Über Land un See - Wolfgang Bendick - E-Book

Über Land un See E-Book

Wolfgang Bendick

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Beschreibung

Welcher Segler träumt nicht davon, mit seinem Boot andere Seen, ja sogar das Meer zu befahren? Dieses Buch berichtet von verschiedenen Reisen, zuerst mit einem Jollenkreuzer von 17 Fuß, dann mit ein 20 Fuß-Boot auf den unterschiedlichsten Gewässern Deutschlands, Frankreichs und Spaniens. Langsam gewöhnen sich Boot und Skipper an die verschiedenen Bedingungen und passen sich diesen durch kleine Veränderungen an Takelage, Ausrüstung und eigenem Verhalten an. Dieser Bericht vermittelt nicht nur die Freuden der 'See-Fahrt', sondern gibt praktische Ratschläge um sich und das Boot wieder heil in den Hafen zu bringen. Der Autor, nach einer Kindheit auf dem Wasser, fuhr in seiner Jugend auf verschiedenen Frachtern zur See. Nach mehreren Reisen mit geringen Mitteln über Land und um die Erde, ließ er sich mit seiner Familie als Bauer in den Pyrenäen nieder. Einmal in Rente, entdeckte er erneut das Segeln. Das Boot ist sein schwimmender Arbeitsplatz geworden. Dieses ist sein 11. Werk, das, wie die anderen von den kleinen Freuden des Alltags handelt, welche letzten Endes das große Glück beinhalten…

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Seitenzahl: 195

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Wolfgang Bendick

Über Land un See

Mit dem Trailer-Boot unterwegs

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

ÜBER LAND UND SEE

Geleitwort

DIE UFER VON LERAN

DIE REISE DES BLAUWALS

SCHLUCHSEE

BODENSEE

ALPSEE

NIEDERSONTHOFENER SEE

ROTTACHSEE

FORGGENSEE

CHIEMSEE

HAVEL

ACHTERWASSER

ELBE

HAMBURG HAFEN

STEINHUDER MEER

HALTERNER SEE

DIE LAGUNE VON THAU

COSTA BRAVA

ITXASO

INHALT

Impressum neobooks

ÜBER LAND UND SEE

MIT DEM TRAILER-BOOT UNTERWEGS

Fünf Geschichten von Seen und See

Wolfgang Bendick

Erstmals erschienen im Herbst 2019

© Copyright 2019 Wolfgang Bendick

All rights reserved for all countries

Legal deposit: November 2019

Geleitwort

Ein Mensch ohne Träume ist wie ein Boot ohne Segel

Für die alte Garde, die ‚Küstenwache‘

DIE UFER VON LERAN

Angefangen hatte alles an den Ufern von Leran am See von Montbel. Es war September. Wir waren dort für ein paar Tage mit dem Wohnwagen. Der kleine Bootshafen in der Nähe wirkte wie ein Magnet. Alles war offen, wir gingen hinein. Der an diesem Tag türkisblaue See, zwar ziemlich geschrumpft, lockte uns an. Nur zu gerne wäre ich mal wieder gesegelt! Doch meine Frau zog eine Barke mit Elektromotor vor, „Da braucht man wenigstens nichts zu tun. Und außerdem kannst du ja gar nicht segeln!“

Einer der älteren Männer, die, wie wir am Vortag gesehen hatten, meist an den Nachmittagen unter den Bäumen im Schatten saßen, bereitete das Elektroboot vor und wir legten ab. Er hatte von 4 bis 6 Stunden Autonomie der Batterie gesprochen, wir hatten nur für 3 Stunde gemietet, das müsste reichen… Wir fuhren das wegen des gefallenen Wasserspiegels etwas nackte Ufer entlang, auf dem man wie Jahresringe die Spuren der Wellen erkannte, die die verschiedenen Stürme hinterlassen hatten. Der See, der, wie wir an den Dämmen sahen, ein Stausee war, hatte anscheinend noch nicht seinen tiefsten Stand erreicht. Wir entdeckten kleine Buchten, kamen zu einer Fischzucht, wo zwischen schwimmenden Pontons Netze angebracht waren, in denen sich die Fische mit mechanisch über der Oberfläche verteiltem Futter verwöhnen ließen. Ein paar Wasservögel, die auf den Pontons auf Beute lauerten, wurden durch unser Näherkommen aufgeschreckt und suchten schimpfend das Weite. Es roch süßlich nach verwesendem Fisch. An verschiedenen, meist etwas in den See reichenden Stellen erkannten wir Angler, oft ein tarnfarbenes Zelt im Hintergrund, ein Schlauchboot auf das lehmige Ufer gezogen. Diese gerieten immer in Stress, wenn wir uns zu sehr ihren vielen in den See reichenden Schnüren näherten. Manchmal ertönte ein sich wiederholender Bip, ein Zeichen, dass ihre Geräte elektronisch mit ihrem Telefon verbunden waren.

Bei Montbel, wo wir vor Jahren mal gezeltet hatten, erkannten wir einen Strand, von dem das Lachen und Kreischen der letzten Badenden zu uns aufs Wasser schallte. Leise summte der Motor, Doris hatte es sich bequem gemacht, ich steuerte. Doch dann merkte ich, dass der Motor langsamer wurde. Ich ging etwas mit der Geschwindigkeit runter, um Strom zu sparen. Wir durchfuhren einen seichten Engpass hinter einer langen Insel und kamen zu einem anderen Damm. Dann waren wir am äußersten Ende angelangt und steuerten langsam am anderen Ufer zurück in Richtung Hafen, den wir in der Ferne erkannten. Wir begegneten ein paar Tretbooten, Kajakfahrern. Aber kein einziges Segel war auf dem See zu sehen.

Der Himmel zog sich immer mehr zu. Wir befanden uns jetzt gegenüber dem Hafen. Es fing an zu tröpfeln und zugleich erhob sich ein Wind. Wir wollten eigentlich den ganzen See abfahren, es fehlten nur noch zwei Buchten hinter einer von Anglern besetzten Insel. Doch der Motor wurde zusehends langsamer. Wir hatten ja noch die Paddel. Aber bei dem sich verstärkenden Regen zogen wir es vor, direkt den Hafen anzusteuern. Die letzten Meter machten wir mit den ‚hölzernen Segeln‘. Der Motor verweigerte seinen Dienst, die Batterie war leer. Sogleich eilte einer der älteren Männer aus dem Schutz der Bäume hinunter zum Steg, um das Boot in Empfang zu nehmen.

Wir hatten gesehen, dass man auch ein Segelboot mieten konnte, eine kleine Jolle. Irgendwie hatte ich Lust darauf bekommen und reservierte sie für den nächsten Nachmittag, wie man uns geraten hatte, denn da sei es wahrscheinlicher, dass es Wind hätte als am Morgen.

*

Wir gingen vor zum Hafen. „Eigentlich kennen wir jetzt den See, wir sind ihn ja gestern abgefahren. Von mir aus brauchen wir nicht mehr zu segeln!“, meinte Doris. Doch ich hatte mich schon darauf eingestellt und wollte auch, dass sie mal das Erlebnis des Segelns hat, denn das ist etwas völlig anderes, als mit Motor zu fahren! „Ich hab aber schon bezahlt!“, sagte ich, obwohl es nicht stimmte, „die werden kaum das Geld wieder rausrücken. Komm!“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man ihr mit der ökonomischen Saite kommen musste, um sie zu etwas zu bewegen. Das Boot, eine ‚Caravelle‘ lag schon am Steg, jemand zog gerade das Segel hoch. „Gut, aber nur für eine Stunde. Dann bringst du mich zurück an Land. Keine Minute mehr!“ Nachdem auch die kleine Fock gesetzt war, die mit dem Segel zusammen ungeduldig im Wind flatterte, stieg zuerst sie, dann, als sie saß, ich in das schaukelnde Boot. Und schon blies uns der Wind hinaus auf den See.

Tat das gut, wieder unter Segeln zu sein! Meine Gedanken schweiften weit in die Vergangenheit zurück. Mit 11 Jahren war ich das letzte Mal gesegelt, auf meiner morschen, mit Teer abgedichteten ‚Pamir‘, ein schweres, träges Holzboot, getakelt mit einem ausrangierten Paddelbootsegel, viel zu klein dafür. Doch es fuhr, wenn auch etwas quer, aber es fuhr! Seitdem ich das Boot hatte, lebte ich mehr auf dem Wasser als im Haus. Ich hatte ein kleines Zelt darauf genagelt, worin ich meine Hausaufgaben machte und ‚Robinson Crusoe‘ las, Jack London, Herman Melville und die Romane der Entdecker der Pole. Ich band es manchmal unter den überhängenden Weiden fest und war in Amazonien oder auf dem Fluss Kongo. Mochten die anderen Boote aus Mahagoniholz sein und glänzen, meines war das schönste! Damals waren noch alle Boote aus Holz. Das Neueste waren Sperrholzboote, wie der FD, oder ‚Flying Dutchman‘, wohl ein holländisches Boot, die durch ihren in gekreuzten Schichten verleimten Rumpf Spanten fast überflüssig machten. Dadurch wurden sie auch leichter und billiger. Die Segler sprachen von den neuen Glasfaserbooten, leicht, solide, selber mit wenig Aufwand herzustellen. Ich kannte Glasfenster und dachte, dass diese Boote bestimmt durchsichtig wären und ziemlich zerbrechlich. Wurden sie wo dranfahren, lösten sie sich wie eine Autoscheibe in tausend Stückchen auf. Da war mir mein Boot schon lieber!

Mit meinen Erinnerungen kamen auch die Handgriffe und das Gefühl zurück, um das Boot zu lenken, den optimalen Winkel zum Wind zu finden, es richtig laufen lassen! Ein kleines grünes Kajütboot segelte auf dem See, sogar mit Steuerrad, besetzt mit drei älteren Leuten. Ich fuhr nahe hin, winkte ihnen zu, und ließ sie bald zurückfallen. Ich merkte am Flattern der Fock, dass der Holpunkt nicht stimmte und zog die Vorschoten unter der vorderen Bank durch, um ihn zu verbessern. Diese Fock gehörte nicht zu diesem Boot, das merkte ich bald. Ich versuchte mich im Halsen und erklärte Doris den Unterschied zu einer Wende. Der Wind war optimal, die Zeit verging wie im Flug. Ich hatte keine Uhr. Ich wartete, dass Doris sagen würde, dass die Stunde um sei. Wir kreuzten über den See, mal den Wind im Rücken, mal von vorn. Doris machte es sich, einmal die ersten Emotionen wegen der anfangs ungewohnten Schräglage hinter sich, bequem und überließ mir den Rest.

Auf ihrer Armbanduhr erkannte ich heimlich, dass drei Stunden bald abgelaufen wären. Ich löste mich aus dem Bann des Wassers und des Windes uns steuerte wieder den Ponton an. Da es zwischen Ufer und Steg ziemlich eng war und der Wind heftig zum Land hin blies, hatten wir zu viel Fahrt, um anzulegen. Von meiner Seefahrtszeit her wusste ich noch, dass man gegen den Strom oder gegen den Wind anlegen muss, je nachdem, wer stärker ist. Die an Land kamen angerannt, um das Boot aufzufangen. Aber ich beschrieb im engen Wasser einen Kreis, um ihm die Fahrt zu nehmen, dann noch einen halben und ließ das fast stehende Boot mit flatternden Segeln seitlich zum Ponton driften, wo es helfende Hände in Empfang nahmen. Wir stiegen aus. „Ich wusste gar nicht, dass du segeln kannst!“, meinte Doris. „Das wusste ich auch nicht!“, erwiderte ich neckend. „Das ist wie Fahrrad fahren. Wenn du es einmal kannst, fragst du dich nicht mehr, wie das geht. Das geht von selbst!“

Abends saßen wir überm Ufer in der Pizzeria und genossen den letzten freien Tag. Die Sonne verzauberte mit ihren fast waagerechten Strahlen den See in eine Märchenlandschaft, ließ Himmel und Wasser in allen Schattierungen von Orange, Rot und violett leuchten. Es war, als würde die Natur alles aufbieten, um uns diesen Tag unvergesslich zu machen. Der See hatte uns in seinem Zauberbann. Würde er andauern?

*

Da es, trotz des festen Versprechens eines Reeders in Hamburg nicht geklappt hatte, wieder auf einem Frachter anzuheuern, und da der Ruf des Wassers nach unserem Segeltörn immer stärker wurde, kaufte ich in der Bretagne einen 17-Fuß (1 Fuß sind rund 30 cm) -Jollenkreuzer, den die Enkel „Blauwal“ tauften, um damit auf dem See von Montbel einen Ersatz für das Meer zu finden. Doch der Ruf aus der Ferne war stärker - trotz der hochtrabenden Namen wie ‚Bora Bora‘ oder ‚Cap Hoorn‘, die man den markanten Stellen des Sees gegeben hatte - der „Blauwal“ wollte das Meer sehen, und ich auch. So keimte in mir plötzlich die Idee, mit dem Boot einen Großteil der deutschen Seen abzuschippern und zugleich Freunde und ehemalige Fahrensleute zu besuchen. Denn, einmal in Rente, hatte ich endlich Zeit gefunden, ein Buch über meine Lehrjahre bei der Handelsmarine zu schreiben. Ein Verleger brachte das Buch heraus. Prompt fanden dadurch ein paar frühere Fahrens-Kollegen meine Adresse und wir nahmen zueinander Kontakt auf.

DIE REISE DES BLAUWALS

Schluchsee

Bodensee

Alpsee

Niedersonthofener See

Rottachsee

Forggensee

Chiemsee

Havel

Achterwasser

Elbe

Hamburg Hafen

Steinhuder Meer

Halterner See

SCHLUCHSEE

SCHLUCHSEE

Es war wieder Herbst. Der See von Montbel war zu einer Pfütze geschrumpft und machte es den wenigen aktiven Seglern, vor allem denen mit Steckschwertern schwer, eine Fahrrinne zu finden. Ein Kumpel aus dem Segelclub, der von meinem Plan, mit dem ‚Trailer-Boot‘ durch Deutschland zu reisen wusste, wollte mitfahren und dabei seine Großeltern in Dänemark besuchen. Beim Segeln auf unbekannten Gewässern, allein schon beim Mast aufstellen, ist es besser, zu zweit zu sein. In den Wochen zuvor schmiedeten wir Pläne. Der Tag der Abreise kam, das Boot war auf dem Hänger. Natürlich glänzte der Kumpel am Abfahrtstermin durch Abwesenheit. Würde man im Leben seine Taten immer von jemand anderem abhängig machen, käme man nicht weit. Also brachen mein Blauwal und ich alleine auf.

Über die Reise gibt es nicht viel zu sagen, zu oft schon war ich diese Strecke gefahren. Nur, dass die meisten Tankstellen, vor allem die der Supermärkte nicht für Bootsgespanne gebaut sind.

Nach 14 Stunden Fahrt und ein paar Stunden unruhigen Schlafes auf einem Parkstreifen neben der Autobahn in Deutschland, fuhr ich weiter in den Schwarzwald. Mein erstes Ziel war der Schluchsee, fünf Quadratkilometer klein, ein dunkles Wasser, mitten in den nach Tannen duftenden Bergen gelegen. Laut Internet bestand am dortigen Campingplatz eine Möglichkeit, das Boot zu Wasser zu lassen. Vielleicht ein Schlauchboot, mehr aber nicht, denn man musste durch eine Fußgänger-Unterführung unter einer Bahnlinie durch! Zum Glück wusste jemand Rat und wies mir eine andere Rampe an. Ähnlich ging es mir fast überall: Internet kann man vergessen, das Telefon des lokalen Segelclubs bebt niemand ab, lokale Hinweise sind am besten! Denn an jedem Gewässer befindet sich eine Einfahrt, alleine schon wegen der Wasserwacht.

Bei der anderen Rampe hing ein Anschlag, man solle sich an den Wirt in einem bestimmten Gasthaus wenden, wo sich das Vereinslokal des örtlichen Segelclubs befand. Doch war dort niemand. Also ließ ich das Boot so zu Wasser und parkte Auto und Hänger auf Rat eines neugierigen Anglers am Rand der Hauptstraße, da der Segelclub auf seinem Gelände keine klub-fremden Parker will. Nach einer knappen Stunde war der Blauwal seeklar und ich nutzte die morgendlich Brise, um den See zu erkunden. Einmal auf dem Wasser machte ich etwas Brotzeit, während die Automatik die Steuerung übernahm. Ich teilte per Telefon Peter, einem meiner früheren Kumpel von der Seemannsschule mit, dass ich angekommen sei. Vor Tagen schon hatten wir hier für heute ein Treffen ausgemacht, da er nur eine Autostunde entfernt in der Nähe von Stuttgart wohnte.

Und nach Mittag war er dann da, beladen mit seinen Fotoalben, die wir uns auf dem Wasser anschauten. Ich hatte zum Glück genügend Bier als Ballast in den Backskisten, denn Erinnerungen und See-Fahrt machen Durst. Als dann der Wind einschlief, banden wir das Boot mit einem langen Seil an einem Baum oben auf dem Ufer fest und suchten einen Kiosk auf, wo wir ein paar letzte Biere tranken und einander unsere Lebensgeschichten zuende erzählten. Sein Hobby waren die Frauen, meines die Landwirtschaft. Mit Dunkelwerden fuhr er dann heim.

*

Ich vertäute das Boot an einem Steg und bereitete mich auf die Nacht vor. Da tauchte fast aus dem Nichts jemand auf, der meinte, das ginge nicht, das störe, der Steg sei nur für Clubmitglieder. Darauf ich: „Bei uns in Frankreich ist das auch so, doch machen wir eine Ausnahme für Gäste. Und ich bin ja gewissermaßen ein Gast!“ „Ja, wo genau kommen sie denn her?“, wurde er jetzt neugierig. „Irgendwo zwischen Andorra und Lourdes, ganz im Süden Frankreichs, der Ort wird ihnen aber unbekannt sein!“, antwortete ich und suchte im Auto nach unserer Ansichtskarte. „Das ist ja verrückt!“, rief er aus, „Durch diese Gegend sind wir vor zwei Wochen gefahren. Wir kamen von Foix und fuhren weiter über Viella nach Huesca, wo unsere Tochter wohnt, zur Kindstaufe! Gestern erst sind wir zurückgekommen, deshalb ist das Gasthaus auch noch geschlossen!“ „Da sind sie genau durch unser Tal gefahren! Das nächste Mal halten sie bei uns an!“, lud ich ihn ein. Mit einem „natürlich können sie dort am Steg bleiben, es ist eh niemand da, die meisten haben ihre Boote schon aus dem Wasser!“ verabschiedete er sich nach einer Weile Erzählen.

Also verbrachte ich diesmal eine ruhigere Nacht als zuvor mitten im Schwarzwald, in der Früh leise aus dem Schlaf geholt vom Plätschern der Ruder der Angler, deren Boote alle mit einem Zelt versehen sind, wohl wegen des Wetters. Sie waren überrascht, so früh einen Segler zu sehen, übernachtet doch kaum jemand auf den Booten, sie gehören den Leuten aus der nahen Stadt. Auch dürfen die Fischer hier nicht mit Elektromotor fahren. Nur für die Segler würde er toleriert. Die Nebel lagen in wattigen Schichten über dem schwarzen, glatten Wasserspiegel, weiter weg standen Enten auf einem Bein im Wasser, den Kopf noch träumend unter den Flügeln versteckt. Es würde ein windstiller Tag werden, hatten mir die Fischer gesagt, als sie mit leisen Ruderschlägen davonglitten und bald im Nebel verschwanden.

Ich zog die Gummistiefel an und wanderte auf der Suche nach einem Trockenklo durch den taufeuchten Wald. Ein windstiller Tag, der Horror eines jeden Seglers! Also kurbelte ich das Bötchen wieder auf den Hänger und machte mich auf den Weg zum Bodensee, auch genannt ‚das Schwäbische Meer‘, weil er so groß ist (Über 530 Quadratkilometer), rund drei Stunden weiter. Und dann lag er unter mir, wie ein Milchglas-Spiegel im Sonnenlicht. Um mich herum die abgelesenen Hänge der Weinberge, dort vor mir die Meeresburg, wo Anette von Droste-Hülshoff ihre Verse gewoben hatte. Und im Hintergrund, wie schwebend, die Schweizer Berge und die von Österreich.

BODENSEE

BODENSEE

Auf Internet hatte ich schon die wildesten Geschichten über das „Bodenseepatent“ gelesen, das es jedem Fremdling unmöglich machen soll, sein Boot diesem ganz besonderen Nass auszusetzen! Mit dem Ergebnis, dass auch Bodensee-Schiffer woanders unbeliebt sind und ihr „Patent“ nirgends Anerkennung findet. Aber bei einem solch großen See braucht man keine anderen Gewässer! Im Internet hieß es, an der Jugendherberge in Friedrichshafen könnte man sein Boot ins Wasser lassen. Hier hatte ich mit Freunden in meiner Jugend schon manche Nacht verbracht, und der Geruch der nach Schweißfüßen riechenden Decken mit der Aufschrift „Fußende“ war mir noch in lebendiger Erinnerung. Doch der diensthabende Behinderte am Empfang wusste von nichts und riet mir, auf den Chef zu warten, der in zwei Stunden, nach dem Essen also, auftauchen würde. Inzwischen parkte ich das Gespann mehr unmöglich als erlaubt auf den einzig freien Behindertenparkplätzen und der Feuerwehrzufahrt und wanderte durch den angrenzenden Campingplatz zum Seeufer. Dort wies ein Schild mit „Vogelschutzzone“ darauf hin, dass eigentlich jede menschliche Aktivität im Gelände ausgeschlossen war. Eine Gruppe Japanern ähnelnden Jugendlicher, des Lesens der deutschen Sprache sicherlich unkundig, war hier mit einer Tretbootflotte eingefallen und versuchten sich im Landungsmanöver.

„Mit dem Anhänger ins Wasser fahren? Wer hat ihnen denn diese Idee gegeben?“, fragte mich der hilfsbereit aussehende Chef nach dem Essen. „Internet“, konnte ich nur antworten. „Sie kommen noch nicht mal durch den Campingplatz durch! Und dann das Naturschutzgebiet! Versuchen sie’s in der Nähe von Kressbronn, da ist ein riesiger, neuer Yachthafen!“

Also auf nach Kressbronn, durch Obst- und Hopfenanlagen hindurch zu dem einem Sport-Flugplatz gleichenden Yachtgelände. Dort warten schon Sattelschlepper, um die Millionen schweren Prestigeobjekte nach sechsmonatiger Liegezeit im Wasser wieder in das Winterlager zu fahren. Kräne und riesige Gabelstapler machen die Zubringerdienste. Der Parkplatz ist natürlich voll mit den Luxuskarossen der Schiffseigner, mein alter Toyota ist da eher störend, ganz zu schweigen von dem kleinen Wasserfloh hinten auf dem Anhänger, welcher hier eher aussieht wie ein Beiboot. Und Boote hat es hier! Da würde selbst ein Tiefwasserkapitän aus Neid erblassen! Der Oberrangierer ist ein Österreicher, gleich per du, „und das kriegen wir schon hin!“ Aber das ist auch alles an Hilfsbereitschaft, was er zu bieten hat. Denn vor jedem Handgriff seinerseits bräuchte ich eine Genehmigung vom Hafenamt, und das ist im Rathaus. Also zurück in das Nest, wo es schier unmöglich ist, zu parken. Dann zum Amt. Die sagen: „Kein Problem, aber dafür ist der Hafenkapitän zuständig!“, und geben mir dessen Nummer. Nun ja, der hat bestimmt einen guten Willen, hebt aber den ganzen Nachmittag nicht ab.

Inzwischen habe ich meinen Bruder angerufen, der eine Stunde vom See entfernt wohnt, dass ich in der Nähe bin. Dieser meint, in Zech, vor der Grenze, ist ein Booteinlass. Ich rufe das dortige Rathaus an. „Jederzeit!“, antwortet man mir, nur weisen sie darauf hin, dass die Zufahrt zu der Rampe über Privatgrund geht, und ich mir vom Eigentümer eine Genehmigung holen muss, bevor man mir öffnen kann.

Ich komme durch Nonnenhorn. Ich frage auch hier. Dort könnte man über den Badestrand das Boot ins Wasser bringen. Das macht die Wasserwacht auch bisweilen. Doch auf dem Strand liegen bei diesem Wetter die sonnenhungrigen Alemannen wie die Sardinen. Und so weit wie der See zurückgegangen ist, bin ich mir nicht sicher, wieder mit dem Boot herauszukommen. „Komm, bleib die Nacht bei uns!“, meint mein Bruder am Telefon, „Und morgen siehst du weiter. Außerdem würde ich gerne dein Boot sehen!“ Nur sind es bis zu ihm eine Stunde Fahrt durch die Berge. Aber soll es! Endlich bin ich da. Mein Bruder kommt an die Tür. Begrüßung: „Sag mal, warst du immer noch nicht beim Frisör? Ah ja, sieht aus wie ein Boot!“ Der ist einfach zu deutsch! „Komm, schau mal rein!“, fordere ich ihn auf und klappe die Leiter herunter. „Horch mal, ich weiß wie Boote innen aussehen!“, wendet er ein. Und ich Trottel mache extra diesen Umweg…

So nah am Ziel, will ich es genau wissen und fahre in der Früh mit Boot gleich nach Lindau zum Landratsamt, weil angeblich dort die zuständige Person sitzt. Alleine auf dem Festland einen Parkplatz zu finden war schier ein Ding der Unmöglichkeit. Besser gar nicht auf die Insel fahren! Endlich hatte ich einen am alten Güterbahnhof gefunden und stelle alles ab. Und wer kommt da? Nennen wir nicht seinen Namen oder seine Funktion, er verdient es nicht! Er: „Hier dürfen nur Busse parken! Können sie nicht lesen?“ Ich: „Ich Franzose, ich nix können lesen, deutsche Sprache schwere Sprache!“ Er: „Nix hier parken! Kostet teuer!“, und zückt seinen Block. „Hier viel Platz, keine Busse da. Und da und da, andere Auto auch parken. Nur halbe Stunde, bittascheen!“, versuche ich ihn umzustimmen. Er: „Das sagen sie alle! Wenn du nicht gleich verschwindest, du kriegen Strafmandat und das Fahrzeug wird abgeschleppt! Endlich habe ich mal einen erwischt, und dazu noch einen Ausländer, wäre ja noch schöner, für die ein Auge zuzudrücken!“ Unsere Auseinandersetzung ist nicht unbemerkt geblieben. Gegenüber an der Ladestraße stehen ein paar Arbeiter und feixen. Als ich auf der breiten Kopfsteinpflaster-Straße gewendet habe, halte ich bei ihnen an. „Na, Ärger mit den Bullen? Komm, du kannst bei uns im Hof parken!“ Da erweist es sich als praktisch, ein Stückchen unseres eigenen Käses im Auto zu haben.

Zurück ins Amt. Die einzige Person, die ich ausfindig gemacht habe, fühlt sich aber nicht zuständig. Will mir nicht weiterhelfen. „Vielleicht im Rathaus!“, weicht sie aus und hebt das klingelnde Telefon ab, wohl um mich zum Gehen zu bewegen. „Ja, hier Bärbeiss, worum geht es?“ Nachdem das Gespräch beendet ist, schaut sie mich erstaunt an, weil ich immer noch da bin. „Sie sind Frau Bärbeiss?“, frage ich sie. „Ja, wieso?“ „Ich habe ihren Vater gut gekannt, ich habe seinerzeit gegenüber von ihnen beim Emil die Gärtnerlehre gemacht. Damals müssen sie gerade an die fünf Jahre gewesen sein!“ „Sie sind also von hier?“, will sie wissen. „Das kann man wohl sagen!“ Und wir reden etwas von damals. „Moment, ich gebe ihnen die Nummer der zuständigen Person, nein, warten sie, ich rufe am besten gleich dort an!“ Und nach einer Minute sagt sie mir: „Um dreiviertel elf im Gebäude des Amtsgerichts, zweiter Stock, Zimmer 211, Herrn Fischer!“ So einfach kann die Welt sein, wenn man nur will!

Die verbleibende Zeit bis zum Rendezvous schlendere ich durch die alte Stadt, teilweise noch umgrenzt von einer Stadtmauer, die auf einer Insel liegt. Sie war 1944 durch das Eingreifen eines einzigen Mannes vor der Bombardierung durch die Franzosen gerettet worden. Ich kannte ihn noch vom Stammtisch seines Gasthauses her, wo er einen Ehrenplatz hatte und auf Lebenszeit Freibier. Die Alliierten standen vor der Stadt, in diesem Bereich die Franzosen, und es hieß, am nächsten Tag würde bombardiert. Ebenjener Mann, damals noch jung und der französischen Sprache mächtig, schaffte es, in das Hauptquartier der Soldaten zu kommen und zum Kommandanten. Diesem erzählte er von der Schönheit der Stadt, ihren historischen Bauwerken, den Menschen. Da die Kapitulationsgespräche schon in Gang waren, willigte der Oberkommandant ein, auf Grund ‚technischer Schwierigkeiten‘ die Bombardierung um einen Tag zu verschieben. Und an diesem Tag wurde die Kapitulation unterzeichnet!