Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts - Jakob Springfeld - E-Book

Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts E-Book

Jakob Springfeld

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Beschreibung

"Hoffentlich holt der nicht mehr lange Luft." Oder: "Gleich in die Fresse schlagen." Beleidigungen, offener Hass und Gewaltandrohungen dieser Art gehören zum Alltag von Jakob Springfeld. Der 20-Jährige ist einer der jungen Leute in Sachsen, die sich politisch für das linke Lager engagieren. Der junge Autor kämpft gegen Rechts, gegen Hass und auch gegen seine Angst. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage.
Er berichtet von seinen Versuchen, das andere Gesicht Sachsens sichtbar zu machen: Es steht für Toleranz, Antirassismus und Demokratie. Er möchte den kleinen Terror im Alltäglichen offenlegen, aber auch Strukturen aufzeigen, die es rechten Bauernfängern viel zu leicht machen und spart dabei Polizei und Kommunalpolitik von Kritik nicht aus.

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Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumTrigger-WarnungIm Gedenken an die Opfer rechter GewaltNachtgedankenHeimatWillkommenskulturGood Night Left Side(K)ein Ort zum LebenExkurs: Die Neue RechteExkurs: Sachsen als rechtsextreme HochburgZschäpe und ichDer gefällte GedenkbaumZeigt euch!Gewalt und GegengewaltEndstation ZwickauNachwortEndnoten

Über dieses Buch

»Hoffentlich holt der nicht mehr lange Luft.« Oder: »Gleich in die Fresse schlagen.« Beleidigungen, offener Hass und Gewaltandrohungen dieser Art gehören zum Alltag von Jakob Springfeld. Der 20-Jährige ist einer der jungen Leute in Sachsen, die sich politisch für das linke Lager engagieren. Der junge Autor kämpft gegen Rechts, gegen Hass und auch gegen seine Angst. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Er berichtet von seinen Versuchen, das andere Gesicht Sachsens sichtbar zu machen: Es steht für Toleranz, Antirassismus und Demokratie. Er möchte den kleinen Terror im Alltäglichen offenlegen, aber auch Strukturen aufzeigen, die es rechten Bauernfängern viel zu leicht machen und spart dabei Polizei und Kommunalpolitik von Kritik nicht aus.

Über den Autor

Jakob Springfeld ist Student und 2002 in Zwickau geboren und aufgewachsen. In Stuttgart erhielt er die Theodor-Heuss-Medaille für besonderes Engagement für Demokratie und Bürgerrechte. ZEIT-Campus hat ihn zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen ernannt. In seinem Buch beschreibt er, warum im Osten der Boden für die Instrumentalisierung von Existenzängsten besonders fruchtbar ist. Aber struktureller Rassismus und Rechtsextremismus sind Probleme, aus denen eine gesamtdeutsche Bedrohung hervorgeht, in Halle wie in Hanau.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Burkard Miltenberger, Berlin

Fotograf Autorenfoto: © Calvin Thomas

Umschlaggestaltung: Kuzin & Kolling, Hamburg | Hannah Kolling

Einband-/Umschlagmotiv: © Martin Neuhof, Leipzig

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2881-2

quadriga-verlag.de

luebbe.de

lesejury.de

Trigger-Warnung

In diesem Buch kommt es zur detaillierten Schilderung physischer und psychischer Gewalt.

Gendergerechte Sprache

Die rechte und rechtsextreme Szene in Deutschland ist dominiert von Männern. Ist die genaue Zusammensetzung in Gruppen, Organisationen oder Parteien nicht bekannt, werden ihre Mitglieder in diesem Buch trotzdem in gendergerechter Sprache beschrieben.

Im Gedenken an die Opfer rechter Gewalt

Mahmud Azhar

Andrzej Frątczak

Namentlich unbekanntes Kind

Amadeu Antonio

Nihad Yusufoğlu

Alexander Selchow

Lothar Fischer

Jorge João Gomondai

Helmut Leja

Agostinho Comboio

Samuel Kofi Yeboah

Wolfgang Auch

Mete Ekşi

Gerd Himmstädt

Timo Kählke

Ingo Ludwig

Namentlich unbekannter Mann

Namentlich unbekanntes Kind

Namentlich unbekannte Frau

Blanka Zmigrod

Matthias Knabe

Dragomir Christinel

Ingo Finnern

Gustav Schneeclaus

Erich Bosse

Nguyễn Văn Tú

Torsten Lamprecht

Emil Wendland

Sadri Berisha

Dieter Klaus Klein

Ireneusz Szyderski

Frank Bönisch

Günter Schwannecke

Waltraud Scheffler

Rolf Schulze

Tom-Hans Rohn

Alfred Salomon

Silvio Meier

Bahide Arslan

Yeliz Arslan

Ayse Yilmaz

Bruno Kappi

Şahin Çalışır

Tom Sidon

Mario Jödecke

Mike Zerna

Mustafa Demiral

Hans-Peter Zarse

Friedrich Maßling

Matthias Lüders

Jeff Dominiak

Gürsün İnce

Hülya Genç

Gülüstan Öztürk

Hatice Genç

Saime Genç

Horst Hennersdorf

Angela S.

Dario S.

Hans-Georg Jakobson

Namentlich unbekannter Obdachloser

Bakary Singateh alias Kolong Jamba

Ali Bayram

Eberhart Tennstedt

Klaus R.

Beate Fischer

Jan Wnenczak

Gunter Marx

Alexandra Rousi

Piotr Kania

Michael Gäbler

Horst Pulter

Peter T.

Dagmar Kohlmann

Klaus-Peter Beer

Monica Maiamba Bunga

Christine Makodila

Nsuzana Bunga

Christelle Makodila Nsimba

Sylvio Bruno Comlan Amoussou

Rabia El Omari

Françoise Makodila Landu

Jean-Daniel Makodila Kosi

Legrand Makodila Mbongo

Miya Makodila

Patricia Wright

Sven Beuter

Martin Kemming

Bernd Grigol

Boris Morawek

Werner Weickum

Achmed Bachir

Frank Böttcher

Antonio Melis

Stefan Grage

Olaf Schmidke

Chris Danneil

Horst Gens

Phan Văn Toản

Augustin Blotzki

Rolf Baginski

Mathias Scheydt

Georg Jürgen Uhl

Josef Anton Gera

Jana G.

Erich Fisk

Nuno Lourenço

Farid Guendoul alias Omar Ben Noui

Egon Effertz

Peter Deutschmann

Carlos Fernando

Patrick Thürmer

Kurt Schneider

Hans-Werner Gärtner

Daniela Peyerl

Ruth Zillenbiller

Horst Zillenbiller

Tom-Heinz Lietz

Jörg Danek

Bernd Schmidt

Helmut Sackers

Dieter Eich

Falko Lüdtke

Alberto Adriano

Thomas Goretzky

Matthias Larisch von Woitowitz

Yvonne Hachtkemper

Klaus-Dieter Gerecke

Jürgen Seifert

Norbert Plath

ungeborenes Kind

Enver Şimşek

Malte Lerch

Belaid Baylal

Eckhardt Rütz

Fred Blank

Willi Worg

Mohammed Belhadj

Axel Urbanietz

Abdurrahim Özüdoğru

Süleyman Taşköprü

Dieter Manzke

Klaus-Dieter Harms

Dorit Botts

Habil Kılıç

Arthur Lampel

Ingo Binsch

Jeremiah Duggan

Klaus Dieter Lehmann

Kajrat Batesov

Ronald Masch

Marinus Schöberl

Ahmet Sarlak

Hartmut Balzke

Andreas Oertel

Enrico Schreiber

Günter T.

Gerhard Fischhöder

Thomas K.

Hartmut Nickel

Mechthild Bucksteeg

Alja Nickel

Petros C.

Stefanos C.

Viktor Filimonov

Waldemar Ickert

Aleksander Schleicher

Oleg Valger

Martin Görges

Mehmet Turgut

Oury Jalloh

Thomas Schulz

İsmail Yaşar

Theodoros Boulgarides

44-jährige unbekannte Person

Tim Maier

Mehmet Kubaşık

Halit Yozgat

Andreas Pietrzak

Andreas F.

Michèle Kiesewetter

M. S., Jenisa

Peter Siebert

Bernd Köhler

Hans-Joachim Sbrzesny

Rick Langenstein

Marcel W.

Tom-Heinz Teichmann

Marwa El-Sherbini

Sven M.

Kamal Kilade

Duy-Doan Pham

André Kleinau

Burak Bektaş

Klaus-Peter Kühn

Tom Heinz L.

Andrea B.

Konstantin M.

Dano

Charles Werabe

Luke Holland

Jim Reeves

Hüseyin Dayıcık

Selçuk Kılıç

Sabina Sulaj

Armela Segashi

Giuliano Josef Kollmann

Can Leyla

Sevda Dağ

Janos Roberto Rafael

Dijamant Zabërgja

Eugeniu Botnari

Daniel Ernst

Ruth K.

Christian Sonnemann

Christopher W.

Philipp W.

Walter Lübcke

Jana L.

Kevin S.

Mario K.

Gökhan Gültekin

Sedat Gürbüz

Said Nesar Hashemi

Mercedes Kierpacz

Hamza Kurtović

Fatih Saraçoğlu

Ferhat Unvar

Kaloyan Velkov

Gabriele Rathjen

Alexander W.

Linda R.

Rubi R.

Janni R.

Leni R.

Die deutsche Bundesregierung bewertet 110 Tötungsdelikte seit dem Wendejahr 1990 als rechtsmotiviert.1 Die Amadeu-Antonio-Stiftung geht von mindestens 218 Todesopfern sowie 17 Verdachtsfällen aus.2

Nachtgedanken

Es ist eine dieser verdammten Nächte, in denen ich mich daran erinnere, was es heißt, in Zwickau zu leben. Die Angst ist wieder da – um meine Freund*innen, um meine Familie, um mich. Dabei sollte es nur ein kurzer Besuch in meiner alten Heimat sein.

Es ist Anfang April 2021, kurz vor Mitternacht. Ich bin vor ein paar Monaten aus Zwickau weggezogen, um in Halle Politikwissenschaft und Soziologie zu studieren. Nun bin ich für ein paar Tage wieder da, hatte mich darauf gefreut, bei meinen Eltern zu sein, Freund*innen zu treffen, Zeit zu verbringen an dem Ort, den ich »mein Zuhause« nenne, seit ich denken kann. Doch jetzt holt mich dieser ganze Mist wieder ein – der Hass, die Gewalt, der rechte Terror.

Meine Eltern wohnen in einem Reihenhaus in einer ruhigen Ecke Zwickaus, die Ziegel sind rot, die Fassade verblichen gelb. Ich döse auf dem Bett in meinem alten Kinderzimmer, 15 Quadratmeter im Keller, die unglaublich friedlich wirken, absurd friedlich in diesem Moment.

An der Tür hängt ein altes Konzertplakat, auf dem ich zu sehen bin – in einer Version, die die Pubertät noch vor sich hat. Mein Kinn ist bereits ziemlich markant, meine Lippen kräftig und breit, doch im Verhältnis dazu wirken meine Zähne überdimensioniert, genau wie meine blaugrauen Augen. Für das Plakat hatte ich mich verkleidet. Ich trage einen Dreispitz, diesen pompösen Hut, der im 17. Jahrhundert in Deutschland in Mode war. Unter dem Hut lugt eine Perücke mit dicken Barock-Zöpfen hervor. Ich halte mir die Ohren zu. »Krach bei Bach – ein Kindermusical … Aufführung in der Moritzkirche Zwickau«. Ich spielte damals die Hauptrolle, Johann Sebastian Bach, den großen deutschen Komponisten. Früher, wenn mich Freund*innen besuchten, hoffte ich immer, dass sie das Plakat, das meine Mutter aufgehängt hat, nicht sehen.

Ein paar Meter neben dem Plakat steht mein altes Regal. Na ja, es wirkt eher wie ein Schrein, ein Schrein für Michael Jackson. Eine Kassette des Albums »Dangerous«. Eine Schallplatte der »Greatest Hits«. Eine DVD von »Thriller«. »Bad«, das Buch. Ein Stapel CDs mit beinahe allem, was Michael Jackson und The Jackson Five je aufgenommen haben.

Blicke ich von meinem Bett zur Decke, sehe ich einen Aufnäher, der an einem Haken baumelt. Die Silhouette eines muskelbepackten Mannes ist darauf zu sehen. Der Mann schwingt einen riesigen Hammer, den er auf ein verbogenes Schwert niederfahren lässt. Natürlich kein Marvel-Comic. Es ist das Symbol der Friedensbewegung der DDR, in dem sich – vielleicht etwas naiv – sozialistischer Realismus mit Bibelversen mischt. »Schwerter zu Pflugscharen«. Die Aufnäher waren Geschenke meiner Eltern. Heute wirken sie auch wie ein Zeugnis dafür, wie umsorgt ich großgezogen worden bin.

Überall in meinem alten Zimmer gibt es solche Erinnerungen. Wenn ich eine ganz gewöhnliche Jugend gehabt hätte, wäre es leicht, sich jetzt darin zu verlieren, noch einmal auf die Korkwand gucken, die mit Bildern von meinen ersten Partys und Konzerten gespickt ist. Ich würde mir noch mal die Fotos von Freund*innen angucken und einschlafen. Die Erinnerungen sind ja noch ganz frisch. Ich bin erst 19 Jahre alt.

Meine Jugend war aber nicht gewöhnlich. Und überhaupt: In dieser verdammten Nacht ist überhaupt nicht daran zu denken, in Erinnerungen zu schwelgen.

Während ich auf dem Bett liege, geht das Display meines Handys an. Die Matratze überträgt dumpf das Vibrieren. Ein Kumpel ruft an. Ich heb ab und steck sofort wieder drin in dieser nie enden wollenden Scheiße. Er erzählt mir, was alles los war in den vergangenen Tagen – hier in Zwickau, am Ort, an dem ich vor gar nicht allzu langer Zeit unbeschwert Bach gespielt und Michael Jackson gehört habe. Wenn du hier politisch wirst, ändert sich alles.

Tom3 und ein paar Freund*innen, alles stadtbekannte Linke, waren am Freitagabend Plakate für den 1. Mai kleben. Das Industriegebiet an der Marienthaler Straße neben sich, wateten sie mit vollbepackten Rucksäcken durch die Dunkelheit. Nur hier und dort warf eine Straßenlaterne einen Lichtkegel auf den schwarzen Asphalt. In der Ferne konnten sie ein blaues Schimmern sehen, die Beleuchtung der Aral-Tankstelle. Als langsam ein weißer Mercedes vorbeirollte, ahnte Tom nicht, dass es sich um einen Spähtrupp handelte. In dem Auto saß Lars Kujath. Er ist der Vater von Sanny Kujath, der Nachwuchsgröße in Sachsens rechtsextremer Szene und der mutmaßliche Gründer der »Jungen Revolution«, einer Organisation4, die sogar den Verfassungsschutzbehörden bestens bekannt ist.

Tom sah dem Mercedes einen Moment nach, bevor er in der Dunkelheit verschwand, dann stapften er und sein linker Plakatier-Trupp weiter, ohne sich etwas dabei zu denken.

Es waren noch hundert Meter bis zur Aral-Tankstelle, als der weiße Mercedes wiederauftauchte, gefolgt von zwei schwarzen Limousinen, vollgestopft mit Jugendlichen mit Seitenscheiteln oder geschorenen Köpfen. Der Mercedes parkte am Gehweg, die schwarzen Limousinen stellten sich quer auf die Marienthaler Straße – genau zwischen Tom und die Tankstelle.

Tom wusste, dass er nur eine Chance hatte. Rennen, und zwar bloß nicht zurück ins menschenleere Industriegebiet, sondern vorbei an den schwarzen Limousinen, zu den Zapfsäulen der Aral, hinein ins Sichtfeld der Überwachungskameras. Tom sprintete los. Die anderen folgten. Sie preschten, ihre schweren Rucksäcke hin- und herschaukelnd, an den Neonazis vorbei.

Die schwarzen Limousinen setzen sich wieder in Gang, allerdings nur für ein paar Meter. Sie parkten gegenüber der Tankstelle und rührten sich nicht mehr. Die Neonazis machten es sich bequem, wohlwissend, dass sie jetzt nur noch abwarten müssen. Tom und die anderen waren eingekesselt von einem rechten Schlägertrupp.

Tom schnappte sein Handy, öffnete den Messenger-Dienst Signal und fing an zu tippen. »Hängen in der Aral-Tankstelle fest. Mehrere Autos mit Faschos stehen davor.« Dann noch eine Nachricht. »Wir wissen nicht, was wir tun sollen.« Und noch eine: »Kann uns jemand hier rausholen?«

An den Anfang jeder dieser Nachrichten setzte Tom die Ziffer Drei. Um für solche Situationen gewappnet zu sein, haben wir vor ein paar Jahren eine Messenger-Gruppe aufgemacht, die wir »SOS-Fascho-Alarm« getauft haben. Es gibt darin drei Eskalationsstufen. Eins: Neonazis gesichtet. Zwei: Ich bin womöglich in Gefahr. Drei: Holt mich so schnell es geht hier raus!

Die Fensterscheibe des weißen Mercedes glitt immer wieder herunter. Kujath dokumentierte Toms Plakatier-Aktion mit Fotos. Sie landeten einige Wochen später im Zwickauer Stadtrat. Eingebracht hat sie Sven Georgi5, der für die Wählervereinigung »Zukunft Zwickau« in das Stadtparlament eingezogen ist und sich noch zu einer treibenden Kraft der extrem-rechten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Zwickau entwickeln sollte. Georgi führte die Bilder als Beleg für linke Umtriebe in Zwickau auf.

Zwanzig Minuten warteten Tom und die anderen an der Tankstelle, bis sie abgeholt wurden. Ein paar Gleichgesinnte, andere Linke aus Zwickau, kamen mit Autos. Der weiße Mercedes und die schwarzen Limousinen verschwanden.

Es war nicht der einzige Vorfall der vergangenen Tage: Die »DIY Druckbar«, ein alternativer Treffpunkt im Zentrum Zwickaus, der zugleich ein Siebdruckladen ist, wurde schon oft angegriffen. Zerschlagene Fenster, beschmierte Wände, das gehört zum Alltag. Am Wochenende besuchten Neonazis den Betreiber Tony Fischer allerdings zu Hause. Sie lungerten vor seinem Haus herum. »Räume besetzen« nennt sich das wunderbar euphemistisch. Und oft funktioniert es. Natürlich wagte sich Tony in dieser Nacht nicht vor die Haustür. Bevor die Nazis abzogen, schmierten sie noch ein paar Worte auf Tonys Briefkasten: »Zecken klatschen«.

Haben die Menschen recht, die von »Dunkeldeutschland« sprechen, wenn sie über den Osten der Bundesrepublik reden? Haben sie recht, wenn sie Sachsen als den düstersten Punkt in der Finsternis beschreiben? Und wenn ja, was ist dann Zwickau?

Es ist bereits weit nach Mitternacht, als ich das Gespräch mit meinem Kumpel beende. Ich lege mein Handy wieder auf die Matratze und lasse meinen Kopf in die Kissen sinken. Jede*r in Zwickau weiß, dass ich dazugehöre zu Tom und den anderen Linken. Selbst in meinem friedlichen Kinderzimmer ist offensichtlich, wer ich bin und wofür ich stehe. In der Ecke meines Michael-Jackson-Schreins liegen ein paar Flyer: »Nein zu rechter Hetze«. An den Streben des Regals pappen Aufkleber: »Refugees Welcome«. Und auf der Heizung steht ein knittriges Demo-Plakat mit lila Farbkleksen: »Diese Stadt hat Nazis satt.« Natürlich wissen Kujath und seine kahl geschorenen Kumpane, wo ich zu Hause bin – oder besser gesagt: wo meine Eltern zu Hause sind.

Vor ein paar Monaten marschierte auch hier ein Neonazi auf und ab, Manuel Ganser, Kader der rechtsextremen Partei Der Dritte Weg. Vorbestraft, gefährlich. Räume besetzen.

Als Ganser abzog, pappte er auch mir einen Aufkleber auf den Briefkasten: »Good Night Left Side«.

Von wegen gute Nacht. Ich mache kein Auge mehr zu. Ich gebe es nicht gern zu. Ich will mich nicht einschüchtern lassen, ich will nicht als Opfer dastehen, schon gar nicht vor diesen beschissenen Nazis. Aber wir alle haben Angst. Ich hab Angst.

Wenn ich bei meinem Studium in Halle nicht gerade beim Kochen mit meiner WG prokrastiniere, lerne ich Methoden der Datenanalyse, beschäftige mich mit Postkolonialer Theorie und Internationalen Beziehungen. Alles ist wunderbar akademisch – das absolute Gegenteil der knüppelharten Wirklichkeit in Zwickau. Ich wohne mit drei Kommilitonen, mit denen ich schon in Zwickau gut befreundet war, in einer WG im Zentrum der Stadt, ich höre viel Hip-Hop, geh gern auf Partys. Ich mag Mädchen. Es wäre so einfach, Zwickau jetzt den Rücken zu kehren. Es wäre leicht, diese verdammte Angst abzustreifen, wie eine Jacke, aus der ich herausgewachsen bin. Ich müsste nur die Klappe halten. Dann würde sich in Zwickau bald niemand mehr um mich scheren. Irgendwann könnte ich dann Eltern und Freund*innen besuchen ohne dieses beschissene Gefühl im Bauch.

Ich greife wieder zu meinem Handy, öffne Twitter und fang an zu tippen …

1:52 Uhr, 13. April 2021

… Nachtgedanken aus #Zwickau: Ich habe Angst. Wir haben Angst. Auf dem Briefkasten eines Freundes steht »Zecken klatschen«, andere sind abends unterwegs und müssen sich in der Tankstelle verstecken. Ich schaue aus meinem Fenster, hoffe, dass ich wenigstens zu Hause sicher bin …

Die Geschichte einer Jugend in Zwickau.

Heimat

Ich habe mich nicht dafür entschieden, in Zwickau zur Welt zu kommen. Kein Mensch sucht sich den Ort oder das Land seiner Geburt aus. Das Geburtsland, die Grenzen darum, sind menschengemacht, und dennoch ist mancher der Überzeugung, dass es sich bei diesen Grenzen um Naturgesetze handelt. In Zwickau gibt es viele davon. All die Kujaths, die Georgis und Gansers. Dabei ist diese Stadt ein Beleg dafür, wie flüchtig Grenzen eigentlich sind.

Zwickau wurde im Jahr 1118 erstmals urkundlich erwähnt. Deutschland gab es da noch nicht, selbst zur Gründung des Deutschen Reiches sollten noch einige Hundert Jahre vergehen. Der Ort, der heute im Südosten der Bundesrepublik liegt, unweit der tschechischen Grenze, wurde damals »Zcwickaw« geschrieben.

Während ich darüber nachdenke, frage ich mich, welche Augenblicke in der langen Geschichte dieser Stadt nachwirken, vielleicht gar eine Bedeutung für mein Leben haben. Martin Luther hat 1522 in Zwickau gepredigt. Der Komponist Robert Schumann wurde 1810 in Zwickau geboren. 1838 begann die industrielle Förderung der Steinkohle, 1904 der Automobilbau, und 1957 wurden in Zwickau die ersten Trabbis zusammengezimmert.

Wenn ich durch die »Stadtchronik im Überblick«6 auf den Internetseiten der Gemeinde Zwickau scrolle, stelle ich zunächst aber eines fest: Eine Phase, die zumindest für mich unbedingt in die Liste historischer Ereignisse gehört, fehlt. Zwischen der Geburt des Schauspielers Gert Fröbe (Goldfinger im gleichnamigen James Bond) im Jahr 1913 und der schweren Hochwasserkatastrophe 1954 klafft eine Lücke.

Wer etwas über die Ereignisse der beiden Weltkriege in Zwickau erfahren will, muss sich auf der Internetseite schon weiter vorklicken. Erst dort erfährt man, dass die NSDAP bei der Reichstagswahl 1933 stärkste Kraft wurde und nur einen Tag später die Mitarbeiter*innen des »Sächsischen Volksblatts« einsperren ließ. Einen weiteren Tag später wurde auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne gehisst. Man muss auf dem Internetportal der Stadt suchen, um zu erfahren, dass 1938 alle polnischen Jüd*innen, die in Zwickau lebten, in der Polizeischule am Georgenplatz zusammengetrieben und von dort zunächst nach Chemnitz, dann nach Polen abgeschoben wurden, von wo sie mutmaßlich später in die Vernichtungslager deportiert wurden. In der Pogromnacht wurde der jüdische Betsaal niedergebrannt und jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet. Alle männlichen Juden, außer den Kindern, wurden festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht. Später, so heißt es in der Stadtchronik, landeten sie im Konzentrationslager Buchenwald. Das ist typisch für diese Stadt, in der viele Menschen über die dunklen Flecken in ihrer Vergangenheit genauso wenig diskutieren wie über ihre Abgründe in der Gegenwart.

Die große Kunst des Ausblendens wurde in Zwickau zur Meisterschaft getrieben. Rassismus und Rechtsextremismus? Für die meisten Menschen gab es immer drängendere Probleme.

Das galt lange auch für die Familie, in die ich hineingeboren wurde. Und vor allem für mich. Bevor ich anfing, mich politisch zu engagieren – also den Großteil meiner Jugend –, habe ich nicht mitbekommen, was hier eigentlich los ist.

Mein Vater, Peter Springfeld, kam 1966 in Zwickau zur Welt und wurde in Mosel groß, einem Dorf, das später in die Stadt Zwickau eingemeindet worden ist. Als er aufwuchs, war Zwickau eine 120.000-Einwohner*innenstadt im Osten des geteilten Deutschlands, in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Zwickau glich einer geradezu apokalyptischen Industriezone. So klingt es zumindest, wenn Peter mir heute davon erzählt. Es gab eine große Kokerei. Öffneten sich die Schotten, verdunkelten Aschepartikel den Himmel über der Stadt. Manchmal nieselten sie wie Schneeflocken auf die Erde hernieder und bedeckten alles unter einer grauschwarzen Rußschicht. Es gab eine dreckige Uranaufbereitungsanlage. In der Mulde, einem Fluss, der sich durch Zwickau windet, lebten keine Fische. Industriemüll trieb darin, den Arbeiter*innen Tag ein, Tag aus in das Gewässer kippten.

Peter studierte nicht, nach der Schule machte er eine Lehre in den Grubenlampenwerken Zwickau und wurde Instandhaltungsmechaniker. Doch während seiner Ausbildungszeit wurde er von seinem Betrieb als billige Arbeitskraft immer wieder in die Produktion für »Bleistarterbatterien« für Autos beordert. Im Sozialismus, der in der DDR herrschte, war das im Sinne der »kameradschaftlichen Zusammenarbeit«7 während der Ausbildung möglich. In der Batteriefabrik musste er dann unter Bleidämpfen und ohne Maske schuften. Das Schlimmste für ihn war, als er in eine Abteilung für Nickel-Cadmium-Batterien versetzt wurde. Der Nickel-Cadmium-Schlamm fraß sich durch Maschinenteile. Säure tropfte in den Boden. Nachts wurde das toxische Material trotzdem wie so viel anderer Müll einfach in die Mulde gegossen. Viele Kolleg*innen griffen zum Alkohol. Peter kündigte direkt nach seiner Ausbildung und wechselte ins neu entstandene Gelenkwellenwerk.

Zu Hause fühlte Peter sich in seiner protestantischen Kirchengemeinde. Durch die lernte er auch meine Mutter Christiane kennen. Sie trafen sich im Spätsommer 1986 bei einer Rüstzeit in Johanngeorgenstadt. Anders als im Westen Deutschlands wurden diese christlichen Ausflüge nicht »Freizeit« genannt, weil dieser Begriff in der DDR der sozialistischen Freien Deutschen Jugend (FDJ) vorbehalten war.

Bei Peter und Christiane ging alles unglaublich schnell. Kurz nach der Rüstzeit stellte mein Vater Christiane seinen Eltern vor. Die waren überrascht, dass ihr schüchterner Sohn plötzlich mit einer Frau auf der Matte stand, und dann noch mit einer, die zwei Jahre älter war als er. Im Februar 1987 zogen Peter und Christiane, beide Anfang 20, in ihre erste gemeinsame Wohnung in Zwickau. Für meine Mutter, die aus der sächsischen Metropole Dresden stammt, war das nicht leicht. Was gab es schon in Zwickau – außer Autos und schlechter Luft? Doch damals wurden Wohnungen zugeteilt. Und in Zwickau hatten Peter und Christiane Aussicht auf eine Wohnung mit Fernwärme statt Ofenheizung. Eine einmalige Chance. Kurz nach dem Einzug, im Juni 1987, heirateten meine Eltern. Kaum ein Jahr später kam meine älteste Schwester Lydia zur Welt, dann Sarah.

Religion spielte im Leben meiner Familie damals eine große Rolle. Bis heute sprechen meine Eltern vor dem Essen ein Tischgebet. Aber sie sind wohl das, was ich pragmatisch-religiös nennen würde. Das Leben im sozialistischen Überwachungsstaat war voller Dogmen und Scheinheiligkeit, sie brauchten in ihrem Privatleben nicht noch mehr davon. Sex vor der Ehe, natürlich. Ausgehen, klar. Allerdings nur bis Mitternacht, sonst hat man nichts mehr vom nächsten Tag. Über mich würden sie Jahre später sagen, dass ich viel zu brav sei, um sie an ihre Grenzen zu bringen.

Durch ihren Glauben steckten meine Eltern Ende der 1980er-Jahre mittendrin in den großen politischen Fragen ihrer Zeit. Das Umfeld der evangelischen Kirche in der DDR galt als Möglichkeit, sich in einem ansonsten repressiven System oppositionell zu organisieren. Die Kirche spielte eine entscheidende Rolle für das Entstehen einer Friedensbewegung, die sich gegen den immer bedrohlicheren Rüstungswettlauf zwischen Nato und Warschauer Pakt stellte. Es ging damals tatsächlich um Krieg und Frieden. Sowjetische SS-20-Raketen, Nato-Doppelbeschluss8, Pershing-Raketen, atomare Aufrüstung – die ersten gemeinsamen Jahre meiner Eltern waren vom Kalten Krieg geprägt.

1989 gingen meine Eltern in Zwickau auf die Straße und protestierten. Ich bin historisch nicht versiert genug, um einzuschätzen, welche Rolle diese Bewegung für das Ende des Kalten Krieges gespielt hat. War es am Ende nur der ökonomische Kollaps der Sowjetunion mit ihrer dysfunktionalen Planwirtschaft, die ihn herbeiführte? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht mehr wirklich an Gott, aber ich bin mir sicher, dass das Statement, das meine Eltern und viele andere aktive Menschen in der DDR mit den »Friedensgebeten« und den zahlreichen Demonstrationen gemacht haben, zur Wende beigetragen hat.«

Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Auf die Familie, in die ich Jahre später hineingeboren werden sollte, kamen gewaltige Umbrüche zu. Peter war noch dabei, als am 15. Mai 1990 der dreimillionste Trabant die Endmontage in Zwickau verließ. Praktisch gleichzeitig wurde das Volkswagenwerk Zwickau gegründet. Die ersten Polos rollten in der Region vom Band. Zwickau sollte auch nach der Wende ein Industriestandort bleiben. Doch vieles änderte sich.

Bei Montagsdemonstrationen gingen Tausende Zwickauer*innen auf die Straße und forderten die Schließung der Steinkohlekokerei. Sie hatten den Dreck, der da auf ihre Stadt herniederrieselte, satt. Es dauerte nicht lange, bis ihre Forderungen in Erfüllung gingen. Die schmutzige Industrie Zwickaus wich nach und nach moderneren Anlagen.

In Zwickau wurde in den 1990er-Jahren auch sonst viel gebaut: Das Straßenbahnnetz wurde erweitert, neue Bundesstraßen entstanden, moderne Kaufhäuser wurden eröffnet, Schulen restauriert und Unibibliotheken errichtet. Nach und nach wurden die »Blühenden Landschaften«, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU den Menschen versprochen hatte, in Zwickau tatsächlich Realität – zumindest gemessen an den fein sanierten Gebäuden im Zentrum der Stadt. In Zwickau wurde, wie in so vielen Städten in der ehemaligen DDR, augenscheinlich, wie viel Geld in den »Aufbau Ost« floss.

Meine Eltern gehörten zu jenen, die man wohl als Wendegewinner*innen bezeichnen würde. Mein Papa ließ den alten Trabant hinter sich und fing 1992 an, bei VW zu arbeiten. Meine Mutter fand eine Stelle in der Verwaltung der evangelischen Christophoruskirchgemeinde. Doch für viele andere Zwickauer*innen gingen mit der Wende Härten einher.

Zwickauer*innen kämpften vergeblich gegen die »Kahlschlagpolitik der Treuhandgesellschaft«, wie es hieß. Sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze. Zu Recht. Die Treuhand war eine Anstalt öffentlichen Rechts, die gegründet wurde, um die ostdeutschen Unternehmen für den harten Wettbewerb in einer »sozialen Marktwirtschaft« zu wappnen. Es ging um Privatisierung und Effizienzsteigerung. Das war eine Herausforderung. Die Unternehmen waren schließlich in einer Planwirtschaft groß geworden, und etliche erwiesen sich schlicht als nicht wettbewerbsfähig. Das teils dubiose Wirken der Treuhandanstalt, das oft als »Ausverkauf Ostdeutschlands« beschrieben wurde, trug sein Übriges dazu bei, dass die wirtschaftliche Harmonisierung Ost- und Westdeutschlands nicht nur »Wendegewinner*innen« wie meine Eltern hervorbrachte, sondern auch unzählige »Wendeverlierer*innen«.

Mitte der 1990er-Jahre war jede*r fünfte Zwickauer*in arbeitslos.9 Während sich meine Eltern in ihrem Zuhause einrichteten, verließen andere, vor allem junge und gebildete Menschen, die Stadt. Die Einwohner*innenzahl sank dramatisch. Bereits Mitte der 1990er-Jahre war sie von 120.000 auf nur noch etwas mehr als 100.000 gefallen. Heute leben kaum noch 90.000 Menschen in Zwickau, und die Tendenz ist weiter fallend. Demoskop*innen rechnen damit, dass bis zum Jahr 2025 mehr Menschen aus Zwickau wegziehen, als sich niederlassen. Sie erwarten, dass die Zahl der Sterbefälle die der Geburten weiterhin übersteigen wird. Nach pessimistischen Prognosen10, die sich bisher oft bewahrheitet haben, wird die Einwohner*innenzahl nur noch bei 84.000 liegen. Und dass diese Entwicklung einmal endet, ist keineswegs sicher.

Zwickau ist eine bemerkenswerte Stadt. Moderne Produktionsstätten und prachtvolle Parkanlagen liegen nicht weit entfernt von den Ruinen einer Industrie von vorgestern. Es gibt die malerische Innenstadt und deprimierende Plattenbausiedlungen, in denen Lücken klaffen, die so groß sind wie mehrere Fußballfelder. Viele Platten wurden wegen der schrumpfenden Bevölkerung abgerissen. Die Stadt entwickelt sich und fällt zugleich in sich zusammen. Zwickau verzeichnet heute einerseits die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wende, kaum fünf Prozent. Doch ein Grund dafür ist wohl auch, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung längst zu alt zum Arbeiten ist.

Mit etwas Glück kann man es sich in Zwickau durchaus gemütlich machen, es gibt viel Liebenswürdiges und Schönes daran, doch das Gefühl von Aufbruch verströmt dieser Ort in Sachsen für die meisten Menschen, die darin leben, nicht.

In diese Stadt also bin ich hineingeboren worden, hineingeboren in eine religiöse, aber weltoffene Arbeiter*innenfamilie, die es geschafft hatte, sich in einem schwierigen Umfeld eine solide Existenz aufzubauen. Ich kam am 31. März 2002 zur Welt. Ich war 51 Zentimeter groß, 3265 Gramm schwer. Meine Eltern tauften mich ziemlich biblisch Jakob, Jakob Springfeld.

Ich wuchs, ich kann es nicht anders sagen, ziemlich komfortabel auf, in einer kleinen behaglichen Blase. Jahre vergingen, bis ich begriff, dass es noch eine andere Geschichte dieser Stadt gibt, in der seit jeher Hass die treibende Kraft war. Rechtsextremismus und Rassismus haben Zwickau wie ein Parasit befallen, der zunächst unsichtbar, aber doch fortwährend seinen Wirt zersetzt.

Viele Erlebnisse, die ich als Kind und Jugendlicher ganz normal fand, entpuppten sich erst Jahre später als verwoben mit dieser hässlichen Seite dieser Stadt. Zunächst einmal waren sie einfach nur prägende Momente einer unbeschwerten Jugend.