Wagner, ein ewig deutsches Ärgernis - Moshe Zuckermann - E-Book

Wagner, ein ewig deutsches Ärgernis E-Book

Moshe Zuckermann

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Beschreibung

Richard Wagner wurde in Deutschland ganz unterschiedlich rezipiert: Es gab die historisch-politische Person, den genialen Tondramen-Schöpfer und Wagner, den erbitterten Antisemiten. In seinem neuen Buch zeichnet Moshe Zuckermann die Gestalt Wagners als das deutsche Ärgernis nach: seine Wandlung vom linken Revolutionär zum angepassten Königstreuen. Er untersucht die geistesgeschichtliche Zuordnung seines Denkens und den latenten Antisemitismus in Wagners Opern. Die entscheidende Frage lautet: Welche Relevanz hatte und hat diese Wandlung für die heutige Wagner-Rezeption?

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Ebook Edition

Moshe Zuckermann

Wagner

Ein ewig deutsches Ärgernis

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Dieser Band ist im Nachgang der 2. Jahrestagung des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft entstanden, die unter dem Titel »Ideologien & Ideologiekritik« vom 29. November bis 1. Dezember 2018 an der Ludwig-Maximilians-Universität München stattfand. Die Beiträge in diesem Buch erscheinen unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-SA 4.0:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/.

ISBN 978-3-86489-808-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Lektorat: Maximilian Küstermann, Ingrid Lipfert, Philipp Müller

Inhalt

Titel
Inhalt
Vorwort
Richard Wagner – ein deutsches Ärgernis
Revolutionärer Tondichter
Exkurs: Musikalische Gestik
Wagners Antisemitismus
Antisemitismus in Wagners Werk?
Werk und Person
»Dreigestirn ewig verbundener Geister« und die Folgen
Wagner in Israel oder Die Wonnen der Ignoranz
Schlussbetrachtung

Vorwort

Noch einmal Wagner? – mag man sich fragen. Gibt es nicht schon mehr als genug über ihn? Handelt es sich doch um eine der Zentralfiguren des kulturellen Lebens Deutsch­lands im 19. Jahrhundert mit weitreichendem Impakt auf das 20. und selbst noch das 21. Jahrhundert. Ist nicht schon genügend Historisches, Politisches, Musikologisches und Kunstphilosophisches, Ideologiekritisches und Polemisches, Bewunderndes und Gehässiges, Musiktheoretisches und Feuilletonistisches über dieses kontroverse Genie geschrieben und zusammengetragen worden?

Ja, gewiss. Und dies mag durchaus demotivieren: Wenn schon so viel gesagt worden ist, mag schon alles gesagt worden sein. Es mag gleichwohl gerade dies die Herausforderung ausmachen, sich an diesem »Thema« ein weiteres Mal versuchen zu wollen. Das ist auch der Impuls, von dem die vorliegende Schrift angetrieben ist. Sie entsprang allerdings nicht einer spontanen Laune, sondern ist das Ergebnis einer nunmehr über fünfzig Jahre währenden Auseinandersetzung mit Richard Wagner. Es handelt sich also um eine lebenslange Faszination. Das Wesen der Faszination ist ambivalent. Die lateinische Etymologie verweist auf »Beschreiung«, »Behexung«, mithin auf eine durch irrationale Wirkung unwiderstehlich ausgeübte Anziehung. Offen bleibt freilich, ob Schönes oder Hässliches, Gutes oder eben auch Böses am Werk ist, wenn Faszination ihre Anziehung ausübt. Meine langjährige Beschäftigung mit Wagner war seit jeher von Faszination beseelt und darin eben ambivalent. Die vorliegende Schrift ist die Frucht dieser Ambivalenz.

Sie ist als ein in acht Kapitel unterteiltes Essay angelegt, beansprucht mithin keine stringente wissenschaftliche Darstellungsweise. Daher auch der bewusste Verzicht auf einen wissenschaftlichen Fußnotenapparat. Der Text soll frei und störungsfrei gelesen werden. Das Sujet selbst ist verstörend genug.

Moshe Zuckermann

Tel Aviv, im Mai 2020

Richard Wagner – ein deutsches Ärgernis

In einem 1973 erschienenen Artikel nennt Jost Hermand den Dichter Heinrich Heine »ein permanentes Ärgernis«. Schon im Titel des Aufsatzes (Das falsche Ärgernis) ist Hermands Intention zu erkennen: Ein Heine, der mehr als hundert Jahre nach seinem Tod noch immer ein Ärgernis in Deutschlands Bundesrepublik darzustellen vermag, entlarvt eine anachronistische, weil immer noch nicht bewältigte, politische Idiosynkrasie, deren Ursprung, Verbreitung und Verfestigung sich bis tief in Deutschlands geschichtliche Entwicklung im 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Das Phänomen Heine wird zum dialektisierenden Paradigma dieser Entwicklung erhoben; denn, so Hermand, »wenn man Heine nicht akzeptiert, akzeptiert man auch die Demokratie in Deutschland nicht«.

Ein 1982 von Klaus Umbach herausgegebenes Buch über den Komponisten Richard Wagner trägt den Titel Richard Wagner. Ein deutsches Ärgernis. Nicht von ungefähr gebraucht Umbach dieses Attribut, denn auch für ihn steht die von ihm anvisierte historische Gestalt für eine Entwicklung. »In Wahrheit«, schreibt er, »fügen sich Wagners Leben und das Jahrhundert nach ihm bruchlos ineinander. […] Das Jahrhundert nach Wagner ist Wagners größter und bedenklichster Triumph.« Zwei deutsche Ärgernisse also beziehungsweise zwei Ärgernisse des deutschen 19. Jahrhunderts.

Es erhebt sich gleichwohl die Frage: Ist eine solche Assoziation angängig? Die des Juden Heinrich Heine mit dem obsessiven Antisemiten Richard Wagner? Des Dichters Heine, dessen Schriften der Bücherverbrennung von 1933 zum Opfer fielen, mit dem von den Nazis zum geistigen Vorläufer hochstilisierten Komponisten Wagner? Es scheint, als seien es gerade diese Gegensätze, die den Reiz des Assoziativen ausmachen – nicht so sehr wegen der archetypischen Komplementärbeziehung des Juden mit dem Antisemiten; auch nicht wegen des historisch belegten literarischen Einflusses, den Heine auf Wagner ausgeübt hat, sondern primär deshalb, weil Heine und Wagner in ihrem »Ärgernis«-Sein, mithin als Paradigmen, die polarisiert entgegengesetzten Möglichkeiten des »deutschen Weges« im 19. Jahrhundert personifizieren. Thomas Mann verfolgte wohl einen ähnlichen Gedanken, als er (sich allerdings auf Goethe beziehend) 1911 sagte: »Die Deutschen sollte man vor die Entscheidung stellen: Goethe oder Wagner. Beides zusammen geht nicht. Aber ich fürchte, sie würden Wagner sagen […].«

Ein Ärgernis waren Heine und Wagner schon zu Lebzeiten – der eine in der ersten, der andere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkend. Entscheidend für den Ausgangspunkt der vorliegenden Betrachtung ist die Geschichte ihrer späteren Rezeption. Heine, den man »als den Bonapartisten und den wahren Sohn des Rheins, als den besten deutschen Patrioten und den wildesten Preußenfresser« ansah; der »ein Prophet des Kommunismus« war, »lange bevor er den jungen Marx in Paris traf«; der »die Zukunft des Kommunismus treffender entlarvt« hat, »als später die geschulte Armee der abtrünnigen Kommunisten«; der da »Sensualist, ja Hedonist, dort Spiritualist, der Hellene hier und der ewige Jude dort, der Überwinder des Hegelianismus und der Prophet des Saint-Simonismus, der atheistische Sohn der Revolution und der kokette ­Deist« war, wie Hermann Kesten schrieb; dieser Heine »wurde von allen falschen Patrioten gehasst, weil er ein Kosmopolit war, ein Freund Frankreichs und der Freiheit, ein Freund der armen Leute und der Emanzipation«. Ganz zu schweigen von den Nazis, denen er »natürlich als der große Antibarbar verhasst« war. Und in der Bundesrepublik herrschte, so Jost Hermand, noch bis Ende der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts überall »Lähmung, Zögern, peinliches Schweigen oder höchstens vorsichtiges Anpassen«, wenn es um Heine ging.

Heines provokante Gestalt stach besonders grell in der spezifischen sozialen und politischen Situation Deutschlands im Vormärz hervor. Die bürgerlich-politische Revolution stand noch bevor, als die Verschärfung der sozialen Gegensätze den Konflikt zwischen dem Bürgertum und dem allmählich aufbegehrenden Proletariat offen zutage legte. Von einem entwickelten proletarischen Klassenbewusstsein konnte indes damals noch nicht die Rede sein. Träger der Hoffnungen auf die Errichtung eines auf Volkssouveränität beruhenden Einheitsstaates und auf den damit verbundenen Sturz des auf Geburt und Herkunft beruhenden Privilegiensystems waren die deutschen Demokraten und Liberalen. Der Widerspruch zwischen der abstrakten politischen Zielsetzung und der objektiven sozialen Entwicklung musste denn auch zu einem Scheitern der Revolution führen: Die sozialen Forderungen der Massen waren mit den politischen und konstitutionellen Postulaten des Bürgertums schlechterdings nicht vereinbar.

War die Revolution von 1848 der gleichsam verspätete Versuch eines Nachvollzugs der großen Französischen Revolution, so war ihr Scheitern mit einer umso größeren Ernüchterung und einer sowohl politischen als auch geistigen Wende verbunden: Das Vordringen der Reaktion im ganzen Reich kulminierte in den bismarckschen Siegen ab 1860 bis hin zur undemokratischen Reichseinigung »von oben«. Im kulturell-geistigen Leben bewirkte die misslungene Revolution eine Flucht in die subjektive Innerlichkeit einerseits und in die ideologische »Abwendung von der Welt« andererseits. Die Auffassung der Kunst als mögliche Linderung menschlichen Leids erhielt in Schopenhauers kulturpessimistischen (Willens-)Lehre eine bedeutende philosophisch ideologisierte Untermauerung.

Richard Wagner personifizierte, mehr als jede andere Künstlergestalt des deutschen 19. Jahrhunderts, diese Gesamtentwicklung. Es ist im hier erörterten Zusammenhang gerade bei ihm angebracht, sowohl die politische als auch die künstlerische Genese zu verfolgen. Denn eine Trennung beider Ebenen ist inadäquat, wie Hans Meyer bemerkt:

Richard Wagners politische Grundanschauungen sind keineswegs als ein »nebenher« gegenüber seinen großen musikdramatischen Gestaltungen zu verstehen. Ohnehin verbietet sich eine solche Aufteilung zwischen der politischen und der »rein künstlerischen« Sphäre bei Wagner von selbst. Denn er vor allen strebte in aller Bewusstheit nach der Einheit von künstlerischer Form und weltanschaulichem Gehalt.

Es ist nun dieser »weltanschauliche Gehalt«, der Wagner als ein »deutsches Ärgernis« erscheinen lässt. Ein geglücktes 1848 hätte – pauschal ausgedrückt – einen Rückzug in die »deutsche Innerlichkeit« im Sinne einer Flucht aus dem Leben in die Irrationalität, ins Mythische, in »die Kunst um der Kunst willen« als Ideologie, hätte Bismarck, vielleicht gar Hitler unwahrscheinlich gemacht. Eine erfolgreiche Revolution 1848 hätte Deutschland vermutlich auf den demokratischen Pfad geführt und einem Heine gehuldigt. Nur ein undemokratisches Deutschland konnte Wagner als Hohepriester deutschen Geistes feiern. So ließe sich aus dem bisher Dargelegten schlussfolgern. Aber stimmt es so? Kann dies so apodiktisch behauptet werden? Was Heine anbelangt, gewiss. Bei Wagner liegen die Dinge weitaus komplizierter.

Denn begonnen hat Wagners politische Entwicklung gerade im Zeichen eines (wie immer noch unausgereiften) revolutionären Umsturzes, den er schon seit seiner Jugend im Sinne hatte. Sein Glauben an die Notwendigkeit einer politisch-sozialen Umwälzung verfestigte sich im Laufe der Jahre ab 1843, nachdem er den Posten des Königlich-Sächsischen Hofkapellmeisters erlangt hatte. In seinem 1849 verfassten Gedicht Die Not findet sich der Ansatz einer Kapitalismuskritik; darin heißt es von den »tugendhaften sabbath-christen«:

Sie haben Capital und renten und lieben sehr den staat darin sie leben von prozenten,und ärndten ohne saat,sie treiben künst und wissenschaften vergnügen sich am tugendhaften,und leben bis zum tod,ohn dich zu kennen: noth! […]

Visionen einer durch Riesenbrände verursachten Verwüstung der Großstädte und eines Untergangs der alten (bestehenden) Ordnung kulminieren in der verklärten Huldigung an den Menschen, das Leben und die Natur:

Denn über allen trümmerstätten blüht auf des lebens glück:es blieb die menschheit, frei von ketten und die natur zurück.Natur und mensch – ein elemente!Vernichtet ist, was je sie trennte!Der freiheit morgenroth,Entzündet hat’s – die noth!

Notizen zu einem nicht ausgearbeiteten Aufsatz bezeugen seinen Glauben daran, »dass mit der kommenden kommunistischen Ordnung solche historischen Fiktionen wie Monarchie und Erbbesitz verschwinden würden«. Die »erhabene Göttin Revolution« wird heraufbeschworen, um das »nie geahnte Paradies des Glücks« für die aus den Fabriken strömenden Scharen zu erkämpfen; denn »sie haben geschafft und erzeugt die herrlichsten Stoffe – sie selbst und ihre Kinder sind nackt, sie frieren und hungern, denn nicht ihnen gehört die Frucht ihrer Arbeit, dem Reichen und Mächtigen gehört sie, der die Menschen und die Erde sein eigen nennt«. Bestimmung und Recht des Menschen sei es, durch die innere höhere Vervollkommnung seiner geistigen, sittlichen und körperlichen Fähigkeiten zum Genuss eins stets wachsenden, reineren Glückes zu gelangen.

Auch den historischen Bezug stellt Wagner her: Im Jahre 1848 habe der Kampf des Menschen gegen die bestehende Gesellschaft begonnen. In Frankreich und England werde er bereits offen ausgetragen, und bald werde er auch Deutschland erfassen. Das müsse so kommen, wie der emphatischen Botschaft der Revolution zu entnehmen ist:

Alles, was besteht, muss untergehen, das ist das ewige Gesetz der Natur, das ist die Bedingung des Lebens, und ich, die ewig Zerstörende, vollführe das Gesetz und schaffe das ewig junge Leben. Ich will zerstören von Grund aus die Ordnung der Dinge, in der Ihr lebt, denn sie ist entsprossen der Sünde, ihre Blüte ist das Elend und ihre Frucht das Verbrechen […].

Nicht von ungefähr begeisterte sich Wagner für die Lehren des russischen Anarchisten Michail Bakunin – den er durch dessen jungen Anhänger August Röckel kennenlernte, als Bakunin 1848 in Dresden einen Zufluchtsort suchte –, fand er in ihnen doch die Voraussage des von ihm ersehnten Untergangs der europäischen Hauptstädte. Ist es also allzu verwunderlich, dass Wagner beim Dresdner Bürger­aufstand im Mai 1849 auf den Barrikaden zu finden war? Dass er nach Weimar und von dort mit der Hilfe von Franz Liszt in die Schweiz fliehen musste, weil er nach dem Misslingen der Erhebung steckbrieflich verfolgt wurde?

Nun, es kommt darauf an, wen man danach befragt. Dem Wagner-Biografen Robert Gutman zufolge besaß Wagner weder damals noch später eine ernst zu nehmende Gesellschaftstheorie. Zwar schreibt er noch im Jahre 1848: »Das Ziel fest ins Auge gefasst, wollen wir […] zunächst den Untergang auch des letzten Schimmers von Aristokratismus«, und bezeichnet diese Bestrebung sogar als den »Anfang« eines langen Weges, vermag jedoch im »Kommunismus« nichts als die »abgeschmackteste und sinnloseste Lehre« zu sehen, einen »gedankenlosen Versuch […], der sich in seiner reinen Unmöglichkeit selbst das Urteil der Totgeborenheit spricht«. So manche seiner vermeintlich revolutionären Motivationen, meint Gutman, hingen nicht mit den objektiven sozial-politischen Zuständen zusammen, sondern waren in seinen persönlichen Problemen und beruflichen Enttäuschungen begründet. So konnte ihn die plötzliche Absage aller Vorbereitungen zur »Lohengrin«-Premiere, verursacht durch die unruhige politische Lage Ende 1848, anspornen, sich »tiefer in revolutionäre Machenschaften« zu stürzen. Seine Schulden, seine allmähliche Entfremdung von seiner ersten Frau und seine künstlerischen Misserfolge – all dies ließ bei ihm Bedrückung und Notgefühl aufkommen, und es bedurfte eines Umschwunges, um aus diesem Zustand erlöst zu werden: »Die sozialistische Revolution erschien ihm immer deutlicher als das Zaubermittel, mit dem dieser Umschwung vollzogen werden konnte.« Der Musikologe Paul Bekker gelangt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, fügt aber hinzu, Wagner habe den unpolitischen Charakter seiner politischen Ideen erkannt. Sie seien Übertragungen einer tragisch leidenschaftlich gerichteten Produktionsstimmung auf das Leben gewesen. In der Tat bekennt dies Wagner selbst in seiner 1864 publizierten Schrift Über Staat und Religion: »Was ich da suchte, war wirklich immer nur meine Kunst – diese Kunst, die ich so ernst erfasste, dass ich für sie im Gebiete des Lebens, im Staate, endlich in der Religion, eben eine berechtigende Grundlage aufsuchte und forderte.«

Das Leben in seiner umfassenden Vielfalt ist wohl immer fundamentale Inspiration für jedwede Kunst. Wenn allerdings die institutionellen Formen des Lebens, in diesem Fall Staat und Religion, der ideologischen Rechtfertigung des Kunstwerks dienlich gemacht werden (und nicht umgekehrt), erfordert diese Umkehrung eine ausgegorene Lebensanschauung. Wie dubios die Grundsätze einer solchen Anschauung bei Wagner waren, erfährt man bei Robert Gutman, der Wagners emphatischen Glauben an die angeborenen »Tugenden« und edlen »Instinkte« des Volkes hervorhebt; nur die entarteten Höflinge und Juden hätten Volk und König in die Irre geführt, vor allem sie hätten seinen Plänen im Wege gestanden. Erforderlich sei die Beseitigung dieser Schmarotzer – sie würde die Freiheit für die germanische Welt bringen, welche dann, der Feinde entledigt und durch das »Theater« erlöst, ein glückliches Land werden würde, »in dem man die Monarchie abschaffen und zu gleicher Zeit das Königtum emanzipieren« könnte.

»Volk«, »König«, »Theater« und »Erlösung« ergeben hier ein Konglomerat wirrer Ideen, das den Eindruck vermittelt, Wagner selbst habe nicht so recht verstanden, was er auf sozial-politischer Ebene erstrebte. Er schuf sich eine Phantasiewelt, die ihm einen vermeintlichen Fluchtweg aus seiner privaten Misere bot, ohne dabei auf seine selbstgerechte Überzeugung verzichten zu müssen, man verstehe die Wahrheit seiner künstlerischen Sendung nicht. Es stimmt zwar, dass ihn die kleinkarierte, verspießte, teils auch korrupte Beamtenwelt, der er sich ausgesetzt sah, mit Ekel erfüllte, aber man kann Gutman nur beipflichten, wenn er feststellt:

Der Wagner des Jahres 1848 wollte die Autorität nicht abschaffen, eine Reform genügte, auch wenn sie vielleicht mit drastischen Maßnahmen erzielt werden musste. Trotz seines Flirts mit dem Sozialismus, seiner Freundschaft mit Bakunin und Röckel und seiner blinden Versessenheit auf Feuer und Zerstörung blieb er doch im Grunde Monarchist und Anhänger einer autoritären Gesellschaftsordnung.

Wagners konservativ-regressive Obrigkeitsabhängigkeit und seine von ihr abgeleitete Auffassung der deutschen Kunst dokumentierten sich 1867 in seinem Aufsatz Deutsche Kunst und Deutsche Politik. Darin wird zwar das Theater als bedeutsamste Kundgebung deutschen Geistes bejubelt; da diese deutsche Kunst aber »ohne die Fürsten« entstanden sei, »gebräche [es ihr] an Macht und adeliger Vollendung, weil sie die Hälfte der Fürsten noch nicht erreichen und die Herzen der Herrscher dem deutschen Geiste noch nicht erschließen konnte«. Die Hinwendung zu den deutschen Fürsten und die ihnen zugeteilte Aufgabe, eine »selbst über unsere Grenzen heilsam hinausreichende wirklich deutsche Zivilisation« zu begründen, kam nicht von ungefähr. Drei Jahre zuvor, im Jahre 1864, hatte Wagner seine revolutionäre Vergangenheit bereits offenkundig verleugnet: »[…] wer mir aber die Rolle eines politischen Revolutionärs, mit wirklicher Einreihung in die Listen derselben, zugeteilt hat, wusste offenbar gar nichts von mir, und urteilte nach einem äußeren Scheine der Umstände […]«. Er sprach zwar von der »Ernüchterung aus der […] einer geistigen Berauschung nicht unähnlichen Stimmung«, sah aber den Grund hierfür nicht in den »Wendungen, welche die europäische Politik nahm«, sondern:

Es war die Zeit, wo ich mich ganz und einzig wieder nur meinen künstlerischen Entwürfen zuwandte, und so, dem Leben aus vollstem Herzen seinen Ernst zuerkennend dahin mich zurückzog, wo einzig »Heiterkeit« herrschen kann.

Inwieweit Wagner den Kausalnexus zwischen der real gescheiterten Revolution und dem Rückzug aus dem »Leben« sowie der Flucht in die Kunst selbst zu erkennen ­vermochte, sei dahingestellt; das pseudopolitische »Revolutionäre« an ihm löste sich jedenfalls nach 1849 endgültig von konkreten, mit der Realität korrespondierenden politischen Inhalten. Seine national-chauvinistischen Gedanken bezogen sich immer weniger auf realhistorische Prozesse, die innerhalb einer Generation zum Bismarckreich führen sollten, umso mehr dafür auf utopische Fik­tio­nen, die ihre vermeintliche Geltung aus dem archaischen Mythos bezogen. Auch in diesem Zusammenhang bringt es Gutman auf den Punkt:

Er verzichtete auf das Historische, das nach seiner Meinung von der Interpretation abhängig war, und wandte sich dem Mythischen zu, dessen Quelle sein Lieblingsthema ist: die edle Intuition des Volkes. Er folgerte, dass Historie, da sie sich an den Verstand wendet, für das Drama ungeeignet sei, und sah im Mythos, der aus dem Leiden des Menschen entsteht, den einzigen Stoff, der Empfindungen im Theater anregen kann, ein offen sinnlicher Zweck, der nach seinem Urteil die Bühne überhaupt rechtfertigte.

Der nebulöse Übergang vom Begriffssystem »Geschichte-Gesellschaft-Vernunft« zur Konzeption »Mythos-Bühne-Emotion« ereignete sich mitnichten als vorübergehende Laune. Wagner glaubte tatsächlich an die notwendige Erlösung des Menschen von dessen Fesseln und Feinden. Darin war er freilich nicht sonderlich originell. Aber in seiner Auffassung sollte die Erlösung durch die Kunst, durch das »Gesamtkunstwerk« vollendet werden. Entsprechend wird die gesellschaftliche Revolution von den Barrikaden auf Dresdens Straßen zu den Brettern der Theaterbühne hinübergeführt. Hier dürfen die edlen, vom gesunden »Instinkt« geleiteten, ihren intuitiven Regungen ergebenen Gestalten Siegfrieds und Parsifals agieren. Nach heroischem Leidensweg fällt zwar der eine böser Heimtücke zum Opfer, der andere aber bringt Notleidenden Erlösung. Im ersten Fall geht das Götterreich zugrunde, im anderen wird die Welt erlöst. Wagner bleibt freilich im Hinblick auf das Wesen der Erlösung unbestimmt.

Eine Revolution, die keine ist, Leben, das als Mimesis gelebt wird, und eine Erlösung, die im musikalischen Rausch aufgeht – eine solche ideologische Vertauschung der dramatischen Realität mit der Realität des Dramas will in ihrer Motivation erklärt sein. Paul Bekker liefert hierfür eine bestechende Deutung:

»Siegfrieds Tod« konnte nur von einem Umstürzler geschaffen werden, der Schöpfer der »Meistersinger« musste die Idee der Revolution ablehnen. Es gilt von Wagners politischen Überzeugungen das gleiche, wie von seinem Verhältnis zu den Frauen und zur Philosophie. Sie sind für ihn nicht Angelegenheiten des Menschentums. Sie sind Mittel, die Maske zu richten, deren er für sein Spiel bedarf, Mittel, an die er selbst glaubt und glauben muss, solange sie ihm nötig sind. Wagner hat sein Verhältnis zu Staat und Religion nicht König Ludwig zuliebe revidiert. Nahm er die Revision vor, so geschah es für das Werk, dessen Ausführung nun auch auf diesem Gebiete eine begriffliche Klärung erzwang.