Tor zur Vergangenheit - Diana Hübner - E-Book

Tor zur Vergangenheit E-Book

Diana Hübner

4,8

Beschreibung

Endlich konnte die geplante Reise nach Irland beginnen. Jule und Michael hatten vor, im nächsten Jahr zu heiraten und ihre Hochzeitsreise vorzuverlegen. Lange hatten sie über den Reiseplänen gesessen, sich die schönsten Orte ausgesucht, davon geträumt, diese geschichtsträchtigen Orte selbst zu sehen und ihr gemeinsames Leben mit den Erinnerungen an Irland zu beginnen. Was sie allerdings auf ihrer Reise tatsächlich erlebten, sollte nicht nur ihr Leben, sondern auch das des alten und verbitterten irischen Bauern Adam Churchan völlig verändern. Anders als erwartet, werden Jule und Michael mit Adams leidvoller Vergangenheit und damit mit einer traurigen Geschichte konfrontiert, die auch ihre eigene Zukunft infrage stellt.

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Für meine Töchterund unseren kleinen John Diana

Meine lieben Kinder,

es ist das größte Geschenk, eure Mutter zu sein, ein unbeschreibliches Glück, das mich mit Stolz und immer neuer Energie erfüllt.

Für euch da zu sein, in welcher Beziehung ihr mich auch immer an eurer Seite benötigt, ist nicht nur meine Aufgabe, sondern auch ein sehr bedeutender Teil meines eigenen Lebens.

Ich wünsche euch von ganzem Herzen, die Erfüllung all eurer Träume, denn sie sind der Grundstein eures Lebens.

Hört niemals auf zu träumen, zu lieben und zu lachen!

Lasst euch auf neue Dinge ein, denn sie könnten euer Leben verändern.

Nehmt die Herausforderungen an, die sich euch stellen werden, denn daran könnt ihr wachsen und habt keine Angst, denn sie beengt euch und nimmt euch die Freiheit, alles das zu tun, wonach ihr strebt.

Seid immer auf der Suche, nach Dingen, die euch gut tun, die euch glücklich machen und lehnt ab, was euch verletzt.

Vergesst nicht die Suche nach euch selbst, denn nur, wenn ihr eurem Seelenweg folgt und glücklich seid, ist euer Leben erfüllt.

In ewiger Liebe! Eure Mama

Diana Hübner

Die Autorin

Diana Hübner wurde 1974 in Südthüringen geboren und lebt noch immer mit ihrer Familie in ihrem kleinen Heimatdorf in der Nähe des Rennsteiges.

Hauptberuflich ist sie Polizeibeamtin, Ehefrau und Mutter dreier Kinder.

Diana Hübner schrieb bereits in jungen Jahren Geschichten, Gedichte und kleine Theaterstücke und hat sich nunmehr mit ihren Romanen einen Kindheitstraum erfüllt.

Nach den beiden Romanen „Traumleuchten“ und „Seelentrost“ aus dem Jahr 2014, und „Un(d)endlich ich“ aus 2015, ist

„Tor zur Vergangenheit“ das neue Werk der Autorin.

Exposé

Endlich konnte die geplante Reise nach Irland beginnen. Jule und Michael hatten vor, im nächsten Jahr zu heiraten und ihre Hochzeitsreise vorzuverlegen.

Lange hatten sie über den Reiseplänen gesessen, sich die schönsten Orte ausgesucht, davon geträumt, diese geschichtsträchtigen Orte selbst zu sehen und ihr gemeinsames Leben mit den Erinnerungen an Irland zu beginnen.

Was sie allerdings auf ihrer Reise tatsächlich erlebten, sollte nicht nur ihr Leben, sondern auch das des alten und verbitterten irischen Bauern Adam Churchan völlig verändern.

Anders als erwartet, werden Jule und Michael mit Adams leidvoller Vergangenheit und damit mit einer traurigen Geschichte konfrontiert, die auch ihre eigene Zukunft infrage stellt.

Prolog

Jule war so aufgeregt. Alles war gepackt, die Tickets lagen bereit und das Taxi zum Flughafen stand vor der Tür.

Michaels Eltern waren auch da, um sich zu verabschieden…es konnte also wirklich losgehen. Anders als andere Paare, die ihr zukünftiges Leben miteinander verbringen wollten, hatten Jule und Michael sich entschieden, vor der Hochzeit eine lange Reise zu machen. Es sollte für mindestens drei Monate auf die grüne Insel, nach Irland, gehen.

Das war schon immer ein Traum der beiden gewesen.

Diese Insel mit ihrer traumhaften Landschaft, ihrer aufregende Geschichte, den liebevoll gepflegten Häusern, den alten Burgruinen… all das wollten Jule und Michael auf eigene Faust erkunden.

Sie hatten sich vorgenommen, nur mit dem Nötigsten durch das Land zu ziehen, dort zu bleiben, wo es ihnen gefiel und weiterzugehen, wenn sie es für richtig hielten.

Ein letztes Mal noch ließ Jule den Blick in ihrer gemeinsamen Wohnung umherschweifen, bevor sie für eine lange Zeit die Tür hinter sich schloss.

Dass Jule mit dem Verlassen ihrer Wohnung nicht nur auf dem Weg in einen lang ersehnten Urlaub war, sondern auch auf dem Weg in ein neues Leben, konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht erahnen.

Sie schloss die Tür zu ihrem alten Leben und öffnete mit Betreten irischen Bodens das Tor zu einem neuen, geheimnisvollen, aber auch zu einem traurigen Leben.

Ein Kapitel in der Lebensgeschichte des alten, knurrigen Adam, den sie und Michael auf ihrer Reise kennenlernen sollten, wurde zu einem Teil ihrer eigenen Geschichte.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

1

Selbst als das Flugzeug bereits abhob, hatte Jule noch immer die warnenden, aber dennoch gut gemeinten Ratschläge ihrer zukünftigen Schwiegereltern im Ohr:

„ Passt auf euch auf, bleibt immer zusammen und geht kein Risiko ein…“ und so weiter.

Jule konnte ja verstehen, dass sich Michaels Eltern Sorgen machten. Michael war ihr einziger Sohn und eine Reise über mehrere Monate war schließlich nicht alltäglich.

Manchmal vermisste sie noch heute die Warnungen ihres Vaters, als sie noch ein Kind gewesen war. Damals hatte sie meist genervt reagiert, heute wäre sie dankbar, wenn ihre Eltern noch bei ihr wären.

Dennoch versuchte sich Jule jetzt ganz und gar auf die schönen Dinge zu konzentrieren, die sie erwarten sollten. Sie hatte sich von Michaels Leidenschaft zu Irland regelrecht anstecken lassen und war so gespannt darauf, dieses traumhafte Land mit all seinen Sehenswürdigkeiten, der Geschichte und der wunderschönen Landschaft selbst zu sehen.

Michael war neben ihr eingeschlafen. Die Beruhigungstropfen hatten wohl ihren Zweck mehr als erfüllt. Vielleicht war das auch ganz gut so, dachte Jule, so bemerkte er nicht viel von seiner Flugangst, die ihn bisher davon abgehalten hatte, überhaupt zu verreisen.

Als junger Geschichtslehrer am Gymnasium hatte Michael schon immer etwas mehr über Irland in den Lernstoff einfließen lassen, als vorgesehen war und all seine Leidenschaft basierte bisher auf Büchern oder Dokumentationen.

Als der Flieger im Landeanflug auf Dublin war, wachte Michael plötzlich erschrocken auf.

Jule musste sich zurück halten, um nicht laut loszulachen, als sie in seine vor Angst geweiteten Augen sah.

„Wir haben es gleich geschafft. Schau, da unten ist Dublin“, sagte Jule stattdessen beruhigend und bat Michael, aus dem Fenster zu schauen.

Das besserte zwar nicht unbedingt seinen Zustand, doch langsam bekam er zumindest wieder etwas Farbe im Gesicht.

Es war Michael anzusehen, dass er sichtlich ruhiger wurde, als sie schließlich das Flugzeug verlassen konnten.

Da es bereits sehr spät war, entschieden die beiden, sich erst einmal ein kleines Hotel zu suchen und am nächsten Tag mit der Erkundung des Landes zu beginnen.

Jule arbeitete als Angestellte in einem Reisebüro und hatte eine komplette Reiseroute im Gepäck. So war es auch nicht schwer, ein Hotel zu finden.

Das „Blooms“ lag nicht einmal einen Kilometer vom Flughafen entfernt und da Jule und Michael nicht viel Gepäck bei sich hatten, erreichten sie das Hotel recht zügig.

Staunend blieben die beiden vor dem Gebäude stehen. Das Hotel bestach allein durch seine herrlich gestaltete Außenfassade. Überall, selbst an den kleinen Balkonen, waren bunte Gemälde, mit den unterschiedlichsten Themen und Motiven angebracht worden.

So etwas hatten sie in Deutschland bisher nicht gesehen.

Auch die typisch irische Inneneinrichtung des Hotels beeindruckte vor allem Michael.

Allein die Bar hieß ihn in Irland willkommen, genau so hatte er es sich vorgestellt.

Mehr als zufrieden bezogen Jule und Michael ihr kleines Zimmer, welches sie vorerst für zwei Tage gebucht hatten.

Nachdem sich die beiden etwas frisch gemacht hatten, gingen sie in das Restaurant des Hotels, um etwas zu essen.

Michael entschied sich natürlich sofort für den Dublin Coddle, eine Art deftiger Eintopf, der in Irland als traditionelles Nachtmahl gilt, bevor man anschließend in den Pub ging, um etwas zu trinken. Eine ordentliche Grundlage, damit man den Alkohol besser vertrug.

Jule dagegen war mit einer Pilzsuppe zufrieden, zumal sie sowieso nicht gerne Alkohol trank und zudem schon gar kein Bier mochte, was in Irland eigentlich Tradition hatte.

Doch Michael musste bereits am ersten Abend in Dublin alles ausprobieren, worauf er sich seit Jahren gefreut hatte und so saßen die beiden nach dem Essen in der wunderschön eingerichteten Bar und Michael hatte sein zweites Guinness vor sich stehen.

Jule amüsierte sich ein wenig, denn je mehr Bier ihr Herr Lehrer trank, desto redseliger wurde er.

Jule und Michael sprachen zwar sehr gut englisch, aber die Einfärbung der englischen Sprache in Irland war doch enorm.

Doch Michael schien das nicht zu stören, im Gegenteil, er verstand den Mann, den er an der Bar kennengelernt hatte, offensichtlich so gut und er ihn, dass die beiden nach einer Weile kaum noch Notiz von Jule nahmen.

John, so hieß der junge Mann, war ein absoluter Deutschlandfan. Es war schon bemerkenswert, wie viel er über die Geschichte Deutschlands wusste und wie viel er natürlich, zu Michaels Entzücken, auch über Irland erzählen konnte.

Michael war vollkommen in seinem Element.

Nach seinem vierten Guinness verabschiedete sich Jule dann langsam von den beiden Männern, deren Gesprächsrunde wohl noch eine Weile andauern würde.

Spät in der Nacht kam auch Michael aufs Zimmer zurück, doch Jule bemerkte ihn kaum.

Als sie am Morgen erwachte, befürchtete Jule eigentlich, Michael total verkatert neben sich im Bett vorzufinden. Aber der war offensichtlich schon im Badezimmer und nach seinem Singsang zu urteilen, bemerkenswert gut gelaunt.

„Na, mein Schatz? Wie geht es dir?“, fragte Jule, als sie vorsichtig die Tür zum Badezimmer öffnete.

„Guten Morgen, Engel!“, entgegnete ihr Michael freudestrahlend.

„Es geht mir sehr gut. Dir auch? Hast du gut geschlafen?“, fragte er Jule, die ihn immer noch verwundert ansah.

„Ich habe gut geschlafen, danke. Und du hast das Guinness wohl besser vertragen als gedacht, oder?“ Verschmitzt schaute sie Michael an, der gerade dabei war, sich abzutrocknen.

„Mhm, da gibt es so ein irisches Geheimrezept, damit man keinen Kater bekommt.

Hat mir John gestern noch verraten und es scheint wirklich zu wirken. Soll ich es dir zeigen, mein Schatz?“, fragte Michael grinsend.

Und noch bevor Jule antworten konnte, hatte er sich das Handtuch wieder von der Hüfte gerissen, sich seine zukünftige Frau geschnappt und sie mit unter die Dusche genommen.

Dass Jule noch angezogen war, störte Michael nicht, im Gegenteil, er genoss es, ihr die Kleidung langsam vom nassen Körper zu ziehen und dabei jeden frei gewordenen Zentimeter ihrer Haut mit seinen Lippen zu bedecken…

2

„Du wirst nicht glauben, was John mir alles erzählt hat, Jule“, erklärte Michael später beim Frühstück.

„Er wohnt jetzt in Belfast, ist aber noch oft hier zu Besuch bei seinen Eltern.

Sein Urgroßvater war damals beim Osteraufstand 1921 hier in Dublin dabei, als das Hauptpostamt durch die Freiheitskämpfer besetzt wurde!

Es ist unglaublich, die Geschichte hier so nah zu erleben. Wir müssen unbedingt dorthin, ich möchte mir das alles aus der Nähe anschauen!“, redete Michael ununterbrochen weiter.

„ Es ist erstaunlich, wie lange dieses Land schon für seine komplette Unabhängigkeit gekämpft hat und es bis heute nicht ganz geschafft hat. Zumindest nicht in den Augen einiger Idealisten.“

Jule bewunderte Michael immer wieder für sein unerschöpfliches Interesse an der Zeitgeschichte dieses Landes.

Zugegeben, es gibt tatsächlich bis heute noch sehr viele Ungereimtheiten, was manche politische Verwicklungen, Abkommen und teilweise unbeschreiblich brutale Ereignisse in Irland anbelangt. Auch Jule war nach sechs Jahren Beziehung mit Michael angesteckt von dessen Interesse an der Insel und aufgeregt, alles mit eigenen Augen zu sehen und von den Bewohnern des Landes persönlich zu erfahren.

Hand in Hand liefen die beiden nach dem Frühstück durch die Straßen Dublins.

Natürlich war das General Post Office, der damalige Schauplatz des Osteraufstandes, die erste Anlaufstation.

Es war einfach beeindruckend! Nicht nur die Außenfassade des Gebäudes war unglaublich, auch die Ausstattung der Räumlichkeiten im Inneren des Gebäudes ließen das deutsche Pärchen staunen.

Vor der großen Bronzestatue, die alles überragte, blieben sie ehrfürchtig stehen.

Die Statue zeigt den großen irischen Helden und Freiheitskämpfer Cuchulainn im Augenblick seines Todes.

Es war und ist das Symbol des irischen Freiheitskampfes seit dem frühen 17. Jahrhundert. Überhaupt war die mystische und verworrene Geschichte dieses Landes für Jule und Michael so faszinierend, dass sie den gesamten Tag an verschiedenen Schauplätzen und Sehenswürdigkeiten der Stadt verbrachten und die Zeit dabei vollkommen vergaßen.

Die Geschichte der jungen Molly Malone beispielsweise, dem eigentlichen Wahrzeichen der Stadt Dublin, beschäftigte Jule noch lange.

Molly Malone lebte Ende des 17. Jahrhunderts und war eine der schönsten, aber auch ärmsten Frauen Dublins.

Sie war Fischhändlerin, konnte aber allein davon nicht leben und so verkaufte sie sich später an die Männer, um zu überleben und starb schließlich auf offener Straße an Cholera.

Es ist eine der vielen irischen Geschichten mit tragischem Ausgang, die die Menschen Irlands geprägt, gestärkt und ermutigt haben, immer weiterzukämpfen.

Erschöpft aber glücklich kam das Paar nach ihrem Ausflug am Abend im Hotel an.

John, der junge Mann, den Michael am Abend zuvor bereits kennengelernt hatte, saß wieder an der Bar.

Nachdem Jule ihn schon am Vortag beobachtet hatte, glaubte sie nun auch zu wissen, was ihn immer wieder in dieses Hotel verschlug.

John flirtete unverblümt mit dem attraktiven Barkeeper und Jule huschte ein Lächeln über die Lippen.

Als John die beiden bemerkte, winkte er sie zu sich.

„Na, wie war euer Tag in Dublin?“, fragte John.

Michael erzählte sofort begeistert, was sie sich alles angeschaut hatten und wie beeindruckend er es gefunden hatte.

John nickte wissend und verständnisvoll und bat den Barkeeper mit einem Augenzwinkern um etwas zu trinken.

Als dieser sofort Bier auf den Tresen stellte, hob Michael abwehrend die Hände.

„Nein, John, nicht schon wieder. Ich habe zwar den Tag heute gut überstanden, trotz unseres Gelages gestern, aber ich sollte heute nicht schon wieder trinken.“

Hilfesuchend schaute sich Michael nach Jule um, die nur belustigt den Kopf schüttelte.

„Ach komm schon, mein deutscher Freund, nur das eine“, sagte John, nahm das Bier und setzte sich mit an den Tisch, an dem Jule Platz genommen hatte.

Er begrüßte Jule noch einmal höflich und plauderte auf sie ein, als würden sie sich bereits lange kennen. Es wurde ein schöner Abend. Die drei unterhielten sich über alle möglichen Dinge und Jule musste zugeben, dass sie John sehr sympathisch fand.

Er hingegen unterließ es nicht, dem Barkeeper immer wieder vertraute Blicke zuzuwerfen, was Michael nach einiger Zeit dazu veranlasste, John eine Frage zu stellen:

„Sagtest du mir nicht gestern, dass du verheiratet bist und ein Kind hast, John?“

Offensichtlich war ihm ebenfalls nicht entgangen, wie John mit dem Barkeeper flirtete.

Jule holte erschrocken Luft, denn sie kannte Michael nur zu gut. Er war zwar sehr tolerant, aber mit homosexuellen oder bisexuellen Männern und Frauen hatte er so seine Probleme. Er verstand es einfach nicht.

John senkte bei der Frage etwas geknickt den Kopf.

„Ja, es stimmt. Ich bin verheiratet und ich habe einen Sohn in Belfast. Aber wann immer ich hier bin, treffe ich Rick. Wir sind schon seit einigen Jahren zusammen“, antwortete John.

„Und deine Frau, John? Weiß sie davon?“, fragte Michael ungläubig, redete aber sofort weiter:

„Nein, vergiss es. Es geht mich gar nichts an. Es ist ja deine Sache.“

Michael wandte sich um.

„Lass uns gehen, Schatz. Es ist spät.“

Die Situation war gekippt.

Er stand auf, wurde aber von John am Arm festgehalten.

Jule schaute zwischen den Männern hin und her.

„Bitte, Michael, geht noch nicht. Ich erkläre es euch gerne. Bitte bleibt noch“, bat John.

Auch Jule nickte Michael aufmunternd zu und bat ihn, sich wieder zu setzen, auch wenn sie wusste, dass sich in Michael alles dagegen sträubte.

John begann, seine Geschichte zu erzählen. Fast schien es so, als ob er nur darauf gewartet hätte, sich jemandem anvertrauen zu können.

„Meine Frau Nelly stammt aus Belfast. Wir haben uns hier in Dublin kennengelernt. Sehr schnell haben wir uns ineinander verliebt und ich zog mit ihr nach Belfast.

Zu Beginn unserer Beziehung war auch alles gut, wir waren glücklich. Aber im Laufe der Jahre bemerkte ich, dass ich mich auf eine für mich ungewohnte Art auch zu Männern hingezogen fühlte.

Ich habe es zunächst nicht weiter beachtet, aber als ich dann hier zu Besuch bei meinen Eltern war, allein, ohne Nelly und unseren Sohn Sean, habe ich Rick kennengelernt.“

John drehte sich zu Rick um und lächelte ihm wehmütig zu.

„Ich liebe auch ihn. Ich weiß, es klingt verrückt. Ich führe seither ein Doppelleben.

Rick weiß zwar von Nelly, aber Sie ahnt natürlich nichts von Rick.

Es würde ihr und Sean das Herz brechen“, endete John schließlich betrübt.

Michael starrte John an. Man konnte ihm ansehen, dass er mit dieser Beichte eher überfordert statt erleichtert war. Zumal sich die Männer kaum kannten.

Und doch schien es John wichtig zu sein, sich ein wenig von der Seele zu reden.

Jule legte behutsam ihre Hand auf Johns Unterarm.

„Es tut mir so Leid, dass du in einer solchen Situation steckst, ich kann dich trotz allem gut verstehen. Man kann nicht immer etwas gegen seine Gefühle tun. Aber es steht uns dennoch nicht zu, darüber zu urteilen.“

Michael hob abwehrend die Hände.

„Also ich für meinen Teil kann das nicht verstehen! Aber Jule hat Recht, es geht uns gar nichts an.“ Er trank aus und erhob sich. John sah ihn traurig an.

„Michael, ich bin trotz allem sehr froh, euch beide kennengelernt zu haben. Danke für den Abend gestern und auch für heute. Habt noch eine traumhafte Reise durch unser schönes Land“, sagte John und erhob sich ebenfalls, um sich zu verabschieden.

Er gab auch Jule die Hand und da Michael schon auf dem Weg zum Fahrstuhl war, ohne noch einmal zurückzuschauen, ging ihm Jule wortlos hinterher. Am Ende der Bar drehte sie sich noch einmal um und winkte John kurz zu, der ihnen noch immer bedrückt hinterherschaute.

Jule unterließ es, auf dem Zimmer mit Michael über den Vorfall zu reden, das war aber auch gar nicht notwendig. Denn als er aus dem Badezimmer kam, schlang er wütend sein Handtuch um die Hüfte und begann, in seinen Bart hineinzubrabbeln. Jule sah sich die Situation eine Weile schmunzelnd an, setzte sich gemütlich auf das Bett und wartete darauf, dass Michael fluchend durch das Zimmer lief. So tat er es nämlich immer, wenn ihm etwas gehörig gegen den Strich ging.

„So etwas hätte ich nie von John gedacht! Wir haben uns gestern so gut verstanden, dass er so einer ist…, sagte Michael aufgebracht.

„Er scheint dir in der kurzen Zeit wirklich ans Herz gewachsen zu sein, Schatz“, antwortete Jule lächelnd.

„Ans Herz gewachsen? Wie kommst du darauf? Ich kenne ihn ja gar nicht, wie du siehst. Wie kann er nur so etwas machen?“, entgegnete Michael sofort.

„Was machen? Sich verlieben? In eine Frau und in einen Mann?“ Jule versuchte, Michael ein wenig aus der Reserve zu locken und ihn davon zu überzeugen, dass seine Einstellung manchmal doch etwas zu konservativ war.

Gut, er war das einzige Kind einer streng katholischen Familie, aber etwas über den Tellerrand hinausschauen konnte ihm nicht schaden.

„Dabei war er doch so freundlich und witzig und ich hatte echt Spaß mit ihm“, fuhr Michael nachdenklich fort.

Er ließ sich neben Jule auf das Bett sinken und legte seinen Kopf auf ihre Schulter.

„Schatz, das ist John auch, freundlich, witzig und ein Mensch, der ein guter Freund werden könnte. Welchen Unterschied macht es, wen er liebt?“, fragte Jule.

Michael schaute sie mit großen Augen an. In seinem Kopf arbeitete es, das sah man ihm an.

„Eigentlich keinen“, antwortete er schließlich.

Nachdem auch Jule im Badezimmer gewesen war, setzten sie sich noch einmal zusammen an den kleinen Tisch und planten ihre weitere Reiseroute für die nächsten Tage. Morgen würden sie auschecken und weiterziehen, erst einmal in Richtung Norden. Ihr nächstgrößeres Ziel war Belfast, doch allein auf den Weg dorthin die unberührten Landabschnitte und kleinen Orte kennenzulernen, freuten sie sich ganz besonders.

3

Als Jule die Augen aufschlug, bemerkte sie die zärtlichen Berührungen Michaels auf ihrem Rücken. Ein wohliges Lächeln huschte ihr über das Gesicht und sofort schloss sie die Augen wieder.

Sie hoffte, so die Berührungen noch viel länger genießen zu können.

„Du bist wach Schatz, ich weiß es“, flüsterte Michael ihr leise ins Ohr.

Jule gab nur ein leichtes Knurren von sich, ohne sich jedoch zu bewegen. Micheal musste lachen, unterließ es aber nicht, sie weiter zu streicheln.

„Los, du kleine Schlafmütze, Irland ruft“, raunte er ihr ins Ohr, doch Jule tat gar nicht so, als ob sie aufstehen wollte. Doch als Michael aufhörte, sie zu kraulen und dabei war aufzustehen, fuhr sie schnell herum und zog ihn wieder zu sich.

„Nicht aufhören. Nur noch ein kleines Bisschen, bitte…“, flehte sie.

Michael konnte ihr nie einen Wunsch abschlagen, also nahm er sie fest in seine Arme und kraulte ihr langes Haar, ihren Rücken…

Erst als Jule mehr zufällig auf die Uhr schaute, fuhr sie erschrocken hoch.

„Wir müssen los!“, rief sie und war schon mit einem Satz aus dem Bett.

Lauthals lachend stand jetzt auch Michael auf. „Sag ich doch“, lachte er.

Bepackt mit seinen Sachen stand das Paar wenig später in der Empfangshalle. Nach einem reichlichen Frühstück ging es zur Rezeption, um aus zu checken.

„Ich bin so gespannt, was uns heute erwartet“, sagte Michael im Gehen, blieb aber plötzlich wie angewurzelt stehen.

John stand vor ihm und sah genauso überrascht aus wie Michael.

„Hallo John. Schön, dich noch einmal zu sehen“, sagte Jule.

„Ja, das ist es. Wo geht es hin, wenn ich fragen darf?“

„Wir wollen erst einmal in Richtung Norden. Aus der Stadt heraus, aufs Land und dann sehen wir weiter“, antwortete Jule.

Michael trat derweil von einem Fuß auf den anderen.

„Wenn ihr wollt, kann ich euch ein Stück mit dem Auto mitnehmen. Es sieht nicht so aus, als würde es heute aufhören zu regnen.“

Jule schaute zu Michael, der sie mit großen Augen ansah und sich dagegen sträubte, auf den Vorschlag einzugehen.

„Schatz, was meinst du?“

Michael hätte Jule am liebsten gefressen, so schockiert war er über ihre Frage. Sie konnte manchmal unmöglich sein!

„Äh…“, stotterte er.

„Komm schon, gibt dir einen Ruck, mein deutscher Freund, ich tue dir auch nichts“, kam ihm John zur Hilfe und lächelte spitzbübisch.

Jetzt konnte sich auch Michael ein Lächeln nicht mehr verkneifen.

„Das hoffe ich! Okay, okay, wir fahren ein Stück mit“, gab er sich geschlagen.

Jule gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich bin stolz auf dich“, flüsterte sie.

Im Nachhinein musste auch Michael zugeben, dass es eine sehr gute Idee gewesen war, sich von John mitnehmen zu lassen. Er fungierte als Guide und zeigte dem Paar viele Dinge, auf die sie vielleicht allein nicht aufmerksam geworden wären. Sie fuhren eine alte und wenig befahrene Küstenstraße entlang.

Die Welt hier schien wirklich mehr als in Ordnung.

Eine unglaublich angenehme Ruhe und die atemberaubende Landschaft, das unwirklich satte und intensive Grün der Wiesen und Felder war einfach magisch.

Als Jule gerade darum bitten wollte, kurz anzuhalten, musste John den Wagen bereits unfreiwillig stoppen.

Mitten auf der Straße lagen mindestens zehn Schafe!

Es war unglaublich!

Weit und breit war niemand zu sehen und die Tiere kamen nicht im Geringsten auf die Idee, für ein Auto aufzustehen und sich von der Straße zu bewegen. Sie starrten die kleine Reisegruppe nur an und widmeten sich dann wieder sich selbst.

Jule musste so sehr lachen, dass sie damit auch den inzwischen schon fast wütenden John ansteckte.

„Das ist überhaupt nicht lustig! Die bleiben hier ewig liegen und wenn sich nicht ein Schäfer aus dem Dorf bemüht, hierher zu kommen, müssen wir wohl umdrehen.“

Er war solche Eskapaden sicher gewohnt, aber es war verständlich, dass es ihn etwas nervte.

John hatte noch mindestens zwei Stunden Fahrt vor sich und nachdem die lieben Tiere auch 20 Minuten später noch nicht gewillt waren, die Straße frei zu geben, entschieden sich Jule und Michael von hier aus allein weiterzutrampen.

„ Wir werden uns den hübschen Ort anschauen und dann sehen, wohin es uns weiter verschlägt“, meinte Jule.

„Wir danken dir, John, hab noch eine gute Fahrt. Vielleicht hört oder sieht man sich einmal wieder“, sagte Michael und reichte John zum Abschied die Hand.

John nahm Michael und anschließend auch Jule kurzerhand in den Arm.

„Ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen würden. Meldet euch doch bitte, wenn ihr in Belfast seid.“

Er gab Jule einen Zettel mit Adresse und Telefonnummer und stieg dann winkend in seinen Wagen, um zurückzufahren.

Michael hob seine Hand ebenfalls.

„Ich mag ihn schon, auch wenn…“, wollte er fortfahren, aber Jule redete dazwischen.

„Na dann sollten wir ihn wohl wirklich besuchen kommen. Los Schatz, lass uns erst einmal das Dorf erkunden.“

Nachdem sie die Schafe passiert hatten, kamen sie in das kleine, niedliche Küstendorf.

Hier schien ein wenig die Zeit stehen geblieben zu sein.

Es gab nur ein paar kleine Häuser und eine Hand voll Menschen, die gemütlich davor saßen und offensichtlich das Leben genossen und nicht gestört werden wollten.

Jule reichte Michael die Hand und ging mit ihm in Richtung der Klippen, die unmittelbar vor ihnen lagen.

Der atemberaubende Blick auf das Meer bezauberte sie, der Wind wehte durch ihre Haare, die wunderbar erfrischende Luft belebte sie und hinterließ das Gefühl, an einem geheimnisvollen Ort angekommen zu sein, an dem man verweilen wollte.

Das Wetter war einfach herrlich, der Regen war vorüber.

Es war früher Nachmittag und so beschlossen die beiden, sich noch ein wenig im Ort umzusehen und anschließend weiterzuziehen.

Noch befanden sie sich im irisch regierten Teil des Landes, in der Nähe der Stadt Dundalk.

Bis dorthin wollten es Jule und Michael heute noch schaffen, bevor sie in den nächsten Tagen den britischen Teil Irlands erkunden wollten.

Bis Belfast würde es zu Fuß noch eine Weile dauern und nicht nur das, es würde das Paar nicht wie geplant in die Hauptstadt verschlagen, um dort die Geschichte zu erkunden, sondern auf eine andere Weise, die ihr Leben nachhaltig beeinflussen sollte…

4

Der erste Eindruck, den Jule und Michael anfangs von den Dorfbewohner hatten wurde ganz und gar nicht bestätigt.

Überfreundlich wurde das Paar aufgenommen, als sie, auf der Suche nach einem Lokal, bei einer älteren Dame nachfragten.

So entspannt sie noch vor einigen Minuten in ihrem Gartenstuhl gesessen hatte, desto aufgeregter war sie jetzt, die beiden mit Kaffee und Kuchen zu bewirten. Ein Lokal gab es im Dorf anscheinend nicht, zumindest keines, das sich aufzusuchen lohnte, wenn man der Frau Glauben schenken konnte.

Das skeptische Gesicht von Michael wich sofort einem verschmitzten Lächeln, als die Dame mit herrlich duftendem Kuchen und einer Kanne Kaffee im Vorgarten erschien.

Die Gastfreundschaft war überwältigend, es kam einem so vor, als würde sich sonst kaum jemand hierher verirren und die alte Dame hätte nur auf sie gewartet. Sie redete und redete, über ihre Familie, ihren verstorbenen Mann, über das Dorf und das Leben in Irland allgemein. Es war eine Freude, ihr zuzuhören, obwohl man Mühe hatte, ihr zu folgen. Ihr Dialekt wich teilweise extrem von dem Englisch ab, was das Paar sprach und verstand, aber auch trotz der vielen Nachfragen wurde die Frau nicht müde, immer weiter zu erzählen.

Da es mittlerweile auf den frühen Abend zuging und es offensichtlich keine Unterkunft für Touristen im Ort gab, machten sich Jule und Michael allmählich auf den Weg Richtung Dundalk.