Unser Land - Christoph Bartmann - E-Book

Unser Land E-Book

Christoph Bartmann

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Beschreibung

Man werde „sich wundern, was alles gehen wird“, fasste der damalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer im Herbst 2016 sein Amtsverständnis zusammen. Obwohl er dann doch nicht zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sollte er recht behalten. Nach der Nationalratswahl 2017 verfügt Österreich über eine deutliche Parlamentsmehrheit, die von rechts der Mitte bis ins rechtsextreme Lager reicht. Die Politik der Koalitionsparteien nutzt rassistische und chauvinistische Ressentiments. Das Regierungsprogramm zielt gegen sozialstaatliche und sozialpartnerschaftliche Institutionen. Es bestärkt die anti-europäischen Reflexe und heizt die nationalistischen Divergenzen in Südtirol und auf dem Balkan an. Von Anfang an wurde gegen kritische Redaktionen und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehetzt. All das geschieht unter dem Vorwand, „unser Land“ gegen seine vorgeblichen äußeren wie inneren Feinde in Schutz zu nehmen. Dieses Land ist aber nicht nur das der Illiberalen, Nationalkonservativen und Rechtspopulisten. Es ist auch „unser Land“, die Heimat von Menschen, die das Abdriften des öffentlichen Diskurses in die Wort- und Themenwahl der extremen Rechten nicht länger hinzunehmen bereit sind. Wir müssen auf dieses Land Anspruch erheben. Heimat, das ist kein Begriff nationalistischer Propaganda, weil die Sache Heimat an sich kein Exklusivrecht der populistischen Rechten ist. Heimat, das kann auch sein: ein freies Land im Rahmen eines friedlich vereinten Europa, das den Rechtsgütern der Gleichheit, des Pluralismus und der Solidarität und den Werten der Aufklärung verpflichtet ist, und dessen Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion die Teilhabe am Gemeinwesen und am kreativen und kulturellen Reichtum des Landes ermöglicht werden soll. Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf, dass diese vor Generationen errichteten Grundsätze weiter unser Gemeinwesen tragen, und es ist ohne Zweifel „res publica“, also eine Sache der Allgemeinheit, über dieses Fundament zu wachen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, stellvertretend Position zu beziehen für eine Heimat, die mehr ist, als die propagandistischen Versatzstücke nationalistischer Rhetorik: Unser Land, das andere, das offene und freie Österreich.

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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sie wird beschworen, besungen und beschimpft, verteidigt, verklärt und verdammt: „Heimat“ ist ein ebenso umstrittener wie schillernder, in jedem Fall stark gefühlsbesetzter Begriff. Er taugt zum Beheizen volksmusikalisch beschallter Stuben ebenso wie als Schlagstock im politischen Diskurs.

Lange Zeit war „Heimat“ als politisch eindeutig codiert. Sie auch nur im Munde zu führen galt als „konservativ“, „reaktionär“ und „rechts“. Weite Teile der Linken blieben kühl gegenüber dem hochemotional aufgeladenen Begriff, der mehr oder weniger kampflos der Rechten überlassen wurde. Diesen Fehler zu korrigieren ist die Absicht des vorliegenden Sammelbandes. In den hier versammelten zwölf Beiträgen, die sowohl analytische als auch polemische und persönliche Zugänge zulassen, machen sich die Autoren, Autorinnen und Gesprächspartnerinnen Gedanken darüber, wie ein nicht ausschließender Heimat-Begriff aussehen und wie man „unser Land“ so gestalten könnte, dass sich hier Menschen unterschiedlicher Herkunft heimisch fühlen. Wie auch immer die Antworten ausfallen, eines steht fest: „Heimat“ ist nichts, an dessen vermeintlicher Unveränderlichkeit verbissen festzuhalten wäre, sondern etwas, das hergestellt wird. Das macht Arbeit, aber diese Arbeit zahlt sich aus. Geben wir uns Mühe!

Klaus Nüchtern, Thomas Walach (Hg.)

UNSER LAND

WIE WIR HEIMAT HERSTELLEN

Mit Beiträgen von Aleida Assmann, Christoph Bartmann, Lisa Eckhart, Sibylle Hamann, Armin Thurnher u. a.

FALTERVERLAG

© 2020 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.

1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9

T: +43/1/536 60-0, E: [email protected], W: www.falter.at

Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-85439-683-3

ISBN Kindle: 978-3-85439-684-0

ISBN Printausgabe: 978-3-85439-667-3

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2020

INHALT

Cover

Titel

Impressum

VORWORT

HILFLOSE HEIMATKUNDE | Armin Thurnher

HALT, DA IST EIN SPALT! | Klaus Nüchtern

A RECHTE GAUDI | Matthias Dusini

WIR ARBEITEN DRAN | Sibylle Hamann

HEIMAT HEUTE – UND WO? | Renata Schmidtkunz

„DER TRAKTOR RIECHT SLOWENISCH“ | Interview mit Maja Haderlap

DAS N-WORT. EINE HISTORISCHE VERTEIDIGUNGSREDE FÜR DIE NATION | Thomas Walach

„WIR BRAUCHEN ETWAS, WOZU WIR UNS BEKENNEN“ | Interview mit Aleida Assmann

AUFERSTEHUNG EINER GEKRÄNKTEN NATION | Christoph Bartmann

KRONEN DER VOLKSMUSIK | Sebastian Hofer

DIE ÄRA DER EMPFINDLICHKEIT | Lisa Eckhart

ZUR PSYCHODYNAMIK KONSERVATIVER HEIMAT-BILDER | Rainer Gross

AUTORINNEN UND AUTOREN

VORWORT

Warum noch immer und schon wieder „Heimat“?

Die Deutschen sind uns ein bisserl voraus, wenn es darum geht, über „Heimat“ zu diskutieren. Schon 1971 forderte Günther Grass im Hessischen Rundfunk, man müsse den Heimatbegriff „neu definieren“. Da ging es noch um gesellschaftliche Scham für den Holocaust, eine Unannehmlichkeit, die wir Österreicher bis Mitte der 1980er-Jahre elegant umschifft haben. In der Zeit nach dem Mauerfall dann war „Heimat“ zwar ein großes Thema, gesprochen und geschrieben aber wurde über „regionale Identität“. Erst nach der Jahrtausendwende trauten sich die Deutschen, den Heimatbegriff wieder in den Mund zu nehmen. Dann aber gab es kein Halten mehr: Von „Kulturschock und Identitätsverlust“ durch die Wende war die Rede, die Angst vor „Überfremdung“ kam noch hinzu.

Eine zentrale Rolle erhielt der Heimatbegriff in der Integrationsdebatte: „Heimat, ja bitte!“, schrieb etwa Necla Kelek 2006 in der Zeit.1 2018 konstatierte die Kulturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski (ebenfalls in der Zeit): „Heimat. Die Verlustangst ist real“2 und sprach von einem „Missverständnis“,3 der Vorstellung nämlich, dass der Heimatbegriff der Neuen Rechten als Mittelpunkt der antifeministischen und fremdenfeindlichen Trias „Herd. Heimat. Hass“4 der einzig mögliche wäre.

Begriffe, die zum habituellen Vokabular Rechtsextremer gehören, so meint der Umwelthistoriker Nils M. Franke, müssten aber „nicht ausnahmslos gemieden werden“. Stattdessen sollten Kräfte, die gesellschaftlicher Offenheit und der Demokratie verpflichtet sind, solche Begriffe weiterentwickeln. Wenn dies gelänge, ließe sich auch „offensiv gegen ihre Verwendung durch Rechtsextreme argumentieren“. Nachsatz: „Das erfordert allerdings Arbeit.“5

Einige wenige Versuche dazu wurden jüngst auch in Österreich unternommen. Hier, wo es angesichts der Instrumentalisierung des Heimatbegriffs durch die starke politische Rechte lange Zeit kaum nennenswerte Versuche gab, einen linken Heimatdiskurs anzustoßen, erregte der Präsidentschaftswahlkampf des Grünen Alexander Van der Bellen Aufsehen. Dass dieser im Rahmen seiner erfolgreichen Kampagne 2016 die Begriffe „Heimat“ und „Österreich“ plakatieren ließ und sich selbst vor romantisierenden Landschaftssujets präsentierte, rührte an linke Tabus. In einem Interview mit Profil gestand Van der Bellen zu, „dass die Nazis mit ihrer Deutschtümelei dazu beigetragen haben, den Heimatbegriff zu diskreditieren“, stellte aber auch klar, „dass mein Heimatbegriff nicht ausschließend, sondern einschließend ist.“6

Das Thema bleibt in Österreich aktuell. Nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von 2015 (die wohl eher eine Krise staatlicher und suprastaatlicher Institutionen war) eigneten sich weite Teile des politischen Spektrums rechts der Mitte eine aggressive Rhetorik an, der die Linke bisher wenig entgegenzusetzen hatte. Man werde „sich wundern, was alles gehen wird“, fasste der damalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer im Herbst 2016 sein Amtsverständnis zusammen. Obwohl er dann doch nicht zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sollte er recht behalten.

Die gesellschaftlich anerkannte und durch Wahlerfolge belohnte Politik rechter und rechtsradikaler Parteien nutzt rassistische und chauvinistische Ressentiments, zielt auf sozialstaatliche und sozialpartnerschaftliche Institutionen und bestärkt antieuropäische Reflexe. All das geschieht unter dem Vorwand, „unser Land“ gegen seine vorgeblichen äußeren wie inneren Feinde in Schutz zu nehmen.

Mit dem vorliegenden Sammelband wollen wir darauf hinweisen, dass Österreich nicht den Illiberalen, Nationalkonservativen und Rechtspopulisten gehört. Es ist auch „unser Land“, die Heimat von Menschen, die das Abdriften des öffentlichen Diskurses in die Wort- und Themenwahl der extremen Rechten nicht länger hinzunehmen bereit sind. Wir müssen auf dieses Land Anspruch erheben.

Heimat, das ist nicht notwendig ein Begriff nationalistischer Propaganda, Heimat, das kann auch sein: ein freies Land im Rahmen eines friedlich vereinten Europas, das seinen Bewohnerinnen und Bewohnern unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Religion die Teilhabe am Gemeinwesen und an seinem kreativen und kulturellen Reichtum ermöglicht. Die Menschen in unserem Land haben ein Recht darauf, dass die vor Generationen errichteten Grundsätze der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichheit und Solidarität auch weiter unser Gemeinwesen tragen, und es ist ohne Zweifel eine res publica, also eine Sache der Allgemeinheit, über dieses Fundament zu wachen.

Die Herausgeber

1http://shorl.com/tanobopydrysy (zuletzt abgerufen am 2.2.2020).

2http://shorl.com/dremamuhilyte (zuletzt abgerufen am 2.2.2020).

3Vgl. Susanne Scharnowski, Heimat. Geschichte eines Missverständnisses, Darmstadt 2019.

4http://shorl.com/sinifikaposto (zuletzt abgerufen am 2.2.2020).

5Nils M. Franke, Umweltschutz ist Heimatschutz? Der Zugang des rechtsextremistischen Denkens zum Thema Heimat und eine demokratische Gegenposition. In: Martin Hülz/Olaf Kühne/Florian Weber (Hg.), Heimat: Ein vielfältiges Konstrukt, Wiesbaden 2019, 394.

6http://shorl.com/sotybrabrapragi (zuletzt abgerufen am 2.2.2020).

HILFLOSE HEIMATKUNDE

Die Wahlsieger von heute sind von gestern: Zeitgemäße säkulare Demokratien sollen sich nicht ums Schließen von Grenzen und Bauen von Mauern kümmern, sondern Heimatangebote machen

ARMIN THURNHER

Ich sitze auf einem Balkon am Rand einer kleinen Schlucht, über die ich nach rechts zum nächsten Ashram hinüberblicke, nach links zum Garten unseres Ashrams. Dutzende Milane kreisen und gleiten auf der Brise, die vom Arabischen Meer her weht, höher über ihnen schweben ein paar Brahminenweihen. Kann so ein exotischer Ort Heimat sein? Für mich schon. Für mich erfüllt er regelmäßig den Zweck einer Teilzeitheimat.

Murugan arbeitet hier als Masseur – ein anstrengender Beruf. Er spitzt deshalb auf ein ruhiges Pöstchen im Büro des nahen Großhafens, der sich seit Jahren in Bau befindet. Jedes Jahr fahre ich mit Murugan auf seinem Motorrad zum Hafen, um den Baufortschritt zu begutachten. Er kennt die Details, er kennt alle Leute. Den Fischer, der zum Alkoholiker wurde, weil er den Tsunami draußen knapp überlebte und seitdem nicht mehr hinausfahren kann. Die Wächter, die den Zugang zur Baustelle kontrollieren und uns passieren lassen, die Baggerfahrer, den Limonadenstandbesitzer, bei dem wir anschließend das Gesehene besprechen und wo Murugan vielleicht ein bisschen mit der Bekanntschaft des schwerreichen Weißen ‒ mir ‒ angibt.

In den Dörfern oder Städten, die ich nach herkömmlicher Ansicht als Heimat betrachten müsste, weil ich in ihnen geboren bin oder in ihnen lebe, weiß ich meist über die Leute viel weniger. Ich mag sie auch nicht lieber als die Leute hier. Ich fühle mich auch nicht wohler dort, denn ich spreche ihre Sprache und genieße nicht die Wohltat des Zweifels, was der Text zum freundlichen Gesicht tatsächlich besagt.

Ich weiß nicht genau, was Heimat ist, aber ich denke, es schließt schon mit ein, dass es ein Ort ist, wo man sein will. Wo man sich wohlfühlt. Wo man Wurzeln schlagen kann. Nicht, wo sie schon sind.

Wenn einer wie ich die Heimat in der Fremde sucht, mag das paradox erscheinen. Mir nicht. Als gebürtiger Vorarlberger könnte ich über die Schönheit der Alpen und des Bodensees loslegen und die Nähe der beiden sowie die Attraktion eines Dialekts, der die indirekte Rede zu handhaben weiß, gern auch über Kässpätzle, die ich an jedem Ort kochen kann, wo ich des geeigneten Käses habhaft werde, also mittlerweile in fast ganz Österreich, der Schweiz und kleinen Teilen Deutschlands.

Aber ich fürchte, genau besehen war ich immer schon ein heimatloser Geselle. Die Orte, an die es mich verschlug, erschienen den Zurückgebliebenen so exotisch wie Kerala. Zuerst New York, dann Wien und als Steigerung das Waldviertel. Das absolute Gegenprogramm zu Südindien.

Zu den Leuten im hohen Norden Österreichs findet man schwer Zugang, wie man so sagt. Ein paar hilfsbereite, grundanständige Menschen habe ich kennengelernt. Der Rest blickt finster und verhält sich bei devianter Weltanschauung drohend (was auf 95 Prozent der Fälle zutrifft). Ich lebe trotzdem hier. Ist das Heimat? Ist Wien meine Heimat? Wohin fast die gesamte Bevölkerung flüchtete, um aufzusteigen, sich zu befreien, ein besseres Leben zu finden? Und aus dem drei Viertel dieser Bevölkerung jeden Freitagnachmittag flüchten?

Der deutsche Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schrieb 2017 in der taz: „Wird Heimat zu einem politischen Begriff, wird es gefährlich, denn dann wird Heimat etwas, das durch die bedroht ist, die ein Zuhause suchen. Wenn der politische Heimatbegriff von einem konkreten Ort auf ein ganzes Land ausgedehnt wird, entsteht eine Nation, deren Mitgliedschaft durch Abstammung bestimmt ist.“1

Diese Sätze strotzen vor Unterstellungen. Warum muss der politische Heimatbegriff durch Menschen bedroht sein, die ein Zuhause suchen? Waren nicht die USA, war nicht die neue Welt eine neue Heimat für Abergenerationen von Immigranten? Nur durch eine gewisse Ideologie, nämlich durch nationalistische Politik, kann „Heimat“ exklusiv werden.

Das Problem besteht doch eher darin, dass Menschen, deren Herz inklusiv schlägt, meinen, nun ein Heimatbild reproduzieren zu müssen, das von den Rechten geformt wurde, statt auf einem eigenen, sagen wir ruhig, fortschrittlichen oder einfach anderen Heimatbild zu bestehen. Erst lassen sie sich Begriffe klauen, dann imitieren sie die Diebe. Besser wäre es, auf seinem Eigenen als Eigentum zu bestehen. Versuchen wir also zu beschreiben, wie dieses Eigentum aussehen könnte. Versuchen wir unseren Heimatsteckbrief.

Und ehe wir vor lauter „Struktur des Heutigen“ die Dialektik der Geschichte ganz abschaffen, sollten wir uns daran erinnern, dass der Nationalismus einst eine fortschrittliche Aufgabe hatte. Er erkämpfte die Freiheit von den Fesseln des Absolutismus, er verlieh teilweise einem unterdrückten Bürgertum Auftrieb gegen die herrschende Internationale der Aristokratie. Wie all das kippte und in sein Gegenteil umschlug, wissen wir.

Aber es gab doch Varianten einer offenen Heimat wie die erwähnten USA, die sich gleichzeitig von den englischen und französischen Unterdrückern befreiten (oder freikauften) und ihre Multiethnizität zum identitären Programm erhoben. Mit Ausnahme der Sklaverei, die freilich, was die Folgen betrifft, bis heute nicht erledigt wurde. Und mit der Folgeerscheinung, dass die Immigranten der ersten Generation sich in die schärfsten Reaktionäre verwandelten: aber immer unter dem nicht infrage gestellten größeren Zusammenhang der säkularen, liberalen, für Einwanderung offenen Demokratie. Die USA bezogen ihre Legitimation als Mitinitiator und Wächter der Menschenrechte geradezu daraus, dass sie sich als Zufluchtsort und Heimat anboten.

Dies endgültig zu zerstören gelang erst Donald Trump und seinem Muslim ban; eingeleitet worden war dieser Prozess schon durch die Bushs und Reagan. Der politische Islam ist aber nicht das Problem. Vielmehr: Er ist sehr wohl ein Problem, das nicht zuletzt die USA durch ihre Finanzierung von Saudi-Arabien großgemacht haben, welches seinerseits den Wahhabismus – und der ist mit politischem Islam vor allem gemeint – international finanziert. Nein, das Problem ist die Infragestellung des säkularen Staates.

Der säkulare, demokratische Staat ist Heimat für alle, deren Freiheit bedroht wird, und er garantiert ihnen Freiheit. Er hat sie ihnen zu garantieren, sonst ist er keiner. Nicht von ungefähr wussten alle Flüchtlinge, ob Wirtschafts- oder politische Flüchtlinge, dass sie das Reich der Freiheit erreicht hatten, wenn sie an der Statue of Liberty vorbeisegelten.

Heimat ist also mehr als der Ort, an dem wir uns wohlfühlen. Heimat ist der Ort, an dem wir uns wohlfühlen, weil er unsere Freiheit garantiert, Sicherheit inklusive. Oder sollten wir sagen: der Ort, an dem uns niemand daran hindern kann, uns gegenseitig unsere Freiheit zu garantieren?

Murugan wurde mein Freund in dem Augenblick, als ich ihn fragte, ob er, der Hindu, regelmäßig in den Tempel gehe. Ja schon, antwortete er, aber nicht jeden Tag. Und wie er es mit den anderen Konfessionen halte? Auch die Moschee und die Kirche besuche er des Öfteren, sagte er. Ihn interessiere der Ritus, wie ihn andere feiern, und überhaupt: Gott sei doch immer der nämliche.