Waffeningenieure im Zwielicht - Rainer Karlsch - E-Book

Waffeningenieure im Zwielicht E-Book

Rainer Karlsch

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Beschreibung

Unternehmensgeschichten der Mauser-Werke AG und HASAG von den Anfängen bis 1945

Die Heckler & Koch GmbH wurde 1949 von den Ingenieuren Edmund Heckler, Theodor Koch und Alex Seidel in Oberndorf am Neckar gegründet. Die Gründer hatten ihre Karrieren bei der Mauser-Werke AG, einer traditionsreichen Waffenschmiede, begonnen. Während Heckler 1934 zur HASAG nach Leipzig wechselte, blieben Koch und Seidel bei Mauser in Oberndorf beschäftigt.

Die vorliegende Studie widmet sich den Rollen der drei Ingenieure in der Rüstungswirtschaft und fragt erstmals nach dem historischen Kontext und der Verantwortung, die sie in ihren Unternehmen für die Munitions- bzw. Waffenproduktion trugen. In diesem Zusammenhang werden auch die Unternehmensgeschichten der Mauser Werke AG und der HASAG vertiefend behandelt. Wie sich die Heckler & Koch GmbH innerhalb eines Jahrzehnts zum Produzenten des ersten Sturmgewehres der Bundeswehr entwickelte und ob dies mit dem Wirken im Nationalsozialismus zusammenhing, ist der dritte Themenschwerpunkt des Buches.

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Seitenzahl: 630

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Dr. Rainer Karlsch ist promovierter Wirtschaftshistoriker. Für sein Buch zur Geschichte der Reparationen erhielt er 1996 den Ersten Preis der Stinnes Stiftung für Unternehmensgeschichte. Zuletzt war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin tätig. Er ist Autor bzw. Mitautor zahlreicher Bücher, darunter »Faktor Öl: Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974« (2002) sowie »Expansion um jeden Preis. Studien zur Wintershall AG zwischen Krise und Krieg 1929–1945« (2020).

Prof. Dr. Stefanie van de Kerkhof ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Historischen Institut und der Abteilung VWL der Universität Mannheim. Forschungsschwerpunkte sind die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, u. a. Kriegswirtschaft und Rüstungsindustrie (»Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft«, Essen 2006; »Waffen und Sicherheit im Kalten Krieg«, Berlin 2019).

Dr. Andrea H. Schneider-Braunberger promovierte 1996 an der Goethe-Universität Frankfurt und ist seitdem Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt bei Banken und Familienunternehmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jüngst veröffentlichte sie Studien über das Bankhaus L. Seeliger (2019), den Künstlerfarben-Hersteller H. Schmincke (2021), das Bankhaus Metzler (2022) sowie den Hausgerätehersteller Miele (2023).

www.siedler-verlag.de

Rainer Karlsch Stefanie van de Kerkhof Andrea H. Schneider-Braunberger

Waffeningenieure im Zwielicht

Die Mauser-Werke, die HASAG und die Gründungsgeschichte von Heckler & Koch

Siedler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.Erstellt in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V.www.unternehmensgeschichte.de

Copyright © 2024 Siedler Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Marina Burwitz, Das Blaue Büro, München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildungen: ganz rechts © Privatsammlung Klaus Laufer; andere © Archiv Heckler & Koch GmbH

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN 978-3-641-31762-1V001

www.siedler-verlag.de

Inhalt

Einleitung

Theodor Koch und Alex Seidel als Beschäftigte der Mauser-Werke und Gründer

von Stefanie van de Kerkhof

Die Mauser-Werke und ihre Bedeutung für Oberndorf

Einführung

Gründung und Bedeutung von Mauser

Die Mauser-Werke im Reich der DWM

Die Lage von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, Zivil- und Kriegsgefangenen bei den Mauser-Werken

Kriegswirtschaftliche Produktion und Arbeitskräfteeinsatz

Sowjetische, polnische und niederländische Arbeitskräfte und ihre Lage vor Ort

Das Arbeitserziehungslager Aistaig und seine Rolle für die Mauser-Werke

Zuordnung der Rolle Kochs und Seidels als Mitwisser

Theodor Kochs Sozialisation und Tätigkeit bei Mauser

Alexius Seidel als Sohn einer »Mauser-Familie«

Die frühe Nachkriegszeit und die Einordnung der Rolle Kochs und Seidels

Einordnung und Zusammenfassung dieses Kapitels

Edmund Heckler: Die unauffällige Karriere eines Ingenieurs im Rüstungskonzern HASAG

von Rainer Karlsch

Vorbemerkung

Kindheit und Jugend in Oberndorf und Umzug nach Leipzig

Exkurs: Die Entwicklung der HASAG vom Lampenhersteller zum Rüstungskonzern

Die Gründer

Umwandlung in eine Aktiengesellschaft

Die Weltwirtschaftskrise 1929–1933 und ihre Folgen für die HASAG

Das Geschäftsmodell der HASAG in der Krise

Paul Budin – vom Freimaurer zum nationalsozialistischen Betriebsführer

Sanierung durch Expansion

Arisierung und Umbesetzung des Vorstands

Als Betriebsingenieur in Leipzig, Berlin-Köpenick und Altenburg 1934–1939

»Inspektionsreise« nach Polen im September 1939

Exkurs: Radikalisierung des Arbeitskräfteeinsatzes bis zur Vernichtung durch Arbeit

Aufstieg zum Werkleiter und später Eintritt in die NSDAP

Werk Taucha (Weststraße): Rüstungskooperation mit Innocenti

Die HASAG auf dem Höhepunkt ihrer Expansion

Die Panzerfaustproduktion

Werk Taucha II (Portlitzer Straße)

Kriegsende, Gespräche mit den Amerikanern im Mai 1945

Die Hauptverantwortlichen und der Kamienna-Tschenstochau-Prozess

Unschuldige Prokuristen?

Resümee

Die Ingenieure, das Erbe und die Bundeswehr – Gründung und Aufstieg der Heckler & Koch GmbH

von Andrea H. Schneider-Braunberger

Oberndorf und die Folgen einer einseitigen Wirtschaftsstruktur

Der Mauser-Zug

Deutsche Experten im Elsass

Demontage der Mauser-Werke und Folgen für Oberndorf

Ein neues Unternehmen entsteht: Heckler & Koch GmbH

Das Ingenieurbüro Edmund Heckler und die Entnazifizierung

Die Gründung der Heckler & Koch GmbH

Die Suche nach Fertigungsräumen in einem dauerhaften Gebäude

Arbeitskräfte und Facharbeiter in Oberndorf

Die Dienstleistungen und Produkte der Heckler & Koch GmbH

Heckler & Koch als Waffenproduzent – das CETME-Sturmgewehr

Das Amt Blank und erste Kontakte zu Heckler & Koch

CETME – Centro de Estudios Técnicos de Materiales Especiales

Heckler & Koch, die Oberndorfer Gemeinschaft und das Amt Blank

Heckler & Koch und CETME

Das Sturmgewehr der Bundeswehr

Vom Bundesgrenzschutz zum Bundesverteidigungsministerium

Die Nullserie

Ingenieure und Lizenzen

Vom Prototyp zum G3

Heckler & Koch – Produzent ohne Kapital

Schluss

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Register

Einleitung

Den Anstoß für die vorliegende Publikation gaben Medienberichte im Jahr 2020, in denen die bis dahin weitgehend unbekannte Geschichte Edmund Hecklers als Betriebsingenieur bei der Hugo Schneider AG (HASAG) in Leipzig während der Zeit des Nationalsozialismus kritisch hinterfragt wurde. Die Artikel erregten vor allem deshalb Aufsehen, weil es sich bei ihm um den Mitgründer des renommierten Waffenherstellers Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar (Baden-Württemberg) handelte. Zwar war der 1906 geborene Edmund Heckler bereits 1960 gestorben, doch allein schon der Bezug zum Firmennamen sorgte für Aufmerksamkeit und Entrüstung. Die Vorwürfe, bis hin zur Beteiligung an der »Vernichtung durch Arbeit« von überwiegend weiblichen Konzentrationslagerhäftlingen, wogen schwer.[1]

Vorstand und Aufsichtsrat der Heckler & Koch AG reagierten umgehend und beauftragten im November 2020 die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte in Frankfurt am Main mit der Bildung einer unabhängigen Historikergruppe. Wir sollten dabei nicht nur den erhobenen Vorwürfen weiter nachgehen, sondern die Vor- und Frühgeschichte des 1949 gegründeten Unternehmens insgesamt untersuchen und darstellen. Dazu gehörten vor allem auch die Biografien der drei Firmengründer und Geschäftsführer Edmund Heckler, Theodor Koch und Alex Seidel. Der vierte Gründer, Erich Unterkofler, war weder Waffeningenieur, noch arbeitete er in einer Rüstungsschmiede, sodass ihm kein eigenes Kapitel gewidmet wird.

Die drei erstgenannten Gründer hatten ihre beruflichen Karrieren in den späten 1920er Jahren bei der Mauser-Werke AG, einem international renommierten Waffenhersteller, in Oberndorf begonnen. Die Mauser-Werke waren in dieser Zeit den Bestimmungen des Versailler Vertrages unterworfen und weiteten die zivilen Produktionsbereiche aus. Aber schon seit Mitte der 1920er Jahre dominierte bereits wieder das Geschäft mit Handels- und Sportwaffen. Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme stellte das Unternehmen seine Produktion mehr und mehr auf die Waffenfertigung für das Militär um und expandierte stark. Während des Zweiten Weltkriegs kamen bei den Mauser-Werken in Oberndorf zunehmend Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge aus Arbeitserziehungslagern (AEL) zum Einsatz. Koch und Seidel waren an der Waffenfertigung und -entwicklung in unterschiedlichen Funktionen beteiligt. Daher steht die Geschichte der Mauser-Werke AG am Anfang unserer Darstellung. Ohne diese bliebe auch die Gründungsgeschichte von Heckler & Koch unverständlich.

Der Blick in die Frühphase von Heckler & Koch galt nicht zuletzt der Frage, ob das Gründungskapital möglicherweise bereits in der Zeit des Nationalsozialismus erwirtschaftet wurde. Gleichfalls blieb zu klären, ob bei Etablierung des Ingenieurbüros 1948 tatsächlich schon die Überlegung mitschwang, bald auch wieder Waffen herzustellen. Retrospektiv erscheint dies logisch. Allerdings – und das ist nicht zu vernachlässigen – hatten die Mauser-Werke in Oberndorf nach dem Ersten Weltkrieg die Erfahrung machen müssen, erst nach 15 Jahren wieder zum alten Produktionsprofil zurückkehren zu können, und dies auch nur in kleinerem Umfang. Auch war zu untersuchen, warum ausgerechnet die kleine mittelständische Firma Heckler & Koch den ersten Bundeswehrauftrag erhielt.

Nachdem Heckler, Koch und Seidel ab 1932 für kurze Zeit gemeinsam bei den Mauser-Werken gearbeitet hatten, trennten sich ihre Wege. Heckler ging 1934 zur HASAG, einer großen Metallwarenfirma, die im Zuge der Aufrüstung zu einem Munitionsproduzenten umgewandelt wurde. Er wurde Oberingenieur und stieg 1940 zum Betriebsleiter eines Zweigwerks in Taucha nahe Leipzig auf. Koch und Seidel blieben hingegen als Abteilungsleiter bzw. Waffeningenieure bis Kriegsende bei Mauser in Oberndorf. Alle drei waren während der Zeit des Zweiten Weltkriegs als »unabkömmlich« gestellt. Ihre unterschiedlichen Karrierewege und ihr erneutes Zusammentreffen nach dem Krieg in Oberndorf sowie ihr gemeinsames Wirken machten es erforderlich, sowohl die Unternehmensgeschichten der Mauser-Werke AG und der Heckler & Koch GmbH in Oberndorf, seit April 2014 Aktiengesellschaft, als auch der HASAG in Leipzig in den Blick zu nehmen. Dies erwies sich als ein schwieriges und anspruchsvolles Vorhaben, vor allem aufgrund der disparaten Quellenlage und des multidisziplinären Forschungsstandes.

Denn die Beschäftigung mit den Geschichten deutscher Waffenhersteller blieb lange Zeit den Firmen selbst sowie Waffenexperten und Sammlern vorbehalten.[2] Deren Fokus lag im Fall von Heckler & Koch vor allem auf der detaillierten Beschreibung der einzelnen Waffentypen und einer Würdigung ihrer Entwickler.[3] Der zeithistorische Kontext spielte dabei nur eine randständige Rolle. Erst auf den Druck von kritischer Forschung und Friedensaktivisten, z. B. von Karl-Heinz Roth, Jürgen Roth und Jürgen Grässlin,[4] sowie der Öffentlichkeit öffneten Rüstungskonzerne ihre Archive der Forschung bzw. gaben selbst Studien bei renommierten Forschern wie Lothar Gall und Werner Abelshauser in Auftrag.[5] Zunächst waren es hauptsächlich die breit diversifizierten Konzerne, deren Rüstungsbereich sich in der Zeit nach 1945 deutlich verkleinert hatte bzw. nicht so eindeutig zuzuordnen war, wie MAN, die Fried. Krupp AG oder die Daimler Benz AG.[6] Die Rüstungsindustrie im engeren Sinne, d. h. diejenigen Unternehmen, die bis in die Gegenwart hauptsächlich Waffen und Munition produzieren, gehörten nicht zu den Pionieren einer offenen Aufarbeitung. Die verstreut vorliegenden Quellen mit hohen Verlusten im Hinblick auf die Kriegszeit oder fehlenden Akten zu den Konzernzusammenhängen, wie im Falle der Mauser-Werke AG, taten ihr Übriges. Daher wurden zur Beantwortung der offenen Fragen in den Biografien der Gründer von Heckler & Koch neben der entsprechenden Forschungsliteratur zur Unternehmens- und Zeitgeschichte eine Vielzahl von in- und ausländischen Archiven besucht und Archivalien ausgewertet.

Gefragt wurde vor allem danach, welche Positionen Heckler, Koch und Seidel in den Firmenhierarchien einnahmen. Welche Entscheidungsspielräume besaßen sie? Und inwiefern spiegeln sich bei unseren Protagonisten die bisherigen Befunde über die Tätigkeit von Technikern und Ingenieuren im Nationalsozialismus wider? Wolfgang König und Herbert Mehrtens konnten zeigen, dass sich Ingenieure nicht der nationalsozialistischen Umgestaltung ihrer Berufstätigkeit entzogen: Teilweise kollaborierten sie, teilweise gestalteten sie aktiv und übereifrig mit, teilweise waren sie lediglich Mitläufer oder zogen sich stärker in das Privatleben zurück.[7] Wie haben sich Heckler, Koch und Seidel politisch positioniert? Was lässt sich über ihre Verantwortung für den Einsatz von Kriegsgefangenen, Fremd- und Zwangsarbeitern und Häftlingen aus Arbeitserziehungs- und Konzentrationslagern sagen?

Im Zusammenhang mit der letzten Frage ist darauf zu verweisen, dass sich in den Quellen der Betriebe eine Vielzahl von Bezeichnungen für die verschiedenen Personengruppen finden lässt. Meist ist von »Fremdarbeitern«, »ausländischen Zivilarbeitern«, »Polen«, »Fremdvölkischen« und nach den Polen- und Ostarbeitererlassen von 1940 bzw. 1942 auch von »Ostarbeitern« oder »Russen« die Rede. Ihre Situation war zum einen von ihrem unterschiedlichen Rechtsstatuts abhängig. Zum anderen erfolgte ihr Einsatz auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenideologie.[8] In der jüngeren Forschungsliteratur wird nur noch von »Zwangsarbeitern« gesprochen, da die Quellenbegriffe häufig euphemistisch die Realität der Rassenideologie überdeckten.[9] Genauer beachtet werden muss dabei die Zeitachse. In den ersten Kriegswochen versuchte das nationalsozialistische Regime, ausländische Arbeitskräfte auf freiwilliger Basis zu gewinnen. In Kroatien, Polen, der Ukraine und Weißrussland hatte die HASAG bereits 1940 bzw. 1941 mit der Anwerbung von Freiwilligen begonnen. Nachdem sich jedoch in den besetzten Ländern die oft dramatisch schlechten Lebensumstände der Arbeitseinsätze im Deutschen Reich herumsprachen, scheiterten weitere Werbekampagnen.[10] Der »Generalbevollmächtigte für Arbeit«, Fritz Sauckel, ging daraufhin seit dem Frühjahr 1942 im Osten und dann auch im Westen zu Zwangsverpflichtungen über. Vereinfacht gesagt: Bei den ab Mitte 1942 zur HASAG oder zu den Mauser-Werken gekommenen ausländischen Arbeitskräften handelte es sich nun fast ausschließlich um Zwangsrekrutierte. Auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde dabei ein System von Besser- bzw. Schlechterstellungen entwickelt und praktiziert.

An einer Erforschung dieser problembeladenen Geschichte von Mauser sowie Heckler & Koch hatte die Gemeinde Oberndorf nur ein begrenztes Interesse. Für die Kleinstadt war der Waffenproduzent Mauser seit Ende des 19. Jahrhunderts der wichtigste Arbeitgeber. Vereinfacht gesagt: Mauser war Oberndorf und Oberndorf war Mauser. Lediglich in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Demontage der Mauser-Werke schien eine Neuausrichtung auf andere Gewerbezweige unausweichlich. Doch schon seit Beginn der 1950er Jahre kam es zu einer erneuten Bindung der Gemeinde an Unternehmen, die man im weitesten Sinn als Spin-offs der ehemaligen Mauser-Werke beschreiben könnte, wurden sie doch von deren ehemaligen Ingenieuren gegründet, wie eben auch die Heckler & Koch GmbH.

Betriebliche Akten der Mauser-Werke AG aus der Kriegszeit blieben bis auf wenige Ausnahmen nicht erhalten. Als Leiter des Waffenmuseums in Oberndorf fungierte zunächst ein Nachfahre aus der Familie des ehemaligen Mauser-Waffenkonstrukteurs Fidel Feederle (1859–1930) und später in den 1980er und 1990er Jahren der Sohn des Mauser-Personalchefs und Waffensammlers Dipl.-Ing. Walter Schmid. Er sah wie zuvor der Stadtdrogist Hermann Heim auch die archivalische Überlieferung in seiner Verantwortung, bevor im Jahr 2003 seitens der Stadt ein ausgebildeter Archivar eingesetzt wurde.[11] Viele Bürgerinnen und Bürger in Oberndorf und Umgebung waren zudem ehemals Anhänger der NSDAP gewesen – all dies schuf eine Gemengelage, die auf die Verdrängung oder das Verharmlosen des Anteils der ortsansässigen Firmen und der Stadt an der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und insbesondere an den Verbrechen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, AEL-Häftlingen und Kriegsgefangenen hinauslief.

Im Stadtarchiv verblieben hauptsächlich die Akten aus der Maschinenbau- und Fahrzeugabteilung der Mauser-Werke AG, wohingegen keinerlei Unterlagen aus den Waffenabteilungen mehr vorhanden sind. Dies ist zum einen auf eine Evakuierungsaktion von Konstruktionsplänen, Entwicklungsunterlagen usw. kurz vor Kriegsende mit dem sogenannten Mauser-Zug zurückzuführen und zum anderen auf die Aktivitäten von Mitarbeitern und diversen Sammlern, in deren Hände nach und nach Teile der noch vorhandenen Unterlagen gelangten.[12]

Nicht mehr zur Verfügung für diese Studie standen die Ratsprotokolle von Oberndorf. Diese wurden ab Jahrgang 1936 bis 1945 vernichtet. Auch die Oberndorfer Seiten des »Schwarzwälder Boten« sind nicht mehr vorhanden. Auffällig ist gleichfalls das Fehlen aller Zwangsarbeiter-Akten (Melde-Akten) im Stadtarchiv.

Günstiger stellte sich die Quellenlage für die Unternehmensgeschichte von Heckler & Koch dar. Das Unternehmen selbst hat kein Archiv und besitzt nur sehr wenige Akten aus der Frühzeit. Allerdings ließen sich diese Lücken dank der Bestände des Bundesarchivs Freiburg (Militärarchiv) und des Stadtarchivs Oberndorf kompensieren. Ähnliches kann auch für die Quellen zur HASAG gesagt werden. Ein größerer Teil des Unternehmensarchivs wurde bei Kriegsende vernichtet, doch existieren umfangreiche Aktenbestände der Hausbank im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig sowie Akten mit HASAG-Bezug in diversen Beständen des Bundesarchivs, sodass von einer dichten Überlieferung gesprochen werden kann.

Unser Dank gilt daher dem Stadtarchivar in Oberndorf, Simon Zimmermann, der uns auch während der Pandemie die Reste der wenigen noch vorhandenen Mauser-Akten sowie die Überlieferungen zur Heckler & Koch GmbH zugänglich gemacht und unbürokratisch geholfen hat. Ferner danken wir auch den Privatsammlern Mauro Baudino und John Speed für ihre Unterstützung. Ein besonderer Dank gebührt dem ehemaligen Bürgermeister von Oberndorf (1983–1999), Klaus Laufer. Er hat in den letzten Jahrzehnten eine große Privatsammlung von Unterlagen zusammengetragen, die er uns komplett zur Verfügung stellte sowie noch weitere Quellen für diese Studie erschloss. Neben seinen Ausführungen zu den wirtschaftlichen und privaten Netzwerken in Oberndorf war auch ein mit der Familie Koch geführtes Interview hilfreich.

Dem Team der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, insbesondere Michael Bermejo-Wenzel, sei gedankt für Aktenrecherchen im Fall der HASAG. Die Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig, Anne Friebel und Josephine Ulbricht, gaben wertvolle Hinweise und halfen uns mit Bildmaterial. Martin Clemens Winter von der Universität Leipzig hat den Beitrag über Edmund Heckler kritisch kommentiert und Tipps für weiterführende Archivrecherchen gegeben.

Persönliche Unterlagen der Firmengründer der Heckler & Koch GmbH gibt es kaum. Selbstzeugnisse, Tagebücher, Briefe oder Dienstkalender haben nie existiert oder sind nicht mehr vorhanden. Dies lässt Fragen zu den persönlichen Motiven für bestimmte Handlungen offen.

Wo kein ausreichendes, überprüfbares und faktenbasiertes Wissen vorhanden ist, können sich rasch Legenden verbreiten. So lag die Deutungshoheit über die Geschichte der ortsansässigen Unternehmen in Oberndorf vor allem beim langjährigen Bürgermeister Otto Kenntner (1946–1975) und bei seinem Stellvertreter Robert Gleichauf (1949–1962). Gleichauf war auch Abgeordneter im württembergischen Landtag (1952–1980) und von 1968 bis 1989 Finanzminister von Baden-Württemberg. Ihr unbedingter Wunsch nach Wiederansiedlung metallverarbeitender Betriebe ließ sie Anfang der 1950er Jahre die Wahrheit großzügig auslegen. Auf einen Artikel in der »Stuttgarter Zeitung« vom 23. September 1951 reagierte Kenntner empört und behauptete, dass die Mauser-Werke vorwiegend Waffen hergestellt hätten, »die für die Kriegsführung des Zweiten Weltkriegs ohne ausschlaggebende Bedeutung waren. Außerdem fertigten die Mauser-Werke in mehreren größeren Abteilungen Industrienähmaschinen und Messzeuge.«[13] Das Narrativ vom Unternehmen, das zwar auch Rüstungsgüter produzierte, aber nur eine untergeordnete Rolle in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft gespielt habe, behielt er in der Folgezeit bei. Auch die Tätigkeit Hecklers als Werkleiter in einem Munitionsbetrieb der HASAG deutete Kenntner um, indem er ihn kurzerhand zu einem Experten für die Nähmaschinenfertigung erklärte. Mehr musste er dazu nicht sagen, da niemand in Oberndorf Genaueres über die HASAG wissen wollte. So konnten sich Legenden festsetzen und wurden bis vor wenigen Jahren fortgeschrieben.

Das vorliegende Buch kontrastiert diese Narrative mit den Fakten und korrigiert einerseits damit die historische Erzählung und versteht sich andererseits als ein Beitrag zur Debatte. Es ist in drei selbstständige Studien gegliedert, die chronologisch und inhaltlich aufeinander aufbauen. Stefanie van de Kerkhof skizziert in der ersten Studie die Geschichte der Mauser-Werke von ihrer Gründung im Jahr 1811 über die Eingliederung in die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) 1896 und deren Übernahme durch den Quandt-Konzern 1928 bis zur Expansion des Oberndorfer Unternehmens im Zuge der Rüstungskonjunktur und Kriegswirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus und der Demontage 1947/48. Ein Schwerpunkt wird auf die bisher nicht hinreichend erforschte Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gesetzt. Erstmals wird auch die fatale Trägerschaft der Mauser-Werke AG für das Arbeitserziehungslager (AEL) Aistaig offengelegt.

Theodor Koch und Alex Seidel waren seit 1929 bzw. 1932 mit Unterbrechungen bei Mauser als Ingenieure tätig und blieben bis Kriegsende im Unternehmen. Koch trug dabei als Abteilungsleiter und seit 1944 als Oberingenieur eine größere Verantwortung. Beide gingen aus der Entnazifizierung als nicht bzw. minderbelastet hervor und avancierten nach dem Krieg gemeinsam mit Edmund Heckler zu Firmengründern.

Im Mittelpunkt der von Rainer Karlsch verfassten Studie stehen die Geschichte der HASAG und die Tätigkeit Edmund Hecklers dort. Das Leipziger Unternehmen hatte sich als großer Messingwaren- und Lampenhersteller etabliert, stellte aber ab 1933 sein Produktionsprofil nahezu komplett um und entwickelte sich zu einem der größten Munitionsproduzenten des »Dritten Reiches«. Gefragt wird danach, welche Stellung Heckler im Konzern einnahm und ob er zum engeren Kreis der Führungsriege um den Betriebsdirektor und fanatischen SS-Anhänger, Paul Budin, gehörte. In der Endphase des Krieges mobilisierte die HASAG alle Kräfte zum Hochfahren der Panzerfaustproduktion, die ab 1944 zusätzlich zur Munitionsherstellung aufgenommen wurde. Dafür wurden Tausende, überwiegend weibliche Häftlinge aus Konzentrationslagern an den verschiedenen Standorten der HASAG eingesetzt, so auch in dem von Heckler geleiteten Zweigwerk in Taucha. Allerdings geschah dies in einem neuen Werksteil, für den nicht er, sondern ein anderer Betriebsingenieur die Verantwortung trug. Die historische Untersuchung abschließend, wird auf die Verfolgung und Bestrafung von HASAG-Mitarbeitern, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten, Bezug genommen und nach der Verantwortung von Direktoren, Prokuristen und Aufsichtsräten gefragt.

Andrea Schneider-Braunberger widmet sich in der dritten Studie der Gründung der Heckler & Koch GmbH und ihrer Wandlung zu einem Rüstungsunternehmen in den 1950er Jahren. Hier begegnen uns Heckler, Koch und Seidel wieder. Die Gründer kannten sich teilweise bereits aus Schul- bzw. Studienzeiten und versuchten, sich nach der kompletten Demontage und Liquidation der Mauser-Werke AG durch die französische Besatzungsmacht gemeinsam eine neue wirtschaftliche Existenz mit der Konstruktion und dem Bau von Nähmaschinenteilen aufzubauen. Ihr mittelständisches Unternehmen blieb notorisch unterkapitalisiert. Dies war ein bleibendes Problem auch bei der Transformation zur Produktion von Handfeuerwaffen. Eine zentrale Rolle spielte dabei die nicht nur aus patent- und lizenzrechtlichen Gründen verwickelte Geschichte des CETME-Sturmgewehrs, das 1959 als Standard-Sturmgewehr G3 in der Bundeswehr eingeführt wurde. Diese wird erstmals auf dichter Quellenbasis dargestellt.

Die drei Gründer ergänzten sich beim Firmenaufbau auf nahezu ideale Weise. Heckler organisierte die Außenbeziehungen, pflegte die Kontakte zum Amt Blank, dem Vorgänger des Bundesministeriums für Verteidigung, ebenso wie zum Centro de Estudios Técnicos de Materiales Especiales (CETME) in Spanien und bewies dabei Verhandlungsgeschick, Seidel brachte seine Kenntnisse als Konstrukteur leichter Infanteriewaffen ein und Theodor Koch seine Erfahrungen als Oberingenieur und Werkzeugkonstrukteur. Wie es der Heckler & Koch GmbH als mittelständischer Firma gelang, sich beim Gerangel um den ersten großen Auftrag der Bundeswehr zur Lieferung von Sturmgewehren zu behaupten, gehört zu den spannendsten Geschichten aus der Frühzeit der Wiederbewaffnung.

Die Unternehmensgeschichten von Waffenproduzenten im Allgemeinen sowie von Heckler & Koch im Speziellen werden auch künftig umstritten bleiben und Anlass zu Kontroversen geben. Diese Diskussionen, soweit es den hier in Rede stehenden Untersuchungszeitraum und die Gründerbiografien betrifft, auf eine möglichst sichere Faktenbasis zu stellen, ist das Anliegen des vorliegenden Buches.

Theodor Koch und Alex Seidel als Beschäftigte der Mauser-Werke und Gründer

von Stefanie van de Kerkhof

Die Mauser-Werke und ihre Bedeutung für Oberndorf

Einführung

Möchte man es etwas vereinfachend auf den Punkt bringen, so lässt sich sagen: Die Mauser-Werke waren Oberndorf und Oberndorf war die Mauser-Werke. Die Kleinstadt am Neckar wurde spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert von dem Unternehmen dominiert. Andere Branchen wie die Weberei oder die Textilfärberei verschwanden sukzessive aus der lokalen Wirtschaft. Die Dominanz des Waffenproduzenten verschärfte sich durch die Kriegswirtschaft während des Ersten Weltkriegs. Ähnlich wie bei der Fried. Krupp AG in Essen wurden nicht nur erhebliche Aufwendungen in sogenannte Kriegsbauten wie den C-Bau und den D-Bau für die Waffenproduktion getätigt, sondern auch Arbeiterwohnungen durch Mauser erbaut.[1]

Abb. 1: Die Dominanz der Mauser-Werke AG in der Talstadt von Oberndorf a. N. (Postkarte)

Die neuen Fertigungsanlagen ergänzten die vormaligen Bauten, in denen Waffen gefertigt wurden, wie die Klosteranlagen, das Obere Werk, das Äußere Werk und den Schwedenbau. Um für die neuen Anlagen der Mauser-Werke Platz zu schaffen, wurde während des Ersten Weltkriegs sogar eigens der Neckar verlegt und kanalisiert, sodass ein gänzlich neues Stadtbild entstand. An den damaligen infrastrukturellen Arbeiten wirkten im Übrigen erstmals Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter mit.

Abb. 2: Russische Kriegsgefangene bei den Mauser-Werken im Ersten Weltkrieg, 1915

Diese scheinbar zwangsläufige Entwicklung soll zum Ausgangspunkt genommen werden, um zunächst die Relevanz der Mauser-Werke für Oberndorf genauer herauszuarbeiten: Wann entstand die Abhängigkeit zwischen Stadt und Unternehmen, warum bildete sie sich heraus, und wohin führte die Dominanz der Rüstungsproduktion? Zu betrachten ist dabei auch, welche Akteure lokal vor Ort wirkten, welche Rolle aber auch übergeordnete Interessen, z. B. von Kapitalgebern oder Banken, spielten. Hatten Ingenieure wie Theodor Koch und Alexius Seidel neben dem lokalen Management einen gewissen Einfluss auf die Verfügungsrechte beim Unternehmen in Oberndorf, und wie konnten sie diese gegebenenfalls geltend machen? Diesen Fragestellungen wird sich das Kapitel zur »Gründung und Bedeutung von Mauser« ausführlich widmen.

Nach erheblichen Schwierigkeiten des Waffenherstellers, in der Demobilmachungsphase der 1920er Jahre zivile Produktionskapazitäten aufzubauen, z. B. im Werkzeugbau, in der Automobilproduktion und mit Büro- oder Rechenmaschinen – vergleichbar der Entwicklung bei Rheinmetall Sömmerda und der Krupp AG –, stiegen die Produktionszahlen von Waffen zunächst wieder leicht und ab 1933 enorm an. Dabei spielten die Eigentumsverhältnisse, die kurz beleuchtet werden, eine erhebliche Rolle. Denn die Mauser-WerkeAG gelangte bereits am Ende des 19. Jahrhunderts sukzessive zunächst unter den Einfluss der Berliner Ludwig Loewe & Co., danach 1928 unter die Regie von Dr. Günther Quandt (1881–1954) als Mehrheitsaktionär der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM). Er übernahm ab 1942 auch den Vorstandsvorsitz des Oberndorfer Waffenproduzenten und löste damit den erfahrenen Manager Generaldirektor Hermann Zillinger ab, der das Ruder bereits zu Zeiten des Kaiserreichs in der Nachfolge der Gründer Paul und Wilhelm Mauser übernommen hatte. Daher ist der Fokus deutlicher als bei bisherigen Untersuchungen über Oberndorf hinaus auch auf die DWM und den Konzernzusammenhang zu legen, der intensiver im Kapitel »Die Mauser-Werke im Reich der DWM« thematisiert wird.

Zu fragen sein wird auch, wie sich der Zweite Weltkrieg und seine Erfordernisse auf die Mauser-WerkeAG auswirkten. Dabei soll im Kapitel »Kriegwirtschaftliche Produktion und Arbeitskräfteeinsatz« u. a. untersucht werden, ob im Jahr 1942 – ähnlich wie bei anderen Unternehmen – eine Totalisierung der Kriegsproduktion und des Einsatzes von Menschen und Maschinen zu beobachten war, die sich im Zeichen des »Totalen Krieges« und der daraus folgenden Konsequenz einer Neuausrichtung der Waffen- und Munitionsbeschaffung unter Rüstungsminister Albert Speer vollzog. Welche Rolle spielte die beständige Ausweitung der Kriegsproduktion für die Mauser-WerkeAG? Wie sehr stieg der Bedarf an Arbeitskräften in Oberndorf, aber auch allgemein im Konzern?

Die Mauser-WerkeAG war wie andere Rüstungsunternehmen, z. B. die benachbarten Pulverwerke in Rottweil, an der deutschen Wiederaufrüstung unter der NSDAP-Regierung von Beginn an beteiligt bzw. spielte schon vor 1933 eine gewisse Rolle bei verdeckten Rüstungsgeschäften. Unter dem Druck der kriegswirtschaftlichen Produktion ab dem Vierjahresplan zur Mobilisierung 1936 und verstärkt ab Kriegsbeginn 1939 wurde auch der Zugriff auf Arbeitskräfte aus anderen Ländern und aus neu geschaffenen Bereichen wie der »Arbeitserziehung« verstärkt. Hier wird ausführlich zu analysieren sein, woher die Arbeitskräfte kamen, wie sie untergebracht und versorgt wurden, welchen Umfang ihre Beschäftigung einnahm und wie sie behandelt wurden. Welchen Stellenwert hatten Zwangsarbeit und Repression, gab es auch Gewalt gegen die Arbeitskräfte? Ein Artikel im »Schwarzwälder Boten« aus dem Jahr 1993 berichtete, dass »bis 1945 […] 5200 Männer und Frauen aus der Sowjetunion, Holland, Belgien, der Tschechoslowakei, Polen, Frankreich, Italien und Jugoslawien nach Oberndorf« kamen. Er führte weiter aus: »In den dortigen Barackenlagern starben bis Kriegsende 283 ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter an den Lebens- und Arbeitsverhältnissen in Gefangenschaft.«[2] Ob dieser Befund tatsächlich zutreffend ist, soll nun erstmals ausführlicher als bislang anhand der Quellen aus verschiedensten Archiven untersucht werden.[3]

Es wird gezeigt werden, dass neben den Zwangsarbeitenden, Kriegsgefangenen und Konzentrationslager (KZ)-Häftlingen, die im Kapitel »Sowjetische, polnische und niederländische Arbeitskräfte« im Mittelpunkt stehen, auch eine weitere Gruppe, nämlich die Häftlinge des Arbeitserziehungs-Lagers (AEL) Aistaig, einem eingemeindeten Ort bei Oberndorf, und ihre Bedeutung für die Mauser-Werke im Kapitel »Das Arbeitserziehungslager Aistaig« genauer in den Blick genommen werden müssen als bisher.

Neben einem Ausblick auf die Nachkriegsgeschichte widmet sich der dritte Teil dieser Studie abschließend einer genaueren Analyse der beiden Mitbegründer von Heckler & Koch, Theodor Koch und Alexius (genannt Alex) Seidel, ihrer Sozialisation, ihren beruflichen Anfängen und ihren Rollen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus sowie in der frühen Nachkriegszeit. Dabei sollen auch ihre Lebensläufe, familiäre Verortung und Netzwerke genauer als in der bisherigen Forschung betrachtet werden.

Insbesondere soll dabei auch thematisiert werden, inwieweit Theodor Koch und Alex Seidel die Aufrüstungspolitik der Zwischenkriegszeit und die Rüstungsexpansion bei der Mauser-WerkeAG während des Zweiten Weltkriegs mit verantworteten. Die Schlussbetrachtung resümiert die Ergebnisse, ordnet sie ein und markiert offene Fragen für zukünftige Forschungen.

Gründung und Bedeutung von Mauser

Die Mauser-Werke wurden ursprünglich im Jahr 1811 als Königlich Württembergische Gewehrfabrik im ehemaligen Augustinerkloster von Oberndorf am Neckar begründet, zusammen mit einem Eisen-Hammerwerk. Die Gewehrfabrik lieferte während der Zeit der Napoleonischen Kriege nicht nur an das Königliche Arsenal in Ludwigsburg, sondern exportierte bald auch in andere, zunächst umliegende Herrschaftsgebiete und in die Schweiz. In Verbindung mit dieser Expansion waren binnen Kurzem neue Fertigungsräume notwendig, und die Gewehrfabrik wuchs stetig.[4]

Abb. 3: Klosterkirche, Werk der Kgl. Gewehrfabrik bzw. Mauser-Werke AG, um 1935

Ähnlich wie andere Kleinstädte am oberen Neckar war Oberndorf im 19. Jahrhundert als strukturschwach zu bezeichnen. Als Ackerstädtchen mit tiefen, dunklen Tälern und einem nur kleinen Anteil an Handwerkern war die Wirtschaftsstruktur der rund 1000 Einwohner zählenden Gemeinde auch nach dem Übergang des Territoriums an das Königreich Württemberg 1805 durch eine niedrige Ertragskraft gekennzeichnet. Die Handwerker mussten nebenbei noch Land- oder Forstwirtschaft betreiben – der Export von Getreide ging in die Schweiz und nach Österreich –, um überhaupt überleben zu können.[5] Im 19. Jahrhundert entstanden zwar auch Tuchmachereien und Färbereien, doch wurde mit der Gründung der Königlichen Gewehrfabrik die Waffenfabrikation schnell zum dominierenden Wirtschaftszweig, ähnlich wie die 1861 begründete Uhren- und Zünderproduktion der Firma Junghans im nahen Schramberg. Die Beschäftigtenzahl der Oberndorfer Produktionsstätte lag zu Beginn bei knapp 130. Nach der Wirtschaftskrise Ende der 1840er Jahre sank diese Zahl bis 1853 auf weniger als 60 Personen. Erst nachdem die Gebrüder Paul und Wilhelm Mauser in den gemieteten Räumen der Koppschen Sägemühle 1872 eine eigene Gewehrfabrikation gegründet hatten und die königliche Konkurrenz im Augustinerkloster zwei Jahre später übernahmen, wuchs die Zahl der Arbeiter und Angestellten in der Waffenproduktion schnell an. Die Gewehrfabrik firmierte nun als Gebrüder Mauser KG & Cie., an der sich die Württembergische Vereinsbank nicht nur mit Kapitaleinlagen beteiligte, sondern auch einen kaufmännischen Leiter bestellte, während die technische Leitung bei Paul und Wilhelm Mauser verblieb. Aufträge der Preußischen Heeresverwaltung, Serbiens, der Türkei und Chinas für das neu entwickelte M71-Gewehr ließen die Beschäftigtenzahl auf 2500 im Jahre 1895 wachsen. Zu dieser Zeit lebten rund 4000 Menschen in Oberndorf. Mit neuen Fabrikationsstätten im nach 1874 erbauten »Oberen Werk« und im 1894 errichteten »Schwedenbau«, der nach einem anstehenden Großauftrag aus Schweden benannt wurde, konnten die notwendigen Kapazitäten geschaffen werden. Die Gebrüder Mauser setzten mit ihren innovativen Gewehrtypen, wie dem modernen Hinterlader mit Metallpatrone M 71 oder dem Repetiergewehr M 71/84, den technologischen Standard für die Gewehrproduktion im Deutschen Reich. Deutliches Interesse an den neuartigen Produkten vom oberen Neckar signalisierten die weltweiten Probelieferungen an Spanien, Schweden, Russland, Norwegen, Dänemark, Holland, Chile, Brasilien, Argentinien, die USA, Rumänien und Italien.[6]

Abb. 4: Deutscher Bau und Schwedenbau der Gewehrfabrik Mauser mit Seilbahn, 1908

Obgleich die in der führenden Lütticher Waffenschmiede Fabrique Nationale d’Armes de Guerre geschulten Brüder Paul und Wilhelm Mauser in den 1870er und 1880er Jahren entscheidende Fortschritte in der Waffentechnologie erzielten, konnte ihre Entwicklung auf betriebswirtschaftlichem Gebiet nicht mithalten.[7] Nachdem sie schon beim Türkei-Auftrag miteinander kooperiert hatten, stieg daher die Ludwig Loewe & Co. 1884 mit Aktienkäufen ein, als Mauser in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien umfirmierte. Die Aktienübernahme wurde danach fortgesetzt, bis die Loewe & Co. eine kontrollierende Mehrheit beim Oberndorfer Waffenproduzenten erreicht hatte. Ludwig Loewe sollte damit zum strategischen Entscheider aufsteigen, der von Berlin aus zunächst selbst die Geschäfte steuerte. Nach seinem Tod 1886 wurde sein Bruder Isidor zuständig bzw. von 1905 bis 1928 der Geschäftsführende Generaldirektor der Ludwig Loewe & Co.AG, Paul von Gontard.[8] Die Mauser-Werke agierten aber erst seit 1896 als Teil der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM).[9]

Schon 1889 hatte Isidor Loewe seiner Berliner Maschinenbau- und Konstruktionsfirma den Rüstungs- und Maschinenbauproduzenten Wilhelm Lorenz in Karlsruhe insofern angegliedert, als er deren Munitionsproduktion in die neu gegründete »Deutsche Metallpatronenfabrik« integrierte. Nur wenige Jahre später gründete Loewe 1896 die DWM und brachte darin nicht nur den Karlsruher Munitionshersteller, sondern auch die Mauser-Werke und zwei Berliner Betriebe der Loewe & Co. ein. Mauser wechselte daraufhin zum 1. Januar 1897 die Gesellschaftsform von der Kommanditgesellschaft auf Aktien zur Aktiengesellschaft. Loewes eigene Betriebe in Berlin dagegen zogen sich nach der Gründung der DWM aus der Waffen- und Munitionsproduktion zurück und beschränkten sich auf Maschinen- und Werkzeugbau, wurden in dieser Funktion allerdings zu einem Großlieferanten für die Mauser-Werke.[10] Leider sind keinerlei Bestände der DWM überliefert, die lückenlose Einblicke in die strategischen Entscheidungen bezüglich der Mauser-Werke, ihrer Produktion und ihres Arbeitskräfteeinsatzes geben könnten.

Die Auftragslage der Mauser-Werke schwankte während des Kaiserreichs (und später auch in der Weimarer Republik) offenbar stark und mit ihr auch der Beschäftigungsstand entsprechend des Systems der »Maßschneiderei«. Dies ist ein für die Rüstungsfertigung übliches Produktionsregime, bei der die hoch spezialisierte Entwicklung für einen engen Kundenkreis – i. d. R. militärische Beschaffungsstellen der Nationalstaaten – nicht zwangsläufig zu einem für die Waffenproduzenten profitablen Serienauftrag führt. Beispielsweise musste bei Mauser in der Zeit der Großen Depression 1881 und 1896 der Facharbeiterstamm stark reduziert werden, da nach den Entwicklungsaufträgen die Nachfrage nach einer umfassenderen Serienproduktion ausblieb.[11] Die Schwankungen hatten auch deutliche Auswirkungen auf die städtischen Finanzen von Oberndorf. Nach 1900 rangierte der Anteil der Mauser-Werke an der Gemeindeumlage zwischen 50 Prozent und über 60 Prozent. Im Ersten Weltkrieg stieg er sogar auf 80 Prozent an, während das zweitgrößte Unternehmen am Ort, der Schwarzwälder Bote, nur auf rund 15 Prozent kam. Dies demonstriert die wirtschaftliche Monostruktur Oberndorfs im 19. und frühen 20. Jahrhundert und legt auch die starke Abhängigkeit von der Waffenproduktion offen.[12] Jörg Widmann hat in seinem Beitrag zur Stadtgeschichte Oberndorfs zu Recht darauf hingewiesen, dass sich durch die dominante Position Mausers, das begrenzte Arbeitskräftereservoir und die beschränkten räumlichen wie finanziellen Spielräume in der kleinen Stadt sowie dem ländlichen Umland am oberen Neckar kaum Zulieferer- oder Folgebetriebe vor Ort etablierten, weshalb die Stadt stets den schwankenden Konjunkturen der nationalen und bald auch internationalen Waffennachfrage unterworfen war.[13] Diese Abhängigkeit hing zum einen mit der bereits erwähnten strukturschwachen Region zusammen: An den Hanglagen entlang des Neckars war kaum ertragreiche Landwirtschaft möglich, und aufgrund der mangelnden Verkehrsanbindung bis zum Eisenbahnanschluss 1867 entwickelte sich auch nur wenig umsatzstarkes Gewerbe.

Abb. 5: Gewehrmontage im Mittleren Werk, um 1900

Eine Textilindustrie im gleichen Umfang wie z. B. auf der Schwäbischen Alb entstand hier nicht, da sich keine Skaleneffekte entwickeln konnten. Andererseits konnten – ähnlich wie die Uhrenfabrikation in Schramberg oder die Pulverproduktion in Rottweil – durch den hohen Spezialisierungsgrad der Produkte und die sensible feinmechanische Arbeit, die einen hoch qualifizierten, technikaffinen und geduldigen Facharbeiterstamm benötigte, profitable Unternehmen mit guten Zukunftsaussichten entstehen wie die Mauser-Werke. Sie lieferten keine Massenprodukte, sondern höchste technologische Qualität für Kenner und Spezialisten, die auch bei schlechter Infrastruktur noch ausreichend gewinnträchtig erschien. Auch ohne erhöhte Nachfrage nach Waffen wie in Kriegszeiten ließen sich die innovativen Gewehre und Pistolen, später auch kleinere Geschütze ins In- und Ausland transportieren und mit satten, für Rüstungsgüter im engeren Sinne durchaus üblichen Profiten vermarkten.[14] Daher griffen die DWM unter Ludwig Loewe zu, als sich die Chance zum Einstieg bzw. zur Übernahme ergab, und vermarkteten Mauser-Waffen wie schon zuvor ihre eigenen Produkte weltweit.

Die Mauser-Werke im Reich der DWM

Nachdem Mauser & Cie. einen weiteren Großauftrag der Preußischen Heeresverwaltung erhalten hatte, kam es 1896 zum Zusammenschluss mit der DWM, die nun deutscher Marktführer wurde. Während die Waffenfabrik Mauser zu einer Aktiengesellschaft umfirmiert wurde, schied der nach dem Tod Wilhelm Mausers im Jahr 1882 verbliebene Gründer, sein Bruder Paul, als Miteigentümer aus und wurde zunächst erster Direktor und Vorsitzender des Vorstands. Nach seinem Tod 1914 übernahm Generaldirektor Hermann Zillinger (* 1876 in Esslingen, † 1946 in Rottweil) diese Funktionen.[15] Die Geschäftsführung von Mauser löste sich zwar damit langsam von der Gründerfamilie, doch der Name wurde als Markenartikel und Werbesignet symbolisch für qualitativ hochwertige Waffen »Made in Germany« – oder zu einem »weltweit bekannten Begriff für Zuverlässigkeit und Treffsicherheit«, wie Wolfgang Seel es nennt. Die DWM nutzte die international bekannte Marke »Mauser« und deren Goodwill bei Kunden, Interessenten und Geschäftskontakten weiterhin für ihr Marketing.[16]

Zillinger stieg zugleich bei der DWM in den Vorstand auf und hatte damit auch Einblick in die Steuerung des gesamten Konzerns. Joachim Scholtyseck geht davon aus, dass Zillinger vonseiten der DWM »relativ freie Hand« hatte und wie seine Kollegen im Vorstand des Konzerns »als erfahrene[r] Manager das dynamische Tagesgeschäft der ihnen zugeordneten Rüstungsbetriebe« führte.[17] Somit stehe er für »vielfältige personelle Macht- und Kompetenzverflechtungen zwischen DWM, Mauser-Werken und den Dürener Metallwerken […], weil sich die Fertigungsgebiete überschnitten und zeitraubende Einarbeitungen der Fachleute selten notwendig waren«.[18] Er war zudem in der Stadt Oberndorf bestens vernetzt. Schon 1930 wurde er Oberschützenmeister einer der wichtigsten städtischen Vereine und des ältesten Netzwerks der Stadt, der Schützengesellschaft 1558 e.V. Oberndorf/Neckar. Sie soll von Stadtschultheiß Peter Laur im Jahr 1558 begründet worden sein. Die Frau des späteren Mitbegründers von Heckler & Koch, Edmund Heckler, hieß Cilly Laur (1908–1966) und stammte vermutlich aus dieser bedeutenden Oberndorfer Familie.[19] Die Vorgänger Zillingers im Amt des Oberschützenmeisters bei der Schützengesellschaft waren u. a. Wilhelm (1875–1882) und Paul Mauser (1881–1914) sowie dessen Sohn Paul Mauser jun. (1914–1930). Der Mauser-Direktor hatte sein Amt bei den Schützen bis zum Kriegsende 1945 inne, als das Sport- und Vereinsschießen von den Alliierten verboten wurde. Sechs Jahre später trat 1951 der Vater von Alex Seidel, Paul Seidel, bei der Wiedergründung der Gesellschaft als 2. Schützenmeister in eine ähnliche Position.[20] Dies zeigt nicht nur die Netzwerkfunktion der Schützen an, sondern weist auch auf eine Tradition des Sport- und Freizeitschießens in der Stadt hin, die unhinterfragt bis in die Gegenwart fortgeführt wurde. Damit verbanden sich sportliches Freizeitvergnügen, Waffenkult, innovative Technik und lokale Traditionen auf das Engste miteinander. Die Mauser-Werke und ihr Direktorium bzw. die leitenden Mitarbeiter von Mauser und später der anderen Oberndorfer Waffenproduzenten waren nicht nur Teil dieses Netzwerks zur zivilen Waffennutzung und profitierten von den langfristigen Verbindungen und der städtischen Reputation der Schützen. Sie leiteten und gestalteten den Verein und das Vereinsleben zudem aktiv und in zentralen Funktionen mit.

Die Konstruktionen des im Mai 1914 verstorbenen Geheimrats Dr. ing. h.c. Paul von Mauser[21] »dienten überwiegend der militärischen Ausrüstung. Die Fabrikation von Handelswaffen war nebensächlich und unbedeutend«, wie in einem Antrag der Mauser-Werke 1929 betont wurde. Neben dem Deutschen Reich führten 27 ausländische Staaten das Mauser-Gewehr Modell 71 als Ordonnanz-Waffe ein. Insgesamt wurden während der Serienproduktion bis zum Jahrhundertende 2,9 Mio. Gewehre von Mauser hergestellt, davon 1,5 Mio. exportiert. Ausschließlich deutscher Stahl wurde dazu verarbeitet. Die DWM fertigte die passende Munition.[22] Noch unter der Ägide Paul von Mausers wurde das Modell 98 als ein weiteres neues Gewehr mit so großen Absatzzahlen lanciert, dass die Werksbauten in Oberndorf großzügig erweitert werden mussten. Bis 1904 sollten mehrere 100000 Gewehre an das Preußische Kriegsministerium geliefert werden, über 500000 Gewehre gingen bis 1914 in den Export und 1912 wurde die 100000. Pistole produziert. Die Stadt veränderte ihr Gesicht durch die Erfolge Mausers im nationalen und internationalen Waffengeschäft, denn »für diese Großaufträge wurde mit der Überbauung der gesamten Neckartalaue von der Markungsgrenze bei Altoberndorf bis zur Oberndorfer Neckarbrücke begonnen«.[23]

Mit der massiven Ausweitung der deutschen Heeresrüstung um 1900 und der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs expandierten die Mauser-Werke von 2800 (bei 4000 Einwohnern) auf 6500 Beschäftigte im zweiten Kriegsjahr 1916 (bei über 8000 Einwohnern),[24] davon erstmals 200 Frauen, die aufgrund des Krieges als Ersatz für die eingezogenen Soldaten beschäftigt wurden. Im Jahr darauf sollte die Belegschaft auf die Höchstzahl von knapp 8000 Arbeitskräften wachsen, von denen über 1500 weiblich waren. Zudem machte es die Kriegslage notwendig, die Arbeit in ein Mehrschichtensystem von beinahe 24 Stunden auszuweiten. Am Ende des Krieges kam Oberndorf immerhin noch auf 6000 Einwohner.[25]

Hinzu kamen noch Kriegsgefangene – z. B. im April 1915 die ersten 150 russischen und im Juni die ersten 200 französischen (Zwangs-)Arbeiter –, die schwere Erdarbeiten bei der Korrektur des Neckarlaufs erledigen mussten, um großflächig angelegte, hochwassersichere Werkhallen für die Kriegsproduktion der Mauser-Werke und eine Werkssiedlung mit über 100 Wohnhäusern errichten zu können.[26] Erste schwere Bombardierungen durch französische Flieger – was für den Ersten Weltkrieg im Deutschen Reich noch ungewöhnlich war – und die entsprechende Verdunkelung gehörten seit Februar 1917 zum Kriegsalltag der Oberndorfer.[27]

Die enorme Kriegsexpansion Mausers »im Reich der DWM«, an die die Ludwig Loewe & Co. Berlin 1897 ihre Aktien abgegeben hatte, war nur über eine Kapitalerhöhung zu bewerkstelligen. Hatte das Grundkapital seit 1884 2 Mio. Mark betragen, so wurde es 1915 auf 10 Mio. Mark erhöht und vollständig von der DWM übernommen.[28] Die Mauser-Werke betonten in den 1920er Jahren selbst, dass vor dem Ersten Weltkrieg nur vorsichtige Werkserweiterungen stattgefunden hätten:

»Erst der Krieg stellte unser Unternehmen vor gewaltige neue Aufgaben. Der Mangel an Handfeuerwaffen machte sich alsbald nach Kriegsausbruch derart fühlbar, dass die Heeresverwaltung die dringende Forderung auf bedeutende Steigerung unserer Produktion stellte. Unter dem Druck der Heeresverwaltung waren wir gezwungen unsere Betriebs-Anlagen ganz bedeutend zu erweitern, weil es uns einfach unmöglich war, den hochgespannten Anforderungen mit den bisherigen Anlagen und Einrichtungen zu genügen. Welches Ausmass die Erweiterungsbauten nahmen, zeigen nachstehende Zahlenvergleiche:

Friedensbauten 1914

Kriegs- und Friedensbauten 1918

Gebäudesteuer-Kapital

M 46386,–

M 217755,–

Arbeitsfläche

rd. 29000 qm

105000 qm.«[29]

Neben den Kriegs- und Friedensbauten zur Produktion von militärischen und zivilen Gütern wurden während des Ersten Weltkriegs außerdem noch 95 Arbeiter-Wohnhäuser, eine Massenherberge mit großer Kantine, ein Werkshotel und ein Schwimmbadgebäude errichtet. Die Kosten der gesamten Neubauten mit Einrichtungen und Maschinen beliefen sich auf die enorme Summe von 32 Mio. Mark. Vom Konzern, der DWM, und von den Banken mussten die Mauser-Werke dazu über 19 Mio. Mark leihen.[29b]

Abb. 6: Kriegsbauten der Mauser-Werke AG in der Talstadt von Oberndorf a. N., 1915

Ähnlich wie bei anderen Rüstungskonzernen, z. B. bei der Fried. Krupp AG in Essen, nachgewiesen werden konnte, erfolgten diese Erweiterungen wohl ohne größere Diskussion über ihren Nutzen in Friedenszeiten.[30] Auch die Stadt Oberndorf verschuldete sich hoch, denn für den umfangreichen Ausbau der Werkhallen (siehe Abb. 6) in den vormaligen Neckarauen waren aufwendige Kanalisierungs- und Infrastrukturprojekte sowie Ameliorationen notwendig. Es handelte sich dabei u. a. um die Neckarverlegung, den Bau von Wasserleitungen in der Arbeitersiedlung, die durch die Neckarverlegung bedingte Friedhofsinstandsetzung und Wiederherstellung zweier Straßen, die Kanalisierung und Verlegung des Sulzbaches sowie die Wasserleitungsunterführung unter dem neuen Neckarverlauf. Für diese Aufwendungen wurden 1,3 Mio. Mark benötigt, wovon 1919 noch 873000 Mark als Schulden bestünden, wie der Gemeinderat gegenüber den Anfragen des Unternehmens betonte. Durch die hohen Kosten, »die die Stadt durch die Expansion der Werke zu tragen bereit gewesen sei«, sei sie so hoch verschuldet, dass sie nun nach dem Krieg keine Finanzmittel für die Mauser-WerkeAG zur Verfügung stellen könne.[31]

Demobilisierung und Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft

Die Umstellungsprobleme von Kriegs- auf Friedenswirtschaft und die Demobilmachungsphase bedeuteten für Mauser ebenso wie für die anderen Branchengrößen Krupp und Rheinmetall erhebliche Schwierigkeiten und eine längerfristige Destabilisierung. Dazu gesellten sich noch weitere ernsthafte Komplikationen für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit wie die zurückgestaute Inflation des Weltkriegs und der anschließende Währungsverfall bis 1922, die Krisen der Weimarer Jahre mit Ruhrbesetzung und Hyperinflation 1923 sowie der Beginn der Weltwirtschaftskrise 1927/28.[32] Zwar hatte Mauser im Herbst 1914 einen Vertrag mit der Heeresverwaltung über die Lieferung von 800000 Mauser-Gewehren Modell 98 mitsamt passenden 800000 Seitengewehren für die Zeit nach dem Krieg abgeschlossen. Doch der Auftrag wurde am Kriegsende annulliert, anstelle – wie erhofft – der Fabrik fünf Jahre dauerhafte Beschäftigung und Nachfolge-Aufträge zu sichern. Der Vorstand der Mauser-WerkeAG betonte gegenüber dem Oberndorfer Gemeinderat, dass die Anfertigung von Kriegsmaterial für das Deutsche Reich und das Ausland gesetzlich im Versailler Vertrag verboten wurde und damit erhebliche Umstellungsschwierigkeiten für den Waffenproduzenten mit sich brachte.[33]

Nachdem schon am Ende des Ersten Weltkriegs die Zahl der Beschäftigten langsam auf 4700 zurückgegangen war, fiel sie 1919 entsprechend stark auf 1500 Beschäftigte ab. Das Produktionsverbot von Kriegswaffen hatte also deutliche Auswirkungen auf das Werk und die Stadt. Doch gelang es, mit zivilen Waffen für Jagd und Sport sowie Messwerkzeugen (ab 1920) zunächst den teils hoch qualifizierten Facharbeiterstamm auf niedrigem Zahlenniveau zu halten.[34] Nachdem die Herstellungsbereiche ziviler oder umrüstungsfähiger Art (Dual Use) ab 1921 mit der Produktion von Automobilen, Industrie-Nähmaschinen und Rechenmaschinen ausgebaut worden waren, wurde das Unternehmen umbenannt.[35]

Abb. 7: Die Automobil-Modelle der Mauser-Werke AG, um 1926

Der Name wurde passenderweise 1923 in Mauser-WerkeAG geändert, »und zwar mit Rücksicht auf die Einstellung der Interalliierten militärischen Kontroll-Kommission, der gegenüber wir auch nach aussen dokumentieren mussten, dass die Herstellung von Waffen nicht mehr unser Hauptbeschäftigungszweig sein sollte«.[36] Diese Camouflage-Strategie galt auch für die Konzernmutter, die aufgrund der Bestimmungen im Friedensvertrag 1922 in Berlin-Karlsruher Industrie-Werke AG (BERKA) umfirmierte. Dies sollte sich spätestens mit dem Vierjahresplan 1936 wieder ändern, der alte Name, DWM, kehrte mit dem nun offen praktizierten Bruch des Versailler Vertrages und der gezielten Aufrüstung für den Zweiten Weltkrieg zurück.[37]

Einen deutlich kleineren Auftrag als die starken Heeresvermehrungen des Kaiserreichs brachte die Ausrüstung der auf 100000 Mann begrenzten Reichswehr in der Weimarer Republik. Er ging allerdings anstelle von Mauser 1925 an die thüringische Konkurrenzfirma Simson.[38] Andere Waffenbestellungen folgten aber, sodass die nominelle Umstellung der Firmierung bei Mauser ebenso wie bei der DWM letztlich vorgeschoben war: Bereits 1925 war die Waffenproduktion wieder so stark ausgebaut, dass sie 62 Prozent des Umsatzes erreichte, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Diese Entwicklung hielt an, was auch die Belegschaftsentwicklung in den einzelnen Produktionsbereichen von Mauser in der folgenden Tabelle deutlich macht:

Tab. 1: Belegschaftsstärke in den einzelnen Bereichen der Mauser-WerkeAG, 1928–1933, Oberndorf a. N. [39]

Jahr

Rechen-

maschinen

Waffen

Messzeuge

Näh-

maschinen

Auto-

reparatur

Gesamt

1928

1471

181

332

15

1999

1929

1030

170

286

6

1492

1930

22

605

247

299

5

1178

1931

75

702

174

183

5

1139

1932

49

874

101

157

4

1185

1933

52

1289

150

198

4

1693

Die Automobilproduktion wurde, wie bei vielen anderen der 150 deutschen Autohersteller, 1929 mangels Nachfrage wieder eingestellt, wohingegen die Addiermaschinen florierten.[40] Die Konzentration auf Handelswaffen für den zivilen Bedarf wie Jagdgewehre und andere Dual-Use-Fertigungen wie z. B. Messwerkzeuge oder der Vorbereitungsbau hing allerdings auch mit einer Umorientierung in der Unternehmenspolitik nach der Übernahme der Kontrollfunktion durch Günther Quandt zusammen.

Abb. 8: Messwerkzeugbau der Mauser-Werke AG im Äußeren Werk

Übernahme von BERKA und Mauser-Werke AG durch Günther Quandt

Im Sommer 1928 schwächelte die BERKA als Nachfolgerin der traditionsreichen Rüstungsschmiede DWM weiterhin. Gründe dafür waren fehlende Auftragseingänge und mangelnde Rationalisierung. Generaldirektor von Gontard plante daher die Halbierung des Grundkapitals. Die Aktionäre waren unzufrieden, die Banken alarmiert. Bankier Paul Hamel, der Mitinhaber des Bankhauses Sponholz, soll nach den Aussagen Günther Quandts diesen bei einem persönlichen Besuch um Hilfe gebeten haben. Quandt kannte den Bankier aus dem Aufsichtsrat seiner Accumulatoren-Fabrik AFA. Der umtriebige Industrielle besaß tatsächlich bereits BERKA-Anteile. Bankier Hamel konnte die Mehrheit der BERKA-Aktionäre gegen die Pläne des amtierenden Vorstands und gegen den Aufsichtsrat in Stellung bringen, sodass Letzterer zurücktrat und den Weg zur Übernahme durch Quandt, Hamel und weitere Getreue im Aufsichtsrat frei machte. Quandt übernahm zunächst den Vorsitz im Aufsichtsrat, später auch die Leitung der BERKA bzw. DWM im Vorstand, wo von Gontard rasch abgelöst wurde.[41] Damit kam die Mauser-WerkeAG ebenfalls unter eine neue strategische Ausrichtung.

Neben der Rationalisierung, der Schließung unrentabler Bereiche und dem Versuch, in weitere profitable Produktionsfelder vorzudringen, versuchte Quandt mit dem massiven Druck des Vorstands der Mauser-Werke, weitere Subventionen von Stadt und Staat zu beschaffen, um die zukünftige Rüstungsproduktion zu sichern und die Zeit bis dahin gut zu überbrücken. Die Chancen hierfür standen gut, wie gleich zu sehen sein wird. Quandt ließ später in einer Festschrift stolz über seine engagierte Tätigkeit bei BERKA bzw. DWM und Mauser in den Zwischenkriegsjahren resümieren:

»So gelang es, die Rentabilität der verbleibenden Betriebe sicherzustellen, und wenn auch noch jahrelang von der Wiederaufnahme der Dividendenzahlung Abstand genommen werden musste, so wurden doch die Anteilseigner vor Vermögensverlusten bewahrt. Die immer noch überaus umfangreichen, hochmodernen Fabrikanlagen wurden pfleglich behandelt, in der festen Zuversicht, dass der Wiederaufbau der Nation nicht mehr fern sei, dass endlich die Zeit kommen müsse, die die Fesseln von Versailles sprengen würde.«[42]

Gezielt wurde also der Oberndorfer Gemeinderat unter Zugzwang gebracht. Direktor Zillinger und Mauser-Enkel Paul argumentierten trotz der hohen städtischen Investitionen während der Kriegszeit, die Werke hätten bislang keine Subventionen erhalten und wären auch nicht bei der Umstellung auf die Friedenswirtschaft unterstützt worden. Um den Betrieb mit neuen Produkten und entsprechendem Vertrieb aufzubauen, sei dies aber notwendig, denn der bisherige Vertrieb im Ausland sei für den Verkauf von Handelswaffen nur eingeschränkt geeignet. Solche Pistolen könnten bislang nur in Ost-Asien auskömmlich vertrieben werden, in allen anderen Staaten seien sie noch unprofitabel. Dies erzeuge eine weitere Schieflage v. a. vor dem Hintergrund, dass die während des Ersten Weltkriegs stark erweiterten Werksanlagen nur zu etwa einem Drittel ausgelastet seien. Die Auslandskonkurrenz erstarke, v. a. auch dadurch, dass Patente abgelaufen seien. Spanische Konkurrenten würden Mauser-Modelle sogar in täuschender Weise nachahmen.[43] Obgleich der Vorstand unter dem neuen Aufsichtsrat verstärkt auf zivile Bereiche gesetzt hätte, sei dies noch nicht gelungen, denn:

»Neue Produkte wie Spezial-Nähmaschinen und die Fabrikation von Automobilen sind noch nicht so erfolgreich, obwohl sie guten Anklang fanden. Aufgrund der erdrückenden, v. a. amerikanischen Konkurrenz wurde die Produktion der Kfz eingestellt. Die Auto-Sparte brachte damit einen Verlust von ca. 3 Mio. M. Die Spezial-Werkzeuge von Mauser werden gut nachgefragt, haben aber keine ausschlaggebende Positionierung im Konzern-Absatz.«[44]

Des Weiteren wurden Bürgermeister und Gemeinderat Oberndorfs darüber informiert, dass 1929 noch 1,6 Mio. Mark Bankschulden bestünden, die Mauser nicht aufbringen könne. Die DWM bzw. 1922 umfirmierte Berliner IWK könne nicht einspringen, da sie ähnliche Probleme habe. Berlin und Karlsruhe würden mit ihren Werken ebenfalls nahezu stillstehen. Insgesamt ca. 2500 Arbeiter und Angestellte stünden dort vor der Entlassung. Der Konzern beabsichtige durch Rationalisierung eine Gesundung zu erreichen, dies könne aber für Oberndorf die Stilllegung und Schließung bedeuten. Der Staat Baden und die Stadt Karlsruhe würden für die IWK finanziell einspringen und die Mauser-WerkeAG würde nun hoffen, dass dies auch in Oberndorf geschehe, da für die Stadt und die angrenzenden Bezirke die Werke eine wesentliche Bedeutung hätten.[45] Belegt wird dies sehr ausführlich mit der Beschäftigtenzahl, den Löhnen und Gehältern sowie Steuern. Das Werk in Oberndorf benötige nun Kapital zur Einführung neuer Fabrikationsartikel wie einer elektrischen, durch Patent geschützten Rechenmaschine und der Übernahme der Strickmaschinen-Abteilung der Elite-Werke in Siegmar/Sachsen, um nicht durch Fusion mit Karlsruhe weiter von der Stilllegung bedroht zu sein. Benötigt würden dazu insgesamt 3 Mio. Mark. Es wurde als Sicherheit auch auf die Assets hingewiesen, die in Form von Versicherungen und Gebäudewerten benannt wurden. Zwar gab es Verluste in den Jahren von 1924 bis 1926, gute Aussichten bestünden aber perspektivisch, denn im Jahr 1928 sei erstmals wieder ein Reingewinn von etwa 250000 Mark erwirtschaftet worden.[46]

Nach dem Wechsel in der Besetzung des Aufsichtsrats der BERKA, der nun mit Rohde, Quandt und Hamel auf eine Zusammenlegung der Werke drängte, versuchte Zillinger gemeinsam mit dem Oberndorfer Stadtvorstand in der Württembergischen Gesandtschaft in Berlin die Generalversammlung der BERKA von der Notwendigkeit des Überlebens der Oberndorfer Werke zu überzeugen. Am 17. Juni 1929 wurden dazu bei einer Sitzung mit Staatspräsident Bolz weitere Mittel für den Bau von Werkswohnungen für die Mauser-WerkeAG reklamiert, die dann in Höhe von 1,35 Mio. Mark auch – bis auf eine kleinere Beteiligung seitens des Werkes – von Staatsseite im Rahmen eines baugenossenschaftlichen Vorgehens zugesagt wurden. Alle Beteiligten betonten, »dass die Schließung des Oberndorfer Werks für die Stadt und Bezirk Oberndorf katastrophal wäre«.[47] Auch der Bau eines neuen Gaswerks zur Verhinderung der Liquidation wurde sofort zugesagt. Direktor Wesemann von der BERKA zeigte sich überrascht darüber, »denn eine solche große Unterstützung sei in Berlin nicht möglich«.[48] Joachim Scholtyseck konnte in seiner großen Studie über den Aufstieg der Familie Quandt deutlich zeigen, dass Günther Quandt und sein Management bei diesem Vorgehen nicht nur geschickt die Gegensätze der Länder Baden – wo das IWK-Werk der DWM in Karlsruhe beheimatet war – und Württemberg gegeneinander ausspielten, um höhere Kredite zu erhalten. Im Gegenzug zu den staatlichen Zusagen versprach die DWM-Konzernmutter nämlich auch, die Oberndorfer Werke bis 1939 weder zu verlagern noch zu verkaufen oder stillzulegen. Doch der interne Druck zur Steigerung der Profitabilität wurde weiterhin aufrechterhalten.[49]

Über die waffentechnischen Unternehmungen, die Günther Quandt und sein Sohn Herbert in der Zeit der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft leiteten und stark erweiterten, ist bislang immer noch wenig bekannt. Ihre Dual-Use-Unternehmen wie der Batterien- und Akkumulatoren-Hersteller AFA (später VARTA), die leicht auf zivile Produktion umgestellt werden konnten, sind inzwischen besser erforscht und hatten nach 1945 zunächst deutliche Vorteile gegenüber reinen Waffenherstellern wie der DWM und den zugehörigen Mauser-Werken. Dies stellt auch Scholtyseck zutreffend fest: »Während die AFA in der Nachkriegszeit wieder relativ rasch auf Erfolgskurs gebracht werden konnte, entwickelten sich die ehemals so erfolgreichen Rüstungsbetriebe der DWM und ihrer Töchter überwiegend zu Sorgenkindern des Quandt-Imperiums.«[50]

Abb. 9: Mittleres Werk der Mauser-Werke AG mit C- und D-Bau, um 1920

Die Waffenproduktion bei den Mauser-Werken zog schon nach einem kurzen Einschnitt in der Weltwirtschaftskrise 1931/32 deutlich an. Doch der Produktionsrückgang in der Krise war erheblich: Die Anlagen der Oberndorfer Betriebe waren im Vergleich zur glänzenden Rüstungskonjunktur des Ersten Weltkriegs im Jahr 1930 nämlich nur zu 23,5 Prozent ausgelastet.[51] Die schwache Nachfrage war verbunden mit der Entlassung vieler Fachkräfte und Ingenieure, einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent und einem starken Rückgang der Einwohnerzahl Oberndorfs auf 4322.[52] Zu den 1931 Entlassenen zählte auch der spätere Gründer von Heckler & Koch, der junge Ingenieur Theodor (genannt Theo) Koch, der erst seit 1929 eine Stelle in der Abteilung Werkzeug- und Vorrichtungsbau der Mauser-WerkeAG in Oberndorf bekleidet hatte.[53] Schwierig war in der Weltwirtschaftskrise allerdings nicht nur die Lage des jungen Ingenieurs Koch, sondern Manfred Maul-Ilg bezeichnet zwischen 1926 und 1931 aufgrund des Absinkens der Mauser-Beschäftigtenzahl und der Steuerzahlungen auch die »Situation der Stadt [… als] prekär: Die wirtschaftliche Lage der Mauser-Werke, die von einem starken Auf und Ab gekennzeichnet war, bestimmte im Grunde, was in der Gemeinde finanziell möglich war. Auf der anderen Seite schlugen die Versuche, andere Betriebe anzusiedeln, fehl.«[54] Direkt nach dem Machtantritt Adolf Hitlers und der NSDAP sollte aber die Produktion beim Oberndorfer Waffenproduzenten wieder deutlich anziehen und sich aufgrund der expansionistischen und militaristischen Ziele des Regimes schnell und anhaltend steigern.[55] Die örtliche NSDAP, die sich wie die übergeordneten Parteistellen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hatte, forderte in Konsequenz sogleich, die Mauser-WerkeAG sollte zusätzliche Arbeitskräfte einstellen.[56]

Illegale Wiederaufrüstung in der Zwischenkriegszeit

Schon in der Zwischenkriegszeit war die Mauser-WerkeAG ebenso wie andere Rüstungshersteller, z. B. Rheinmetall, an den Aufrüstungsplänen der deutschen Reichswehrführung beteiligt, die gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages illegal waren. Insbesondere wurde versucht, über geheime Tochterunternehmen in der Schweiz die Entwicklungen aus dem Ersten Weltkrieg fortzuführen. Dies galt z. B. für die Waffenfabrik Solothurn, die für Rheinmetall in den 1920er Jahren entwickelte, produzierte und den Export verantwortete.[57]

Während die BERKA schon ab 1927 an einem neuen Sturmgewehr beteiligt gewesen sein soll, begann die Mauser-WerkeAG ab dem Sommer 1929 mit der Konstruktion und mit Versuchen an einem neuen Maschinengewehr. Dieses wurde nach weiteren Planungen und den Verhandlungen mit den ebenfalls nicht untätigen Konkurrenten wie Rheinmetall und Simson ab 1936 als MG 34 im späteren Mauser-Zweigwerk Berlin-Wittenau produziert. Eine weitere Umgehung der Versailler Verbote wurde mit der 1931 gegründeten Mauser-Tochter »Metallwarenfabrik Kreuzlingen AG« in der Schweiz, direkt an der deutschen Grenze, angestrebt. Sie nahm die Karabinerproduktion für Chile auf und plante weitere Exportlieferungen für die Vorkriegskunden Peru, Ecuador, Venezuela und Türkei.[58] Scholtyseck geht dagegen davon aus, dass in Kreuzlingen nicht produziert wurde. Das Werk »stellte eine Tarnorganisation ohne eigene Fertigungsanlagen dar«: »Auf diese Weise sollten für das Chile-Geschäft und andere Aufträge die Exportbestimmungen des Versailler Vertrages umgangen werden.«[59]

Weitere Aktivitäten wurden in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren entfaltet, vermutlich in Kooperation mit ausländischen Herstellern in Brünn (der Tschechoslowakischen Waffenfabrik AG) und Herstal bei Lüttich (der schon genannten Fabrique Nationale d’Armes de Guerre), die später im Zweiten Weltkrieg von der DWM unter Günther Quandt akquiriert wurden. Beide Unternehmen waren nach den Angaben bei Seel ebenso wie die Mauser-Werke involviert in die Weiterentwicklung des Modells 98 zu einem neuen Militär-Standardgewehr seit 1924 (Modell 24). Dieses wurde von Mauser u. a. als Standard-Modell Kaliber 7,9 mm schon vor 1933 nach Serbien und China exportiert und nach der Machtübernahme der NSDAP sogleich massenweise produziert und auch nach Äthiopien, Honduras, Bolivien, Paraguay und Portugal geliefert.[60]

Die Expansion der Rüstungsproduktion im Nationalsozialismus

Im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft bis 1934 stieg aufgrund der Vorbereitung von neuen Waffenentwicklungen, intensiviert durch die Rüstungsprogramme der Reichswehr 1928 und 1930, und dem damit ermöglichten schnellen Einstieg in die massenhafte Serienproduktion von Infanteriewaffen die Zahl der Mauser-Belegschaft in Oberndorf wieder sprunghaft von 1858 auf 5396 an (siehe Tab. 2). Bei den Neu- und Weiterentwicklungen ist beispielsweise der Karabiner 98 (abgekürzt K98k) zu nennen, der als Ordonnanzwaffe des deutschen Heeres die meistverbreitete Waffe wurde. Durch den kontinuierlichen Ausbau der Rüstungsproduktion wuchs die Zahl der Mauser-Mitarbeiter bis 1939 auf 8931 Beschäftigte an. Der Umsatz verzwölffachte sich vom Geschäftsjahr 1931/32 bis 1938/39, wobei der Anteil der Waffenproduktion sich ebenfalls von 66 Prozent im Jahr 1931 auf 86 Prozent im Geschäftsjahr 1938/39 steigerte.[61]

Zurückzuführen war diese Expansion, wie bereits angedeutet, auch auf den Ausbau der Entwicklungs- und Forschungsabteilung der Mauser-WerkeAG unter Ott-Helmuth von Lossnitzer (siehe Tab. 2, bis 1940 Abt. Waffenforschung). Bis Kriegsende konnte er über 500 hoch qualifizierte und teils namhafte Experten der Waffenkonstruktion und Munitionsfertigung in Oberndorf um sich scharen.[62] Die großzügigen Forschungseinrichtungen und der Druck von Staat, Konzern und Werkleitung führten schnell zu positiven Ergebnissen im Sinne der NSDAP. Hilfreich war dabei auch die Erweiterung der Oberndorfer Produktion durch ein weiteres Werk in Berlin-Wittenau.

Tab. 2: Beschäftigtenzahlen der Mauser-WerkeAG, Oberndorf, in den Jahren 1933–1940 nach Abteilungen (Stand jeweils am Jahresende)[63]

Nr.

Abteilung

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939

1940

1

Waffenbau

906

3201

3764

4876

5774

6286

5389

5703

2

Waffenforschung

176

286

372

435

3

Nähmaschinen-bau

174

242

230

239

220

229

190

89

4

Handels- u. Meßzeugbau

110

233

249

396

444

491

485

511

5

Rechen-maschinenbau

71

141

177

228

285

324

276

266

6

Autoreparatur

3

3

3

2

7

Holzbearbeitung und Schaft

78

201

203

211

8

Dampf-Kraft-Licht

38

69

69

97

92

103

110

139

9

Schmiede und Gesenkbau

42

79

113

129

190

196

169

182

10

Werkzeug- u. Vorrichtungsbau

168

413

402

568

712

883

805

1073

11

Lehrenbau

40

62

63

12

Revision

25

304

403

528

13

Hilfsbetriebe

116

314

371

477

362

408

451

464

14

Lehrwerkstatt

210

231

192

186

15

Kaufm.-techn. Verwaltung

87

134

174

216

387

481

497

601

16

Polnische Staatsangeh.

464

GESAMT

1858

5396

6221

7967

8852

9918

8931

10113

Hier hatte zunächst die DWM bzw. BERKA produziert, nach der Stilllegung aufgrund des Wiederaufrüstungsverbots des Versailler Vertrages waren die Maschinen laut der Recherchen von Scholtyseck heimlich im Rheinland untergebracht, zurückgekauft und in der Karlsruher Zentrale wiederaufbereitet worden. Ab 1933 fertigten mit diesen Maschinen nicht nur die Mauser-WerkeAG Waffen und Munition im Auftrag und auf Rechnung des Reiches, sondern auch die DWM und eine weitere Tochter der Quandt-Gruppe, die Dürener Metallwerke. Mauser mietete zu diesem Zweck einige Produktionshallen auf dem riesigen Fabrikareal im Berliner Stadtteil Wittenau an. Die Oberaufsicht übernahmen Dr. Friedrich Dörge und Dr. Ing. Kurt Fleck, die bis April 1934 für die Einstellung der ersten Facharbeiter sorgten. Die Massenproduktion von Maschinengewehren, Pistolen (P 08) und des Karabiners 98k konnte schon 1935 in Berlin anlaufen.[64] In Oberndorf gefertigt wurden seit 1933 nicht nur Standard- und Ordonnanzgewehre, sondern auch automatische Militärwaffen, 2-cm-Flaks, die Maschinengewehre MG 34, MG 81, MG 181 und Selbstladepistolen. Zudem gab es Zwillings-Flaks und weitere Neuentwicklungen im Zweiten Weltkrieg wie die 3-cm-Flak, die Maschinenkanone MK 37/27 mm, die schwere Panzerbüchse 42 und Drillingslafetten.[65]

Abb. 10: Konstruktionsbüro der Mauser-Werke AG im C-Bau, um 1930

Aufgrund der Bestimmungen des Vierjahresplans 1936 und der ergänzten Form von 1942 wurde bei Mauser wie bei anderen Rüstungsgrößen sämtliche zivile Produktion (sogenannte Friedensplanungen und -entwicklungen) eingestellt, was auch die durchaus profitablen Rechen- und Buchungsmaschinen betraf, für die 5000 Bestellungen vorlagen.[66] Die Dividende stieg durch die Beteiligung Mausers an der deutschen Rüstungskonjunktur fast jährlich von zunächst 3 Prozent 1933 auf 5 Prozent 1935 (bei über 600000 Reichsmark Reingewinn) und 7 Prozent 1939.[67]

Abb. 11: Mauser-Werke AG, Äußeres Werk, um 1935

Mit der Umstellung auf Kriegsproduktion verbunden war auch, wie schon erwähnt, der im Jahr 1936 offen vollzogene Bruch der Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages, den zum einen die Rückfirmierung in Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM) deutlich markierte. Zum anderen wurden die als »jüdisch« gebrandmarkten Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat im Zuge der Arisierung aus ihren Ämtern verdrängt, die Erben von Ludwig und Isidor Loewe flüchteten ins Ausland. Bei der Mauser-WerkeAG stieg 1939 die Zahl der Beschäftigten trotz des Verzichts auf die zivilen Produktionsbereiche auf über 9800 Personen an, da die Rüstungsproduktion bis an die Kapazitätsgrenzen gesteigert wurde.[68] Oberndorf hatte im selben Jahr 8250 Einwohner – dies unterstreicht abermals die regionale Bedeutung der Mauser-WerkeAG. Denn rund 75 Prozent der Belegschaft in den Oberndorfer Betrieben kamen aus dem Umland, insgesamt verteilt auf 242 Städte und kleine Ortschaften im Radius von 50 Kilometern.[69]

Zum Quandt-Konzern gehörend, war die Mauser-WerkeAG in Oberndorf am Neckar nun ein zentraler deutscher Rüstungsproduzent, der schon seit 1872 mit den DWM bzw. dem Vorgängerunternehmen, Deutsche Metallpatronenfabrik, in enger Geschäftsbeziehung gestanden hatte und weiter unter der Ägide der DWM agierte, z. B. auch im Hinblick auf die Expansion in das europäische Ausland während des Zweiten Weltkriegs.[70] Hier sind insbesondere die Übernahme eines der größten Maschinenbauwerke in Polen, die H. Cegielski AG (Posen), sowie des bedeutendsten belgischen Waffenproduzenten, der Fabrique Nationale (FN) im belgischen Herstal bei Lüttich, zu nennen.

Die Expansion in das besetzte Westeuropa

Zur FN bestanden nicht nur durch die Gebrüder Mauser, sondern auch durch die Ludwig Loewe & Co. bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts engere Kontakte. Die Mauser-Brüder hatten hier bei der Entwicklung neuer Waffen mitgewirkt, und Loewe war zunächst weltweiter Exporteur der mit Mauser-Lizenzen bei FN gefertigten Waffen und später auch Anteilseigner. Diese frühe Kooperation, die ebenso ein Verkaufskartell umfasste, endete erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Beginn des Jahres 1919.[71]