Was dein Herz dir sagt - Stephanie Laurens - E-Book

Was dein Herz dir sagt E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Mit seiner aristokratischen Herkunft und seinem sprühenden Charme scheint Michael Anstruther-Wetherby eine erfolgreiche Zukunft im Parlament sicher – hätte er nur eine Ehefrau! Bald findet er die perfekte Braut, doch die wunderschöne junge Witwe Caroline Sutcliffe lehnt ab. Nun ist es an Michael, die unabhängige Caro mit allen Mitteln der Kunst zu verführen …

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 715

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Buch

Mit seiner aristokratischen Herkunft und seinem sprühenden Charme scheint Michael Anstruther-Wetherby eine erfolgreiche Zukunft im Parlament sicher – hätte er nur eine Ehefrau! Bald findet er die perfekte Braut, doch die wunderschöne junge Witwe Caroline Sutcliffe lehnt ab. Nun ist es an Michael, die unabhängige Caro mit allen Mitteln der Kunst zu verführen …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen:

Verheißungsvolle Küsse · In den Armen des Eroberers · Der Liebesschwur · Gezähmt von sanfter Hand · In den Fesseln der Liebe · Nur in deinen Armen · Nur in deinen Küssen · Küsse im Mondschein · Küsse im Morgenlicht · Verführt zur Liebe

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Stephanie Laurens

Was dein Herz dir sagt

Roman

Deutsch von Ute-Christine Geiler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »The Ideal Bride« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

Copyright der Originalausgabe © 2004 by Savdek Management Proprietory Ltd Published by Arrangement with William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers. Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkterstr. 28, 81673 München Redaktion: Sabine Wiermann Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung eines Motivs von RomanceNovelCovers.com und shutterstock.com DN · Herstellung: kw

E-Book-Produktion: VRH

ISBN: 978-3-641-25258-8V003

www.blanvalet.de

1

Ende Juni 1825

Eyeworth Manor, in der Nähe von Fritham in New Forest, Hampshire

Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau.

Michael Anstruther-Wetherby fluchte in Gedanken. Dieser Kehrvers spukte ihm seit vierundzwanzig Stunden unablässig im Kopfe herum. Als er nach Amelia Cynsters Hochzeitsfrühstück abgereist war, hatte er das Wort endlos im Klappern der Räder seiner Kutsche gehört; jetzt ertönte es im gleichmäßigen Hufschlag seines braunen Wallachs. Mit schmalen, zusammengepressten Lippen wendete er Atlas und lenkte ihn aus dem Hof bei den Stallungen auf die Auffahrt, die um sein Haus führte.

Wenn er nicht nach Cambridgeshire zu Amelias Hochzeit gefahren wäre, wäre er seinem Ziel, ein verlobter Mann zu sein, schon einen Schritt näher. Aber die Hochzeit war ein Ereignis, bei dem ihm nicht einmal auch nur der Gedanke gekommen war, es zu verpassen. Abgesehen von der Tatsache, dass seine Schwester Honoria, Herzogin of St. Ives, die Gastgeberin war, war die Hochzeit auch ein Familientreffen gewesen – und ihm war Familie sehr wichtig.

Seine Familie und die daraus erwachsenden Beziehungen hatten ihm in den vergangenen Jahren sehr geholfen, zunächst dabei, seine Stellung als Mitglied des Parlaments zu erlangen, und dann weiter dabei, sich hochzuarbeiten – doch das war nicht der entscheidende Grund für seine Wertschätzung; Familie hatte ihm einfach immer schon viel bedeutet.

Als er sein Haus umrundete, ein solide gebautes, dreistöckiges Herrenhaus aus grauem Stein, glitt sein Blick – wie stets, wenn er hier entlangkam – zu dem Gedenkstein, der sich etwa auf halbem Weg zwischen dem Haus und dem Tor befand. Vor dem dunkleren Grün der Büsche, die die Lücken zwischen den hohen Bäumen füllten, stand seit vierzehn Jahren dieser schlichte Stein. Er kennzeichnete den Punkt, wo seine Familie – seine Eltern, sein jüngerer Bruder und seine kleine Schwester, die in ihrer Kutsche während eines heftigen Sturmes nach Hause kamen – von einem umstürzenden Baum erschlagen worden war. Honoria und er hatten den Unfall aus dem Fenster des Schulzimmers hoch oben mit angesehen.

Vielleicht lag es einfach in der menschlichen Natur, das besonders zu schätzen, was man verloren hatte.

Entsetzt, in Trauer und ohne Halt, hatten Honoria und er wenigstens einander gehabt – aber er war schließlich erst knapp neunzehn gewesen und sie gerade sechzehn, sodass sie getrennte Wege gehen mussten. Sie hatten nie den Kontakt zueinander verloren – sie standen sich auch jetzt noch sehr nahe –, aber Honoria hatte mittlerweile Devil Cynster kennen gelernt; und jetzt hatte sie ihre eigene kleine Familie.

Er zügelte Atlas, als er sich dem Stein näherte, und war sich deutlich bewusst, dass es bei ihm anders war. Sein Leben war bis zum Bersten voll, seine Termine waren stets dicht gedrängt; und nur in Augenblicken wie diesen wurde ihm dieser Mangel so scharf bewusst, gestand er sich ein, dass ihn die Einsamkeit schmerzte.

Er blieb stehen, betrachtete den Stein, dann wandte er sich mit energisch vorgeschobenem Kinn ab und schnalzte mit den Zügeln. Atlas setzte sich in Bewegung; als sie das Tor passiert hatten, ließ Michael ihn auf der schmalen Landstraße in einen leichten Galopp verfallen.

Das albtraumhafte Geräusch der schreienden Kutschpferde an jenem Unglückstag verstummte allmählich in seinen Gedanken.

Heute war er entschlossen, den ersten Schritt zu machen, um eine eigene Familie zu gründen.

Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau.

Die Landschaft um ihn herum umfing ihn mit ihren üppigen grünen Armen, hieß ihn willkommen in den Wäldern und Hainen, die seine Heimat waren. Sonnenlicht flirrte, funkelte zwischen den raschelnden Blättern. Vögel sangen und zwitscherten; außer dem Rauschen des grünen Baldachins gab es sonst keine anderen Geräusche als Atlas’ Hufschlag. Schmal und gewunden führte die Straße nun von dem Herrenhaus zu einer größeren Straße, die südlich nach Lyndhurst verlief. Nicht weit von dieser Kreuzung entfernt wand sich eine weitere Straße nach Osten zum Dörfchen Bramshaw und zu Bramshaw House, dem Ziel seines heutigen Ausrittes.

Er hatte sich schon vor ein paar Monaten zu diesem Vorgehen entschlossen, aber wieder einmal hatten Regierungsangelegenheiten seine Aufmerksamkeit erfordert, und er hatte die Sache schleifen lassen … als er das merkte, hatte er sich zusammengerissen, sich hingesetzt und einen Zeitplan aufgestellt. Trotz der Ablenkung durch Amelias Hochzeit hatte er sich strikt an diesen Plan gehalten und war nach dem Hochzeitsfrühstück bald genug aufgebrochen, um herzufahren. Zu dem erforderlichen Abschluss.

Er war am frühen Nachmittag in Somersham losgefahren und hatte über Nacht bei einem Freund in Basingstoke Halt gemacht. Den Grund, weshalb er nach Hause reiste, hatte er nicht erwähnt, obwohl er schwer auf ihm lastete, seine Gedanken bestimmte. Er war an diesem Morgen recht früh wieder aufgebrochen und am späten Vormittag hier angekommen. Inzwischen war es zwei Uhr, und er war entschlossen, die Sache nicht länger aufzuschieben. Die Würfel würden fallen, und die Angelegenheit wäre – wenn auch nicht erledigt – so doch in Gang gesetzt.

Etwas mit deinem Wahlkreis?

Das könnte man so sagen.

Seine Antwort auf Amelias Frage stimmte vollkommen – in gewisser Weise. Für ein Mitglied des Parlamentes, das als Junggeselle das Alter von dreiunddreißig erreicht hatte und darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass eine Beförderung in die Regierung für ihn ins Auge gefasst worden war, war Heirat auf jeden Fall eine »Wahlkreisangelegenheit«.

Er hatte akzeptiert, dass er heiraten musste – davon war er eigentlich immer schon ausgegangen. Wie sonst sollte er zu der Familie kommen, nach der er sich sehnte? Doch die Jahre waren vergangen, und er hatte sich in seiner in Schwung kommenden Karriere verfangen. Damit, durch die Verwandtschaft zu den Cynsters und die enge Verbindung zur guten Gesellschaft war auch die Erkenntnis in ihm gewachsen, wie heikel eine Ehe sein konnte, und der Wunsch hatte nachgelassen, sich darauf einzulassen.

Jetzt dagegen war seine Zeit abgelaufen. Als das Parlament das letzte Mal vor dem Sommer zusammenkam, hatte man keinen Zweifel daran gelassen, dass der Premierminister von ihm erwartete, im Herbst mit einer Frau an seiner Seite wiederzukehren, damit er bei der Kabinettsumbildung berücksichtigt werden konnte, die allgemein erwartet wurde. Seit April hatte er aktiv nach seiner idealen Braut Ausschau gehalten.

Der Frieden der Landschaft umfing ihn. Der Kehrvers »Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau, Ehefrau« war noch da, aber er klang weniger nachdrücklich, je näher er seinem Ziel kam.

Es war einfach gewesen, die Eigenschaften und Fertigkeiten aufzuschreiben, die er sich bei seiner Braut wünschte – passables Aussehen, Loyalität und die Fähigkeit, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen, also gute Gastgeberinnenqualitäten, Intelligenz und Sinn für Humor. So ein Musterexemplar zu finden erwies sich dagegen als überaus schwer. Nachdem er Stunden in Ballsälen verbracht hatte, hatte er beschlossen, dass es besser wäre, eine Frau zu suchen, die Verständnis für das Leben eines Politikers aufbrachte – besser noch, eines erfolgreichen Politikers.

Dann hatte er Elizabeth Mollison kennen gelernt, oder besser gesagt, wieder getroffen, denn genau genommen kannte er sie schon ihr Leben lang. Ihrem Vater Geoffrey Mollison gehörte Bramshaw House, er war früher Parlamentsmitglied des Distrikts gewesen. Von dem unerwarteten Tod seiner Frau aus der Bahn geworfen, hatte Mollison seinen Rücktritt erklärt, gerade als Michael sich mit Unterstützung seines Großvaters Magnus Anstruther-Wetherby und Rückendeckung der Cynsters an die Partei gewandt hatte. Es hatte nach einem Wink des Schicksals ausgesehen. Geoffrey, ein gewissenhafter Mann, war erleichtert gewesen, die Zügel jemandem zu überlassen, den er kannte. Obwohl er und Geoffrey verschiedenen Generationen angehörten und von völlig verschiedenem Wesen waren – besonders in Bezug auf ihren Ehrgeiz –, hatte ihn der ältere Mann stets ermutigt, war immer hilfsbereit.

Er hoffte, er würde ihm auch jetzt helfen und seinen Wunsch unterstützen, Elizabeth zu heiraten.

Sie kam seiner Meinung nach seinem Ideal von einer Braut sehr nahe. Sicher, sie war noch jung – neunzehn –, aber sie war aus gutem Hause und hatte die beste Erziehung genossen. Das, was sie noch lernen müsste, würde sie sich mühelos aneignen können. Sie war eine typisch englische Schönheit mit blassblondem Haar, blauen Augen und einem zarten, hellen Teint, dazu hatte sie eine schlanke Figur, an der die gegenwärtige Mode bestens zur Geltung kam. Am wichtigsten aber war, dass sie im Hause eines Politikers aufgewachsen war. Und nachdem ihre Mutter gestorben war und ihr Vater sich aus der Politik zurückgezogen hatte, war Elizabeth in die Obhut ihrer Tante Augusta gegeben worden, Lady Cunningham, die mit einem ranghohen Diplomaten verheiratet war.

Außerdem war ihre jüngere Tante Caroline mit dem englischen Botschafter in Portugal verheiratet gewesen; Elizabeth hatte ihre Tante Caro für längere Zeit in Lissabon besucht.

Elizabeth war in den Häusern von Politikern oder Diplomaten aufgewachsen. Michael war sich ziemlich sicher, dass sie wissen würde, wie sie seinen Haushalt zu führen hatte. Und natürlich würde eine Heirat mit ihr seine Stellung vor Ort stärken. Das war durchaus von Bedeutung und nichts, was man naserümpfend beiseiteschieben durfte, bedachte man, dass er vermutlich in Zukunft viel mit internationalen Beziehungen zu tun haben würde. Eine Ehefrau, bei der man sich darauf verlassen konnte, dass sie das Feuer zu Hause nicht ausgehen ließ – sozusagen –, war wie ein Geschenk des Himmels.

In Gedanken ging er noch einmal durch, was er Geoffrey sagen wollte. Er wollte noch nicht formell um Elizabeths Hand anhalten – erst musste er sie besser kennen lernen und ihr Gelegenheit geben, ihn besser kennen zu lernen –, aber unter Berücksichtigung der Verbindung zwischen den Mollisons und ihm schien es ihm ratsam, erst einmal bei Geoffrey vorzufühlen. Es machte keinen Sinn, die Sache weiterzuverfolgen und Zeit zu investieren, wenn Elizabeths Vater Einwände hatte.

Michael bezweifelte, dass das der Fall sein würde, aber es schadete sicher nicht, vorab zu fragen und Geoffrey auf seine Seite zu ziehen. Wenn sich Elizabeth nach zwei oder drei Treffen immer noch als so freundlich und liebenswert erwies, wie sie ihm in der Stadt erschienen war, konnte er seinen Antrag machen. Dann wäre der Altar die nächste Station, noch bevor es Herbst wurde.

Sein Vorgehen war vielleicht kaltblütig, aber seiner Meinung nach war eine Ehe, die auf gegenseitiger Zuneigung beruhte, unbedingt einer Ehe vorzuziehen, die auf wilder Leidenschaft fußte.

Trotz seiner engen Verbindung mit den Cynsters zählte er sich nicht zu ihnen, wenn es um die Ehe ging; er war ein anderer Mann. Sie waren leidenschaftlich, entschlossen und übertrieben arrogant; er gab zwar zu, dass er willensstark und entschlossen war, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, seine Arroganz zu verbergen – schließlich war er Politiker und daher auch niemand, der zu wilder Leidenschaft neigte.

Kein Mann, der seinem Herz gestattete, über seinen Verstand zu regieren.

Eine schnörkellose und geradeaus geführte Ehe mit einer Frau, die seinem Ideal nahekam – das war es, was er brauchte. Er hatte diese Ansicht und besonders Elizabeth Mollison mit seinem Großvater besprochen und auch mit seiner Tante Mrs. Harriet Jennet, einer angesehenen Gastgeberin in politischen Kreisen; beide hatten seine Ansicht unterstützt, in beiden Fällen mit dem gewohnten Anstruther-Wetherby-Scharfsinn.

Harriet hatte geschnaubt. »Freut mich, dass Honoria und der Rest ihrer Familie dir nicht den Kopf verdreht haben. Die Stellung deiner Ehefrau ist zu wichtig, um die Entscheidung von der Farbe der Augen der Dame abhängig zu machen.«

Er bezweifelte, dass die Farbe der Augen einer Dame je für ein männliches Familienmitglied der Cynsters als entscheidender Faktor für eine Heirat eine Rolle gespielt hatte – andere körperliche Attribute dagegen vielleicht … aber auf jeden Fall verkniff er sich eine wie auch immer geartete Bemerkung zu diesem Punkt.

Magnus machte die eine oder andere bissige Bemerkung darüber, wie unklug es sei, zuzulassen, dass Leidenschaften das Leben bestimmen. Merkwürdigerweise hatte er, obwohl er ihn sonst fast täglich drängte, um Elizabeths Hand anzuhalten, auf Somersham bei Amelias Hochzeit die perfekte Gelegenheit dazu ungenutzt verstreichen lassen … aber es war ja auch allgemein bekannt, dass alle Hochzeiten, die auf Somersham gehalten wurden, Liebesheiraten waren. Vielleicht hatte ja das – dass die Ehe, die er im Sinn hatte, die er genau so brauchte, eben keine wäre – seinen Großvater dazu gebracht, sich weise zurückzuhalten.

Die Straße schlängelte sich weiter durch das Land; eine seltsame Unruhe wuchs in ihm, aber er hielt Atlas in einem gleichmäßigen Tempo. Vor ihm lichteten sich die Bäume, und er konnte zwischen den Stämmen und über das Unterholz hinweg die wogenden Felder sehen, die die Straße nach Lyndhurst säumten.

Ein Gefühl von Sicherheit erfasste ihn; es war der richtige Zeitpunkt für ihn, einen Schritt nach vorne zu machen und zu heiraten, eine eigene Familie hier zu gründen – die nächste Generation, um Wurzeln zu schlagen und die nächste Phase seines Lebens zu beginnen.

Vor ihm machte die Straße eine scharfe Biegung, und das dichte Unterholz und die Bäume dämpften alle Geräusche; und als das Rattern einer sich rasch nähernden Kutsche und das Dröhnen galoppierender Hufe zu hören waren, war das Gefährt fast schon bei ihm angekommen.

Er hatte gerade noch Zeit, Atlas zur Seite zu reißen, ehe ein außer Kontrolle geratener und heftig schwankender Einspänner plötzlich um die Kurve vor ihm bog.

Er raste wie der Blitz an ihm vorbei zum Herrenhaus. Leichenblass und mit verbissener Miene kämpfte eine schlanke Frau mit den Zügeln, versuchte verzweifelt, das Pferd zu bändigen.

Michael stieß eine Verwünschung aus und wendete Atlas. Er preschte dem Wagen hinterher, ehe er darüber nachdenken konnte. Dann tat er es und fluchte erneut. Ein Kutschenunfall war sein schlimmster Albtraum; die drohende Gefahr, einen weiteren mit ansehen zu müssen, bohrte sich wie eine Klinge in seine Seite. Er trieb Atlas an.

Das Gig schwankte heftig, berührte den Boden kaum; das Pferd würde bald ermüden, aber der Weg führte nur nach Eyeworth Manor – und das war nicht mehr weit.

Er war in dem Haus geboren, hatte seine ersten neunzehn Jahre dort verbracht. Er kannte jeden Zoll der Straße. Atlas war ausgeruht; daher ließ Michael die Zügel fallen und ritt nur mit Knien und Händen.

Sie holten auf, aber nicht schnell genug.

Bald schon würde der Weg zur Auffahrt werden, die in einer scharfen Biegung in dem Hof vor dem Haus endete. Das Pferd würde die Kurve nehmen, das Gig nicht. Es würde umgeworfen werden und die Lady darin würde … auf den Steinen, die die Beete einfassten, landen.

Mit einem erneuten Fluch drückte er Atlas die Fersen in die Flanken. Der große Wallach sprach darauf an, streckte seine Beine und steigerte sein Tempo, sodass sie Stück für Stück aufholten. Sie waren beinahe neben der schaukelnden Kutsche angekommen …

Das Tor passierten sie wie im Flug.

Es war nicht mehr genug Zeit.

Tief Luft holend warf sich Michael aus dem Sattel in das Gig. Er konnte sich am Sitz festhalten und zog sich darauf, griff über die Dame hinweg nach den Zügeln, zerrte fest daran.

Die Dame schrie auf und das Pferd auch.

Michael zog mit aller Kraft. Es war keine Zeit mehr – die Auffahrt war zu Ende –, um an irgendetwas anderes zu denken als daran, das Pferd anzuhalten.

Hufe rutschten, das Pferd schrie erneut, warf sich zur Seite und blieb jäh stehen. Michael packte die Bremse. Zu spät. Durch den Schwung neigte sich das Gig zur Seite – es war schieres Glück, dass es nicht umkippte.

Die Dame wurde von ihrem Sitz auf das weiche Gras geschleudert.

Michael erging es nicht besser.

Sie landete auf dem Bauch, er halb über ihr.

Einen Moment lang konnte er sich nicht rühren – konnte nicht atmen, konnte nicht denken. Viele Dinge nahm er im gleichen Augenblick wahr. Der schlanke, zarte Körper unter seinem, zierlich, aber ganz weiblich, weckte seinen Beschützerinstinkt, dicht gefolgt von Entsetzen und rasender Wut über das, was beinahe geschehen wäre, was auf dem Spiel gestanden hatte.

Dann kam die Angst, schwarz und schwindelerregend, unvernünftig und alt, dunkel und tief. Sie schwoll an, packte ihn und erstickte alles andere.

Hufe scharrten auf dem Kies – und er schaute sich um. Das Pferd stand keuchend da, versuchte zu gehen, aber das Gig, vor das es gespannt war, verhinderte das. Atlas war auf der anderen Seite des Rasens stehen geblieben und stand mit zuckenden Ohren da.

»Uff!«

Unter ihm regte sich die Dame. Mit einer Schulter lag er auf ihrem Rücken, mit den Hüften hielt er ihre Beine gefangen. Sie konnte sich nicht bewegen, wenn er es nicht tat.

Er rollte sich herum, setzte sich auf. Sein Blick fiel auf den Gedenkstein, keine zwei Schritt von ihnen entfernt.

Der Schrecken schreiender Pferde wurde in ihm wieder lebendig.

Mit vorgeschobenem Kinn erhob er sich und beobachtete mit grimmiger Miene, wie die Dame sich aufrichtete und umdrehte, sich setzte.

Er streckte ihr die Hände hin, zerrte sie ohne große Umstände auf die Füße. »Von allen dummen, hirnlosen …« Er brach ab, versuchte seine Wut zu zügeln, die der namenlosen, irrationalen Angst auf dem Fuße gefolgt war. Verlor den Kampf. Mit in die Hüften gestemmten Händen starrte er sie an. »Wenn Sie mit den Zügeln nicht umgehen können, sollten Sie nicht fahren.« Er presste die Worte hervor, kümmerte sich nicht darum, ob sie verletzten. »Sie standen kurz davor, sich ernsthaft zu verletzen – oder gar zu sterben.«

Einen Augenblick fragte er sich, ob sie taub war; sie verriet durch nichts, ob sie ihn gehört hatte.

Caroline Sutcliffe klopfte ihre Hände in den staubigen Handschuhen aneinander, dankte dem Himmel, dass sie welche angezogen hatte. Den gereizten Mann neben sich beachtete sie nicht weiter – sie hatte keine Ahnung, wer er war, denn sie hatte sein Gesicht noch nicht gesehen –, schüttelte ihre Röcke aus, nahm mit einer Grimasse die Grasflecken darauf zur Kenntnis, dann zog sie ihr Oberteil gerade und die Ärmel, ordnete den leichten Schal. Und erst dann hob sie den Kopf und den Blick.

Hoch und höher – er war größer, als sie gedacht hatte. Hatte auch breitere Schultern … sie war heftig erschrocken, als er plötzlich neben ihr im Gig aufgetaucht war, und noch mehr, als er im Gras auf ihr gelandet war. Sie verdrängte die Erinnerung daran. »Danke, Sir, wer auch immer Sie sind, für die Rettung – wie unfreundlich auch immer.« Ihr Ton hätte eine Herzogin mit Stolz erfüllt – kühl, selbstsicher und leicht hochmütig. Genau der richtige Ton für einen anmaßenden Mann. »Wie auch immer …«

Ihr Blick kam an seinem Kopf an. Sie blinzelte. Die Sonne befand sich hinter ihm und schien ihr ins Gesicht, während seines im Schatten lag.

Sie beschattete ihre Augen mit einer Hand, betrachtete ihn neugierig. Ein ausdrucksstarkes Gesicht mit einem eckigen Kinn und den kühnen Zügen ihrer Klasse. Ein Patriziergesicht mit einer hohen Stirn und geraden dunklen Augenbrauen über Augen, die ihre Erinnerung in einem weichen Blau malte. Sein Haar war dicht und dunkelbraun; die Silbersträhnen an seinen Schläfen ließen ihn nur noch distinguierter aussehen.

Es war ein Gesicht mit Charakter.

Es war das Gesicht, das zu sehen sie gekommen war.

Sie legte den Kopf schräg. »Michael? Sie sind doch Michael Anstruther-Wetherby?«

Michael starrte sie an – ein herzförmiges Gesicht, umgeben von feinem, schimmernd braunem Haar, das so weich und zart aussah wie Löwenzahnsamen, silberblaue Augen, die sich an den Enden ein wenig hoben … »Caro.« Der Name kam ihm wie von selbst über die Lippen.

Sie lächelte ihn an, ehrlich entzückt. Einen Augenblick lang stand er wie erstarrt.

Das Schreien der Pferde verstummte abrupt.

»Ja. Es ist Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben …« Ihr Blick wurde verschwommen, als sie sich erinnerte.

»Bei Camdens Beerdigung«, half er ihr aus. Ihr verstorbener Ehemann Camden Sutcliffe, eine Legende in diplomatischen Kreisen, war Botschafter Seiner Majestät in Portugal gewesen.

Caro war Sutcliffes dritte Ehefrau gewesen.

Sie blickte ihm wieder ins Gesicht. »Du hast Recht – vor zwei Jahren.«

»Ich habe dich gar nicht in der Stadt gesehen.« Allerdings hatte er von ihr gehört, das diplomatische Corps hatte sie mit dem Spitznamen »die lustige Witwe« belegt. »Wie geht es dir?«

»Sehr gut, danke. Camden war ein guter Mann, und ich vermisse ihn, aber …« Sie zuckte mit den Achseln. »Der Altersunterschied zwischen uns betrug mehr als vierzig Jahre, daher wusste ich, dass es so kommen würde.«

Das Pferd bewegte sich, zerrte ergebnislos an dem Gig mit der angezogenen Bremse. In die Gegenwart zurückgerufen, traten sie beide zu ihm; Caro nahm das Pferd am Kopf, während Michael sich daranmachte, die Zügel zu lösen, dann das Zaumzeug überprüfte. Er runzelte die Stirn. »Was ist geschehen?«

»Ich habe keine Ahnung.« Ebenfalls die Stirn runzelnd streichelte Caro dem Pferd die Nase. »Ich war auf dem Rückweg von einem Treffen der Ladies’ Association in Fordingham.«

Das Klappern von Hufen ließ sie beide zum Tor schauen. Ein weiteres Gig erschien und passierte es; die groß gewachsene Dame, die es fuhr, entdeckte sie, winkte ihnen und lenkte das Gefährt zu ihnen.

»Muriel hat darauf bestanden, dass ich an dem Treffen teilnehme – du weißt ja, wie sie ist.« Caro sprach rasch angesichts des Ratterns der näher kommenden Räder. »Sie hat mir angeboten, mich zu fahren, aber ich war der Meinung, dass, wenn ich schon so weit fahre, ich das gleich mit einem Besuch bei Lady Kirkwright verbinden könnte. Daher bin ich früher hingefahren, war bei dem Treffen, und Muriel und ich sind dann hintereinander zurückgefahren.«

Michael verstand, was sie nicht aussprach. Muriel war Camdens Nichte, Caros angeheiratete Nichte, obwohl Muriel sieben Jahre älter war. Sie hatte ihre Kindheit auch in Bramshaw verbracht, aber anders als sie beide war Muriel nie von hier weggegangen. Geboren und aufgewachsen auf Sutcliffe Hall am anderen Ende des Dorfes, wohnte sie nun in der Dorfmitte in Hedderwick House, dem Anwesen ihres Gatten, einen Steinwurf von Bramshaw House entfernt, das Caros Familie gehörte.

Außerdem hatte Muriel die Führung der Pfarrei an sich gerissen, eine Rolle, die sie nun schon seit Jahren wahrnahm. Obwohl sie oft anmaßend war, nahmen das alle hin, einfach, weil sie eine notwendige Aufgabe gut erledigte.

Gekonnt schwungvoll bog Muriel auf den Hof ein und brachte ihren Einspänner zum Stehen. Sie sah auf eine herbe Art und Weise gut aus, war unleugbar elegant mit ihrer tadellosen Haltung und ihrem dunklen Haar.

Sie starrte Caro an. »Gütiger Himmel, Caro! – Hast du umgeworfen? Du hast auf deinem Kleid überall Grasflecken. Geht es dir gut?« Ihre Stimme war schwach, als könnte sie ihren Augen nicht ganz trauen. »So, wie du losgerast bist, hätte ich nie gedacht, du könntest Henry zügeln.«

»Habe ich auch nicht.« Caro winkte zu Michael hinüber. »Glücklicherweise befand sich Michael auf einem Ausritt – er ist todesmutig in das Gig gesprungen und hat das Notwendige getan.«

Michael fing ihren Blick auf, sah darin das unterschwellige, dankbare Lächeln. Es gelang ihm nur mit Mühe, es nicht zu erwidern.

»Dem Himmel sei Dank dafür.« Muriel drehte sich zu ihm um, nickte zum Gruß. »Michael – ich wusste gar nicht, dass du wieder hier bist.«

»Ich bin erst heute Vormittag angekommen. Hast du eine Ahnung, weswegen Henry durchgegangen ist? Ich habe die Zügel und das Zaumzeug überprüft – es scheint keinen offensichtlichen Grund zu geben.«

Muriel betrachtete das Pferd mit gerunzelter Stirn. »Nein. Caro und ich fuhren zusammen nach Hause, dann bog Caro in den Weg zu deinem Haus ab und winkte. Sie war erst ein kurzes Stück gefahren, als Henry scheute, und dann …« – Muriel gestikulierte – »ging er durch.« Sie blickte zu Caro.

Die nickte. »Ja, genau so ist es gewesen.« Sie streichelte Henry die Nase. »Was merkwürdig ist, denn gewöhnlich ist er ganz sanftmütig. Ich fahre immer mit ihm, wenn ich zu Hause bin.«

»Das nächste Mal jedenfalls, wenn wir ein Treffen in Fordingham haben, nehme ich dich mit, darauf kannst du dich verlassen.« Muriel riss die Augen auf. »Ich hatte beinahe einen Herzanfall – ich glaubte schon, dich blutig und mit gebrochenen Gliedern vorzufinden.«

Caro antwortete darauf nicht direkt. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn, während sie Henry studierte. »Etwas muss ihn erschreckt haben.«

»Vielleicht ein Hirsch oder ein anderes Wildtier?« Muriel fasste die Zügel fester. »Die Büsche sind so dicht entlang der Straße, es ist unmöglich, zu sehen, was dahinter vielleicht lauert.«

»Stimmt.« Caro nickte. »Aber Henry hätte es gewusst.«

»Allerdings. Aber jetzt bist du ja in Sicherheit, und ich muss weiter.« Muriel schaute zu Michael. »Wir haben die Planung des Pfarrfestes besprochen; es ist viel zu tun. Ich nehme an, du kommst?«

Er lächelte ungezwungen. »Natürlich.« Er machte sich im Geiste eine Notiz, in Erfahrung zu bringen, wann das sein würde. »Grüße bitte Hedderwick von mir und auch George, wenn du ihn siehst.«

Muriel neigte den Kopf. »Ich werde es ausrichten.« Sie nickte auch Caro gnädig zu, dann schaute sie bedeutungsvoll auf Caros Gig, das die Ausfahrt blockierte.

Michael sah zu Caro. »Wir wollen Henry zu den Ställen bringen; da lassen wir ihn von Hardacre untersuchen und sehen, ob er etwas entdeckt, das für sein Durchgehen verantwortlich ist.«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag.« Caro wartete, während er sich vorbeugte und die Bremse des Einspänners löste, dann winkte sie noch einmal Muriel und führte Henry hinters Haus.

Michael überprüfte rasch, ob das Gig Schaden genommen hatte und die Räder ungehindert rollten. Nachdem es vom Hof gefahren war, drehte er sich zu Muriel um, hob grüßend eine Hand. Mit einem königlichen Nicken wendete sie und lenkte ihre Kutsche über die Auffahrt zum Tor. Er wandte sich ab.

Atlas stand immer noch geduldig da. Michael schnippte mit den Fingern, und der Braune trottete näher. Er fasste die Zügel, wickelte sie sich um eine Hand und folgte Caro mit langen Schritten, um sie rasch einzuholen. Auf Henrys anderer Seite angekommen, schaute er zu Caro, betrachtete die Seite ihres Gesichtes, die er über den Hals des Tieres hinweg sehen konnte. Ihr Haar schimmerte im Sonnenlicht, völlig unmodern, aber es sah so weich aus, dass es förmlich darum flehte, berührt zu werden. »Verbringst du den Sommer in Bramshaw House?«

Sie blickte ihn an. »Für den Augenblick.« Sie tätschelte Henry. »Ich wandere zwischen Geoffrey hier, Augusta in Derby und Angela in Berkshire hin und her. Ich habe zwar das Haus in London, aber ich habe es noch nicht wieder geöffnet.«

Er nickte. Geoffrey war ihr Bruder, Augusta und Angela ihre Schwestern. Caro war das Nesthäkchen, um viele Jahre jünger als ihre Geschwister. Er blickte sie wieder an; sie murmelte Henry etwas Beschwichtigendes zu.

Er fühlte sich immer noch merkwürdig desorientiert, als wäre er leicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Und das hatte mit ihr zu tun. Als sie sich vor zwei Jahren kurz getroffen hatten, war sie frisch verwitwet gewesen, hatte tiefe Trauer und dichte Schleier getragen; sie hatten ein paar Worte gewechselt, aber er hatte sie weder gesehen noch sich mit ihr wirklich unterhalten. Davor hatte sie bestimmt fast zehn Jahre in Lissabon gelebt; er hatte sie ab und zu flüchtig in Ballsälen erspäht und ihren Weg gekreuzt, wenn sie mit Camden zu Besuch in London war, aber mehr als die üblichen gesellschaftlichen Belanglosigkeiten hatten sie nie dabei ausgetauscht.

Zwischen ihnen lagen nur fünf Jahre, aber obwohl sie sich seit ihrer Kindheit kannten und beide in der Abgeschiedenheit von New Forest ihre Jugend verbracht hatten, kannte er sie im Grunde genommen nicht wirklich.

Und gewiss nicht die selbstsichere, elegante Dame, die sie geworden war.

Sie schaute ihn an – ertappte ihn dabei, wie er sie anschaute – und lächelte, als wären sie beide gleichermaßen neugierig auf den anderen.

Der Wunsch, diese Neugier zu befriedigen, wuchs.

Sie schaute nach vorne. Er folgte ihrem Blick. Von dem Knirschen der Kutschenräder auf dem gekiesten Weg aus den Ställen gerufen, erschien Hardacre, der Stallmeister. Michael winkte ihn zu sich; Hardacre kam vor, verneigte sich artig vor Caro, die seinen Gruß erwiderte, indem sie seinen Namen nannte und ihn anlächelte. Während sie das Gig auf den Hof brachten, berichteten sie und Michael, was geschehen war.

Mit zusammengezogenen Brauen und erfahrenem Blick musterte Hardacre Pferd und Gefährt, dann kratzte er sich seinen kahlen Kopf. »Am besten lassen Sie ihn eine Stunde oder so hier – ich schirre ihn ab und untersuche ihn gründlich, schaue nach, ob es ein Problem gibt.«

Michael blickte zu Caro. »Hast du es eilig? Ich könnte dir ein Gig leihen, wenn du nach Hause musst.«

»Nein, nein.« Sie winkte ab, lächelte dankbar über das Angebot. »Eine Stunde Ruhe wäre mir höchst willkommen.«

Er bemächtigte sich fürsorglich ihres Armes, fragte: »Hättest du gerne etwas Tee?«

»Das wäre herrlich.« Caro lächelte erfreut, während er sich ihre Hand auf den Arm legte. Mit einem Nicken zu Hardacre ließ sie sich von Michael zum Haus führen. Ihre Nerven hatten sich noch nicht beruhigt, was kaum überraschend war, aber allmählich verging der Schreck doch, sich plötzlich in einer Kutsche hinter einem durchgehenden Pferd wiederzufinden – wer hätte ahnen können, dass die Beinahe-Katastrophe ein so gutes Ende nehmen würde? »Ist Mrs. Entwhistle immer noch deine Haushälterin?«

»Ja. In der Dienerschaft hat es schon seit Jahren keine Veränderung mehr gegeben.«

Sie blickte zu dem steinernen Gebäude mit dem Giebeldach und den Dachgauben. Sie gingen durch einen Obstgarten, in dem der gefleckte Schatten süß nach reifenden Früchten duftete. Zwischen den Obstbäumen und der Hintertür lag ein weitläufiger Kräutergarten, den ein Weg aus Ziegelsteinen teilte; links davon befand sich hinter einem niedrigen Mäuerchen der Küchengarten. »Aber das ist es doch, was uns immer wieder herzieht, nicht wahr?« Sie schaute ihn an, fing seinen Blick auf.

»Dass die Dinge tröstlich gleich bleiben.«

Er hielt ihren Blick einen Moment. »Ich hatte nicht wirklich darüber nachgedacht … aber du hast Recht.« Er blieb stehen, damit sie ihm auf dem schmalen Weg vorausgehen konnte. »Wirst du länger in Bramshaw bleiben?«

Sie lächelte breit, wusste, dass er es nicht sehen konnte, weil er hinter ihr ging. »Ich bin gerade erst angekommen.« Als Antwort auf einen verzweifelten Brief ihrer Nichte Elizabeth. Sie sah ihn über ihre Schulter an. »Ich gedenke ein paar Wochen zu bleiben.«

Sie erreichten die Hintertür; Michael lehnte sich an ihr vorbei, um sie für sie zu öffnen, sich dabei ihrer überdeutlich bewusst – ihrer allein. Als er ihr in den dämmerigen Flur folgte und ihr den Weg zum Empfangssalon zeigte, fiel ihm auf, dass sie nicht nur einfach weiblich war, sondern ganz Frau. Wie sie seine Sinne mit Beschlag belegte, mit ihrer schlanken und doch wohlgerundeten Figur in dem dünnen Musselinkleid!

An dem Kleid war nichts ungewöhnlich; es war Caro selbst, die anders war, ungewöhnlich in mehr als einer Weise.

Ihr in den Empfangssalon folgend, zog er an der Klingelschnur. Als das Dienstmädchen Gladys erschien, bestellte er Tee.

Caro war zu den bodenlangen Fenstern am anderen Ende des Zimmers geschlendert; sie lächelte Gladys an, die knickste und ging, dann sah sie zu ihm. »Es ist ein so reizender Nachmittag – wollen wir uns nicht lieber auf die Terrasse in den Sonnenschein setzen?«

»Warum nicht?« Er trat neben sie und öffnete die französischen Fenster weit. Er ging hinter ihr auf die Terrasse, wo ein schmiedeeiserner Tisch und zwei Stühle genau so standen, dass man den Sonnenschein und die Aussicht auf die angelegten Gärten genießen konnte.

Er rückte ihr den Stuhl zurecht, dann ging er um den Tisch herum und setzte sich auf den anderen. In ihren Augen stand eine Frage, als sie ihn anblickte.

»Ich kann mich nicht mehr erinnern, hast du eigentlich einen Butler?«

»Nein. Wir hatten vor Jahren mal einen, aber das Haus war eine ganze Weile geschlossen, und er ist weitergezogen.« Er schnitt eine Grimasse. »Ich vermute, ich muss mich nach einem umsehen.«

Ihre Brauen hoben sich. »In der Tat.« Ihre Miene verriet deutlich, dass ein Politiker auf jeden Fall einen Butler haben sollte. »Aber wenn du schnell bist, wirst du nicht lange suchen müssen.«

Er sah sie fragend an; sie lächelte. »Erinnerst du dich noch an Jeb Carter? Er hat Fritham Village verlassen, um unter der Ägide seines Onkels in London den Beruf des Butlers zu erlernen. Er hat seine Sache wohl ausgezeichnet gemacht, hielt aber Ausschau nach einer Stelle mehr in der Nähe hier, um sich besser um seine Mutter kümmern zu können. Muriel war mal wieder auf der Suche nach einem und hat ihn angestellt. Unheilvollerweise gelang es Carter wie auch vielen vor ihm nicht, Muriels hohen Ansprüchen zu genügen, sodass sie ihn entlassen hat. Das war erst gestern – zurzeit wohnt er bei seiner Mutter.«

»Verstehe.« Er blickte ihr in die Augen, hoffte, die Botschaft in dem Silberblau richtig gelesen zu haben. »Du meinst also, ich sollte ihn anstellen?«

Sie lächelte ihr rasches, beipflichtendes und herzliches Lächeln. »Ich denke, du solltest mit ihm reden und sehen, ob er der Richtige für dich wäre. Du kennst ihn und seine Familie – er ist grundehrlich, und alle Carters sind gute Arbeiter.«

Er nickte. »Ich schicke eine Nachricht.«

»Nein.« Der Tadel war sanft, aber unverkennbar. »Geh zu ihm. Schau im Vorbeifahren hinein.«

Er fing ihren Blick auf, nickte. Es gab nicht viele, deren Ratschläge er ohne weitere Prüfung annehmen würde, aber Caros Rat in solchen Sachen war über jeden Zweifel erhaben. Sie war, genau genommen, die perfekte Wahl – die unanfechtbar am besten dazu geeignete Person –, um sie auszuhorchen wegen seiner Werbung um Elizabeth, ihre Nichte.

Der Tee wurde von Mrs. Entwhistle persönlich gebracht, die unverkennbar gekommen war, um Caro zu sehen. Die nahm ihre Berühmtheit gelassen hin; er beobachtete, wie sie all die richtigen Dinge sagte, sich nach Mrs. Entwhistles Sohn erkundigte, ihr zu den zarten Windbeuteln gratulierte, die auf einem Teller angerichtet waren. Mrs. Entwhistle strahlte vor Stolz und zog sich zurück, durch und durch erfreut.

Während Caro einschenkte, überlegte Michael, ob sie das absichtlich tat oder doch unbewusst, ob es aus Berechnung geschah oder einfach ihr Wesen war. Dann reichte sie ihm seine Tasse und lächelte, und er entschied, dass ihr Verhalten zwar vielleicht früher erlernt worden, ihr inzwischen aber in Fleisch und Blut übergegangen war. Vollkommen spontan war.

Sie war einfach so.

Während sie Tee tranken und Kuchen aßen – sie knabberte, er biss herzhaft zu –, sprachen sie über gemeinsame Bekannte. Sie bewegten sich in denselben Kreisen, hatten beide beste Verbindungen in der Welt der Diplomatie und der Politik; die Unterhaltung im Gange zu halten war nicht schwer.

Das Wissen, wie man höfliche Konversation betrieb, war ihnen sehr vertraut, ein Können, das ihrer Erfahrung zuzuschreiben war. Alles in allem musste er sich vor ihr verneigen; ihre Bemerkungen bewiesen ein Einfühlungsvermögen für Menschen und ihre Reaktionen, das sein eigenes überstieg. Es ging tiefer und war genauer, was ihre Motive anging.

Im Sonnenschein zu sitzen war angenehm. Er betrachtete sie, während sie Informationen austauschten – sie strahlte Zuversicht und Selbstsicherheit aus, nicht so, dass es glitzerte und gleißte, sondern auf eine ruhige und stetige Weise.

Sie war zu einer bemerkenswert gelassenen Frau herangewachsen, die mühelos ein Gefühl von Frieden verbreitete.

Ihm fiel ein, dass inzwischen einige Zeit vergangen sein musste – ohne dass es ihm lang erschienen war. Er stellte seine Tasse ab. »Also, was sind deine Pläne?«

Sie erwiderte seinen Blick, dann öffnete sie ihre Augen weit. »Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher.« Da war ein Anflug von Geringschätzung in ihrem Ton, Selbstbelustigung. »Ich bin während des Trauerjahres viele Monate lang gereist, daher habe ich meine Reiselust zur Genüge befriedigt. Ich habe dieses Jahr an der Saison teilgenommen – es war schön, alte Freunde wiederzutreffen, Bekanntschaften aufzufrischen, aber …« Sie schnitt eine Grimasse. »Das ist aber keine lebensfüllende Aufgabe. Ich bin einige Zeit bei Angela geblieben – ich weiß immer noch nicht, was ich mit dem Haus anfangen soll, ob ich es wieder öffnen und dort leben möchte, vielleicht Hof halten wie eine Königin mit einem literarischen Zirkel, oder vielleicht verschreibe ich mich auch guten Werken …« Ihre Mundwinkel hoben sich, ihr Blick wirkte belustigt. »Kannst du dir vorstellen, wie ich irgendetwas davon tue?«

Das Silberblau ihrer Augen schien vielschichtig – offen, aber mit faszinierenden Tiefen. »Nein.« Er betrachtete sie nachdenklich, wie sie gelassen auf seiner Terrasse saß; er konnte sie sich nicht als irgendetwas anderes vorstellen, als sie gewesen war: die Frau eines Botschafters. »Ich denke, du solltest wohltätige Werke Muriel überlassen, und Hof zu halten würde dich zu sehr einschränken.«

Sie lachte, ein goldener Laut, der zu dem goldenen Nachmittag passte. »Du sprichst wie ein Politiker.« Das sagte sie bewundernd. »Aber genug von mir – was ist mit dir? Warst du dieses Jahr zur Saison in London?«

Das war der Aufhänger, auf den er gewartet hatte; er verzog seine Lippen zu einem trockenen Lächeln. »Ja, aber verschiedene Komitees und Gesetzesvorhaben erwiesen sich als wesentlich zeitraubender als gedacht.« Er führte das näher aus, ließ sich von ihr bereitwillig Informationen entlocken, sich selbst ein Bild von seinem Leben machen – und zu dem Schluss kommen, dass er eine Frau brauchte. Sie war zu klug, als dass er es aussprechen musste; sie würde es sehen und da sein, um es zu erklären, Elizabeth beruhigen, wenn es an der Zeit wäre.

Es war überaus angenehm, mit jemandem zu sprechen, der seine Welt kannte, die feinen Nuancen verstand. Caros Miene zu beobachten war ein Genuss – die verschiedenen Gesichtsausdrücke zu sehen, die über ihre Züge glitten, ihre Gesten, die so elegant und anmutig waren, ihre Intelligenz und den Humor in ihren Augen.

Caro war es ebenfalls zufrieden, aber während er sie beobachtete, beobachtete sie ihn im Gegenzug und wartete.

Schließlich fing er ihren Blick auf und fragte schlicht: »Warum warst du auf dem Weg hierher?«

Die schmale Straße führte zu seinem Haus – und sonst nirgendwohin. Das wussten sie beide.

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Danke, dass du mich daran erinnerst. Bei dem ganzen Erzählen habe ich es ganz vergessen, aber es passt eigentlich gut dazu.«

Sich mit den Unterarmen auf den Tisch stützend sandte sie ihm einen verführerisch bittenden Blick. »Wie schon gesagt, ich bin zurzeit bei Geoffrey zu Besuch, aber alte Gewohnheiten kann man nur schwer ablegen. Ich kenne eine Reihe von Leuten aus den verschiedenen Ministerien und Botschaften, die den Sommer in der Nachbarschaft verbringen – und da habe ich für heute Abend ein Dinner arrangiert, aber …« Sie ließ ihr Lächeln reuig werden. »Ich habe einen Herrn zu wenig. Ich bin gekommen, dich mit der Bitte zu überfallen, mir auszuhelfen – du wirst am besten verstehen können, wie wichtig es für meinen Seelenfrieden ist, dass die Zahl der weiblichen und männlichen Gäste ausgeglichen ist.«

Er war bezaubert und musste lachen.

»Nun«, trug sie rücksichtslos noch stärker auf, »wir haben eine kleine Gruppe aus der portugiesischen Botschaft und drei Gäste aus der österreichischen und …« Sie fuhr fort, ihm ihre Gästeliste aufzuzählen; kein Politiker, der etwas auf sich hielt, würde der Versuchung widerstehen können, sich unter diese Menschen zu mischen.

Er tat gar nicht erst so, als hätte er vor abzulehnen, sondern lächelte nur freundlich. »Es ist mir eine Freude, dir behilflich zu sein.«

»Danke.« Sie schenkte ihm ihr allerbestes Lächeln; sie war vielleicht ein wenig aus der Übung, aber es schien immer noch zu funktionieren.

Ein Rattern und Hufschlag auf der kiesbestreuten Auffahrt erreichten sie; sie schauten beide hin, dann erhoben sie sich, als Hardacre Henry, der wieder vor ihr Gig gespannt war, um die Hausecke führte.

Hardacre sah sie und verbeugte sich kurz. »Er scheint mir jetzt wieder ganz in Ordnung zu sein – Sie dürften keine Schwierigkeiten mehr mit ihm haben.«

Caro hob ihr Retikül auf und ging um den Tisch herum. Michael nahm ihren Arm und geleitete sie die Terrassenstufen hinunter. Sie dankte Hardacre und gestattete Michael dann, ihr auf den Sitz zu helfen. Sie ergriff die Zügel und lächelte ihn an. »Um acht Uhr dann – ich verspreche dir, du wirst dich nicht langweilen.«

»Da bin ich mir sicher.« Michael hob zum Abschied eine Hand und trat zurück.

Sie schnalzte mit den Zügeln, und Henry gehorchte; schwungvoll fuhr sie über die Auffahrt.

Michael schaute ihr nach – und wunderte sich, woher sie gewusst hatte, dass er hier war, um ihn um Hilfe zu bitten. Heute war das erste Mal seit Monaten, dass er zu Hause war, aber … einfach nur Glück? Oder – berücksichtigte man, dass es sich um Caro handelte – sorgfältige Planung?

Neben ihm räusperte sich Hardacre. »Vor Mrs. Sutcliffe wollte ich nichts sagen – hätte keinen Sinn. Aber das Pferd …«

Michael sah ihn an. »Was ist damit?«

»Ich schätze, der Grund für das Durchgehen sind Steinchen, die ihn getroffen haben. Ich habe drei wunde Stellen auf seiner linken Hinterseite gefunden, die aussehen, als ob jemand mit einer Steinschleuder auf ihn geschossen hätte.«

Eine steile Falte erschien auf Michaels Stirn. »Lausbuben? War es nur ein Streich?«

»Ein gefährlicher, wenn es so wäre, und ich muss sagen, ich glaube nicht, dass es einen Jungen hier gibt, der so einfältig und leichtsinnig wäre.«

Hardacre hatte Recht, alle Menschen hier lebten mit Pferden – sie würden wissen, was wahrscheinlich nach einer solchen Dummheit geschehen würde. »Vielleicht sind Besucher aus London in der Gegend. Burschen, die es nicht wissen.«

»Ja, das wäre schon möglich«, räumte Hardacre ein. »Aber egal, ich kann mir nicht vorstellen, dass es wieder geschehen könnte, wenigstens nicht Mrs. Sutcliffe.«

»Nein, in der Tat. Das wäre, als ob der Blitz zweimal an derselben Stelle einschlüge.«

Hardacre entfernte sich wieder in Richtung der Stallungen, während Michael noch eine ganze Minute dastand und auf die Auffahrt schaute, ehe er sich umdrehte und wieder die Stufen zur Terrasse hinaufstieg.

Es war jetzt zu spät, um noch bei Geoffrey Mollison vorzusprechen, besonders wenn der Haushalt voll und ganz mit den Vorbereitungen für Caros Dinnergesellschaft beschäftigt war. Und da er daran teilnehmen und Geoffrey später ohnehin sehen würde, war ein Ritt nach Bramshaw House nun völlig überflüssig.

Doch seine Ungeduld hatte nachgelassen; er war geneigt, Caros Gesellschaft als günstige Gelegenheit zu betrachten statt als Verzögerung seines Vorhabens. So ein Ereignis wäre bestens geeignet, um seine Erinnerung an Elizabeth und seine Bekanntschaft mit ihr aufzufrischen und zu vertiefen.

Dankbarkeit für Caro wallte in ihm auf, während er ins Haus ging – er musste seine formelle Abendkleidung auspacken.

»Der Feind ist gestellt! Unsere Kampagne hat begonnen.« Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen ließ sich Caro in einen chintzbezogenen Lehnstuhl im Privatsalon der Familie in Bramshaw House fallen.

»Ja, aber wird es auch gelingen?« Auf einer Chaise hockend, bildhübsch anzusehen in ihrem rüschenverzierten Kleid aus gemustertem Musselin und mit ihrem blonden, im Nacken zu einem Knoten aufgesteckten Haar, musterte Elizabeth sie aus ihren blauen Augen gleichzeitig misstrauisch, hoffnungsvoll und beklommen.

»Natürlich wird es das!« Caro drehte sich zu dem einzigen anderen Anwesenden im Salon um, ihrem Sekretär Edward Campbell, der neben Elizabeth auf der Chaise saß. Er war ein nüchterner, ernster und zuverlässiger Gentleman von dreiundzwanzig Jahren – man hätte es ihm auf den ersten Blick nicht zugetraut, dass er der Mann war, der Elizabeth im Sturm erobern könnte. Aber der Anschein trog oft, wie Caro selbst nur zu gut wusste.

Sie ließ ihr Lächeln verblassen und erwiderte Edwards Blick. »Ich versichere dir: Wenn ein Gentleman wie Michael Anstruther-Wetherby es sich in den Kopf setzt, dass du die ideale Kandidatin für die Stellung als seine Frau bist, ist der einzige Weg, das zu vermeiden, ihn davon zu überzeugen, dass er sich getäuscht hat, ehe er seinen Antrag macht. Nur so kann es gelingen, ohne das Wort ›nein‹ laut aussprechen zu müssen. Und nur so lässt sich vermeiden, dass – daran brauchst du in dem Fall nicht zu zweifeln – Druck auf dich ausgeübt würde.«

Obwohl die Worte nur für Elizabeth bestimmt waren, fuhr sie fort, Edward anzuschauen. Wenn die beiden nicht felsenfest davon überzeugt waren, dass sie zusammengehörten, wollte sie es wissen, und zwar jetzt.

Bis vor fünf Tagen war sie glücklich und zufrieden in Derbyshire bei ihrer Schwester Augusta gewesen und hatte geglaubt, sie würde den ganzen Sommer dort verbringen. Zwei dringende Nachrichten von Elizabeth hatten sie unverzüglich über London hergebracht.

Elizabeth hatte geschrieben, am Rande der Panik, weil sie fürchtete, dass Michael Anstruther-Wetherby ihr einen Heiratsantrag machen wollte. Caro hatte das nicht geglaubt – sie wusste, wie alt Michael war und in welchen Kreisen er verkehrte –, aber Elizabeth hatte ein Gespräch mit ihrem Vater wiedergegeben, in dem Geoffrey, nachdem er sich versichert hatte, dass sie während ihres Aufenthaltes in London für keinen besonderen Herrn eine Zuneigung entwickelt hatte, begonnen hatte, Michaels Lob in den höchsten Tönen zu singen.

Das – Caro hatte es zugeben müssen – klang sehr verdächtig. Nicht etwa, weil Michael nicht sonderlich lobenswert wäre, sondern weil Geoffrey sich die Mühe machte, darauf hinzuweisen.

Edward hatte ebenfalls an Elizabeths richtiger Einschätzung der Lage gezweifelt, bis er, als sie ihre Reise in London unterbrachen, bei verschiedenen Freunden vorbeigeschaut hatte – wie er Sekretäre oder Adjutanten der politisch Mächtigen. Was er da erfahren hatte, brachte ihn blass und angespannt nach Hause. Man flüsterte sich zu, dass Michael Anstruther-Wetherby für eine Position im Kabinett vorgesehen war; sein einziges Manko war sein Junggesellenstatus, und es hieß, es sei ihm nahegelegt worden, daran bis zum Herbst etwas zu ändern.

Caro hatte einen weiteren Tag in der Stadt verbracht, lang genug, um Michaels beeindruckender Tante Harriet Jennet einen Morgenbesuch abzustatten. Sie hatten von politischer zu diplomatischer Gastgeberin miteinander gesprochen; Caro hatte noch nicht einmal das Thema ansprechen müssen – Harriet hatte die günstige Gelegenheit ergriffen, ein Wort in ihr Ohr fallen zu lassen, das sich mit Michaels Interesse an Elizabeth beschäftigte.

Das war mehr Bestätigung als nötig gewesen. Die Lage war in der Tat so ernst, wie Elizabeth es befürchtet hatte.

Caro richtete ihren Blick auf ihre Nichte. Sie selbst war eine Diplomatenbraut gewesen, eine junge, unschuldige Siebzehnjährige, die dem Charme und den schmeichelhaften Aufmerksamkeiten eines älteren – in ihrem Falle sogar wesentlich älteren – Mannes erlegen war. Sie hatte zugegebenerweise niemand anderem ihr Herz geschenkt, aber um nichts in der Welt würde sie irgendeinem anderen jungen Mädchen eine solche Ehe wünschen.

Obwohl sie selbst nie diese Liebe gekannt hatte, galt ihr Mitgefühl Edward und Elizabeth. Schließlich hatten sie sich in ihrem Hause in Lissabon kennen gelernt; sie hatte sie nie ermutigt, aber das schloss ihrer Ansicht nach auch ein, dass sie ihnen keine Steine in den Weg legen würde. Wenn Liebe sein sollte, dann war es so, und in diesem Fall war sie tatsächlich gewachsen. Sie waren mehr als drei Jahre standhaft in ihrer Zuneigung geblieben, und keiner von beiden ließ Anzeichen erkennen, dass ihre Liebe ins Wanken geriet.

Sie hatte schon überlegt, was sie tun könnte, um Edwards Karriere voranzutreiben, wenigstens so weit, dass er um Elizabeths Hand anhalten konnte. Das war allerdings keine Sache von Tagen und im Moment nicht länger wichtig. Um Michaels drohenden Antrag mussten sie sich erst kümmern. Jetzt – sofort.

»Du musst verstehen«, erklärte sie, »dass, nachdem Michael erst einmal um dich angehalten hat, es wesentlich schwerer wird, ihn dazu zu bewegen, einen Rückzieher zu machen, und auch für dich wird es schwieriger, da du nun einmal so liebenswürdig und freundlich bist, eben die Tochter deines Vaters, ihn abzulehnen. Das klügste Vorgehen für uns besteht daher darin, dafür zu sorgen, dass er gar nicht erst einen Antrag macht, und dazu müssen wir Michaels Meinung ändern.«

Mit ernsten braunen Augen sah Edward Elizabeth an. »Dem stimme ich zu. Das ist bei weitem der beste Weg – und der am meisten Erfolg versprechende, der Weg, auf dem am wenigsten Porzellan zerschlagen wird.«

Elizabeth blickte ihm in die Augen, dann zu Caro. Sie seufzte. »Nun gut. Ich gebe mich geschlagen, ihr habt Recht. Also, was muss ich tun?«

Caro lächelte ihr ermutigend zu. »Heute Nacht müssen wir uns darauf konzentrieren, den Zweifel in ihm zu säen, ob du überhaupt geeignet bist. Wir müssen ihn nicht abstoßen, sondern ihn einfach dazu bringen, innezuhalten und noch einmal darüber nachzudenken. Was auch immer uns einfällt, aber keinesfalls zu offensichtlich oder übertrieben.«

Während sie im Geiste die Möglichkeiten durchging, kniff sie die Augen zusammen. »Der Schlüssel, um bei einem Mann wie Michael Anstruther-Wetherby ein Umdenken auszulösen, besteht darin, immer subtil und umsichtig vorzugehen.«

2

Um zehn Minuten nach acht Uhr an diesem Abend stieg Michael die Stufen von Bramshaw House empor. Der Butler Catten kannte ihn gut; er führte ihn zu dem offiziellen Empfangssalon und kündigte ihn an, dann trat er ehrerbietig zur Seite. Michael betrat den langen Raum, gerade als eine Pause in den Unterhaltungen entstand, lächelte liebenswürdig, als man sich zu ihm umdrehte, ihn musterte.

Caro, die bei einer Gruppe am Kamin stand, sah ihn. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und wartete, bis sie sich von ihren Gästen löste und mit leise raschelnden Röcken aus austernfarbener Seide zu ihm kam, um ihn zu begrüßen.

»Mein Retter!« Lächelnd reichte sie ihm die Hand; als er sie losließ, drehte sie sich um und hakte sich bei ihm unter. Neben ihm stehend betrachtete sie die Gäste. »Ich nehme an, du kennst die meisten bereits, aber ich bezweifle, dass du schon die Vertreter der portugiesischen Botschaft getroffen hast.« Sie warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Sollen wir?«

»Aber sicher.« Er erlaubte ihr, ihn zu der Gruppe zu geleiten, die sie gerade verlassen hatte.

Sie beugte sich vor, murmelte ihm zu: »Der Botschafter und seine Frau weilen in Brighton, aber die beiden Paare hier sind beinahe einflussreicher.«

Sie lächelte, als sie stehen blieben. »Der Herzog und die Herzogin von Oporto.« Mit einer Geste wies sie auf einen dunklen Herrn mit einem hageren Gesicht und eine hochgewachsene, ebenso dunkle und hochmütige ältere Dame. »Der Graf und die Gräfin von Albufeira.« Ein weiterer dunkelhaariger Gentleman, der aber ganz anders als der erste aussah – ein untersetzter Mann mit blitzenden Augen und einer Gesichtsfarbe, die verriet, dass er den Wein liebte – und eine gut aussehende, aber ernst wirkende Dame mit braunem Haar. »Und dies ist Ferdinand Leponte, der Neffe des Grafen. Erlauben Sie mir, Ihnen Michael Anstruther-Wetherby vorzustellen. Michael ist Mitglied im Parlament für unseren Wahlkreis hier.«

Die Herren verbeugten sich, höfliche Begrüßungsfloskeln wurden gewechselt. Caro ließ Michael los und berührte den Arm des Herzogs. »Ich denke, es wäre gut, wenn Sie beide sich ein wenig kennen lernen.« Mit strahlenden Augen blickte sie zu Michael. »Ich habe es flüstern gehört, dass Mr. Anstruther-Wetherby in Zukunft mehr Zeit in unseren diplomatischen Kreisen verbringen wird, mehr jedenfalls als in den rein politischen.«

Er erwiderte ihren Blick, zog eine Augenbraue hoch, nicht wirklich überzeugt, dass sie die Gerüchte schon gehört hatte. Vorhin hatte sie sich jedenfalls nichts anmerken lassen.

Sein Schweigen als Bestätigung nehmend, verwickelte ihn der Graf sogleich in ein Gespräch, und innerhalb weniger Minuten hatte auch der Herzog sich daran beteiligt. Auch ihre Frauen zeigten Interesse, mit ein paar wohlüberlegten Fragen erfuhren sie alles Wichtige über seine Herkunft und seine Verbindungen.

Er war es zufrieden, sie zu ermutigen, ihnen zuzuhören, ihre Ansichten kennen zu lernen über das, was sie für die Beziehungen zwischen ihren Ländern für besonders wichtig hielten. Sie waren erpicht darauf, die richtige Saat zu säen, seine Meinung zu beeinflussen, ehe er sich eine eigene gebildet hatte – oder, um genauer zu sein, ehe er die Ansichten der Beamten im Außenministerium gehört hatte.

Caro berührte ihn sachte am Ärmel und entschuldigte sich. Obwohl er dem Herzog und dem Grafen weiter seine Aufmerksamkeit schenkte, war er sich der Tatsache bewusst, dass Ferdinand Leponte ihr folgte, die Stelle an ihrer Seite ein nahm.

Anders als seine Landsleute hatte Ferdinand, außer um ein paar Grußworte auszutauschen, kein Interesse an ihm bekundet. Er sah aus, als wäre er etwa dreißig Jahre alt; er hatte schwarze Haare, eine olivenfarbene Haut und große, dunkle Augen.

Ganz bestimmt war er ein Frauenheld – er hatte etwas an sich, das wenig Raum für Zweifel ließ. Er war ein typisches Botschaftsmitglied, Verwandte von Leuten wie dem Grafen; ihre Stellung beinhaltete meist nicht mehr als eine Eintrittskarte in die diplomatischen Kreise. Ferdinand war eindeutig ein Anhängsel, aber es war nicht der Graf, an den er sich hängen wollte.

Als Caro zehn Minuten später zurückkehrte, um kunstvoll zu versuchen, Michael loszueisen und ihn zu anderen Gästen zu bringen, befand sich Ferdinand immer noch in ihrem Schlepptau.

Sich bei den anderen Portugiesen entschuldigend, fing Michael Ferdinands Blick auf. Er verbeugte sich wie zur Verabschiedung. Ferdinand lächelte arglos. Als Caro Michaels Arm nahm und mit ihm zu einer anderen Gästegruppe ging, nahm er den Platz auf ihrer anderen Seite ein.

»Sie dürfen auf keinen Fall den General veralbern«, zischte Caro ihm zu.

Er schaute sie an, merkte, dass sie zu Ferdinand gesprochen hatte.

Der grinste, ganz südländischer Charme. »Aber es ist so schwer, der Versuchung zu widerstehen.«

Caro warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann erreichten sie die Gruppe vor den langen Fenstern, und sie begann mit der Vorstellungsrunde.

Michael schüttelte General Kleber, einem Preußen, die Hand, dann dem Botschafter der Habsburger und dessen Frau, die er beide bereits kannte.

Der General war ein älterer Herr, ein wenig barsch und streng. »Es ist gut, dass wir jetzt Frieden haben, aber es gibt noch viel zu tun. Mein Land ist sehr am Schiffsbau interessiert – kennen Sie sich mit Werften aus?«

Jegliches Wissen in diesem Bereich abstreitend, zog Michael den Botschafter ins Gespräch. Der General wies ihn darauf hin, dass Österreich keinen Hafen habe und daher auch keine Marine. Michael lenkte die Unterhaltung auf die Landwirtschaft, war nicht weiter überrascht, als Caro die Gelegenheit ergriff, Ferdinand fortzuschaffen.

Ein paar Minuten später kam sie alleine wieder und rettete Michael, um ihn mit den anderen Gästen bekannt zu machen – drei englische Diplomaten mit ihren Frauen; ein schottischer Parlamentarier namens Mr. Driscoll, seine Gattin und seine beiden Töchter, ein berüchtigt attraktiver irischer Adeliger, ein Lord Sommerby, den Mrs. Driscoll misstrauisch beäugte.

Und endlich wandte Caro sich mit einem herzlichen Lächeln der letzten Gästegruppe zu. Sie winkte ihrem Bruder liebevoll zu. Grinsend schüttelte Michael Geoffrey die Hand. Er war ein großer Mann, schwer gebaut und mit hängenden Schultern. Auch wenn er jahrelang Mitglied im Parlament gewesen war, so fühlte er sich in diesen Gefilden doch alles andere als zu Hause.

»Soweit ich es verstanden habe, hast du Elizabeth ja schon in der Stadt getroffen.« Liebevoll lächelnd deutete Caro auf die schlanke junge Dame neben Geoffrey.

Endlich. »Allerdings.« Michael nahm Elizabeths schmale Hand, die sie ihm hinhielt. »Miss Mollison.« Er hatte sie schon beim Eintreten gesehen, war aber zu vorsichtig gewesen, sich ein besonderes Interesse anmerken zu lassen. Jetzt versuchte er, ihr in die Augen zu sehen, um ihre Reaktion auf ihn einzuschätzen, aber obwohl sie ihn freundlich lächelnd anschaute und ihre Blicke sich trafen, konnte er in dem strahlenden Blau keine echte Aufmerksamkeit entdecken.

Sie wurden abgelenkt, als Caro den jüngeren Mann vorstellte, der zurückhaltend neben Elizabeth stand. »Mein Sekretär Edward Campbell. Er war Camdens Adjutant, aber ich hatte es mir derart angewöhnt, mich auf ihn zu verlassen, dass ich einfach beschlossen habe, er sei zu wertvoll, um ihn gehen zu lassen.«

Campbell warf ihr einen Blick zu, als wollte er sie daran erinnern, dass er nur ihr Sekretär war. Er streckte seine Hand aus; Michael schüttelte sie und verspürte plötzlich den Drang, Campbell zu raten, ein Auge auf Ferdinand zu haben. Den Wunsch unterdrückend wandte er sich stattdessen der wesentlich wichtigeren Angelegenheit zu: Elizabeth Mollison.

»Ich habe gehört, Sie dürften mit einer Beförderung rechnen«, bemerkte Geoffrey.

Er lächelte freundlich. »Das muss der Premierminister entscheiden, und das wird er wohl vor dem Herbst nicht tun.«

»Ja, er lässt sich nicht gerne in die Karten schauen. Nun denn, wie steht es mit den Iren zurzeit? Denken Sie diese Richtung einzuschlagen?«

Politische Neuigkeiten mit Geoffrey auszutauschen bot ihm die perfekte Gelegenheit, insgeheim seine Tochter zu mustern. Elizabeth stand neben ihrem Vater und schaute sich müßig im Raum um; sie zeigte keinerlei Interesse an dem Gespräch – sie schien gar nichts davon mitzubekommen. Caro nahm Campbells Arm und begann, mit ihm von einer Gruppe Gäste zur nächsten zu schlendern. Michael bewegte sich, sodass er Elizabeth besser beobachten konnte. Etwas stimmte nicht …

Er sah zu Caro, dann wieder zu Elizabeth; verstohlen betrachtete er die Kleider der beiden anderen jungen Damen, Driscolls Töchter. Das der einen war zartrosa, das der anderen blass primelgelb.

Elizabeth hatte sich entschlossen, Weiß zu tragen.

Das taten viele junge, unverheiratete Mädchen, besonders während ihrer ersten Saison. Elizabeth hatte ihre gerade erst beendet, aber … Weiß stand ihr so gar nicht. Ihre Farben waren ohnehin von Natur aus blass, und zusammen mit ihrem hellblonden Haar war der Gesamteindruck ungünstig. Besonders da sie zu dem hauchdünnen Kleid Diamanten angelegt hatte.

Die Wirkung aller Faktoren zusammen ließ Michael die Stirn runzeln. Er würde es sich nie anmaßen, einer Dame vorzuschreiben, was sie tragen sollte, doch er konnte sehr wohl den Unterschied erkennen zwischen einer gut und einer weniger gut gekleideten Dame. In politischen Kreisen sah man Letztere selten.

So war Elizabeths Erscheinung jetzt beinahe ein Schock. Einmal abgesehen davon, dass das Weiß sie farblos erscheinen ließ, schlug das auffällige Funkeln der Diamanten zu dem jungfräulichen Kleid die falsche Note an.

Er blickte wieder zu Caro. Austernfarbene Seide, perfekt geschnitten, um die verführerischen Kurven ihres Körpers zu umschmeicheln; die Farbe unterstrich unauffällig ihren hellen, aber rosigen Teint, während ihr herrlich unbezähmbares feines Haar im Licht der Kronleuchter in einem Farbenspiel aus verschiedenen Braun- und Goldtönen schimmerte. Sie trug Schmuck aus Silber und Perlen, der gut zu ihren Augen in dem merkwürdigen Silberblau passte.

Wenn er Elizabeth so ansah, konnte er sich kaum vorstellen, dass Caro nicht versucht hatte, ihr von ihrer Kleiderwahl abzuraten. So schloss er, dass sich hinter Elizabeths unschuldiger Art ein starker Wille verbarg – der stur genug war, Caros Ratschläge zu ignorieren.

Seine Irritation wuchs. Ein sturer, unbeugsamer Wille – war das gut? Oder doch eher nicht? Die Unfähigkeit, wohlgemeinte Ratschläge von jemandem anzunehmen, der sich unbestreitbar bestens auskannte …?

Eine Reihe von Gästen war nach ihm eingetroffen; Caro führte sie durch den Saal, übernahm die Vorstellung. Während die beiden Neuankömmlinge mit Geoffrey sprachen, wandte sich Michael an Elizabeth: »Wenn ich mich recht erinnere, haben wir beide uns auf Lady Hannafords Ball im Mai getroffen – haben Sie den Rest Ihrer ersten Saison genossen?«

»Oh ja!« Elizabeths Augen leuchteten auf, und sie drehte sich zu ihm um. »Die Bälle haben ja solchen Spaß gemacht – ich liebe es einfach, zu tanzen. Und all die anderen Unterhaltungen auch. Außer Dinnergesellschaften, die waren oft so langweilig, aber ich habe viele neue Freundschaften geschlossen.« Sie lächelte unbedarft. »Kennen Sie die Hartfords? Melissa Hartford und ihren Bruder Derek?«

Sie machte eine Pause, wartete offenkundig darauf, dass er antwortete. Er trat unauffällig von einem Fuß auf den anderen. »Äh … nein.« Er hatte den Verdacht, dass Derek Hartford kaum älter als zwanzig war und Melissa sogar noch jünger.

»Oh. Nun, sie sind meine besten Freunde. Wir sind überall in der Stadt zusammen gewesen, haben alles erkundet. Und Jennifer Rickards war auch dabei, mit ihren Cousins Eustace und Brian Hollings.« Elizabeth unterbrach ihr fröhliches Geplauder und schaute stirnrunzelnd zur anderen Seite des Salons. »Diese beiden jungen Mädchen sehen irgendwie verloren aus, meinen Sie nicht? Ich gehe besser zu ihnen und spreche mit ihnen.«

Damit warf sie ihm ein strahlendes Lächeln zu und entfernte sich – ohne sich ordentlich zu entschuldigen.

Michael schaute ihr nach, fühlte sich irgendwie merkwürdig. Sie hatte ihn wie einen alten Freund der Familie behandelt, einen, den sie nicht mit förmlicher Höflichkeit behandeln musste, aber trotzdem …

Seide raschelte neben ihm; der Duft von Jelängerjelieber, schwach, aber dennoch verführerisch, betörte seine Sinne.

Er sah Caro an, als sie sich gerade bei ihm unterhakte. Sie war seinem Blick zu Elizabeth gefolgt, jetzt sah sie zu ihm auf und verzog das Gesicht. »Ich weiß, aber du darfst nicht denken, es sei meine Idee gewesen.«