Vom Zauber der Freundschaft - Irmtraud Tarr - E-Book

Vom Zauber der Freundschaft E-Book

Irmtraud Tarr

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Beschreibung

Es gibt viele Arten von Beziehungen, doch wirkliche Freunde sind etwas ganz Besonderes. Sie schaffen Vertrauen, geben Sicherheit und schützen uns, besonders dann, wenn das Leben hart zupackt. Mit ihnen reden wir über Dinge, die uns tief im Inneren beschäftigen, und mit ihnen genießen wir im besten Fall sogar die Fähigkeit des gemeinsamen Schweigens. Freunde wirken sich nachweislich positiv auf die Lebensqualität aus und sind die beste Medizin gegen Einsamkeit. Die lebendigen wunderbar erzählten Geschichten dieses Buches bringen uns dazu, wirkliche Freunde zu erkennen, ihre Kraft ernst zu nehmen und neue Menschen zu finden, die uns diesem einen Geheimnis des Glücks näher bringen.

  • Gemeinsam statt einsam: die Kraft der Freundschaft
  • Freundschaften pflegen – ein Lebensthema
  • Wie aus Bekannten Freunde werden
  • Ein Coaching gegen das Alleinsein

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Seitenzahl: 218

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Irmtraud Tarr

Vom Zauber der Freundschaft

Beziehungen besserverstehen und leben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2019 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotive: Vögel: © Antonio Baranessko/Shutterstock, Blumen: © Ann.and.Pen./Shutterstock

ISBN 978-3-641-23781-3V001

www.gtvh.de

INHALT

VORWORT

Kapitel 1

Der Zauber des Anfangs

Freundschaft schließen

Kleine Verschwörungen

Gezeigte Wertschätzung

»With a little help from my friends«

Gemeinsamkeiten

Kapitel 2

Der Zauber der Mitte

Was ist wichtig?

Blues der Vergänglichkeit

Herausforderungen annehmen

Not braucht Gefährten

Kapitel 3

Der Zauber der Beziehung

Hühnersuppe für die Seele

Gemeinsame Ziele

Gesichter der Freundschaft

Tanz der Gedanken und Gefühle

»Wie du mir, so ich dir«

Im Gespräch bleiben

Diese magischen Momente

Kapitel 4

Der Zauber der Werte

Sich Zeit nehmen

Großzügig sein

Vertrauen wagen

Aufrichtig sein

Schönheit ist Liebe

Kapitel 5

Der Zauber der Haltungen

Täuschung und Selbsttäuschung

Einsamkeit

Freundschaft zwischen Mann und Frau

Kapitel 6

Der Zauber der Kreativität

Gemeinsame Aktionen

Achtsamkeit

Etwas Neues wagen

Von Künstlern lernen

Die Kunst im Alltag

So ein Käse

Kapitel 7

Der Zauber des Tuns

Pack mal mit an!

Warum immer nur essen gehen?

Ich denke, also spinn ich!

Konflikte

Kapitel 8

Der Zauber der Begleiter

Der innere Schatten

Gemeinsam schweigen

Trennungen schmerzen

Nähe und Verrat

Durch dick und doof gehen

Kapitel 9

Der Zauber der Endlichkeit

Musik und Freundschaft

Wenn Freunde sich verlieren

Freundschaft vom Ende her

DANK

LITERATURVERZEICHNIS

»Alle glücklichen Freundschaften gleichen einander, jede unglückliche Freundschaft ist auf ihre eigene Weise unglücklich.«

Leo Tolstoi

VORWORT

Diesen Gedanken habe ich für die Freundschaft umformuliert, weil er das schillernde Phänomen auf den Punkt bringt. Zweieinhalb Jahrtausende nach den alten Griechen fragt man sich letztlich bis heute, worin das Geheimnis der Freundschaft besteht und was sie am Leben hält. Da ist das Wort vom Zauber nicht fehl am Platz, denn irgendwie ist jeder Freundschaft etwas Zauber beigemischt, der sich nicht in Worte fassen lässt.

Es gibt wohl kaum einen Menschen, den Freundschaft nicht auf irgendeine Weise beschäftigt. Freundschaft ist eine uns alle verbindende Lebenspraxis, weil sie wohl fast jeder auf seine eigene Weise lebt. Immer wieder entscheiden wir uns für Freunde, weil wir intuitiv spüren: Wir brauchen einander. Immer wieder wagen wir freundschaftliche Nähe. Und immer wieder die Erkenntnis: Es ist gut, mit Freunden zu sein. Aber auch die Erfahrung: Freundschaften sind hochempfindlich und verletzbar. Es können Kleinigkeiten sein, die das Ende heraufbeschwören. Dennoch fällt auf, dass zwar viele über Freundschaft nachdenken und schreiben, aber Freunde selbst relativ wenig über ihre Freundschaft sprechen. Auf die Frage, wer und wie bin ich als Freund, erhielt ich eher zögerliche oder ausweichende Antworten. »Ich muss mal drüber nachdenken«, »Da müsste ich meinen Freund fragen«. Es scheint, als sprächen wir wohl eher unausgesprochen über unsere Freundschaften, indem wir uns über aktuelle Themen, Reisen, Bücher, Filme und Menschliches, Allzumenschliches austauschen.

Über Freundschaft zu schreiben hieße, sie loben zu wollen. Aber je näher man sich mit ihr beschäftigt, desto mehr entpuppt sie sich als wandlungsfähiges, bewegliches, facettenreiches Gebilde, das sich nicht einfangen, fixieren oder bannen lässt unter einem Generallob. Freundschaft ist oft genug auch recht trivial. Sie kann zerbrechen oder in Entfremdung münden. Sie kann sogar schädigend sein, wenn Freunde einander in destruktive Bahnen verführen. Freundschaft ist die alltagstaugliche Form der Liebe, so mein Fazit.

Wer wir sind, verdanken wir nicht zuletzt den Freunden, die uns nahestehen. Sie färben auf uns ab und spiegeln uns – im Guten wie im Schlechten. Sie beeinflussen nicht selten die Richtung, die unser Leben einnimmt. Und unser Lebensweg beeinflusst, wen wir uns zum Freund wählen. Freunde haben einen starken Einfluss auf unser Handeln, weil wir uns den Personen immer einen Hauch angleichen, mit denen wir uns direkt umgeben. Daher der altbekannte griechische Satz: »Sage mir, wer dein Freund ist, und ich sage dir, wer du bist.« Jedenfalls zeigen wir durch unsere Freunde, wen wir in unser Leben hineinlassen. Und sie wiederum zeigen uns, dass wir es wert sind, Zeit und Gefühle von ihnen geschenkt zu bekommen. Durch sie fühlen wir uns besser und selbstsicherer. Deshalb sind wirkliche Freundschaften eine der größten, lebensbejahenden und -bestätigenden menschlichen Errungenschaften.

Selbst die Sprache hat viele Begriffe dafür gefunden: In Holland teilen Freunde »binnenpretje« – sogenannte private Witze und »gezellig« Geselligkeit, im Walisischen knuddelt man gern »cwtch«, in Schweden mag man die gemütliche »hygge« bei Feuer und Wein, und wir Deutschen mögen wohl eher die Geborgenheit.

Jede Freundschaft hat ihre eigene Zeit, ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Wandlungen, Bewegungen, ihre eigenen Illusionen, Ansprüche, Werte und Verhaltensmuster. Deshalb verträgt Freundschaft keine Festlegungen, Versicherungen, Einklagbarkeiten und schon gar keine Verordnungen oder Gebrauchsanweisungen. Niemand muss befreundet sein, keiner kann eine Freundschaft verbieten. Nur so kann die Freundschaft ihr hohes Ideal der Freiwilligkeit bewahren. Deswegen taucht auch in der Literatur immer wieder die treffende Metapher des Tanzes auf, die die bewegliche Leichtigkeit dieses permanenten Balanceaktes zwischen Nähe und Distanz, Vertrautheit und Fremdheit ausdrückt.

Was ist eigentlich so faszinierend an der Gestalt Freundschaft? Ihre bereichernde, beglückende, stabilisierende Kraft? Ihre Zerbrechlichkeit, ihre Verletzbarkeit? Jede Freundschaft schafft sich ihr eigenes kleines Universum. Freunde können vieles. Sie können beglücken, berühren, besetzen, faszinieren, heilen, kritisieren, schikanieren, schonen. Im Gegensatz zu den schwer lösbaren Familienbanden – zumindest braucht es viel Kampf und Verbohrtheit, um sie aufzulösen – sind Freundschaften wohl eher bunte Fäden, die leicht reißen können, wenn man sie nicht geschmeidig hält. Zumindest lebt die Freundschaft in einem nicht einfach festzulegenden Übergangs- oder Zwischenreich zwischen Familie, Verwandtschaft, Liebe und Bekanntschaft. Zwar wird gegenüber der Familie ihre Freiwilligkeit, gegenüber der Liebe die Dauerhaftigkeit, gegenüber der Bekanntschaft die Verbindlichkeit und Intensität gepriesen, aber was sie ausmacht, ist noch viel mehr.

Freundschaft hat ihre eigene Zeit. Von Aristoteles stammt der Ausspruch, dass man mehrere Scheffel Salz miteinander gegessen haben muss, um von Freundschaft zu sprechen. Das sind etwa fünfunddreißig Kilo! Freundschaft ist also eine lange Geschichte. Ein langes Gespräch. Sie kennt kein Ziel, kein Ablaufdatum und keinen olympischen Ehrgeiz. Ihre Zukunft ist offen und entwickelt sich im Prozess der Freundschaft. Eine unendliche Geschichte der Bewährungsproben, der Höhen und Tiefen, des Alltäglichen und Pragmatischen. Unter ihrem Schirm hat so vieles Platz: das Blödeln, das Lachen, das Trösten, die Weisheit, der Witz. Freundschaft kennt viele Sedimentschichten: sich beim Umzug helfen, sich Geld ausleihen, zusammen feiern, herumalbern, sich über andere lustig machen, lästern, sich streiten, einander aus der Patsche helfen, sich zum Flughafen fahren, über Gott und die Welt philosophieren, sich wortlos begegnen, wenn andere Brücken eingestürzt sind. All das lagert sich ab und formt ihre Geschichte.

Freunde zeigen uns, dass wir dazugehören, dass die Welt ein freundlicher Ort sein kann. Sie geben uns Einblick in andere, fremde Welten, die wir ohne sie nie kennengelernt hätten. Sie zeigen uns neue Blickwinkel und Aussichten, leiten die Blitze ab, die uns fast zerreißen. Sie halten unsere Hände, wenn wir Trost brauchen.

Wenn wir älter werden, brauchen wir viele warme Hände und wohlwollende Blicke. Freunde können wir mehrere verschiedene gleichzeitig haben. Selbst die Forschung bestätigt es: Frauen, die alt genug sind, um als »älter« zu gelten, sind besser dran, sind gesünder und glücklicher, wenn sie Freunde haben, als wenn sie nur Enkelkinder hüten oder eine Katze versorgen.

Freunde suchen wir uns selbst aus. Keine Institution gängelt uns, kein Sachzwang nötigt uns, keine Versicherung schützt uns. Wir lieben sie, weil wir es so wollen. Wir folgen ihnen, solange wir wollen. Wir schenken ihnen unsere Zuneigung, weil wir uns so entschieden haben. Niemand kann uns reinreden. Niemandem müssen sie gefallen – außer uns selbst. Freunde sind kein ewig haltbares Konservengut, sondern brauchen Pflege. Auch wenn dies Assoziationen an Topfpflanzen oder grüne Daumen wecken mag, so trifft es dennoch zu, weil Freundschaft in der Zeit lebt und nicht einfach abgelegt werden darf.

Freundschaft ist ein großes, komplexes Thema, vergleichbar mit der Frage: Was ist die Liebe? Was ist Gott? Auch ich werde es nicht abschließend und umfassend beantworten können. Deshalb entschied ich mich für eine persönliche, eigensinnig kreisende Suchbewegung, die vieles mitnimmt, an manchen Stellen innehält und an anderen Stellen abschweift. Diese Verbindung von Konzentration und persönlichen Vorlieben ist mein Versuch, etwas von der Komplexität der Freundschaft einzufangen. Was mich motiviert hat, dieses große Thema aufzugreifen, ist meine studentische Haltung dem Leben gegenüber: Ich möchte nie aufhören zu lernen. In diesem Sinn unterstreiche ich im Zitat von Voltaire, dass wenig im Leben von Bedeutung sei mit Ausnahme der Freundschaft, weil ich von meinen Freundinnen und Freunden unendlich viel gelernt und verstanden habe: Wir brauchen einander mehr denn je. Wir sind bedürftige Wesen.

Anmerkung: Die Namen meiner Freunde habe ich anonymisiert zu ihrem und meinem Schutz. Sie wissen ohnehin, wann von ihnen die Rede ist.

Freundschaft schließen

Es war auf einem Spaziergang in der Rhön, als ich hinter mir zwei Frauen sprechen hörte. Plötzlich erwähnte eine von ihnen den Namen »Johann Sebastian Bach«. Wie elektrisiert musste ich mich umdrehen, um zu sehen, wer diese Frau war, die meinen Lieblingskomponisten erwähnte, dessen Musik mich seit Jahrzehnten fast jeden Abend begleitet. Jeden Abend klingt vielleicht übertrieben, aber ich gebe zu, einen Abend ohne Bach empfinde ich so ähnlich wie ein Streichquartett ohne Violinen.

Wir kamen sofort ins Gespräch, fast als würden wir uns schon lange kennen. Von da an wanderten wir täglich zusammen, immer wieder streunend und mäandernd um unseren »Johann Sebastian Bach«, der uns zusammengeführt hatte. Irgendwie fanden wir so den richtigen Rhythmus zwischen Gehen, Sprechen, Lachen, Trällern und Innehalten. Offen für Zeit, die nicht den Uhren gehörte, für Gedanken, die nicht kontrolliert werden müssen, für Lust am neuen Zusammensein.

Im Älterwerden ist es schwieriger, neue Freundschaften zu schließen. So sagt man jedenfalls. Äußere Faktoren mögen dazu beitragen: feste Tagesabläufe, familiäre Belastungen, neue Prioritäten, Überempfindlichkeiten, Unverträglichkeiten oder auch vermeintliche Menschenkenntnis, die dafür herhalten muss, dass man gnadenlose Maßstäbe für andere ansetzt. Eine Politikerin, die es bedauert, offen für neue Begegnungen zu sein, meinte: »Für mich war das Leben als junge Frau wie ein ›blind date‹ oder eine aufregende Riesenparty, weil ich total offen und neugierig war. Heute erschrecke ich, wie pingelig ich geworden bin. Ich ertappe mich, wie ich bei anderen sofort etwas auszusetzen finde, auf höchstem Niveau nörgle und ganz schnell kritisiere.«

Vielleicht ist es schlicht das Nachlassen der Kräfte, das die Offenheit für neue Freundschaftsbündnisse reduziert. Dennoch bleibt bei den meisten das Bedürfnis, anderen näherzukommen. Geht nicht letztlich alle auch noch so überlagerte Sehnsucht dahin, dass man im Herzen eines anderen Menschen wohnen darf?

Sie möchte »nicht allein im Regen stehen«, so drückte es meine Bach-Freundin aus. Wir beide realisierten: Älterwerden kann wie die Jugend auch eine Zeit der Entdeckungen sein. Gewiss nicht mit den gleichen Leidenschaften, Gefühlswallungen, Spannungen, himmelsstürmenden Freuden, Verantwortungen. Was aber bleibt, ist unser unabänderliches Recht auf Veränderung.

So spürte ich bei dieser Bach-Begegnung etwas von der Kraft des Frühlingsanfangs. Es tat mir gut zu merken, dass Älterwerden nicht vor neuen Freundschaften schützt. Sondern umgekehrt: Neue Freundschaften schützen vorm vorzeitigen Älterwerden. Früher gab es eine Zeit, da brauchte es eine neue Liebe oder ein neues Projekt, um mich in Hochstimmung zu versetzen. Heute geschehen andere Wunder, die ich früher wahrscheinlich übersehen hätte, ein Baum mit einer Narbe, ein altes Gesicht, ein schlummerndes Kind oder eben jemand, der singt oder abends auch Musik hört.

Wir fanden uns leicht. Und die zurückgelegten Wanderungen, die Gerüche der Blätter und Blüten, die Erfahrung dieses vielsprachigen, atmenden Waldes trugen dazu bei, dass wir uns aufgehoben fühlten und irgendwie immer vertrauter wurden.

Ähnlich wie die Musik oder die Liebe ist solch ein Anfang unverfügbar. Er lässt sich nicht beschließen und begründen. Freundschaft lässt sich nicht verordnen oder analysieren. Allenfalls im Nachhinein, wenn die freundschaftlichen Bahnen Formen angenommen, sich gefestigt haben oder sich verlieren. Aber dieser Zauber, der am Anfang steht, lässt sich nicht in Erklärungen, Beschreibungen von Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten einfangen, die ohnehin nur nachgeschobene Begründungen oder Symptombeschreibungen bleiben. Am Anfang steht das Staunen, das Sprachlose, das Überraschende, eben weil es geschieht, weil es einen berührt und hineinnimmt und weil Freundschaft den Grund in sich selbst trägt und ein Geschenk ist, das sich nicht fordern, begründen oder ablehnen lässt.

Kleine Verschwörungen

Wenn Menschen von ihren Freunden sprechen, geraten sie leicht ins Schwärmen: von der Leichtigkeit, der Offenheit, der Gemeinsamkeit, dem Humor, der Freiheit, der Unkompliziertheit und den kleinen Verschwörungen. Ich mag sie, diese kleinen Verschwörungen gegen das, was andere für vernünftig halten. Das Augenzwinkern unter Freunden gehört für mich zu einer der Königsdisziplinen des Freundschaftsalltags. Dieses »ich weiß Bescheid, du weißt Bescheid« bereitet in der Tat Vergnügen. In dieser vertrauten Übereinkunft steckt etwas Subversives, nämlich die Weigerung, eine Bestimmte sein zu müssen, die Erwartungen der anderen zu erfüllen oder ihren Wünschen zu entsprechen. Manchmal möchte man einfach keine Bestimmte sein, nicht beobachtet, taxiert oder bewertet werden, weil man durch den Blick der anderen automatisch seine Unbefangenheit verliert. Diese Erfahrung hat jeder schon gemacht. Wenn einem beispielsweise jemand beim Treppensteigen oder Tanzen zuschaut, verliert man plötzlich seine Unbefangenheit oder Grazie und wird so merkwürdig angespannt, verkrampft oder hölzern. Intuitiv spüren wir, dass der fremde Blick stets auch mit Erwartungen angefüllt ist, auf eine bestimmte Art sein zu sollen. Manchmal möchte man einfach nur »Ich selbst« sein.

Es gibt nicht viele Orte, wo das möglich ist. Wenn man Glück hat, vielleicht im engen Familienkreis. Oder eben mit guten Freunden in diesen vertrauten Momenten, wenn sich das Gefühl einstellt: Hier kann ich einfach sein, da sein und so sein, wie mir gerade zumute ist. Hier kann ich bestimmen, wer ich bin, weil ich es bin, der das Bild von mir bestimmt. Man muss sich weder aufplustern noch unterwerfen. Statusansprüche oder Statusängste verflüchtigen sich, weil Freundschaft ein Band unter Gleichen ist, das sich nicht einfach zerreißen lässt, wenn etwas Besseres oder Attraktiveres auftaucht. Grafisch könnte man dieses Band als eine waagrechte Linie darstellen, weil Freunde einander als Gleiche in die Augen schauen.

Die meisten von uns haben ein intuitives Verständnis davon, was Freundschaft ist. Auch wenn die Theoretiker aller Jahrhunderte komplett verschieden über Freundschaft geschrieben haben, so ist das Band der Freundschaft im Kern doch im Wesentlichen gleich geblieben. Behält man eine Definition, so bliebe wohl die, auf die sich Aristoteles beruft: »In einer Freundschaft kann keiner besser sein als der andere.« Vergleichbar mit der Geschwisterbeziehung, in der wir voneinander einfach zu viel wissen, als dass wir einander noch von oben herab begegnen können.

Wie in allen engen Beziehungen geht es um unsere Liebesfähigkeit und die innere Bewohnung unseres Daseins, auch wenn sie in der Freundschaft eher im Schatten der Sinnlichkeit angesiedelt ist und mehr von seelischen Kräften gespeist ist. Es gibt auch verwandte Spielregeln und Rituale zur Ehe, aber keine einklagbaren Rechte oder Gesetze. Deswegen ist die Freundschaft freier, unbestimmter, unkomplizierter. Freundschaft – eine anwendungsfreundliche, verschleißfreiere Variante der Liebe – könnte man salopp sagen.

Aber was nun Freundschaft ist, was man von ihr erwarten kann, wozu sie gut ist, was sie bedeutet, da verfällt man plötzlich in philosophisches Grübeln. Ähnlich muss es wohl Augustinus gegangen sein, als man ihn fragte, was Zeit sei. Und so geht es mir. Wenn man mich nicht fragt, was Freundschaft ist, weiß ich es; fragt man mich, weiß ich es nicht mehr. Freundschaft – diesen so unersetzlich einfachen wie vielschichtigen Begriff, in dem so vieles mitschwingt, was mit Leben, Zuneigung, Liebe, Vertrauen, Teilen, Mitteilen, Glücksgefühl, Melancholie, Verlust und Tod assoziiert wird. Freundschaft hat keine scharfen Grenzen und lässt sich nicht von einer Außenposition her definieren, dafür ist sie schlichtweg zu komplex und zu groß, um als Gegenstand der Selbstreflexion fungieren zu können. Freundschaft ist eine gelebte Praxis und kein durchdachtes, kalkuliertes Gefühl. Deswegen beschränke ich mich darauf, Freundschaft als Chiffre für die Einmaligkeit einer vertrauten, gewachsenen Beziehung zu verwenden und deren innerer, individueller Zusammengehörigkeit im Denken und Fühlen.

Wenn die abstrakten, philosophischen Freundschaftsgedanken Gesichter und Geschichten bekommen, dann spürt man, dass Freundschaft im Kern ganz schlicht ein Bejahen der Art und Weise ist, wie der andere sein Leben lebt. So sind beide dem Leben ohne viele Worte näher, weil sie einander bejahen. Und das hat mit Gefühlen zu tun, die ständig im Fluss sind. Ein Tanz der Kommunikation, der sich ständig neu bewegt und formt. Ein Tanz, in dem sich mein Raum und dein Raum ständig neu aufeinander beziehen und gestalten. Ein Tanz, bei dem die Distanzen zueinander immer neu vermessen werden. Deswegen braucht Freundschaft einen geschützten Raum als Grundlage, auf dem sich die Sprache der seelischen Bewegungen ungestört ausdrücken und entfalten kann.

Ein eindrückliches Erlebnis hatte ich auf einem Geburtstagsfest, als ich irgendwann zur Musik einer Band zu tanzen begann. Meine Freundin Anna stand spontan auf und gesellte sich zu mir. Plötzlich entstand das, was Tänzer benennen: »Es tanzt uns!« Wir waren nicht mehr die Macher, sondern durchlässig für das, was der Moment uns schenkte. In einem Raum jenseits von Falsch und Richtig, in dem es nur noch uns und die Musik gab. Nur noch Hier und Jetzt. Die Gäste machten uns Platz und bildeten einen Kreis um uns herum, in dem wir uns umgeben und geschützt fühlten. Die Zeit wurde weiter, dehnte sich aus, weil wir in diesem Raum waren, in dem wir spürten: »Wir sind der Tanz.« Dieses Ineinander von Imagination und Bewegung eröffnete uns einen Spielraum, in dem wir gutes Gespür und Bewegungsausdruck füreinander entwickelten, den wir bisher nicht so leibhaftig wahrgenommen hatten. Wortlose, spielerisch leichte Körperlust und Intimität zwischen uns.

Dieses Erlebnis hat lange nachgewirkt und wurde für mich zur Metapher für freundschaftliche Nähe. Kein Posieren, kein Gebrauchtwerden, kein Ertragen, kein Erdulden, sondern leidenschaftlich dort zu sein, wo wir sind, und die zu sein, die wir in diesem Moment sind. Und gemeinsam zu werden, wer wir sind.

Gezeigte Wertschätzung

Eine Bekannte fragte mich: »Braucht man denn überhaupt langjährige Freundschaften?« – »Man« braucht sie wahrscheinlich nicht, aber ihre Frage zeigt, dass sie spürte, irgendetwas lief schief, weil es in ihrem Leben keine langen Freundschaften gab. Später bekannte sie, dass sie auf die Frage nach ihrem Befinden stets antwortete: »Mir geht’s prima!« Es würde ja ohnehin niemanden interessieren, wie es ihr wirklich gehe. Der Glücksimperativ für Ältere, der in unserer Gesellschaft spürbar ist, hatte sie wohl infiziert, weil sie meinte, dass ihre Altersgenossinnen ähnlich reagieren würden. Das Absinken in die Bedeutungslosigkeit war ihre Angst und der Grund, weshalb sie sich hinter Floskeln zurückzog und engere Beziehungen mied.

Schon in der Antike galt Freundschaft als Zentrum guten Lebens. Nicht nur wegen der tiefen psychischen Aufmerksamkeit für den Freund, auch aus Sorge um das eigene Selbst. »Man verhält sich zum Freunde wie zu dem eigenen Selbst«, schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik. Bemerkenswert an seiner Aussage ist, dass die Sorge um den anderen und die Sorge um sich selbst nicht zu trennen sind. Beide hängen voneinander ab. Im Gegensatz zu dem, was manche Ratgeber heute empfehlen: Liebe dich erst mal selbst, dann kannst du auch ein guter Freund sein! Vielmehr können Freundschaft und Selbstsorge immer nur im Medium des jeweils anderen stattfinden, sodass nur eines bleibt: Werde Teil einer Freundschaftsbeziehung und begib dich in sie hinein.

Wir können nicht lange allein sein, deswegen brauchen wir Freunde. Wir werden erst »im Du zum Ich«, heißt es so prägnant beim Religionsphilosophen Martin Buber. Einen schönen Satz fand ich auch beim Prediger Salomo (4,10): »Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! … wenn zwei beieinander liegen, wärmen sie sich; wie kann ein Einzelner warm werden?« In diesen Worten steckt der Kern von Freundschaft. Niemand kann allein warm werden, genauso wie niemand sich selbst kitzeln oder reanimieren kann.

Freunde schenken einander Wärme. Die Wärme des Aufgehobenseins und der Resonanz. Es sind die Blicke, Worte, Gesten, Berührungen, die wir austauschen, die etwas in uns verflüssigen, sodass wir als andere weitergehen, als wir gekommen sind. Es ist eine Beziehung, die uns mitnimmt und verändert. Warum wir uns nach einer Freundschaftsbegegnung besser, optimistischer, selbstbewusster fühlen, hat nicht nur mit den Glückshormonen zu tun, sondern mit diesem Spiel innerer Veränderung, das auf beide zurückwirkt, wenn sie sich aufeinander beziehen. Freundschaft entsteht ja nicht nur, weil wir Worte wechseln, sondern vor allem, weil wir Gefühle austauschen. Es entsteht eine Wärme der Wechselseitigkeit, weil Gefühle Vertrautheit schaffen.

Was ist das Geheimnis einer gelungenen Freundschaft? Es ist die Wertschätzung und Bedeutung, die wir einander schenken, die auf uns beide zurückwirkt. Die Nähe, die vermittelt: »Du bist mir wichtig«, »ich nehme dich ernst«, »es berührt mich, was du tust und erlebst«, »du bist gemeint«. Und die Intimität, die sich nicht nur auf unsere Gedanken, auch auf unsere Gefühle bezieht. Wir ängstigen uns für den anderen, weil da unsere eigene Angst mitschwingt, wir ärgern uns über ihn, weil da der Ärger über uns selbst auflebt, wir werden angesteckt von seiner Melancholie, die uns an die eigene erinnert, wir empfinden seine Sehnsucht, als kröche die eigene aus ihrem Versteck. So entsteht Intimität, weil wir uns aufeinander beziehen und einander mit unseren Gefühlen, Sehnsüchten und Wünschen anstecken und begegnen.

Zur Wertschätzung braucht es mehr: Worte allein genügen nicht. Es braucht auch unser Tun, mit dem wir einander zeigen, dass wir uns schätzen. »An ihren Taten sollt ihr sie erkennen«, so heißt es im Johannesevangelium (2, 1-6). Nicht nur an den Worten, sondern an den Taten erkennen wir echte Wertschätzung. Freunde wollen keine Phrasen hören, sie wollen einfach sorgfältig behandelt werden. Oft sind es die kleinen vom Herzen kommenden Gesten – das mitgebrachte Lieblingscroissant zum Frühstück, der interessante ausgeschnittene Zeitungsartikel –, die einen Unterschied im Verhalten machen, weil sie konkret zeigen, was echte Wertschätzung bewirkt. Sie erhöht die Wärme des Aggregatzustands einer freundschaftlichen Begegnung. Wertschätzung ist nicht nur eine innere Einstellung, sondern ein gezeigtes Verhalten, das den Freund auch erreicht.

Immer wieder schaue ich diese Rüstung aus Draht an, die meine Freundin Olga mir gebastelt hat. Sie entstand, als ich mich aufregte, weil mir jemand vorschreiben wollte, was ich zu denken und zu sprechen hatte. Die Rüstung sollte mich vor Einmischungen schützen, mir helfen, meine Intimitätsgrenzen zu wahren. Diese Rüstung war deshalb so bemerkenswert für mich, weil ich mich wahrgenommen fühlte. Dieses Gefühl: Es gibt jemanden, der mich verteidigen oder zumindest darin unterstützen will, damit ich mich selbst besser verteidige. Was für mich zählte, war, was ihr Tun über Olga offenbarte und auch über unsere Freundschaft, die sich in ihrem Handwerk zeigte. Was mich bis ins Innerste rührte: Ihre Sorge um mich drückte sie mit ihren Händen aus.

Tatsächlich ist die ausgedrückte Wertschätzung und Anerkennung ein radikaler Gegenentwurf zum Egoshooting, wo jeder um sich selbst kreist und sich in sich selbst erschöpft. Freund sein heißt den anderen so bejahen, wie er sein Leben lebt. Dies braucht den Ausdruck im Tun. Freundschaft ist gezeigte Wertschätzung. Ihr Feind ist die Geringschätzung.

Langjährige Freundschaften oder nicht? Es mag Menschen geben, die es ohne sie aushalten, aber eben nur eine Zeit lang. Irgendwann muss der Zuspruch kommen, sonst fällt man, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, »vom Fleisch«. Man würde wahrscheinlich verhärten, gäbe es nicht auch Zuspruch und Freundschaftlichkeit, die einen Fleisch ansetzen lassen. Man kann ohne WLAN, ohne Handy, ohne Kühlschrank existieren, aber ohne Freunde? Nein. Weil wir spüren, allein sind wir klein. Wir brauchen einander. Ohne diese wärmende Hülle sind wir gefährdet für Stress bis hin zu schwerer Krankheit, weil wir nicht abgetrennt oder isoliert von anderen und deren Beachtung leben können. Diese unsterbliche Sehnsucht begleitet sämtliche Gesellschaften, sie ist verankert in unserer biologischen Ausrüstung. Wir wollen dazugehören, wir brauchen unsere Freunde, weil wir geben und empfangen wollen. Man kann es nicht genug betonen: Wir wollen es so.

»With a little help from my friends«

Was ist ein Freund? Ist er nicht letztlich derjenige, bei dem man fühlt: »Ich bin nicht allein!«, und dem man zeigt: »Du bist nicht allein!«? Ein Weggefährte, mit dem man sprechen kann, ohne sich zu erklären oder zu rechtfertigen; mit dem man schweigen kann, ohne sich zu schämen; mit dem man lachen kann, ohne sich zu kontrollieren; dem man sich öffnen kann, ohne sich klein zu fühlen. Freunde erlösen einander aus der Einsamkeit, deshalb mag ich den Beatles-Song »With a little help from my friends«. Und deshalb erinnere ich mich an die Freunde meiner Kindheit. Ihre Namen und Gesichter sind mir noch gegenwärtig. Manche von ihnen sind nicht mehr unter uns, andere haben sich schleichend in der geistigen oder geografischen Fremdheit verloren. Meine wichtigste Kinderfreundin ist mir bis heute verbunden, was ich als besonderes Geschenk empfinde, da sie eine der wenigen ist, die Zeugin meiner Biografie von Anfang an war. Andere begleiten mich seit Jahrzehnten, meine Kindheitsfreundin hingegen hat jede meiner Lebensphasen und Wege mal näher, mal ferner mitverfolgt.

Das von ihr verfasste »Freundschaftsalphabet«, das sie mir einmal zum Geburtstag schenkte, bringt mich noch heute zum Schmunzeln. So schrieb sie unter »U« – Üben: »Das Klavierüben gestalteten wir ziemlich abwechslungsreich. Wir funktionierten die langweiligen Etüden in Opernarien um. Du agiertest am Klavier, ich mimte die Primadonna. Wehe aber, wenn uns deine Mutter dabei erwischte!«

Ich spreche zu ihr: Erinnerst du dich noch? An unsere Geheimnisse, die vielen spottbilligen Schokoladen, die wir heimlich teilten; unsere Träume über unser gemeinsames Leben mit Männern und Kindern, die wie eine große, glückliche Familie zusammenleben; die Botschaften in Morseschrift, die wir einander unter dem Tisch zuschoben; die drei dicken Männer aus dem Dorf, die unsere Witzfiguren waren; die strengen Lehrer, die uns die Ohren lang zogen und Backpfeifen austeilten; die vielen Spaziergänge im Wald; unsere mühsam zurückgehaltenen Tränen nach dem so frühen Tod unser beider Väter. War es nicht erst gestern?