Until You: Willow - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Until You: Willow E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Clay Ravens Prioritäten sind seine Familie, sein Job und die Suche nach den Leuten, die für den Mord an seiner Schwester verantwortlich sind. Ein Kuss sollte daran nichts ändern, und doch ändert sie alles. Willow Mayson. Egal was kommt. Clay ist nicht bereit, diese Frau wieder gehen zu lassen. Willow Mayson hatte nie vor, sich kopfüber in die Liebe zu stürzen. Dann teilt sie einen Kuss mit einem Fremden und ihre Gefühle entwickeln ein Eigenleben. Zwar setzt sie alles daran, die Anziehung in Schach zu halten, doch Clay kämpft um sie wie ein Mann, der ganz genau weiß, was er will. Gerade als Willow beginnt, sich auf die Sache einzulassen, wird ihre Freundin ermordet, was eine Reihe von Ereignissen in Gang setzt, die alles zerstören könnten ...

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UNTIL YOU:WILLOW

N

Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2023 unter dem

Titel UNTIL WILLOW von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht.

© 2023 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © Wander Aguiar

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-63-4

ISBN-EPUB:978-3-903413-64-1

www.romance-edition.com

Für meinen besten Freund und größten Fan: Ich liebe dich bis zum Mond und zurück, Mr Reynolds, und ich bin dir unendlich dankbar, dass ich dieses Leben mit dir verbringen darf.

1. Kapitel

Willow

Ich klopfe mit den Fingerspitzen gegen mein Martiniglas und beobachte Alec, der mir gegenüber sitzt. Er tippt hektisch auf seinem Handy herum und beachtet mich kaum. Ich presse die Lippen aufeinander und frage mich, wie lange es dauern würde, bis er merkt, dass ich weg bin, wenn ich einfach aufstehe und gehe.

Zwanzig Minuten? Vielleicht auch länger?

Wir sind erst seit ein paar Wochen zusammen, und er ist ein wirklich netter Kerl. Bisher hat er mich nicht versetzt, kein einziges Mal eine andere Frau angeschaut, wenn wir ausgingen, und er hält mir immer die Autotür auf. Er ist nicht nur aufmerksam und höflich, sondern er sieht auch noch gut aus. Allerdings ist er genauso langweilig und von der Arbeit besessen wie alle anderen Männer, mit denen ich bisher ausgegangen bin. Ich verstehe ja, wie wichtig einem der Job sein kann, aber dabei sollte man nicht vergessen, das Leben zu genießen.

Wenn ich ehrlich bin, hätte ich gerne einen Mann, der ein bisschen von mir besessen ist. Natürlich nicht so wie ein Stalker. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn ich für ihn an erster Stelle stehe, und wenn er mir in jeder Sekunde deutlich macht, dass er nicht genug von mir bekommen kann. Ein Mann, der mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, vor allem, wenn wir ein romantisches Date in einem schicken Restaurant haben und ich mir besonders viel Mühe bei der Auswahl meiner Garderobe gegeben habe.

Seufzend sehe ich mich um, bis ich das Schild für die Toilette entdecke, die sich im Untergeschoss befindet. Vielleicht ist Alec mit seinem Getippe fertig, wenn ich wiederkomme, und ich hätte ein paar Minuten Zeit, mir zu überlegen, ob und wie wir den Abend beenden.

»Hey«, sage ich leise und berühre seine Hand. Alec hebt irritiert den Kopf. »Ich gehe kurz auf die Toilette, bevor das Essen kommt.«

»Klar.« Er schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. »Es tut mir leid. Es ist einfach viel los auf der Arbeit.«

»Kein Problem.« Ich ringe mir ein Lächeln ab und erhebe mich. »Bin gleich wieder da.«

»Klar.« Er streift mich mit einem Blick, der mir sagt, dass mein Outfit seine Wirkung nicht ganz verfehlt hat.

Ich drehe mich um und steuere direkt auf die Treppe zu, die zu den Toiletten führt. Eine der beiden Kabinen scheint besetzt zu sein. Ich öffne die schwere Holztür der anderen und versuche, sie von innen zu schließen, was mir nicht sofort gelingen will. Dann kümmere ich mich um mein Geschäft und versuche anschließend, die Tür zu öffnen. Sie rührt sich nicht, also drücke ich fester dagegen. Sie bewegt sich keinen Millimeter. Ich bin in der Kabine gefangen.

»Das kann doch nicht wahr sein«, murmle ich und stoße wie ein Linebacker mit dem Unterarm dagegen. Im nächsten Moment schießt mir ein brennender Schmerz über meine Schulter bis in den Nacken. Ich atme zischend ein und trete stattdessen so fest gegen die Tür, wie es meine Absätze zulassen. Nichts. »Oh mein Gott.« Ich schlage mit der flachen Hand dagegen. Die Kabine neben mir scheint nicht besetzt zu sein, und auch sonst ist kein menschlicher Laut zu hören. Die massiven Holzwände reichen bis fast an die Decke. Nur ganz oben ist ein etwa vierzig Zentimeter breiter Spalt.

Tief durchatmend, versuche ich mich zu beruhigen. Um Hilfe zu schreien, macht offensichtlich keinen Sinn. Und meine Handtasche mit meinem Telefon habe ich am Tisch bei Alec liegen gelassen. Ich rede mir ein, dass irgendwann jemand kommen wird. Immerhin ist das hier das Damenklo. Also verschränke ich die Arme vor der Brust und warte. Langsam werde ich ungeduldig, denn ich muss schon mindestens eine Viertelstunde hier unten sein.

Abschätzend betrachte ich den schmalen Durchlass zwischen Kabine und Decke. Vielleicht kann ich mich durchzwängen, falls ich es schaffe, mich auf der Toilette stehend hochzuziehen. Vorsichtig setze ich einen Fuß auf den Rand der Toilette. Doch die Wand ist so hoch, dass ich nicht einmal das obere Ende erreichen kann. Ohne länger darüber nachzudenken, gehe ich leicht in die Knie und springe dann so hoch wie möglich. Gerade so erwische ich die Kante mit meinen Fingerspitzen. Mit aller Kraft ziehe ich mich hoch. Bei dem Versuch, ein Bein über den oberen Balken zu legen, bleibe ich mit meiner schwarzen Plateausandale am Rahmen hängen. Für einen Moment wird mir klar, wie idiotisch ich in dieser Situation aussehen muss. Doch mein Plan scheint zu funktionieren, denn beim zweiten Versuch gelingt es mir, mich durch den schmalen Spalt zu quetschen. Ich drehe mich auf dem Bauch liegend und schwinge beide Beine auf die andere Seite. Vorsichtig, um mein Outfit nicht zu ruinieren, rutsche ich rückwärts und lasse mich schließlich auf den Boden fallen.

Zum Glück lande ich auf den Füßen. Doch mein rechter Knöchel scheint etwas abbekommen haben. Ich atme tief ein und ignoriere den Schmerz, während ich mich vor das Waschbecken stelle, um mein Spiegelbild zu betrachten. Meine Haare und mein enges schwarzes Wickeloberteil sind mit Staub bedeckt. Ich schaue an mir herunter und stelle fest, dass meine schwarzen Jeans genauso schmutzig sind.

Toll!

Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, richte ich mein Haar und versuche, den größten Schmutz loszuwerden, bevor ich mich auf den Weg zurück ins Restaurant mache. Alec sitzt vor seinem halbleeren Teller und schaut zu mir auf. Ich lasse mich auf meinen Platz gleiten.

»Ich war im Klo eingesperrt.«

»Und ich habe mich gefragt, wo du bleibst. Ich wollte schon einen Suchtrupp losschicken.« Er lacht.

Seine Reaktion verärgert mich. Zuerst wartet er seelenruhig ab, bis ich wieder auftauche, und dann verspottet er mich, statt nach mir zu suchen und sich zu vergewissern, dass es mir gut geht. Immerhin hat er bemerkt, dass ich viel zu lange weg war.

»Das funktioniert so nicht«, murmle ich vor mich hin und hänge mir meine Handtasche über die Schulter. Als Alec meinen Oberarm packt, zucke ich zusammen.

»Das war nur einen Scherz. Ich habe es nicht so gemeint. Tut mir leid.«

»Ich weiß«, entgegne ich und löse mich aus seinem Griff. Dann nehme ich zwei Zwanzig-Dollar-Scheine aus meinem Portemonnaie und lege sie auf den Tisch.

»Du gehst?«, fragt Alec überrascht.

»Macht es denn einen Unterschied, ob ich hier bin oder nicht?«

»Natürlich.«

»Alec, wir sehen uns kaum, und wenn, dann bist du von der Arbeit abgelenkt oder redest über nichts anderes.«

»Mein Job ...«

»Er ist dir wichtig. Glaub mir, ich weiß das«, entgegne ich mit sanfter Stimme, um diese Sache zwischen uns nicht im Streit zu beenden. Alec ist ein netter Kerl, aber definitiv nicht der Richtige für mich. »Wir sehen uns.« Ich stehe auf und verlasse das Restaurant, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen.

Zum Glück bin ich selbst gefahren, denn Alec kam direkt von der Arbeit zu unserem Date. Ich gehe die Straße hinunter zu meinem Auto und setze mich hinters Steuer. Nach einem kurzen Blick auf mein Telefon, starte ich den Motor und verlasse den Parkplatz. Die Nachrichten, die mir Alec schickt, ignoriere ich. Plötzlich höre ich ein Dröhnen hinter mir und schaue in den Rückspiegel. Mit Herzklopfen beobachte ich, wie ein schwarz gekleideter Biker auf einer ebenfalls schwarzen Harley den SUV hinter mir schneidet. Wegen des Visiers kann ich sein Gesicht nicht sehen, erkenne aber auf einen Blick, dass der Mann recht groß und muskulös sein muss. Trotzdem sollte er nicht so riskant überholen, denke ich mir, und bin kurz davor, ihm zuzurufen, dass er vorsichtiger fahren soll.

Ich betrachte den Motorradfahrer immer wieder im Rückspiegel, während ich überlege, was ich mit dem Abend anfangen könnte. Ein heißes Bad mit einem Glas Wein wäre nicht schlecht. Ein Stück weiter die Straße hinunter bemerke ich ein Werbeschild für eine Vinothek und beschließe, ganz spontan anzuhalten. Ich setze den Blinker und fahre an einigen Motorradstellplätzen vorbei auf den Kundenparkplatz.

Wenige Minuten später stehe ich unschlüssig vor den breiten Weinregalen und versuche herauszufinden, worauf ich heute Lust habe. Normalerweise ist Merlot meine erste Wahl, aber ein heißes Bad und Rosé passen auch perfekt zusammen. Ich kaufe schließlich je eine Flasche und verlasse den Laden. Draußen vor der Tür bemerke ich zwei Kerle in Jeans und Kapuzenpullis. Beide tragen Baseballkappen und wirken optisch, als würden sie zusammen gehören. Sie stehen am Heck meines Autos neben einem großen schwarzen Geländewagen mit getönten Scheiben. Ein unangenehmes Kribbeln läuft mir den Rücken hinunter, als sie sich zu mir umdrehen. Ich bin fast versucht, mich umzudrehen und zurück in den Laden zu gehen.

»Hey Babe«, ruft eine tiefe Stimme, und ich schaue zur Seite. Ein Mann kommt auf mich zu. Er ist genauso gekleidet wie der Typ vorhin auf der Harley, nur ohne den Helm. Er ist groß, wahrscheinlich über einen Meter achtzig, hat breite Schultern, dunkles Haar, das an den Seiten kurz und oben länger geschnitten ist, und einen dichten, gut gepflegten Bart. Auf seinem Hals sehe ich Tattoos, die sich vermutlich auf seinem Oberkörper fortsetzen. »Ich wusste nicht, dass du hier anhältst.«

»Hm.« Ich ziehe irritiert die Brauen zusammen und schaue nach rechts und links, denn ich habe keine Ahnung, mit wem er spricht. Als ich mich wieder zu ihm drehe, hat er mich fast erreicht. Zwei Sekunden später legt er seine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich nach vorne. Ich bin so perplex, dass ich mich auch nicht sträube, als er mich küsst. Sobald seine warmen, weichen Lippen meine berühren, spüre ich so etwas wie einen elektrischen Funken überspringen und lasse den Unbekannten einfach gewähren. Eigentlich sollte ich das nicht, zumal ich den Kerl überhaupt nicht kenne. Mein Körper reagiert trotzdem auf ihn, und mein Innerstes krampft sich lustvoll zusammen, während er mit seiner Zunge über meine Unterlippe streicht. Keuchend löse ich mich von seinem Mund und will ihn wegdrängen. Doch er lässt mich nicht los.

»Bleib ganz ruhig, solange diese Typen zusehen«, flüstert er, und ich erstarre.

»Braves Mädchen«, murmelt er und drückt mich an seine Brust. Mein Herz rast, und ich bin mir sicher, dass ich ohnmächtig werde. Im nächsten Augenblick höre ich, wie Autotüren zugeschlagen werden und ein Motor anspringt. »Sie verlassen jetzt den Parkplatz«, grummelt der Biker und lässt mich nicht los, obwohl das Motorgeräusch des Geländewagens längst verklungen ist. Endlich senkt er die Arme und tritt einen Schritt zurück.

»Du hast mich geküsst«, stelle ich fest, darum bemüht, das in mir tobende Gefühlschaos zu verbergen. Ich habe einen Kuss noch nie zuvor so intensiv empfunden und könnte schwören, dass der Boden unter mir geschwankt hat.

»Und du mich auch.« Er zuckt mit den Schultern, bevor er sich umdreht und weggeht.

»Habe ich nicht«, zische ich ihm hinterher. Er antwortet nicht, sondern hockt sich stattdessen hinter mein Auto und tastet unter der Stoßstange entlang. »Was machst du da?«, frage ich erschrocken.

»Warte mal«, bittet er mich und scheint irgendetwas zu suchen. Ein paar Sekunden später hält er ein kleines, rundes, metallenes Gerät in der Handfläche, das etwa so groß ist wie eine Münze.

»Was ist das?«

»Ein Tracker.« Er lässt ihn auf den Boden fallen und zertritt ihn mit seinem schweren Motorradstiefel.

»Ein Tracker?« Ich schüttle den Kopf. »Warum ist der an meinem Auto?«

»Hübsche Frau, jung, schöner Körper.« Er lässt seinen Blick langsam über mich wandern. Obwohl die Situation irgendwie grotesk ist, genieße ich, wie er mich betrachtet. »Wer immer den an deinem Auto befestigt hat, könnte ein paar Tausender pro Nacht für dich bekommen oder dich an den Meistbietenden versteigern.«

»Was?«, frage ich überrascht und bin mir absolut sicher, ihn falsch verstanden zu haben.

»Es gibt verdammt miese Typen auf dieser Welt, Babe. Viele von ihnen würden alles tun, um Geld zu verdienen. Die gute Nachricht ist, dass ich sie dabei erwischt habe, wie sie dich beobachtet haben.«

»Mich an den Höchstbietenden versteigern?«

»Wie ich schon sagte, es gibt echt miese Typen auf der Welt.« Er richtet seinen Blick auf mein Auto. »Ich folge dir zu deiner Wohnung und sorge dafür, dass dir zumindest diese Nacht nichts passiert.«

Auf keinen Fall werde ich das zulassen. »Ich bin alt genug, auf mich allein aufpassen zu können«, sage ich entschlossen und suche in meiner Handtasche nach meinem Handy und den Autoschlüsseln.

»Wenn sie feststellen, dass der Tracker kein Signal sendet, könnten sie zurückkommen.«

»Kann sein«, entgegne ich und starre ihn an. »Oder du bist ein Teil ihres abscheulichen Plans. Erst spielst du den Retter und versuchst mich zu beruhigen, nur um dann meine Adresse rauszufinden und mich an diese Typen zu verpfeifen.«

Seine Miene verfinstert sich, und er macht einen Schritt auf mich zu. »Steck mich nicht in die gleiche Schublade wie diese Arschlöcher«, sagt er leise.

»Was soll ich denn glauben? Ich kenne dich doch nicht«, erwidere ich und bin fast ein wenig stolz darauf, so standhaft zu sein. Das ist gar nicht so leicht, denn dieser sexy Biker lässt meine Knie weich werden. Nach einem längeren Blickduell schaue ich auf mein Handy und wähle die Nummer meines Dads. Es klingelt, und als er abhebt, entspanne ich mich augenblicklich.

»Hey Kleine, was gibt’s?«

»Bist du in Nashville?«

»Ja. Ist alles okay?«

»Ich bin mir nicht sicher«, gebe ich zu und erzähle ihm von den Kerlen mit den Baseballkappen und dem Tracker.

»Ich bin in fünf Minuten da. Warte im Laden auf mich.«

»Okay.«

»Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch. Bis gleich.« Ich beende den Anruf und mache mich auf den Weg zurück in den Weinladen.

»Wann wird dein Mann hier sein?«, fragt mich Mr Seltsam, sobald er mich eingeholt hat. Offenbar ist sein Beschützerinstinkt noch hellwach.

»Mein Dad wird in fünf Minuten hier sein.« Ich schaue kurz zu ihm rüber. »Du brauchst nicht mit mir zu warten.«

»Ich weiß. Aber ich werde es trotzdem tun.« Er öffnet die Tür der Weinhandlung und lässt mich eintreten. Ich bleibe im Eingangsbereich stehen und beobachte den Parkplatz durch die großen Fenster. Doch durch die Spiegelung der Scheibe, die es mir ermöglicht, den sexy Biker ungestört zu betrachten, werde ich immer wieder abgelenkt. Der Mann neben mir sagt kein Wort. Selbst wenn ich die Augen schließen würde, könnte ich spüren, dass er da ist. Seine Anwesenheit ist fast überwältigend. Es fühlt sich an, als würde er mich magisch anziehen. Allzu lange werde ich das nicht ertragen können und hoffe, dass sich mein Dad beeilt.

Keine fünf Minuten später biegt er mit seiner Harley auf den Parkplatz, dicht gefolgt von einem schwarzen Geländewagen.

»Verdammt«, murmelt mein neuer Schatten und hält mir die Ladentür auf.

Ich verlasse das Geschäft und drehe mich fragend zu ihm um. »Was ist?«

»Nichts«, antwortet er knapp und macht sich auf den Weg zu dem Geländewagen, während ich zu meinem Dad gehe.

»Hey Kleine«, begrüßt mich Dad. Seine Umarmung gibt mir wie immer ein Gefühl der Sicherheit. »Wer ist der Typ mit den Bikerstiefeln?«

»Keine Ahnung.« Ich folge seinem Blick und beobachte, wie sich Mr Seltsam mit den beiden Männern aus dem SUV unterhält, die meinem Dad gefolgt sind. Zumindest sind es nicht die Typen mit dem Peilsender. Trotzdem kommen mir die beiden nicht bekannt vor, aber ihre vertraute Art lässt mich vermuten, dass sie sich kennen. Sie sind alle etwa im gleichen Alter und ziemlich attraktiv. Einer der Männer hat dunkelblondes Haar und trägt eine Jeans mit einem Henley unter einer Weste. Der andere wirkt eher wie ein Biker, hat längeres dunkles Haar und sieht Mr Seltsam ähnlich.

»Du hast Verstärkung mitgebracht?«, frage ich Dad.

»Es gab in letzter Zeit einige Vorfälle, bei denen Peilsender an die Autos von Frauen montiert wurden. Ich war gerade bei ihnen, als du angerufen hast. Die beiden wollten überprüfen, ob die Vorgehensweise ähnlich ist.«

»Oh, das wusste ich nicht.«

»Wo ist der Tracker, Kleines?«

»Auf dem Boden hinter meinem Auto.« Ich folge Dad zu meinem Wagen, wo er sich bückt und das Gerät aufhebt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die drei Männer zu uns herüberkommen.

»Wo warst du heute nach der Arbeit?«, fragt mich Dad.

Ich wippe auf den Füßen, weil alle Augenpaare auf mich gerichtet sind. »Ich war mit Alec im Cabriana’s.«

»Du triffst dich immer noch mit diesem Kerl?«

Ich rolle mit den Augen. Dad hat Alec nie wirklich gemocht, aber akzeptiert, dass ich mit ihm ausgehe. Vermutlich ist das so eine Geschichte zwischen Vätern und Töchtern und den potentiellen Schwiegersöhnen.

»Ab jetzt nicht mehr«, murmle ich. »Und bevor du fragst: Nein, er hat nichts damit zu tun. Es hat einfach nicht geklappt mit uns.« Die zwei Unbekannten glucksen, Mr Seltsam bemüht sich um einen neutralen Blick, als ich kurz zu ihm sehe. Seine bloße Anwesenheit verursacht ein Kribbeln in meinem Bauch.

»Woher wusstest du, dass meine Tochter einen Tracker an ihrem Auto hat?«, will Dad von Mr Seltsam wissen und hat dabei einen Ton drauf, der mich innerlich zusammenzucken lässt. Die beiden Männer waren etwa gleich groß und sahen sich über meinen Kopf hinweg an.

»Das ist übrigens mein Bruder Clay«, meldet sich der Typ mit den dunkelblonden Haaren zu Wort, und ich starre ihn und Mr Seltsam an. Sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich, in keinster Weise.

»Wir haben neulich darüber gesprochen, was in letzter Zeit in der Stadt passiert ist«, erklärt der Dunkelblonde.

»Ich war auf meinem Bike unterwegs, als ich merkte, dass sie verfolgt wird. Also beschloss ich, hinter ihr herzufahren«, führt Mr Seltsam aus. Er erwähnt nicht, dass er die Typen beobachtet hat, was ich interessant finde.

»Du hast nicht daran gedacht, das der Polizei zu melden?«, will Dad wissen.

»Nope«, sagt er leichthin.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, als ich sehe, dass der Gesichtsausdruck meines Vaters von besorgt zu unheimlich wechselt.

»Das ist kein Spiel«, entgegnet Dad, wobei seine Stimme fast dröhnt.

»Dessen bin ich mir bewusst, Sir.«

Ich bin fast versucht, mich zwischen Clay und meinen Vater zu stellen. »Ist das dieselbe Art von Peilsender, die in anderen Fällen verwendet wurde?«, frage ich stattdessen.

Der Dunkelblonde – der zwar Clay, sich selbst aber noch nicht vorgestellt hat, wie mir gerade auffällt – nimmt den Tracker und betrachtet ihn. »Sieht aus wie die anderen«, stellt er fest und reicht das Gerät an den ebenfalls noch namenlosen Dritten weiter.

»Ich würde auch sagen, dass es sich um dasselbe Modell handelt«, bestätigt dieser und schaut zu mir. »Würdest du die Typen wiedererkennen?«

»Ich glaube nicht«, antworte ich und rümpfe die Nase. »Das waren durchschnittlich aussehende Typen mit Baseballkappen.« Ich zucke mit den Schultern und wünschte, ich könnte ihm mehr Informationen geben. Allerdings war ich sofort, nachdem ich sie sah, von diesem sexy Biker neben mir abgelenkt.

»Was ist mit dir?«, fragt mein Dad an Clay gewandt.

Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Der Mann, der den Tracker platziert hat, war keiner der beiden, die hier auf dem Parkplatz waren.«

»Sie müssen sich also nicht kennen«, vermute ich.

»Das würde ich nicht sagen«, entgegnet der Dunkelblonde leise. »Diese Typen arbeiten in der Regel im Team.«

»In den letzten Monaten gab es außerdem eine Reihe von Autodiebstählen. Der Peilsender könnte auch angebracht worden sein, um dein Auto stehlen zu können«, bemerkt der dritte Kerl.

»Also hat niemand eine Ahnung, was dahintersteckt«, folgere ich seufzend. »Sollte ich mir Sorgen um meine Sicherheit machen?«

»Darüber solltest du dir immer Sorgen machen«, erwidert Dad, und ich starre ihn an.

»Das ist nicht sehr hilfreich.«

»Ich habe dir beigebracht, immer darauf zu achten, was um dich herum passiert, und deinem Bauchgefühl zu vertrauen, wenn dir etwas merkwürdig vorkommt.«

»Ich weiß, aber ich will wissen, ob ich mir wegen des Trackers Sorgen machen muss. Wird derjenige, der ihn an meinem Auto angebracht hat, einen weiteren anbringen?«

»Ich wünschte, wir hätten darauf eine Antwort«, entgegnet der Dunkelblonde. Warum stellen sich die anderen beiden eigentlich nicht endlich mal vor? »Du solltest auf jeden Fall aufmerksam sein«, rät er mir stattdessen.

»Toll.«

»Warum bleibst du heute Abend nicht bei mir und Mom?«, fragt Dad.

»Brodie kommt erst morgen zurück. Bis dahin passe ich auf Jeb auf. Außerdem ist Leah zu Hause. Also bin ich nicht allein.« Dad wirkt frustriert, vermutlich, weil er mich nicht zwingen kann, bei ihm und Mom zu bleiben. Und weil er Brodie nicht mag. Vor einer Weile bin ich mit ihm ausgegangen, bis ich gemerkt habe, dass wir nicht zueinander passen. Seitdem sind wir gute Freunde.

»Gut. Ich folge dir nach Hause. Aber wenn du am Wochenende ausgehst, möchte ich, dass du mir sagst, wann und wo du bist.«

»Kein Problem«, stimme ich zu und schaue dann zu Clays Bruder und dem anderen Kerl. »Schön, dass ich euch beide kennenlernen durfte.«

»Tucker«, stellt sich der Dunkelblonde endlich vor.

»Ich bin Miles«, sagt der andere.

Ich schenke den beiden ein Lächeln und schaue dann zu Clay. »Danke, dass du auf mich aufgepasst hast.«

»Kein Problem«, sagt er knapp und nickt mir zu.

Da ich nicht weiß, was ich noch hinzufügen könnte, wende ich mich an Dad. »Ich setze mich schon mal in mein Auto und warte, bis du hier fertig bist.«

»Okay. Und häng mich unterwegs nicht ab«, entgegnet er augenzwinkernd.

Ich setze mich in meinen Wagen. Nachdem ich meine Tasche und die Einkaufstüte auf dem Beifahrersitz verstaut habe, beobachte ich im Rückspiegel die Männer, die sich weiter unterhalten. Ich habe keine Ahnung, worüber sie reden, aber weder Clay noch mein Dad sehen entspannt aus. Ich würde zu gern wissen, was sie ohne mich diskutieren. Eine Minute später geht mein Dad mit Tucker und Miles weg. Clay bleibt abwartend stehen und sieht ihnen nach, bevor er zu meinem Auto schaut. Unsere Blicke treffen sich im Rückspiegel. Ich beiße mir auf die Unterlippe und wende mich ab. Dann starte ich den Motor, fahre langsam an Dad vorbei und warte an der Ausfahrt auf ihn. Hinter mir ertönt das Brummen zweier Harleys, und ich schaue erneut in den Rückspiegel. Sowohl Dad als auch Clay rücken nebeneinander fahrend dicht zu mir auf. Ein Gefühl von Déjà-vu überkommt mich. Meine Grandma hat immer behauptet, dass dasnur eine Art Hinweis auf etwas ist, das größer ist als wir. Daran würden wir erkennen können, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich weiß nur nicht, was das in diesem Fall für mich bedeutet.

2. Kapitel

Clay

Es klopft an der Haustür. Ich setze die Gewichte ab und lege mir ein Handtuch über die Schultern. Mein Hund Skye erhebt sich von seinem Platz und folgt mir mit aufgestellten Ohren und wedelndem Schwanz zur Haustür.

»Was gibt’s?«, begrüße ich Tucker und Miles, nachdem ich sie hereingelassen habe, und gehe mit ihnen in die Küche.

»Was zum Teufel war das gestern?«, fragt Tucker. Ich nehme mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.

»Was zum Teufel war was?«, will Dayton wissen, der sich zu uns gesellt. Er schläft seit ein paar Tagen bei mir und sieht heute Morgen etwas mitgenommen aus.

»Warst du etwa die ganze Nacht unterwegs?« Ich hebe eine Braue und sehe ihn prüfend an.

»Ja, Dad«, antwortet er spöttisch und kneift die Augen zusammen. »Warum zum Teufel hast du so viele Fenster?«

»Ich mag das Licht«, entgegne ich und trinke einen Schluck.

»Jetzt sag mir endlich, was das gestern sollte«, fordert mich Tucker auf und stützt seine Hände auf die Hüften.

Ich wische mir mit dem Handtuch übers Gesicht. »Ich habe nur geholfen.«

»Wir hatten doch vereinbart, möglichst unauffällig zu bleiben. Aber du musstest ja unbedingt eingreifen. Deine Tarnung ist damit hinfällig. Sie kennen dein Gesicht«, bemerkt Tucker.

Ich presse die Kiefer aufeinander, weil er recht hat. Monatelang habe ich mich auf die Lauer gelegt und darauf gewartet, dass diese Typen einen Fehler machen. Und dann habe ich meine Deckung verlassen, statt mir nur das Kennzeichen der hübschen Brünetten zu merken, um sie im Blick behalten zu können. Aber sie hatte etwas an sich, das mich dazu drängte, sie zu beschützen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob es klug gewesen wäre, Nico Maysons Tochter als Köder zu benutzen«, murmelt Miles und wirft Tucker einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Und deshalb hast du mich als deinen Bruder vorgestellt?«

»Du kennst Nico nicht. Wenn ich nicht eingeschritten wäre, wärst du vermutlich im Gefängnis, bis er herausgefunden hätte, wer du wirklich bist«, entgegnet mir Tucker. Ich schaue fragend zu Miles.

»Er übertreibt nicht«, erwidert er achselzuckend.

»Offensichtlich habe ich etwas verpasst«, bemerkt Dayton und schaut zwischen uns hin und her.

»Nicht viel, wir stehen immer noch ganz am Anfang. Keine Spur von Arya«, sagt Miles und setzt sich auf die Couch, die den Küchenbereich vom Wohnzimmer trennt.

Ich spüre den bekannten Druck im Magen, wenn ich an sie denke. Arya wurde meine Schwester, als ich zwölf Jahre alt war. Wir alle landeten in einer Pflegefamilie, die besser war als einige andere, bei denen ich in der Vergangenheit untergekommen war. Wir bekamen genug zu essen und hatten immer ein Bett zum Schlafen. Allerdings war von Anfang an klar, dass wir niemals richtig zur Familie gehören würden, wie die leiblichen Kinder unserer Pflegeeltern. Sie erfüllten nur ihre Pflicht als gottesfürchtige Menschen und nahmen ungewollte Kinder auf.

Jeder von uns war schon so oft durch das System gereicht worden, dass wir uns daran gewöhnt hatten, Ausgestoßene zu sein. Weil wir das gleiche Schicksal teilten, wurden wir zu einer eigenen Familie innerhalb der Familie.

Eines Tages, als wir von der Schule nach Hause kamen, war Arya verschwunden. Sie war dreizehn Jahre alt, als sie von einem Paar in einem anderen Bundesstaat adoptiert wurde, und wir konnten nichts daran ändern.

Im ersten Jahr bekamen wir fast wöchentlich Briefe von ihr, aber irgendwann wurden die Briefe immer seltener, bis sie schließlich ganz ausblieben, ohne dass wir eine Erklärung dafür hatten. Daher schlossen Tucker, Miles, Dayton und ich den Pakt, dass wir sie ausfindig machen würden, sobald wir alt genug und für uns selbst verantwortlich wären.

Allerdings hatten wir damals keine Ahnung, was wir bei der Suche nach ihr aufdecken würden.

»Clay«, sagt Dayton. Er legt seine Hand auf meine Schulter und holt mich damit in die Gegenwart zurück. »Hast du gehört, was ich dich gefragt habe?«

»Nein.« Ich trinke mein Wasser aus und werfe die Flasche in den Mülleimer.

»Ich habe dich gefragt, ob du die Chats überprüft hast. Vielleicht steht die Frau, der du geholfen hast, auf der Liste dieser Typen.«

»Ich habe gestern Abend nachgesehen und konnte nichts finden.«

»Dann hat entweder jemand anderes den Sender an ihrem Wagen angebracht, oder er wurde bisher nicht von diesen Typen angepeilt«, überlegt Miles und lässt uns an seinen Gedanken teilhaben. »In den letzten Monaten gab es einige Autodiebstähle. An den Autos, die später gefunden wurden, gab es die gleichen Tracker wie den, den du gestern gefunden hast.«

»Das erklärt aber nicht, warum die beiden Typen vor der Vinothek auf sie gewartet haben«, wende ich ein.

»Vielleicht haben sie nicht auf sie gewartet und waren nur zufällig dort. Und du hast einen Zusammenhang gesehen, wo keiner war, weil wir schon so lange nach einer Spur suchen, die uns zu Arya führt«, mutmaßt Miles und hebt die Hände, als er meinen missbilligenden Blick sieht. »Mann, das ist doch verständlich. Wir alle haben die Nase voll von dieser endlosen Suche.«

»Habt ihr irgendetwas gefunden, seit ich das letzte Mal hier war?«, fragt Dayton und schaut zwischen Miles und Tucker hin und her.

»Es gab zwei neue Vermisstenfälle: ein sechzehnjähriges Mädchen, das in der Vergangenheit immer wieder weggelaufen ist, und eine Tänzerin aus einem Club namens Teasers. Keine der beiden Frauen hat seit ihrem Verschwinden ihr Telefon oder ihre Kreditkarten benutzt oder mit irgendjemandem Kontakt gehabt. Wir haben keine Hinweise darauf, was den beiden passiert sein könnte.«

»Ein junges, beeinflussbares Mädchen mit einer familiären Vorgeschichte und eine Frau mit einem Job in einer Branche, in der Frauen bekanntermaßen schikaniert werden.« Dayton streckt zwei Finger aus und betrachtet sie nachdenklich. »Zwei Frauen, die vielleicht niemand vermissen würde. Die beiden sind geradezu prädestiniert für die Art von Typen, die wir jagen.« Er sieht Miles und Tucker an. »Kennt ihr die Frau von gestern? Wäre sie ein leichtes Ziel?«

»Wir kennen nur ihren Vater. Er liebt seine Frau und seine Kinder. Nichts Auffälliges.« Miles betrachtet nun mich grinsend. »Er wäre Clay gestern beinahe an die Gurgel gegangen. Wenn seine Tochter verschwinden würde, möchte ich nicht in sein Visier geraten.«

»Er ist kein Fan von dir?«, fragt mich Dayton, ebenfalls grinsend.

Ich presse meine Lippen aufeinander. Eigentlich ist es mir scheißegal, was Willows Vater über mich denkt. Trotzdem rechne ich ihm hoch an, dass er sofort zur Stelle war, als ihn seine Tochter brauchte. Viele Leute behaupten, dass sie ihre Kinder lieben, aber diesen Worten Taten folgen zu lassen, ist etwas anderes.

»Du musst dich von ihr fernhalten«, sagt Tucker.

Ich drehe mich in seine Richtung. »Wie bitte?«

»Ich habe beobachtet, wie du sie angesehen hast, und ich sage dir, dass du dich von ihr fernhalten solltest. Wir arbeiten mit ihrem Vater zusammen, und sie stehen sich offensichtlich nahe. Wir wollen vermeiden, dass du etwas ausplauderst, um sie zu beeindrucken und leichter ins Bett zu bekommen.«

»Pass auf, was du sagst«, entgegne ich wütend und gehe einen Schritt auf Tucker zu. Miles erhebt sich von der Couch und stellt sich zwischen uns. Auch Skye spürt die Spannungen, läuft zu mir und lehnt sich gegen meinen Oberschenkel.

»Ich kenne dich, sonst würde ich sowas nicht sagen«, stichelt Tucker. Er weiß genau, womit er mich treffen kann, immerhin sind wir seit sechzehn Jahren wie Brüder.

»Ich sage dir das nur einmal: Versuch nie wieder, mir vorzuschreiben, wen ich vögeln oder mit wem ich meine Zeit verbringen darf.«

»Du willst sie also wiedersehen?«, hakt Tucker nach.

»Falls ja, geht dich das nichts an.«

»Verdammt! Und du hast das vorhin für Blödsinn gehalten«, wendet er sich an Miles, der nur mit den Schultern zuckt. »Das kannst du nicht zulassen.«

Miles seufzt. »Er ist alt genug. Ich kann ihm nichts verbieten.«

»Männer, wir sollten uns beruhigen«, mischt sich Dayton ein und stellt sich vor mich.

»Ich bin ruhig«, entgegne ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Rede du mit ihm. Ich stoße bei ihm nur auf taube Ohren.«

Dayton schaut mich einen Moment wortlos an und wendet sich dann zu Tucker um. »Du weißt, dass Clay nie etwas tun würde, was unseren Plan gefährden könnte.«

»Und?«, fragt Tucker provozierend.

»Beruhige dich, Mann. Wir wollen alle dasselbe, wir sind ein Team. Ein Streit ist das Letzte, was wir gebrauchen können.« Dayton schaut von Tucker zu mir und wieder zu Tucker. »Sind wir uns in diesem Punkt einig?«

»Ja, alles gut.« Ich seufze und vergrabe meine Hände in den Hosentaschen.

»Tuck?«, fragt Dayton und erntet nur einen trotzigen Blick. »Verdammt noch mal! Warum muss ich euch immer daran hindern, euch gegenseitig umzubringen? Könntet ihr die alten Geschichten nicht endlich ruhen lassen?« Er geht zur Couch und lässt sich genervt auf die Polster fallen. »Vermutlich habt ihr euch die ganze Zeit gegenseitig provoziert, als ich unterwegs war.«

»Die ganze verdammte Zeit«, bestätigt Miles und setzt sich ächzend neben ihn. »Schlimmer als je zuvor.«

Dayton sieht Tucker an. »Dann bist du immer noch sauer auf Clay wegen der Sache, die Naomie abgezogen hat?«

Ich ziehe es vor, mich nicht weiter einzumischen und Dayton das Wort zu überlassen, der ohnehin ständig zwischen uns vermitteln will.

»Sie war betrunken«, murmelt Tucker.

Ich schüttle den Kopf. »Bruder, du weißt, dass ich immer zu dir halten werde. Aber du solltest auch endlich die Wahrheit akzeptieren. Deine Frau war nicht betrunken, als sie zu mir kam, nur leicht beschwipst.« Ich wische mir mit den Händen über das Gesicht.

»Sie hat ihr ungeborenes Kind verloren.«

»Ich weiß«, entgegne ich leise. Tucker hatte die Fehlgeburt tief getroffen. Bei seiner Frau bin ich mir da nicht so sicher. Sie schien beinahe erleichtert zu sein. Andererseits geht jeder anders mit Verlusten um. Und es steht mir eigentlich nicht zu, das zu beurteilen.

»Sie hatte getrunken und brauchte eine Schulter zum Ausheulen. Deswegen war sie bei Clay«, erklärt Tucker und sieht mich an. »Sie hat mir erzählt, was passiert war, als sie nach Hause kam.«

Aber nur, weil ich ihr klargemacht hatte, dass ich es Tucker sagen werde, egal wie sehr sie weint und mich anfleht, es nicht zu tun. Bis heute weiß ich nicht, warum sie vor meiner Haustür auftauchte. Ja, wir sind in der Vergangenheit ein paar Mal ausgegangen, aber es war nie etwas Ernstes. Nachdem sie und Tucker ein Paar wurden und heirateten, waren wir bestenfalls freundschaftlich miteinander verbunden und liefen uns nur zufällig über den Weg. Es gab weder heimliche Treffen noch gegenseitige Anrufe. Als sie vor meiner Tür stand, war ich überrascht. Natürlich wusste ich, dass sie und mein Bruder eine schwierige Zeit durchgemacht hatten. Deshalb habe ich sie auch nicht weggeschickt, wie ich es hätte tun sollen. Nein, ich habe sie hereingebeten. Zehn Minuten später wusste ich, dass es ein Fehler war, als sie versuchte, mich zu küssen.

»Du hast also verstanden, dass Clay keine Schuld hatte?« Dayton zieht eine Augenbraue hoch.

»Sie war verletzlich.«

»Und du denkst, ich habe das ausgenutzt?«, mische ich mich nun doch ein und stoße ein hohles Lachen aus.

»Du wusstest, dass es mit uns nicht so gut lief.«

»Du bist ein verdammter Mistkerl«, entgegne ich und spüre schon wieder die Wut in mir hochkochen. Ich wende mich ab und will gehen, überlege es mir aber anders und drehe mich zu Tucker um. »Lass mich dir noch eine Sache sagen.«

»Clay«, stöhnt Miles, aber ich ignoriere ihn und halte meinen Blick starr auf Tucker gerichtet.

»Ich will deine Frau nicht. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich mit der Tatsache abfindest, dass du sie vielleicht auch nicht willst.«

»Fick dich, Mann! Du lebst dein Leben, ohne Verpflichtungen gegenüber allem und jedem. Du hast doch keinen blassen Schimmer von richtigen Beziehungen und dem Eheleben«, bricht es aus Tucker heraus.

»Stimmt, ich bin nicht verheiratet und auch nicht liiert, aber ich weiß genau, dass man nur mit einer Frau zusammenleben sollte, mit der man auch wirklich zusammen sein will, verdammt.«

»Du hast doch keine Ahnung.«

»Da liegst du falsch, mein Lieber. Ich weiß, dass du unglücklich bist, ich weiß, dass du dauernd Entschuldigungen für das Verhalten deiner Frau suchst, und ich weiß, dass du deinen Frust darüber an der falschen Person auslässt.« Ich atme tief durch. »Und jetzt gehe ich duschen.« Ohne einen Blick zurückzuwerfen, lasse ich meine Brüder im Wohnzimmer zurück und gehe mit Skye an meiner Seite in mein Schlafzimmer. Ich weiß genau, dass diese Konfrontation nichts Gutes bringen wird. Wenn überhaupt, hat sie die Kluft zwischen Tucker und mir nur noch vergrößert.

Scheiße!

3. Kapitel

 

Willow

 

»Und dann hat er mich geküsst«, berichte ich von meinem Zusammentreffen mit Clay. Die Augen meiner besten Freundin und Mitbewohnerin Leah weiten sich.

»Du machst Scherze.«

»Nein, so war es wirklich.«

»Hast du den Kuss erwidert?«

»Auf keinen Fall«, behaupte ich, und Leah sieht mich prüfend an.

»Dein Gesichtsausdruck sagt etwas anderes.«

»Unmöglich, denn ich lüge nicht.«

»Okay.« Sie presst ihre Lippen aufeinander. »Und was ist danach passiert?«

»Der Typ ging zu meinem Auto, und ich hinterher. Er tastete an meiner hinteren Stoßstange herum und zog einen Peilsender hervor.«

»Was?«, keucht sie erschrocken, und ich zucke zusammen. »Warum sollte an deinem Auto ein Peilsender sein?«

»Keine Ahnung. Jedenfalls habe ich meinen Dad angerufen. Ein paar Minuten später kam er mit zwei anderen Kerlen vorbei. Und, stell dir vor ...« Ich zögere einen Moment, um die Spannung zu erhöhen, und rede erst weiter, als ich ein Flackern in Leahs Augen sehe. »Einer von ihnen war der Bruder von diesem Clay.«

»Das klingt wie aus einem Film.«

»Es fühlte sich auch so an.« Ich setze mich auf die Kücheninsel und schaue neugierig in den Topf mit der Nudelsoße, in dem Leah gedankenversunken rührt. Wie ich sie kenne, wird unser Abendessen nicht nur aufwendig sein, sondern auch fantastisch schmecken. »Die Männer haben sich das Metallding angesehen, waren sich aber nicht sicher, ob es ein Peilsender für mich oder für mein Auto ist«, berichte ich.

»Für dein Auto?« Sie runzelt die Stirn.

»In letzter Zeit hat es einige Autodiebstähle gegeben, bei denen Tracker verwendet wurden. Sie bringen den Sender an und schlagen zu, wenn sich eine gute Gelegenheit bietet.« Ich zucke mit den Schultern. »Im Internet steht, dass so in vielen großen Städten teure Autos geklaut werden.«

»Du hast wirklich ein schönes Auto.«

»Es ist großartig«, stimme ich zu, denn der Audi ist in meinen Augen der perfekte Wagen und das Einzige, wofür ich jemals viel Geld ausgegeben habe. Es hat Monate gedauert, bis ich mich nach etwa einem Dutzend Pro-und-Contra-Listen endlich zum Kauf entschlossen habe. So bin ich eben. Zu sagen, dass es mir schwerfällt, langfristige Entscheidungen zu treffen, ist eine glatte Untertreibung. Ich möchte einfach nichts bereuen müssen. Deshalb nehme ich mir immer viel Zeit, um herauszufinden, dass ich das Richtige tue.

»Und was ist mit dir? Bist du in Sicherheit?«

»Ich hoffe es. Mir ist niemand gefolgt, und etwas Seltsames habe ich in den letzten Tagen auch nicht bemerkt.«

»Gut«, sagt sie leise und sieht mich an. »Du und Alec. Ihr geht nicht mehr zusammen aus?«

»Nein.«

»Und wie lange dauert es diesmal, bis er zu einem deiner besten Freunde wird, und du die deiner Meinung nach perfekte Frau für ihn suchst?«

»Sehr witzig.« Ich rolle mit den Augen.

»Das ist eine ernste Frage. Du triffst dich mit all diesen Typen und findest dann einen Grund, mit ihnen Schluss zu machen, nur um dich am Ende mit ihnen anzufreunden. Das ist schon etwas seltsam.«

»Hast du den Teil verpasst, in dem ich im Klo gefangen war und er nicht kam, um nach mir zu sehen, sondern sorglos sein Abendessen in sich reinschaufelte?«

»Das hätte mir auch nicht gefallen.«

»Siehst du? Er ist wirklich nett, aber er trägt mich nicht auf Händen. Genau wie sein Vorgänger. Deshalb ist es nicht seltsam, dass ich mit ihnen befreundet bin.«

»Ich sage nur, dass du die einzige Frau bist, die ich kenne, die mit all ihren Ex-Freunden nicht nur redet, sondern sogar befreundet ist.«

»Weil sie alle nett sind«, wiederhole ich mich schulterzuckend. »Es ist schön, mit ihnen befreundet zu sein. Zum Glück hatte ich mit keinem von ihnen richtigen Sex. Deshalb ist es auch nicht peinlich, dass sie sich untereinander kennen.«

»Ich verstehe nicht, wie du noch Jungfrau sein kannst.«

»Ich bin keine Jungfrau mehr«, gebe ich lachend zu.

»Okay, eine reinkarnierte Jungfrau also.«

»Darum geht es nicht«, erwidere ich lächelnd. »Du weißt doch, was damals passiert ist. Das will ich nie wieder erleben«, erinnere ich sie, und Leah schaut mich mitfühlend an.

»Nicht alle Typen sind wie der, der nicht genannt werden soll.«

»Das weiß ich, aber es gibt einige, die so sind. Ich möchte Beziehungen jetzt lieber langsam angehen und mir nicht einreden lassen, dass ich etwas Besonderes bin, weil mir der Kerl nur an die Wäsche will. Ich muss rausfinden, ob ein Mann wirklich zu mir passt. Das dauert eben seine Zeit.«

»Glaubst du, dass nur einer von den Kerlen, mit denen du in den letzten Jahren ausgegangen bist, die Chance hatte, das zu beweisen?«

»Ist es denn zu viel verlangt, von seinem Date Aufmerksamkeit zu bekommen? Ich muss ja nicht die wichtigste Person in seinem Leben sein, aber zumindest an zweiter oder dritter Stelle stehen.« Okay, den letzten Satz würde ich so nie unterschreiben. Natürlich möchte ich für den Mann, in den ich mich verliebe, die Hauptrolle spielen. Die Beziehung meiner Eltern und die vieler anderer Paare, die ich kenne, haben mich das gelehrt.

Außerdem darf ein Mädchen Träume haben, oder?

Leah schenkt mir ein sanftes Lächeln. »Du hast recht. Ich möchte mich auch nicht nur nach meinem Partner richten müssen.«

»Ich wusste, dass wir uns in diesem Punkt einig sind.«

Mein Handy klingelt, und ich springe vom Tresen. Es ist Carly, eine Freundin von der Arbeit, und ich nehme den Anruf entgegen.

»Hey Carly.«

»Hey, was machst du heute Abend?«, fragt sie, und ich schaue Leah an.

»Leah kocht gerade. Und nach dem Essen wollen wir uns irgendeine Serie ansehen und den freien Abend genießen.«

»Oh.« Carly klingt ein wenig enttäuscht.

»Ist alles in Ordnung?«

»Ja, es ist nur so, dass dieser Typ, den ich online kennengelernt habe, mich gefragt hat, ob wir uns in einer Bar treffen wollen. Ich würde gern hingehen, aber nicht alleine, weil seine Freunde auch da sein werden.«

»Warte mal kurz.« Nachdem sie ihr Okay gegeben hat, nehme ich mein Handy vom Ohr, schalte es stumm und winke mit der Hand, um Leahs Aufmerksamkeit zu bekommen.

»Hast du Lust, heute Abend in eine Bar zu gehen? Carly ist mit einem Typen verabredet, will aber nicht alleine hin.«