Und er blicket stumm auf das freie Land rundum - Renate Krohn - E-Book

Und er blicket stumm auf das freie Land rundum E-Book

Renate Krohn

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Beschreibung

Ricarda und Jan diskutieren mit dem Vater über die Teilung Deutschlands. Die prägnanten Daten hatten sich in ihr Gedächtnis eingegraben: 13. August 1961 – Mauer um Berlin; 9. November 1989: Öffnung der innerdeutschen Grenze; und 3. Oktober 1990 neuer Tag der Deutschen Einheit! Beide hatten zur (ehemaligen) DDR ein besonderes Verhältnis. Jan wurde in Dresden geboren, Ricarda stammte aus dem Westen und wuchs irgendwie zwischen zwei Welten auf. Einen 9. November wird es jedes Jahr wieder geben, irgendwann wird es nicht mehr der 9. November sein. Geschichtliche Ereignisse werden von den Medien wach gehalten. Persönliche Empfindungen und Episoden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ereignissen standen, geraten im Laufe der Jahre in Vergessenheit. Das wäre schade. Es war eine Zeit, die alle möglichen Attribute in sich vereinigte. Wut über die Zustände, Angst, Hilflosigkeit, aber auch Kuriositäten. Ein Bilderbogen brisanter, amüsanter und nachdenklicher Tatsachen aus der Zeit zweier deutscher Staaten.

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Seitenzahl: 56

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Renate Krohn, Jahrgang 1948, schrieb vor fast sechzehn Jahren ihr erstes Buch. 1999 verfasste sie mit dem Titel „…und zum Frühstück Spaghetti“ einen lockeren Roman mit Tiefgang über die Zeit des Wirtschaftswunders in der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Sie lebt heute mit ihrem Mann in Leverkusen

Die vorliegende Erzählung beruht auf Erinnerungen und Erlebtem aus der Zeit zweier Deutscher Staaten.

Inhaltsverzeichnis

8. Mai 1989

Ricarda 1953

Ricarda Frühjahr 1954

Ricarda Sommer 1954

Jan bis zum Winter 1953

Damals … 1945

Ricarda 1954 bis 1961 Schulanfang!

Ricarda 1962 bis 1967

Ricarda 1968

Ricarda und Jan 1972

Ricarda und Jan - die letzten Jahre vor der Wende

Die Schlosslaterne

Eine Beerdigung und eine Hochzeit

9. November 1989

Erinnerungen an die Zukunft

Nachtrag

8. Mai 1989

"Vater, ach du lieber Himmel, hör doch auf. Deutschland ist nun wirklich nicht das einzige Land auf der Welt, was geteilt ist.“

Ricarda lehnte sich in den Sessel zurück und sah ihren Vater missbilligend an. "Es ist immer wieder dasselbe. Wenn dieses Thema kommt, rastest du aus!"

"Du musst aber auch zugeben, dass es nicht normal ist, ein Land einfach zu teilen – regelrecht zu verschachern – und einzumauern.“

"Natürlich nicht, da bin ich vollkommen deiner Meinung. Aber es ist doch besser, sich irgendwann mit den Gegebenheiten abzufinden, als sich permanent darüber aufzuregen. Du schadest lediglich dir selbst und nützen tut's ooch nischt!"

Unversehens fiel Ricarda wieder in den Berliner Slang, in den sie immer dann ausrutschte, wenn sie sich selbst aufregte. Und bei diesem Thema passierte ihr das jedes Mal wieder. Hans Feistner, ihr Vater, gehörte zu den Menschen, die am liebsten das Deutschland von vor dem Krieg zurückhätten und nicht einsehen wollten, dass die bedingungslose Kapitulation des Landes auch bewirkte dass eben das Mitspracherecht in der Welt stark eingeschränkt war. Vornehm ausgedrückt.

Ricarda und Jan waren vor zwei Tagen von einer Besuchsreise aus der DDR zurückgekommen und erzählten nun, wie es dort aussah.

Es hatte sich nichts verändert. Alles war noch so, wie man es Jahre zuvor gesehen und erlebt hatte. Grau in grau.

"Vater, das schlimmste ist ja, dass es irgendwie gärt. Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie aggressiv die Menschen derzeit dort sind. Man wird das Gefühl nicht los, dass im nächsten halben Jahr etwas passiert. Genauer gesagt - ich gebe dieser DDR noch ein halbes Jahr und in irgendeiner Form kracht es. Entweder bricht ein Aufstand aus, dann gnade uns Gott oder ...!"

???

"Was – oder?!"

Ricarda holte tief Luft und sah verstohlen auf Jan, der bloß die Augen verdrehte.

"Aha", meinte er, "das Lieblingsthema deiner Tochter. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass Gorbatschow die Welt verändern wird.“

"Wird er auch! Wartet es nur ab. Ich werde Recht behalten!"

Ricarda und Jan hatten in den Wochen zuvor endlose Diskussionen darüber geführt, welche Pläne Michail Gorbatschow bezüglich der Bundesrepublik Deutschland haben könnte. Jan sah absolut nicht ein, dass er überhaupt besondere Pläne haben sollte; Ricarda war der Ansicht, dass er die haben müsse.

"Jan, überlege doch mal. Die beiden Großmächte unserer Welt, die USA und die Sowjetunion, sind gleichzeitig auch zwei gegensätzliche Pole. Die USA ist ein Land, pah, was heißt Land, das ist ein Erdteil, der sich alles leisten kann – nur keinen Frieden. Daran geht nämlich deren gesamte Wirtschaft endgültig kaputt. Die leben doch von der Rüstungsindustrie und sind meiner Meinung nach sowieso schon so pleite, pleiter geht's nicht. In der Sowjetunion ist genau das Gegenteil. Die können sich auch alles leisten – bloß keinen Krieg. Deren Wirtschaft ist schon lange so marode, dass ein Krieg diesem Riesen den endgültigen Garaus bescheren würde. Ich sag' jetzt mal Russland, wenn ich Sowjetunion (die gab es im Mai 1989 ja noch) meine, also: Russland ist ein Land mit sagenhaften Reichtümern. Sie kommen nur nicht dran. Nimm doch nur Sibirien. Da ist der Boden teilweise neun Monate im Jahr vier Meter tief gefroren, manche Landstriche liegen unter Dauerfrost! – wie willst du denn an die Rohstoffe kommen, die tief da unten eingepackt schlummern? Die Russen haben doch von allem nicht genug. Nicht genug Menschen, Geld schon gleich gar nicht und vor allen Dingen fehlt es an technischem Know how."

Ricarda begann, Jan ihre Gedanken zu entwickeln und widerstrebend musste dieser zugeben, dass Einiges nicht von der Hand zu weisen war.

"Überlege mal. Gorbatschow gehört für mich zu den Menschen, die ausnahmsweise nicht in erster Linie in ihre eigene Tasche wirtschaften. Zumindest macht er diesen Eindruck auf mich. Ich denke, er will sein Land auf jeden Fall hochbringen und sei es, um den USA zu zeigen, dass sie doch die Stärkeren sind. Ist auch schnuppe, aber irgend so etwas wird er vorhaben. Und damit bin ich wieder am Ausgangspunkt. Ich gehe davon aus, dass er uns die DDR zurück verkaufen will und mit diesem Geld, das wird sicher nicht reichen, ihn aber auf alle Fälle weltweit kreditwürdig machen, wird er sich ganz schnell das erforderliche technische Know how kaufen können. Und wer hat das? Der Westen. Damit meine ich jetzt nicht nur uns, sondern den Westen allgemein. Was natürlich auch besagt, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, jetzt nicht pennen dürfen. Wenn der Amerikaner nämlich erst einmal wach wird, können wir einpacken. Dann frisst der den großen Kuchen allein. Ja, und Menschen werden sie kaufen müssen. Ich meine die Russen, also Gorbatschow. Vielleicht wird er Verträge mit den Chinesen machen. Einmal hält er sie sich damit vom Leib und zum Anderen können die als völlig selbständiger Staat auch nicht mehr lange so weiter existieren. Die anderen Systeme gehen doch ebenfalls der Reihe nach kaputt.“

Jan bremste seine Frau mit den Worten: "So, komm du Weltpolitiker, ab ins Bett. Morgen kannst du den Rest der Welt nach deinem Gusto zurechtbiegen. Jetzt bin ich erst mal müde.“

Ricarda lachte und ging ins Bad. Sie fuchtelte mit der Zahnbürste in der Luft herum, den Mund voll Schaum und nuschelte: "He, Mann, du kannst dich doch auch noch erinnern, wie es damals war, oder?“

*

Ricarda 1953

In der Welt tobte das, was als Kalter Krieg in die Geschichte einging. Die Amerikaner waren den Russen nicht grün, umgedreht war es nicht besser. Deutschland, oder besser das, was davon übrig war, hatte man großzügig unter vier Mächten aufgeteilt. Irgendjemand erzählte sogar einmal, dass Deutschland bereits vor 1933 verhackstückt wurde. Für den Fall, dass ein gewisser Adolf Hitler an die Macht käme; für den Fall, dass es Krieg gäbe und für den Fall, dass Deutschland diesen verlöre, würde man das Land unter den Siegermächten aufteilen, was dann auch brav geschah.