Vom Ende des Punks in Helsinki - Jaroslav Rudiš - E-Book

Vom Ende des Punks in Helsinki E-Book

Jaroslav Rudiš

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Beschreibung

Man kann nicht ewig Punk sein. Aber was dann?

Ole ist 40, war früher Punk, Frauenheld und erfolgreich mit seiner Band, aber das ist lange her. Heute betreibt er das »Helsinki«, eine kleine, verrauchte Bar in einer namenlosen (ost)deutschen Großstadt. Außer der Bar, ein paar Freunden und seinen Erinnerungen ist ihm wenig geblieben. Als seine Bar geschlossen wird, bricht Ole zu einer Reise nach Tschechien auf. Es wird eine Zeitreise an den dunkelsten Punkt seiner Vergangenheit: 1987 versuchte er als 17-Jähriger mit seiner 16-Jährigen Freundin Nancy über die grüne Grenze in den Westen zu fliehen. Nancy kam dabei ums Leben …

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Seitenzahl: 434

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JAROSLAVRUDIŠ

VOM ENDE DES PUNKS IN HELSINKI

Aus dem Tschechischen von Eva Profousová

Roman

Luchterhand Literaturverlag

Die Handlung und die Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Wie in der tschechischen Originalausgabe Konec punku v Helsinkách folgen Orthographie und Interpunktion in den Tagebuchpassagen »Tal der Hohlköpfe« nicht den Regeln.

Die Originalausgabe erschien 2010unter dem Titel Konec punku v Helsinkách bei Labyrint, Prag.Die deutschsprachige Ausgabe wurde vom Autor überarbeitet und gekürzt.

Die Arbeit an dieser Übersetzung wurde vom Deutschen Übersetzerfonds und dem Tschechischen Kultusministerium gefördert.Verlag und Übersetzerin danken für die freundliche Unterstützung.

1.Auflage© 2010 by Labyrint© 2014 der deutschsprachigen Ausgabeby Luchterhand Literaturverlag, München,in derVerlagsgruppe Random House GmbHSatz: Uhl + Massopust, AalenAlle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-641-13136-4www.luchterhand-literaturverlag.dehttps://www.facebook.com/luchterhandverlaghttps://twitter.com/luchterhandlit

Für Christine

Es muss ganz in der Nähe sein. Ich folge einer schmalenWaldstraße. Damals hat es hier keinen Asphalt gegeben, nur Schotter und feuchte Erde, im Dickicht am Straßenrand lagen riesige abgeholzte Baumstämme. KeineWegmarkierungen.Wer hätte auch damals in dieser Gegend wandern wollen.

An einer Kreuzung bleibe ich stehen, Grün und Gelb weisen in den dunklenWald hinein, einmal nach rechts und einmal nach links. Ob es das Flurkreuz schon damals gegeben hat? Ob der Jesus schon damals keinen Kopf hatte? Rot bleibt auf dem Asphaltweg. Die Richtung muss es gewesen sein.

Ich habe Durst.Vor allem aber würde ich gerne eine rauchen, was für ein Unsinn, gerade aufgehört zu haben, ausgerechnet jetzt. Das hätte ich später machen können, zu einer anderen Zeit. Ich gehe weiter, über demWald breitet sich Stille aus, nur aus der Ferne höre ich eine Motorsäge und später einen Trecker tuckern.

Auf einmal ein furchtbares Getöse. Fünf Radfahrer sausen vorbei. Eine schnelleWespeneinheit, die sich hierher verirrt hat. MuskulöseWaden schneiden denWeg synchron in Scheiben. Der letzte Fahrer macht die perfekte Choreographie zunichte, als er für einen Moment aufhört zu treten und in die Blaubeersträucher spuckt. Die glänzenden Körper tauchen zwischen den Bäumen unter.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob derWeg richtig ist, das Ganze liegt immerhin zwanzig Jahre zurück. Ich habe zwar eine Landkarte im Rucksack, bin aber zu faul, sie herauszuholen. Damals haben wir auch eine gehabt und uns trotzdem verlaufen.Weil wir uns durch denWald schlugen, anstatt die Straße entlangzulaufen. Dazu hatten wir viel zu viel Schiss. Heute gibt es dafür keinen Grund mehr. Eine Schlange schießt im Zickzack über den Asphalt. Eine Natter.

Ich gehe weiter und höre dem Wind zu, der die Baumkronen schüttelt, fast alles Nadelbäume, nur vereinzelt Birken oder Espen.Auf einmal bekomme ich Angst. Dass ich damals Angst hatte, das kann ich verstehen. Aber warum jetzt, wo doch nichts mehr auf dem Spiel steht?Wo man nicht hinter jedem Baum Soldaten mit geladenem Maschinengewehr fürchten, im Gebüsch keine Spürhunde vermuten muss? Mein Kopf dröhnt. Der Wind pfeift und treibt mich aus demWald.

Endlich unter offenem Himmel. Mein Blick schweift über die Lichtung, die sich vor mir auftut, über die hundertjährigen Bäume.Warum haben die mir bloß einen solchen Schrecken eingejagt, sie sind doch schon immer da gewesen, und es wird sie auch nach mir geben. Bäume sind, was man Unendlichkeit nennt. Ich müsste dringend eine rauchen.Verdammt.Wo ist meine Notschachtel geblieben?

Die Sonne scheint mir direkt in die Augen.Vor mir breiten sich die sanften, allmählich ansteigenden Kurven der Grenzhügel aus. Das muss Deutschland sein. Der Berg dort, der muss schon in Bayern liegen – haben wir das damals nicht auch so gesagt?

Ich gehe weiter und sehe mich um. Eine weite Sommerwiese, im Wind sieht sie wie wogende Meeresoberfläche aus. Die Scheune, in der wir damals übernachtet haben. In der ich zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen habe. Ein niedriger Zaun, ein grob behauenes Blockhaus mit leuchtend rotem Blechdach, unter den kleinen Fenstern stapelt sich Brennholz.Auf der Südseite eine Satellitenschüssel. Das Dach glänzt in der Sonne, das Haus sieht aus, als wäre es einem Märchen entsprungen. Bestimmt haben es irgendwelche Städter alsWochenendhaus gekauft.Weit und breit kein Mensch.

Ich gehe auf das Haus zu und dann erblicke ich ihn. In der Hand hält er die Sense und mäht Gras. Für einen Moment bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich derselbe Mann ist. Es wird aber schon stimmen. Er ist älter geworden, sein Rücken ist noch krummer als damals, die linke Schulter steht höher als die rechte. Er dürfte schon über achtzig sein, die Sense hält er immer noch genauso fest und sicher wie damals, als er uns auf einen SchluckWasser eingeladen hat, als seine Frau uns Brot, Speck und Bier serviert hat. Unter den Schwüngen der Sense fällt das Gras willig hin, es sperrt sich nicht gegen denTod, folgt ihm ruhig und ergeben ins Jenseits.

Dann hält der knochige Greis inne. Er richtet sich auf, streckt sich, blickt in die Sonne. Mit dem Ärmel seines karierten Flanellhemdes wischt er sich den Schweiß von der Stirn, zieht einenWetzstein aus der Hosentasche, spuckt auf ihn und schärft das Sensenblatt nach.

Erst dann bemerkt er mich.

Wir sehen uns an. Ziemlich lange. Der Wind zaust seine restlichen grauen Haare auf, er wischt sich die Lippen mit dem Hemdärmel ab, in der Linken hält er die Sense. Seine Augen sind blau und verwaschen, seine Zähne gelb und verfault. Ich lasse meinen Rucksack fallen.Weder er noch ich sagen einWort. Wir sehen uns nur an. Das hohe Gras wogt im Wind, und ein schwerer, mit Holz beladener Laster tuckert über die Straße.

Damals ging der Sommer zu Ende, jetzt fängt er gerade an. Ich muss eine rauchen.

ZIGARETTENSCHACHTELN

Er wirft eineTablette gegen denTod ein, zieht den Reißverschluss an seiner Jacke bis zum Kinn, steckt sich eine an und marschiert los. Die Straße liegt menschenleer und öde vor ihm, wie eine Wüste. Der Wind tost, unter den Rohren wälzen sich Dünen aus buntem Laub. Karge Baumkronen stützen mit grauen Ästen eine rissige Decke aus dunklenWolken.

Ole überlegt kurz, ob er den Herd ausgemacht hat, und versichert sich zehn Mal hintereinander, ihn ausgemacht zu haben.Auch wenn weder er noch Prager seit Monaten gekocht haben, will die Unsicherheit nicht weichen. Er läuft weiter. Das Laub unter seinen Füßen raschelt, und Ole versucht, sich daran zu erinnern, wann er eigentlich zum letzten Mal eine warme Mahlzeit zubereitet hat, aber sein Gedächtnis lässt ihn im Stich.

In den verbogenen Rohren über seinem Kopf rauscht es. Einen kurzen Moment lang hat er das Gefühl, die Rohre würden bald platzen. Und dann denkt er, es ist sein Kopf, der platzen könnte. Nicht über ihm rauscht es, sondern in ihm. Er wäre nicht der Erste, der in dieser aufgerissenen Stadt meschugge würde. Hier gehört es irgendwie dazu.

Jetzt steht er auf der Hauptstraße. Er könnte drei Stationen mit der Straßenbahn fahren, aber morgens geht er gerne zu Fuß.Außerdem könnte er dann nicht rauchen. Beim Gehen muss er rauchen. Eine Hand in der Hosentasche, in der anderen eine Zigarette, so zieht er weiter, den Blick auf die scharfen Spitzen seiner abgetretenen Lederboots gerichtet.

Ein schwerer, mit Erde und Sand beladener Laster schnaubt vorbei. Noch vor dem Krieg wurde um die Stadt herum eine Autobahn gebaut, die Arbeiter freuten sich, dass sie endlich Arbeit hatten. Dass der Arbeitgeber sie unmittelbar darauf irgendwo in Russland würde erschießen und vor Hunger krepieren lassen, wie den Bruder von Oles Opa zum Beispiel oder dessen Cousin und viele andere, wussten sie noch nicht. Jetzt wird unter der Stadt eine neue Autobahn gebuddelt, und aus dem Kreis wird ein Halbkreis. Und auch jetzt freuen sich die Arbeiter über Arbeit.

Die Ingenieure haben vor, später noch einenTunnel zu bauen, um Oles Stadt wie eine Pizza zu zerstückeln. Keiner weiß, wie lange die Arbeiter schon unter der Erde stecken. Vielleicht seit drei Jahren, vielleicht seit zehn, vielleicht seit zwanzig. Und keiner weiß, wie lange sie dort noch bleiben werden.

Die Ingenieure haben Pläne ausgebreitet, die Arbeiter die Erde aufgerissen, aber keiner von ihnen hat an die Unmengen vonWasser gedacht, auf denen die Stadt wie eine riesige Insel schwebte. Jetzt muss dasWasser in Rohren aus dem Untergrund gejagt werden, damit dieTunnel nicht einbrechen, damit die Stadt nicht im Boden versinkt. Ole geht weiter und folgt der Linie, die von den Rohren vorgegeben wird. Er raucht und erinnert sich daran, dass dort früher ein Pelzgeschäft gestanden hat, daneben wiederum hat es einen Friseursalon gegeben und gleich daneben einen kleinen Lebensmittelladen mit einerTante im blauen Kittel am Ladenpult.Vor seinen Augen tauchen all die früheren Läden auf, an deren Stelle sich heute nur Boutiquen drängeln oder diese neuen, bemüht entspannt-lauschigen Nichtraucherrestaurants.

Ole geht weiter, und die Stadt unter ihm wird in die Länge gezogen und ächzt. Ole stellt sich vor, er könnte sie von oben sehen, könnte einen Blick über sie werfen, die Stadt als ein Netz von orangefarbenen und blauen Rohre erfassen. Die entblößten bunten Adern, die aus dem Inneren der Stadt gerissen wurden, so, wie bei einer Transplantation das Herz aus dem Körper herausgeholt wird.

Er passiert eins der vielen neuenWohnhäuser, die heute das Gelände einer ehemaligen, einst berühmten kleinen Fahrradfabrik einnehmen. Einer Fabrik, die bis dahin jedes Regime überlebt hatte. Bis jetzt. In diesem Haus kann man mit dem Aufzug das Auto direkt vor dieWohnungstür hinauffahren.

Am Hauseingang steht ein kahlköpfiger Typ im grauen Ballonseidemantel und fotografiert etwas. Drei rote Farbkleckse, frisch auf der neuen Fassade gelandet. Sein Gesicht wirkt abgespannt. Eine etwa dreißigjährige schmucke frische Biofrau mit einem Baby redet auf ihn ein.

»Das nächste Mal kann so was in unserem Fenster landen«, sagt sie. Der Typ nickt stumm.Wenn er auf den Auslöser drückt, zieht sich seine linke Gesichtshälfte zusammen.

Ole läuft weiter und steckt sich die nächste Zigarette an. Danach wird er einen feinen Druck auf der Lunge spüren, als wäre ihm jemand auf den Brustkorb getreten. Er ist froh, wenn er etwas spürt. Unterwegs zur Arbeit raucht er immer drei weg. Manchmal denkt er, seine Zeit wird nicht von einer Uhr, sondern von der Zigarettenmenge bemessen.Von Zigarettenschachteln. Stangenweise gerauchte Zigaretten einer alten Marke, die seit dem Krieg existiert.Wenn er zurückblickt, sieht er keine Hauptstraße hinter sich, sondern einen riesigen Berg von zerknüllten Zigarettenschachteln, über den die Sonne vergeblich zu klettern versucht, um dieWolken zu vertreiben.

Kreuzung. Jetzt nur noch den breiten Boulevard überqueren, sich vor den Straßenbahnen in Acht nehmen, und schon ist er da. In Helsinki.

DASISTKRIEG

Als Allererstes knipst er die hübsche Italienerin an, die er in Raten abstottert. Er wartet, bis sich die Maschine warmgelaufen hat, und in der Zwischenzeit raucht er die nächste Zigarette. Davon muss er husten, diesmal ordentlich, aus dem Druck auf der Lunge ist ein Stechen geworden.

Die Tür geht auf. Ein Windstoß leckt ihm kalt dieWange ab, und Ole weiß, wer gekommen ist. Im Helsinki taucht er ein paarmal im Monat auf, häufig als Erster noch vor zwölf, der offiziellen Öffnungsstunde. Ole hört, wie er direkt die Bar ansteuert. Seinen schwerfälligen Gang würde er auch als Blinder wiedererkennen.

Er fasst der Italienerin an die Hüfte. Sie hat die richtigeTemperatur. Ole füllt Kaffee in den Filter, schiebt ihn hinein, stellt zweiTassen darunter und drückt auf den Knopf. Erst dann dreht er sich um.

»Hallo Frank.«

»Hallo Ole.«

»Wie sieht’s aus?«

»November.«

Hätten sie gerade August gehabt, hätte Frank August gesagt, und im April April. Das kennt Ole schon. Jetzt haben sie aber November.

EineWeile schweigen sie beide. Ole entgeht nicht, dass Frank in den letzten Monaten ziemlich alt geworden ist. Seine Geheimratsecken haben eine weitere Menge Haare vertilgt, und die schwarzen Ringe unter Franks Augen sehen aus, als würde er sie jeden Morgen mit einem dicken Filzstift nachziehen.Außerdem sind seineWangen eingefallen.Als würden sie von einem Staubsauger in Franks Kopf hineingesaugt. Und noch dazu seine Augen, besser gesagt die geschwollenen Schlitze, hinter denen man die Augen vermuten kann. Seine ewig müden blassen Augen, denn Frank schläft nicht. Seit Jahren nicht. Das kommt von seinen Experimenten. Das kommt von dieser Stadt.

»Du siehst aber ganz schön fertig aus«, zerreißt Frank die Stille.

»Ich?«

»Ja, du. Deine Haare sind grau geworden, mein Lieber. Und dein Gesicht ist richtig eingefallen. Isst du überhaupt was?«

»Schon.«

»Kuck dich mal im Spiegel an …Total fertig. Ringe unter den Augen, Stirnfalten, Geheimratsecken.Alles hängt mit allem zusammen.Wetten, du kannst nicht einschlafen.«

»Geheimratsecken? So was hab ich nie gehabt.« Ole fährt sich mit den Fingern durch die Haare und starrt Franks Geheimratsecken und sein blasses, eingefallenes Gesicht an.

»Sag niemals nie. Nun ja, jünger werden wir nicht mehr.«

»Wie läuft’s mit deinerWeltgeschichte, immer noch in Bewegung?«

»Bin dran«, lächelt Frank, aber so lustig ist es gar nicht, denn dieWeltgeschichte, die in Franks Kopf hin und her rollt, ist sein Ein und Alles. Sie ist der Anfang von seinem Ende. »Bin bald fertig.«

»Das hast du schon vor ein paar Jahren gesagt.«

»DieWeltgeschichte ist kein Furz!«

Auf einmal ertönt ein starker, dumpfer Schlag. Die Erde unter dem Helsinki erzittert, die Gläser in den Regalen bewegen sich aufeinander zu und geben sich einen klirrenden Kuss.

»Das ist Krieg, Mann«, sagt Ole.

ImTunnel unter der Stadt wird gesprengt. Daran merkt Ole, dass es Mittag geschlagen hat. Seine Zeit wird nicht nur in Zigaretten, sondern auch in unterirdischen Sprengungen gemessen. Er macht Musik an. Der Kaffee ist längst fertig. Er nimmt beideTassen und stellt sie auf die Bar, eine vor sich, die andere vor Frank. Dazwischen schiebt er einen Aschenbecher, bietet Frank eine Zigarette an und gibt ihm Feuer.

»Das gefällt mir. Heutzutage haben fast alle aufgehört zu rauchen, aber hier wird noch gequalmt.All den Kinderwagen zum Trotz«, sagt Frank, und Gabi, die in der Küche arbeitet, bringt ihm das Frühstück.

»Eine Kinderportion Soljanka, wie immer«, sagt Ole, und Frank murmelt etwas und brockt sein Brötchen in die dampfende Suppe. Er isst langsam, bei jedem Bissen pustet er kräftig. Ole fällt auf, wie grob und rau seine Finger sind.

»Gibt es bald wieder Kino?«, fragt Frank, nachdem er aufgegessen hat.

»Ich sag dir Bescheid.«

»Man sieht sich! Pass gut auf, dass du was Ordentliches zu essen kriegst, du siehst wie ein Gerippe aus.«

»Du kannst mich mal.«

»Du meldest dich!«

»Falls dich deineWeltgeschichte bis dahin nicht platt gewalzt hat.«

Beim Hinausgehen dreht sich Frank um und sagt: »Wenn wir uns nie wiedersehen sollten: Es war schön mit dir.«

Draußen auf der Straße kommen Lena und Ulrike auf dem Fahrrad auf das Helsinki zu. Sie machen einen Bogen um den müden Frank, der wie einTollpatsch mitten imWeg steht und in den schweren Himmel über seinem Kopf starrt, als würde er in ihm lesen.

Lena und Ulrike stellen ihre Fahrräder ab, und auch heute kann sich Ole nicht erinnern, ob er mit Lena geschlafen hat oder nicht.Aber das spielt nun keine Rolle mehr, er hat genug davon, es hat gereicht.

Vor einiger Zeit hat er beschlossen, sich aus Frauen nichts mehr zu machen, weil er keinen Bock mehr auf Sackgassen oder irgendwelche blödenWeiberspielchen hatte. Er hat sowieso immer alles falsch gemacht. Hauptsache, Lena schüttet ihm heute nicht wieder ihr Herz aus. Mein Gott, bestimmt wird sie wieder plappern wollen.Woher nehmen diese durchsichtigen Frauen überhaupt die Energie dazu? Und warum müssen sie immer nur ihm das Herz ausschütten?

Lena stellt ihre Kamera auf den Tisch, und Ole fragt sich, wie viele von ihren beknackten Fotos sie während derWoche, in der sie sich nicht gesehen haben, wohl geschossen hat. Beide Frauen bestellen einen Kaffee und eine Soljanka, mehr zu essen gibt es hier nicht. Nachdem Gabi die dampfendenTeller gebracht und Ole die beidenTassen Kaffee auf den Tisch gestellt hat, hört er Lena sagen: »Je besser ein Typ aussieht, desto labiler ist er. Finger weg von.«

»Richtig, Finger weg von Labilfleisch«, nickt Ulrike.

Verdammt, was für ein Fleisch schon wieder? Meinen sie ihn? Oder Frank? Oder geben sie sich bloß gegenseitig Ratschläge, wie man den nächsten Flop vermeiden kann, und sprechen über Männer an sich? Vielleicht hat Lena recht.Aber vielleicht gilt das auch für Frauen. Je hübscher eine Frau, desto labiler. Finger weg von.

Ole ist froh, dass er sich nichts mehr aus Frauen macht. Dass er nach jahrelangen Ausflüchten,Versuchen und Irrtümern endlich die grundsätzliche Entscheidung getroffen hat, die grundsätzlichste von allen, nämlich die, dass ihm Frauen schnuppe sind, weil er das Leben nicht mehr verkomplizieren will, weil es ihm mit sich allein am besten geht. Und überhaupt, falls seine Flops Gründe haben – und die haben sie, denn alleine kann er unmöglich die ganze Schuld tragen, das wirklich nicht –, dann sind das die Frauen.

Die Entscheidung war ihm nicht leichtgefallen, aber er ist froh, sie getroffen zu haben. Später hat er außerdem herausgefunden, dass es sich ohne Frauen viel besser leben lässt. Man braucht nicht aufzuräumen. Man braucht sich nicht um Frühstück zu kümmern. Er muss kein gefühlvollesVerständnis für die Sentimentalität und Gereiztheit aufbringen, von denen ihre unberührbarenTage umsponnen waren, dieseTage, die von ihnen gleichzeitig gehasst und im gleichen Atemzug besonders geheiligt werden … Er muss nicht rücksichtsvoll sein, wenn er es nicht selber will. Nicht ständig um Witzchen bemüht. Nicht dafür sorgen, dass sie sich gut unterhalten fühlen, denn das wollen sie am meisten.Aber woher soll ein Mann immer wissen, was er sagen soll?

Also kann Ole jetzt tagelang schweigen. Kratzbürstig und ätzend sein. Seine Slips und Socken im Badezimmer auf den Fußboden pfeffern. Im Bett rauchen, im Stehen pinkeln und so lange auf dem Klo hocken, wie er will, an nichts denken und seine Krimis lesen.

Außerdem kann man ohne Frauen auch andere tolle Dinge erleben, die ihm jetzt partout nicht einfallen wollen oder die er erst entdecken würde, weil die wichtigste Entscheidung der letzten Jahre, die vielleicht wichtigste Entscheidung seines Lebens, gar nicht so alt ist.

Lena und Ulrike lächeln ihn an, dann stecken sie wieder die Köpfe zusammen und tuscheln irgendein sibyllenhaftes Zeug, um schließlich einen Orangensaft zu bestellen.Am liebsten würde er sie zumTeufel jagen, das Helsinki ist keinWartezimmer, in dem Frauen die Zeit absitzen können, bis in ihrem Leben endlich was passiert. Dieser Typ Frau wartet immer auf etwas, das nie kommen wird. Sie sind aber beide irgendwie mit ihm und dem Helsinki befreundet, außerdem haben sie auch ihre hellen Momente. Daher lächelt Ole sie an und als er den Saft vor sie hinstellt und draußen gerade der Regen einsetzt, sagt er etwas verwirrt, ein schönerTag heute.

Die beiden Frauen sehen ihn an, als wäre er vom Mond gefallen.

Draußen auf dem Gehsteig starrt Frank immer noch in den Himmel. Er hat wohl wirklich einen Riss in der Schüssel. Eine alte tschechoslowakische Straßenbahn rattert an ihm vorbei, sie sieht wie eine zu groß geratene Hornisse aus und entsprechend laut dröhnt sie auch. EineTatra.

GLASSPLITTER

Ulrike schwingt sich aufs Fahrrad und verschwindet im Regen. Sie arbeitet im Museum für moderne Kunst, dem neuen Betonwürfel in der Innenstadt, der sich genau dort befindet, wo früher ganze drei Plattenbauten mit einer legendären Konditorei im Erdgeschoss gestanden haben, und in dem Ole bis heute noch nicht gewesen ist.

Lena muss nirgendwohin. Sie arbeitet nur manchmal, weil sie seit fünf Jahren an einer Doktorarbeit über den Einfluss derVogelmotivik der Maya-Mythologie auf den deutschen Expressionismus schreibt.

Sie holt sich bei Ole die Karte für den Zigarettenautomaten und geht hinaus für eine Schachtel Light, auf dem Rückweg lässt sie ihren Tisch links liegen und setzt sich an die Bar. Oh weia, denkt Ole, geht das jetzt wieder los, warum immer nur ich.

Ohne dass Lena etwas sagen muss, schenkt Ole ein Glas Rosé ein und stellt es vor sie hin.

»Darf ich dir was erzählen?«

»Wenn es nicht zu lange dauert.«

»Leck mich.«

In einem Zug trinkt sie das halbe Glas leer.

»Lena, ich meine nur, das hier ist eine Bar und keine Beratungsstelle …«

»Ich hab doch gesagt, leck mich.«

»Du wirst es mir trotzdem erzählen, ich kenn dich.Aber ich frage mich natürlich manchmal, warum ich es mir immer anhören muss.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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