Umzug Anfang Sommer - Louise M. Moran - E-Book

Umzug Anfang Sommer E-Book

Louise M. Moran

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Beschreibung

Nachdem ihr Lebensgefährte eine Affäre gebeichtet hat, kommt Moira vorübergehend bei Freundinnen unter. Sie könnte sich ganz auf die abenteuerliche Wohnungssuche konzentrieren, wenn nicht ständig ein charmanter Radiomoderator und ein Horrorromanautor mit dunklen Augen ihren Weg kreuzen würden. Der fröhliche Cafébesitzer Arnaud mischt ebenfalls kräftig mit. Ein humorvoller Roman über die skurrilen Alltagserlebnisse und Gefühlsverwirrungen einer Schüchternen.

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Inhalt

Mitte Juni

Nachbarn

Auf der Gartenliege

Ende Juni

Picknick

Ganz in Weiß mit roten Pumps

Anfang August

Verführung

Erinnerungen

Schuhkauf

1. Mitte Juni

Scheiße«, flüsterte Tatjana.

Ihr mitleidiger Blick gab mir endgültig den Rest. Mir kamen die Tränen. Mit zitternden Lippen nahm ich einen großen Schluck Fencheltee, der mich in meiner verzweifelten Situation auch nicht mehr erschüttern konnte.

Wir saßen nach der Arbeit im Café Tisane und probierten wie jeden Freitag eine neue Sorte aus der langen Liste mit Früchte-, Kräuter- und echten Tees. Allerdings fühlte ich mich heute unserem abenteuerlichen Langzeitexperiment fast nicht gewachsen.

»Was wird aus eurem Urlaub?«, hakte Tatjana nach und rückte mit ihrem Stuhl ein Stückchen nach links, um sich die warme Junisonne ins Gesicht scheinen zu lassen.

Ich blieb lieber im Schatten. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mit dem Mistkerl auch noch nach Madeira fliege«, murmelte ich und versuchte, die Tasse schlückchenweise zu leeren, um dieses äußerst zweifelhafte Geschmackserlebnis endlich hinter mich zu bringen, das mich an schreiende Babys mit Verdauungsproblemen erinnerte.

»Eine schöne Reise kann eine Beziehung retten, aber okay, ich verstehe deine Gefühle. Bekommt ihr denn euer Geld zurück? Fremdgehen des Lebensgefährten ist sicherlich keine Gefahr, die von der Reiserücktrittsversicherung gedeckt ist, oder?«

»Wo denkst du hin? Er fliegt trotzdem. Mit ihr statt mir.«

»Was?«

»Ich bekomme natürlich meinen Anteil zurück. Den kann ich gut gebrauchen für die Mietkaution. Kennst du rein zufällig jemanden, der so durchgeknallt ist, für eine kleine Wohnung eine normale Miete zu verlangen statt einer astronomischen Summe? Nein? Dachte ich mir. Fragen kostet zumindest nichts.«

»Es ist echt aus?« Tatjana starrte mich an.

Ich starrte zurück. »Wie viele Geliebte muss der Partner denn haben, damit eine Trennung gestattet ist? Meine Mutter bequatschte mich gestern Abend am Telefon, ich solle um Himmels willen bei ihm bleiben und ein Auge zudrücken. Schließlich sei er Anwalt. Deshalb habe ich mich damals aber nicht in ihn verliebt. Das war purer Zufall, dass ich auf einer Party über seine Füße stolperte statt über die eines Germanistik- oder Sozialpädagogikstudenten. Ich pflege einen Partner fürs Leben nicht nach seinem zukünftigen Beruf, zukünftigen Gehalt und zukünftigen Status auszuwählen, sondern achte auf völlig andere Kriterien, die er neuerdings nicht mehr erfüllt, wie ich zwischenzeitlich herausfinden musste.«

»Ich wollte dich keinesfalls überreden, bei ihm zu bleiben. Mir ging es mehr um eine zweite Chance und so. Verstehst du? Ihr wohnt gerade mal ein halbes Jahr in der gemeinsamen Wohnung. Es gibt am Anfang manchmal gewisse Anlaufschwierigkeiten, bis man sich richtig zusammengerauft hat. Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten, und er bereut inzwischen alles.«

»Fünf Monate. Ja, deinen Standpunkt verstehe ich. Wir wären hier jedoch bereits bei Chance Nummer drei angelangt. Doch das hat sich ohnehin erledigt. Offensichtlich hat er die Frau fürs Leben gefunden. Er wirkte sehr erleichtert, als ich anbot, so bald wie möglich auszuziehen.«

»Das geht von ihm aus?«

»Wir wollen beide die Trennung. Das ist seit Monaten der erste Punkt, bei dem wir uns mal einig sind. Da ich mir die Wohnung allein nie und nimmer leisten kann, brauchen wir gar keine Münze zu werfen, wer sie behalten darf. So, wie ich ihn momentan einschätze, wird die reizende Rechtsanwaltsfachangestellte, mit der er in den vergangenen Wochen die vielen Überstunden geschoben hat, bei ihm einziehen, solange meine Seite des Betts noch warm ist. Die Möbel behält er übrigens ebenfalls, will mir jedoch meinen Anteil abkaufen. Er hat sich das offenbar seit geraumer Zeit ganz genau überlegt, während ich ahnungslos seinen Nacken nach einem seiner langen Arbeitstage massiert habe. Bis gestern. Da hätte ich ihn am liebsten gewürgt statt massiert.«

Ich holte ein Taschentuch aus der Umhängetasche, tupfte die Tränen von meinen Wangen und putze mir die Nase. Ab einem gewissen Punkt konnte man das Heulen nun mal keinesfalls länger ignorieren. Spätestens dann, wenn die Tränen nicht nur aus den Augen liefen, sondern den Weg durch die Nase zu nehmen drohten, war man gezwungen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Aus den Augenwinkeln sah ich Mehmet, der seinen Platz hinter dem Tresen verlassen hatte, um neu angekommene Gäste persönlich zu begrüßen. Als er bei uns vorbeikam, stellte er wie selbstverständlich eine Untertasse mit vier der winzigen Chocolate-Chip-Cookies vor meine Nase, die normalerweise lediglich einzeln jedes Heißgetränk begleiteten, bevor er zwei Tische weiter einen der Gäste herzlich umarmte und den anderen auf die Schultern klopfte.

Ich starrte abwechselnd auf die Kekse und auf Tatjana, die sich ein Grinsen nicht mehr länger verkneifen konnte.

»In diesem Café geht kein heulender Gast ohne Trostkeks nach Hause«, erläuterte sie. »Da ich seine Nachbarin bin, fällt die Ausbeute entsprechend üppiger aus.«

»Nachbarin?«

»Er und Arnaud wohnen in der Maisonettewohnung über uns. Habe ich das nie erzählt?«

»Nö.«

»Sorry.«

»Sie teilen sich die Wohnung? Sind sie homosexuell oder WG-Genossen?«, flüsterte ich.

»Da sie verheiratet sind, gehe ich stark davon aus, dass sie schwul sind und nicht einfach nur das Finanzamt betrügen wollen«, flüsterte Tatjana übertrieben vertraulich zurück. In normaler Lautstärke fuhr sie fort: »Wir waren bei der Hochzeit zum Sektempfang. Sie hatten an dem Tag das Café geschlossen und alle möglichen Freunde und Verwandte eingeladen. Und uns Nachbarn. Fand ich unheimlich nett von ihnen, mich einzuschließen, obwohl ich bei Vivian nur zur Miete wohne.«

»Danke«, sagte ich zu Mehmet, als er an unserem Tisch vorbeikam, was mit einem freundlichen Lächeln quittiert wurde. Er war mit seiner wortkargen und gemütlichen Art das genaue Gegenteil von Arnaud, der quirlig und redselig sämtliche Klischees eines Cafébesitzers erfüllte. Nachdenklich betrachtete ich die vier Kekse.

»Hau rein!«, ermunterte mich Tatjana. »Oder sollen wir uns lieber eine Suppe bestellen? Es ist zwar erst kurz vor sechs, aber ich hätte jetzt auch Appetit auf ein Abendessen.«

Sie wartete keine Antwort ab, sondern betrachtete die Seite mit den herzhaften kleinen Gerichten, während sie gedankenverloren in einen Keks biss. »Warum studiere ich überhaupt jeden Freitag die Karte, wenn ich dann doch wieder beim Lachssandwich lande?« Sie klappte die Speisekarte zu und blickte erwartungsvoll zur Bedienung, die am Nebentisch gerade Kaffee und Muffins servierte. Beim Café Tisane handelte es sich um kein Café im eigentlichen Sinne, denn es war keiner Konditorei angegliedert und bot ausschließlich am Wochenende eine größere Auswahl an Kuchen. Wochentags glich es mehr einem Bistro mit teils abenteuerlicher Teeauswahl.

Kurz darauf erkundigte sich die Bedienung nach unseren Wünschen.

»Ich nehme die Tagessuppe«, sagte ich.

»Hm … Nehme ich die auch?«, überlegte Tatjana laut. »Was gibt es denn heute?«

Während ich stumm auf die Tafel neben der Theke deutete, auf der groß, breit und in wunderbar leserlicher Schrift das Tagesangebot stand, antwortete die Bedienung freundlich: »Brokkolicremesuppe mit Walnussbrot.«

»Ach, nein, die mag ich nicht!« Tatjana verzog angewidert das Gesicht. »Das Zeug riecht beim Kochen immer irgendwie nach Pups. Bringen Sie mir bitte ein Lachssandwich!« Sie schloss die Karte und schenkte der jungen Frau ein entwaffnendes Lächeln. »Und eine kleine Apfelsaftschorle. Das können Sie mitnehmen.« Sie deutete auf die Tasse mit ihrem Fencheltee, von dem sie höchstens drei Schlucke getrunken hatte.

»War etwas nicht in Ordnung damit?«, fragte die Bedienung erschrocken.

»Nein, alles bestens«, antwortete ich schnell, bevor Tatjana auf die Idee kam, den Geschmack auf ihre unverblümte Art zu beschreiben. »Wir probieren hier jeden Freitag einen anderen Tee und sind selbst schuld, wenn …« Mir fehlten plötzlich die Worte.

»… wir dabei ins Klo greifen«, vervollständigte Tatjana grinsend meinen Satz.

»Was macht euer Umbau?«, fragte ich später, während ich mir die Suppe hineinzwang. Kummer raubte mir stets den Appetit. Doch ich hatte heute kaum etwas gegessen und musste das dringend nachholen, um nicht aus den Latschen zu kippen.

»Schlimm! Morgen wollen wir im Schlafzimmer das Laminat verlegen, nachdem wir das letzte Wochenende damit vergeudet haben, den ganzen Schutt wegzuräumen, mit dem die Trennwand zwischen Kinderzimmer und Rumpelkämmerchen gefüllt war. Alexanders Vater hatte nur mal eben mit dem großen Hammer gegen die morschen Bretter geschlagen und bekam als Antwort eine Staubwolke. Wir vermuten, dass die damals kurz nach dem Krieg all ihren Dreck in den Wänden entsorgt hatten. Zur Isolierung oder so. Manches sah aus wie Kaminasche und Schlacke!« Sie redete sich in Rage, bis sie sich selbst ins Wort fiel. »Sag mal: Das habe ich dir doch schon alles am Montag in der Mittagspause erzählt!«

»Ja, hast du. Aber es interessiert mich, wie es weitergeht«, versuchte ich erfolglos, mich herauszureden.

»Ganz nebenbei lenkst du das Gespräch geschickt von dir weg, damit ich mich heute Abend wieder verwundert frage, warum ich so wenig über dich weiß. Nee, nee, Frolleinchen! Diesmal erzählst du brav, was du jetzt machst und wie ich dir helfen kann. Bei Alexander und mir liegt bloß die Wand in Trümmern, auf keinen Fall unsere Beziehung.« Sie ergriff meine Hand und drückte sie kurz mitfühlend.

»Mir ist nicht zu helfen«, antwortete ich lapidar. »Ich werde mich morgen intensiv auf Wohnungssuche begeben. Es war eine selten dämliche Idee, Job, Wohnung und Bekanntenkreis hinter mir zu lassen und mit diesem Hallodri zweihundert Kilometer weit umzuziehen. Ich wollte keine Fernbeziehung. Das habe ich nun davon. Er hat sich schleichend verändert, seit er in den Beruf eingestiegen ist. Als Student war er ganz anders. Sonst hätte ich mich niemals in ihn verliebt.«

»Willst du wieder zurück?« Tatjana wirkte erschrocken.

»Wie denn? Ohne Wohnung und ohne Job? Hier habe ich wenigstens eine Stelle, bei der bald die Probezeit abläuft. Außerdem sieht die Hänselsbrücke vielversprechend aus. Zum Springen eignet sie sich mangels ausreichender Fallhöhe eher weniger. Vielleicht kann man jedoch darunter schlafen, sofern gerade kein Hochwasser herrscht.«

»Das mit dem Springen ist nicht dein Ernst, oder?« Tatjana schenkte mir einen besorgten Blick.

»Nein, die einfache Lösung gönne ich Ludger um keinen Preis! Lieber bleibe ich in der Wohnung bis zur Räumungsklage. Sorry, ich weiß, dass man darüber keine Scherze machen darf. Nein, ich denke nicht an Selbstmord, sondern eher an Totschlag im Affekt, aber den kann man keinesfalls planen. Das liegt leider in der Natur der Sache.«

»Stranguliere ihn mit einer seiner Seidenkrawatten, ich gebe dir für die Tatzeit ein Alibi, und du hast die Wohnung für dich.«

»Dein Hilfsangebot schließt also auch Beihilfe zum Mord ein?«

»Hey, wozu hat man Freunde?«

»Lass uns lieber wieder über eure mit Asche gefüllte Holzwand reden.« Ich schob die leere Suppentasse beiseite und nahm mir den Keks, den Tatjana mir von den vier übriggelassen hatte.

»Sollen wir uns noch einen vernünftigen Tee bestellen oder nehmen wir einen Ortswechsel vor und unterhalten uns auf meinem Zimmer weiter?«

Ich starrte sie an. Das war das erste Mal, dass mich Tatjana zu sich einlud. Ich hatte bisher immer angenommen, es sei ihr unangenehm oder unmöglich, in ihrem WG-Zimmer Besuch zu empfangen. Nun schlug sie es im lockeren Plauderton ganz nebenbei vor.

»Freitags beißt Vivian so gut wie nie! Du musst keine Angst vor ihr haben«, zog mich Tatjana auf und gab der Bedienung ein Zeichen.

»Sorry. Ich stehe heute neben mir. Ich komme gern mit. Danke für die Einladung!«

»Wir möchten bitte zahlen«, erklärte sie der jungen Frau, die das Geschirr abräumte.

Tatjana wohnte bei Vivian, mit der sie seit ihrer Schulzeit befreundet war.

Ich hatte während des Studiums notgedrungen in einer Fünfer-WG unterkommen müssen und besaß keine schönen Erinnerungen an diese chaotische Zeit. Ständig ging es ums Putzen, dreckiges Geschirr und unbezahlte Mietanteile. Obwohl mich das alles nichts anging, weil ich pünktlich zahlte und aus purem Ekel weit mehr als meinen Anteil an den Arbeiten übernahm, wurde ich andauernd in diese Streitereien hineingezogen und hatte kaum Ruhe zum Lernen. Selbst dann, wenn ich mit einem Gehörschutz in meinem Zimmer saß, wollte andauernd irgendjemand etwas von mir oder machte einen dermaßen barbarischen Lärm, dass er trotz Schutzmaßnahmen zu mir durchdrang.

Doch vermutlich ging es in Vivians Wohnung friedlicher zu, sonst hätte sich Tatjana sicher längst etwas anderes gesucht. Dass sie demnächst ausziehen wollte, hatte nichts mit ihrer Vermieterin zu tun, sondern mit dem Umzug einer alten Dame ins Pflegeheim. Tatjana und Alexander sanierten seit Monaten mit tatkräftiger Unterstützung seiner Eltern das seit Jahrzehnten renovierungsbedürftige Haus seiner Großmutter, um dort anschließend gemeinsam eine glückliche Beziehung fortzusetzen.

Tatjana und ich hatten es nicht weit bis zu dem Gebäude aus den Achtzigerjahren, das irgendein findiger Architekt zwischen zwei hübsche, vierstöckige Altbauten in die Häuserzeile gequetscht hatte. Doch nach dieser bahnbrechenden Idee hatte ihn seine Findigkeit offensichtlich verlassen, denn das Haus war für meinen Geschmack furchtbar hässlich.

Während Tatjana die Haustür aufschloss, blickte ich ratlos nach oben und fragte mich, ob es unter all den Fenstern mit dunklen Holzrahmen überhaupt zwei gab, die dieselbe Größe hatten. Beim flüchtigen Hinsehen schien die Maisonette gar keine Außenwände zu besitzen und stattdessen nur aus Glasscheiben zu bestehen. An den meisten waren als Schutz vor der Sommersonne die braunen Rollläden heruntergelassen, die einen deutlichen Kontrast zu der schneeweißen Fassade und den roten Dachziegeln bildeten.

Der Vorgarten war in zwei Stellplätze umgewandelt worden, was jedoch einen Autofahrer nicht davon abgehalten hatte, sich auf die gezackte Linie vor den Ausfahrten zu stellen. Wie überall herrschte auch in dieser Seitenstraße akute Parkplatznot. Wer selbst für Stellplätze sorgte, wurde für diesen Luxus von den zahllosen Laternenparkern durch gnadenloses Zuparken bestraft, um zu demonstrieren, was man von seiner hemmungslosen Prunksucht hatte.

»Komm rein! Drinnen ist es schöner!«, meinte Tatjana schmunzelnd.

Sie behielt recht. Zwar entsprach das Treppenhaus dem Stil des Gebäudes, aber auf jeder Etage schmückte ein Gemälde die weiße Wand neben der Wohnungstür. Im Hochparterre zeigte es eine splitternackte Frau, die auf einer Blumenwiese lag und sich eine Sonnenblume vor die alles entscheidende Körperpartie hielt. Im ersten Stock war in ähnlicher Pose eine Hündin abgebildet, bei der mangels strategisch günstig platzierter Blüte nichts zu raten übrigblieb. Dafür hatte sie die Sonnenblume quer im Maul. Bei der Dame war ich mir noch unsicher gewesen. Doch spätestens die Hündin bestätigte mir die Ironie dieser Aktion. Ich musste trotz Kummer herzlich lachen.

»Soll ich aufschließen, oder möchtest du das Bild in der obersten Etage auch gern sehen?«, fragte Tatjana lächelnd.

Ich zögerte. »Können wir einfach so raufgehen?«

»Das bedeutet bei dir wohl: Ja, ich will es unbedingt sehen! Komm mit! Mehmet betrachtet es als Kompliment, wenn sich jemand für seine Bilder interessiert. Wer diese Art von Humor versteht, hat bei ihm endgültig einen Stein im Brett.«

»Mehmet hat das gemalt?«, fragte ich überrascht.

»Ja. Die Bilder im Café Tisane sind auch alle von ihm. Da richtet er sich nach dem Publikumsgeschmack, weil er die verkaufen will. Wobei er hier ebenfalls die Wünsche der Bewohner berücksichtigt hat, wenn man es genau nimmt. Damian wollte eine splitternackte Frau, und Vivian wollte etwas Niedliches, das Damian ärgert. Tja, und Mehmet hat auf seine Weise geliefert.«

Wir stiegen die Treppe zur obersten Wohnung hinauf. Ich stand andächtig vor einer Winterlandschaft, deren dezente Farben sich wunderbar in die Umgebung einfügten, die aus weißen Rauputzwänden, grauen Steinstufen und einer graublauen Wohnungstür bestand.

Tatjana riss mich aus meinen Gedanken. »Können wir wieder? Sonst wundert sich bald jemand, wer im Treppenhaus herumlungert. Das ist alles unheimlich hellhörig. Zum Glück wohnen hier nur drei Parteien, die aufeinander Rücksicht nehmen.«

Eine Etage tiefer schloss sie die Wohnungstür auf, die direkt in einen Wohn- und Essbereich mit Kochecke führte, von dem sämtliche Türen abgingen. Am Esstisch saß eine junge Frau, die ich auf Ende zwanzig schätzte, vor einem Stapel mit Schulheften und hatte eines davon aufgeschlagen vor sich liegen. Vivian war Lehrerin für Deutsch und Geschichte, hatte Tatjana einmal erwähnt.

Nachdem alle Hallo gesagt hatten, stellte sie uns einander vor: »Das ist Moira, meine Kollegin aus dem Labor, und das ist Vivian. Ich hole uns schnell was zu trinken. Wir gehen auf mein Zimmer. Dann hast du deine Ruhe.«

Vivian hob abwehrend die Hand. »Quatsch! Setzt euch auf die Couch. Ich bin beim letzten Heft und gleich durch. Danach lass’ ich euch allein und lese ein bisschen.«

»Oder du setzt dich zu uns«, schlug Tatjana vor.

»Gern. Danke!« Vivian schien sich zu freuen und betrachtete mich neugierig.

Ich nahm mit gemischten Gefühlen auf der Couch Platz. Eigentlich wollte mich Tatjana weiter über mein aktuelles Problem ausquetschen. Wir waren hergekommen, weil mir die Umgebung im Café zu öffentlich für dieses Thema gewesen war. Und nun sollte ich vor einer Fremden die Trümmer meines Daseins ausbreiten? Das konnte nicht wahr sein!

Kurz darauf brachte Tatjana ein Teetablett, verteilte die Becher und goss ein.

Vivian verstaute die Hefte in einer Tasche und setzte sich zu uns. »Du bist eine Kollegin von Tatjana?«, fragte sie mich gedankenverloren, was ihr soeben erklärt worden war.

»Ja.« Mehr fiel mir nicht ein, weil mein Gehirn komplett blockiert war.

»Außerdem eine sehr gute Freundin!«, ergänzte Tatjana strahlend und nahm sich Zucker. »Ich habe dir schon öfter von ihr erzählt, aber vielleicht vergessen, den Namen zu erwähnen. Sie hat sich gestern Abend von ihrem Lebensgefährten getrennt und sucht händeringend eine neue Bleibe. Hättest du etwas dagegen, wenn sie ein paar Kartons in den Keller stellt und in meinem Zimmer schläft, bis sie was Passendes findet?«

Als ich merkte, dass mir der Mund offen stand, schloss ich ihn schleunigst.

Vivian betrachtete mich nachdenklich. »Nein, das würde mich nicht stören. Aber bevor sie hier endgültig einzieht, möchte ich selbst entscheiden, ob ich ihr einen Mietvertrag anbiete.«

»D-das wäre nur vorübergehend, bis ich was gef-funden habe«, stotterte ich und spürte, wie ich knallrot wurde.

»Wir alle wissen, wie schwierig das ist«, sagte Vivian freundlich. »Möglicherweise versöhnt ihr euch ja auch wieder. Bleib ruhig eine Weile hier, schau dich auf dem Wohnungsmarkt um und sortiere deine Gedanken. Ich wollte das bloß von Anfang an klarstellen, damit es im Herbst bei Tatjanas Auszug keine Überraschung gibt. Ihre seltenen Gäste sind mir immer willkommen, solange sie hier wohnt.«

»Du kannst auf die Nebenkosten was draufschlagen«, schlug Tatjana strahlend vor.

»Jetzt schauen wir erst einmal, wie es weitergeht«, meinte Vivian lapidar und pustete, bevor sie vorsichtig einen Schluck aus ihrem Becher nahm. »Was habt ihr morgen auf der Baustelle vor?«, wechselte sie abrupt das Thema, sodass ich gar nicht mehr dazu kam, mich zu bedanken.

Ab da beherrschten Horrorgeschichten aus dem Bereich der Altbausanierung das Gespräch. Alles andere war mal eben ohne mein Zutun geregelt worden. Während ich aufmerksam zuhörte, sah ich mich verstohlen um. Das sollte also vorerst mein neues Zuhause sein. Ich fühlte mich unendlich erleichtert.

Nach einer Stunde verabschiedete ich mich, weil ich mit dem Packen anfangen wollte. Auf dem Heimweg in der S-Bahn kreisten meine Gedanken wie eine Weihnachtspyramide. Doch statt an Elch – Kerze – Engel dachte ich unentwegt an Ludger – Wohnung – Vivian.

Leise schloss ich daheim die Wohnungstür auf und lauschte: nichts zu hören. Unter keiner Tür war ein heller Streifen zu sehen. Entweder war Ludger unterwegs oder extrem früh zu Bett gegangen. Ich atmete tief durch, machte Licht im Flur und absichtlich viel Lärm beim Wechseln der Schuhe. Sollte sich hier ebenfalls ein Gast im Schlafzimmer befinden, sollte er – oder besser sie – wenigstens gewarnt sein. Aber offenbar war Ludger weit weniger geschmacklos, als ich befürchtet hatte. Im Schlafzimmer war niemand und das Bett genau so, wie ich es am Morgen verlassen hatte.

Ich ging ins Wohnzimmer und erstarrte. An meinem Esszimmerstuhl lehnte lässig ein gutes Dutzend nagelneue Umzugskartons. Ludger dachte eben in allen Lebenslagen praktisch.

Mit zitternden Knien setze ich mich auf den Nachbarstuhl und weinte hemmungslos. Alles hatte ich für Ludger aufgegeben: Job, Wohnung und meinen Bekanntenkreis. Am meisten vermisste ich die spontanen Treffen mit meinen dortigen Freundinnen, mit denen ich seither nur noch E-Mails austauschte, und meine kleine, schnucklige Wohnung, auf die ich so stolz gewesen war. Furchtbar eng und unpraktisch, jedoch mein eigenes Reich. Keine nervigen, faulen WG-Genossen mehr, und erst recht keine Eltern, die mir bei allem hineinreden wollten. Nach und nach hatte ich mir von meinen ersten Gehältern hübsche Möbel gekauft. Nichts Teures. Lediglich etwas, das ganz allein meinem Geschmack entsprach.

Beim Auszug hatte ich sie alle schweren Herzens verschenkt, weil sie Ludger nicht gefallen hatten und sich deshalb seiner Meinung nach der Transport kaum gelohnt hätte. Nun konnte ich wieder alles neu anschaffen.

Ich blickte aus dem Fenster auf die von der fast untergegangenen Sonne erhellten Fassaden der Nachbarhäuser. Vielleicht gab es das eine oder andere Möbelstück noch immer zu kaufen. Zumindest etwas Ähnliches?

Die Idee tröstete mich ein wenig. Oder es war die Erschöpfung nach dem Ausweinen, die mich beruhigte. Ich stand auf, baute einen Karton in der darauf angegebenen Reihenfolge zusammen und begann, ihn mit meinen Büchern zu füllen. Es handelte sich hauptsächlich um Taschenbücher.

Ich lächelte bitter bei dem Gedanken, dass sie Ludger ebenfalls zu schäbig fürs Wohnzimmer gewesen waren. Dennoch hatte ich mich standhaft geweigert, sie wegzuwerfen. Stattdessen hatte ich ihm vorgeschlagen, sie auf seine Kosten durch gebundene Ausgaben zu ersetzen, weil vergoldete Buchattrappen zu auffällig und nicht sonderlich gut lesbar gewesen wären. Das war ihm bei der schieren Menge dann doch zu kostspielig gewesen. Damals und heute war ich froh darüber, denn so war automatisch geklärt, dass sie mir gehörten.

Einer plötzlichen Eingebung folgend zog ich meine Matratze aus dem Bett und schleppte sie ins Wohnzimmer. Es sollte meine letzte Nacht in dieser Wohnung sein. Denn Tatjana hatte versprochen, morgen meine Sachen in Alexanders Kombi zu transportieren.

Vermutlich hatte Ludger ohnehin vor, anderswo zu übernachten. Die letzte Nacht hatte er auch schon außer Haus verbracht. Ich wollte dennoch sichergehen, auf keinen Fall neben ihm aufwachen zu müssen. Genüsslich stellte ich mir vor, wie er ab sofort auf den Lattenrost plumpste, wenn er sich mal wieder im Schlaf breitmachte.

Als ich am anderen Morgen die Augen aufschlug, traf mich die Realität wie ein Baseballschläger. Beim Teekochen kamen mir erneut die Tränen. Ach, meine hübschen, schwarzen Teebecher, die ich hatte verschenken müssen! Das meiste, was in dieser Wohnung herumstand, gehörte mir nicht wirklich, weil Ludger es ausgesucht hatte. Vielleicht hätte er mir das eine oder andere überlassen, aber ich wollte keinesfalls fragen, da ich ohnehin noch keine Ahnung hatte, wohin mit all dem Zeug. Es war lediglich vage von einem Kellerraum die Rede gewesen. Doch gesehen hatte ich ihn am Vortag nicht.

Ich zog mich an, ging ins Bad und fuhr anschließend fort, meine Sachen in Kartons, Taschen und Koffer zu packen.

Gegen zehn rief Tatjana an: »Hi, wie sieht’s bei dir aus?«

»Quadratisch, praktisch, kartoniert.«

»Oh! Schon in Kartons?«

»Ja, der liebe Ludger hatte mir gestern welche ins Esszimmer gestellt. Eine kleine Aufmerksamkeit am Abend als Trost, weil er nach der Arbeit nur kurz vorbeischauen konnte. Ist er nicht reizend? Man könnte sich glatt in ihn verlieben.«

»Ist nicht wahr!«

»Ich muss gestehen, dass das eigentlich ganz praktisch ist, weil ich ohnehin kaum geschlafen habe. Damit komme ich gut voran.«

»Woher weiß er, dass du heute ausziehst? Kann der hellsehen, oder hast du es ihm erzählt?«

»Das wusste er nicht, aber ein Stapel platte Kartons beschleunigt natürlich den Auszug, wenn man sie täglich vor Augen hat. So ist Ludger. So war er schon immer. Bisher hat sich das bloß nie gegen mich gerichtet. Ich muss all die Jahre völlig blind gewesen sein.« Ich schluchzte.

»Ach, du Arme! Soll ich vorbeikommen?«

»Nur, wenn du die erste Fuhre mitnehmen willst. Ansonsten komm, sobald du Zeit hast.«

»Brauchst du etwas? Soll ich irgendwas mitbringen?«

»Große Müllsäcke und ein bis zwei Malerfolien wären ganz praktisch. Darin könnte ich das Bettzeug und die Matratze einwickeln. Oder soll ich die besser nicht mitnehmen?«

»Warum? Willst du ab sofort auf dem Boden schlafen? Nö, bring die mit. Andererseits … Ist sie zwei Meter breit?«

»Nein, neunzig Zentimeter.«

»Passt! Es wird zwar ein bisschen eng vor dem Schrank, aber mein Bett ist bloß eins vierzig breit, und ich schlafe sehr temperamentvoll. Das mit dir zu teilen, wäre für dich lebensgefährlich. Du bist nicht so stark wie Alexander. Selbst er hat nachts mal was von getrennten Schlafzimmern gemurmelt, wenn ich ihn aus dem Bett geschubst hatte. Tagsüber können wir dein Teil hochkant stellen, damit wir uns drehen können. Die meisten Nächte schlafe ich ohnehin bei Alexander, aber der wohnt noch bei seinen Eltern. Da will ich unter keinen Umständen mit meiner Dreckwäsche ankommen und lege lieber einmal pro Woche einen Hauswirtschaftsabend bei Vivian ein. Wenn Alexander auf Dienstreise ist, fühle ich mich in seinem Elternhaus merkwürdig und bleibe lieber in meinem eigenen Zimmer. Seine Mutter und ich sind eben nicht gerade allerbeste Freundinnen, wie du weißt.«

»Das heißt, ich werde die meiste Zeit mit Vivian allein sein?«, fragte ich überrascht.

»Ja, du hast es erfasst.«

»Ist ihr das bewusst?«

»Ja. Genau deshalb hat sie sofort das mit dem Mietvertrag angesprochen.«

Ich war platt. So viel Großzügigkeit war ich nicht gewöhnt. Mir kamen erneut die Tränen.

»Weinst du?«, fragte Tatjana.

»Ihr seid beide so lieb!«, schluchzte ich. »Ich habe ganz vergessen, mich bei euch richtig zu bedanken, weil alles wahnsinnig schnell gegangen ist.«

»Vivian ist vielleicht lieb. Ich nicht. Ich habe gehofft, dass du meinen Anteil an der Hausarbeit übernimmst, damit ich mehr Zeit für die Baustelle habe. Das nennt man eiskalte Berechnung! Und Vivian hasst es, allein zu sein. Die freut sich wahrscheinlich heimlich auf Gesellschaft.«

»Ja, natürlich mache ich deinen Anteil – und auch gern deine Wäsche«, schlug ich vor.

»Biete das besser niemals an, sonst sag’ ich womöglich irgendwann Ja.«

»Das ist doch das Mindeste …«

»Das kann sich hier noch monatelang hinziehen. Nun komm erst einmal in Vivians Wohnung an. Der Rest findet sich. Ich klau mir jetzt ’ne Packung Malerfolien und ’ne Rolle Müllsäcke aus unserem Fundus und komme vorbei. Bis gleich!« Sie beendete das Gespräch, bevor ich mich heulend bedanken konnte.

Am späten Nachmittag schloss ich zum letzten Mal die Wohnungstür hinter mir ab. Ich setzte mich zu Alexander ins Auto, der mir mit den schweren Bücherkisten geholfen hatte. Während der Fahrt schickte ich Ludger eine Nachricht: Bin ausgezogen. Wann und wo Schlüsselübergabe?

Seinen Anruf kurze Zeit später drückte ich weg. Ich fühlte mich einem Gespräch nicht gewachsen. Es wäre mir peinlich gewesen, vor Alexander zu weinen.

Ludger versuchte es erfolglos ein zweites Mal und schrieb danach zurück: Entscheide du.

Ich tippte: Vor Cafe Tisane in Goethestraße. Ruf an. Dann komm ich hin.

Eine halbe Stunde später folgte sein Anruf. Ich gab ihm auf dem Gehweg vor dem Café den Schlüssel und einen Zettel mit meiner neuen Adresse und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ob er mir nachsah, blieb deshalb für immer sein Geheimnis. Keiner von uns hatte dort ein Wort gesprochen.

Da ich die Kartons beschriftet hatte, hielt sich das Chaos in Vivians Wohnung in Grenzen. Alles, was ich nicht dringend benötigte, wanderte gleich in ihren erstaunlich großen Kellerraum, in dem vorher lediglich eine Gefriertruhe und ein paar Gartenstühle gestanden hatten. In Tatjanas Zimmer stapelten wir meine Sommerklamotten auf dem Bett, packten Tatjanas Wintersachen in die geleerten Kartons, die wir neu beschrifteten, und verstauten meine Kleidung im halbleeren Schrank.

Tatjana hielt mein nachtblaues Baumwollsatinkleid hoch und meinte verschmitzt: »Natürlich kann es ab und an zu bedauernswerten Verwechslungen kommen, wenn man sich einen Schrank teilt.«

»Behalt es!« Ich räumte meine Unterwäsche in eine Kommodenschublade, die bis eben Mützen, Schals und Handschuhe beherbergt hatte.

»Mist! Nicht meine Größe!« Sie zwinkerte mir aufmunternd zu.

Ich war glücklich, so eine wunderbare Freundin zu haben.

Anschließend wollte ich alle Beteiligten zum Abendessen in ein Restaurant einladen. Tatjana winkte jedoch ab. Das Laminat verlegte sich keineswegs von allein. Alexander brauchte sicherlich dringend ihre Unterstützung.

»Aber bei solchen Sachen habe ich ein ganz erstaunliches Gedächtnis und werde dich bei Gelegenheit vehement an dein Versprechen erinnern.« Sie umarmte mich zum Abschied.

2. Nachbarn

Ich trug die Kisten mit Tatjanas Wintergarderobe in den Keller, schloss ab und hängte den Schlüssel oben zurück ans Schlüsselbrett.

»Isst du eigentlich Fleisch?«, fragte mich Vivian aus der Kochecke.

»Ja, so ein- oder zweimal pro Woche. Warum fragst du?«

»Weil mir das jetzt erst einfällt, nachdem ich schon Hähnchenstücke in unseren Kartoffelauflauf gepackt habe. Puh! Glück gehabt!«

»Ich darf mitessen?«

»Ja, klar. Wäre doch blöd, wenn jeder für sich kochen würde und wir einander im Weg stehen würden.« Sie lachte. »Außerdem kommen meine Brüder hoch. Dann lernst du die auch gleich kennen.«

»Deine Brüder?« Ich verstand überhaupt nichts mehr.

»Hat Tatjana die nie erwähnt? Damian und Julian wohnen unter uns. Wir essen samstags immer zusammen zu Abend. Als Training zur Abhärtung, damit das alljährliche Weihnachtsessen mit unseren anderen Angehörigen kein allzu großer Schock wird. Arnaud und Mehmet von ganz oben kennst du?«

»Vom Sehen. Aus dem Café.«

»Dann kennst du nachher alle hier im Haus. Fremde lässt du unter keinen Umständen durch die Tür. Die haben entweder einen Schlüssel oder werden von einem Bewohner hereingelassen, der sie kennt. Hier in der Straße waren mal Betrüger unterwegs. Seither sind wir sehr vorsichtig.«

Da ich mich verschwitzt fühlte, sprang ich unter die Dusche und zog mir danach frische Sachen an. Als ich in Tatjanas Zimmer ratlos auf den gefüllten Schmutzwäschebehälter starrte und überlegte, wo ich meine Dreckwäsche sammeln konnte, klingelte es an der Wohnungstür.