Was ist so schlimm am Kapitalismus? - Jean Ziegler - E-Book

Was ist so schlimm am Kapitalismus? E-Book

Jean Ziegler

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Beschreibung

Das leidenschaftliche Debattenbuch des bekannten Globalisierungskritikers nun im Taschenbuch

Ist der Kapitalismus das Ende der Geschichte, eine Weltordnung, die unüberwindbar ist? Jean Ziegler widerspricht dieser Ansicht vehement. Er erklärt seiner Enkelin Zohra und ihrer Generation, welchen unmenschlichen Preis wir für dieses System zahlen. Auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt, überleben zwei Milliarden Menschen in fürchterlichem Elend, sterben täglich Zehntausende Kinder an Mangel und Unterernährung, was durch die aktuelle Corona-Pandemie noch verstärkt wird. Kapitalistische Profitgier zerstört die Umwelt, vergiftet Böden, Flüsse und Meere, beschädigt das Klima und bedroht die Natur. Ziegler erklärt, warum dieses System »radikal zerstört« werden muss: Der Kapitalismus als »kannibalische Weltordnung« ist unreformierbar.

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Buch

Ist der Kapitalismus das Ende der Geschichte, eine Weltordnung, die unüberwindbar ist? Jean Ziegler widerspricht dieser Ansicht vehement. Er erklärt seiner Enkelin Zohra und ihrer Generation, welchen unmenschlichen Preis wir für dieses System zahlen. Auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt, leiden 2 Milliarden Menschen an extremer Armut, sterben täglich Zehntausende Kinder an Mangel- und Unterernährung. Kapitalistische Profitgier zerstört die Umwelt, vergiftet Böden, Flüsse und Meere, beschädigt das Klima und bedroht die Natur. Ziegler erklärt, warum dieses System »radikal zerstört« werden muss: der Kapitalismus als »kannibalische Weltordnung« ist unreformierbar. Und er zeigt sich überzeugt, dass seine Abschaffung eine kraftvolle Utopie ist, an deren Verwirklichung bereits Millionen Menschen arbeiten, die sich als breite Widerstandsfront formieren. Eine ermutigende Streitschrift des international bekannten Kapitalismus- und Globalisierungskritikers!

Autor

Jean Ziegler, Soziologe, emeritierter Professor der Universität Genf, bis 1999 Nationalrat im Eidgenössischen Parlament. Von 2000 bis 2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Heute ist er Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrats und Träger verschiedener

Ehrendoktorate und internationaler Preise, wie z. B. des Internationalen Literaturpreises für Menschenrechte (2008). Seine Bücher, zuletzt Der schmale Grat der Hoffnung (2016), wurden in viele Sprachen übersetzt, haben erbitterte Kontroversen ausgelöst und ihm hohes internationales Ansehen verschafft.

Jean Ziegler

WAS ISTSO SCHLIMM AM KAPITALISMUS?

Antworten auf die Fragen meiner Enkelin

Aus dem Französischen übertragen von Hainer Kober

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe ist 2018 unter dem Titel »Le capitalisme expliqué à ma petite-fille (en espérant qu’elle en verra la fin)« bei Éditions du Seuil, Paris, erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2018 by Jean Ziegler

© 2019 für die deutschsprachige Ausgabe by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-23602-1V002

www.cbertelsmann.de

Ich widme dieses Buch allen meinen Enkelkindern

Die Räuber kommen! Mit ungeheurerHeeresmacht überziehen sie unser Land. Sie wollenUns das Leben lassen, wenn wir ausliefernWas wir brauchen zum Leben.WarumDen Tod fürchten, aber nichtDen Hunger?Wir unterwerfen uns nicht!

Bertolt Brecht, Die Horatier und die Kuriatier(1934 im Exil geschrieben)

I

Neulich abends hat Mama mich ganz aufgeregt gerufen: Du warst im Fernsehen und hast mit einem – offenbar recht liebenswürdigen – Herrn über den Kapitalismus diskutiert. Aber ihr wart euch in gar nichts einig. Ich habe nicht viel von eurem Streit verstanden, aber du hast ziemlich zornig ausgesehen. Warum?

Du hast recht, Zohra, ich war wütend. Der Mann, der mir gegenübersaß, war Peter Brabeck-Letmathe, Präsident von Nestlé, dem mächtigsten transkontinentalen Nahrungsmittelkonzern der Welt. Heute steht Nestlé, das vor 150 Jahren in der kleinen Schweiz gegründet wurde, auf Platz 27 der weltgrößten Unternehmen.

Das verstehe ich nicht. Nestlé stellt gute Schokolade her! Und wenn die Schweiz es schafft, Unternehmen hervorzubringen, die ihre Geschäfte auf allen Kontinenten abwickeln, warum macht dich das zornig?

Weil Peter Brabeck sich ständig auf die Theorie seines Freundes Rutger Bregman beruft, eines berühmten holländischen Wirtschaftswissenschaftlers. Doch ich wehre mich gegen dessen Geschichts- und Wirtschaftsverständnis. Vor allem behauptet er Folgendes: »Während 99 Prozent der Weltgeschichte waren 99 Prozent der Menschheit arm, hungrig, schmutzig, furchtsam, dumm, hässlich und krank … Das alles hat sich im Laufe der letzten 200 Jahre geändert … Milliarden von uns sind heute reich, gut genährt, sicher und gelegentlich sogar schön. Selbst jene, die wir immer noch »die Armen« nennen, leben heute unter nie da gewesenen Bedingungen des Überflusses.«

Peter Brabeck behauptet, die kapitalistische Ordnung sei die gerechteste Organisationsform, die die Erde je gesehen habe, und garantiere die Freiheit und das Wohlergehen der Menschheit.

Und das ist nicht wahr?

Natürlich nicht! Das Gegenteil ist wahr!

Die kapitalistische Produktionsweise trägt die Verantwortung für unzählige Verbrechen, für das tägliche Massaker an Zehntausenden von Kindern durch Unterernährung, Hunger und Hungerkrankheiten, für Epidemien, die schon lange von der Medizin besiegt wurden, für die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt, die Vergiftung der Böden, des Grundwassers und der Meere, die Vernichtung der Wälder …

Gegenwärtig sind wir 7,3 Milliarden Menschen auf unserem schutzlosen Planeten. 4,8 Milliarden, das heißt mehr als zwei Drittel, leben in einem Land der südlichen Hemisphäre, davon Hunderte Millionen unter unwürdigen Bedingungen. Die Mütter haben panische Angst vor dem Morgen, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder einen weiteren Tag ernähren sollen. Die Väter werden erniedrigt, verachtet bis in ihre Familien hinein, weil es ihnen nicht gelingt, Arbeit zu finden – sie sind Opfer der sogenannten Dauerarbeitslosigkeit. Die Kinder wachsen in Elend und Angst auf, häufig sind sie Opfer häuslicher Gewalt, ihre Kindheit liegt in Trümmern. Für zwei Milliarden Menschen – die gemäß Weltbank in »extremer Armut« leben – gibt es keine Freiheit. Ihre einzige Sorge ist ihr Überleben.

Die verheerenden Auswirkungen der Unterentwicklung sind Hunger, Durst, Epidemien und Krieg. Sie vernichten jedes Jahr mehr Männer, Frauen und Kinder als die fürchterliche Schlächterei des Zweiten Weltkriegs in sechs Jahren. Was viele von uns zu der Auffassung bringt, dass für die Völker der Dritten Welt der »Dritte Weltkrieg« längst begonnen hat.

Wenn ich das recht verstehe, seid ihr, Brabeck und du, vollkommen entgegengesetzter Meinung. Ihr konntet euch über die Wohltaten und Missetaten des Kapitalismus absolut nicht einigen.

Du hast recht. Für mich – und für all diejenigen, die meine Meinung teilen – hat der Kapitalismus eine kannibalische Ordnung geschaffen: Überfluss für eine kleine Minderheit und mörderisches Elend für die große Mehrheit.

Ich bin ein Feind des Kapitalismus. Ich bekämpfe ihn.

Dann muss man also schlicht und einfach den Kapitalismus abschaffen?

Meine liebe Zohra, die Antwort ist nicht einfach.

Einer Minderheit der Menschen, vor allem denjenigen, die die nördliche Hemisphäre bewohnen oder die zu den herrschenden Klassen der Länder des Südens gehören, haben die beeindruckenden industriellen, wissenschaftlichen, technologischen Revolutionen, die das kapitalistische System während der letzten zwei Jahrhunderte in Gang gesetzt hat, einen nie da gewesenen wirtschaftlichen Wohlstand gebracht. Die kapitalistische Produktionsweise beweist eine verblüffende Vitalität und Kreativität. Da die Eigentümer des Kapitals enorme Finanzmittel konzentrieren, menschliche Begabungen mobilisieren, sich Wettbewerb und Konkurrenz zunutze machen, kontrollieren die mächtigsten Eigentümer des Kapitals das, was die Wirtschaftswissenschaftler »problematisches Wissen« nennen, das heißt die wissenschaftliche und technologische Forschung auf so verschiedenen Gebieten wie Elektronik, Informatik, Pharmazie, Medizin, Energie, Luftfahrt, Astronomie, Materialwissenschaft und so fort.

Dank der von ihnen gesponserten Labors und Universitäten erzielen sie spektakuläre Fortschritte in der Biologie, Genetik, Physik etc. In den Laboratorien der Pharmaunternehmen – Novartis, Hoffmann-La Roche oder auch Sanofi – wird fast jeden Monat ein neuer Wirkstoff, ein neues Medikament entwickelt; an der Wall Street kommt fast alle drei Monate ein neues Finanzinstrument in Umlauf. Ununterbrochen steigern die transkontinentalen Nahrungsmittelunternehmen die Produktion, diversifizieren die Saatgüter, entwickeln immer rentablere Düngersorten, steigern die Ernten und erfinden immer wirksamere Pestizide, um sie zu schützen; die Astrophysiker beobachten andere Sternsysteme, die um ihre eigenen Sonnen kreisen, und entdecken fortwährend neue Exoplaneten; die Autoindustrie konstruiert jedes Jahr robustere und schnellere Fahrzeuge; Wissenschaftler und Ingenieure schicken immer leistungsfähigere Satelliten ins All; Tausende von Patenten, die Tausende von neuen Erfindungen auf allen Gebieten des menschlichen Lebens schützen, werden Jahr für Jahr von der WIPO, der Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf, erteilt.

Wenn ich dich recht verstehe, beeindruckt dich die kapitalistische Produktionsweise durch ihren Erfindungsreichtum und ihre schöpferische Kraft …

Genau, Zohra. Stell dir vor: Zwischen 1992 und 2002, während eines Jahrzehnts, hat sich das Bruttoweltprodukt – also die Summe aller auf der Welt in einem Jahr produzierten Güter – verdoppelt und das Welthandelsvolumen verdreifacht. Der Energieverbrauch verdoppelt sich im Durchschnitt alle vier Jahre.

Zu Beginn unseres Jahrtausends kommt die Menschheit zum ersten Mal in den Genuss eines Güterüberflusses. Der Planet ächzt unter seinen Reichtümern. Die verfügbaren Güter übersteigen die Grundbedürfnisse der Menschen um ein Vielfaches.

Also hat der Kapitalismus auch seine guten Seiten?

Die kannibalische Weltordnung, die er geschaffen hat, muss radikal zerstört werden, aber die wunderbaren Errungenschaften der Wissenschaft und Technik wollen wir nicht nur erhalten, sondern noch potenzieren. Die Arbeit, die Begabungen, der Erfindungsgeist des Menschen sollen dem Gemeinwohl – also allen Menschen – dienen und nicht nur der Bequemlichkeit, dem Luxus, der Macht einer Minderheit. Ich werde dir später erklären, unter welchen Bedingungen sich die neue Welt, von der die Männer und Frauen träumen, verwirklichen lässt. Im Augenblick lass mich dir erzählen, woher der Kapitalismus kommt.

II

Also, wie ist der Kapitalismus entstanden?

Das ist eine lange, sehr komplizierte Geschichte, weil der Kapitalismus nicht nur eine wirtschaftliche Produktionsweise ist, sondern auch eine gesellschaftliche Organisationsform. Sie hat mit dem Aufstieg und dem Niedergang sozialer Klassen zu tun. Alle diese Begriffe sind ein wenig abstrakt für dich, aber ich werde sie dir erklären. Man braucht sie, um die Lage der Dinge richtig zu verstehen.

Einen Augenblick. Bevor du zu theoretisch wirst, erkläre mir doch, woher das Wort Kapitalismus kommt …

Kapitalismus kommt von dem lateinischen Wort caput, das Kopf bedeutet, ursprünglich im wirtschaftlichen Sinne: die Kopfzahl des Viehbestands. Das Wort Kapital, das sich daraus entwickelte, nahm im 12. und 13. Jahrhundertdie Bedeutung von Vermögenan, von Gewinn, der Geldmenge, die man gewinnbringend anlegen konnte. Der Begriff Kapitalist taucht erst viel später auf, im 17. Jahrhundert bezeichnet er zunächst den Eigentümer des Reichtums, dann den Unternehmer, denjenigen, der eine bestimmte Geldmenge in den Produktionsprozess investiert. Ab dem 18. Jahrhundert wird er häufig auf alle Personen angewendet, die reich sind. Der liberale englische Ökonom David Ricardo, Verfasser der 1817 erschienenen Schrift On the Principles of Political Economy and Taxation – Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung – verwendet ihn genauso wie 1840 der französische revolutionäre Anarchist Pierre-Joseph Proudhon in Was ist das Eigentum?.

Mitte des 19. Jahrhunderts kam das Wort Kapitalismus auf, fand aber erst im 20. Jahrhundert Eingang in den allgemeinen Wortschatz. Es findet sich ab 1850 bei dem Revolutionär Louis Blanc in der Bedeutung von Aneignung des Kapitals durch die einen unter Ausschluss der anderen, bei Proudhon und natürlich bei Karl Marx als wirtschaftliches und gesellschaftliches System, in dem das Kapital als Einkommensquelle generell nicht denen gehört, die es durch ihre Arbeit produzieren.

Ach so, jetzt weiß ich! Er hat den Marxisten ihren Namen gegeben. Ich habe Freunde, die sich Marxisten und Antikapitalisten nennen!

Du hast recht. Seit mehr als einem Jahrhundert berufen sich die Revolutionäre auf Karl Marx. Er ist bei Weitem der bekannteste der hier zitierten Philosophen. Zwanzig Jahre seines Lebens als Philosoph, Nationalökonom, Theoretiker und revolutionärer Kämpfer hat Marx der Niederschrift seines Buchs Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie gewidmet, trotzdem war das Werk bei seinem Tod im Jahr 1883 immer noch unvollendet.Von London aus, wohin er mit seiner Familie geflüchtet war, hat er am Beispiel der englischen Industrie und ihrer entsetzlichen Arbeitsbedingungen die wahre Natur des Kapitalismus enthüllt und damit dessen Opfern die Waffen geliefert, mit denen sie ihn bekämpfen können.

In Ordnung, Jean. Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das Kapital eine Geldmenge, die durch Arbeit produziert wird, eine Einkommensquelle, wenn man sie reinvestiert, und der Kapitalist der Eigentümer dieser Geldmenge, der sich die Einnahmen aneignet, indem er sie denen vorenthält, die sie durch ihre Arbeit produzieren. Richtig?

Ganz genau. Das Wort Kapitalismus verweist auf zwei fundamentale Gegebenheiten: das Kapital als Geldmenge und den Kapitalisten als Wirtschaftssubjekt oder gesellschaftlichen Akteur, der sich auf Kosten der Arbeiter bereichert.

Das kapitalistische System ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Ergebnis jahrhundertelanger Kämpfe zwischen antagonistischen gesellschaftlichen Klassen … Blutiger, häufig unentschiedener Kämpfe.

Kannst du sie kurz zusammenfassen?

Sicher. Seit Jahrtausenden gibt es Reiche, die Güter im Überfluss besitzen – Ländereien, Werkzeuge, Zugänge zum Wasser, Paläste, Transportmittel, Delikatessen, Gold- und Silbergeschirr, kostbare Kleidung, Juwelen und so fort – und die Macht, die daraus erwächst. Einst besaßen diese Reichen auch Menschen, die für sie arbeiteten und sie bedienten, Männer, Frauen und Kinder, die keinerlei Freiheiten hatten und wie Waren verkauft und gekauft wurden. Der Besitzer hatte die Macht über Tod und Leben dieser Sklaven. Es handelt sich um ein sehr altes Gesellschafts- und Produktionssystem, das als Sklavenhaltergesellschaft bezeichnet wird und in der gesamten Antike verbreitet war.

In der Schule hat uns der Lehrer gesagt, es gebe heute noch Kindersklaven, ich glaube in Mauretanien und auch anderswo, und im Fernsehen haben sie gezeigt, dass in Libyen junge afrikanische Migranten als Sklaven verkauft werden.

Das stimmt. Aber als Produktionssystem, als allgemeine Organisationsform der Arbeit ist die Sklaverei – der Kauf und Verkauf von Menschen – glücklicherweise abgeschafft.

Im Prinzip hat das Christentum die Sklaverei verurteilt. Ich sage »im Prinzip«, weil die Europäer, als sie außerhalb Europas – für die in Amerika erbeuteten Bergwerke und Ländereien – Arbeitskräfte brauchten, nicht nur die einheimischen indianischen Völker versklavt haben, sondern auch noch bis Ende des 19. Jahrhunderts den Sklavenhandel mit Schwarzen aus Afrika betrieben und sie massenhaft deportiert haben, ohne dass die Kirchen Einspruch erhoben hätten.

In der christlichen Welt Europas hat sich im Mittelalter, nach dem Ende des Römischen Reiches, allmählich ein neues sozioökonomisches System durchgesetzt: der Feudalismus beruhte auf dem Grundbesitz – in Form des Lehens – und auf komplexen, hierarchischen Beziehungen zwischen den Herrschern – Kaisern, Königen, Fürsten, politischen Machthabern und Besitzern riesiger Ländereien – und den lokalen Grundbesitzern, den adligen Herren, ihren Vasallen, die selbst Lehnsherren weniger bedeutender Vasallen waren, bis hin zu den Menschen, die auf diesen Ländereien lebten. Wer keinen Grundbesitz hatte, zählte zu den Hörigen, die sich im Zustand der Leibeigenschaft befanden, also den Status von »Unfreien« hatten, wenn ihnen auch als Kindern Gottes, Brüdern und Schwestern im christlichen Glauben, bestimmte Rechte zugestanden wurden. Die Hörigen waren an den Boden gebunden und mussten für den Besitzer arbeiten, der ihnen im Gegenzug Schutz gewährte. Der Unterschied zwischen Sklaverei und Leibeigenschaft erwächst aus der Rechtsstellung des Leibeigenen: Er wurde nicht mit einer Sache gleichgesetzt wie der Sklave, sondern verfügte über eine Rechtspersönlichkeit: Er konnte heiraten, Besitz haben und durfte nicht verkauft werden. Soll ich fortfahren?

Ja. Aber ich habe eine Frage: Du hast gesagt, das Lehen sei die Grundlage des Feudalismus. Woher kommt dieses komische Wort?

Das Wort Lehen hängt mit leihen zusammen, es ist also geliehener