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Silvia Furtwängler

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Beschreibung

»Über Jahre habe ich einen Weg der Stille und Kraft in mir entwickelt.«
(Silvia Furtwängler)


Silvia Furtwängler ist eine starke Frau, die ihren Traum lebt. Doch wer ist diese Frau, die internationale Schlitten-Rennen unter härtesten Bedingungen meistert? Die mit ihrer Familie in der Einsamkeit Nord-Norwegens lebt und für ihre Lieben kämpft wie eine Löwin? Die ihrem Bauchgefühl mehr vertraut als allem anderen?

In diesem Buch erzählt sie von ihrer schwierigen Kindheit, wie sie mühsam lernte, ihren eigenen Weg zu gehen. Dieser war geprägt von vielen Widerständen und schmerzhaften Rückschlägen, wie z.B. ihrer problematischen Schwangerschaft und dem Leben mit einem behinderten Kind. Kraft geben ihr Familie und Freunde, ihre Tiere und vor allem ihr intensives Leben mit und in der Natur.



  • »Über Jahre habe ich einen Weg der Stille und Kraft in mir entwickelt.« (Silvia Furtwängler)
  • Leben im Einssein mit der Natur
  • Glaub an dich selbst! Lebe deine Träume! Ein Mutmachbuch.
  • Einsamkeit, Stille, Natur – eine Energiequelle für jeden!
  • Der steinige Weg zur Powerfrau

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Seitenzahl: 255

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Silvia Furtwängler

Unbezähmbar

Leben zwischen Stille und Sturm

In Zusammenarbeit mit Regina Carstensen

Für Jürgen, Maurice, Raffaella und Steven

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2017 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlaggestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See

Umschlagmotiv: © Privat (Schlittenmotiv © Dmitry Sharomov)

ISBN 978-3-641-20632-1V001

www.gtvh.de

INHALT

1. Ein altes und ein neues Haus

2. Nick – eine Totgeburt

3. Hey, Krankheit, glaub nicht, dass ich dich ernst nehme

4. Die Familie kann mir nichts mehr sagen

5. Sieh zu, dass du um dein Leben kämpfst

6. Unbedingt durch die Eishölle

7. Fröhliche Rabenmutter

8. Manchmal muss es ein Nein sein

9. Haben Männer wilde Gene?

10. Ab in den hohen Norden

11. Das verborgene Leben in uns

12. Manchmal ist der Mensch eine Bastelanleitung

13. Natur – Zapfsäule an einer Tankstelle

14. Der Baumarkt ist mein Shoppingparadies

15. Umkrempeln im Outback

16. Bloß keine Angst

17. Schön mittelalterlich

18. Wanderungen für die Seele

19. Traktorreifen und tanzende Lichter

1. EIN ALTES UND EIN NEUES HAUS

»Die Mauer passt.« Große Erleichterung. Gebannt sehen wir zu, wie sie montiert wird, an das restliche Gebäudeskelett am felsigen Abgrund. Ein waghalsiges Unterfangen. Es hätte auch schiefgehen können. Zwei falsch berechnete Zentimeter, letztlich nichts, aber unsere gesamte Hauskonstruktion wäre in sich zusammengebrochen. Jürgen steht neben mir und fängt an zu weinen. Nur selten sehe ich meinen Mann weinen. Eigentlich nie. »Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen«, sagt er, nachdem er sich ein wenig beruhigt hat, »diese Last war doch immens gewesen.« Erstaunt schaue ich ihn an. In den vergangenen Monaten hatte ich ihm nichts angemerkt, ich hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, dass er die ganze Zeit über eine solche Bürde mit sich herumgeschleppt hat. Das ist fast noch erschreckender, als wenn unser Rohbau zusammengekracht wäre. Wäre das passiert, man hätte eine Lösung finden müssen, hätte sich dem Problem von neuem widmen können. Aber über Wochen jeden Tag innerlich zu zittern, dass man womöglich einen Fehler gemacht hat – es tut mir in der Seele weh, dass er ständig Angst gehabt hatte und sich diese Angst aber nie hat anmerken lassen.

Ich würde mit so einem Problem völlig anders umgehen. Ich hätte offen über meine Ängste geredet. Aber im Grunde hätte ich gar keine gehabt, erst recht nicht, wenn ich wie Jürgen ein erstklassiger Techniker wäre und zugleich auch noch so etwas wie ein Mathegenie (jedenfalls in meinen Augen). Ich hätte von vornherein angenommen, dass es klappt. Auch ohne technisches Verständnis und eine lange Erfahrung, was man mit den eigenen Händen bauen kann – ich hätte einfach dieses Gottvertrauen gehabt. Ich habe dieses Gottvertrauen. Nun stelle ich erstaunt fest, er besitzt nicht dieses Vertrauen in das eigene Können. Doch stimmt das überhaupt? Ich muss ihm zugestehen: Hat er etwas für seine norwegische Firma zu konstruieren, übernimmt er zwar auch Verantwortung, aber sie ist nicht so emotional gelagert wie beim Bau eines Hauses für die Familie, für einen Sohn, der es wahrscheinlich einmal nicht leicht haben wird, wenn wir, Vater und Mutter, nicht mehr leben sollten.

Nie hatte ich mich als Hausbesitzerin gesehen, aber als wir dieses Haus an einem Hang der Hardangervidda entwarfen, war es nicht für uns gedacht, es sollte vor allem für Steven sein. In meinen Ohren klingen nochmals Jürgens Worte nach: »Die Mauer passt.« Diese Worte wären mir wirklich nicht in den Sinn gekommen, ich hatte nur dagestanden und zugesehen und überlegt, ob diese Mauer aus mit Beton zusammengehaltenen Blocksteinen auch später das gesamte Haus halten wird. Für Jürgen scheint die Angelegenheit mit dem Passen aber erledigt zu sein, für mich fängt sie jetzt erst an. Ein Haus am Hang darf nicht herunterrutschen. Nicht in den Abgrund hinein. Dieses ganze Gewicht! Bauen am Hang, das war unvorstellbar für mich gewesen, habe ich doch nicht die geringste Ahnung von Statik. Aber trotzdem war ich nicht wie mein Mann im Vorfeld dreitausend Tode gestorben. Würde irgendetwas hier am Bau zusammenbrechen, wäre das, da muss ich mir nichts vormachen, eine Katastrophe. Das wäre schlimm. Aber letztlich wusste ich: Es bricht nicht zusammen. Es darf nicht zusammenbrechen. Und wenn, dann habe ich Menschen um mich herum, die mir dabei zur Seite stehen.

Ich drehe mich um und blicke auf unser altes, gemietetes Holzhaus mit den weißen Sprossenfenstern, den roten Außenrahmen und dem mit Rasen und Wiesenblumen bepflanzten Dach. In diesem Haus in Varmevoll leben wir seit acht Jahren. Ein Blockhaus, zu dem keine Straße führt und das so eigenwillig ist wie wir alle in dieser Familie. Und das mir die Energie gegeben hat, die ich noch brauchte, um innerlich ruhig zu werden.

2. NICK – EINE TOTGEBURT

Wenn ich etwas von Anfang an konnte, dann war es das: Aller Welt von meinen Problemen zu erzählen, auch wenn’s keiner hören wollte. Hauptsache, ich trug das Belastende nicht mehr allein in mir herum. Ein sehr einschneidendes Erlebnis war in dieser Hinsicht die Totgeburt meines Kindes gewesen. Zwei Kinder hatte ich schon, einen Sohn und eine Tochter, Maurice und Raffaella. Von ihrem Vater hatte ich mich getrennt. Nun hatte ich Jürgen kennengelernt, und wir wünschten uns nichts sehnlicher als ein gemeinsames Kind. Maurice und Raffaella hatten es beide nicht eilig gehabt, den Mutterleib zu verlassen, anscheinend fanden sie es dort recht gemütlich. Als Maurice zwei Wochen über der Zeit war, meinte mein damaliger Arzt: »Na Mädel, hast dich wohl verrechnet. Bist ja auch noch jung.« Ich war damals einundzwanzig, jung, das stimmte, aber es konnte nicht sein, dass ich mich verrechnet hatte. Ich wusste immer ganz genau, wann ich meine Tage hatte. Selbstbewusst protestierte ich: »Das kann nicht sein, ich hab genau nachgezählt, ich bin jetzt vierzehn Tage überfällig.« Missmutig schaute mich der Halbgott in Weiß an – vor gut fünfunddreißig Jahren wurden Ärzte noch so gesehen –, er duldete keinen Widerspruch. Doch bei dem Kind, dem Kind von Jürgen und mir, sah es genau anders aus. Ich betete um jede Woche, die es in meinem Körper blieb, sich weiter bis zur eigenen Lebensfähigkeit entwickelte. Und auch jetzt hatten mich Ärzte beruhigen wollen, doch ich hatte inzwischen gelernt, nicht jedem »Halbgott« zu vertrauen. Ich musste die Sache selbst in die Hand nehmen.

Bei Maurice hatte ich es kurz vor der Geburt auch schon gemacht. Eine Idee war schneller geboren als mein Sohn: Ich entschloss mich kurzerhand, eine Wandertour zu machen, hoch einen Berg hinauf, rund fünf Stunden, dann wieder hinunter, vielleicht rutschte das Baby dann Richtung Muttermund. Das Ergebnis war frustrierend. Trotz aller körperlichen Anstrengung, trotz aller Bewegung passierte gar nichts. Erst einige Tage später platzte die Fruchtblase. Bei Raffaella war es nicht viel anders gewesen. Immerhin merkten in diesem Fall die Ärzte, dass etwas dann doch nicht stimmte, sie blieb einfach zu lange in mir drin. Ein Kaiserschnitt wurde notwendig, und der operierende Gynäkologe fragte mich: »Ähm, sind Sie vielleicht eine Sportlerin aus dem Osten? Sie haben so eine Muskulatur ...« Entgeistert sah ich den Arzt an, ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte. Er begriff und erklärte: »Bei einem solchen Muskelaufbau, wie Sie ihn haben, will kein Kind rauskommen. Es hat dazu gar nicht die Kraft.« Es war wenige Jahre nach der Wende, und nun war ich auf einmal eine Hochleistungssportlerin aus der DDR. Ohne Sport konnte ich mir tatsächlich kein Leben vorstellen, aber nie und nimmer hätte ich mich als Hochleistungssportlerin bezeichnet, und zur Welt kam ich in Köln – das war nicht unbedingt Osten. Oder doch?

Was war nur los mit diesem dritten Kind?

Es war nicht das erste Baby von Jürgen und mir. Ich war Ende zwanzig, als wir uns ineinander verliebten. Dieser große blonde Mann, attraktiv und von sehr besonnener Art, war so ganz anders als der Vater meiner beiden ersten Kinder. Ich war sehr bald sicher, dass ich mit diesem Mann Pferde stehlen konnte, also alt werden wollte. Und so heirateten wir. 1993. Inzwischen war ich Mitte dreißig, und da ich immer einen Haufen Kinder wollte, war der Wunsch nach einem weiteren Kind für uns selbstverständlich. Nicht so selbstverständlich war das, was dann geschah, nachdem wir gemeinsam beschlossen hatten, unsere Familie zu vergrößern. Es dauerte nicht lange, und ich wurde schwanger. Große Freude, großes Glück. Aber schon bald verlor ich das Kind. Große Trauer. Doch kurz danach war ich wieder in anderen Umständen, wie es damals so schön hieß. Und erneut passierte das Furchtbare, ich verlor das Kind. Ich gab nicht auf, letztlich hatte ich insgesamt neun Fehlgeburten. Wie war das möglich? Es irritierte mich maßlos, denn ich hatte schon zwei gesunde Kinder auf die Welt gebracht. Waren meine Eizellen irgendwie allergisch auf Jürgens Samen? Das war mein erster Gedanke, es gab dieses Phänomen, und es schien eine Erklärung zu sein für das, was ich gerade durchmachte.

Schließlich war ich abermals schwanger, doch dieses Mal hatte ich es bis zum fünften Monat geschafft. Alles schien gut zu verlaufen, und so wagten Jürgen und ich es, endlich in den Urlaub zu fahren. Doch bei unserer Rückkehr hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich fühlte mich nicht wohl, dabei hatten wir doch gerade erst Ferien gemacht. Um meinem Unwohlsein auf den Grund zu gehen, suchte ich am nächsten Morgen meinen Frauenarzt auf. Damals lebten wir im Allgäu, in der Nähe von Memmingen. Der Gynäkologe untersuchte mich mit Ultraschall, und dabei stellte er etwas Schreckliches fest. Fast tonlos sagte er: »Ihr Baby ist nicht mehr am Leben, es gibt keine Herztöne von sich.«

Ich glaubte, mich verhört zu haben. Das konnte nicht sein, auch wenn ich mich nicht mehr genau erinnern konnte, wann ich das Kind in mir gespürt hatte. Hatte ich es überhören wollen? Noch ganz benommen von dieser Nachricht und meinem Gedankenwirrwarr fragte ich: »Und nun?«

Bei aller Verzweiflung, die sich in mir ausbreitete, begriff ich doch: Ich hatte ein totes Kind im Bauch, und dort konnte es nicht bleiben. Doch wie kam es aus mir heraus, es war doch schon so viele Monate alt? Durch eine Ausschabung? Laut stellte ich diese Frage.

»Für eine Ausschabung ist das Kind zu groß«, bemerkte der Arzt, als er sich mit seiner Hand durch das braune Haar fuhr, einige Silberfäden bemerkte ich trotz der schwierigen Situation; vielleicht aber auch gerade wegen ihr. »Sie müssen es normal zur Welt bringen.«

Ich musste schlucken. Normal zur Welt bringen – was war daran normal, ein totes Kind zu gebären? Es war das Unnatürlichste, was ich mir vorstellen konnte.

»Aber wie geht das ohne Wehen?«

»Die werden künstlich in Gang gesetzt. Es tut mir leid.«

Aus der Arztpraxis wurde ich direkt in ein Krankenhaus transportiert. Geburtsstation. Es war kaum zu ertragen. Da lag ich in einem Klinikbett, wartete nach der Spritze auf das Einsetzen meiner Wehen – und in meiner unmittelbaren Umgebung schrien die werdenden Mütter, die pressten und pressten und meinten, sie könnten nicht mehr, um dann doch zu können und ein gesundes Baby zu gebären. Wie verrückt war das denn? Mich selbst hatte man nicht in den Kreißsaal geschoben, das hatte man dann doch als nicht richtig empfunden, aber ich befand mich in einem kleinen Raum direkt daneben. Er war so klein, dass mehr als das Bett darin kaum Platz hatte, die Tür stand deshalb auch offen. Wann wirkte denn endlich die Wehen-Spritze? Es dauerte endlos lange. Und all die gesunden Kinder, die ihre Lungen testeten und laut kundtaten, dass es ihnen gar nicht gefiel, so plötzlich selbst atmen zu müssen, sie nagten mit ihrem kräftigen Gebrüll sehr an meiner Seele.

Eine Hebamme mit mausgrauen Augen erschien und schaute besorgt auf ihre Uhr. »Sie müssen herumlaufen, laufen und laufen, sonst wird das nichts.«

Wahrscheinlich hatte sie in meiner Akte gelesen, dass ich ein Muskelpaket bin, ich, die einstige DDR-Sportlerin.

Mitten im Laufen erklärte sie: »Wenn das Kind jetzt nicht bald kommt, müssen wir operieren. Sonst wird es zu gefährlich.«

Nun hatte ich genug. »Es mag ja sein, dass ihr hier alle hektisch werdet, was mich betrifft, aber wenn ihr nicht die Geduld habt, ich habe sie.« In meiner Wut hatte ich das Sie vergessen. »Das Kind in mir ist bestimmt schon zwei Tage tot, und jetzt möchte ich es so zur Welt bringen, wie ich es will. Ich laufe hier noch ein paar Stunden herum, und sollte bis heute Abend nichts passiert sein, können wir immer noch eine Entscheidung über eine Operation treffen.«

»Aber es könnte auch für Sie gefährlich werden ...«

»Nichts da«, unterbrach ich sie. »Sie haben doch gehört, was ich gesagt habe.«

Es war mir wichtig, dem Kind, das nicht mehr am Leben war, trotzdem diese Ruhe zu geben. Wenn seine Seele noch ein wenig Zeit brauchte, um sich von mir zu verabschieden, dann sollte es diese haben. Diese Gelassenheit wollte ich für das Kind aufbringen. Es hatte schon genug durchgemacht.

Die Hebamme schaute mich aus ihrem fahlen Gesicht erstaunt an. Mit einem derartigen Widerstand hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. Eher mit einer Frau, die sich in ihr Schicksal ergibt. Ich aber wehrte mich, verkündete deutlich und mit Nachdruck, was ich nicht wollte. Und schon gar nicht wollte ich mir Angst einjagen lassen. Das funktionierte nicht bei mir, diese Taktik hatte keine Chance. Ich wusste selbst am besten, wann ich Angst haben musste, das war wie ein Instinkt, der mir sagte, dass ich zu handeln hatte. In dieser Situation hatte sich meine Angst aber nicht gemeldet. Es ging einzig und allein darum, dem Kind Zeit zu geben.

Und ich hatte richtig entschieden. Wir mussten langsam voneinander Abschied nehmen.

Schließlich merkte ich, dass sich etwas tat, vorsichtig ging es los. Ich musste pressen, so wie alle anderen werdenden Mütter pressten, und Arzt und Hebamme standen um mich herum wie Zuschauer, die darauf warteten, dass endlich etwas geschah. Und dann wurde Sätze geäußert, die ich nie vergessen werde, ich hörte auf einmal, wie gesagt wurde: »Können wir jetzt nicht mal daran ziehen, damit wir die Sache hier endlich beenden können? Es ist doch sowieso schon tot.«

»Ist das passiert, oder denke ich nur, dass es passiert ist?« Ich konnte das nicht stehen lassen.

Jürgen war bei mir, aber er war völlig hilflos, auch überfordert, weil er nicht wusste, wie er mit dem Klinikpersonal, wie er mit mir umgehen sollte. Schon damals machte er alles nur mit sich selbst aus, um, wie er meinte, andere nicht zu belasten. Aber wieso hätte er mich belastet, wenn er sich für mich eingesetzt hätte? Außerdem: Ich hätte immer noch selbst entscheiden können, ob ich belastet werden wollte oder nicht. Ohne weiteres hätte er mir das zu verstehen geben können.

Ich wandte mich an die Geburtshelferin: »Sie können bestimmt ein wenig warten, ich drücke weiter, zwei-, dreimal, und dann wird mein Baby draußen sein. So viel Zeit muss sein.«

Eigentlich hätten Jürgen oder die Hebamme mich auffangen müssen, von der Hebamme will ich gar nicht sprechen, aber von meinem Mann hätte ich das erwartet. »Hallo, das wird schon, wir kriegen das hin.« Aber wir hatten zusammen noch keine schweren Krisen durchstehen müssen, wir waren noch in einer Phase, in der der Himmel über uns ungetrübt war. Offen Gefühle zu zeigen, zumal in einem Raum mit Ärzten und Schwestern – war undenkbar. Und so kehrte sich alles um, so sagte ich, obwohl es mir schlecht ging: »Es wird alles gut.«

Und tatsächlich, nachdem ich noch zweimal gepresst hatte, war das Baby da.

Viel konnte ich nicht durch meine Beine hindurch sehen. Es war so winzig, so nackt und schutzlos.

»Halt«, sagte ich, als man es mir sofort wegnehmen wollte. Ich möchte es sehen.«

Wieder erstaunte Blicke. »Es sieht nicht schön aus.«

»Das ist mir egal. Ich möchte es sehen, ich möchte entscheiden, ob es schön aussieht. Ich möchte mir nicht ein Leben lang Vorwürfe machen, mich nicht immer fragen, wie es ausgeschaut hätte.«

»Aber es gibt kaum Frauen, die einen solchen Anblick verkraften.«

»Wenn ich sage, ich möchte mein Kind sehen, dann weiß ich auch, dass ich zu den Frauen gehöre, die es verkraften können.«

Ich bekam mein Kind in einer metallenen Nierenschale überreicht. Eine sich kalt anfühlende Schale hielt man mir hin. So brutal das alles war, ich wollte in dem Kind einfach nur etwas Schönes sehen. Nur daran wollte ich denken, an etwas Schönes. Und so war es auch überhaupt nicht schlimm. Es war ein Teil von Jürgen und mir. Was sollte daran entsetzlich sein? Ich hatte alles versucht, dass es am Leben blieb, aber das Baby hatte sich für einen anderen Weg entschieden. Es war gut, sein kleines Gesichtchen, die winzigen Füßchen und Händchen zu sehen, ich wusste nun, um was ich trauern konnte. Frauen in einer ähnlichen Situation erzählten mir später, sie hätten es bereut, ihr verlorenes Kind nicht angeschaut zu haben.

Ich habe den Blick gebraucht, um alles zu verarbeiten, um mir das Reale dieser irrealen Situation bewusst zu machen. Es hatte die ganze Zeit in meinem Bauch gelebt, ich hatte es gespürt. Eine Schwangerschaft, so schön oder schwierig sie sein kann, wird jedoch erst sinnbildlich, wenn das Kind den Körper der Mutter verlässt. Das Kind ist da. Dein Kind ist da. Es ist wirklich da und wirklich deins.

Es war mein Kind, und doch war es nicht da. Bei jedem Baby, das ich nach dieser Zeit im Krankenhaus in einem Kinderwagen erblickte, heulte ich Rotz und Wasser. Sechs Monate später, mein Kind hätte das Krabbeln angefangen, konnte ich es kaum ertragen, vergnügte Babys herumwuseln zu sehen, stolz über die eigenen Leistungen. Immer rechnete ich das Alter aus – und sah nur Kinder in diesem Alter. Heute wäre es zweiundzwanzig, ein Jahr älter als mein Sohn Steven.

Der Anblick fremder Kinder im selben Alter – das waren Momente tiefer Traurigkeit, die in mir hochstieg und mir den Hals zuschnürte. Noch vor ein paar Jahren hätte ich nicht über mein Baby sprechen können, ohne in Tränen auszubrechen. Und wenn man mich erschrocken fragte, warum ich denn weinen würde, sagte ich, dass ich um mein verlorenes Kind weinte, ein Kind, das es nicht geschafft hätte, am Leben zu bleiben. Indem ich meine Trauer deutlich zeigte und sie anderen mitteilte, merkte ich, dass es mir besser ging. Ich entwickelte durch das Zulassen meiner Gefühle eine ungeahnte Stärke. Mochten den anderen meine Tränen peinlich sein, mochten sie sich hilflos fühlen, weil sie nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten, ich hielt deshalb meine Tränen nicht zurück. Es war mir egal, was die Welt um mich herum dachte. War ich für sie eine Heulsuse, eine, die sich nicht in der Öffentlichkeit kontrollieren konnte, die vielleicht besser einen Therapeuten aufsuchen sollte, statt andere mit ihrem Weinen zu belästigen?

Warum aber sollten die anderen wichtiger sein als mein verstorbenes Kind? Warum weinten überhaupt so wenig Menschen auf der Straße? Wie musste es Frauen ergehen, die sich unbedingt ein Kind wünschten und schon mehrfach eine In-vitro-Fertilisation-Behandlung über sich hatten ergehen lassen – immer wieder mit dem Ergebnis, dass es abermals nicht mit der künstlichen Befruchtung geklappt hatte? Mussten die nicht auch bei einem Blick in einen Kinderwagen, wenn eine Freundin ihnen ein Neugeborenes in den Arm legte, wenn junge Mütter freudestrahlend über Schwangerschaftsstreifen und das Stillen berichteten, diese umfassende Verzweiflung spüren?

Tränen können sehr heilsam sein. In dieser Situation habe ich das sehr bewusst wahrgenommen.

Das Kind hatte auch einen Namen, es hieß Nick. Noch heute vermisse ich Nick. Er ist ein Teil von mir. Ein Teil, der fehlt und wehtut. Seine Seele hatte fünf Monate bei mir bleiben können, aber letztlich war ich für diese Seele nicht der Platz, an dem sie sich ausruhen wollte. Manche Seelen bleiben nur kurz, um dann wieder zu gehen. Ich war dankbar, dass Nicks Seele wenigstens fünf Monate lang bei mir zu Hause war und ich mich an ihr freuen durfte. Jürgen und ich sprachen nicht über Nick. Was nicht bedeutete, dass unsere Ehe, unsere Liebe gestört war, nur jeder versuchte auf seine Weise, mit den eigenen Gefühlen fertig zu werden. Es war schade, dass er mir nicht mitteilen konnte, wie ihn das alles mitnahm. Hätten wir uns mehr ausgetauscht, wir hätten mit Sicherheit nach diesen Ereignissen ein besseres Zusammenleben gehabt. Ich hatte mich in ihn verliebt, aber auf seiner Stirn hatte nicht gestanden, dass er kaum fähig ist, seine Empfindungen mitzuteilen. Keineswegs wollte ich ihn ändern, hoffte vielleicht nur im Stillen, was viele hoffen: Eines Tages wird sich das schon geben, er braucht dafür nur Zeit. Ich wusste, dass mein Mann genau das an mir mochte, was er nicht kannte und konnte: den eigenen Gefühlen zu vertrauen, den Instinkten, den Erfahrungen. Und mit den Jahren ließ er den emotionalen Stillstand hinter sich, er ließ seine Gefühle mehr und mehr zu. Da war ich schon glücklich drüber. Manchmal zahlt sich Geduld eben aus. Auch war es kaum wünschenswert, dass er so wurde, wie ich es war.

3. HEY, KRANKHEIT, GLAUB NICHT, DASS ICH DICH ERNST NEHME

Wieso bloß konnte ich kein Kind bis zu seiner Lebensfähigkeit austragen? Es ließ mir keine Ruhe, ich wollte irgendwie eine Erklärung dafür. Ich hörte mich um, wo es gute Spezialisten gab und schließlich suchte ich die Uni-Klinik Großhadern in München auf.

In diesem Klinikum traf ich nicht auf den Mann meines Lebens, den hatte ich ja schon, aber auf den Arzt meines Lebens. Professor Dr. Hollburg war von kleiner Statur, dazu körperlich eingeschränkt, er hatte eine Fußfehlstellung (in meiner Kindheit nannte man so etwas »Klumpfuß«), und trotz seiner Einschränkung hatte er eine umwerfend positive Ausstrahlung. Gerade hatte er in den USA eine Weiterbildung absolviert, und nachdem er mich angehört hatte, meinte er, ich hätte womöglich etwas Chronisches, es könnte das Antiphospholipid-Syndrom sein.

»Das was?« Wie sollte ich das, was er mir so ernst zu verstehen gab, bloß aussprechen?

»APS«, erklärte er fachmännisch. »Wir machen einen Test, um herauszufinden, ob meine Vermutung stimmt. Aber, Frau Furtwängler, Sie dürfen jetzt nicht schwanger werden.«

Aha, nicht schwanger werden. Viele Frauen haben das Problem, nicht schwanger werden zu können, davon konnte bei mir keine Rede sein. Ich war der Typ Frau, der einmal mit einem Mann schlief, und schon jubelte mein gebärfreudiges Becken.

»Das hätte ich früher wissen müssen«, gab ich Dr. Hollburg zu verstehen. »Da ich nicht verhüte, glaube ich, dass Ihr Rat zu spät kommt.« Selbst nach meiner Totgeburt war mein Körper sofort wieder empfängnisbereit gewesen.

Aufgrund einiger Untersuchungen stellte sich dann heraus, dass ich tatsächlich APS hatte, eine Autoimmunkrankheit, die man sich im Laufe seines Lebens erwerben kann, ausgelöst durch Vorerkrankungen, etwa Rheuma, Malaria oder Hepatitis, auch eine bestimmte Medikamenteneinnahme kam als Ursache in Frage. Man nahm bei mir an, dass eine Darmentzündung, die ich mir während eines Urlaubs in Indonesien zugezogen hatte, zu APS geführt hatte. Na super! Mein Immunsystem fand es großartig, Attacken gegen mich zu starten, als Symptome dieser Angriffe waren Schlaganfälle, Embolien oder eben Fehlgeburten bekannt.

Ich musste einmal laut schreien, bis ich mich beruhigt hatte und akzeptieren konnte, dass in mir eine Autoimmunkrankheit wütete.

Da ich tatsächlich schwanger war, musste ich jeden Tag Heparin spritzen und Aspirin schlucken, damit sich keine Blutgerinnsel bildeten, denn das größte Problem dieser Erkrankung war die Gefahr von Thrombosen in der Plazenta. Durch sie, so bekam ich zu hören, verlor man sein werdendes Kind. Nun verstand ich auch, warum ich so viele Fehlgeburten gehabt hatte. Und so setzte ich mir jeden Tag die Spritze und hoffte, mein Kind würde es dieses Mal schaffen. Bitte! Bitte! Der Fötus blieb jedenfalls bei mir, und ich freute mich, dass er in mir heranwuchs, von Monat zu Monat wölbte sich mein Bauch ein wenig mehr.

In der Klinik hatte ich von Frauen gehört, die sich nach der Diagnose APS hatten sterilisieren lassen, damit ihnen nie wieder passierte, dass sie ein Kind verloren. Ich überlegte, ob ich das auch getan hätte, wenn ich nicht schon wieder schwanger gewesen wäre. Schnell fand ich eine Antwort, nein, ich wäre anderer Meinung gewesen. Keineswegs wollte ich mir mein Leben von einer Krankheit mit unaussprechbarem Namen diktieren lassen (ich brauchte ein Jahr, um das Wort »Antiphospholipid-Syndrom« ohne zu stolpern über die Lippen zu bringen). Das kam nicht in Frage. Diese Krankheit hatte sich eine Person ausgesucht, mich, an der sollte sie zu knabbern haben. Unter keinen Umständen wollte ich es ihr leicht machen. ›Hey, Krankheit, alles ist gut und schön. Es ist völlig okay, dass du da bist, aber glaub ja nicht, dass ich dich ernst nehme. Null Chance. In meinem Körper wirst du dich nicht austoben dürfen. Du hättest nicht zu mir kommen müssen. Du hast es aber getan, das haste nun davon.‹ Ich machte die Krankheit lächerlich – und redete mit ihr.

Freundinnen meinten, ob ich noch ganz richtig ticken würde, wie könne man denn mit einer Krankheit reden? Im Übrigen rede ich mit allem und jedem, mit meinem Computer, meinen Schuhen, mit meinem Hundeschlitten, mit meinen Huskys sowieso. Die Dinge um einen herum sind nicht so tot, wie man womöglich glaubt, selbst in der größten Einsamkeit in der Wildnis hat man seine Gefährten dabei. »Hallo Schuhe, ich finde ihr stinkt, ihr könnt euch ruhig auch mal waschen.« Richtig gut reden kann man mit Steinen, die können mir eine Menge Geschichten erzählen, von Menschen, die sie einmal berührt haben, von Tieren, die sie beschnüffelt und ihr Bein daran gehoben haben, um zu pinkeln. Manchmal kann das auch ganz schön laut werden, das muss man dann abstellen, wie ein Radio. »Schluss. Aus.« Wie gesagt, gute Kommunikation ist wichtig.

Meine Krankheit brauchte eine klare Ansage, sie musste in ihre Schranken gewiesen werden. Doch damit das neue Leben, das in mir entstand, eine Lebensfähigkeit erreichte, musste ich weiter täglich das Blutgerinnungsmittel Heparin spritzen und Aspirin schlucken. Zudem hatte man mir gesagt, ich solle mich besser nicht darüber freuen, schwanger zu sein. Und das versuchte ich auch, ich sagte mir: »Du bist schwanger, aber du darfst dich nicht freuen.« Am Ende des vierten Monats, schon in den fünften Monat übergehend, konnte ich nicht umhin daran zu denken, dass ich diesen Zeitpunkt schon einmal geschafft hatte, zusammen mit Nick.

Mit Beginn des fünften Monats musste ich dann alle vierzehn Tage nach Großhadern. Damals gab es eine größere Baustelle in Etterschlag bei Wörthsee, in den Nachrichten wurden nahezu täglich Staus rund um die Baustelle gemeldet. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg nach München war, durfte ich live die stehenden Autokolonnen erleben. Ich war mir sicher, dass in Etterschlag noch mal was mit meinem Kind passieren würde, einsetzende verfrühte Wehen oder etwas in dieser Richtung. Und schon passierte es. Gerade war ich auf dem Rückweg nach Memmingen, als ich einen Anruf aus dem Klinikum erhielt, meine Blutwerte seien so schlecht, ich solle doch sofort wieder umkehren. Was ich auch augenblicklich tat – als ich eine passende Stelle zum Wenden fand.

Fakt war, auch ich konnte bei dieser Behandlung sterben, nicht nur das Kind. Jederzeit konnte ein Blutgerinnsel entstehen, das unser beider Leben sehr schnell hätte beenden können. Also hatte nicht nur mein Kind oberste Priorität, sondern auch ich. Immerhin waren Maurice und Raffaella noch Schulkinder, brauchten mich – und natürlich auch Jürgen, der sie inzwischen adoptiert hatte. Von meinen Befürchtungen sagte ich Jürgen aber nichts, seine Angst war schon groß genug, dass während dieser erneuten Schwangerschaft wieder etwas Unvorhergesehenes passieren konnte. Trotz all dieser Risiken war für mich ganz klar – wir packen das. Diesmal klappt es. Sonst hätte ich dieses Wagnis keineswegs unternommen. Lebensmüde war ich nicht, davon konnte keine Rede sein. Aber die Sehnsucht nach einer größer werdenden Familie, sie war da und nicht zu leugnen.

Irgendwann sagte Dr. Hollburg während einer Ultraschalluntersuchung: »Sie sehen schwanger aus.«

»Ich bin schwanger«, erwiderte ich. »Das wissen Sie doch.«

»Schon, schon. Aber jetzt ist es an der Zeit, dem Kind zu vertrauen. Hören Sie mal seinen Herzschlag, Ihr Baby will am Leben bleiben, das höre ich ganz eindeutig. Also, vertrauen Sie ihm.«

Dies war ein Schlüsselmoment. Ich durfte offiziell meinem Kind vertrauen. Und meine Angst loslassen.

Der Satz des Arztes leitete eine entscheidende Phase in meinem Leben ein, nicht nur in Bezug auf meine Schwangerschaft, nein, er hatte Auswirkungen auf mein gesamtes Leben: Du musst an das glauben, was du selbst für richtig hältst, du musst Vertrauen zu dir selbst haben – ganz egal, was dir andere einreden wollen. Du darfst nicht zu sehr auf das hören, was andere sagen. Andere glauben nicht an das, was du glaubst, deshalb kannst du nur dem eigenen Gefühl folgen. Wenn du dir nicht selbst vertraust, wenn du das nicht tust, wer soll’s denn dann machen?

Andere Menschen konnten einem diese Stärke, diese Kraft nicht geben, diesen Zuspruch. Es war falsch, darauf zu hoffen. Das würde nur auf das hinauslaufen, was viele nur zu gern sagen: »Das wird schon wieder.« Nein, ich musste selbst dafür sorgen, dass ich stark wurde, nicht nur nach außen hin, das hatte ich schon von klein auf an ganz gut gekonnt, sondern auch im eigenen Inneren. In diesem Moment wollte ich ein Mensch werden, der ganz sich selbst vertraut, der überzeugt von den Dingen ist, die er tut.

Eine Begebenheit aus der Kindheit fiel mir ein. Immer wieder lag ich im Bett mit einer Lungenentzündung. Diese Lungenentzündungen waren die Folge wiederum einer Asthmaerkrankung, unter der ich mehr oder weniger seit meiner Geburt litt. Immer hieß es, ich dürfe dies nicht und jenes nicht machen. Das war extrem lästig. In der Schule schüttelte man den Kopf, als ich am Sportunterricht teilnehmen wollte. Ich wurde von ihm befreit, man hatte Angst, es könnte mir etwas passieren, ein furchtbarer Asthmaanfall. Es war eine schulärztliche Entscheidung, man wollte die Verantwortung für mich nicht übernehmen. Mir gefiel das gar nicht, denn ich liebte Sport, jede Form von Bewegung fand ich klasse. Trotzig sagte ich mir: »Sport tut mir gut. Ihr könnt so viele Bedenken an den Tag legen, wie ihr wollt, ich mache dennoch Sport. Wenn schon nicht in der Schule, dann eben in meiner Freizeit.«