das Buch erzählt die bewegende Geschichte der jungen Thekla, die aus einer unglücklichen Ehe flieht und in den Wirren der Napoleonischen Kriege in die Türkei entkommt. Schrader's Schreibstil ist gekennzeichnet durch seine detailreiche Beschreibung der historischen Ereignisse und die feinen Charakterstudien seiner Figuren. Das Werk zeigt deutlich Schrader's Interesse an der Erforschung der menschlichen Psyche und der politischen Verhältnisse seiner Zeit. 'Thekla, oder die Flucht nach der Türkei' ist ein Meisterwerk des historischen Romans und ein eindrucksvolles Beispiel für Schrader's literarisches Talent. August Schrader war ein Historiker und Schriftsteller, der sich intensiv mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts auseinandersetzte. Seine akribische Recherche und sein tiefes Verständnis für die historischen Umstände prägen sein Werk und finden sich auch in 'Thekla, oder die Flucht nach der Türkei' wieder. Schrader's eigene politische Überzeugungen und sein Engagement für die Rechte der Frauen spiegeln sich in der Figur der Thekla wider und verleihen dem Buch eine zusätzliche Dimension. Für Liebhaber historischer Romane und anspruchsvoller Literatur ist 'Thekla, oder die Flucht nach der Türkei' von August Schrader ein absolutes Muss. Mit seiner meisterhaften Darstellung der turbulenten Ereignisse des 19. Jahrhunderts und seiner tiefgründigen Charaktere bietet das Buch eine fesselnde Lektüre, die den Leser bis zur letzten Seite in den Bann zieht.

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August Schrader

Thekla, oder die Flucht nach der Türkei

Novellen
 
EAN 8596547069669
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

1.
2.
3.
4.
5.
Das rothe Band oder die Civilehe.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Zu spät!
1.
2.
3.
4.

1.

Inhaltsverzeichnis

In einer der lebhaftesten Straßen Semlin's prangte an einem freundlichen einstöckigen Wohnhause ein blaues Schild, auf welchem mit großen goldenen Buchstaben die Worte standen »Löwen-Apotheke.« Neben der großen Glasthür, die in das Innere des Hauses führte, stand auf einem weißen Piedestal von Holz die Illustration zu dem Texte im blauen Schilde, nämlich ein kleiner gelber Löwe mit einer Krone, der in seinen Vordertatzen ein dunkelrothes Herz hielt, auf welchem abermals das Wort »Apotheke« in Goldbuchstaben zu lesen war.

Das Erdgeschoß dieses Hauses enthielt außer dem Verkaufslocale und dem Laboratorium noch die Wohnzimmer des Besitzers, deren freundliche mit feinen weißen Gardinen geschmückten Fenster einen scharfen Contrast gegen die dunkeln, unfreundlichen Nachbarhäuser bildeten, die fast alle von Handwerkern und Krämern bewohnt wurden.

Das erste und einzige Stockwerk, obgleich es nur von einem jungen unverheiratheten Advokaten bewohnt ward, stand an Eleganz und Sauberkeit dem Erdgeschosse nicht nach, es zeichnete sich vielmehr durch einen Flor ausgewählter Blumen in den reinlichen Fensterbrüstungen vor demselben aus.

Der Besitzer dieser Niederlage von Heilmitteln war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren und nannte sich Istvan Czabo. Sein Haupthaar war bereits stark ergraut, aber die Lebendigkeit seiner Bewegungen, das Feuer der großen Augen und die mäßige Korpulenz seiner hochgewachsenen Gestalt schienen einem kräftigen Manne von vierzig Jahren anzugehören.

Herr Czabo war seit längerer Zeit schon Wittwer, seine Lebensgefährtin hatte vor zehn Jahren die Cholera hinweggerafft, die damals mit großer Gewalt in der armen Stadt gehaus't. Netti, seine einzige Tochter, zählte bei dem Tode der Mutter nur erst elf Jahre, so daß in ihr eine Stütze für die Wirthschaft nicht zu finden war; der betrübte Wittwer war daher gezwungen, eine Haushälterin zu nehmen, der er die Sorge für die Oekonomie unumschränkt übertrug.

Die Wahl dieser Person war eine glückliche gewesen, denn Meta, eine kinderlose Wittwe, ersetzte vollkommen die waltende Hand der geschiedenen Gattin und half durch Sparsamkeit den Wohlstand ihres Herrn erhöhen.

Netti reifte indeß zu einer blühenden, schönen Jungfrau heran, auf die mehr als ein Dutzend junger Leute aus dem mittlern und höhern Bürgerstande der Stadt sehnsüchtige Blicke warfen. Die Jungfrau hatte auch bald gewählt, der Advokat Ferenz, der den ersten Stock des Hauses bewohnte, war der Auserkorene, beide liebten sich mit dem ersten Feuer der Jugend und der Vater billigte diese Liebe, da Ferenz einer der tüchtigsten Advokaten der Stadt war und ein jährliches Einkommen erwarb, das ihm ein gutes Haus zu führen erlaubte.

Schon seit länger als einem Jahre hatte Herr Czabo die Verlobung seiner Tochter mit dem jungen Advokaten angesetzt, die unglückliche Revolution der Ungarn, die auch Semlin, die äußerste Grenzstadt in steter Gährung erhielt, war dem sorglichen Vater indeß ein Stein des Anstoßes gewesen und die Liebenden mußten sich in Geduld fügen, das Ende der Volkserhebung zu erwarten.

Ferenz liebte aus voller Seele seine junge Braut, er brachte aber die verzögerte Verbindung mit ihr dem Vaterlande gern zum Opfer, da er nicht minder für die Freiheit des Volkes erglühte und ein eifriger Anhänger der Kossuth-Parthei war. Seine Gesinnung durch die That zu bewähren unterließ er aber aus dem Grunde, da er die Abneigung seines künftigen Schwiegervaters gegen den Umsturz des Bestehenden kannte und seine politische Meinung ihm verbergen wollte, zumal Netti ihn mit Thränen in den Augen darum gebeten hatte.

Oesterreich hatte mit Hülfe der russischen Waffen die großartige Erhebung der heldenmüthigen Ungarn unterdrückt, in allen Städten flatterte die schwarz-gelbe Fahne von den Thürmen und die Führer der Volksparthei wurden verfolgt und im Falle man ihrer habhaft ward, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen oder erhängt.

Die Rachsucht des Siegers erstreckte sich vorzüglich auf den Adel Ungarns, der, nur mit wenigen Ausnahmen, Leben und Gut der Sache der Freiheit geopfert und überall als Vorkämpfer in den Reihen der vaterländischen Armeen gestanden hatte.

Mit der Uebergabe des Görgey'schen Corps fiel eine große Anzahl junger ungarischer Edelleute in die Hände der übermüthigen Sieger, und alle, die als höhere Officiere dem Vaterlande gedient, wurden als gemeine Soldaten in die Reihen der österreichischen Truppen gestellt, um so als willenlose Werkzeuge der Verfolgung benutzt zu werden.

Aber nicht allein den Männern der Revolution galt diese Verfolgung, sondern auch den Frauen, die durch anfeuernde Worte und Geldsummen in dem großen Befreiungskampfe mitgewirkt hatten. Zu diesen Frauen gehörte vor allen die junge Gräfin Thekla Andrasy, die als Herrin eines großen Vermögens die hervorragendste Rolle gespielt hatte. Der große Sieger proscribirte die junge Gräfin und setzte einen Preis von dreitausend Ducaten auf ihren schönen, und wie viele versichern, reizenden Kopf, da sie sich durch die Flucht dem Schicksale ihrer Gesinnungsgenossen entzogen hatte, während ihre Güter der Krone Oesterreichs anheimfielen.

Um dieselbe Zeit, als die Proclamationen des neuen Gouverneurs von Ungarn die Städte erfüllten und eine genaue Personalbeschreibung der flüchtigen Gräfin lieferten, die das Mitleid und die Segenswünsche aller Ungarn begleiteten, verbreitete sich in Semlin das Gerücht, Thekla Andrasy habe sich hierher gewendet, um bei günstiger Gelegenheit auf türkisches Gebiet zu entkommen, das ein großer Theil politischer Flüchtlinge vor Absperrung der Grenze bereits erreicht hatte.

In dem Hause des Apothekers ward nur oberflächlich dieses Gerüchtes erwähnt, da seit der Wendung der Dinge Herr Czabo mit seinen schwarz-gelben Gesinnungen förmlich prahlte und alles zum Henker wünschte, was die unglückliche Revolutionsparthei bedauerte. Außerdem auch hatte ihn ein Zufall betroffen, der eine Störung in seinem Hauswesen herbeigeführt, dessen regelmäßiger Gang ihm ebenfalls so sehr am Herzen lag, als die Regelmäßigkeit der alten Staatsmaschine.

Die alte Meta, seine Haushälterin, die schon längere Zeit an einem Augenübel litt, stand auf dem Punkte blind zu werden, und der Arzt, der einer Augenheilanstalt vorstand, hatte erklärt, daß die Sehkraft der treuen Dienerin noch zu retten sei, wenn sie unverweilt sich einer Kur in der Anstalt unterzöge, die freilich einige Monate dauern könne.

Meta hatte also das Haus verlassen und ein Stübchen in der Anstalt bezogen, die auf einer freundlichen Wiese neben der Stadt lag.

Ein alter Fischer der Save, Namens Lajos, den zufällig ein Geschäft in das Haus des Apothekers führte, als Meta sich anschickte, es zu verlassen, bot Herrn Czabo seine Nichte zum Dienste an; sie sei, hatte er hinzugefügt, ein schmuckes Mädchen von zweiundzwanzig Jahren und eigens nach der Stadt gekommen, um sich eine Herrschaft zu suchen, da ihre vorige aus politischen Gründen flüchtig geworden wäre.

Kathi, so hieß die Nichte des Fischers, stand also seit zwei Tagen im Dienste des Herrn Czabo, der, beiläufig gesagt, die schmucke Dienstmagd gern sah, obgleich ihr die Arbeit nicht flink genug von der Hand wollte und Netti sich mehr als sonst der Sorge um die Wirthschaft unterziehen mußte.

Es war an demselben Tage, an dem die Ausschreibung des Preises auf den Kopf der Gräfin Andrasy an den Ecken der Straßen von Semlin aushing, als der Advokat Ferenz, erschüttert von der neuen Tyrannei der Sieger, sein Zimmer betrat und sich mißmuthig in den Sessel vor seinem Arbeitstische warf. Wohl eine Viertelstunde sah der junge Mann starr vor sich hin und sein Geist schien dem Orte entrückt zu sein, wo der Körper sich befand. Plötzlich griff er in die Seitentasche seines Rockes und holte ein zierlich gesticktes Taschenbuch, ein Geschenk seiner Netti, daraus hervor. Ohne Säumen zog er den Stift, der die Blätter zusammenhielt, aus den feinen goldenen Oesen, öffnete und las mit halb lauter Stimme, aber mit großer Begeisterung, folgende Verse:

Und in den Straßen wogte das Gedränge
Des wuthentbrannten Volkes, das empört
In unabsehbar, fürchterlicher Menge,
Den Tigern gleich, die Durst nach Blut verzehrt,
Das Stadthaus droh'nden Blicks umschlossen hielt–
Und Schrecken, überall, wohin man sah–
Der Ausbruch eines Bürgerkriegs war da!
Noch fehlte nur ein Führer, der mit Kraft
Den rechten Geist im rohen Volke schafft–
Da stand urplötzlich eine hohe Frau–––

– Herrlich, vortrefflich! unterbrach sich der Leser. O wenn ich in dieser Begeisterung vollenden könnte, wenn sie nur heute nicht durch Nebenumstände unterbrochen würde! Es ist auch wahrhaftig nicht leicht, eine Heldin wie die Gräfin Thekla Andrasy zu besingen, den großen Charakter dieser Jungfrau zu malen, die den Muth eines Generals entwickelt, ohne die eigenthümliche Grazie ihres Geschlechtes zu verletzen. Aber eben diese Schwierigkeit verdoppelt meine Kräfte und ich besinge sie. Soviel steht fest, fuhr er mit Begeisterung fort, daß mein Gedicht unter den obwaltenden Verhältnissen ein kühnes Unternehmen ist, denn wie viele mußten in der jüngsten Zeit ähnliche Wagnisse mit dem Leben büßen – Und wenn man entdeckte, daß ich, ein einfacher Advokat von Semlin, es wagte, den Ruhm einer edeln Verbannten zu besingen, die von der Regierung für eine Hochverrätherin und von trägen, filzigen Philistern für ein überspanntes Weib gehalten wird – was würde man denken? Und vor allen mein künftiger Schwiegervater? Er ist zwar ein respektabler Apotheker, ein herzensguter Mann – aber ein Feind des Fortschrittes, ein Feind der Freiheit und Unabhängigkeit. Ich muß indeß seine Schwachheit ehren, denn bald, fügte er mit einem zärtlichen Blicke auf das Taschenbuch hinzu, bald werde ich sein Schwiegersohn. Ach, Netti, Du wirst meine poetische Begeisterung würdigen und mein Werk verstehen, Du wirst stolz darauf sein, daß ich für eine so edle, unglückliche Jungfrau meine Stimme erhebe, denn alle scheinen sie verlassen zu haben, selbst ihr Oheim, der jetzt kaiserlicher Minister ist. Ihre Freunde sind theils geflüchtet, theils gefangen, theils durch ein Kriegsgericht zum Schweigen gebracht – und sie, das zarte, edle Mädchen, irrt in dem eigenen Vaterlande flüchtig durch die Steppen, verfolgt von fremden Soldatenhorden, welche die österreichische Ohnmacht zu Hülfe rief.

Wohlan denn, mögen alle sie verlassen und verdammen, ich allein will es wagen, sie zu besingen, – ja, sie soll die Heldin meiner Verse sein! Ich kenne sie nur nach einem unvollkommenen Gemälde, das ich in der Gallerie eines ihrer Schlösser sah – aber noch glaube ich den sanften und doch so stolzen Blick zu sehen, noch schwebt mir die anmuthgeschmückte Stirn vor den Blicken. Wenn der Maler das Urbild nicht erreichen konnte, soll es der Dichter – ich will das Gemälde vollenden, beseelen!

Der junge Mann nahm den Stift wieder zur Hand, stützte den Kopf auf den linken Arm, sann einige Augenblicke nach und begann zu schreiben:

– Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert––

Ein Klopfen an der Thür unterbrach den Dichter. Rasch verbarg er das Buch in seiner Tasche und rief »herein!«

Herr Czabo trat ein.

Der Apotheker trug einen schwarzen Frack, schwarze lange Beinkleider, eine weiße Weste und ein weißes Halstuch. Eine feine goldene Brille, die er nur dann auf die Nase herabrückte, wenn er ein Recept zu lesen hatte, lag vor der hohen, glänzenden Stirn. In dieser Kleidung sah man ihn täglich in der Apotheke.

– Guten Tag, lieber Sohn! rief freundlich der Greis – störe ich?

– O nein, Herr Czabo, sagte Ferenz, indem er aufstand und dem Ankommenden entgegentrat – der Vater meiner Netti stört nie, selbst bei den dringendsten Geschäften.

Die beiden Männer gingen in dem Zimmer auf und ab.

– Geschäfte gehen allem vor, sagte der Apotheker im Tone des Vorwurfs, selbst der Braut und dem Schwiegervater.

– Sie kennen ja doch die allgemeine Stockung der Geschäfte, antwortete lächelnd der Advokat – wenn ich mich nicht mit Privatarbeiten beschäftigte, hätte ich jetzt Langeweile.

– Ein fürchterlicher Wurm, der tödtet! rief der Apotheker. Ich habe eine Arbeit für Dich.

– Einen Proceß?

– O nein; ich hatte nur einen Proceß in meinem Leben, den Du mir so glorreich gewinnen halfst – aber trotzdem ich ihn gewonnen, möchte ich um die Welt keinen zweiten wieder erleben, ich hasse die Processe, wie die Langeweile.

– Nun, was ist es denn?

– Niklas, mein Zögling und Provisor hat seit einiger Zeit meine Bücher dergestalt vernachlässigt, daß sie einer gründlichen Durchsicht bedürfen. Willst Du Dich nach Tische diesem Geschäfte unterziehen?

– Gern, bester Vater. Wie kommt es nur, daß der sonst so pünktliche junge Mann––

– Soll ich es Dir sagen, Ferenz? sagte lächelnd Herr Czabo.

– Nun?

– Ich glaube, Deine Heirath mit meiner Netti, die bei der Wiederkehr des Friedens in naher Aussicht steht, hat dem armen Menschen den Kopf etwas verdreht. Er ist ein guter Junge, weiß seine Medicamente zu präpariren – ich muß aber aufrichtig bekennen, daß es mir lieb ist, ihn durch Dich ausgestochen zu sehen, weil Niklas kein Mann für meine Tochter ist.

– Bester Vater, rief der Advokat, ich werde Ihr Zutrauen zu rechtfertigen wissen, ich fühle, daß ich Kenntnisse und Kraft besitze, eine gute Carriere zu machen, und wem steht ein glänzenderer Weg offen, als einem Rechtsgelehrten?

Der Apotheker blieb stehen und sah seinen künftigen Schwiegersohn mit großen Augen an.

– Wie, rief er erstaunt aus, willst Du vielleicht einen ähnlichen Weg einschlagen, wie jener Kossuth, der nichts Geringeres beabsichtigte, als durch eine Revolution gegen das angestammte Kaiserhaus sich zum Könige von Ungarn zu machen? Mensch, nimm Dir sein Schicksal zur Warnung, jetzt irrt er als Vagabond durch die Länder – das wäre mein König!

– Bester Vater, er war doch ein muthiger Mann, wandte der Advokat ein.

– Ein Schreihals, ein verdrehter Kopf war er, den man glücklicherweise beseitigt hat. O mein Gott, was hat dieser Mensch für Unglück angerichtet! Und wer schloß sich ihm an? Nur Leute, die nicht wußten, was sie wollten – lüderliche Menschen, die keine Lust zur Arbeit hatten und keine Steuern bezahlen wollten. Der gute Bürger, mein Freund, muß immer zahlen, ohne widerspenstig zu sein, vorzüglich, was er dem Staate schuldet, dann leben wir in Ruhe und Frieden und die Geschäfte gedeihen. Gott sei Dank, rief er aus und hob sein schwarzes Käppchen empor – Gott sei Dank, daß der Herr Generalfeldzeugmeister Herr im Lande geblieben ist und die verwünschten Rebellen verjagt hat! Ich hoffe, er wird sie noch alle erwischen, damit jeder Keim zur Empörung ausgerottet wird. Wenn er nur so glücklich wäre, die Gräfin Andrasy dahin zu bringen, wohin sie gehört.

– In diesem Falle müßte er doch ihrer erst habhaft werden, sagte lächelnd der Advokat.

– Allerdings! Das weiß ich auch! Sie entschlüpft ihm aus der Hand wie ein Aal – doch nur Geduld, wenn sie es jemals wagen sollte, nach Semlin zu kommen, sollen ihre Abenteuer bald zu Ende sein, denn wir sind alle dem rechtmäßigen Kaiser mit Leib und Seele ergeben. Selbst Niklas ist schwarz-gelb gesinnt, er ist in politischer Beziehung stets meiner Meinung und um dem Kaiser zu dienen, sind wir zu allem fähig. Und vorzüglich jetzt muß ich doppelten Eifer beweisen––

– Jetzt – warum jetzt? fragte der Advokat.

– Weil ich heute bei der neu errichteten Schutzwache unserer Stadt zum Kommandanten gewählt worden bin!

– Ah, ich gratulire, mein bester Czabo!

– Danke! antwortete stolz der Apotheker, indem er würdevoll sein schwarzes Käppchen mit zwei Fingern emporhob. Morgen ist die erste Parade, bei der ich in vollem Glanze erscheinen werde – ich habe heute noch soviel zu besorgen, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.

– Ihre Bücher werde ich nach Tische berichtigen, machen Sie sich deshalb keine Sorgen – und was das Hauswesen anbetrifft, so wird Netti––

– Ach ja, die hilft soviel sie kann, sie ist meine kleine Haushälterin – wird aber nun bald die Deinige werden. Ach, wenn ich doch meine alte Meta noch hätte! Kathi, die seit zwei Tagen in meinen Diensten steht, ist ein Landmädchen, ein sehr hübsch gewachsenes Landmädchen – ich habe auch sonst nichts auf sie zu sagen; aber sie kann und weiß nichts. Ihr Vetter Lajos, der Fischer, auf dessen Empfehlung ich sie genommen habe, hat mir es vorhergesagt – da fällt mir etwas ein!

– Nun? fragte der Advokat, der eine wichtige Neuigkeit erwartete.

– Dieser Lajos ist so schwarz-gelb, daß ich mich recht innig über den alten Mann gefreut habe.

– Wie, ein Fischer kaiserlich gesinnt?

– Kaiserlich durch und durch! Deshalb habe ich ihm auch erlaubt, daß er in dem Arme der Save, der meinen Garten hinter dem Hause begrenzt, nach Gefallen fischen kann, denn die Strecke des Flusses an meinem Grundstücke ist mein Eigenthum. Wenn er nun einen Hecht oder einen schlanken Aal erwischt, so bringt er sie mir – doch nun komm, mein Freund, es wird Zeit zum Mittagessen sein – vorher will ich noch einmal in der Küche nachsehen, ob Kathi keine Dummheiten begangen hat.

Die beiden Männer stiegen die Treppe hinab und traten in das freundliche Wohnzimmer, wo Netti beschäftigt war, den Tisch zu decken.

Die Tochter des Apothekers war ein schönes, blühendes Mädchen von ein und zwanzig Jahren. Ihre Gestalt war schlank, nicht üppig, aber wohlgeformt. Ihr dunkelbraunes Haar hing in zwei langen Flechten über den Rücken herab, während es auf der weißen Stirn sich in einem einfachen Scheitel theilte. Das große blaue Auge, von dunkeln Augenbrauen bedeckt, strahlte freundliche, milde Blicke und verrieth einen nicht gewöhnlichen Grad weiblicher Bildung. Ihre Wangen, die bei jeder Bewegung der frischen Lippen niedliche Grübchen zeigten, waren von einer leichten Röthe gefärbt, die zu dem weißen Teint des zarten ovalen Gesichts einen lieblichen Kontrast bildeten. Ein einfaches dunkelblaues Kleid umschloß die schlanke Taille der Braut des jungen Advokaten.

– Netti, sagte Ferenz zärtlich, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen zog – es kostet Mühe, Sie heute zu sehen!

– Sie haben Recht, antwortete das junge Mädchen mit einer weichen, wohlklingenden Stimme – mein guter Vater hat heute soviel Geschäfte, daß ich ihm ein wenig helfen muß.

– Netti, rief Herr Czabo im Tone des Vorwurfs – Du läßt Kathi allein in der Küche, die von der edeln Kochkunst so wenig versteht – Du hast ihr doch gesagt, daß der Braten––

Das junge Mädchen trat zu dem Vater und ergriff seine Hand, als ob sie seinen aufkeimenden Unwillen rasch besänftigen wollte.

– Gewiß, lieber Vater! sagte sie bittend – Kathi ist noch unerfahren und an unsere Hausarbeit nicht gewöhnt – haben Sie ein wenig Nachsicht mit ihr – bitte, mein guter Vater! Es ist nicht ihre Schuld – sie ist nicht einen Augenblick aus der Küche gekommen.

– Wie, rief aufbrausend der Apotheker, ist etwas mit dem Braten vorgefallen?

– Wenn ich nicht darauf geachtet hätte – er wollte anbrennen!

– Ach, mein Gott, wie ist doch ein armer Wittwer zu beklagen! Ein so herrlicher Braten, bei dem ich heute Mittag mein Avancement zum Kommandanten der Schutzmannschaft feiern wollte! Warum mußte auch meine alte Meta blind werden, die hätte es gewiß nicht geschehen lassen! Nein, das ist unverzeihlich, ich werde auf der Stelle––

– Vater, sagte Netti schmeichelnd, indem sie ihn sanft bei der Hand zurückhielt, wollen Sie mir etwas versprechen?

– Was?

– Zürnen Sie der armen Kathi nicht, sie ist so ängstlich, daß sie kaum noch weiß, was sie thut.

– Sie ist ängstlich?

– Ja, vor Ihrem Unwillen!

Der Apotheker sah seine Tochter einen Augenblick an.

– Gut, antwortete er plötzlich beruhigt, ich will diesmal noch schweigen, wenn es aber wieder geschieht–

– Es wird nicht wieder geschehen!

– Kathi ist noch jung – glaubst Du, daß wir sie für unsern Haushalt werden bilden können?

– Gewiß, mein Vater, versicherte Netti.

– Gut, Netti, besorge Du den Tisch, ich werde in die Küche gehen, um das arme Mädchen zu beruhigen.

Herr Czabo schob seine goldene Brille von der Stirn auf die Nase herab und verließ still lächelnd das Zimmer.

Er schlug den Weg nach seiner Küche ein.

Als Netti sich nach ihrem Bräutigam umsah, saß er in einer Ecke des Sopha's, hielt sein Taschenbuch in der Hand und war in tiefes Nachsinnen versunken. Der junge Mann schien von der ganzen Unterhaltung zwischen Vater und Tochter nicht ein Wort gehört zu haben.