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Der Enkel eines Zuckerbäckers Schützling, Freund, bewunderter Freund des ersten Gentleman von Europa, Ehrenkavalier der Braut des Thronerben; mehr: jahrelang das unerreichte Muster der vollendeten Eleganz für Englands erste Gesellschaft, unter den hochmütigen Erben der historischen Namen, der ungeheuren Vermögen anerkanntermassen der erste Weltmann, dessen unverschämter Beifall stolz, dessen grausamer Hohn unmöglich macht: genügt zur Erklärung dieses märchenhaften Schicksals eines hübschen kalten jungen Gecken das verächtliche Wort Snobismus, das achselzuckende Urteil Wahn? Mit nichten. Hier ist mehr zu vermuten als die vorsichtige Leisetreterei, die scheue Angst des Höflings vor eines eben Begünstigten unberechenbarem Einfluss, mehr als die blinde Eitelkeit der bedingungslosen Gefolgschaft eines vergänglichen Tageshelden: hier ist Persönlichkeit am Werk. Die rationale Formel für das Phänomen Brummell aber lautet: Gleichgewicht.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
I. Brummell
Der Enkel eines Zuckerbäckers Schützling, Freund, bewunderter Freund des ersten Gentleman von Europa, Ehrenkavalier der Braut des Thronerben; mehr: jahrelang das unerreichte Muster der vollendeten Eleganz für Englands erste Gesellschaft, unter den hochmütigen Erben der historischen Namen, der ungeheuren Vermögen anerkanntermassen der erste Weltmann, dessen unverschämter Beifall stolz, dessen grausamer Hohn unmöglich macht: genügt zur Erklärung dieses märchenhaften Schicksals eines hübschen kalten jungen Gecken das verächtliche Wort Snobismus, das achselzuckende Urteil Wahn? Mit nichten. Hier ist mehr zu vermuten als die vorsichtige Leisetreterei, die scheue Angst des Höflings vor eines eben Begünstigten unberechenbarem Einfluss, mehr als die blinde Eitelkeit der bedingungslosen Gefolgschaft eines vergänglichen Tageshelden: hier ist Persönlichkeit am Werk. Die rationale Formel für das Phänomen Brummell aber lautet: Gleichgewicht.
Dasselbe schauerlich-beseligende Entzücken, das den atemlos starrenden dunkeln Zuschauer auflöst in Bewunderung, erlöst vom Drucke banger Erdgefühle, wenn die schmalen lautlosen Körper japanischer Akrobaten die irdische Schwerfälligkeit der Materie im Spiel überwinden: hier, bei Brummell, dem grossen Dandy, ist es im Sozialen zu bestätigen. Gleichgewicht, das ist: in sich selbst beschlossen bestehen, unter dem Gesetz der eignen Einheit unbekümmert, »grundlos« leben, beherrscht herrschen. So heisst die Lösung des Rätsels, warum die grosse Kunst befreit, warum aus dem Flugsand der Historie sich hochragend die Standbilder der Helden erheben, warum eine sicher-gelassene Erscheinung dem täglichen Erleben die Bedeutung unvergesslicher Augenblicke aufprägt. Nichts auf der Welt vermag der zur Verehrung des Unbegreiflichen geschaffenen Seele des Menschen so über alle Zweifel hinaus-, emporzuhelfen als die wahrhaft göttliche Balance der unbedingten Wesenhaftigkeit.
Georges Bryan Brummell, der unerreichte Beau, war ein ästhetisches Phänomen wie die ganz leichte Stimme grosser Sängerinnen, der im Rhythmus der Musik wie von einem Hauch dahingetragene Körper grosser Tänzerinnen, das vom Material der allgemeinen Worte entbürdete Gedicht grosser Dichter. Die grosse Sängerin kann nicht umkippen mit ihrer Nachtigallenstimme, die grosse Tänzerin kann nicht ausgleiten, das grosse Gedicht nicht plötzlich schwer werden und wie eine tote Masse aus Worten herabfallen aus dem strahlenden Äther der Kunst. So will es das immanente Gesetz.
Aber alles Menschliche steht unter Phaëtons Fluch. Und es geschieht, was nicht geschehen darf: sie kippen um, sie gleiten aus, sie fallen herab, und da ist denn auch alles dahin. Es gibt kein wiedergewonnenes Gleichgewicht. Gleichgewicht kann nicht »verloren gehen«. »Wiedergewonnenes« Gleichgewicht ist ein Kompromiss. Nie lässt sich darüber hinwegkommen, dass es einmal verloren worden war. Man weiss ja darum. Wissen aber ist Nachsicht. Und das Grosse verschmäht jegliche Nachsicht. Es bedarf ihrer nicht, es verachtet sie. Wie sollte Grosses bestehen vor nachsichtigen Blicken? Grosses tanzt grossartig zwischen nackten Schwertern. Kein Tritt geht fehl. Wenn einer fehlgeht, dann ist alles aus, alles.
Auch Brummell, der selbstverständlich Schwebende, stürzte von der leicht rollenden Kugel herab. Und als er gestürzt war, erwies er sich als schamlos wie alle Gefallenen. Er versucht, die Kugel wieder zu besteigen. Umsonst. Er sieht sich nach Stützen um. Sein Anzug ist in Unordnung geraten. Welch ein kläglicher Anblick! Phaëtons Sturz war immerhin das rauschende Niederflammen eines Meteors. Aber ein Phaëton, der sich wieder zu erheben krampfhaft bemühte? Herbei, gemeine Lacher! Jetzt ist es an euch, in die feisten Hände zu klatschen und euch den Bauch zu halten vor spöttischem Vergnügen. Vor gefallener Grösse ist jeder Hohn statthaft. Mitleid? Mitleid kann nicht allzu lange über die Schadenfreude hinwegtäuschen. Mit Brummell hatten viele Mitleid. Und er war würdelos genug, jede Gabe anzunehmen. Freilich versagte er den Dank: eine Dandymaxime, die zur steifen Pose geworden war. Seine Bemühungen, in Calais sich selbst den gloriosen Brummell von Chesterfieldstreet vorzuspielen, sind – es hilft nichts – Provinz. Man darf nicht vorlieb nehmen wollen. Brummell, wo sind die ungeschriebenen Regeln des Dandysme? Freilich, es gibt immer noch Leute, die bereit sind, an beaux restes sich genügen zu lassen. Aber dem sei wie ihm wolle: es ist absolut verächtlich, beaux restes vorzustellen. Es gibt nur Einheit oder Nichtmehrsein.
Endlich, der letzte Akt: Caen. Misere der Verwesung bei lebendigem Leibe. Alle Hässlichkeiten sammeln sich um das schwer atmende Aas einer negativen Existenz. Der Beau ist alt, arm, krank, widerlich. Schuldgefängnis und Gehirnschlag: das Leben ist schwer geworden wie Blei, die »Kugel« rollt über ihn weg. An der Hoteltafel verbietet sich jemand das ekelhafte Mummeln, das gefrässige Schmatzen des zum Wiederkäuer Vertierten. Und schmutzig ist das Äussere des Äusserlichsten geworden. George Brummell, der mit achtzehn Jahren Kapitän im ersten Kavallerieregiment Englands gewesen war, dessen Lever der Prinz von Wales beigewohnt hatte als aufmerksamer Ehrgeiziger, – ohne Wäsche, mit einer fettigen Perücke stundenlang kindisch beschäftigt ...
Und nun das Ende. Die »Nacht des Wahnsinns bricht herein«, heisst es bei Poeten. Aber es war doch nur Verblödung. Ein Schimmer von Tragik beleuchtet die klägliche Groteske: der ehemalige Freund der ersten Kavaliere des dreieinigen Königreichs ladet, ein gravitätischer Komödiant seines (in der alten Heimat längst vergessenen) Einst, die Vergangenheit trunken träumend zu Gast. Sein eigner Türhüter, meldet er feierlich die stolzen Besucher. Zuletzt ihn selbst, den Unbewegten, verächtlich Lächelnden, den grossen Dandy: George Bryan Brummell ...
Der Morgen findet ihn schluchzend in Tränen. Fahles, fröstelndes Frühlicht gleitet über einen zerschlissenen Lehnstuhl, darin ein armer alter Narr stöhnt. Der Rest ist Verscharrtwerden.
II. Barbey und Brummell
Im April 1843 schrieb Barbey, der damals nach dem Grundsatz, Gegensätze in sich zum Einklang zu stimmen, als Mitarbeiter des Globe für den Moniteur de la Mode unter dem Pseudonyme Maximilienne de Syrène über Damentoiletten zu plaudern keinen Anstand nahm, an seinen getreuen Trebutien: »Ich hätte nicht übel Lust, für diese Sammlung müssiger Dinge eine Skizze von Brummell zu entwerfen, dem grossen Brummell, dessen weisse Westen Byron um den Schlaf gebracht haben. Brummell ist in Caen gestorben. Ich habe ihn dort gesehn, und vielleicht haben Sie ihn auch gekannt. Könnten Sie mir über diesen Kauz nicht einiges mitteilen? Sie würden mich dadurch sehr verbinden. Sie wissen, dass ich einen wahren Heisshunger nach allem habe, was es Ungewöhnliches gibt. Ich könnte alles brauchen, ich werde mir schon daraus meine Pfeile spitzen, und ich zähle bestimmt auf Ihre Unterstützung.«
Aber die Verbindung mit dem Moniteur de la Mode kommt zu einem jähen Ende. Man hatte Barbeys Modeberichte zu hoch befunden, und Barbey, der »wohl für Zierpuppen aus guter Familie, aber nicht für Schneiderinnen schreiben mag«, verlässt – er war immer der Mann des Entweder- oder – die bedenkliche Sippschaft auf der Stelle. Den Brummell hat er sofort auch – ein Sprung, wie er ihn liebte – der Revue des Deux Mondes zugedacht. Und schon im Mai ist ihm der Plan einer kurzen Plauderei für Modedamen zu einem »Essai sur le Dandysme, avec une biographie de Brummell« gediehen. Der mit Fragen bestürmte Trebutien erweist wieder einmal seine dienstwillige Tüchtigkeit. Er erkundet, dass ein gewisser Jesse eben daran ist, ein umfangreiches Werk über den grossen Dandy zu beenden, und Barbey – der Eile hat, »à se purger des idées (si idées il y a), qui demandent à sortir de cette chose qu'on appelle le cerveau. Il y a un degré dans la conception, qu'il faut saisir, pour que l'éxécution vaille quelque chose. J'en suis arrivé à ce degré-là« – dringt alsogleich auf schleunige Verbindung »mit diesem Gentleman«, und er entwickelt sein Programm: »Ich werde zunächst genau sagen, was der Dandysme ist; ich werde die Grundzüge entwerfen, das Gesetz aufstellen und endlich die Idee der Sache durch den Mann verdeutlichen, der diese Idee in ihrer grossartigen Sinnlosigkeit am vollendetsten verkörpert hat.« Er hat mit seinem »Ring des Hannibal« soeben einen kleinen Skandalerfolg errungen, und er will nicht hinter dem günstigen Augenblick zurückbleiben.
Am 29. Februar 1844 ist das kleine Buch beendigt, und wenige Wochen später trägt er das Manuskript selbst zu Buloz. Aber Buloz »wagt« es nicht, den Brummell in der Revue zu bringen. Die Studie ist ihm »zu manieriert«. Barbey schäumt und schimpft. Er trägt seinen Brummell zum Journal des Débats. Bertin jedoch mag keinen von der Revue zurückgewiesenen Artikel. Und Barbey »schenkt« das unglückselige Manuskript Trebutien, der es, ein aufopfernder Freund, aufs sorgfältigste ausgestattet, im Dezember 1844 als gedrucktes Buch ihm wieder übersendet.