Was du nicht willst, das man dir tu ... - Michael Tosch - E-Book

Was du nicht willst, das man dir tu ... E-Book

Michael Tosch

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Beschreibung

In Rüdesheim am Rhein wird in der Oberstraße der Sohn eines Winzers aufgefunden. Er wurde erschossen. Die Kommissare Björn Beckmann und Sonja Krautmann machen sich auf die Suche nach dem Täter. Dabei stoßen sie auf zwei Winzerfamilien, die seit ewigen Zeiten miteinander verfeindet sind. Als Sonja durch eine Verletzung ausfällt, springt ein längst pensionierter Polizist ein und unterstützt den Kriminalhauptkommissar, denn es gilt viele Fragen zu beantworten. Warum entwickeln die Mitglieder einer Familie ein Gespinst aus Lügen, als es um die Alibis geht? Wieso ist das blutüberströmte Handy des Ermordeten in einem Mülleimer in der Grabenstraße gelandet? Welche Rolle spielen drei Goldbarren, die einem Winzer aus dem Keller gestohlen wurden? Wer schrieb die Erpresserbriefe an die Ehefrau eines Winzers? War es die Mafia, die in Rüdesheim aktiv Spuren hinterließ? Was unternimmt die Polizei, als die Haushälterin eines anderen Winzers entführt wird?

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Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Michael Tosch

Was du nicht willst,

das man dir tu …

Rüdesheim Krimi

RheinWeinFeder ist eine Gemeinschaft, die das kreative Schaffen von Autorinnen und Autoren entlang des malerischen Rheins von Mainz/Wiesbaden bis Koblenz in den Fokus rückt. Ihr Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, auf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die außerhalb und innerhalb traditioneller Verlagsstrukturen publizieren, ihre Werke präsentieren und gemeinsam vermarkten können.

Das Netzwerk RheinWeinFeder soll literarische Vielfalt, Qualität und Besonderheit in der Region zeigen und zugleich Autoren unterstützen, fördern und verbinden. Die Initiative steht für Kreativität, Gemeinschaft und Liebe zur Literatur, eingebettet in die inspirierende Kulisse von Rheingau und Mittelrheintal.

Kontakt: www.RheinWeinFeder.de

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Impressum

Auflage

1 / 24

Texte: © 2023 Copyright by Michael Tosch

Umschlag:© 2023 Copyright by Michael Tosch

Umschlagfotos© 2022 Michael Tosch

Rückseite© 2023 Christa Kaddar

Verantwortlich

für den Inhalt:Michael Tosch

Gerichtsstraße 23a

65385 Rüdesheim am Rhein

[email protected]

Druck:epubli - ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Danke an alle wunderbaren Winzer in Rüdesheim, deren Produkte mir beim Schreiben gute Dienste leisteten.

Dienstag, 9. Mai, - Prolog

Der kalte Wind strich über die Rebstöcke, an denen sich die ersten Blätter bildeten, die sich sanft im Mondschein bewegten. Anna Dippe wanderte auf einem schmalen Pfad durch die Weinberge von Rüdesheim am Rhein. Die kleinen Fachwerkhäuser des Städtchens waren nun nur noch schwach im Hintergrund zu sehen. Sie konnte den Duft der Erde und der Weinberge in der Luft spüren, während sie sich dem Weingut näherte, das seit Generationen im Besitz der Familie Wolters war. Anna Dippe ging langsam, denn für die alte Frau war der Weg sehr beschwerlich.

Als sie die verwitterte Pforte erreichte, die den Eingang zum Weingut markierte, drehte sie sich noch einmal um und konnte ein Teil des zurückgelegten Weges und einige Häuser erkennen. Die Straßenbeleuchtung und Lichter in den Gebäuden erweckten den Eindruck von Geruhsamkeit und Romantik. Sie dachte an die Zeit zurück, als sie mit ihrem Mann hier stand. Sie liebten beide diesen Anblick. Früher stand an dieser Stelle eine Bank vor dem Weingut, doch inzwischen war sie entfernt worden.

In diesem Augenblick wurde die Pforte geöffnet. Karl Wolters, einer der Söhne des Winzers, nahm aus dem Briefkasten Briefe und eine zusammengefaltete Zeitung heraus. Als er den Briefkasten verschloss und sich umdrehte, sah er die alte Frau.

»Guten Abend, Anna«, sagte er, »immer noch in den Weinbergen unterwegs? Geh besser heim, es soll noch Regen geben.«

Er wartete gar keine Antwort ab, sondern ging wieder hinein und verschloss die Tür.

Anna hatte eigentlich erwartet, dass sie hereingebeten würde. Sie spürte, wie ihr die Enttäuschung zu schaffen machte. Nein, befreundet war sie nicht mit den Wolters. Allerdings kam sie gelegentlich vorbei, trank ein Glas Wein mit der Familie und hörte sich an, was die Einzelnen für Neuigkeiten aus Rüdesheim zu berichten hatten.

Aber dass sie so brüsk abgewiesen wurde, hatte sie noch nie erlebt.

Anna schaute auf die Armbanduhr 20:38 Uhr. Sie beschloss wieder nach Rüdesheim zurückzugehen und lenkte ihre Schritte zur Marktstraße in das ‚Kleine Ortsgericht‘. Dort kehrte sie zwei- bis dreimal in der Woche ein und trank dann immer ein Glas Wein, bevor sie nach Hause ging. Es war Anfang Mai aber noch sehr kühl, sodass sie sich nach innen in den Wirtsraum setzte.

Sie bestellte sich einen trockenen Riesling und begann über die Unhöflichkeit von Karl nachzudenken. Warum hat mich Karl so behandelt? Habe ich ihm irgendetwas getan? War Karls Handlung vielleicht einfach nur unbedacht? Oder wollte Karl sie mutwillig kränken? Doch dann verdrängte sie ihre Fragen. Sie hatte sich an einen Tisch gesetzt, an dem bereits drei andere Rüdesheimer saßen.

»Anna, hallo, was ist mit dir los? Du bist so schweigsam?«, fragte einer.

»Alles in Ordnung mit mir«, Anna hob ihr Weinglas und prostete den Leuten am Tisch zu. Sie beschloss, sich lieber an den Gesprächen mit den Rüdesheimern zu beteiligen, die sich munter unterhielten.

Die Tür zum Wirtsraum öffnete sich und Anna erkannte Johannes Wolters, einen Bruder von Karl, der mit einem jungen Mann hereinkam. Den Zweiten erkannte Anna nicht sofort, doch dann war es ihr klar, das war Gerd Springer, der Sohn eines anderen Winzers.

Im Raum waren nicht viele Plätze frei und so setzten sich die beiden jungen Männer genau hinter Anna an den einzigen freien Tisch.

Da Anna trotz ihres Alters noch ausgezeichnet hören konnte, bekam sie jedes Wort mit, das die beiden wechselten. Anna zog sich aus dem Gespräch mit den anderen Gästen zurück, lehnte sich auf ihrem Stuhl noch weiter zurück und lauschte den Worten der beiden Winzersöhne. Sie hörte, wie Johannes fragte:

»Was ist denn jetzt das Wichtige, von dem du mir erzählen wolltest? Am Telefon hast du doch so etwas angedeutet. Also los, du hattest doch einen wichtigen Grund für unser Gespräch.«

»Ja, es gibt einen wichtigen Grund«, antwortete Gerd, »vielleicht verstehst du es hinterher, wenn ich dir alles erzählt habe.«

»Dann leg mal los, ich bin gespannt«, antwortete Johannes.

»Dein Vater ist ein Dieb.«

»Bist du bescheuert? Wie kommst du denn auf solch einen Mist?«

»Ich habe gehört, wie er das am letzten Wochenende meinem Vater erzählt hat.«

»Mein Vater soll ein Dieb sein und hat darüber mit deinem Vater gesprochen? Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Doch. Ich habe zwar nicht alles im Detail mitbekommen, aber dein Vater hat meinem Vater erzählt, dass er bei uns im Weinkeller Gold gefunden hätte und das Gold dann einfach mitgenommen hat. Das ist wohl schon länger her, aber dein Vater hat das genau so erzählt.«

»Und was hat dein Vater dazu gesagt? Er ist doch dann der Bestohlene.«

»Mein Vater blieb erstaunlich ruhig. Das ist doch das Komische. Das ist der Grund, dass ich mit dir darüber reden wollte. Ich verstehe das auch nicht. Da wir beide uns immer gut verstanden haben und alte Schulfreunde sind, dachte ich, mit dir darüber zu reden, könnte vielleicht Licht in die Geschichte bringen.«

»Vielleicht ist es besser, wir sprechen nicht hier in der Öffentlichkeit über ein solches Thema. Es ist besser, darüber unter vier Augen zu reden. Komm, lass uns gehen.«

Die beiden zahlten und verließen das Weinrestaurant.

Inzwischen war es kurz vor 22 Uhr und fast alle Gäste hatten schon das ‚Kleine Ortsgericht‘ verlassen. Außer Anna saß nur noch Dirk Hagen dort. Der Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Anna fühlte sich wohl und hatte Lust auf angenehme Unterhaltung. Allerdings war Dirk Hagen sehr ruhig und schweigsam.

»Du wirkst auf mich ziemlich deprimiert, hast du Probleme?«, fragte sie den alten Bekannten.

»Ach, hör auf, ich bin ziemlich am Ende. Heute habe ich etwas erfahren, das mich vollkommen fertigmacht.«

»Erzähle es mir einfach. Erleichtere dich, indem du mir von deinen Problemen erzählst. Ich bin eine gute Zuhörerin.«

»Das ist alles nicht so einfach.«

»Vielleicht kann ich dir helfen? Ich helfe dir gern mit Rat und Tat.«

»Meine Frau bescheißt mich, sie hat ein Verhältnis.«

»Oh mein Gott. Das ist sicher keine schöne Nachricht für dich gewesen. Wie bist du dahintergekommen?«, wollte Anna wissen.

»Zufällig hörte ich, wie meine Frau mit ihrem Liebhaber telefonierte. Sie wusste nicht, dass ich daheim war. Das war heute Nachmittag. Sie wollte ihn um fünf Uhr treffen. Ich konnte Teile ihres Gespräches belauschen. Aber ich konnte nicht verstehen, wer der Anrufer war und wo sie sich treffen wollten. Da hörte ich, dass sie am Telefon sagte, dass sie Kondome besorgt hätte. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Mir hat sie dann erzählt, als sie mich im Nachbarzimmer entdeckte, dass sie sich mit einer Freundin treffen würde und erst später heimkäme.«

Anna bemerkte, dass Dirk Tränen in den Augen hatte.

»Ihr seid doch noch gar nicht so lange verheiratet. Drei Jahre, oder?«, fragte Anna nach.

»Ja, genau. Und erst vor einer Woche hatte meine Frau ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert und jetzt so etwas.«

»Was hast du jetzt vor? Was willst du machen?«

»Ich will in jedem Fall mit ihr reden. Ich muss mit meiner Frau reden, die Sache muss ich klären. Ich liebe sie doch.«

»Dann hör auf meinen Rat, schlaf erst einmal eine Nacht darüber, bevor du das Gespräch mit ihr suchst.«

»Ja, das habe ich auch vor. Wenn ich nur wüsste, wer der Scheißkerl ist, der mit meiner Frau rummacht. Ich hatte versucht ihr zu folgen, als sie das Haus verließ, aber an der Grabenstraße habe ich sie aus den Augen verloren. Jetzt trinke ich schon das fünfte Glas Wein. Ich merke den Alkohol und werde gleich nach Hause gehen.«

In diesem Augenblick kam Geli an den Tisch und erklärte:

»Es ist gleich 22 Uhr und ich mache Schluss. Ich möchte kassieren.«

Tatsächlich, Anna blickte auf ihre Uhr, es war für sie auch Zeit zu gehen. Anna überlegte, was sie mit den zwei Geschichten anfangen könnte, von denen sie heute Abend erfahren hatte. Sie lächelte, denn ihr war klar, irgendetwas würde ihr schon noch dazu einfallen.

Donnerstag, 11. Mai, - Bei den Wolters

Karl ging zum Fenster des Wohnzimmers und schaute hinaus. Es war später Nachmittag, tief hängende Regenwolken sorgten für Dunkelheit und Karl hatte das Licht im Zimmer bereits eingeschaltet. Er blicke über die Rebhänge hinüber zum Rochusberg und schaute länger auf die Kapelle. Ein friedvolles Glücksgefühl ergriff Besitz von ihm und er schloss die Jalousien der Wohnzimmerfenster, bevor er sich wieder in seinen Sessel setzte.

Plötzlich hörte er Stimmen auf dem Flur. Er blickte zur Tür und sah seinen Vater, der zusammen mit seinem Bruder Johannes das Wohnzimmer betrat.

»Wieso sitzt du denn hier im Dunkeln?«, fragte sein Vater und schaltete den Kronleuchter an, der ein warmes Licht im Raum verbreitete.

»Ich habe über den heutigen Tag nachgedacht, fing an zu träumen und die Atmosphäre hier gefiel mir im Dunkeln gut.«

»Mein Bruder, der Träumer«, spottete Johannes. Er grinste den älteren Bruder an und nahm ebenfalls in einem Sessel Platz.

»Gut, dass wir drei hier beieinander sind«, sprach Vater Hans Wolters. Er setzte sich auf das Sofa und blickte von einem Sohn zum anderen.

»Ich hatte heute ein Gespräch mit Matteo Moretti, der hatte einen Termin mit mir gemacht.«

»Matteo Moretti ist ein dummes Schwein und macht auch einen schlechten Wein«, reimte Johannes etwas unbeholfen.

»Er will Rebfläche von uns kaufen. Und ich …«

»Moment«, unterbrach ihn Karl, »du hast ihm doch wohl nicht auch nur einen Quadratmeter verkauft?«

»Hör einfach mal zu, was ich euch erzählen will«, erwiderte der Vater, der sich über seinen Sohn ärgerte.

»Moretti besitzt bis jetzt drei Hektar Rebfläche, die er sich zusammengestückelt hat. Er möchte sich unbedingt vergrößern und wollte von mir einen Hektar Rebfläche kaufen. Ausgerechnet vom Schlossberg. Das habe ich rigoros abgelehnt und habe ihm dafür einen halben Hektar Rebfläche vom Magdalenenkreuz angeboten.«

»Warum willst du etwas von unserer Rebfläche am Magdalenenkreuz verkaufen?«, Johannes wirkte ungehalten,

»Ich will eigentlich nicht verkaufen. Hört erst einmal bis zum Ende zu. Also, Matteo Moretti bot mir einen Preis für Rebfläche am Schlossberg von acht Euro pro Quadratmeter an. Daran könnt ihr schon sehen, dass er nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Ich habe ihm gesagt, dass wir vom Schlossberg nicht eine Krume Erde verkaufen werden. Ich schlug ihm stattdessen Magdalenenkreuz vor. Das lehnte er zunächst kategorisch ab, aber nach einiger Zeit hat er sich das noch einmal überlegt und fragte nach dem Preis. Daraufhin bot ich ihm einen Hektar, den Quadratmeter für 15 Euro an. Darauf hat er sich ziemlich wutentbrannt verabschiedet und gemeint, ich wäre kein ehrlicher Winzer und ging. Dann hat er auch noch gedroht und verkündet, er würde schon Mittel und Wege finden. Eines Tages wirst du mich auf Knien bitten, deine Rebfläche abzukaufen, hat er gesagt. Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte.«

»Vergiss doch den Spinner. Aber warum hast du ihm Magdalenenkreuz angeboten? Die Fläche dort ist doch ideal für uns, oder?«, wollte Johannes wissen.

»Das Angebot von mir war auch nicht ganz ernst gemeint. Ich wollte ihn nur locken, damit ich erfahre, was er zu zahlen bereit ist. Ganz einfach, wir verkaufen nichts von unserer Rebfläche, das ist Gesetz, solange ich das Sagen hier habe.«

»Was hättest du gemacht, wenn er eingewilligt hätte, den Preis von 15 Euro zu zahlen?«

»Ich hätte mich gefreut, denn dann hätten wir ein riesiges Schnäppchen gemacht. Dafür hätte ich sogar unser Gesetz geändert.«

»Findest du nicht, dass ich auch gern davon gewusst hätte? Warum hast du mir nichts gesagt, ich wäre gern bei dem Gespräch dabei gewesen. Verstehst du denn nicht, dass ich auch gern mitreden möchte, wenn es um die Zukunft unseres Weingutes geht«, Karl wirkte unzufrieden.

»Glaub ja nicht, weil du der Ältere bist, dass du mehr Rechte hast als ich. Auch ich will bei solchen Themen unbedingt mitsprechen«, Johannes war stinksauer auf seinen Bruder.

Karl grinste nur und sagte keinen Ton. Das machte Johannes erst richtig wütend.

»Auch Vater hat dir immer wieder vorgeworfen, dass du dich nicht genug um deine Aufgaben kümmerst. Jetzt tust du so, als wärest du der zukünftige Boss hier«, Johannes sprang aus seinem Sessel auf und lief hin und her, »Ich bin sicher, dass Vater dir das Weingut nicht vererben wird, du bist eine faule Sau und kümmerst dich um nichts.«

Das Gesicht von Karl verfinsterte sich und er verfolgte seinen Bruder mit den Augen, dann platzte es aus ihm heraus:

»Halt einfach dein dämliches Maul, du hast keine Ahnung. Zum Glück entscheidet nicht deine Fantasie über die Erbfolge, sondern Vater. Warte ab, was Vater in seinem Testament geregelt hat. Wie kommst du nur dazu, das Erbe für dich zu beanspruchen?«

»Du erzählst nur Mist«, empörte sich Johannes, »ich habe das Erbe nicht beansprucht, ich habe nur gesagt, dass du das Weingut nicht erben wirst, weil du dich um die Verantwortung drückst und dich um nichts kümmerst. Das habe ich gesagt.«

»Jetzt kommt beide mal wieder runter«, schaltete sich Hans Wolters ein. »So weit ist es noch lange nicht. Ich habe vor, das Weingut in den nächsten zehn Jahre zu führen. Was danach sein wird, werden wir sehen. Meinen letzten Willen habe ich bisher nicht schriftlich niedergelegt. Wenn ich sterbe und es gibt kein Testament, erbt Iris, eure Stiefmutter, die die eine Hälfte. Die andere Hälfte geht an euch Kinder, also an Kerstin, an Werner und euch beide.

Im Augenblick steht überhaupt nicht fest, wem ich die Leitung des Weingutes übertragen werde.

Zu dir, lieber Karl, dein Bruder Johannes hat in einem Punkt recht. Ich erwarte von dir tatsächlich mehr Engagement und wünsche mir, dass du von dir aus wahrnimmst, was zu tun ist. Ich ärgere mich, dass ich dich immer wieder an deine Pflichten erinnern muss.«

»Was habe ich gesagt?«, triumphierte Johannes, »Vater gibt mir absolut recht.«

Bevor Karl wütend reagieren konnte, ergriff erneut Hans das Wort.

»Jetzt hör endlich auf, deinen Bruder zu attackieren. Ich wünsche mir zwar von Karl mehr Einsatz, aber von dir erwarte ich auch etwas, nämlich mehr Präzision und weniger Fehler. Also, ihr beiden, ihr habt einander nichts vorzuwerfen.

So, und jetzt noch etwas. Zum Zeichen, dass ich euch beide gleichermaßen schätze, habe ich ein Geschenk für jeden von euch«.

Hans öffnete die Schachtel, die er auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte, holte zwei Armbanduhren heraus und gab jedem der Söhne eine davon.

»Hier, ich wollte euch eine Freude machen.«

»Vater, danke. Das ist ja eine Apple Watch, eine Series 8. Wie kommen wir zu der Ehre? Keiner von uns hat Geburtstag. Was ist los?«

»Wenn ich ehrlich bin, ist Folgendes passiert. Vom Rheingauer Weinbauverband bekam ich eine geschenkt, ich wurde für unsere Spätlese des vergangenen Jahres ausgezeichnet. Das wisst ihr. Nur von der Uhr hatte ich euch bis heute nichts erzählt. Ich dachte, das wäre doch was für meine Kinder und habe noch drei weitere Apple Watch gekauft. Ich habe die Uhren gravieren lassen, ganz winzig. Seht her, da stehen jetzt eure Vornamen.«

Dabei zeigte er auf den Rand der Uhr.

»Die Gravur wurde mit einem Laser geschrieben. Das war sehr interessant, ich habe zugesehen.«

»Danke auch von mir, Vater«, Johannes bedankte sich ebenfalls, »ich freue mich, denn eine solche Uhr kann ich gut gebrauchen. Ich sehe, die hat ja sogar GPS. Wirklich toll.«

»Dann kannst du dich in unseren Weinbergen ja nicht mehr verlaufen«, spottete Karl.

»Und dich kann Vater per Mail, die er an deine Uhr schickt, an deine Pflichten erinnern«, konterte Johannes.

»So wie ihr miteinander umgeht, kann ich sehen, dass ihr beide noch lange nicht reif für die Führung eines Weingutes seid. Da muss sich noch einiges ändern. Ich gehe davon aus, dass einer von euch beiden eines Tages mein Nachfolger sein wird. Wer das sein wird? Das wird die Zukunft zeigen.«

Karl band sich seine neue Uhr um den Arm, blickte von einem zum anderen und brummte vor sich hin,

»Ich lasse euch jetzt allein. Es ist jetzt 18 Uhr und ich wollte mit ein paar Kumpeln noch um die Häuser ziehen. Einen schönen Abend wünsche ich euch. Bis morgen.«

Karl verließ das Wohnzimmer und Vater Hans und Johannes hörten, wie Karl beim Herausgehen geräuschvoll die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ.

Freitag, 12. Mai, - Der Anruf

Bei der Polizeistation in Rüdesheim klingelt um 2:26 Uhr das Telefon. Oberkommissar Walter meldete sich:

»Polizeistation Rüdesheim.«

Eine aufgeregte Stimme rief: »Kommen Sie schnell. Hier liegt eine Leiche.«

»Wo sind Sie gerade?«

»Na, in Rüdesheim, habe ich doch gesagt.«

»Wo genau sind Sie in Rüdesheim?«

»In so einer alten Gasse, ich weiß nicht, wie die heißt.«

»Wo genau? Können Sie das näher beschreiben?«

»Da ist ein Schild ‚Einbahnstraße‘.«

»Können Sie auch ein Schild mit einer Straßenbezeichnung entdecken?«

»Nein«

»Welchen Weg sind Sie gegangen? Woher kamen Sie denn?«

»Ich war in der Drosselgasse und bin dann nach oben gelaufen. Da bin ich rechts abgebogen und kam an der Seilbahn vorbei.«

»Sind Sie noch an der Seilbahn?«

»Nein, ich ging weiter. Dann war da ein Restaurant in einem Fachwerkhaus, ein gelbes Haus war das. Und noch ein Stück weiter. Dort ist rechts ein Hotel. Etwas mit ‚Kranz‘.«

»Meinen Sie ‚Zum grünen Kranz‘?«

»Ja, genau und dann geradeaus weiter, ungefähr 50 Meter, da liegt der tote Mann. Hier ist auch sehr viel Blut.«

»Gut, dann sind Sie in der Oberstraße. Bitte fassen Sie nichts an, wir kommen sofort. Warten Sie bitte auf uns.«

»Ja, das mache ich.«

Kurze Zeit später erreichte der Streifenwagen die Oberstraße und parkte direkt an der Ecke Bergstraße. Die beiden Beamten gingen in die Straße hinein. Ein Mann kam ihnen entgegen und schimpfte:

»Mein Gott, warum dauert es so lange, bis Sie kommen?«

Polizeikommissar Schmied hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen und fragte den Mann: »Haben Sie uns angerufen?«

»Ja, ich war das. Warum hat das denn so lange gedauert?«

Der Polizist ging auf die Frage nicht weiter ein, sondern fragte den Zeugen:

»Haben Sie am Ort etwas angefasst? Haben Sie den Mann berührt?«

»Ich dachte erst, das wäre ein Besoffener und wollte schon weitergehen. Der Mann lag auf dem Rücken. Dann blieb ich stehen, habe mich gebückt und seinen Puls gefühlt. Da habe ich gemerkt, dass da kein Puls mehr war. Erst dann habe ich bemerkt, dass unter ihm viel Blut auf dem Kopfsteinpflaster war und habe Sie angerufen.«

Polizeikommissar Schmied ließ sich den Namen und die Adresse des Mannes geben, der den Leichnam entdeckte und bedankte sich bei ihm.

In der Zwischenzeit hatte sein Kollege bereits einen Arzt und außerdem das K11 im Polizeipräsidium Westhessen in Wiesbaden verständigt.

Der Anruf aus dem Polizeipräsidium weckte Kriminalhauptkommissar Björn Beckmann aus seinen Träumen. Er benötigte einen Augenblick, um zu sich zu kommen. Direkt neben seinem Telefon auf dem Nachttisch lag ein Notizblock, auf dem er sich die Fakten notierte. Dann fasste er das Gehörte noch einmal zusammen.

»Fund einer männlichen Leiche in Rüdesheim am Rhein. Der Fundort ist die Oberstraße Ecke Bergstraße. Meine Kollegin Frau Krautmann ist bereits unterwegs, sie holt mich hier bei mir zu Hause ab.«

Björn Beckmann wohnte in einem kleinen Haus in Niederwalluf, das seine verstorbene Mutter ihm vererbt hatte. Auf dem Sterbebett musste er der alten Dame versprechen, sich um die Schwester Greta zu kümmern, die damals bei ihm einzog. Er hatte es nicht immer leicht mit ihr, aber er stand zu seiner Zusage.

Björn machte sich oberflächlich etwas frisch, sprang in seine Klamotten und kochte sich in der Küche noch eine Tasse Kaffee, als es an der Haustür läutete. Er öffnete Sonja Krautmann die Tür.

»Komm rein mein Schatz, ich will nur noch die Tasse Kaffee trinken, dann kannst du mich entführen.«

»Ich warte draußen im Auto auf dich«, entgegnete seine Kollegin, ging aus dem Haus und zog die Haustür hinter sich zu.

»Was für ein Idiot macht denn da solchen Krach?«, hörte Björn seine Schwester Greta schimpfen. Ohne sich um deren Beschwerde zu kümmern, rief er so laut, dass sie ihn wahrnehmen musste:

»Ich habe einen Einsatz, ich bin jetzt weg.«

Er verließ sein Haus und hörte, dass Greta noch immer schimpfte, konnte ihre Worte allerdings nicht mehr verstehen, da er sich bereits in den Audi seiner Kollegin geschwungen hatte.

Sonja lenkte ihren Wagen über die B42. Sie hatte ihr mobiles LED-Blaulicht aufs Autodach gestellt und schaltete auch das Einsatzhorn ein.

Fünfzehn Minuten später erreichten sie den Fundort der Leiche in der Oberstraße.

Dr. Bronner war bereits fünf Minuten früher eingetroffen und konnte den eintreffenden Kriminalpolizisten erklären:

»Ich habe vier Einschüsse in seinem Oberkörper entdeckt. Der Mann ist erst vor ungefähr einer Stunde getötet worden. Das kann ich sagen, weil die Körpertemperatur noch relativ hoch war. Alles Weitere wird die Gerichtsmedizin feststellen. Ich bin hier erst einmal fertig.«

In diesem Augenblick traf auch das Team des Erkennungsdienstes am Fundort der Leiche ein. Sie waren dafür zuständig, mögliche Spuren zu sichern.

»Dieses Mal haben wir gewonnen, beim letzten Mal wart ihr schneller«, frotzelte Björn, doch die Kollegen machten sich ans Werk, ohne auf seinen Spruch einzugehen.

»Hallo Sie!«, rief plötzlich eine Stimme hinter Björn. Er drehte sich um und sah eine ältere Frau, die hinter ihm an dem Absperrband stand.

»Mein Name ist Huber. Ich wohne da hinten«, sie deutete auf ein Haus, das nur 50 Meter entfernt war, »ich habe entdeckt, dass hier etwas passiert sein muss. Ich habe aus dem Fenster geschaut und sie hier unten entdeckt. Vielleicht ist es für Sie ja von Bedeutung, dass ich im Bett lag und von lauten Geräuschen geweckt wurde. Es hörte sich an wie lautes Knallen, als wenn jemand mit einem Hammer auf eine Blechplatte schlägt. Es knallte ein paar Mal, viermal, glaube ich. Ich habe aus dem Fenster geschaut, aber nichts sehen können.«

»Wissen Sie, wann das war? Haben Sie zufällig auf die Uhr geschaut?«, wollte Björn wissen.

»Ja, es war genau 1:44 Uhr.«

»Das ist prima, eine wichtige Aussage. Es ist jetzt 3:35 Uhr. Danke. Wir möchten noch Ihre Daten notieren.«

»Ich mache das«, schaltete sich Polizeikommissar Schmied ein und übernahm es, Frau Huber weiter zu befragen.