Väter in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen - Egon Garstick - E-Book

Väter in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen E-Book

Egon Garstick

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Beschreibung

Eine Psychotherapie ohne die Beteiligung beider Elternteile bringt die Kinder in belastende Loyalitätskonflikte. Auch ihre Väter müssen ihnen diesen speziellen Spiel- und Erfahrungsraum erlauben. Im Buch werden Familienkonstellationen mit verschiedenen "Vätertypen" und der Versuch, sie durch flexibles Vorgehen im Interesse des triadischen Entwicklungsraumes zu erreichen, vorgestellt. Die Auseinandersetzung mit den Vätertheorien von S. Freud, Lacan und Abelin ermöglicht Kinder- und Jugendpsychotherapeuten eine praxisorientierte Reflexion der Theorien über das "väterliche Prinzip".

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Der Autor

Egon Garstick ist Psychotherapeut in eigener Praxis, Ausbilder und Supervisor am Psychoanalytischen Seminar in Zürich und Supervisor an diversen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Einrichtungen. In der Beratungs- und Kriseninterventionsstelle der Stiftung Mütterhilfe in Zürich hat er die sog. »Elternschaftstherapie« und die Väterarbeit entwickelt. Diese Angebote konnten ab 2018 durch die Fusion der Stiftung Mütterhilfe mit dem Verein Arche Zürich in dem interdisziplinär zusammengesetzten psychosozialen Beratungs- und Therapieteam »Arche für Familie« integriert werden.

Egon Garstick

Väter in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen

Die Triangulierung und das väterliche Prinzip

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030834-3

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-030835-0

epub: ISBN 978-3-17-030836-7

mobi: ISBN 978-3-17-030837-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Danksagung

 

 

 

Dieses Buch wäre nie zustande gekommen, hätte es nicht die tolle, kollegiale Unterstützung durch Arne Burchartz gegeben, der konstruktiv kritisch mein Manuskript kommentierte und mir half, ganz im Sinne des sog. väterlichen Prinzips, es auf den Punkt zu bringen. Er war mir ein freundschaftlicher Begleiter. Danke, lieber Arne!

Einen ganz herzlichen Dank auch möchte ich Frau Elisabeth Selch vom Kohlhammer Verlag aussprechen, die mit viel Geduld meine Ungeduld auffing und eine sehr feinfühlige und gute Korrekturarbeit leistete.

Zum Schluss danke ich allen drei Herausgebern, Christiane Lutz, Hans Hopf und Arne Burchartz, für ihr Vertrauen und die Möglichkeit, das Thema der Väterarbeit so intensiv bearbeiten zu können.

Zürich, im März 2019

Egon Garstick

Inhalt

 

 

 

Danksagung

1 Einleitung

2 Sigmund Freud als Urvater der psychodynamischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen?

3 Leuchttürme in der Psychotherapie – Referenzsysteme für die Väterarbeit?

3.1 Einleitung für die Reflexion der wesentlichen theoretischen Bausteine

3.2 Abelin – Die Theorie der frühkindlichen Triangulation

4 Der Vater – Störenfried oder Befreier? Jochen Stork und Vertreter der französischen Psychoanalyse

5 Rebellische Kinder der Psychoanalyse

6 Kinderpsychotherapie ohne Mitarbeit des Vaters?

6.1 Elterngespräche ohne aktive Mitarbeit des in der Familie lebenden Vaters

7 Konstruktiver Umgang mit Widerständen des Vaters und im familiären System

8 Die alleinerziehende Mutter und der abwesende biologische Vater

9 Psychisch kranke Väter und ihre Söhne

9.1 Der narzisstische Kokser und sein Sohn als Erlöser

9.2 Sorgfältige Abklärungs- und Vorbereitungsphase – vorsichtiger Umgang mit Idealisierung und der Zuschreibung einer Retterrolle

9.3 Aufbau und Entwicklung von Einsicht und Erkenntnis beim psychisch kranken Vater

9.4 Ein Vater mit persistierender, depressiver Störung und sein Sohn, süchtig nach Wissen

10 Scheidung: Vaterverlust und Gefährdung der reifen Elternschaft sowie der Triangulierung?

10.1 Scheidung, Liebe und Hass, Gefahr für die Kinder

10.2 Rückgang des sexuellen Begehrens und die Bindungsbedürfnisse

10.3 Hass und Projektion als Bedrohung für das psychische Gleichgewicht des Kindes

10.4 Schuldgefühle beim Vater nach der Scheidung

10.5 Der neue soziale Vater und der abwesende biologische Vater

11 Vaterschaft und männliche Identität

11.1 Verlust der Dyade und die eigene Sohn-Vater-Erfahrung

11.2 Erweiterung der männlichen Identität durch Vaterschaft

11.3 Vater werden – vollendete männliche Identität oder nur Verlust der Dyade?

12 Vom Elterngespräch zur Elternschaftstherapie und Vaterschaftsentwicklungshilfe

13 Tragt die Couch in die Institutionen!

13.1 Chance auf erweiterte psychotherapeutische Identität

13.2 Psychoanalytische Psychotherapeuten und Engagement für Gesundheit und sozialen Frieden

13.3 Psychische Geburtshilfe im Kinderkrankenhaus durch den Psychoanalytiker

13.4 Das väterliche Prinzip, die Triangulierung, ins Krankenhaus tragen!

13.5 Psychoanalytische Sozialarbeit als Anwältin des väterlichen Prinzips

14 Weibliche Widerstände gegen die flexible Väterarbeit?

14.1 Das Recht auf normale Arbeitszeiten

14.2 Kränkende Väter

14.3 Väterliche Gewalt, Kontrollverlust des Vaters, Beziehungsabbruch?

15 Kreative und emanzipierte Väter- und Elternarbeit

15.1 Reife, selektive Identifizierung mit dem Pioniergeist in der Kinderanalytischen Bewegung – Mut zum Erweitern der Theorie und der Technik

15.2 Akzeptanz der empfindlichen Achillesferse – reife Männlichkeitsentwicklung

15.3 Reifere Männer, Emanzipation zwischen den Geschlechtern, Triangulierung

15.4 Die Akzeptanz der Achilles-Ferse bei uns Psychotherapeuten

Literatur

Stichwortverzeichnis

1          Einleitung

 

 

 

Warum ein Buch in dieser Reihe über den Vater in der psychodynamischen Kinderpsychotherapie?

In der Planungsphase der Buchreihe zur psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie war von den Herausgebern folgendes wesentliche Motiv zu hören: Angehenden Kinderpsychotherapeuten und ihren Ausbildungsinstituten soll ein breites, für die praktische klinische Arbeit verwendbares Basiswissen zur Verfügung gestellt werden.

Zu solch einem Gesamtwerk gehört natürlich auch ein Buch, in dem »die verschiedenen Väter« in ihrer Bedeutung beleuchtet und die therapeutische Auseinandersetzung mit ihnen behandelt werden. Solch ein Buch verstehe ich als einen sehr elementaren Baustein in dem spannenden Lehrgebäude, das die drei HerausgeberInnen sich vorgenommen haben.

Für die Einleitung und Durchführung einer Kinder- und Jugendlichenbehandlung ist von Anfang an ein sorgfältiger Umgang mit den Eltern von Bedeutung. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten benötigen daher eine hohe Kompetenz im Umgang mit den Bezugspersonen des Kindes, müssen deren mögliche Abwehrmechanismen gegen eine mehr Bewusstheit verschaffende Arbeit einschätzen können und lernen, damit kreativ umzugehen.

Früher häufiger, aber immer wieder auch heute noch, vernimmt man als ambulanter Psychotherapeut von verschiedenen zuweisenden Stellen (Kinderärzte, Erziehungsberatungsstellen, Schulen etc.) die Idee, dass das zur Besorgnis Anlass gebende Kind nun mal eine Zeit lang eine Person ganz für sich allein haben sollte und ein Stück Spieltherapie bräuchte. Es kam und kommt immer noch zu unsorgfältig eingeleiteten Kinderbehandlungen. Eine verantwortungsbewusste, sorgfältige Abklärung der verschiedenen Motive und auch möglichen Widerstände gegen eine Bewusstwerdung der verschiedenen Faktoren im Bezugssystem, die zur Erkrankung oder Krise des Kindes führten, muss durchgeführt werden können. Ein klassischer, aber nicht seltener Fehler in der Einleitung einer Behandlung ist folgender: Die Mutter eines ihr Sorgen machenden Kindes wendet sich mit der Unterstützung einer Kinderärztin oder Schulpsychologin an einen Kinderpsychotherapeuten und man ist sich schnell einig, dass das Kind eine Therapie braucht. Der viel beschäftigte Vater bekommt von Weitem mit, dass sein Kind da scheinbar etwas Besonderes an Zuwendung braucht, und lässt seine Frau gewähren.

Wenn nun aber beispielsweise das Kind im Zuge des therapeutischen Prozesses provozierende Verhaltensweisen in der Familie zeigt, so löst dieses Verhalten beim Vater oft Unverständnis und Unwillen aus. Er war in der Abklärungsphase nicht dabei und konnte die genaue Indikationsstellung für die Behandlung nicht nachvollziehen.

Nun kann er zum Träger und Ausagierer heftiger Widerstände gegen die weitere Behandlung werden. Immer wieder erleben Kindertherapeuten und ihre Patienten unglückliche Abbrüche von Behandlungen, nicht selten in besonders intensiven Phasen, in denen sich die Patienten öffnen.

Wenn das Kind von diesem besonderen Raum einer Psychotherapie profitieren können soll, dann braucht es auch die Vorarbeit des Psychotherapeuten mit seinem Vater, damit dieser seinem Kind deutlich die Erlaubnis zum Benutzen des geschützten Phantasieraums in der Therapie gibt.

Was ist mit einer Vorbereitung der Eltern auf den Prozess der psychotherapeutischen Behandlung ihres Kindes gemeint?

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten müssen den Eltern erklären, welche Krisen sich auch in einem therapeutischen Prozess ergeben können.

Zu einer besonderen Herausforderung für die Eltern und ihrem Kind kann es zum Beispiel kommen, wenn das vielleicht vorher eher scheue, kleine Mädchen in diesem Entwicklungsraum für Phantasien, z. B. durch ein Rollenspiel, in dem auch ärgerliche Gefühle mehr bewusst werden können, auf bis dahin eher unbewusste, aggressive Gedanken aufmerksam gemacht wird. Solch eine eigentlich indizierte und beabsichtigte Entdeckung verdrängter Wünsche wird zwar angestrebt, weil ihre Verdrängung ein krankmachendes, die gesunde bio-psycho-soziale Entwicklung unterbindendes Verhalten ausgelöst hat, aber die Konsequenzen dieser Bewusstwerdung müssen auch vom familiären System ertragen werden. Die Kinder selbst spüren häufig die Schwierigkeiten ihrer Eltern, differenziertere, auch ambivalente Gefühle ihrer Kinder nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Sie brauchen daher auch nicht selten die ausdrückliche positive Ermutigung ihrer Eltern zum Nutzen des Spiel- und Entdeckungsraumes innerhalb der Therapie.

In meiner Arbeit als Supervisor höre ich immer wieder von Kolleginnen in Ausbildung, dass sie sich im Kontakt mit den Eltern, speziell mit den Vätern, verunsichert fühlen und deshalb kurzfristig sogar eine gewisse Erleichterung erleben, wenn der Vater erneut wegen dringender geschäftlicher Verpflichtungen absagen lässt. Zum Thema der Verunsicherung von jüngeren Psychotherapeuten fällt mir eine eigene Erfahrung mit einem Vater ein, die ich in den ersten Jahren meiner psychotherapeutischen Tätigkeit machen durfte. Ich sage bewusst »durfte«, weil ich heute noch über diese offene Interaktion in einem Elterngespräch sehr dankbar bin, obwohl mich natürlich die in Folge geschilderte, überfallartige Reaktion des Mannes auch in Stress versetzte. Ich führte in meiner Funktion als abklärender Psychotherapeut für eine Institution ein vereinbartes Anamnesegespräch mit einem Elternpaar. Die Mutter war psychologisch geführte Gespräche gewohnt, weil sie u. a. schon einmal für kurze Zeit stationäre psychiatrische Behandlung benötigt hatte. Als ich der Mutter genauere Fragen zur Geschichte ihrer Herkunftsfamilie stellte, unterbrach mich plötzlich ihr kräftig wirkender, mich an Körpergröße deutlich überragende, stattliche Mann und meinte: »Sie, was fragen Sie da für Sachen? Das ist ja verdammt privat, das geht Sie doch gar nichts an… und im Übrigen, was passiert mit dem, was da meine Frau erzählt? Ich arbeite selber bei der Stadt!«

Päng, da war ich erst einmal ganz schön überrumpelt. Die Frage »Was kann ich da machen?« ging mir durch den Kopf. Verschiedene Gefühle kamen hoch: Ärger, weil mich nun jemand in meiner Abklärungsarbeit stört; Furcht, ich könnte meinen Auftrag gegenüber der Institution nicht gut erledigen, aber auch Furcht vor diesem mir Respekt einflößenden Mann, der ca. 15 Jahre älter war als ich und über mehr Lebenserfahrung verfügte.

Meine spontane Reaktion war: Ich legte Notizblock und Stift zur Seite und stand, auch mit meiner Körperhaltung dieses Gefühl ausdrückend, zu diesem Überrumpelt-Werden. Ich schaute ihn an, nahm mit meinen Armen und meinem Oberkörper eine öffnende, fragende Haltung ein und sagte: »Stimmt, Sie haben Recht! Was mache ich hier eigentlich? Ich frage so ganz private Sachen, habe aber Ihnen das noch gar nicht erklärt, wieso und warum! Sie haben Recht! Darf ich Ihnen erklären, warum ich so privates Zeug frage? Ich will nämlich gute »Bürz« (im Schweizerdeutschen ugs. für »Arbeit«) mit Ihrem Sohn machen. Dafür brauche ich aber die Zusammenarbeit mit Ihnen, Ihre Erfahrungen mit Ihrem Sohn und Ihr Denken über so etwas, wie man so einen Sohn erziehen und behandeln sollte.«

Meine damalige Reaktion geschah sehr intuitiv, aber ich habe sie danach natürlich in der Intervision und Supervision noch genauer zu verstehen versucht.

Ich fasse nur kurz an dieser Stelle zusammen, denn genauer werde ich auf diese Fragen, rund um das Thema »Probleme der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Vater« in Kapitel 7 eingehen ( Kap. 7).

Positiv beeinflusst war ich wohl u. a. durch die Lektüre der beziehungsanalytischen Arbeiten von Thea Bauriedl (Auch ohne Couch – Psychoanalyse als Beziehungstheorie und ihre Anwendungen, 1994), die wir in einer Intervisionsgruppe durcharbeiteten und aus denen ich für mich den Schluss zog, dass es für das Gelingen einer aufrichtigen menschlichen Kommunikation und für das Gelingen von Veränderungsprozessen wichtig ist, dazu zu stehen, wenn ich überrascht werde und mich überrumpelt fühle. Die Szene annehmen, die sich da ergibt im Hier und Jetzt (vgl. Bauriedl, 1997, S. 33 f.).

Daher also nun auch dieses Buch über den Vater in der Psychotherapie.

Er soll uns nähergebracht werden: Wer er alles ist, sein kann, manchmal leider nicht ist; was an ihm vermisst und ersehnt wird und wie wir ihn lebendig werden lassen können, damit er zum konstruktiven Dritten wird und die sog. Triangulierungen in der Dyade zwischen Mutter und Kind ermöglicht.

Empfohlene Literatur

Herberth F., Maurer J. (Hrsg.). (1997). Die Veränderung beginnt im Therapeuten. Frankfurt am Main: Brandes & Apsel.

2          Sigmund Freud als Urvater der psychodynamischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen?

 

 

 

Sigmund Freud sollte man m. E. im Gegensatz zu seiner Tochter Anna Freud, Melanie Klein, August Aichhorn und Donald W. Winnicott nicht einen Pionier der psychoanalytischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen nennen, auch wenn er mit der 17-jährigen adoleszenten Dora schon psychotherapeutische Erfahrungen gesammelt (vgl. Burchartz, Hopf, Lutz, 2016) und die Therapie des Kleinen Hans durch dessen eigenen Vater sehr eng begleitet und mitgestaltet hatte. Beim jungen Mädchen verkannte Freud wohl die Bedeutung der Symptomatik als berechtigten Protest gegen eine verlogene Erwachsenenwelt, weil ihm psychoanalytisch orientierte familiendynamische Konzepte noch fehlten. Auch die Fallgeschichte des Kleinen Hans gibt, durch die Brille eines heutigen, psychodynamisch denkenden Kinderpsychotherapeuten betrachtet, Anlass zur Kritik, hierzu mehr im folgenden Kapitel ( Kap. 3).

Sigmund Freud war im Gegensatz zu seiner Tochter Anna noch nicht dazu gekommen, sich gründlicher mit der Ich-Entwicklung des Kindes und u. a. auch mit dem Thema der Loyalitätskonflikte zu beschäftigen, die zu einer anderen Technik im therapeutischen Vorgehen führen. Aber er hat natürlich in seinem großen Gesamtwerk die Grundlagen für die psychoanalytische Arbeit mit Menschen erarbeitet (vgl. Kap. 1.6 in Burchartz, Hopf, Lutz, 2016).

Die Herausgeber dieser Reihe Arne Burchartz, Hans Hopf und Christiane Lutz betonen also zu Recht, dass Studierende sich mit dem pionierhaften Werk von Sigmund Freud auf jeden Fall auseinandersetzen sollten:

»Alle wesentlichen Essentials jeder psychodynamischen Therapie hat Freud geschaffen, auch jene für eine Psychoanalyse von Kindern und Jugendlichen. […] Darum ist es so wichtig, dass Studierende der psychodynamischen Therapien von Anfang an Freud lesen und in sich aufnehmen« (Burchartz, Hopf & Lutz, 2016, S. 17).

Nichtsdestotrotz machen die Herausgeber auf die Kritik an einer solchen Bezugnahme auf Freuds Werke aufmerksam. Wenn wir uns für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Kritik aus anderen therapeutischen Richtungen wappnen wollen, ist aber nicht nur ein »Aufnehmen« der Entdeckungen Freuds wichtig, sondern darüber hinaus braucht es danach eine Art »Verdauung« und dialektische Weiterentwicklung, die sehr wohl mit großem Respekt gegenüber dem geistigen Vater der Psychoanalyse zu vereinbaren ist.

»Aufnehmen« erinnert an den Begriff der Introjektion, unter dem ein früh im Leben für die Entwicklung der Selbstentstehung notwendiger intrapsychischer Abwehrmechanismus verstanden wird (Mentzos in Mertens, 1983):

»Die in der normalen Entwicklung für die Selbstentstehung sehr wichtige Introjektion (das In-sich-Hineinnehmen, die Internalisierung also des Objektes) wird später unter Umständen als nunmehr pathologischer Abwehrmechanismus regressiv eingesetzt, so zum Beispiel, um die schmerzliche Trennung von einem Objekt ›rückgängig‹ zu machen« (Mentzos in Mertens, 1983, S. 65).

Aus dem »Aufnehmen«, also der Introjektion der Gedanken Freuds, sollte besser eine Identifizierung werden. Für ein Bestehen-Können in der wissenschaftlichen und der gesundheitspolitischen Diskussion über die Frage, ob die psychodynamischen Psychotherapien mit der Bezugnahme auf Freuds Arbeiten noch heute brauchbar sind und durch Gelder aus den Krankenkassen und anderen gesellschaftlichen Finanzierungstöpfen finanziert werden sollen, brauchen wir eher die Fähigkeit zu einer Identifizierung mit dem selbstkritischen Freud, der viele seiner Thesen immer wieder dialektisch erörterte und auch korrigierte.

Eine konstruktive Kritik dieser ganz am Anfang der psychoanalytischen Geschichte durchgeführten psychoanalytischen Arbeit (ich nenne es psychoanalytische Arbeit, weil es m. E. eine Mischung aus pädagogischem und psychotherapeutischem Vorgehen ist) mit dem »Kleinen Hans« braucht die Rückbesinnung auf die Entstehungsgeschichte der Freud‘schen Vorstellung über den Ödipuskomplex.

Für die Entwicklung dieses Kerngedankens der psychoanalytischen Theorie griff Freud immer wieder auf seine autobiographisch geprägte Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vaterbeziehung zurück. Zur Untermauerung stellte er folgende kulturgeschichtlichen Überlegungen an.

Exkurs zur Freud‘schen Kulturgeschichte

Vergleiche Grieser, 1998. Grieser bezieht sich auf Freuds Arbeit »Totem und Tabu«(S. Freud, 1912-13).

Am Anfang der Menschheitsentwicklung gab es nach der Ansicht Freuds einen Urvater, der die totale Macht innehatte und über alle Frauen verfügte. Aus Angst, dass seine Söhne ihm den alleinigen Platz bei den Frauen streitig machen könnten, verjagte er sie alle. Doch diese Vertriebenen rotteten sich zusammen, töteten gemeinsam den Vater und verzehrten ihn. Die Horde der jetzt vaterlosen Söhne verfiel in eine Art gefährlicher Anarchie und es drohte die gegenseitige Vernichtung im Kampf um die Frauen. Daher einigten sich die Söhne auf Gesetze, die ihr Zusammenleben regeln und die gegenseitige Vernichtung stoppen sollten. Eines dieser für Ordnung sorgenden Gesetze war das Inzestverbot, das es Männern nicht erlaubte, die Frau des Vaters und des Bruders zu begehren. Parallel dazu kam es zur Entwicklung einer Art Religion in Form des Totemismus.

Unter einem Totem (bei Naturvölkern) versteht man nach der Definition des Dudens ein tierisches oder pflanzliches Wesen oder Ding, das als Ahne oder Verwandter besonders eines Klans gilt, als zauberkräftiger Helfer verehrt wird und nicht getötet oder verletzt werden darf [und in bildlicher o. ä. Form als Zeichen des Klans gilt]. Der Philosoph Dieter Thomä (2011) bemerkt zu dieser Freud‘schen Kulturentwicklungstheorie:

»Kaum ist er (der getötete Vater) weg, sucht man ihn wieder neu, und am Ende dieser Suche hat sich die Brüderschar eine imaginäre Macht-Instanz geschaffen, in der die väterliche Autorität verwandelt wiederkehrt: ein ›Totem‹, das als ›Vaterersatz‹ dient.« (Thomä, 2011, S. 179).

Freud betonte in seiner kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung, dass es der wilden Brüderschar nach dem Vatermord wichtig wurde, sich durch die Einführung von Symbolen und Ritualen eine zu verehrende imaginäre Macht-Instanz (s. o. Thomä, 2011) zu erschaffen. So hätte nach Freud die Urhorde der Brüder und Vatermörder sich Gesetze gegeben, mit denen die Triebe besser gebändigt werden konnten, damit nicht weitere Vatermorde geschahen.

»Mit der Einsetzung der Vatergottheiten wandelte sich die vaterlose Gesellschaft allmählich in die patriarchalisch geordnete um. Die Familie war eine Wiederherstellung der einstigen Urhorde und gab den Vätern auch ein großes Stück ihrer früheren Rechte wieder« (S. Freud, 1912-1913, S. 432).

Nun kann man aber bei all diesen kulturgeschichtlichen Erklärungen Freuds für die Entstehung des Inzesttabus und des sich daraus ergebenden Ödipuskonfliktes zu Recht (Grieser, 1998) kritisch nachfragen, wie wir mit der Leerstelle umgehen, die sich in Freuds Arbeit auftut, wenn wir überlegen: Was war denn vor dem Urvater? Hat dieser denn keine Eltern, keine Mutter gehabt, die für ihn bedeutungsvoll waren? Ist es da nicht zu einer Verdrängung der großen Abhängigkeit des Individuums von der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung, beginnend schon im Mutterleib, gekommen?

Ich denke ja! In Freuds Werk finden wir eine starke Konzentration auf die Beschäftigung mit der Vater-Sohn-Rivalität, aber die Abhängigkeit der frühkindlichen Entwicklung eines Menschen, auch von der Qualität der Mutter-Vater-Beziehung, wird für heute praktizierende Kinderpsychotherapeuten in Freuds Werk zu wenig reflektiert.

Aber wie schon gesagt, wenn wir mit dem revolutionären, gesellschafts- und kulturkritischen Geist unseres Urvaters Freud identifiziert sind, dann bleiben wir nicht bei den Ergebnissen der Reflexion in »Totem und Tabu« stehen, sondern sorgen in der Auseinandersetzung mit unseren klinischen Erfahrungen für eine dialektische Weiterentwicklung der Freud‘schen Vorstellungen über den Ödipuskomplex und die Stellung und Bedeutung des Vaters in der kindlichen Entwicklung.

Schon im Mutterleib ist der Embryo darauf angewiesen, dass eine emotionale Besetzung seiner Einnistung und seines Wachsens geschieht (Bürgin, 1998). Wenn die schwangere Frau sich emotional vom Partner und anderen Bezugspersonen gut unterstützt fühlt und ihr generatives Begehren für sie nachvollziehbar vom zeugenden Mann geteilt wird, dann kann ein elementar wichtiges triadisches Erleben beginnen, dessen Bedeutung vor allem die Vertreter der französischen Psychoanalyse stark betonen.

Hierzu passend finden wir bei Lacan den zentralen Begriff der »Primordialen Symbolisierung« (Müller-Pozzi, 2015). Gemeint ist damit ein zentraler Entwicklungsschritt in der Liebe einer ihr Baby liebenden Mutter. Für die psychische Entwicklung des Babys und für das Heranwachsen-Können eines autonomen Subjektes ist es wichtig, dass die Mutter ihrem Baby den Vater vermittelt, ihn auch für gut genug hält und beiden, dem Baby und seinem Vater, die vorübergehende Trennung von der Mutter zumutet.

Zurück zur Auseinandersetzung mit der Behandlung des Kleinen Hans, durchgeführt von Hans’ Vater, der für die Gespräche mit seinem Sohn regelmäßig von Freud quasi gecoacht wurde.

Was kann man aus dieser Fallgeschichte auch heute noch lernen?

Für Freud war es ein regelrechtes Fest der Erkenntnis, als er in Hans’ Phantasien, seinen verbalen Äußerungen, seinem Verhalten und schließlich in der Entwicklung der Phobie seine Annahmen über die Bedeutung der infantilen Sexualität und deren möglichen Einflussnahme auf die Entstehung einer Neurose bestätigt fand.

Anna Freud aber fand, dass es ihm und der psychoanalytischen Gesellschaft nicht nur um die Bestätigung der Freud‘schen Theorie über die sexuelle Entwicklung gehen könne, sondern darüber hinaus enthalte das Material, das Hans’ Vater für Freud dokumentierte, wichtige Aussagen über das Zusammenwirken der verschiedenen psychischen Instanzen Ich, Es und Über-Ich sowie über die Folgen der Verdrängung starker ambivalenter Gefühle gegenüber den Eltern (vgl. A. Freud, 1980).

»Was Freud dem Leser gleichzeitig mit den Regungen der infantilen Sexualität vor Augen führt, sind die schmerzlichen und angsterregenden Widersprüche im Innenleben des kleinen Jungen. Trotz seiner drängenden Triebwünsche ist Hans kein »schlimmes«, ungehemmt-revolutionäres, der elterlichen Autorität entwachsenes Kind. Im Gegenteil, er ist gutmütig, zärtlich, leicht gerührt, mitleidig, den Eltern anhänglich und von ihnen abhängig, bemüht, so weit es in seinen Kräften steht, ihren Weisungen und Warnungen zu folgen. Es ist erst der Zusammenstoß zwischen diesen beiden so verschiedenen Seiten seiner Persönlichkeit, der Freuds Schilderung ihre einzigartige Wichtigkeit verleiht. Der Beobachter – und Leser – erlebt hier zum ersten Mal, und zwar nicht in der Rekonstruktion, sondern unmittelbar am Kind, den Kampf um die Triebumwandlung, er lernt die Mittel kennen, die dem menschlichen Ich und Über-Ich für die Sozialisierung des Individuums zur Verfügung stehen« (A. Freud, 1980, Bd. X, S. 2842 f.).

Zusammenfassung

Angeregt durch die Aufforderung der Herausgeber dieser Reihe, dass angehende Psychotherapeuten auch Sigmund Freuds Werke im Original lesen sollten, kommt es in diesem Kapitel zu einer kritischen Reflexion der kulturgeschichtlichen Annahmen Freuds, die ihn zur Theorie des Ödipuskomplexes führten, und zur Auseinandersetzung mit der Behandlung des Kleinen Hans. Im sehr detaillierten Bericht über diese, in einem für uns heute ungewöhnlichen Setting stattfindende Behandlung werden Freuds Theorien und deren Anwendbarkeit anschaulich bestätigt.

Besonders wertvoll ist die differenzierte Beschreibung der Entstehung einer kindlichen Phobie, ausgelöst durch heftige Ambivalenzkonflikte. Liebe und Wut auf die geliebten Personen in sich zu tolerieren ist eine ganz wesentliche psychische Leistung, die Kindern besonders schwerfällt, weil sie ja auch noch real von ihren Bindungspersonen abhängig sind. Der kleine Hans war mit seinen aggressiven Phantasien und Gefühlen gegenüber seinen Eltern überfordert; der Ausweg war die Verdrängung mit ihren dann folgenden Symptomen. Allein diese Beschreibung der Entwicklung einer Phobie macht den Behandlungsbericht so lesenswert. Allerdings empfehle ich die Bearbeitung des Textes in einer Gruppe, die sich zum Ziel setzt, trotz aller berechtigten kritischen Einwände gegen die Vorgehensweise von Freud, bei dem sicher eine kritische Betrachtung der Beziehung der Eltern zueinander mit ihrem Einfluss auf die Entwicklung des Kindes fehlt, das damalige Denken über und das Verständnis von einer psychischen Erkrankung mit erheblichen Einschränkungen in der Autonomieentwicklung begreifen zu wollen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die von Freud beschriebene Fixierung auf das ödipale Geschehen und die Herleitung eines sich zwangsläufig immer ergebenden Konfliktes zwischen Vater und Sohn auf einer zu hinterfragenden kulturgeschichtlichen Annahme beruht.

Der Vater kann aber auch schon sehr früh im Leben des kleinen Menschen eine ganz andere Rolle als diejenige des ödipalen Rivalen spielen, nämlich die des Befreiers und positiven Störenfrieds ( Kap. 4).

Literatur zur vertiefenden Lektüre

 

Burchartz, A., Hopf, H., Lutz, Ch. (2016). Psychodynamische Therapien mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Geschichte, Theorie, Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Freud, A. (1980). Vorwort zu Sigmund Freuds »Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben – Der kleine Hans.« In: Die Schriften der Anna Freud. Band X. München: Kindler.

Freud, S. (1912-13). Die infantile Wiederkehr des Totemismus in »Totem und Tabu«. Ungekürzte Ausgabe. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Grieser, J. (1998). Der phantasierte Vater. Tübingen: edition diskord.

Hopf, H. (2014). Die Psychoanalyse des Jungen. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.

Kind, J. (2017). Das Tabu. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.

Thomä, D. (2011). Väter. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Weiterführende Fragen

•  Welche traumatisierenden Folgen können solche wirklich ausgesprochenen Androhungen einer Kastration des Penis durch eine ansonsten recht verführerisch zur Verfügung stehenden Mutter haben?

•  Welche Folgen kann der ungenügende Schutz durch den Vater vor dieser doch gewaltigen, Angst machenden Drohung der Mutter haben?

•  Kann es nicht sein, dass ein kleiner, intelligenter, neugieriger Junge wie der kleine Hans auch deswegen recht aggressiv auf seinen Vater reagiert, weil der ihm nicht genügend ehrlich die Welt erklärt und ihn nicht vor der gefährlichen Nähe der Mutter und ihren Angst machenden Äußerungen schützt?

•  Welchen Einfluss haben die von Hans wahrnehmbaren Spannungen zwischen den Eltern auf seine Entwicklung genommen?