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Ein leidenschaftlicher Blauwassersegler will im Herbst seines Lebens endlich die vielen Brüche und Enttäuschungen auf See loswerden, die alten Geister im Meer versenken. Dafür sucht er echte Kerle, die ohne das Segeln nicht leben können. Während eines Langtörns gelingt ihm dieses Vorhaben, er findet zwei Freunde, echte Seemänner, die den größten Teil des Jahres auf See sind. Sie treffen sich nun alle fünf Jahre, um ab Dublin zu segeln und Erinnerungen auszutauschen. Von einem dieser Törns berichtet dieses Buch.
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Seitenzahl: 122
Veröffentlichungsjahr: 2020
Prolog
Das Wiedersehen
Unsere heimliche Liebe Waterford
Wo liegt eigentlich Le Havre?
Mayday auf der Themse
Wieder mal auf der grünen Insel
Friesland lockt
Eine Liebe auf Vlieland
Skagen voraus
Dänemark schwankt
Die dänische Südsee
Abschied auf der Reeperbahn
Nachwort
Es klingelt. Vor der Tür steht ein Mann mit einem Paket. „Für mich?“ frage ich neugierig und nehme es dann quittierend in Empfang. Selbst zwei Tage vor Weihnachten erwarte ich keine Post, es ist nicht meine Jahreszeit, ich bin Segler. Ich hab´ auch nichts bestellt, trotzdem reiße ich es auf. Ziemlich schwer das Ganze, sicher eine Verwechslung. Dann kommen sie zum Vorschein, vier Flaschen Dresdner Glühwein, also kennt mich der Absender. Ich schaue auf den Karton – die Sendung kommt von Andreas und Sabine mit dem begleitenden Text: „Für Tage, an denen gar nichts geht.“
Nun freue ich mich tatsächlich und es ist ein bisschen wie Weihnachten. Die letzten Wochen habe ich das kommende Jahr geplant, genauer gesagt die nächsten Törns. Segler kennen das, zum Chartern wird das perfekte Schiff gesucht, denn natürlich will ich den Frühbucherrabatt noch mitnehmen, gerade weil es mein letzter Törn ist. Der Letzte? Seit fünf Jahren segle ich jetzt den letzten Törn, sage mir immer, man muss ja mal aufhören. Leider glaubt mir das keiner, obwohl es nach über 40.000 Seemeilen an der Zeit wäre. Die Wirtin im „Cutty Shark“ in Porto Azzurro lacht jedes Mal ungläubig, wenn sie mich sieht und auch Stjepan in der „Konoba Kopac“ auf Cres in Kroatien winkt lächelnd ab und mein Abschiedsgeschenk nimmt er wortlos, wie die fünfmal vorher.
Es ist so schwer, aufzuhören, wenn man so viele Tage und Nächte auf See verbracht hat, so viele Erlebnisse auf den Törns hatte, wenn bei einem Blick in eines der vielen Logbücher tausend Erinnerungen kommen. Und da sind ja auch noch meine Freunde, der Schotte John und der Norweger Erik. Mit denen habe ich vor fünf Jahren einen Blauwasser-Langtörn gemacht. Wir haben uns verspro-chen, uns mindestens alle vier Jahre in Dublin zu treffen. Als es dann soweit war und wir uns wiedersahen, konnten wir es nicht lassen. Wir wollten wieder segeln.
Aber diesmal ist es wirklich das letzte Mal, danach schreibe ich ein Buch über diesen letzten Törn und schicke es Andreas und Sabine. Oder?
Der Glühwein war wirklich gut.
Vier lange Jahre habe ich mich darauf gefreut, meine Segelkameraden John und Erik wieder zu sehen, die Trennung damals am Hafen von Triest war ziemlich abrupt. Erik traf zufällig und völlig unvorbereitet seinen Sohn, der viele Jahre nichts von ihm wissen wollte und John hatte in Triest eine neue Liebe gefunden.
John hatte ich in Aberdeen kennengelernt, als er die Yacht seines verstorbenen Vaters, eine Royal Huisman 51, verkaufen wollte und ich eine Yacht suchte, seine aber nicht bezahlen konnte. Wir wurden uns schnell einig, er behielt sein Schiff und ich segelte mit ihm durch den Caledonian Kanal in die Irische See nach Dublin. Dass wir unterwegs Erik in letzter Minute aus Seenot retten würden, war mehr als ein Zufall. Es war das, was man Schicksal nennt, denn Erik war allein unterwegs und ging beim Segelwechsel über Bord. Für uns zwei, John und mich, die wir einen dritten Mann als Wachgänger für den Langtörn suchten, war es ein Geschenk, zumal sich später herausstellte, dass Erik ein exzellenter Seemann ist.
So segelten wir von Dublin nach Palos in Portugal, dann nach Syrakus und um den italienischen Stiefel in die Adria bis nach Triest. Dabei retteten wir eine holländische Familie in Seenot aus dem Schlauchboot. Sie hatten ihre brennende Yacht verlassen müssen. Und bei Brindisi hat es mich dann selbst fast erwischt, kaputte Galle bei Wind 7 raumschots. Dank eines Rescue-Helikopters konnten mir die italienischen Ärzte das kaputte Teil entfernen. und wir drei hatten noch ein paar schöne Tage auf der Adria. Jetzt könnt ihr sicher verstehen, warum ich mich aufs Wiedersehen freue.
Wir hatten beim Abschied in Triest vereinbart, uns alle vier Jahre in Dublin zu treffen. Aber ihr wisst ja wie das ist, schon nach zwei Jahren kroch die Sehnsucht nach einem Wiedersehen an uns hoch, zuerst meldete sich John auf der Rückreise von einem Törn zu den Lofoten, ein andermal war es Erik, mit seinem Sohn gerade auf Trampfahrt.
Also verabredeten wir uns in Dublin.
Naja, ich werde die zwei ja wohl wiedererkennen, vier Jahre sind ja überschaubar. Wir treffen uns am Mittwochabend in Dublin, mittwochs sind die Fähren nicht so voll, dort wo sich Erik entschlossen hat, mit uns zu segeln,
Dann ist es Mittwoch.
Kaum angelegt gehe ich von Bord und bummle durch den Hafen.
Hier wo es nach Öl und Rost riecht, nach Salz, Fisch und faulendem Holz fühle ich mich wohl.
Es ist nicht nur der Geruch, auch das Kreischen und Quietschen der Kräne, das Klirren von Ketten und ab und zu ein fernes Typhon, das alles hat mir gefehlt. Nun bin ich ja hier. Ich schlendre noch etwas auf den Quays und schaue mir alte Yachten an. Dann wird es Zeit zum Treff zu gehen.
Ausgemacht ist „Lanigans Pub Eden Quay“ im Zentrum von Dublin am River Liffey.
Werden sich meine zwei Freunde sehr verändert haben?
Ich stehe vor dem Pub und hoffe, dass uns noch derselbe Barmann wie damals bedient. Wir hatten viel Spaß, besonders zwischen 3 und 4 Uhr nachts. „Last Order“ gab es damals schon lange nicht mehr.
Hoppla, das war die erste Stufe.
Als ich aufschaue, steht er auf der oberen Stufe vor mir, Bruce der Barmann. Ehe ich etwas sagen kann begrüßt er mich: „Hans, schön dass Du wieder mal nach Hause kommst.“
Da stehe ich nun und habe Gänsehaut, was für ein saustarkes Willkommen, hätte ich nicht gedacht. Ein Handschlag, fünf Schritte und ich stehe im Raum, gehe zur Bar, wohin denn sonst, ich suche ja John und Erik.
Als wir uns sehen umarmen wir uns wortlos, wie damals in Triest beim Abschied, nur dass wir heute den ganzen Abend für uns haben und vielleicht noch ein paar Tage.
Plötzlich steht eins von den schweren Gläsern vor mir. Ich schiebe meine Nase in Richtung Glas, natürlich „Bushmills“ was sonst, auch meine Whiskeysorte hat sich Bruce gemerkt. Wahnsinn.
John brummte etwas, was wie „es wurde auch Zeit“ klang und Erik nickte nur.
Dann kommt die erwartete Frage: „what are you doing last years?“ Was soll ich schon getan haben, natürlich segeln, Dänemark, Holland, Schottland und einmal rund Korsika, keine Langtörns, aber eben segeln, keine besonders aufregenden Sachen.
Außer vielleicht der Schirokko südlich von Elba, bei dem ich mir das Genick angebrochen habe, zwei halbe Wirbel fehlen seitdem.
„Segelst Du noch?“ frage ich John.
„Was sonst“ entgegnet er gesprächig. Das sind jetzt schon fünf Worte, mehr wird er wohl heute nicht sagen, aber an seinen Augen kann ich sehen, dass er sich freut.
Und er hat ja Recht, hier gibt es nichts zu tun außer trinken, keine Halse, keine Wende und kein Segelwechsel und alles was gesagt werden muss, haben wir uns damals auf See gesagt und von der Seele getrunken. Nachdem wir den Affenfelsen gerundet hatten und Gibraltar achteraus verschwand, wussten wir alles voneinander. Also „Sláinte“ (zum Wohle) und hinunter mit dem Zeug. Als der Whiskey über die Zunge rinnt wird mir wohlig warm. Jetzt noch Musik und „…das Leben hat wieder Gin“, wie mein Freund Mike oft sagt. Nur Erik hat noch gar nichts gesagt, so wie ich ihn kenne spricht er, wenn es an der Zeit ist. „Hey Bruce, gibt es heute Musik?“ rufe ich über die Bar.
„Als ich Dich kommen sah, hab´ ich die Jungs angerufen. Es geht gleich los.“ sagt Bruce und fragt „Willst Du nicht erst was essen?“
Und ob, ich bin hungrig wie ein Löwe.
„Cottage Pie oder Irish Stew?“
Ich nehme das Stew und erinnere mich, dass es schon damals Weltklasse war, Lammfleisch, Zwiebeln, Karotten, Weißkohl mit Lorbeer und viel Kümmel. Aber erst noch drei „Bushmills“. Man ist der Whiskey gut, war ich aber auch, als ich 20 Jahre alt war. Den Preis will ich gar nicht wissen, was ich wissen muss, schmecke ich. Sláinte.
Ich, an einem guten Tag beim Anlegebier im Buscherump, dem warmen blauweißen Unterziehpullover der Marine
Gerade denke ich, wo bleiben denn die Jungs von der Band, da fängt Erik leise an zu summen. Das ist nicht der Whiskey, denke ich, er fühlt sich einfach wohl. Und dann singt er wie damals, als wir ihn aus der Irischen See zogen.
I`m the son of the son of a sailor,
and I spend all my time on the sea……..
Während er singt kommen die Instrumente zur Tür herein. Die Pipes grüßen freundlich, der Drummer hebt den Daumen und die Fidel winkt fröhlich.
Da kommt auch mein Stew. Knackig und heftig gewürzt, wie ich es liebe. Das Lammfleisch saftig und schön heiß. John meint, wir sollten zwischendurch mal ein Bier trinken. Das muss Bruce gehört haben, denn sofort stehen drei schwarze Stout auf dem Tisch. Die Fidel beginnt zu wimmern, das Bier ist zu warm und der Whiskey ist zu kalt.
Es gibt Tage, da geht nichts…Aber heute passt alles.
„Was solls“, sagt Erik, „die See mag uns, sonst säßen wir heute nicht hier. Erinnert ihr euch an die Biskaya, als wir erst drei Tage gegen an knüppelten und zwei Tage später die Holländer von der brennenden Yacht aus ihrer Rettungsinsel bargen?“ Das wird wohl keiner von uns jemals vergessen, als wir die durchgefrorenen Kinder und dann ihre Eltern an Bord nahmen.
Ob sie in Holland noch manchmal an ihre Retter denken? Vielleicht melde ich mich mal bei ihnen.
Die Instrumente haben sich inzwischen eingestimmt, die Pipes beginnen und die Fidel fällt ein.
Da mein Stew vertilgt ist, bitte ich Bruce nachzusehen, ob noch etwas von dem schwarzen Stout im Fass ist.
Lachend kommt er mit drei großen Gläsern zurück, diesmal ist es kalt. Jetzt ist Zeit zum Reden.
Erik beginnt mit seinem persönlichen Rückblick. Seit er vor fünf Jahren seinen Sohn Marc in Triest wieder getroffen hat, sind sie in ständiger Verbindung. Marc fährt immer noch auf den großen Tankern seiner Reederei. Immer wenn er in Norwegen Landgang hat, besucht er Erik. Nur Eriks Frau ist nicht wieder aufgetaucht. Gut, sie hat ihn damals verlassen, als er zu lange auf der Ölbohrinsel gearbeitet hat.
Aber sie hätte sich ja in den fast zehn Jahren mal melden können. So sucht Erik immer noch nach seinem passenden weiblichen Gegenstück. Er ist nun auch nicht gerade sehr kommunikativ, vorsichtig ausgedrückt. Sollten wir vielleicht nachhelfen?
John behauptet von ihm gäbe es nichts Wesentliches zu berichten. Dabei erleben wir beide einen anderen John als vor zwei Jahren, nicht mehr so nachdenklich mit traurigen Phasen.
Heute sieht er gut aus. Wir lassen nicht locker, bis er uns von Joaquina erzählt, die er damals in Triest kennen gelernt hat. Sie arbeitete an der Rezeption der “Trattoria Nerodiseppia“ in Triest und bewirtschaftet gleichzeitigt den Seglerhafen. Wer schon mal in Triest angelegt hat, kennt diese Bar. Bei der Liegeplatzreservierung fragte sie John nach dem Schiffsnamen, worauf er sie nach ihrem Namen fragte. Er war von Joaquina echt beeindruckt, blieb noch ein paar Wochen in Triest und danach ging sie mit ihm nach Schottland, wo sie jetzt zusammenleben. Wie sich alles ändert.
Wir waren damals drei kaputte Typen, die mit der Welt nur klarkamen, wenn sie auf See waren. Ich denke, der damalige Langtörn hat uns sehr geholfen, die Schatten unserer Vergangenheit im Atlantik zu versenken.
Nach den tragischen Umständen des Todes meiner Frau, mit ihr war ich 52 Jahre zusammen, hat es das Schicksal gut mit mir gemeint. Die Enttäuschung nach dem Verrat einiger „Kameraden“ ist inzwischen auch verflogen, ich habe eine neue Liebe gefunden. Ich hoffe mit Viola meinen 100sten Geburtstag auf See feiern zu können. Dann kann mich der Teufel getrost holen, wenn er es nicht tut wer dann?
Denn in der Hölle treffe ich mit Sicherheit meine besten Kameraden und einige der wilden Mädels von damals und wir werden sicher viel Spaß haben. Am Ende meines Berichtes haben John und Erik herzlich gelacht. „Wir sind dabei,“ rufen beide wie aus einem Mund. Naja, für die Hölle sind sie noch zu jung, denke ich. Dann kommt die Frage von John, die ich erwartet habe: „Hast Du etwas von Molly gehört“. Natürlich nicht, habe sie nur zweimal in Waterford in „Jordans Bar“ zufällig getroffen, aber sie ist eine der wenigen Frauen von meinen Affären, mit der ich nicht gefrühstückt habe, ich kenne ja nicht mal ihren richtigen Namen und wo sie wohnt weiß ich also auch nicht. Aber die Stunden mit ihr bei „Jordans“ sind unvergesslich. Vielleicht sollte ich nach dem Treffen hier mal in Waterford aufkreuzen, in Jordans Bar.
So, nun haben wir vor lauter Reden das Trinken vergessen. Ich bestelle drei Gläser ehe „Bushmills“ uns die lange Pause übelnimmt, wir sind ja nicht nur zum Vergnügen hier. Sláinte.
Wir drei Albatrosse sitzen hier am Tisch in Dublin und sind dabei, unseren vorangegangenen Langtörn vor zwei Jahren zu vergolden. Sind wir im Ruhestand?
„Was bedeutet dieses Wort?“ fragt mich John scheinbar empört. Recht hat er, es gibt keine Seglerrente, schon gar nicht für uns.
„Wir könnten doch nochmal gemeinsam nach Waterford segeln. Mein Schiff ist zwar älter aber nicht schlechter geworden“, setzt John hinzu.
Nochmal einen Schlag zusammen segeln? Der Gedanke fährt mir wie ein Stromschlag in die Knochen.
Es sind ja nur knapp 100 Seemeilen, aber ein bisschen Angst um meine Erinnerung habe ich doch.
Molly ist ja auch älter geworden, denke ich, aber laut höre ich mich sagen „Ich bin einverstanden.“
Erik brummt nur etwas wie …keine Zeit …. und …Hühner füttern……Aber als er merkt, dass wir es ernst meinen, stimmt er doch noch zu. Zu allem Überfluss spielt die Band jetzt „Molly Mallon“.
Es folgt „red ist the rose“, unser Lieblingslied. So schnell wie der nächste Whiskey kommt, ist er auch weg. Mein Kopf knallt auf die Tischplatte und auch Erik ist nicht mehr ganz nüchtern. Also Ruhe im Schiff. Bruce schließt ab.
Der Hafen von Dublin am Abend
Wo kommt der Kaffeeduft her? Ich öffne ein Auge halb, dann ganz und total überrascht auch noch das andere.
Wir drei Komiker sitzen immer noch um den großen runden Holztisch unweit der Bar und Bruce stellt uns gerade Kaffeetassen hin, volle duftende heiße Tassen.
Meine beiden freunde gucken mich ganz verstört an, Restalkohol verlangsamt ihre Bewegungen, dann strahlen sie plötzlich und ich begreife, sie erinnern sich an gestern.
Nach dem Frühstück bummeln wir erstmal durch Dublin, bis dieser Schmerz im Kopf langsam weicht, von dem wir nicht wissen, woher er gekommen ist. Die Salzchips sind sicher schuld.
Jetzt gilt es das Auslaufen vorzubereiten.