Verschwunden - Kerstin Schwarz - E-Book

Verschwunden E-Book

Kerstin Schwarz

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Beschreibung

"Komm nicht so spät nach Hause!" – Eine Warnung an ihren Sohn, die ungehört blieb. Während Denise nach ihrer Scheidung damit kämpft, ihre Familie zusammen zu halten, verschwindet plötzlich einer ihrer Söhne und stellt das Leben aller auf den Kopf. Was hat es mit seinem Verschwinden auf sich? Welche Geheimnisse kommen ans Licht? Welche wären besser verborgen geblieben? Kann Denise ihren Sohn finden und ihre kleine Welt wieder in Ordnung bringen?

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Seitenzahl: 99

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Kerstin Schwarz

VERSCHWUNDEN

Roman

Originalausgabe

Impressum

Text: Copyright (c) 2022 by Kerstin D. Schwarz (alias Merci)

Umschlagmotiv und -gestaltung: Copyright (c) Kerstin D. Schwarz

Verlag:

Kerstin Schwarz

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

[email protected] // www.kerstin-schwarz.com

Druck und Herstellung:epubli, ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Nur wer an Großes glaubt,kann auch Großes vollbringen.

I AM MY ONLY MASTER

1

„Komm nicht so spät nach Hause!“ - Das waren die letzten Worte, die sie zu ihm sagte. Worte, die unerhört blieben. Worte, die ungehört verklangen. Sie konnte nur hoffen, dass er sie noch gehört hatte.

Bei ihm war sie sich da nie so sicher. Gerne schlug er mal über die Stränge und jede Maßregelung, die darauf folgte, blieb wirkungslos. Er war ganz anders als sein Bruder. Bei ihm musste sie sich keine Gedanken machen und Sorgen sogar noch weniger. Obwohl er zwei Jahre jünger war, vertraute sie ihm viel mehr.

André war grundsätzlich taub, wenn seine Mutter etwas zu ihm sagte. Dennoch hoffte Denise, dass er dieses Mal auf sie hören würde. Sie wollte eigentlich nie die Art Mutter sein, die die Oberglucke heraushängen lässt, aber die Erfahrungen, die sie mit ihren beiden Söhnen gemacht hatte, waren so unterschiedlich, dass sie bei André mittlerweile nicht mehr anders konnte. Während Jacob immer hilfsbereit und zuvorkommend war, ließ André den trotzigen Teenager heraushängen. Bereit zu rebellieren, wann immer es ging.

Als er ihr von seinen Plänen für den heutigen Freitagabend berichtet hatte, wurde ihr schon ganz flau im Magen. Der Jahrmarkt war endlich wieder in der Stadt und er wollte sich dort mit seinen Freunden treffen. Seine Freunde waren genauso Haudegen wie er selbst. Nur, dass deren Eltern sich weniger Sorgen machten. Oder um es ganz genau zu nehmen, eigentlich gar keine. Sie kümmerten sich nicht mehr so sehr um ihre fast erwachsenen Kinder. Mit 17 waren sie schon beinahe volljährig und durften bereits sehr viel selbst entscheiden. Nur André nicht, zu seinem eigenen Verdruss.

Doch Denise wollte immer nur das Beste für ihre Söhne. Wie bestimmt jede Mutter. Zumindest hatte sie das bisher geglaubt.

Dass es vielleicht einmal anders sein würde, konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht einmal vermuten.

2

Denise war mal wieder mit ihren Gedanken abgeschweift. Das passierte ihr in letzter Zeit immer häufiger. Vielleicht sollte sie mal zum Arzt gehen und das untersuchen lassen? Hatte ihr das nicht neulich sogar André vorgehalten? Wenn auch aus anderen Gründen.

Wie sie schon selbst bemerkt hatte, wurde ihr Mutterkomplex immer stärker. Aber seit sie die Mutter- und Vaterrolle übernehmen musste, war ihr Leben um einiges schwieriger geworden. Was das Zusammenleben mit zwei Jungs im Teenageralter auch nicht einfacher machte.

Die beiden machten ihr zwar keine direkten Vorwürfe, dass ihr Vater sie verlassen hatte. Zumindest äußerten sie es nicht ihr gegenüber. Aber manchmal hatte sie schon das Gefühl, dass sie ihr die Schuld an dieser Situation gaben. Bei André war sie sich da sogar ziemlich sicher. Reagierte er doch in letzter Zeit auf jedes ihrer Worte entweder gereizt oder mit absoluter Gleichgültigkeit. So als hätte er jeglichen Respekt vor ihr verloren.

Doch Denise wusste, sie durfte dies nicht allzu sehr an sich heranlassen. Sie musste Stärke zeigen. Denn sie war nicht nur die Mutter, sondern auch die letzte Person, die ihre kleine Familie jetzt noch zusammenhalten konnte.

Sie konnte nicht ahnen, dass sie hiermit vielleicht sogar an ihre Grenzen stoßen würde. Doch Mutterliebe kannte bekanntlich keine.

3

Denise hatte sich selbst immer für eine intelligente Frau gehalten. Und das war sie wahrlich auch. Mit ihren 41 Jahren zählte sie sich zwar nicht mehr zu den jungen Müttern in dem Sinne, doch war sie im Kopf und vor allem im Herzen noch jung geblieben. Sie war für jeden Spaß zu haben. Oder zumindest für fast jeden.

Mit ihren langen dunkelbraunen Haaren wurde sie oft für etliche Jahre jünger geschätzt, worüber sie sich jedes Mal freute. Aber welche Frau würde das nicht? Ihr Blick war immer offen und ehrlich. Meist auch herausfordernd. Man konnte schon sagen, sie scheute keine Konfrontationen.

Wenn es nicht anders ging, konnte Denise ganz genau sagen, was Sache war. Und normalerweise wusste sie auch immer, sich dafür einzusetzen. Nur schade, dass sie bei ihren Söhnen nicht so hart durchgreifen konnte. Doch für das eigene Fleisch gab es hier andere Regeln. Regeln, die nirgends festgeschrieben standen und die wohl niemand ernsthaft verfolgen musste. Aber ohne Regeln konnte ein Zusammenleben nicht funktionieren. Zumindest nicht so reibungslos, wie Denise es sich gerne gewünscht hätte.

In diesem Punkt war sie sehr leichtgläubig und sie hoffte, dass die Situation irgendwann von alleine wieder besser werden würde. Genauso, wie die Situation sich von alleine verschärft hatte, hoffte Denise, würden die Wogen sich auch wieder von alleine glätten. Alles nur eine Frage der Zeit.

Doch Denise konnte nicht wissen, dass hierfür keine Zeit mehr bleiben würde. Nicht dieses Mal und auch nicht in der Zukunft.

4

In Gedanken versunken, hatte Denise die Zeit völlig vergessen. Sie saß alleine am Esstisch und starrte vor sich hin. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie spät es schon war. Es war längst Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Auch wenn André heute auswärts essen würde, so wollte sie dennoch eine kleine Brotzeit für sich und Jacob zubereiten. Geschickt richtete sie Wurst und Käse auf einem Brettchen an.

Die Küche war nicht besonders groß, dafür aber sehr praktisch aufgeteilt und gemütlich. Der kleine Hochtisch mit den dick gepolsterten Stühlen lud zum Verweilen ein. Hier konnte Denise stundenlang sitzen, Kaffee trinken und Zeitung lesen. Zumindest früher, bevor sie das alleinige Familienoberhaupt geworden war. Schnell stellte sie zwei Gedecke auf den Tisch.

„Essen ist fertig“, rief sie nach oben. Normalerweise dauerte es nicht lange, bis einer ihrer Söhne dann die Treppe heruntergepoltert kam.

Meist war es André. Wenn es ums Essen ging, überhörte er seine Mutter nie. Er war groß gewachsen und ragte schon einen guten Kopf über seine Mutter hinaus. Dieses Wachstum musste natürlich gefüttert werden und bisher konnte er essen, was er wollte, ohne Fett anzusetzen.

Demnächst wollte er mit etwas Training im Fitnessstudio anfangen. Doch erst sollten sich seine Noten in den Hauptfächern stabilisieren oder noch verbessern. Diese Abmachung hatte er mit seinem Vater getroffen. Und André schien sich wirklich daran zu halten. Er hatte es bisher schon geschafft, seine glatte Drei in Deutsch auf eine Zwei minus zu verbessern.

Auf der einen Seite freute Denise sich natürlich darüber, aber es fuchste sie auch ein bisschen. Diesen starken Einfluss hätte sie auch gerne selbst auf ihren ältesten Sohn gehabt. Doch er war bewusst nicht so sehr das Muttersöhnchen wie Jacob.

„Jacob, komm runter. Essen ist fertig!“, rief Denise erneut. Doch heute blieb es still im Haus. War Jacob überhaupt zu Hause? Wenn sie es sich genau überlegte, hatte sie gar nicht mitbekommen, wann er nach Hause gekommen war. Oder war er noch gar nicht zu Hause gewesen?

Sie konnte sich nicht erinnern, ob er etwas von seinen Plänen fürs Wochenende erzählt hatte. Wollte er auch auf den Jahrmarkt oder nach der Schule noch mit zu einem seiner Freunde gehen? Das kam in letzter Zeit auch immer häufiger vor.

Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, sich um André Sorgen zu machen, dass ihr Jüngster etwas zu kurz gekommen war. Sie war wohl doch nicht eine so gute Mutter, wie sie von sich gedacht hatte.

„Jacob?“, rief sie und war froh, sich mit der englischen Aussprache seines Namens durchgesetzt zu haben. Er sollte nach seinem Großvater Jakob benannt werden und so war es ein netter Kompromiss geworden.

Denise stieg die Treppe nach oben. Oben befanden sich die beiden Kinderzimmer, das Schlafzimmer sowie das Badezimmer. Jacobs Zimmer war das letzte ganz hinten im Flur. Sie lief an ihrem Schlafzimmer vorbei und erhaschte einen Blick auf das gemachte Bett. Sie schüttelte die Federkissen morgens immer gut auf. Auf beiden Seiten des großen Bettes, auch wenn die eine Seite seit ihrer Scheidung immer leer blieb.

Die Tür zu Andrés’ Zimmer war geschlossen. Denise fragte sich kurz, ob er sie heute auch wieder abgeschlossen hatte. In letzter Zeit hatte er sich leider angewöhnt, die Tür abzuschließen, wenn er das Haus verließ. Glaubte er wirklich, seine Mutter hätte nichts anderes zu tun, als in seinem Zimmer herumzuschnüffeln? Natürlich war die Neugier manchmal groß, doch schätzte Denise die Privatsphäre ihrer Kinder sehr. Schließlich wollte sie auch nicht, dass die beiden in ihrem Kleiderschrank herumwühlten. Sie hatte André schon öfter versprochen, dass sie nicht in sein Zimmer gehen würde. Aber er wollte lieber auf Nummer sichergehen, auch wenn es dadurch immer wieder zu einem Streit zwischen den beiden kam.

Als sie Jacobs Zimmer erreichte, blieb sie ein paar Sekunden vor der Tür stehen und lauschte. Alles war absolut still hier oben. Sie rief noch einmal seinen Namen, dieses Mal etwas lauter. Falls er Kopfhörer aufhatte und Musik hörte, hätte er sie wahrscheinlich sowieso nicht gehört. Doch es folgte keine Reaktion.

Sie klopfte und als sie immer noch keine Antwort erhielt, öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Das Zimmer lag im Dunkeln und es schwang ihr nur die Stille des leeren Raumes entgegen. Jacob war also nicht in seinem Zimmer, wie sie erwartet hatte. Doch wo war er dann?

5

Denise rief noch mal seinen Namen. Sollte sie auch das Zimmer von André überprüfen? Sie blieb vor seiner Tür stehen, aber noch zögerte sie und dachte an das Versprechen, das sie ihrem Sohn gegeben hatte. Wie oft hatte sie ihm versichert, seine Privatsphäre zu respektieren?

Bevor sie den Türgriff herunterdrückte, klopfte sie auch an diese Tür und rief noch mal nach Jacob. Doch die Tür zu Andrés Zimmer war fest verschlossen. Um ganz sicherzugehen, warf sie auch noch einen Blick ins Badezimmer. Doch Jacob war auch nicht hier.

Denise ging wieder nach unten und setzte sich an den gedeckten Tisch. Sie überlegte und versuchte sich an die Unterhaltung von heute Morgen zu erinnern. Hatte Jacob von seinen Plänen gesprochen? Sie holte ihr Handy aus ihrer Hosentasche und rief ihn an. Es klingelte. Wenigstens war sein Handy nicht ausgeschaltet! Doch leider ging nur die Mailbox ran.

„Hey Jacob! Mama hier“, sprach Denise auf das Band. „Irgendwie habe ich deine Pläne für heute Abend nicht mehr im Kopf. Melde dich mal zurück, damit ich weiß, wo du steckst.“

Sie hoffte, er würde die Nachricht abhören und sich bald zurückmelden. Handys waren in seinem Alter nicht immer gang und gäbe. Einige Mitschüler hatten auch schon welche, aber andere duften noch keines haben. Denise war anfangs auch skeptisch gewesen. Immerhin wollte sie nicht, dass ihr Sohn zu viel Zeit auf diesen Bildschirm starrte und nichts mehr von seiner Umwelt mitbekam. Doch Jacob hatte sein Handy meist nur irgendwo herumliegen und oft musste sie ihn überhaupt erst daran erinnern, es mitzunehmen, wenn er das Haus verließ. In seinem Leben spielte das Handy noch keine wichtige Rolle. Ganz anders als bei seinem älteren Bruder.

André sah man kaum noch ohne sein Smartphone. Es war immer in seiner Nähe oder andersherum, er war immer in der Nähe seines Smartphones. Als er anfing, es mit an den Esstisch zu bringen, sprach Denise ein Machtwort. Ihr Mann hatte damals nur die Augen verdreht. Aber letztendlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass es beim Essen kein Platz für diesen technischen Schnickschnack gab. Und seither klappte das auch ganz gut.

Auch wenn sie nur noch zu dritt waren, so hielten sie weiterhin diese Abmachung ein. Bis jetzt.

Denise nahm ein paar Bissen von ihrem Brot, doch irgendwie war ihr der Appetit vergangen. Sie starrte immer wieder auf ihr Handy und wartete auf ein Zeichen von ihrem Sohn. Nein, sie konnte jetzt nichts essen! In ihrem Inneren breitete sich eine Unruhe aus und sie konnte keine Sekunde länger sitzen bleiben. Sie stand auf und räumte den Tisch ab. Sie stellte alles wieder an seinen Platz zurück und ging ins Wohnzimmer.